Drei Bisse frei / Chicagoland Vampires Bd.4
Roman. Deutsche Erstausgabe
Der Bürgermeister von Chicago ruft die Vampirin Merit und ihren Schöpfer Ethan zu sich. Nach einem Vampirangriff werden in der Stadt drei Frauen vermisst. Der Bürgermeister droht ihnen mit Konsequenzen, sollten sie die Situation nicht in den Griff bekommen....
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Produktinformationen zu „Drei Bisse frei / Chicagoland Vampires Bd.4 “
Klappentext zu „Drei Bisse frei / Chicagoland Vampires Bd.4 “
Der Bürgermeister von Chicago ruft die Vampirin Merit und ihren Schöpfer Ethan zu sich. Nach einem Vampirangriff werden in der Stadt drei Frauen vermisst. Der Bürgermeister droht ihnen mit Konsequenzen, sollten sie die Situation nicht in den Griff bekommen. Merit will der Sache nachgehen und nimmt Kontakt zu einer Gruppe gefährlicher Vampire auf, die dem Chicagoer Untergrund angehören.
Lese-Probe zu „Drei Bisse frei / Chicagoland Vampires Bd.4 “
Drei Bisse frei von Chloe NeillKAPITEL EINS
GEGEN MAGIE IST KEIN KRAUT GEWACHSEN
Ende August Chicago, Illinois
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Gleißendes Flutlicht durchbohrte die nächtliche Finsternis des Stadtteils Hyde Park. Wir waren schwer beschäftigt. Fast einhundert Vampire arbeiteten emsig: Teppiche auslüften, Schränke lackieren, Holz abschmirgeln.
Eine Handvoll ernst dreinblickender Männer in Schwarz stand außerhalb des Zauns, der die Grenze zwischen dem großen Anwesen von Haus Cadogan und dem Rest der Stadt markierte. Wir hatten die zusätzlichen Feensöldner zu unserem Schutz angeheuert.
Sie schützten uns vor einem weiteren Angriff der Formwandler. Das schien zwar unwahrscheinlich, aber das war der erste Angriff auch gewesen. Unglücklicherweise hatte das Adam Keene, den jüngsten Bruder des Anführers des Zentral-Nordamerika-Rudels, nicht davon abgehalten, ihn durchzuführen.
Die Söldner schützten uns außerdem vor einer neuen Gefahr. Den Menschen.
Ich sah vom elegant geschwungenen Bogen der hölzernen Zierleiste auf, die ich gerade beizte. Es war kurz vor Mitternacht, aber durch die Lücke im Zaun sah man deutlich den goldenen Schimmer von Kerzen. Die Flammen tanzten in der schwachen Sommerbrise. Das waren die drei oder vier Dutzend Demonstranten, die sich hier zum schweigenden Protest gegen die Vampire in ihrer Stadt versammelt hatten.
Berühmtheit kann auch nach hinten losgehen.
Als wir uns vor knapp einem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt hatten, waren in Chicago Unruhen ausgebrochen. Doch mit der Zeit hatte sich Angst in Ehrfurcht und Bewunderung gewandelt; das brachte uns Paparazzi und Titelseiten auf Hochglanzmagazinen ein, die mit Genuss über uns berichteten. Als unser Haus mit unvorstellbarer Brutalität angegriffen wurde und wir uns dem entgegenstellten - und dabei auch noch die Formwandler ins Licht der Öffentlichkeit zerrten -, war es mit unserer Beliebtheit wieder vorbei. Die Menschen waren von dem Gedanken, dass es uns gab, nie wirklich begeistert gewesen, und wenn Werwölfe existierten, was mochte es dann da draußen noch geben? In den letzten Monaten war uns der Hass der Menschen entgegengeschlagen, die uns nicht in ihrer Nähe haben wollten und vor unserem Haus zelteten, um ihrer Abneigung Ausdruck zu verleihen.
Mein Handy vibrierte. Ich ließ es aufklappen und sagte: »Cadogan Baumarkt, Abteilung Holz und Bauhölzer. Mein Name ist Merit, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Ein prustendes Lachen ertönte am anderen Ende der Leitung. Mallory Carmichael, meine allerbeste Freundin und Hexen-meisterin par excellence, fragte mich: »Ist es nicht ganz schön gefährlich, Vampirin in der Nähe von Espenholz zu sein, das man zu Pflöcken verarbeiten könnte?«
Ich betrachtete die Zierleiste auf dem Sägebock vor mir. »Ich bin mir nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Espenholz handelt, aber deine spitze Bemerkung ist angekommen.«
»Nach dieser Ansage gehe ich mal davon aus, dass du heute Abend nichts als Holz im Kopf hast?«
»Mit dieser Annahme liegst du richtig, und da du mich schon darauf ansprichst, ich trage gerade Beize auf ein besonders schönes Stück Handwerkskunst auf, und dann muss ich es später noch verfugen -«
»Gähn, ich sterbe gleich vor Langeweile«, unterbrach sie mich. »Bitte erspar mir deine Handwerkerfantasien. Ich würde ja vorbeischauen, um dich ein wenig aufzuheitern, aber ich muss nach Schaumburg. Gegen Magie ist eben kein Kraut gewachsen.«
Das erklärte die Autogeräusche im Hintergrund. »Selbst wenn du könntest, Mallory, wäre dir der Zutritt verboten. Wir sind jetzt eine menschenfreie Zone.«
»Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«, sagte sie mit Erstaunen. »Wann hat Darth Sullivan denn diese Weisung aus-gegeben?«
»Als Bürgermeister Tate ihn darum gebeten hat.«
Mallory pfiff leise vor sich ihn, und ihre Stimme klang nun besorgt. »Ernsthaft? Catcher hat mir nichts davon erzählt.«
Catcher war Mallorys Freund und der Hexenmeister, der an meiner Stelle zu ihr gezogen war, als ich meinen Wohnsitz nach Cadogan verlegte. Er arbeitete außerdem im Büro des städtischen Ombudsmanns für übernatürliche Angelegenheiten - was zufälligerweise mein Großvater war - und sollte daher eigentlich über alles, was an Übernatürlichem vorging, genau Bescheid wissen. Das Büro des Ombudsmanns war eine Art übersinnliche Telefonhotline.
