Eigentlich bin ich eine Traumfrau
Roman. Originalausgabe
Juli ist 33 und gerade so weit von ihren Lebenszielen entfernt, wie der Eiffelturm von der Chinesischen Mauer. Eines steht für sie fest: Ein Mann muss her. Und mal so betrachtet: Bis auf ein paar kleine Makel ist Juli doch eigentlich eine echte Traumfrau.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Eigentlich bin ich eine Traumfrau “
Juli ist 33 und gerade so weit von ihren Lebenszielen entfernt, wie der Eiffelturm von der Chinesischen Mauer. Eines steht für sie fest: Ein Mann muss her. Und mal so betrachtet: Bis auf ein paar kleine Makel ist Juli doch eigentlich eine echte Traumfrau.
Klappentext zu „Eigentlich bin ich eine Traumfrau “
Eigentliche Traumfrau sucht ihren Traummann - eigentlich kein Problem - oder?Mit 33 Jahren hat Juli noch keines ihrer Lebensziele erreicht. Statt sich in dem schicken Büro eines Modemagazins die Nägel zu polieren, kämpft sie bei einer Zeitung um Aufträge. Statt bei Prada zu shoppen, jagt sie ihre Schnäppchen bei eBay. Und statt in den Armen ihres Traummanns zu liegen, hat sie sich gerade von ihrem Freund getrennt. Eines ist klar: Etwas muss sich ändern. Als Juli den attraktiven Erfolgsautoren Rafael Bleibtreu kennenlernt, scheint zumindest ihr Traummann gefunden. Davon muss sie nur noch ihn überzeugen. Und so schwer sollte das doch nicht sein, denn von den ganzen kleinen Makeln einmal abgesehen ist Juli doch eigentlich eine Traumfrau ...
Eigentliche Traumfrau sucht ihren Traummann - eigentlich kein Problem - oder?Mit 33 Jahren hat Juli noch keines ihrer Lebensziele erreicht. Statt sich in dem schicken Büro eines Modemagazins die Nägel zu polieren, kämpft sie bei einer Zeitung um Aufträge. Statt bei Prada zu shoppen, jagt sie ihre Schnäppchen bei eBay. Und statt in den Armen ihres Traummanns zu liegen, hat sie sich gerade von ihrem Freund getrennt. Eins ist klar: Etwas muss sich ändern. Als Juli den attraktiven Erfolgsautoren Rafael Bleibtreu kennenlernt, scheint zumindest ihr Traummann gefunden. Davon muss sie nur noch ihn überzeugen. Und so schwer sollte das doch nicht sein, denn von den ganzen kleinen Makeln einmal abgesehen ist Juli doch eigentlich eine Traumfrau ...
Lese-Probe zu „Eigentlich bin ich eine Traumfrau “
Eigentlich bin ich eine Traumfrau von Jana Seidel... mehr
Wenn ich gestorben bin, dann macht aus meiner Asche einen Diamanten«, sagt meine Mutter hastig, kaum dass ich den Telefonhörer abgenommen habe. Für den Bruchteil einer Sekunde wage ich zu hoffen, dass diese Ansage bloß Teil der Proben für ihre Laienschauspielgruppe ist. Andererseits würde es zu ihr passen, sich an meinem Geburtstag ausführlich mit ihrer Vergänglichkeit zu beschäftigen - Nebenrollen liegen ihr einfach nicht.
»Ach, Mama, wie soll denn das gehen?«
Falsche Frage. Jetzt hat sie mich am Wickel. Sie erklärt mir lang und breit das aufwendige Verfahren, in dem ein Teil der Asche eines Verstorbenen zu einem Diamanten gepresst wird - das hat sie im Fernsehen gesehen. Irrwitzigerweise ist die ganze Angelegenheit natürlich viel teurer, als sich gleich einen echten Diamanten zu kaufen.
