Die Saga von Sonea Trilogie Band 2: Sonea - Die Heilerin
Roman
Soneas Sohn Lorkin wurde in Sachaka entführt. Seine Verfolger wollen ihm das Geheimnis des Heilens durch Magie entlocken. Doch Lorkin weiß: Er muss das Geheimnis hüten, damit es im Kriegsfall nicht missbraucht wird. Dann lernt er Tyvara kennen und verliebt sich in sie.
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Produktinformationen zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 2: Sonea - Die Heilerin “
Soneas Sohn Lorkin wurde in Sachaka entführt. Seine Verfolger wollen ihm das Geheimnis des Heilens durch Magie entlocken. Doch Lorkin weiß: Er muss das Geheimnis hüten, damit es im Kriegsfall nicht missbraucht wird. Dann lernt er Tyvara kennen und verliebt sich in sie.
Klappentext zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 2: Sonea - Die Heilerin “
Der Schwur der schwarzen MagierinLorkin, der Sohn der schwarzen Magierin Sonea, wurde in Sachaka entführt. Seine Häscher hoffen, von ihm die Kunst der Heilung durch Magie zu erlernen, die in Sachaka unbekannt ist. Lorkin weiß jedoch, dass diese Fähigkeit im Falle eines Krieges einen enormen Vorteil birgt. Er ist fest entschlossen, das Geheimnis zu wahren. Aber dann lernt er Tyvara kennen - und verliebt sich in sie ...
Währenddessen verfolgt seine Mutter Sonea in ihrer Heimat Kyralia einen abtrünnigen Magier, der seine Dienste an die Diebesgilde verkauft hat. Doch ein Mord, begangen mit schwarzer Magie, lenkt sie von ihrer Aufgabe ab. Denn es gibt nur zwei Magier, die dazu fähig sind: der Schwarze Magier Kallen, der ein wasserdichtes Alibi hat - und Sonea selbst! Sonea muss alles daran setzen, das Vertrauen der Magiergilde zurückzuerlangen. Denn ohne sie ist Kyralia einem Angriff der Schwarzen Magier von Sachaka hilflos ausgeliefert ...
Lese-Probe zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 2: Sonea - Die Heilerin “
Sonea - die Heilerin von Trudi Canavan1 Die Höhlen der Steinemacher
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Nach einer alten sachakanischen Tradition, an deren Ursprung sich niemand mehr erinnern konnte, galt
der Aspekt des Sommers als männlich, der des Winters als weiblich. Nun predigten die Anführerinnen und Vordenkerinnen der Verräterinnen schon seit Jahrhunderten, alle diese abergläubischen Vorstellungen über Männer und Frauen - insbesondere über Frauen - seien lächerlich, aber viele ihrer Mitglieder fanden noch immer, dass die Jahreszeit, die in ihrem Bergrefugium die größte Kontrolle über ihr Leben hatte, viel mit der weiblichen Kraft gemeinsam habe. Der Winter der Berge war machtvoll, gnadenlos und brachte Menschen zusammen, damit sie so gut wie möglich überleben konnten.
Im Gegensatz dazu war der Winter in den Tiefländern und Wüsten Sachakas ein Segen - er brachte den Regen, dessen es für eine gute Ernte und das Vieh bedurfte. Der Sommer dort war dagegen hart, trocken und unproduktiv.
Als Lorkin vom Kräuterhaus zurückeilte, war es in dem Tal deutlich kälter, als er erwartet hatte. Es lag bereits eine Ahnung von Schnee und Eis in der Luft. Seinem Gefühl nach lebte er noch nicht lange genug im Sanktuarium, als dass der Winter so kurz bevorstehen konnte. Es waren nur wenige Monate verstrichen, seit er die geheime Heimat der sachakanischen Rebellinnen erreicht hatte. Zuvor war er unten in den warmen, trockenen Tiefländern auf der Flucht gewesen, in Begleitung einer Frau, die ihm das Leben gerettet hatte.
Tyvara. Etwas in seiner Brust verkrampfte sich auf eine unbehagliche und doch seltsam angenehme Weise. Lorkin holte tief Luft und beschleunigte seine Schritte. Er war entschlossen, dieses Gefühl ebenso energisch zu ignorieren, wie Tyvara ihn ignorierte.
Ich bin nicht nur deshalb hierhergekommen, weil ich mich in sie verliebt habe, sagte er sich. Es war für ihn eine Frage der Ehre gewesen, vor ihren Leuten zu Tyvaras Verteidigung zu sprechen, da sie ihm das Leben gerettet hatte. Sie hatte die Attentäterin getötet, die versucht hatte, ihn zu verführen und zu ermorden, aber die Attentäterin war ebenfalls eine Verräterin gewesen. Riva hatte im Auftrag einer Gruppe gehandelt, die fand, er solle bestraft werden für das Versäumnis seines Vaters, des ehemaligen Hohen Lords Akkarin, einen vor vielen Jahren mit den Verräterinnen geschlossenen Handel nicht eingehalten zu haben.
Niemand aus der Gruppe, die seine Bestrafung wollte, hatte zugegeben, Riva den Befehl zu seiner Ermordung erteilt zu haben. Ein solcher Befehl hätte bedeutet, dass der Betreffende sich den Wünschen der Königin widersetzt hätte. Also tat die ihm feindlich gesinnte Gruppe, als sei der Mordanschlag ganz und gar Rivas Idee gewesen.
Es gibt Rebellen innerhalb der Rebellen, ging es Lorkin durch den Kopf.
Seine Aussage zugunsten Tyvaras mochte sie vor der Hinrichtung bewahrt haben, aber einer Bestrafung war sie dennoch nicht entkommen. Vielleicht war es die Arbeit, die Rivas Familie ihr zugewiesen hatte, die sie von ihm fernhielt. Wie auch immer, er hatte jedenfalls die Einsamkeit eines Fremden an einem fremden Ort zur Genüge kennengelernt.
Er hatte den Fuß der Felswand, die sich rings um das ganze Tal zog, fast erreicht. Beim Blick auf die zahlreichen Fenster und Türen, die auf dieser Talseite in den Fels gehauen worden waren, wusste Lorkin, dass Zeiten kommen mussten, da er sich in diesem Ort gefangen fühlen würde. Nicht wegen der strengen Winter, die es notwendig machten, in den Höhlen im Fels zu bleiben, sondern weil ihm als Fremdem, der die ungefähre Lage dieser Heimstatt der Verräterinnen kannte, niemals erlaubt werden würde, diesen Ort wieder zu verlassen.