»Die Häuser hängen es nicht an die große Glocke«, räumte ich ein. »Wenn herauskäme, dass Tate die Häuser geschlossen hat, könnte eine Panik ausbrechen.«
»Weil sie daraus schließen würden, dass Vampire eine ernsthafte Bedrohung für die Menschen sind?«
»Genau deswegen. Und wenn wir schon von ernsthaften Bedrohungen sprechen, was lernst du eigentlich heute in Schaumburg?«
»Witzig, witzig, meine kleine blutsaugende Freundin. Es wird die Zeit kommen, da du mich lieben und zugleich fürchten wirst.«
»Das ist bereits der Fall. Bist du noch bei Zaubertränken?« »Ehrlich gesagt, nein. Diese Woche kümmern wir uns um andere Dinge. Wie geht's dem Chef aller Chefs?«
Dieser prompte Themenwechsel war ungewöhnlich. Normalerweise liebte es Mallory, über alles Übernatürliche und vor allem über ihre Ausbildung zur Hexenmeisterin zu tratschen, vor allem, wenn ihr eine interessierte Zuhörerin zur Verfügung stand. Vielleicht war das, was sie derzeit lernen musste, etwa so öde wie meine Beizarbeiten, aber das konnte ich mir kaum vorstellen.
»Ethan Sullivan ist und bleibt Ethan Sullivan«, fasste ich kurz zusammen.
Sie schnaubte zustimmend. »Und das wird er auch auf ewig bleiben, da er ja bekanntlich unsterblich ist. Aber manche Sachen ändern sich doch - und hier kommt der perrrrfekte Übergang - was glaubst du wohl, wer ab sofort auf seiner kleinen, makellosen Nasenspitze eine ganz bezaubernde Brille trägt?«
»Joss Whedon?« Mallory hatte zwar einige Zeit gebraucht, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie magische Kräfte besaß, aber sie hatte schon immer einen Hang zum Übernatürlichen gehabt, ob nun in der Literatur oder sonst wo. Buffy und Spike hatten es ihr vor allem angetan.
»Um Gottes willen, nein! Allerdings würde mir das eine ziemlich gute Ausrede bieten, mich mal wieder mit der Welt von Whedon auseinanderzusetzen und ihm vielleicht eine magische Augenkorrektur zu verpassen. Wie auch immer, die Antwort lautet Nein. Catcher hat eine Brille.«
Ich musste grinsen. »Catcher hat eine Brille? Der Mann, der sich den Kopf rasiert, obwohl es gar nicht notwendig ist, weil er ohnehin schon heiß aussieht? Dieser Abend könnte doch noch ein guter Abend werden.«
»Ich bin ganz deiner Meinung. Um ehrlich zu sein, sieht das bei ihm allerdings ziemlich gut aus. Ich hatte ihm ja angeboten, ein bisschen Abrakadabra zu wirken und ihm eine ordentliche Sehschärfe zu verpassen, aber das hat er abgelehnt.«
»Warum?«
Sie rutschte mit ihrer Stimme zwei Oktaven nach unten und machte ihn ziemlich gut nach: »Weil das eine egoistische Verwendung deiner Kräfte wäre - die Macht des Universums auf meine Netzhaut zu verwenden.«
»Das könnte er glatt gesagt haben.«
»Richtig. Also trägt er eine Brille. Und ich muss dir sagen, dass sie in unserem Liebesleben wahre Wunder gewirkt hat. Er ist ein völlig neuer Mensch. Sein sexueller Appetit ist einfach -«
»Mallory. Es reicht. Meine Ohren bluten.«
»Du kleines, prüdes Stück.« Lautes Hupen war durch das Telefon zu hören, gefolgt von Mallorys Gebrüll. »Lernt endlich einzufädeln, Leute! Macht schon! Okay, ich hab hier Leute aus Wisconsin im Weg und muss Schluss machen. Wir reden morgen weiter.«
»Gute Nacht, Mallory! Viel Glück mit Wisconsin und der Magie.«
»Küsschen«, sagte sie und legte auf. Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche. Gott segne beste Freundinnen!
Zehn Minuten später erhielt ich Gelegenheit, meine »Ethan ist und bleibt Ethan«-Theorie zu überprüfen.
Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass er hinter mir stand. Es lief mir kalt den Rücken herunter, das war mir Beweis genug. Ethan Sullivan, Meister des Hauses Cadogan. Der Vampir, der mich erschaffen hatte.
Ethan hatte zwei Monate lang um mich geworben, bis wir dann eine wundervolle Nacht miteinander erlebten. Aber das neue »Wir« hatte nicht lange gehalten. Er entschied, dass eine Liebesbeziehung zu mir ein emotionales Risiko bedeutete, das er sich als Anführer nicht leisten konnte. Also hatte er seinen Kurs schlagartig geändert. Anschließend bereute er seine Entscheidung, und so strich er seit zwei Monaten um mich herum und versuchte, wie er es nannte, die Wogen zu glätten.
Ethan war groß, blond und auf unmenschliche Weise schön, von der langen, schmalen Nase, den wie gemeißelt wirkenden Wangenknochen bis hin zu den smaragdgrünen Augen. Außer-dem war er intelligent und seinen Vampiren verpflichtet ... und er hatte mir das Herz gebrochen. In den letzten beiden Monaten hatte ich gelernt, seine Sorge zu respektieren, dass unsere Beziehung das Wohl des Hauses gefährden könnte. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, das war mir selbst nur zu klar, aber das hieß noch lange nicht, dass ich blindlings denselben Fehler wiederholen würde. Ich blieb misstrauisch und vorsichtig.
»Hüterin«, sagte er. Diesen Titel hatte er mir verliehen, eine Art Wächterin des Hauses. »Sie verhalten sich heute überraschend ruhig.«
»Das ist wahr«, stimmte ich ihm zu. Wir hatten einige Tage lang laute Gesänge ertragen müssen, einschließlich der üblichen Schilder und Bongotrommeln, bis den Demonstranten wohl klar wurde, dass wir den Krach tagsüber gar nicht wahrnahmen und die Anwohner von Hyde Park ihren Krach des Nachts nur begrenzt tolerierten.
Eins zu null für Hyde Park.
»Eine nette Abwechslung. Wie sieht es bei uns aus?«
»Wir machen Fortschritte«, sagte ich und wischte einen fehl-geleiteten Tropfen des Beizmittels ab. »Aber ich werde sehr froh sein, wenn wir das hinter uns haben. Ich glaube, Baustellen sind einfach nicht meine Art der Selbstverwirklichung.«
»Ich werde mir das für zukünftige Projekte merken.« Belustigung schwang in seiner Stimme mit. Ich atmete einmal tief durch, um meine Selbstbeherrschung zu stählen, dann drehte ich mich zu ihm um. Ethan trug heute Jeans und ein farbverschmiertes T-Shirt, die schulterlangen goldenen Haare hatte er nach hinten gebunden. Er war vielleicht leger gekleidet, aber das änderte nichts an der Aura aus Macht und Selbstvertrauen, die ihn zu einem Fürsten unter den Vampiren machte.
Die Hände in die Hüften gestemmt, inspizierte er seine Leute. Männer und Frauen arbeiteten auf dem Rasen an Tischen und Sägeböcken. Sein Blick wanderte von Arbeiter zu Arbeiter, um einen Eindruck von ihren Fortschritten zu gewinnen. Seine smaragdgrünen Augen strahlten Ruhe aus, aber die verspannten Schultern ließen erahnen, dass er sich der ständigen Gefahr vor dem Tor bewusst war.
Während Ethan seine vampirischen Brüder und Schwestern kritisch betrachtete, sah er in Jeans und Sportschuhen trotzdem großartig aus.
»Wie läuft es drinnen?«, fragte ich.
»Es geht voran, wenn auch langsam. Es würde schneller gehen, wenn wir menschliche Bauarbeiter anstellen dürften.«
»Wenn es keine Menschen im Haus gibt, gibt es auch keine Sabotage durch Menschen.«
»Außerdem senkt das die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Trockenbauer zum Gute-Nacht-Häppchen wird«, bemerkte er. Aber als er mich wieder anblickte, war die Sorgenfalte auf seiner Stirn nicht zu übersehen.
»Was ist los?«, fragte ich ihn.
Ethans Antwort war seine Spezialität: eine hochgezogene Augenbraue.
»Ich meine natürlich, abgesehen von den Demonstranten und der Tatsache, dass wir ständig in Gefahr schweben«, ergänzte ich.
»Tate hat angerufen. Er hat ein Treffen mit uns beiden verlangt.«
Diesmal hob ich eine Augenbraue. Seth Tate, Chicagos Bürgermeister in zweiter Amtszeit, vermied in der Regel den Kontakt mit den drei Meistervampiren der Stadt, so gut es nur
ging.
»Weswegen will er sich mit uns treffen?«
»Ich nehme an, deswegen«, sagte er und deutete auf die Demonstranten.