»Mama, du wirst noch ganz lange leben. Und ich habe heute einfach keine Lust über Beerdigungen nachzudenken, heute ist mein Geburtstag. Schon vergessen?«
Sie hat es tatsächlich vergessen. Unglaublich. Wäre mir das an ihrem Geburtstag passiert, hätte sie wochenlang alle Leiden Christi inszeniert. So murmelt sie nur leicht beschämt: »Ähem, nein, natürlich nicht. Alles Liebe zum Geburtstag.«
»Danke. Ich muss jetzt aber aufhören. Es klingelt gerade.« »Nie hast du Zeit für mich«, sagt sie beleidigt.
Ich verabschiede mich schnell und laufe zur Tür. Da stehen Tanja, Hrithik, Toni und Peter. Juchhu! Die Party kann beginnen. Natürlich haben alle Geschenke dabei. Obwohl ich sie gebeten habe, das zu lassen. Nicht aus falscher Bescheidenheit. Mir gefällt die Endlosschleife des Geschenketerrors einfach nicht, in der man sich bei nächster Gelegenheit mit einem genauso kostspieligen oder liebevoll ausgesuchten Päckchen würde revanchieren müssen. Außerdem bekommt man sowieso nie etwas, was man wirklich gebrauchen kann.
Die erwartungsfrohen Blicke beim Auspacken machen mich nervös. Geben ist wohl wirklich seliger als Nehmen. Weil die erste Reaktion des Beschenkten über Glück oder Unglück des Schenkers entscheidet, gebe ich mir an dieser Stelle immer besonders viel Mühe. Ich lasse mir einen Moment Zeit und fange nicht sofort an zu strahlen. Das würde zu aufgesetzt und mechanisch aussehen. Ich tue also so, als ließe ich das Geschenk einen kleinen Moment auf mich wirken, setze zu einem leichten Lächeln an, um schließlich dem Schenker in juchzender Freude um den Hals zu fallen.
Das klappt auch diesmal ganz gut - zumindest bei Tonis nett gemeintem Versuch, mich mit der neu aufgelegten Hitchcock-Edition zu erfreuen. Einen der Filme besitze ich zumindest wirklich noch nicht. Es funktioniert auch bei Tanjas und Hrithiks Obst- und Gemüsekisten-Abo, das dazu führen wird, dass in Zukunft viel erlesenes BioGrünzeug in meiner Wohnung gammelt. »Jetzt wo du mit dem Rauchen aufgehört hast ...«, erklärt Tanja und meint wohl: Jetzt kannst du auch vollends zur genussfreien Asketin mutieren, die ihren Grüntee nur im Lotusblütensitz ein- nimmt.
Hrithik lächelt verlegen. Er ist noch nicht lange mit Tanja zusammen und hat ihren Gesundheitstick offenbar noch nicht richtig verinnerlicht.
Oh mein Gott, ich bin ein nörgeliges, undankbares Biest. Es ist aber auch wirklich nicht leicht, dreiunddreißig zu werden, ohne nennenswerte Ziele der jugendlichen Lebensplanung erreicht zu haben. Aber dafür können ja meine Freunde nichts, die es nur gut mit mir meinen. Mit liebevoller Aufmerksamkeit widme ich mich also Peters Geschenk.
»Oh, ein Buch?«, hauche ich lächelnd. Die Form der nachlässig verpackten Gabe lässt keinen Freiraum für Interpretationen.
»Korrekt«, antwortet Peter.
Innerlich gewappnet mache ich mich darauf gefasst, dass sich unter dem Papier wieder einer von Peters Lebenshilfe-Scherzen verbirgt - wie der Südamerika-Reiseführer im letzten Jahr. Für die Reise, von der ich immer spreche, die ich aber vermutlich nie machen werde.
