Die Pilgerin
Tremmlingen im 14. Jahrhundert: Die schöne junge Tilla wächst wohlbehalten als Tochter eines reichen Kaufmanns auf. Bis ihr geliebter Vater stirbt und ihr Bruder sie gegen ihren Willen mit einem Mann verheiratet, den sie nicht liebt. Als dieser noch in...
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Tremmlingen im 14. Jahrhundert: Die schöne junge Tilla wächst wohlbehalten als Tochter eines reichen Kaufmanns auf. Bis ihr geliebter Vater stirbt und ihr Bruder sie gegen ihren Willen mit einem Mann verheiratet, den sie nicht liebt. Als dieser noch in der Hochzeitsnacht zu Tode kommt, muss Tilla fliehen. Wagemutig macht sie sich auf den Weg nach Santiago de Compostela. Denn schließlich muss sie noch den letzten Wunsch ihres Vaters erfüllen.
Tillas Bruder schert sich jedoch nicht um den letzten Willen seines Vaters und um dessen Wunsch, seine Tochter mit Damian, dem Sohn des Bürgermeisters, zu verheiraten. Stattdessen zwingt er seine Schwester zur Ehe mit seinem besten Freund, dem ärgsten Feind des Stadtoberhaupts. Doch noch in der Hochzeitsnacht stirbt Tillas ungeliebter Ehemann, und seine Verwandten wollen die junge Witwe in den Wahnsinn treiben. Tilla hat nur eine Chance: Sie muss fliehen! Als Mann verkleidet verlässt sie ihre Heimatstadt im Gepäck das Herz ihres Vaters. Ihr Ziel heißt Santiago de Compostela ...
Die Pilgerin von Iny Lorentz
LESEPROBE
Die Vorhänge waren so fest zugezogen,als könne der feinste Sonnenstrahl dem Kranken schaden, und die Flamme derÖllampe neben dem Bett vermochte die Kammer kaum zu erhellen.
So trüb wie das Licht war auch dieStimmung der vier Personen, die sich um Eckhardt WillingersKrankenlager versammelt hatten und auf ihn hinabblickten.
Der Kaufherr lag regungslos unterseiner Decke, und nur das leichte Heben und Senken seines Brustkorbs verriet,dass er noch atmete. Mit einem Mal aber fuhr er hoch, als wäre er aus einemtiefen Schlaf aufgeschreckt worden, und packte den Arm des Arztes mitausgemergelten, zu Krallen gebogenen Fingern.
»Sorge dafür, dass ich wieder aufdie Beine komme! Ich zahle dir, was du willst. Ich brauche noch ein Jahr! Oderzumindest ein halbes! Dann kann ich in Frieden ruhen.«
Willingers Stimme, die vor wenigen Wochen nochden Ratssaal der Stadt ausgefüllt hatte, klang dünn und zittrig und seineblassblauen Augen waren weit aufgerissen. Die Furcht vor dem Tod schien ihn ineinem weit höheren Maße gepackt zu haben, als man es von einem Mann erwartete,der mit klarem Blick und kühlem Verstand eines der größten Handelshäuser seinerHeimatstadt aufgebaut hatte.
Tilla, die Tochter des Kranken, maßLenz Gassner mit zweifelndem Blick, denn sie hieltnicht viel von der Wirksamkeit seiner Heilkunst. Nach ihrem Empfinden lagenschon viel zu viele Leute auf dem Kirchhof, denen der Arzt ein langes Lebenprophezeit hatte. Doch wider alle Erfahrung hoffte sie, er könne ihrem Vaterwenigstens zu diesem einen Lebensjahr verhelfen. Lenz Gassnerwar ein hochgewachsener Mann im dunklen Talar einesGelehrten mit dem überlegenen Habitus eines Mannes, der sich im Besitz größerenWissens wähnt als andere. Mit einem beruhigenden Lächeln löste er Willingers Hand von seinem Arm und nahm ein kleines, miteiner dunklen Flüssigkeit gefülltes Fläschchen aus seiner Tasche. »DiesesMittel hilft Euch gewiss wieder auf die Beine, Willinger.Es ist echter Theriak, zubereitet vom Leibarzt desbayerischen Herzogs Stephan. Dieses Mittel hat, wie ich bemerken darf, SeineDurchlaucht bereits zwei Mal von der Schwelle des Todes zurückgeholt.«
Seine Worte hallten misstönend inTillas Ohren, denn sie gaben ihr das Gefühl, er nähme die Krankheit ihresVaters nicht ernst.