Hinter den Fenstern und Türen gab es genug Raum im Fels, um die Bevölkerung einer kleinen Stadt zu beherbergen. Die kleinsten Höhlen waren vielleicht schrankgroß, die größten hatten das Format der Gildehalle. Die meisten waren nicht allzu tief in den Fels gehauen worden, da es in der Vergangenheit Beben und Einstürze gegeben hatte und die Menschen sich wohler fühlten, wenn der Weg ins Freie kurz genug war, um schnell hinauslaufen zu können.
Einige Gänge aber reichten tief in den Fels hinein. Diese waren die Domäne der Magierinnen unter den Verräterinnen - der Frauen, die diesen Ort trotz ihrer Behauptung, es handele sich um eine gleichberechtigte Gemeinschaft, allein regierten. Vielleicht machte es ihnen nichts aus, in größerer Tiefe zu leben, weil sie mit ihrer Magie verhindern konnten, dass ein Einsturz sie zerquetschte. Möglicherweise wollen sie aber einfach nur in der Nähe der Höhlen bleiben, in denen die magischen Kristalle und Steine gemacht werden.
Bei diesem Gedanken verspürte Lorkin ein Prickeln der Erregung. Er schob sich den Kasten, den er trug, auf die andere Schulter und trat durch den überwölbten Eingang in die Stadt. Vielleicht werde ich es heute Abend herausfinden.
Die Gänge der unterirdischen Stadt waren belebt; es war die Zeit, da viele Arbeiter zu ihren Familien zurückkehrten. An einer Stelle versperrten Lorkin zwei Kinder den Weg, die ganz in ihr Gespräch versunken waren.
»Verzeihung«, sagte er automatisch, während er sich an ihnen vorbeidrückte.
Die Kinder und einige umstehende Erwachsene blickten ihn erheitert an. Kyralische Manieren verwirrten alle Sachakaner. Bei den Ashaki und deren Familien, den mächtigen freien Bewohnern des Tieflands, war das Gefühl, dass sie ein selbstverständliches Recht auf die Dienste anderer hatten, zu stark ausgeprägt, um es für notwendig zu erachten, Dankbarkeit dafür zu zeigen - und es wäre ihnen auch lächerlich erschienen, Sklaven für etwas zu danken, das sie taten, weil sie keine andere Wahl hatten. Obwohl die Verräterinnen keine Sklaven hielten und ihre Gesellschaft angeblich auf dem Prinzip der Gleichheit beruhte, hatten sie keinen Sinn für gute Manieren entwickelt. Zuerst hatte Lorkin versucht, es ihnen gleichzutun, aber er wollte seine guten Manieren nicht in einem solchen Maß aufgeben, dass seine eigenen Leute ihn später unhöflich fanden, sollte er jemals nach Kyralia zurückkehren.
Sollen die Verräterinnen mich doch seltsam finden, das ist besser als undankbar oder hochmütig.
Nicht dass die Verräterinnen unfreundlich oder ohne Wärme gewesen wären. Sowohl Männer als auch Frauen hatten sich überraschend herzlich gezeigt. Einige der Frauen hatten sogar versucht, ihn in ihre Betten zu locken, aber er hatte höflich abgelehnt. Vielleicht bin ich ein Narr, aber ich habe Tyvara noch nicht aufgegeben.
Als Lorkin sich der Krankenstation näherte, wo er an den meisten Tagen arbeitete, mäßigte er sein Tempo, um wieder zu Atem zu kommen. Die Station wurde von Sprecherin Kalia geleitet, der inoffiziellen Führerin der Partei, die seine Ermordung befohlen hatte. Er wollte sie nicht wissen lassen, dass er den Weg rasch zurückgelegt hatte, und ihr auch nicht das Gefühl geben, er habe es besonders eilig, mit seinen Arbeiten des Tages fertig zu werden. Wenn sie daraus folgerte, dass es ihm wichtig sei, pünktlich Feierabend zu machen, würde sie eine weitere Aufgabe für ihn finden, um ihn länger festzuhalten. Wenn es andererseits nichts Rechtes mehr für ihn zu tun gab, hütete er sich, einfach auszuruhen und die Hände in den Schoß zu legen, denn dann fand sie ebenso rasch etwas Neues für ihn zu tun, und oft etwas ebenso Unangenehmes wie Unnötiges.
Wenn er allerdings hereingeschlendert kam, als habe er alle Zeit der Welt, würde sie ihn auch dafür bestrafen. Also nahm er seine gewohnt ruhige, stoische Haltung ein. Kalia entdeckte ihn, verdrehte die Augen und nahm ihm mittels ihrer Magie die Kiste ab.
»Warum benutzt du nie deine Kräfte?«, fragte sie und wandte sich seufzend ab, um die Kiste in den Lagerraum zu bringen.
Er ignorierte ihre Frage. Sie würde sicher nicht gern hören, dass Lord Rothen, sein alter Lehrer in der Gilde, der Überzeugung war, dass ein Magier nicht jede körperlich anstrengende Tätigkeit durch Rückgriff auf seine Magie vermeiden sollte, um nicht auf Dauer schwach und kränklich zu werden.
»Willst du, dass ich dir dabei helfe?«, fragte er. Die Kiste war voller Heilkräuter, die nun zu Heilmitteln verarbeitet werden mussten - Heilmittel, deren Rezeptur er gern kennenlernen wollte.
Sie blickte ihn über die Schulter hinweg an und runzelte die Stirn. »Nein. Halte ein Auge auf die Patienten.«
Er zuckte die Achseln, um sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, drehte sich um und ließ den Blick über den großen Saal der Krankenstation schweifen. Seit dem frühen Morgen, als er mit der Arbeit des Tages begonnen hatte, hatte sich nicht viel geändert. Die meisten der in Reihen aufgestellten Betten waren leer. Es waren lediglich einige Kinder da, die sich von typischen Kinderkrankheiten oder Verletzungen erholten, und eine alte Frau mit einem gebrochenen Arm. Alle schliefen.