»Glaubst du, er will mich dabeihaben, weil er und mein Vater Freunde sind, oder weil mein Großvater für ihn arbeitet?«
»Beides ist möglich, aber es kann natürlich auch daran liegen, dass der Bürgermeister bis über beide Ohren in dich verknallt ist.«
Ich verdrehte die Augen, konnte aber nicht verhindern, dass sich meine Wangen röteten. »Er ist nicht in mich verknallt. Er liebt es nur, wiedergewählt zu werden.«
»Er ist verknallt, und das kann ich nur zu gut verstehen. Und dabei hat er dich noch nicht mal kämpfen sehen.« Ethans Tonfall war freundlich. Hoffnungsvoll.
Schwer zu ignorieren.
Er war in den letzten Wochen sehr aufmerksam und charmant gewesen.
Nicht, dass er nicht zwischendurch bissige Kommentare ab-geben konnte; er war immer noch Ethan, immer noch ein Meistervampir mit einem Haus voller Novizen, die ihn nicht immer erfreuten. Und als wäre das nicht mühsam genug, näherten wir uns langsam dem Ende einer monatelangen Renovierungsaktion. Solche Baumaßnahmen brauchten in Chicago immer ihre Zeit, und da es sich bei dem Gebäude um eine dreistöckige Vampirbehausung handelte, dauerte alles noch viel länger. Das Haus war sicherlich ein architektonisches Juwel, aber nichtsdestotrotz galt es doch als Behausung lichtscheuen Blutsaugergesindels (und so weiter, bla, bla), und unsere menschlichen Lieferanten ließen es zuweilen an Hilfsbereitschaft mangeln. Ethan war von dieser Situation wenig begeistert.
Trotz der angespannten Lage machte Ethan mir gegenüber alles richtig, verhielt sich tadellos, sagte die richtigen Worte. Das Problem war nur, dass er mein Vertrauen zutiefst erschüttert hatte. Ich hegte durchaus die Hoffnung, meine große Liebe zu finden und »glücklich bis ans Ende aller Tage« zu leben, aber ich konnte diesem speziellen Traumprinzen einfach nicht mehr glauben, dass wir wirklich gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten würden. Es war erst zwei Monate her. Der Schmerz und die Demütigung waren noch nicht überwunden; die Verletzung noch zu frisch.
Ich war nicht so naiv, zu leugnen, dass es zwischen mir und Ethan eine besondere Verbindung gab. Ich konnte auch nicht ausschließen, dass das Schicksal uns vielleicht doch wieder zusammenbringen würde. Immerhin hatte Gabriel Keene, der Anführer des Zentral-Nordamerika-Rudels, mich irgendwie an einer seiner Visionen teilhaben lassen, und darin kamen grüne Augen vor, die wie Ethans aussahen ... aber nicht seine waren. (Ja, ich weiß. Auch ich hatte mit »Was zur Hölle soll der Quatsch?« reagiert.)
Ich wollte ihm ja gern glauben. Wie so ziemlich jedes Mädchen in diesem Land hatte auch ich die Bücher gelesen und die Filme gesehen, in denen der Junge erkennt, dass er einen furchtbaren Fehler begangen hat ... und zu ihr zurückkehrt. Ich wollte glauben können, dass es Ethan schmerzte, mich verloren zu haben, dass seine Reue echt war und seine Versprechungen ernst gemeint. Aber das hier war kein Spiel. Und Mallorys bissige Frage war durchaus berechtigt: Wäre es nicht besser, wenn er mich von Anfang an geliebt hätte?
In der Zwischenzeit, während ich den neuen Ethan betrachtete und gegen den alten abwog, machte ich ganz auf pflichtbewusste Hüterin. Indem ich unser Verhältnis auf eine rein berufliche Ebene reduzierte, verschaffte ich mir den nötigen Abstand und den Freiraum, den ich brauchte ... und dieses Manöver hatte außerdem den Vorteil, ihn zu verärgern. Kindisch? Auf jeden Fall. Aber wer ließ sich schon die Gelegenheit entgehen, den eigenen Chef zu piesacken, wenn sie sich ergab?
Außerdem waren fast alle Vampire Mitglieder irgendeines Hauses, und ich war unsterblich. Ich konnte die Zusammenarbeit mit Ethan nicht einfach aufkündigen, ohne mich selbst für alle Ewigkeit zum Dasein einer Ausgestoßenen zu verdammen. Mit anderen Worten, ich war gezwungen, das Beste aus meiner Lage zu machen.
Also überhörte ich die Vertraulichkeit in seinem Tonfall und schenkte ihm ein höfliches Lächeln. »Ich kann nur hoffen, dass er mich nie kämpfen sehen muss. Wenn ich vor der Nase des Bürgermeisters in eine Rauferei gerate, dann ist wohl Hopfen und Malz verloren. Wann müssen wir los?«
Ethan schwieg lange genug, dass ich zu ihm hinübersah und bemerkte, wie er mich ernst betrachtete. Der Schmerz in seinem Blick zerriss mir das Herz, aber was immer das Schicksal für uns noch in petto hielt, hier und heute würde ich mich definitiv auf nichts einlassen.
»Hüterin.«
Seine Stimme klang nun leicht missbilligend, aber ich wich von meinem Vorhaben nicht ab. »Ja, Lehnsherr?«
»Sei so stur, wie du willst, wenn du das unbedingt brauchst, aber wir wissen doch beide, wo dies enden wird.«
Ich verzog keine Miene. »Es wird immer auf dasselbe hinaus-laufen - du bist der Meister, ich die Hüterin.«
Mit der Anspielung auf unseren Rangunterschied erreichte ich mein Ziel. Der Charme, den Ethan eben noch hatte spielen lassen, war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. »Wir treffen uns in zwanzig Minuten im Foyer. Zieh dein Kostüm an!« Und dann ging er entschlossenen Schritts die Treppe hinauf und betrat Haus Cadogan.