Anklagend sieht der Buchtitel zu mir hoch, nachdem ich das Geschenkpapier abgewickelt habe: »Was ist Wahrheit?«
Ich schlucke, und in meinem Hinterkopf geht sofort ein fieses Affengeschnattere los. Peter hat bei allem, was er sagt und tut, einen tiefgründigen Hintergedanken. Was also will er mir sagen? Verdammt. Finden meine Freunde mich unehrlich? Dabei lehne ich Lügen und Heuchelei doch in jeder Form ab - außer vielleicht wenn es um Geschenke meiner Freunde geht. Na ja, vielleicht greife ich auch gelegentlich zu der ein oder anderen kleinen Notlüge. Aber das macht doch jeder, oder? Ich tue so, als läse ich den Klappentext. Dann lächele ich Peter zögernd zu. »Das klingt ja wahnsinnig interessant.«
Zum Glück fällt mir die sichere Methode der Spontanentspannung wieder ein, von der ich in dem Buch »Weil ich es mir wert bin« gelesen habe: Tief einatmen und gleich wieder ausatmen. Dann den Atem sechs Sekunden anhalten. Na bitte. Ich werde später über eventuelle, in Geschenkpapier verpackte Botschaften nachdenken. Übermorgen ist auch noch ein Tag. Wenn ich jetzt nicht in Grübeleien versinke, liegt vor mir ein wunderbarer Freitagabend mit meinen besten Freunden. Dann ein herrlich verkaterter Samstag. Und am Sonntag, wenn die Paare spazieren gehen oder eng umschlungen vor dem Fernseher sitzen, werde ich wieder arbeiten. Das ist der Vorteil eines freiberuflichen Singles. Er muss nicht den ganzen Sonntag untätig vor dem Fernseher hocken, um bei alten Schnulzen von einem besseren Leben voller Liebe zu träumen.
Eigentlich geht es mir fantastisch.
»Ich glaube, es ist Zeit für ein paar Gimlets«, rufe ich ausgelassen in die Runde.
Toni rennt sofort hinter mir her, um die Zubereitung der Cocktails zu überwachen. Wir teilen die Leidenschaft für Krimis von Raymond Chandler und für das Lieblingsgetränk seines Privatdetektivs Philip Marlowe. Wir streiten bloß ständig über die angemessene Dosis Lime -Juice, die den Drink perfekt macht.
Als wir mal wieder einen Kompromiss gefunden haben, hilft Toni mir, die Gläser ins Wohnzimmer zu tragen. Hrithik hat inzwischen meine gut versteckte Perry-Como-CD gefunden und »The most beautiful girl in the world« laut aufgedreht. Er strahlt Tanja an. Die beiden sind seit zwei Monaten ein Paar. Davor sind sie Ewigkeiten befreundet gewesen. Ich habe nie verstanden, wie so etwas passieren kann. Man hört zwar immer wieder davon, und »Harry und Sally« ist es schließlich auch so ergangen - aber ich persönlich habe niemals mit einem meiner alten Freunde schlafen wollen. Na ja, mit Peter habe ich geschlafen. Aber gleich im ersten Semester, als wir noch nicht alte Freunde, sondern frische Fremde waren. Da konnte ich schließlich noch nicht wissen, dass er sich einmal als philosophischer Berater selbstständig machen und von einer langen Asienreise eine chinesische Frau mitbringen würde, die seine Sprache nicht versteht, aber Feng-Shui in seine vier Wände bringt.
»Und das hat mir Louisa vor meiner Abreise für dich mitgegeben.«
Grinsend hält er mir noch ein Geschenk hin, das in etwa die Form eines Ufos hat. Ich packe es aus und halte eine kleine Schneekugel in der Hand. Statt weißer Flocken rieselt es allerdings winzige grüne Kleeblätter auf die Miniatur eines irischen Herrenhauses.