Es war Kalias Idee gewesen, ihn auf der Krankenstation einzusetzen - zweifellos zur Prüfung seiner Entschlossenheit, die Verräterinnen keine heilende Magie zu lehren. Bisher waren keine Patienten eingeliefert worden, die drohten, an solchen Krankheiten oder Verletzungen zu sterben, die er nur mit Magie hätte heilen können, aber irgendwann würde es so weit sein. Er rechnete damit, dass Kalia in diesem Fall versuchen würde, die Menschen gegen ihn aufzuwiegeln. Aber er hatte einen Plan, wie er Kalia entgegentreten konnte. Allerdings verbarg sich hinter Kalias mütterlichem Erscheinungsbild und Gehabe ein scharfer Verstand, und sie hatte seine Absichten vielleicht bereits erraten. Er konnte nur abwarten.
Aber gerade jetzt konnte er das nicht. Er wurde anderenorts erwartet. Er war schon reichlich spät dran, und mit jedem verflossenen Augenblick wurde es später. Also folgte er Kalia in den Lagerraum.
»Sieht aus, als hättest du sehr viel Arbeit«, stellte er fest. Sie blickte nicht zu ihm auf. »Ja. Ich werde die ganze Nacht aufbleiben.«
»Du hast schon letzte Nacht nicht geschlafen«, rief er ihr in Erinnerung. »Das tut dir nicht gut.«
»Sei nicht dumm«, fuhr sie ihn an. »Ich bin durchaus in der Lage, ohne Schlaf auszukommen. Diese Arbeit muss jetzt getan werden. Von jemandem, der weiß, was er tut.« Sie wandte sich ab. »Geh. Nimm du dir die Nacht frei.«
Lorkin ließ ihr keine Möglichkeit, ihre Meinung zu ändern. Mit einem stillen Lächeln kehrte er der Krankenstation den Rücken. Die Heiler der Gilde wussten, wie verheerend Schlafmangel sich auf den Körper auswirken konnte, weil sie es spürten. Die Magier der Verräterinnen wussten jedoch nicht, wie man mit Magie heilte, und da sie die Folgen ihrer Irrtümer niemals am eigenen Leib spürten, hielten sie an einigen seltsamen Auffassungen fest.
Er hatte nicht versucht, sie zu belehren, da es nicht taktvoll gewesen wäre, sie an das zu erinnern, was sie nicht wussten. Vor vielen Jahren hatte sein Vater versprochen, die Verräterinnen im Gegenzug für Kenntnisse der schwarzen Magie das Heilen durch Magie zu lehren - obwohl er nicht die Erlaubnis der Gilde hatte, dieses Wissen weiterzugeben, und, schlimmer noch, schwarze Magie in der Gilde verboten war.
Zu der Zeit hatten viele Kinder der Verräterinnen an einer tödlichen Krankheit gelitten, und Kenntnisse heilender Magie hätten sie vielleicht gerettet. Akkarin war nach Kyralia zurückgekehrt und hatte seine Seite des Handels niemals erfüllt. Seit er von dem gebrochenen Versprechen seines Vaters erfahren hatte, hatte Lorkin viele mögliche Gründe in Erwägung gezogen. Sein Vater hatte gewusst, dass der Bruder des Ichani, der ihn versklavt hatte, eine Invasion Kyralias plante. Er könnte sich verpflichtet gefühlt haben, sich zuerst um diese Bedrohung zu kümmern. Vielleicht konnte er die Bedrohung nicht erklären, ohne zu offenbaren, dass er verbotene schwarze Magie erlernt hatte. Möglicherweise war es ihm zu gefährlich erschienen, allein nach Sachaka zurückzukehren und eine neuerliche Gefangennahme durch die Ichani oder die Rache des Bruders seines ehemaligen Herrn zu riskieren.
Vielleicht hatte er auch niemals beabsichtigt, sein Versprechen zu erfüllen. Schließlich hatten die Verräterinnen einige Zeit, bevor sie ihre Hilfe anboten, von seiner schrecklichen Situation gewusst, während sie anderen - im Wesentlichen sachakanischen Frauen - ständig halfen, ohne einen Preis dafür zu verlangen. Dass sie Akkarin erst dann geholfen hatten, seine Freiheit wiederzuerlangen, als es für sie von Vorteil war, zeigte gewiss, wie skrupellos sie sein konnten.
Inzwischen war Lorkin in einem Teil der Stadt angelangt, dessen Gänge weniger belebt waren, so dass er rascher vorankam und sogar in Laufschritt verfallen konnte, ohne dabei beobachtet zu werden. Falls jemand aus Kalias Partei ihn in Eile sah, würde er es ihr vielleicht zutragen.
Tyvara hatte behauptet, er werde eine friedliche Gesellschaft antreffen, eine gerechte, doch das Leben hier entsprach nicht ganz ihren Beteuerungen, trotz des Prinzips der Gleichheit, das die Verräterinnen so hoch schätzten. Wie dem auch sei, sie machen ihre Sache besser als viele andere Länder, insbesondere der Rest von Sachaka. Sie kennen keine Sklaverei, und die Arbeit wird größtenteils aufgrund von Fähigkeiten verteilt und nicht aufgrund eines ererbten Klassensystems. Männer und Frauen mögen nicht wirklich gleichgestellt sein, aber das ist in allen Kulturen so - nur immer mit anderem Vorzeichen. Und die meisten Kulturen behandeln die Frauen sehr viel schlechter, als die Verräterinnen ihre Männer behandeln.
Er dachte an seinen inzwischen engsten Freund im Sanktuarium, einen Mann namens Evar, den er gleich treffen würde. Der junge Magier hatte sich aus Neugier zu Lorkin hingezogen gefühlt, weil Lorkin im Sanktuarium der einzige andere männliche Magier war, der sich noch mit keiner Frau zusammengeschlossen hatte. Lorkin hatte herausgefunden, dass sein erster Eindruck zum Status männlicher Magier falsch gewesen war: Er hatte vermutet, dass die Verräterinnen männlichen, magisch begabten Personen die gleichen Möglichkeiten bieten würden, Magie zu erlernen, wie sie die Frauen hatten. Tatsächlich waren aber alle männlichen Magier hier »natürliche«, deren Magie sich auf
ursprüngliche Weise entwickelt hatte und nicht erst freigesetzt werden musste. Es war den Verräterinnen also nichts anderes übrig geblieben, als sie entweder zu unterrichten oder sie zum Sterben außerhalb des Sanktuariums auszusetzen, bevor sie die Kontrolle über ihre Kräfte verloren. Anderen männlichen Verrätern dagegen wurde keine Magie gelehrt.
Die wenigen glücklichen männlichen Naturmagier waren den Frauen jedoch trotzdem nicht ebenbürtig: Männer durften keine schwarze Magie erlernen. Dies stellte sicher, dass selbst schwache weibliche Magier mächtiger waren als die männlichen, weil sie ihre Kräfte mit schwarzer Magie stärken konnten.