Da sie den Siechen pflegte, wusstesie, wie hinfällig er inzwischen geworden war, und fleißiges Beten schien ihrein besseres Mittel gegen das den Kranken von innen verzehrende Fieber zu seinals Lenz Gassners Tinkturen. Eckhardt Willinger aber versetzte die Aussicht auf die Medizin desHerzogs in freudige Erregung, und er nahm ein wenig Farbe an. »Danke, meinGuter! Ich muss wieder gesund werden, denn ich habe noch etwas Wichtiges zuerledigen, bevor ich vor unseren Herrn Jesus Christus treten kann!«
Er zwinkerte dem Arzt wie einemMitverschworenen zu und winkte ihm, noch näher zu kommen. Gassneraber schien seinen eigenen Kenntnissen zu misstrauen, denn er tratunwillkürlich einen Schritt zurück.
»Ich muss einfach gesund werden«,wiederholte der Kranke.
»Vor Jahren habe ich eine Wallfahrtzum Grabe des heiligen Apostels Jakobus in Spanien gelobt, und diesesVersprechen muss ich halten. Wenn ich dort bin, mag der Himmel mich zu sichnehmen, aber nicht früher.«
Während Willingerschwer atmend auf sein Kissen zurücksank, schnaubte sein Sohn Otfriedverächtlich. »Ich hoffe, Ihr könnt meinem Vater helfen, Medicus.Er ist von dieser Wallfahrt so besessen, als hinge die ewige Seligkeit davon ab.«
Tilla fuhr zornig auf. »Da dieseWallfahrt für Vaters Seelenheil notwendig ist, müssen wir ihn mit allen Kräftenunterstützen! Du aber tust gerade so, als handele es sich um eine Narretei undnicht um ein heiliges Versprechen.«
Der vierte Besucher an Willingers Bett, ein untersetzter, älterer Mann mitfaltigem Gesicht und dünnen, grauen Haaren, nickte Tilla zu. »Du hast Recht,mein Kind. Keine Wallfahrt ist eine Narretei!«
»Aber muss es gleich Santiago de Compostela sein? Das liegt doch beinahe am Ende der Welt!Eine Wallfahrt zum heiligen Kilian in Würzburg oder meinetwegen auch nach Trierzum Heiligen Rock würde wirklich genügen.«
Tilla biss sich auf die Lippen, umnicht mit Worten herauszuplatzen, die nur zu einem weiteren Streit mit ihremBruder führen würden, und atmete tief durch. »Vater hat nun einmal versprochen,zum Grab des Apostels Jakobus zu pilgern!«
Ihr Bruder winkte ab. »Den Weg wirder ohnehin nicht mehr schaffen. Er soll froh sein, wenn er überhaupt am Lebenbleibt.«
Das klang so herzlos, dass derältere Herr verärgert den Kopf schüttelte. Wohl wusste er, dass nicht alleseitel Freude war im Hause Willinger, doch dem Sohnhätte etwas mehr Ehrfurcht vor dem Vater durchaus angestanden. Otfrieds Wortewären auch außerhalb des Krankenzimmers ungehörig gewesen, sie aber dem Vaterins Gesicht zu sagen, zeugte von einem erschreckendenMangel an der gebotenen Ehrfurcht.
»Ich hoffe und bete, dass dein Vaterwieder ganz gesund wird. Der Rat unserer Stadt braucht ihn dringend, vor allemjetzt in diesen unsicheren Zeiten.« Das war eineverbale Ohrfeige für den jungen Willinger, denn lautStadtrecht würde Otfried nach dem Tod seines Vaters dessen Ratssitz einnehmen. Koloman Laux, Bürgermeister von Tremmlingen und der beste Freund des Kranken, hielt nichtviel von dessen Sohn und hoffte, diesen nicht so schnell im Hohen Rat der Stadtsitzen zu sehen. Otfried bedachte Laux mit einembösen Blick, senkte dann den Kopf und bemühte sich zu versichern, auch er wärefroh, wenn sein Vater die Krankheit überwinden und das Heft im Hause Willinger wieder in die Hand nehmen könne.
»Das wird auch geschehen!« Der Kranke blickte den Arzt auffordernd an. »Jetzt gibmir schon deinen Theriak. Wenn er den Herzog wiederauf die Beine gebracht hat, wird er auch mir helfen. Hol meinen Becher, Tilla!«
Während das Mädchen die Kammerverließ, gelang es Willinger, seinem Gesicht denAnschein eines Lächelns zu geben.