Ich fluchte leise vor mich hin. Der Junge würde mich noch ins Grab bringen.
...
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Gleißendes Flutlicht durchbohrte die nächtliche Finsternis des Stadtteils Hyde Park. Wir waren schwer beschäftigt. Fast einhundert Vampire arbeiteten emsig: Teppiche auslüften, Schränke lackieren, Holz abschmirgeln.
Eine Handvoll ernst dreinblickender Männer in Schwarz stand außerhalb des Zauns, der die Grenze zwischen dem großen Anwesen von Haus Cadogan und dem Rest der Stadt markierte. Wir hatten die zusätzlichen Feensöldner zu unserem Schutz angeheuert.
Sie schützten uns vor einem weiteren Angriff der Formwandler. Das schien zwar unwahrscheinlich, aber das war der erste Angriff auch gewesen. Unglücklicherweise hatte das Adam Keene, den jüngsten Bruder des Anführers des Zentral-Nordamerika-Rudels, nicht davon abgehalten, ihn durchzuführen.
Die Söldner schützten uns außerdem vor einer neuen Gefahr. Den Menschen.
Ich sah vom elegant geschwungenen Bogen der hölzernen Zierleiste auf, die ich gerade beizte. Es war kurz vor Mitternacht, aber durch die Lücke im Zaun sah man deutlich den goldenen Schimmer von Kerzen. Die Flammen tanzten in der schwachen Sommerbrise. Das waren die drei oder vier Dutzend Demonstranten, die sich hier zum schweigenden Protest gegen die Vampire in ihrer Stadt versammelt hatten.
Berühmtheit kann auch nach hinten losgehen.
Als wir uns vor knapp einem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt hatten, waren in Chicago Unruhen ausgebrochen. Doch mit der Zeit hatte sich Angst in Ehrfurcht und Bewunderung gewandelt; das brachte uns Paparazzi und Titelseiten auf Hochglanzmagazinen ein, die mit Genuss über uns berichteten. Als unser Haus mit unvorstellbarer Brutalität angegriffen wurde und wir uns dem entgegenstellten - und dabei auch noch die Formwandler ins Licht der Öffentlichkeit zerrten -, war es mit unserer Beliebtheit wieder vorbei. Die Menschen waren von dem Gedanken, dass es uns gab, nie wirklich begeistert gewesen, und wenn Werwölfe existierten, was mochte es dann da draußen noch geben? In den letzten Monaten war uns der Hass der Menschen entgegengeschlagen, die uns nicht in ihrer Nähe haben wollten und vor unserem Haus zelteten, um ihrer Abneigung Ausdruck zu verleihen.
Mein Handy vibrierte. Ich ließ es aufklappen und sagte: »Cadogan Baumarkt, Abteilung Holz und Bauhölzer. Mein Name ist Merit, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Ein prustendes Lachen ertönte am anderen Ende der Leitung. Mallory Carmichael, meine allerbeste Freundin und Hexen-meisterin par excellence, fragte mich: »Ist es nicht ganz schön gefährlich, Vampirin in der Nähe von Espenholz zu sein, das man zu Pflöcken verarbeiten könnte?«
Ich betrachtete die Zierleiste auf dem Sägebock vor mir. »Ich bin mir nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Espenholz handelt, aber deine spitze Bemerkung ist angekommen.«
»Nach dieser Ansage gehe ich mal davon aus, dass du heute Abend nichts als Holz im Kopf hast?«
»Mit dieser Annahme liegst du richtig, und da du mich schon darauf ansprichst, ich trage gerade Beize auf ein besonders schönes Stück Handwerkskunst auf, und dann muss ich es später noch verfugen -«
»Gähn, ich sterbe gleich vor Langeweile«, unterbrach sie mich. »Bitte erspar mir deine Handwerkerfantasien. Ich würde ja vorbeischauen, um dich ein wenig aufzuheitern, aber ich muss nach Schaumburg. Gegen Magie ist eben kein Kraut gewachsen.«
Das erklärte die Autogeräusche im Hintergrund. »Selbst wenn du könntest, Mallory, wäre dir der Zutritt verboten. Wir sind jetzt eine menschenfreie Zone.«
»Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«, sagte sie mit Erstaunen. »Wann hat Darth Sullivan denn diese Weisung aus-gegeben?«
»Als Bürgermeister Tate ihn darum gebeten hat.«
Mallory pfiff leise vor sich ihn, und ihre Stimme klang nun besorgt. »Ernsthaft? Catcher hat mir nichts davon erzählt.«
Catcher war Mallorys Freund und der Hexenmeister, der an meiner Stelle zu ihr gezogen war, als ich meinen Wohnsitz nach Cadogan verlegte. Er arbeitete außerdem im Büro des städtischen Ombudsmanns für übernatürliche Angelegenheiten - was zufälligerweise mein Großvater war - und sollte daher eigentlich über alles, was an Übernatürlichem vorging, genau Bescheid wissen. Das Büro des Ombudsmanns war eine Art übersinnliche Telefonhotline.