Ich frage mich ... hätte man mir Einlass ins Sanktuarium gewährt, wenn ich mich auf schwarze Magie verstünde?
Er dachte nicht weiter darüber nach, denn er hatte jetzt sein Ziel erreicht: den »Männerraum«. Es war eine große Höhle, in der diejenigen Männer lebten, die zu alt waren, um noch bei ihren Eltern zu wohnen, und noch von keiner Frau als Gefährte ausgewählt worden waren.
Evar unterhielt sich mit zwei anderen Männern, als Lorkin eintrat, kehrte ihnen jedoch den Rücken, sobald er seinen Freund bemerkte. Wie die meisten männlichen Verräter war er schmal und feinknochig, ganz anders als die typischen freien Sachakaner aus dem Tiefland mit ihrem hohen Wuchs und den breiten Schultern. Nicht zum ersten Mal fragte sich Lorkin, ob die Männer der Verräterinnen über viele Generationen hinweg kleiner geworden waren - gewissermaßen, um sich ihrem sozialen Status anzupassen.
»Evar«, sagte Lorkin. »Tut mir leid, dass ich spät dran bin.«
Evar zuckte die Achseln. »Lass uns essen.«
Lorkin zögerte, folgte seinem Freund dann aber in den Küchenbereich, wo ein großer Topf mit dampfender Suppe, die einer der ihren zubereitet hatte, auf die Männer wartete. Das gehörte nicht zu ihrem Plan. War er so spät, dass Evar seine Pläne inzwischen geändert hatte?
»Werden wir den Ausflug, den du vorgeschlagen hast, noch machen?«, erkundigte sich Lorkin so beiläufig wie möglich.
Evar nickte. »Wenn du es dir nicht anders überlegt hast.« Er beugte sich etwas dichter zu Lorkin hinüber. »Einige der Steinemacherinnen arbeiten länger«, murmelte der junge Magier. »Wir müssen ihnen Zeit lassen, ihre Arbeit fertigzustellen und heimzugehen.«
Lorkin spürte leichten Aufruhr in seinen Eingeweiden. »Bist du dir sicher, dass du das tun willst?«, fragte er, während sie mit ihren Tellern zu einem der langen Esstische hinübergingen und sich dort - etwas abseits von den anderen, die bereits aßen - einen Platz suchten.
Evar schlürfte etwas Suppe, schluckte und bedachte Lorkin dann mit einem beruhigenden Lächeln. »Nichts, was ich dir zeige, ist geheim. Jeder, der es sich ansehen will, kann das ohne Weiteres tun, solange er sich still verhält und niemandem in die Quere kommt. Was dir ebenfalls gelingen sollte.«
»Aber ich bin nicht irgendjemand.«
»Du bist angeblich einer von uns. Der einzige Unterschied ist, dass man dir gesagt hat, dass du nicht fortgehen darfst. Ich bezweifle, dass ich, wenn ich fortzugehen versuchte, ohne Erlaubnis weit käme und dass man mir eine solche Erlaubnis geben würde. Sie sehen es nicht gern, wenn sich viele von uns außerhalb der Stadt aufhalten. Jeder Spion stellt ein Risiko dar, selbst mit den Steinen, die vor dem Gedankenlesen schützen. Denn was nützt dir ein Stein in der Hand, wenn dir die Hand abgeschlagen wird?«
Lorkin verzog das Gesicht. »Trotzdem bezweifle ich, dass irgendjemand darüber glücklich sein wird, dass ich dort bin«, bemerkte er und wandte sich wieder dem eigentlichen Thema zu. »Oder darüber, dass du mich hinbringst.«
Evar schluckte den letzten Bissen seiner Mahlzeit herunter. »Wahrscheinlich nicht. Aber meine Tante Kalia liebt mich.« Lorkin hatte Kalia zwar nie mit Evar plaudern sehen, aber sie schien ihren Neffen tatsächlich zu schätzen. »Willst du das noch essen?«
Lorkin schüttelte den Kopf und schob die Reste seines Mahls beiseite. Er war zu nervös, um viel zu essen. Evar betrachtete stirnrunzelnd den halbvollen Teller, sagte jedoch nichts und aß den Rest einfach selbst. Da die landwirtschaftlichen Flächen im Tal knapp waren, sahen die Verräterinnen Verschwendung nicht gern. Und Evar war ständig hungrig. Die beiden erhoben sich, säuberten das Geschirr, das sie benutzt hatten, räumten es weg und verließen dann den Männerraum. Lorkin spürte, wie ihm seine Nervosität den Magen zusammenschnürte, aber gleichzeitig war er ungeduldig und voller Erwartung.
»Wir werden durch einen der hinteren Gänge gehen«, murmelte Evar. »Dort ist die Gefahr geringer, dass man dich bemerken wird, wenn du hineingehst.«
Während sie unterwegs waren, überlegte Lorkin sich noch einmal, was er eigentlich durch seinen Besuch der Höhlen herauszufinden hoffte. Die Gilde hielt schon jahrhundertelang daran fest, dass es keine wahren magischen Gegenstände gab, nur gewöhnliche Dinge, denen durch Magie strukturelle Integrität oder verbesserte Eigenschaften verliehen wurden - wie zum Beispiel durch Magie verstärkte Gebäude oder die Mauern, die in der Universität leuchteten -, weil sie aus Materialien bestanden, in denen Magie langsamer wirkte als gewöhnlich, so dass ihr Effekt noch erhalten blieb, lange nachdem ein Magier seine Arbeit daran beendet hatte. Selbst den gläsernen Blutsteinen, die die Gedankenrede zwischen dem Träger und dem Schöpfer des Rings kanalisierten, und zwar auf eine Art und Weise, die verhinderte, dass andere Magier sie hören konnten, gestand man keine eigene Magie zu.