»Unser Herr Jesus wird mich nicht zusich rufen, bevor ich mein Gelübde erfüllt habe.«
»Das walteGott! Mögen er und der heilige Kilian dir noch viele Jahre guten Wirkensschenken!« Laux Stoßgebetverriet, dass sein Vertrauen in die Himmelsmächte ebenfalls größer war als indie Fähigkeiten des Arztes.
Otfried sah nicht so aus, als wolleer sich den frommen Wünschen des Bürgermeisters anschließen, doch er schluckteeine abwertende Bemerkung hinunter, denn in diesem Augenblick kehrte Tilla mitdem Lieblingsbecher ihres Vaters zurück und übergab ihn Lenz Gassner. Der Arzt maß etwas von dem Saft ab und reichte ihndem Kranken. Willinger war jedoch so schwach, dassTilla ihm das Gefäß an den Mund halten musste.
»Wenn die Medizin so wirksam ist,wie sie grässlich schmeckt, werdet ihr mich wohl kaum mehr lange im Bett haltenkönnen«, stöhnte er, während er sich von seiner Tochter die Kissen richtenließ.
Da sein Patient nun die Augenschloss, nahm der Arzt die Gelegenheit wahr, sich zu verabschieden. »Es wartennoch andere Kranke auf meinen Besuch«, erklärte er bedeutungsschwer und verließdie Kammer. Otfried hielt es ebenfalls nicht mehr in der Krankenstube. Unterdem Vorwand, einige kürzlich eingetroffene Geschäftsbriefe lesen zu müssen,verschwand auch er und ließ seinen Vater mit Tilla und Lauxallein zurück.
Willinger wirkte eine Weile so, als sei ereingeschlafen, doch als der Bürgermeister sich verabschieden wollte, riss erdie Augen auf und befahl seiner Tochter barsch, ihm ein weiteres Kissen in denRücken zu stecken. Laux hielt seinen Freund fest,damit Tilla der Bitte nachkommen konnte. Der Kaufmann erwies sich jedoch als zukraftlos, um ohne Hilfe aufrecht sitzen zu können. Mit einem Laut, der wenigerSchmerz als Enttäuschung verriet, ließ er sich in die Polster sinken, die Tillahinter ihm aufgestapelt hatte.
»Es will nicht mehr!«, stöhnte er mit bebenden Lippen. »Wenn Gott kein Wundertut, werde ich dieses Bett nicht mehr lebend verlassen. Aber wenn ich die Pilgerreisenicht vollenden kann, bin ich verloren!«
»Muss es denn wirklich das Grab desheiligen Jakobus sein?«
Tillas Frage erzürnte Willinger. Er packte ihr Handgelenk und hätte sie wohldurchgeschüttelt, wäre er bei Kräften gewesen.
»Ja! Ich habe eine schwere Schuldauf mich geladen, die nur in Santiago de Compostelagetilgt werden kann. Als mein Vater gestorben ist, war es sein letzter Wille,dass ich dorthin pilgern und für seine Seele beten soll, denn er war ein harterGeschäftsmann und hat so manchen Konkurrenten mit rüden Methoden beiseitegeschoben. Ich aber habe über seinen Wunsch gelacht und bin im Lande geblieben.Nicht einmal einen Ersatzpilger habe ich an meiner Stelle geschickt, wie esetliche andere tun! Stattdessen habe ich Vaters Wunsch als Hirngespinst abgetanund ihn schließlich vergessen. Just einen Tag aber, bevor mich dieses Fieberniederwarf, habe ich von Vater geträumt und sah ihn im Fegefeuer leiden. Er hatmich verflucht, denn mit meiner Wallfahrt zum Apostel Jakobus hätte ich es ihm ersparenkönnen, und er drohte mir das Höllenfeuer an, würde ich mich nicht ungesäumtauf den Weg machen.«
Willingers Stimme überschlug sich, und beiseinen letzten Worten begann er am ganzen Körper zu zittern. Die Angst um seinSeelenheil war weitaus größer, als seine Zuhörer ahnten, denn er hatte noch umeiniges härter geschachert als sein Vater und war vor Lug und Trug nichtzurückgeschreckt. Trotzdem war es ihm gelungen, den Anschein eines ehrbarenHandelsmanns aufrecht zu halten. Hier in seiner Heimatstadt wusste niemand umdie dunklen Stellen in seinem Leben, auch Koloman Laux nicht, der sich für seinen besten Freund hielt.