»Oh, wie schön«, sage ich und meine es nun tatsächlich ehrlich. Wir haben alle gemeinsam im letzten Jahr einige Zeit in Irland verbracht, um dort unsere Freundin Louisa und ihren Vater zu besuchen. Der hatte nämlich nach der unschönen Trennung von seiner Frau einen Jugendtraum verwirklicht und seinen Arztkittel in Deutschland gegen eine Küchenschürze in Irland eingetauscht. Sein Imbiss dort - in Sichtweite eines Herrenhauses, das genauso aussieht wie das in der Schneekugel - soll fantastisch laufen. Louisa haben wir dann leider auch an die grüne Insel und an Colin verloren, einen zugegebenermaßen bezaubernden Dozenten. In den hat sie sich nämlich unsterblich verliebt. Und auch Peter ist länger geblieben als geplant. Seine philosophische Praxis in Hamburg lief nicht so gut wie erwartet, deswegen hatte er sie eigentlich aufgegeben, um fortan Louisas Vater unter die Arme zu greifen. Aber dann hat er besagte Chinareise unternommen, sich in Liu verliebt und es vorgezogen, sich ihr als philosophischer Berater in Deutschland vorzustellen und nicht als begeisterter Frittenwender in Irland. Er will sie langsam an seine Zweitexistenz heranführen, ist schließlich nicht jedermanns Sache. Frechheit, dass ausgerechnet er mir ein Buch zum Thema »Wahrheit« schenkt. Egal, nicht drüber nachdenken! Begeistert schüttle ich die Schneekugel und vermisse Louisa ganz furchtbar.
»Auf Juli!«, ruft Peter und hebt sein Glas.
»Ja, auf ein wunderbares, neues Lebensjahr, in dem alles in Erfüllung geht, was du dir erträumst«, sagt Tanja und gibt mir einen Kuss auf die Wange, als ich neben ihr aufs Sofa sinke. Nebenbei krault sie Hrithik die Haare, der zu ihren Füßen auf dem Boden hockt - auf einem der seidenen, roten Kissen mit Schriftzeichen, die Peter mir zusätzlich zu dem Buch mitgebracht hat. Die Farbe Rot steht in China angeblich für Glück und Wohlstand, »und da Rot bei uns die Farbe der Liebe ist, kann bei dir eigentlich nichts mehr schiefgehen«, hat Peter kichernd gesagt. Das muss wohl so eine Art postmoderne Fusions-Mystik sein. Das Schriftzeichen wiederum ist die chinesische Zahl Neun, die wohl ewige Freundschaft bedeutet. Da hat er wirklich kunstvoll so viel Bedeutung wie möglich in ein kleines Kissen verpackt - typisch Peter. Aber irgendwie trotzdem süß.
»Darin könnte man auch wunderbar die Asche von Verstorbenen aufbewahren«, sage ich, auf das Kissen deutend, und erzähle von dem Telefonat mit meiner Mutter.
Wie sich herausstellt, ist sie nicht die Einzige, die sich schon ernsthafte Gedanken über ihr Ableben gemacht hat.
»Also, ich möchte verbrannt und nicht von Würmern zerfressen werden«, stellt Tanja fest. Ich bin überrascht. Bei ihrem Öko-Bewusstsein hätte ich darauf gewettet, dass eine korrekte Kompostierung, also die klassische Erdbestattung, viel eher in ihrem Sinne wäre. Hrithik will seine Asche in einer Rakete in den Weltraum fliegen lassen, um seinen kindlichen Traum vom Astronautendasein zumindest nach seinem Tod zu verwirklichen. Tanja gibt sofort bereitwillig ihr Einverständnis, ihre Asche ebenfalls ins Weltall zu schießen. Und Peter will sich in ein künstliches Korallenriff einpflanzen lassen, um damit posthum einen Beitrag an die Meeresbiologie zu leisten.
»Ich weiß aber nicht, ob Fische wirklich philosophische Beratung brauchen«, sagt Toni und lacht.
Peter zieht beleidigt die Augenbrauen hoch. »Freunde, können wir dieses Lästermaul nicht auch einfach in den Weltraum schießen? Am besten jetzt gleich?«, fragt er mit gespielter Verzweiflung.