Er vermutete nun, dass einige der Edelsteine im Sanktuarium tatsächlich Magie enthielten. Die meisten davon waren allerdings eher wie Blutsteine - es wurde Magie hineingegeben, die dann von dem Stein zu einem bestimmten Zweck umgeformt wurde. Alle Verräterinnen, die sich aus ihrem geheimen Zuhause herauswagten, trugen einen winzigen Stein unter der Haut, der es ihnen nicht nur gestattete, ihren Geist zu schützen, falls ein sachakanischer Magier ihre Gedanken las, sondern es ihnen auch ermöglichte, einen Gedankenleser stattdessen unschuldige, sichere Gedanken sehen zu lassen. Die Flure und Räume innerhalb der Stadt wurden mit Edelsteinen beleuchtet, die Licht spendeten. Die Krankenstation, auf der Lorkin sich um die Patienten kümmerte, barg mehrere Steine mit nützlichen Eigenschaften, angefangen von der Schaffung eines warmen Leuchtens oder einer sanften Vibration, um verkrampfte Muskeln zu lockern, bis hin zu Steinen, die Wunden ausbrennen konnten.
Übersetzung: Michaela Link
© der deutschsprachigen Ausgabe
2011 by Penhaligon Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Nach einer alten sachakanischen Tradition, an deren Ursprung sich niemand mehr erinnern konnte, galt
der Aspekt des Sommers als männlich, der des Winters als weiblich. Nun predigten die Anführerinnen und Vordenkerinnen der Verräterinnen schon seit Jahrhunderten, alle diese abergläubischen Vorstellungen über Männer und Frauen - insbesondere über Frauen - seien lächerlich, aber viele ihrer Mitglieder fanden noch immer, dass die Jahreszeit, die in ihrem Bergrefugium die größte Kontrolle über ihr Leben hatte, viel mit der weiblichen Kraft gemeinsam habe. Der Winter der Berge war machtvoll, gnadenlos und brachte Menschen zusammen, damit sie so gut wie möglich überleben konnten.
Im Gegensatz dazu war der Winter in den Tiefländern und Wüsten Sachakas ein Segen - er brachte den Regen, dessen es für eine gute Ernte und das Vieh bedurfte. Der Sommer dort war dagegen hart, trocken und unproduktiv.
Als Lorkin vom Kräuterhaus zurückeilte, war es in dem Tal deutlich kälter, als er erwartet hatte. Es lag bereits eine Ahnung von Schnee und Eis in der Luft. Seinem Gefühl nach lebte er noch nicht lange genug im Sanktuarium, als dass der Winter so kurz bevorstehen konnte. Es waren nur wenige Monate verstrichen, seit er die geheime Heimat der sachakanischen Rebellinnen erreicht hatte. Zuvor war er unten in den warmen, trockenen Tiefländern auf der Flucht gewesen, in Begleitung einer Frau, die ihm das Leben gerettet hatte.
Tyvara. Etwas in seiner Brust verkrampfte sich auf eine unbehagliche und doch seltsam angenehme Weise. Lorkin holte tief Luft und beschleunigte seine Schritte. Er war entschlossen, dieses Gefühl ebenso energisch zu ignorieren, wie Tyvara ihn ignorierte.
Ich bin nicht nur deshalb hierhergekommen, weil ich mich in sie verliebt habe, sagte er sich. Es war für ihn eine Frage der Ehre gewesen, vor ihren Leuten zu Tyvaras Verteidigung zu sprechen, da sie ihm das Leben gerettet hatte. Sie hatte die Attentäterin getötet, die versucht hatte, ihn zu verführen und zu ermorden, aber die Attentäterin war ebenfalls eine Verräterin gewesen. Riva hatte im Auftrag einer Gruppe gehandelt, die fand, er solle bestraft werden für das Versäumnis seines Vaters, des ehemaligen Hohen Lords Akkarin, einen vor vielen Jahren mit den Verräterinnen geschlossenen Handel nicht eingehalten zu haben.
Niemand aus der Gruppe, die seine Bestrafung wollte, hatte zugegeben, Riva den Befehl zu seiner Ermordung erteilt zu haben. Ein solcher Befehl hätte bedeutet, dass der Betreffende sich den Wünschen der Königin widersetzt hätte. Also tat die ihm feindlich gesinnte Gruppe, als sei der Mordanschlag ganz und gar Rivas Idee gewesen.
Es gibt Rebellen innerhalb der Rebellen, ging es Lorkin durch den Kopf.
Seine Aussage zugunsten Tyvaras mochte sie vor der Hinrichtung bewahrt haben, aber einer Bestrafung war sie dennoch nicht entkommen. Vielleicht war es die Arbeit, die Rivas Familie ihr zugewiesen hatte, die sie von ihm fernhielt. Wie auch immer, er hatte jedenfalls die Einsamkeit eines Fremden an einem fremden Ort zur Genüge kennengelernt.
Er hatte den Fuß der Felswand, die sich rings um das ganze Tal zog, fast erreicht. Beim Blick auf die zahlreichen Fenster und Türen, die auf dieser Talseite in den Fels gehauen worden waren, wusste Lorkin, dass Zeiten kommen mussten, da er sich in diesem Ort gefangen fühlen würde. Nicht wegen der strengen Winter, die es notwendig machten, in den Höhlen im Fels zu bleiben, sondern weil ihm als Fremdem, der die ungefähre Lage dieser Heimstatt der Verräterinnen kannte, niemals erlaubt werden würde, diesen Ort wieder zu verlassen.
Hinter den Fenstern und Türen gab es genug Raum im Fels, um die Bevölkerung einer kleinen Stadt zu beherbergen. Die kleinsten Höhlen waren vielleicht schrankgroß, die größten hatten das Format der Gildehalle. Die meisten waren nicht allzu tief in den Fels gehauen worden, da es in der Vergangenheit Beben und Einstürze gegeben hatte und die Menschen sich wohler fühlten, wenn der Weg ins Freie kurz genug war, um schnell hinauslaufen zu können.
Einige Gänge aber reichten tief in den Fels hinein. Diese waren die Domäne der Magierinnen unter den Verräterinnen - der Frauen, die diesen Ort trotz ihrer Behauptung, es handele sich um eine gleichberechtigte Gemeinschaft, allein regierten. Vielleicht machte es ihnen nichts aus, in größerer Tiefe zu leben, weil sie mit ihrer Magie verhindern konnten, dass ein Einsturz sie zerquetschte. Möglicherweise wollen sie aber einfach nur in der Nähe der Höhlen bleiben, in denen die magischen Kristalle und Steine gemacht werden.
Bei diesem Gedanken verspürte Lorkin ein Prickeln der Erregung. Er schob sich den Kasten, den er trug, auf die andere Schulter und trat durch den überwölbten Eingang in die Stadt. Vielleicht werde ich es heute Abend herausfinden.