»Die Häuser hängen es nicht an die große Glocke«, räumte ich ein. »Wenn herauskäme, dass Tate die Häuser geschlossen hat, könnte eine Panik ausbrechen.«
»Weil sie daraus schließen würden, dass Vampire eine ernsthafte Bedrohung für die Menschen sind?«
»Genau deswegen. Und wenn wir schon von ernsthaften Bedrohungen sprechen, was lernst du eigentlich heute in Schaumburg?«
»Witzig, witzig, meine kleine blutsaugende Freundin. Es wird die Zeit kommen, da du mich lieben und zugleich fürchten wirst.«
»Das ist bereits der Fall. Bist du noch bei Zaubertränken?« »Ehrlich gesagt, nein. Diese Woche kümmern wir uns um andere Dinge. Wie geht's dem Chef aller Chefs?«
Dieser prompte Themenwechsel war ungewöhnlich. Normalerweise liebte es Mallory, über alles Übernatürliche und vor allem über ihre Ausbildung zur Hexenmeisterin zu tratschen, vor allem, wenn ihr eine interessierte Zuhörerin zur Verfügung stand. Vielleicht war das, was sie derzeit lernen musste, etwa so öde wie meine Beizarbeiten, aber das konnte ich mir kaum vorstellen.
»Ethan Sullivan ist und bleibt Ethan Sullivan«, fasste ich kurz zusammen.
Sie schnaubte zustimmend. »Und das wird er auch auf ewig bleiben, da er ja bekanntlich unsterblich ist. Aber manche Sachen ändern sich doch - und hier kommt der perrrrfekte Übergang - was glaubst du wohl, wer ab sofort auf seiner kleinen, makellosen Nasenspitze eine ganz bezaubernde Brille trägt?«
»Joss Whedon?« Mallory hatte zwar einige Zeit gebraucht, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie magische Kräfte besaß, aber sie hatte schon immer einen Hang zum Übernatürlichen gehabt, ob nun in der Literatur oder sonst wo. Buffy und Spike hatten es ihr vor allem angetan.
»Um Gottes willen, nein! Allerdings würde mir das eine ziemlich gute Ausrede bieten, mich mal wieder mit der Welt von Whedon auseinanderzusetzen und ihm vielleicht eine magische Augenkorrektur zu verpassen. Wie auch immer, die Antwort lautet Nein. Catcher hat eine Brille.«
Ich musste grinsen. »Catcher hat eine Brille? Der Mann, der sich den Kopf rasiert, obwohl es gar nicht notwendig ist, weil er ohnehin schon heiß aussieht? Dieser Abend könnte doch noch ein guter Abend werden.«
»Ich bin ganz deiner Meinung. Um ehrlich zu sein, sieht das bei ihm allerdings ziemlich gut aus. Ich hatte ihm ja angeboten, ein bisschen Abrakadabra zu wirken und ihm eine ordentliche Sehschärfe zu verpassen, aber das hat er abgelehnt.«
»Warum?«
Sie rutschte mit ihrer Stimme zwei Oktaven nach unten und machte ihn ziemlich gut nach: »Weil das eine egoistische Verwendung deiner Kräfte wäre - die Macht des Universums auf meine Netzhaut zu verwenden.«
»Das könnte er glatt gesagt haben.«
»Richtig. Also trägt er eine Brille. Und ich muss dir sagen, dass sie in unserem Liebesleben wahre Wunder gewirkt hat. Er ist ein völlig neuer Mensch. Sein sexueller Appetit ist einfach -«
»Mallory. Es reicht. Meine Ohren bluten.«
»Du kleines, prüdes Stück.« Lautes Hupen war durch das Telefon zu hören, gefolgt von Mallorys Gebrüll. »Lernt endlich einzufädeln, Leute! Macht schon! Okay, ich hab hier Leute aus Wisconsin im Weg und muss Schluss machen. Wir reden morgen weiter.«
»Gute Nacht, Mallory! Viel Glück mit Wisconsin und der Magie.«
»Küsschen«, sagte sie und legte auf. Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche. Gott segne beste Freundinnen!
Zehn Minuten später erhielt ich Gelegenheit, meine »Ethan ist und bleibt Ethan«-Theorie zu überprüfen.
Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass er hinter mir stand. Es lief mir kalt den Rücken herunter, das war mir Beweis genug. Ethan Sullivan, Meister des Hauses Cadogan. Der Vampir, der mich erschaffen hatte.
Ethan hatte zwei Monate lang um mich geworben, bis wir dann eine wundervolle Nacht miteinander erlebten. Aber das neue »Wir« hatte nicht lange gehalten. Er entschied, dass eine Liebesbeziehung zu mir ein emotionales Risiko bedeutete, das er sich als Anführer nicht leisten konnte. Also hatte er seinen Kurs schlagartig geändert. Anschließend bereute er seine Entscheidung, und so strich er seit zwei Monaten um mich herum und versuchte, wie er es nannte, die Wogen zu glätten.