Toni wirft - immer noch lachend - mit dem Kissen nach ihm. Tanja und Hrithik sehen sich an und verdrehen die Augen. Klar, die beiden sind ja nun dank erhebender Liebe über die Albernheiten ihrer drolligen Freunde erhaben.
»Wieso hast du dich eigentlich von Thomas getrennt?«, fragt Hrithik mich abrupt, als wir alle schon etwas angetrunken sind.
Eine heikle Frage. Die »Feuersbrunst meines Herzens« hat uns sozusagen verbrannt. Das ist der Titel eines üblen Machwerks. Es gibt ein Stadium in Liebesbeziehungen, in dem ich wieder die Romane lese, die ich als Single auch lese, dann aber zumindest nicht verstecken muss. Die, auf deren Cover sich halb entkleidete, weichgezeichnete Pärchen räkeln. Also die billigen Dinger, die mit Vorliebe in der Vergangenheit spielen, als die Männer noch echte Männer und die Frauen noch echte Frauen waren. Einer ehemaligen Germanistikstudentin natürlich unwürdig, bieten sie dafür aber adelige, anfangs leicht distanzierte Herren, denen ein weiblicher Wirbelwind Schloss und Hormone aufmischt. Oder einen Lebemann, den umgekehrt ein strenges, junges Mädchen bekehrt. Außerdem wird darin reichlich Sex geboten, bei dem alle Beteiligten (in diesen Romanen meist nur zwei) genau gleichzeitig und mit einem seligen Seufzer zum Höhepunkt kommen. Das tröstet, wenn man alleine ist. Aber eben auch, wenn man anfängt, sich in einer Beziehung alleine zu fühlen.
Wenn man sich allerdings zu sehr mit der Heldin identifiziert, kann Schlimmes geschehen: Der Typ, der neben einem im Bett schnarcht, erscheint im Vergleich so blass, leidenschaftslos und wenig galant, dass man sich sofort nach einem anderen umsehen möchte. Bei Thomas hatte ich die Empfindung über ein halbes Jahr hinweg jeden Abend, und nichts ließ mehr auf eine rauschende Zukunft hoffen. Danach habe ich die Trennung oft bereut, weil Thomas eigentlich ein netter, zuverlässiger, intelligenter Mann ist. Einer, den sich jede Frau wünscht, die von einer reifen, erwachsenen Beziehung träumt. Aber das alles werde ich nun vor den anderen sicher nicht zugeben.
»Na ja, zuletzt war es eben eher geschwisterlich«, lautet die knappere Variante.
»Da waren Tanja und Hrithik aber raffiniert«, meint Toni, »die haben die Geschwisterlichkeit einfach zehn Jahre lang vorweggenommen. Dann kann ja nur noch ein Leben voller Leidenschaft und grandiosem Sex auf sie warten.«
Tanja wird rot. Und ich schweige lieber, weil ich daran ja nicht glaube. Ich habe mich noch nie in einen Mann verliebt, zu dem ich mich nicht von Anfang an hingezogen fühlte. Ich unterstelle diesen ehemals nur freundschaftlich verbundenen Paaren eher Bequemlichkeit und die Angst vor den unberechenbaren Risiken der freien Wildbahn. Vermutlich machen diejenigen, die von einer Freundschaft in eine Beziehung geschlittert sind, anschließend genauso geschwisterlich weiter, was sie letztendlich von anderen langjährigen Paaren nicht unterscheidet. Die verbindet aber zumindest immer noch die Erinnerung an eine Phase heißer Leidenschaft. Ach, das Leben ist einfach zu kompliziert, die Erwartungen zu hoch. Man sollte Ehen wieder arrangieren, und Frauen von der ohnehin nur lästigen Berufstätigkeit befreien. Dann sind sie abhängiger und können es sich nicht leisten, gutverdienende Männer wie Thomas zu verlassen, die im Grunde alles richtig gemacht