Die Gänge der unterirdischen Stadt waren belebt; es war die Zeit, da viele Arbeiter zu ihren Familien zurückkehrten. An einer Stelle versperrten Lorkin zwei Kinder den Weg, die ganz in ihr Gespräch versunken waren.
»Verzeihung«, sagte er automatisch, während er sich an ihnen vorbeidrückte.
Die Kinder und einige umstehende Erwachsene blickten ihn erheitert an. Kyralische Manieren verwirrten alle Sachakaner. Bei den Ashaki und deren Familien, den mächtigen freien Bewohnern des Tieflands, war das Gefühl, dass sie ein selbstverständliches Recht auf die Dienste anderer hatten, zu stark ausgeprägt, um es für notwendig zu erachten, Dankbarkeit dafür zu zeigen - und es wäre ihnen auch lächerlich erschienen, Sklaven für etwas zu danken, das sie taten, weil sie keine andere Wahl hatten. Obwohl die Verräterinnen keine Sklaven hielten und ihre Gesellschaft angeblich auf dem Prinzip der Gleichheit beruhte, hatten sie keinen Sinn für gute Manieren entwickelt. Zuerst hatte Lorkin versucht, es ihnen gleichzutun, aber er wollte seine guten Manieren nicht in einem solchen Maß aufgeben, dass seine eigenen Leute ihn später unhöflich fanden, sollte er jemals nach Kyralia zurückkehren.
Sollen die Verräterinnen mich doch seltsam finden, das ist besser als undankbar oder hochmütig.
Nicht dass die Verräterinnen unfreundlich oder ohne Wärme gewesen wären. Sowohl Männer als auch Frauen hatten sich überraschend herzlich gezeigt. Einige der Frauen hatten sogar versucht, ihn in ihre Betten zu locken, aber er hatte höflich abgelehnt. Vielleicht bin ich ein Narr, aber ich habe Tyvara noch nicht aufgegeben.
Als Lorkin sich der Krankenstation näherte, wo er an den meisten Tagen arbeitete, mäßigte er sein Tempo, um wieder zu Atem zu kommen. Die Station wurde von Sprecherin Kalia geleitet, der inoffiziellen Führerin der Partei, die seine Ermordung befohlen hatte. Er wollte sie nicht wissen lassen, dass er den Weg rasch zurückgelegt hatte, und ihr auch nicht das Gefühl geben, er habe es besonders eilig, mit seinen Arbeiten des Tages fertig zu werden. Wenn sie daraus folgerte, dass es ihm wichtig sei, pünktlich Feierabend zu machen, würde sie eine weitere Aufgabe für ihn finden, um ihn länger festzuhalten. Wenn es andererseits nichts Rechtes mehr für ihn zu tun gab, hütete er sich, einfach auszuruhen und die Hände in den Schoß zu legen, denn dann fand sie ebenso rasch etwas Neues für ihn zu tun, und oft etwas ebenso Unangenehmes wie Unnötiges.
Wenn er allerdings hereingeschlendert kam, als habe er alle Zeit der Welt, würde sie ihn auch dafür bestrafen. Also nahm er seine gewohnt ruhige, stoische Haltung ein. Kalia entdeckte ihn, verdrehte die Augen und nahm ihm mittels ihrer Magie die Kiste ab.
»Warum benutzt du nie deine Kräfte?«, fragte sie und wandte sich seufzend ab, um die Kiste in den Lagerraum zu bringen.
Er ignorierte ihre Frage. Sie würde sicher nicht gern hören, dass Lord Rothen, sein alter Lehrer in der Gilde, der Überzeugung war, dass ein Magier nicht jede körperlich anstrengende Tätigkeit durch Rückgriff auf seine Magie vermeiden sollte, um nicht auf Dauer schwach und kränklich zu werden.
»Willst du, dass ich dir dabei helfe?«, fragte er. Die Kiste war voller Heilkräuter, die nun zu Heilmitteln verarbeitet werden mussten - Heilmittel, deren Rezeptur er gern kennenlernen wollte.
Sie blickte ihn über die Schulter hinweg an und runzelte die Stirn. »Nein. Halte ein Auge auf die Patienten.«
Er zuckte die Achseln, um sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, drehte sich um und ließ den Blick über den großen Saal der Krankenstation schweifen. Seit dem frühen Morgen, als er mit der Arbeit des Tages begonnen hatte, hatte sich nicht viel geändert. Die meisten der in Reihen aufgestellten Betten waren leer. Es waren lediglich einige Kinder da, die sich von typischen Kinderkrankheiten oder Verletzungen erholten, und eine alte Frau mit einem gebrochenen Arm. Alle schliefen.
Es war Kalias Idee gewesen, ihn auf der Krankenstation einzusetzen - zweifellos zur Prüfung seiner Entschlossenheit, die Verräterinnen keine heilende Magie zu lehren. Bisher waren keine Patienten eingeliefert worden, die drohten, an solchen Krankheiten oder Verletzungen zu sterben, die er nur mit Magie hätte heilen können, aber irgendwann würde es so weit sein. Er rechnete damit, dass Kalia in diesem Fall versuchen würde, die Menschen gegen ihn aufzuwiegeln. Aber er hatte einen Plan, wie er Kalia entgegentreten konnte. Allerdings verbarg sich hinter Kalias mütterlichem Erscheinungsbild und Gehabe ein scharfer Verstand, und sie hatte seine Absichten vielleicht bereits erraten. Er konnte nur abwarten.
Aber gerade jetzt konnte er das nicht. Er wurde anderenorts erwartet. Er war schon reichlich spät dran, und mit jedem verflossenen Augenblick wurde es später. Also folgte er Kalia in den Lagerraum.
»Sieht aus, als hättest du sehr viel Arbeit«, stellte er fest. Sie blickte nicht zu ihm auf. »Ja. Ich werde die ganze Nacht aufbleiben.«
»Du hast schon letzte Nacht nicht geschlafen«, rief er ihr in Erinnerung. »Das tut dir nicht gut.«
»Sei nicht dumm«, fuhr sie ihn an. »Ich bin durchaus in der Lage, ohne Schlaf auszukommen. Diese Arbeit muss jetzt getan werden. Von jemandem, der weiß, was er tut.« Sie wandte sich ab. »Geh. Nimm du dir die Nacht frei.«
Lorkin ließ ihr keine Möglichkeit, ihre Meinung zu ändern. Mit einem stillen Lächeln kehrte er der Krankenstation den Rücken. Die Heiler der Gilde wussten, wie verheerend Schlafmangel sich auf den Körper auswirken konnte, weil sie es spürten. Die Magier der Verräterinnen wussten jedoch nicht, wie man mit Magie heilte, und da sie die Folgen ihrer Irrtümer niemals am eigenen Leib spürten, hielten sie an einigen seltsamen Auffassungen fest.