Ethan war groß, blond und auf unmenschliche Weise schön, von der langen, schmalen Nase, den wie gemeißelt wirkenden Wangenknochen bis hin zu den smaragdgrünen Augen. Außer-dem war er intelligent und seinen Vampiren verpflichtet ... und er hatte mir das Herz gebrochen. In den letzten beiden Monaten hatte ich gelernt, seine Sorge zu respektieren, dass unsere Beziehung das Wohl des Hauses gefährden könnte. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, das war mir selbst nur zu klar, aber das hieß noch lange nicht, dass ich blindlings denselben Fehler wiederholen würde. Ich blieb misstrauisch und vorsichtig.
»Hüterin«, sagte er. Diesen Titel hatte er mir verliehen, eine Art Wächterin des Hauses. »Sie verhalten sich heute überraschend ruhig.«
»Das ist wahr«, stimmte ich ihm zu. Wir hatten einige Tage lang laute Gesänge ertragen müssen, einschließlich der üblichen Schilder und Bongotrommeln, bis den Demonstranten wohl klar wurde, dass wir den Krach tagsüber gar nicht wahrnahmen und die Anwohner von Hyde Park ihren Krach des Nachts nur begrenzt tolerierten.
Eins zu null für Hyde Park.
»Eine nette Abwechslung. Wie sieht es bei uns aus?«
»Wir machen Fortschritte«, sagte ich und wischte einen fehl-geleiteten Tropfen des Beizmittels ab. »Aber ich werde sehr froh sein, wenn wir das hinter uns haben. Ich glaube, Baustellen sind einfach nicht meine Art der Selbstverwirklichung.«
»Ich werde mir das für zukünftige Projekte merken.« Belustigung schwang in seiner Stimme mit. Ich atmete einmal tief durch, um meine Selbstbeherrschung zu stählen, dann drehte ich mich zu ihm um. Ethan trug heute Jeans und ein farbverschmiertes T-Shirt, die schulterlangen goldenen Haare hatte er nach hinten gebunden. Er war vielleicht leger gekleidet, aber das änderte nichts an der Aura aus Macht und Selbstvertrauen, die ihn zu einem Fürsten unter den Vampiren machte.
Die Hände in die Hüften gestemmt, inspizierte er seine Leute. Männer und Frauen arbeiteten auf dem Rasen an Tischen und Sägeböcken. Sein Blick wanderte von Arbeiter zu Arbeiter, um einen Eindruck von ihren Fortschritten zu gewinnen. Seine smaragdgrünen Augen strahlten Ruhe aus, aber die verspannten Schultern ließen erahnen, dass er sich der ständigen Gefahr vor dem Tor bewusst war.
Während Ethan seine vampirischen Brüder und Schwestern kritisch betrachtete, sah er in Jeans und Sportschuhen trotzdem großartig aus.
»Wie läuft es drinnen?«, fragte ich.
»Es geht voran, wenn auch langsam. Es würde schneller gehen, wenn wir menschliche Bauarbeiter anstellen dürften.«
»Wenn es keine Menschen im Haus gibt, gibt es auch keine Sabotage durch Menschen.«
»Außerdem senkt das die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Trockenbauer zum Gute-Nacht-Häppchen wird«, bemerkte er. Aber als er mich wieder anblickte, war die Sorgenfalte auf seiner Stirn nicht zu übersehen.
»Was ist los?«, fragte ich ihn.
Ethans Antwort war seine Spezialität: eine hochgezogene Augenbraue.
»Ich meine natürlich, abgesehen von den Demonstranten und der Tatsache, dass wir ständig in Gefahr schweben«, ergänzte ich.
»Tate hat angerufen. Er hat ein Treffen mit uns beiden verlangt.«
Diesmal hob ich eine Augenbraue. Seth Tate, Chicagos Bürgermeister in zweiter Amtszeit, vermied in der Regel den Kontakt mit den drei Meistervampiren der Stadt, so gut es nur
ging.
»Weswegen will er sich mit uns treffen?«
»Ich nehme an, deswegen«, sagte er und deutete auf die Demonstranten.
»Glaubst du, er will mich dabeihaben, weil er und mein Vater Freunde sind, oder weil mein Großvater für ihn arbeitet?«
»Beides ist möglich, aber es kann natürlich auch daran liegen, dass der Bürgermeister bis über beide Ohren in dich verknallt ist.«
Ich verdrehte die Augen, konnte aber nicht verhindern, dass sich meine Wangen röteten. »Er ist nicht in mich verknallt. Er liebt es nur, wiedergewählt zu werden.«
»Er ist verknallt, und das kann ich nur zu gut verstehen. Und dabei hat er dich noch nicht mal kämpfen sehen.« Ethans Tonfall war freundlich. Hoffnungsvoll.
Schwer zu ignorieren.
Er war in den letzten Wochen sehr aufmerksam und charmant gewesen.