»Ich muss nach Santiago pilgern!Gott kann doch nicht so grausam sein, mir dies zu verwehren. Sonst wird mir vordem Jüngsten Gericht keine Erlösung zuteil.« DerKranke wimmerte vor Verzweiflung. Tilla beugte sich über ihn und streichelteseine welken Hände. »Vater, beruhige dich doch! Es wird alles gut werden.«
Willinger sah sie mit trüben Augen an. »Dubist ein gutes Mädchen, Tilla, und verstehst meine Not. Ich vergehe vor Angstvor der ewigen Verdammnis. Nur der heilige Jakobus kann mich davor erretten. Dumusst mir eines versprechen: Sollte der Tod mich ereilen, bevor ich diesePilgerfahrt antreten kann, sorge bitte dafür, dass mir mein Herz aus dem Leibgenommen und in der Nähe des Apostelgrabs beerdigt wird!«
»Du wirst gewiss wieder gesundwerden und selbst nach Santiago wallfahren können, Vater.«Tillas Stimme schwankte und ihr strömten Tränen übers Gesicht. Koloman Laux trat neben sie undlegte seine Hand auf ihre Schulter. »Versprich es ihm! Du siehst doch, wie sehrsein Gewissen ihn quält. Schließlich verlangt dein Vater ja nichts Unbilliges!Sollte Gott ihm die Pilgerreise verwehren, kann dein Bruder sie antreten odereinen Vertreter schicken, der das Herz nach Santiago bringt und es dortbegraben lässt.«
»Nein, kein Fremder! Es muss jemandvon meinem Blut sein!«
Willinger keuchte und riss die Augen soentsetzt auf, als wäre der Höllenwächter bereits dabei, das Tor zu Luzifers Reichfür ihn zu öffnen. Tilla befürchtete, er würde sich so sehr aufregen, dass esmit ihm zu Ende ging, und lächelte unter Tränen. »Du wirst nach Santiagogelangen, Vater! Gelingt es dir selbst nicht mehr, dann wird dein Herz dorthingebracht. Sollte Otfried sich weigern, deinen Willen zu erfüllen, dann werdeich an seiner Stelle gehen. Das schwöre ich dir bei meiner eigenen Seligkeitund beim Blute unseres Herrn Jesus Christus!«
Ein tiefer Seufzer brach über Willingers Lippen und er wurde sichtlich ruhiger. »Du bistein gutes Kind, Tilla! Dir vertraue ich, und du wirst nicht allein stehen, wennes so weit ist. Mein Freund Koloman und ich sind unseinig, was deine Zukunft betrifft. Sein Damian ist ein stattlicher Mann undbraucht bald eine Frau. Möge Gott es lenken, dass ich meinen Segen zu euremBunde geben kann, ehe ich diese Welt verlassen muss.« Laux ergriff die Hand seines Freundes und drückte siesanft.
»Ich kümmere mich um Tilla, aber ichlasse sie nicht nach Santiago ziehen. Otfried wird gehen! Er kann und darf sichdieser Pflicht nicht entziehen. Dafür werde ich schon kraft meines Amtessorgen. Es wäre jedoch besser, wenn du die Verpflichtung zur Wallfahrt in deinTestament aufnimmst. Weigert dein Sohn sich dann immer noch, deinen letztenWillen zu erfüllen, bleiben ihm die Türen des Ratssaals versperrt und keinehrlicher Handelsmann in unserer Stadt und darüber hinaus wird noch einGeschäft mit ihm abschließen.«
»Danke, mein Freund! Ich werdedeinen Rat befolgen. Doch jetzt bin ich müde und will ein wenig schlafen. Wennich wieder wach bin, lasse ich den Stadtschreiber kommen, damit er als Notarmeinen letzten Willen beurkundet.« Der Kranke nickte Laux lächelnd zu und bat Tilla, einige der Kissen ausseinem Rücken zu entfernen. Sichtlich besorgt half diese ihrem Vater, sichbequem zu betten, und wandte den Blick erst von ihm ab, als er mit einementspannten Gesichtsausdruck eingeschlafen war.
»Es war gut, dass du geschworenhast, deines Vaters Willen zu erfüllen. Nun kann er unbesorgt ruhen.« Mit diesen Worten wollte LauxTilla beruhigen, aber als sie ihn verschreckt ansah, bemerkte er, wiezweideutig sie geklungen hatten. Um ihr ein wenig die Ängste zu nehmen, stricher tröstend über ihre Wange.