Er hatte nicht versucht, sie zu belehren, da es nicht taktvoll gewesen wäre, sie an das zu erinnern, was sie nicht wussten. Vor vielen Jahren hatte sein Vater versprochen, die Verräterinnen im Gegenzug für Kenntnisse der schwarzen Magie das Heilen durch Magie zu lehren - obwohl er nicht die Erlaubnis der Gilde hatte, dieses Wissen weiterzugeben, und, schlimmer noch, schwarze Magie in der Gilde verboten war.
Zu der Zeit hatten viele Kinder der Verräterinnen an einer tödlichen Krankheit gelitten, und Kenntnisse heilender Magie hätten sie vielleicht gerettet. Akkarin war nach Kyralia zurückgekehrt und hatte seine Seite des Handels niemals erfüllt. Seit er von dem gebrochenen Versprechen seines Vaters erfahren hatte, hatte Lorkin viele mögliche Gründe in Erwägung gezogen. Sein Vater hatte gewusst, dass der Bruder des Ichani, der ihn versklavt hatte, eine Invasion Kyralias plante. Er könnte sich verpflichtet gefühlt haben, sich zuerst um diese Bedrohung zu kümmern. Vielleicht konnte er die Bedrohung nicht erklären, ohne zu offenbaren, dass er verbotene schwarze Magie erlernt hatte. Möglicherweise war es ihm zu gefährlich erschienen, allein nach Sachaka zurückzukehren und eine neuerliche Gefangennahme durch die Ichani oder die Rache des Bruders seines ehemaligen Herrn zu riskieren.
Vielleicht hatte er auch niemals beabsichtigt, sein Versprechen zu erfüllen. Schließlich hatten die Verräterinnen einige Zeit, bevor sie ihre Hilfe anboten, von seiner schrecklichen Situation gewusst, während sie anderen - im Wesentlichen sachakanischen Frauen - ständig halfen, ohne einen Preis dafür zu verlangen. Dass sie Akkarin erst dann geholfen hatten, seine Freiheit wiederzuerlangen, als es für sie von Vorteil war, zeigte gewiss, wie skrupellos sie sein konnten.
Inzwischen war Lorkin in einem Teil der Stadt angelangt, dessen Gänge weniger belebt waren, so dass er rascher vorankam und sogar in Laufschritt verfallen konnte, ohne dabei beobachtet zu werden. Falls jemand aus Kalias Partei ihn in Eile sah, würde er es ihr vielleicht zutragen.
Tyvara hatte behauptet, er werde eine friedliche Gesellschaft antreffen, eine gerechte, doch das Leben hier entsprach nicht ganz ihren Beteuerungen, trotz des Prinzips der Gleichheit, das die Verräterinnen so hoch schätzten. Wie dem auch sei, sie machen ihre Sache besser als viele andere Länder, insbesondere der Rest von Sachaka. Sie kennen keine Sklaverei, und die Arbeit wird größtenteils aufgrund von Fähigkeiten verteilt und nicht aufgrund eines ererbten Klassensystems. Männer und Frauen mögen nicht wirklich gleichgestellt sein, aber das ist in allen Kulturen so - nur immer mit anderem Vorzeichen. Und die meisten Kulturen behandeln die Frauen sehr viel schlechter, als die Verräterinnen ihre Männer behandeln.
Er dachte an seinen inzwischen engsten Freund im Sanktuarium, einen Mann namens Evar, den er gleich treffen würde. Der junge Magier hatte sich aus Neugier zu Lorkin hingezogen gefühlt, weil Lorkin im Sanktuarium der einzige andere männliche Magier war, der sich noch mit keiner Frau zusammengeschlossen hatte. Lorkin hatte herausgefunden, dass sein erster Eindruck zum Status männlicher Magier falsch gewesen war: Er hatte vermutet, dass die Verräterinnen männlichen, magisch begabten Personen die gleichen Möglichkeiten bieten würden, Magie zu erlernen, wie sie die Frauen hatten. Tatsächlich waren aber alle männlichen Magier hier »natürliche«, deren Magie sich auf
ursprüngliche Weise entwickelt hatte und nicht erst freigesetzt werden musste. Es war den Verräterinnen also nichts anderes übrig geblieben, als sie entweder zu unterrichten oder sie zum Sterben außerhalb des Sanktuariums auszusetzen, bevor sie die Kontrolle über ihre Kräfte verloren. Anderen männlichen Verrätern dagegen wurde keine Magie gelehrt.
Die wenigen glücklichen männlichen Naturmagier waren den Frauen jedoch trotzdem nicht ebenbürtig: Männer durften keine schwarze Magie erlernen. Dies stellte sicher, dass selbst schwache weibliche Magier mächtiger waren als die männlichen, weil sie ihre Kräfte mit schwarzer Magie stärken konnten.
Ich frage mich ... hätte man mir Einlass ins Sanktuarium gewährt, wenn ich mich auf schwarze Magie verstünde?
Er dachte nicht weiter darüber nach, denn er hatte jetzt sein Ziel erreicht: den »Männerraum«. Es war eine große Höhle, in der diejenigen Männer lebten, die zu alt waren, um noch bei ihren Eltern zu wohnen, und noch von keiner Frau als Gefährte ausgewählt worden waren.
Evar unterhielt sich mit zwei anderen Männern, als Lorkin eintrat, kehrte ihnen jedoch den Rücken, sobald er seinen Freund bemerkte. Wie die meisten männlichen Verräter war er schmal und feinknochig, ganz anders als die typischen freien Sachakaner aus dem Tiefland mit ihrem hohen Wuchs und den breiten Schultern. Nicht zum ersten Mal fragte sich Lorkin, ob die Männer der Verräterinnen über viele Generationen hinweg kleiner geworden waren - gewissermaßen, um sich ihrem sozialen Status anzupassen.
»Evar«, sagte Lorkin. »Tut mir leid, dass ich spät dran bin.«
Evar zuckte die Achseln. »Lass uns essen.«
Lorkin zögerte, folgte seinem Freund dann aber in den Küchenbereich, wo ein großer Topf mit dampfender Suppe, die einer der ihren zubereitet hatte, auf die Männer wartete. Das gehörte nicht zu ihrem Plan. War er so spät, dass Evar seine Pläne inzwischen geändert hatte?