Nicht, dass er nicht zwischendurch bissige Kommentare ab-geben konnte; er war immer noch Ethan, immer noch ein Meistervampir mit einem Haus voller Novizen, die ihn nicht immer erfreuten. Und als wäre das nicht mühsam genug, näherten wir uns langsam dem Ende einer monatelangen Renovierungsaktion. Solche Baumaßnahmen brauchten in Chicago immer ihre Zeit, und da es sich bei dem Gebäude um eine dreistöckige Vampirbehausung handelte, dauerte alles noch viel länger. Das Haus war sicherlich ein architektonisches Juwel, aber nichtsdestotrotz galt es doch als Behausung lichtscheuen Blutsaugergesindels (und so weiter, bla, bla), und unsere menschlichen Lieferanten ließen es zuweilen an Hilfsbereitschaft mangeln. Ethan war von dieser Situation wenig begeistert.
Trotz der angespannten Lage machte Ethan mir gegenüber alles richtig, verhielt sich tadellos, sagte die richtigen Worte. Das Problem war nur, dass er mein Vertrauen zutiefst erschüttert hatte. Ich hegte durchaus die Hoffnung, meine große Liebe zu finden und »glücklich bis ans Ende aller Tage« zu leben, aber ich konnte diesem speziellen Traumprinzen einfach nicht mehr glauben, dass wir wirklich gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten würden. Es war erst zwei Monate her. Der Schmerz und die Demütigung waren noch nicht überwunden; die Verletzung noch zu frisch.
Ich war nicht so naiv, zu leugnen, dass es zwischen mir und Ethan eine besondere Verbindung gab. Ich konnte auch nicht ausschließen, dass das Schicksal uns vielleicht doch wieder zusammenbringen würde. Immerhin hatte Gabriel Keene, der Anführer des Zentral-Nordamerika-Rudels, mich irgendwie an einer seiner Visionen teilhaben lassen, und darin kamen grüne Augen vor, die wie Ethans aussahen ... aber nicht seine waren. (Ja, ich weiß. Auch ich hatte mit »Was zur Hölle soll der Quatsch?« reagiert.)
Ich wollte ihm ja gern glauben. Wie so ziemlich jedes Mädchen in diesem Land hatte auch ich die Bücher gelesen und die Filme gesehen, in denen der Junge erkennt, dass er einen furchtbaren Fehler begangen hat ... und zu ihr zurückkehrt. Ich wollte glauben können, dass es Ethan schmerzte, mich verloren zu haben, dass seine Reue echt war und seine Versprechungen ernst gemeint. Aber das hier war kein Spiel. Und Mallorys bissige Frage war durchaus berechtigt: Wäre es nicht besser, wenn er mich von Anfang an geliebt hätte?
In der Zwischenzeit, während ich den neuen Ethan betrachtete und gegen den alten abwog, machte ich ganz auf pflichtbewusste Hüterin. Indem ich unser Verhältnis auf eine rein berufliche Ebene reduzierte, verschaffte ich mir den nötigen Abstand und den Freiraum, den ich brauchte ... und dieses Manöver hatte außerdem den Vorteil, ihn zu verärgern. Kindisch? Auf jeden Fall. Aber wer ließ sich schon die Gelegenheit entgehen, den eigenen Chef zu piesacken, wenn sie sich ergab?
Außerdem waren fast alle Vampire Mitglieder irgendeines Hauses, und ich war unsterblich. Ich konnte die Zusammenarbeit mit Ethan nicht einfach aufkündigen, ohne mich selbst für alle Ewigkeit zum Dasein einer Ausgestoßenen zu verdammen. Mit anderen Worten, ich war gezwungen, das Beste aus meiner Lage zu machen.
Also überhörte ich die Vertraulichkeit in seinem Tonfall und schenkte ihm ein höfliches Lächeln. »Ich kann nur hoffen, dass er mich nie kämpfen sehen muss. Wenn ich vor der Nase des Bürgermeisters in eine Rauferei gerate, dann ist wohl Hopfen und Malz verloren. Wann müssen wir los?«
Ethan schwieg lange genug, dass ich zu ihm hinübersah und bemerkte, wie er mich ernst betrachtete. Der Schmerz in seinem Blick zerriss mir das Herz, aber was immer das Schicksal für uns noch in petto hielt, hier und heute würde ich mich definitiv auf nichts einlassen.
»Hüterin.«
Seine Stimme klang nun leicht missbilligend, aber ich wich von meinem Vorhaben nicht ab. »Ja, Lehnsherr?«
»Sei so stur, wie du willst, wenn du das unbedingt brauchst, aber wir wissen doch beide, wo dies enden wird.«
Ich verzog keine Miene. »Es wird immer auf dasselbe hinaus-laufen - du bist der Meister, ich die Hüterin.«
Mit der Anspielung auf unseren Rangunterschied erreichte ich mein Ziel. Der Charme, den Ethan eben noch hatte spielen lassen, war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. »Wir treffen uns in zwanzig Minuten im Foyer. Zieh dein Kostüm an!« Und dann ging er entschlossenen Schritts die Treppe hinauf und betrat Haus Cadogan.
Ich fluchte leise vor mich hin. Der Junge würde mich noch ins Grab bringen.
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© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Chloe Neill
Chloe Neill ist im Süden der USA aufgewachsen. Mit der Chicagoland-Vampires-Serie gibt sie ihr Debüt als Autorin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Chloe Neill
- 2012, 1. Aufl., 432 Seiten, Maße: 12,6 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Marcel Bülles
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802587901
- ISBN-13: 9783802587900
- Erscheinungsdatum: 10.07.2012
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