»Bei deiner guten Pflege wird ersich gewiss wieder erholen und noch viele Jahre unter uns weilen. Schau nur!Seit du die schwere Last von seiner Seele genommen hast, sieht er schon besseraus. Ich bin sicher, dass er auf deiner Hochzeit den Becher heben und mirzutrinken wird. Jetzt aber muss ich euch allein lassen.«
Laux wandte sich zur Tür, drehte sichauf der Schwelle noch einmal um und griff nach dem Medizinfläschchen mit derTinktur, die der Arzt Theriak genannt hatte. Miteinem Stirnrunzeln zog er den Stöpsel, roch an dem Gebräu und schüttelte sichangewidert.
»Bei Gott, wie das stinkt! Davonsoll ein Mensch gesund werden? Da halte ich die Kräutertränke, mit denen unserStallknecht die Pferde behandelt, für bessere Heilmittel. Josef sagt immer, wasden Pferden hilft, nützt auch den Menschen, und beinahe glaube ich, dass erRecht hat. Als ich mich letztens mit einer argen Kolik herumquälen musste, hater mir einen Trunk gemischt - und du wirst es nicht glauben: die Winde gingenab und meine Därme beruhigten sich wieder.«
Tilla blickte hoffnungsvoll zu Laux auf. »Glaubst du, Onkel Koloman,Euer Josef würde auch ein Mittel haben, das Vater helfen könnte?«
Der Bürgermeister schütteltebedauernd den Kopf und wies auf den Kranken, von dessen Stirn der Schweiß nunin Strömen floss. »Dieses Fieber ist keine Kolik, mein Kind. Hier kann wirklichnur noch Gott helfen und vielleicht auch der heilige Jakobus. Wie es aussieht,sind sie gerade am Werk, denn mit dem Schweiß wird auch die Krankheitausgeschwemmt. Sorge dafür, dass dein Vater genug zu trinken bekommt. Das Trinkenist das Wichtigste im Leben, sagt unser Josef, und damit meint er nicht nur dasBier, das er gerne die Kehle hinabrinnen lässt!«
»Ich werde darauf achten«, versprachTilla, die etwas Hoffnung zu schöpfen begann. Während Lauxdas Zimmer und kurz darauf auch das Haus verließ, ohne Otfried noch einmal zubegegnen, wischte sie ihrem Vater den Schweiß von der Stirn und sagte sich,dass es gewiss kein Schaden war, wenn sie noch an diesem Tag in die drei großenKirchen der Stadt ginge, um für die Gesundung ihres Vaters zu beten.
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© Verlag Droemer/Knaur
Bevor der Leser sich ob dieses Fleißes nun allzu sehr wundert, sei verraten: Iny musste die Arbeit nicht allein erledigen, ihr Mann Elmar war und ist immer dabei. „Iny Lorentz“ ist ein Pseudonym, hinter dem sich das Schriftstellerehepaar Iny und Elmar verbirgt. Der Verlag kreierte aus ihrem Vornamen und dem Namen von Elmars Vater den Künstlernamen, kurz und einprägsam.
Iny wurde 1949 in Köln geboren, wo sie die Schule besuchte und eine Ausbildung als Arzthelferin absolvierte. Nach dem Abitur im Abendgymnasium begann sie ein Medizinstudium, das sie aber aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Sie wurde Programmiererin und zog 1980 nach München, um bei einer großen Versicherung zu arbeiten. Ihr Ehemann Elmar arbeitete seit 1981 ebenfalls dort. Er ist gebürtiger Bayer und stammt aus einem kleinen Bauerndorf mit gerade einmal fünf Höfen.
Beiden gemeinsam ist die große Leidenschaft für das Geschichtenerzählen. Elmar begann bereits in der Schule mit dem Schreiben, die Religionslehrerin erkannte und förderte sein Talent. Iny veröffentlichte schon in jungen Jahren Kurzgeschichten in Zeitschriften. Schließlich trafen sich die verwandten Seelen in einem Fantasy-Club und heirateten 1982, um von da an alles gemeinsam zu machen, auch das Schreiben. Zunächst arbeiteten sie viele Jahre abends und im Urlaub an ihren Büchern, nach den ersten Erfolgen widmeten sie sich dann ganz dem Schreiben.