»Werden wir den Ausflug, den du vorgeschlagen hast, noch machen?«, erkundigte sich Lorkin so beiläufig wie möglich.
Evar nickte. »Wenn du es dir nicht anders überlegt hast.« Er beugte sich etwas dichter zu Lorkin hinüber. »Einige der Steinemacherinnen arbeiten länger«, murmelte der junge Magier. »Wir müssen ihnen Zeit lassen, ihre Arbeit fertigzustellen und heimzugehen.«
Lorkin spürte leichten Aufruhr in seinen Eingeweiden. »Bist du dir sicher, dass du das tun willst?«, fragte er, während sie mit ihren Tellern zu einem der langen Esstische hinübergingen und sich dort - etwas abseits von den anderen, die bereits aßen - einen Platz suchten.
Evar schlürfte etwas Suppe, schluckte und bedachte Lorkin dann mit einem beruhigenden Lächeln. »Nichts, was ich dir zeige, ist geheim. Jeder, der es sich ansehen will, kann das ohne Weiteres tun, solange er sich still verhält und niemandem in die Quere kommt. Was dir ebenfalls gelingen sollte.«
»Aber ich bin nicht irgendjemand.«
»Du bist angeblich einer von uns. Der einzige Unterschied ist, dass man dir gesagt hat, dass du nicht fortgehen darfst. Ich bezweifle, dass ich, wenn ich fortzugehen versuchte, ohne Erlaubnis weit käme und dass man mir eine solche Erlaubnis geben würde. Sie sehen es nicht gern, wenn sich viele von uns außerhalb der Stadt aufhalten. Jeder Spion stellt ein Risiko dar, selbst mit den Steinen, die vor dem Gedankenlesen schützen. Denn was nützt dir ein Stein in der Hand, wenn dir die Hand abgeschlagen wird?«
Lorkin verzog das Gesicht. »Trotzdem bezweifle ich, dass irgendjemand darüber glücklich sein wird, dass ich dort bin«, bemerkte er und wandte sich wieder dem eigentlichen Thema zu. »Oder darüber, dass du mich hinbringst.«
Evar schluckte den letzten Bissen seiner Mahlzeit herunter. »Wahrscheinlich nicht. Aber meine Tante Kalia liebt mich.« Lorkin hatte Kalia zwar nie mit Evar plaudern sehen, aber sie schien ihren Neffen tatsächlich zu schätzen. »Willst du das noch essen?«
Lorkin schüttelte den Kopf und schob die Reste seines Mahls beiseite. Er war zu nervös, um viel zu essen. Evar betrachtete stirnrunzelnd den halbvollen Teller, sagte jedoch nichts und aß den Rest einfach selbst. Da die landwirtschaftlichen Flächen im Tal knapp waren, sahen die Verräterinnen Verschwendung nicht gern. Und Evar war ständig hungrig. Die beiden erhoben sich, säuberten das Geschirr, das sie benutzt hatten, räumten es weg und verließen dann den Männerraum. Lorkin spürte, wie ihm seine Nervosität den Magen zusammenschnürte, aber gleichzeitig war er ungeduldig und voller Erwartung.
»Wir werden durch einen der hinteren Gänge gehen«, murmelte Evar. »Dort ist die Gefahr geringer, dass man dich bemerken wird, wenn du hineingehst.«
Während sie unterwegs waren, überlegte Lorkin sich noch einmal, was er eigentlich durch seinen Besuch der Höhlen herauszufinden hoffte. Die Gilde hielt schon jahrhundertelang daran fest, dass es keine wahren magischen Gegenstände gab, nur gewöhnliche Dinge, denen durch Magie strukturelle Integrität oder verbesserte Eigenschaften verliehen wurden - wie zum Beispiel durch Magie verstärkte Gebäude oder die Mauern, die in der Universität leuchteten -, weil sie aus Materialien bestanden, in denen Magie langsamer wirkte als gewöhnlich, so dass ihr Effekt noch erhalten blieb, lange nachdem ein Magier seine Arbeit daran beendet hatte. Selbst den gläsernen Blutsteinen, die die Gedankenrede zwischen dem Träger und dem Schöpfer des Rings kanalisierten, und zwar auf eine Art und Weise, die verhinderte, dass andere Magier sie hören konnten, gestand man keine eigene Magie zu.
Er vermutete nun, dass einige der Edelsteine im Sanktuarium tatsächlich Magie enthielten. Die meisten davon waren allerdings eher wie Blutsteine - es wurde Magie hineingegeben, die dann von dem Stein zu einem bestimmten Zweck umgeformt wurde. Alle Verräterinnen, die sich aus ihrem geheimen Zuhause herauswagten, trugen einen winzigen Stein unter der Haut, der es ihnen nicht nur gestattete, ihren Geist zu schützen, falls ein sachakanischer Magier ihre Gedanken las, sondern es ihnen auch ermöglichte, einen Gedankenleser stattdessen unschuldige, sichere Gedanken sehen zu lassen. Die Flure und Räume innerhalb der Stadt wurden mit Edelsteinen beleuchtet, die Licht spendeten. Die Krankenstation, auf der Lorkin sich um die Patienten kümmerte, barg mehrere Steine mit nützlichen Eigenschaften, angefangen von der Schaffung eines warmen Leuchtens oder einer sanften Vibration, um verkrampfte Muskeln zu lockern, bis hin zu Steinen, die Wunden ausbrennen konnten.
Übersetzung: Michaela Link
© der deutschsprachigen Ausgabe
2011 by Penhaligon Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Trudi Canavan
Trudi Canavan wurde 1969 im australischen Melbourne geboren. Sie arbeitete als Grafikerin und Designerin für verschiedene Verlage und begann nebenbei zu schreiben. 1999 gewann sie den Aurealis Award für die beste Fantasy-Kurzgeschichte. Ihr Debütroman wurde weltweit ein riesiger Erfolg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Trudi Canavan
- 2011, 570 Seiten, Maße: 12 x 18,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Link, Michaela
- Übersetzer: Michaela Link
- Verlag: Penhaligon
- ISBN-10: 3764530421
- ISBN-13: 9783764530426
Rezension zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 2: Sonea - Die Heilerin “
"Tolles Buch. Trudi Canavan schreibt einfach fantastisch. Für viele Stunden ist der Lesespaß garantiert." Multimania
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