Wie schon die Titel verraten (u. a. „Die
Interview mit Iny Lorentz
Inzwischen dürftees sich herum gesprochen haben, dass sich hinter der "Marke" Iny Lorentzeigentlich ein Autoren(ehe-)paar verbirgt, das seit inzwischen mehreren Jahrzehntenseiner Leidenschaft für alles Historische nachgeht. Sind Sie inzwischeneigentlich hauptberufliche Autoren, oder sind Sie Ihrem Arbeitgeber, einerMünchner Versicherung, treu geblieben?
Nein, wir sind keine hauptberuflichen Autoren,sondern unserem Arbeitgeber treu geblieben. Unser erster historischer Roman istim Juni 2003 erschienen, also vor zwei Jahren und neun Monaten. Das ist eineviel zu kurze Zeitspanne, um abschätzen zu können, ob wir weiterhin soerfolgreich sein werden wie bisher.
Obwohl Ihre Bücher ein Gemeinschaftswerk sind, tauchtauf den Buchdeckeln immer nur Iny Lorentz als Autorin auf. Warum?
Das war eine kluge Entscheidung desVerlags. Ein (kurzer) Name ist einprägsamer und im Internet bzw. denDatenbanken der Buchhändler leichter zu finden. Wir haben das Pseudonym ausInys Vornamen und Elmars Vatersnamen Lorenz zusammengesetzt. Also ist Elmarindirekt auch darin zu finden. Natürlich meinen die Leute, Iny sei diealleinige Autorin, aber das wird sich ja nun ändern.
Selbst Kritikerbescheinigen Ihnen, dass Sie nicht nur die großen Gefühle beherrschen, sondernauch ein sauber recherchiertes historisches Setting bieten. Wie - in etwa - istdas Verhältnis von Fiktion und historisch Überliefertem in Ihren Romanen?
Der Vordergrund - die Handlung, einige Orte und diemeisten handelnden Personen - ist Fiktion, aber viele Teile haben sich unserenRecherchen zufolge so ähnlich abgespielt, nur eben mit anderen, oft unbekanntgebliebenen Handlungsträgern. Wir benutzen überlieferte Szenerien, indem wirsie leicht abgewandelt auf unsere Protagonisten übertragen, und verflechten dieFiktion mit einer realen politischen, wirtschaftlichen und sozialen"Großwetterlage".
Welche Vorarbeiten sind nötig, damit Ihre Romane soauthentisch wirken? Gehen Sie in die Bibliothek und stöbern in Archiven oderverlassen Sie sich auf Ihre Fantasie?
Es zahlt sich einfach aus, dass wirvon Jugend an Sachbücher und historische Romane gelesen haben. Darunter auchdie christlich gefärbten historische Romane aus dem 19. Jahrhundert wie etwaQuo Vadis oder Ben Hur. Wir besitzen massenweise Literatur zu Kunst- undSozialgeschichte, zur Politik und zu einzelnen Persönlichkeiten. Wir besuchenaber auch die Stadtbibliothek oder kürzlich das spanische Kulturinstitut, indem wir katalanische Namen und Zeitangaben recherchiert haben. Für "DieGoldhändlerin" waren die Besuche im jüdischen Museum in Amsterdam sehrinspirierend. Zum Beispiel wissen nur wenige Menschen, dass viele spanischeJuden nach der Rekonquista in die westeuropäischen Küstenstädte geflohen sind,natürlich unter Verleugnung ihres Glaubens.
Mittlerweile dürften Sie an die drei Millionen Bücher verkauft haben.Was erfahren Sie von Ihren Lesern, warum greifen diese so gern zu Ihrenhistorischen Romanen? Was machen Sie anders als die "Konkurrenz"?
Obdie von Ihnen genannten drei Millionen schon erreicht sind, werden wir wohlbald von unseren Agentinnen erfahren. Möglich ist es, denn zum jetzigenZeitpunkt stehen vier unserer Bücher auf den Bestsellerlisten. Wir freuen unsnatürlich sehr, dass wir so vielen Leser/innen mit unseren Büchern ein paarschöne Stunden bereiten konnten. Wie wir gehört haben, empfinden vieleLeser/innen unsere Romane als hautnah und spannend, eben als Geschichten zumMiterleben. Ob wir etwas anders machen als unsere KollegInnen können wir jedochnicht sagen.
Die Fragen stellte Henrik Flor, Literaturtest.
- Autor: Iny Lorentz
- 2007, 702 Seiten, Maße: 14,8 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 3426662493
- ISBN-13: 9783426662496
4.5 von 5 Sternen
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