haben. Da haben wir nun endlich die neuen Männer, die über Gefühle sprechen und aufmerksam sind, und träumen immer noch von den unterbelichteten Typen aus amerikanischen Altherrenromanen, die ihre Schwiegertöchter flachlegen und ihre Frauen anschweigen. Schwieriges Terrain. Vielleicht sehen meine Freunde das insgeheim genauso, denn wir wechseln rasch das Thema. Ausgehend von der mystischen Bedeutung meines neuen Kissens sind wir plötzlich mittendrin in der lebhaftesten Diskussion über die neue Esoterikwelle. Tanja glaubt an westliche Sternzeichen, Peter an fernöstliche. Hrithik, Toni und ich glauben an gar nichts und machen uns über sie lustig. Ich habe insgeheim ein schlechtes Gewissen dabei. Rein intellektuell lehne ich den neu aufkeimenden Boom natürlich wirklich ab. Und selbstverständlich glaube ich auch nicht ernsthaft an Horoskope. Aber ich lese sie doch zu gerne. Und wenn ich gerade mal einen Partner habe, lese ich den Text für dessen Sternzeichen gleich mit, um dann in helle Aufregung zu geraten, wenn dort eine Tendenz zu Affären oder Abenteuern angekündigt wird. Ekelhaft, dieser ganze Irrglaube.
»Ich möchte, dass es mal wieder ein Roman in die Bestsellerlisten schafft, in dem kein Vampir auftaucht oder die größte Liebe erst im Jenseits möglich ist«, sagt Toni gerade aufgebracht.
»Ja. Und Sachbücher, in denen es nicht ums Pilgern, Ayurveda oder Engel geht«, pflichte ich ihr schnell bei.
»Ich meine«, sagt Toni, »alle Hollywood-Schauspieler sind doch jetzt Buddhisten oder Hindus oder sonst was. Das ist doch absurd. Oder könnt ihr euch umgekehrt vorstellen, dass sich ein hinduistischer Bollywood-Schauspieler plötzlich einen Rosenkranz ums Handgelenk schlingt, Wasser aus Lourdes trinkt und sich dazu - in absoluter Verkennung der Unterschiede der westlichen Religionszugehörigkeiten - Luthers Thesen in dekorativem Tribal-Rahmen aufs Schulterblatt tätowieren lässt?«
Tanja wirft flugs einen Blick auf Hrithiks Hände, als wolle sie nach dem Rosenkranz suchen. Hrithik sieht nämlich fast genauso aus wie sein Namensvetter, der indische Superstar Hrithik Roshan. Unwirklich hübsch für einen Mann. Hellbraune Augen unter langen schwarzen Wimpern und dazu ein paar Zahnreihen, gegen die Tom Cruises Veneers dunkelgelb aussehen. Er ist zwar Jurist, aber selbst meine Mutter würde einem Typen mit diesem Äußeren die spießbürgerliche Berufswahl verzeihen. Ich habe mich allerdings nie zu ihm hingezogen gefühlt. Das wäre so, als würde man sich in Barbies Ken verlieben. Zu glatt, zu perfekt.
Mich beschleicht der Gedanke, dass Toni Recht hat. Anscheinend ist alle Vernunft aus der Alten Welt und ihrem Sprössling, den USA, abgezogen und in die östliche Welt abgewandert. Die bauen jetzt riesige Firmen, Atomwaffen und gigantische Einkaufszentren und verpesten die Umwelt, während wir uns in »Entschleunigung« üben. Eigentlich haben sie uns schon besiegt. Darauf noch einen Gimlet.
»Bringst du mir noch einen mit?«, ruft Toni, als ich aufstehe, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Am Ende sitzen wir alle betrunken am Küchentisch und spielen mein Lieblingsspiel: Schauspieler über fünf Ecken zusammenbringen. Es beruht auf der Theorie, dass alle Menschen auf der Welt über fünf Ecken miteinander bekannt sind. Und weil ich so wahnsinnig viele Filme geguckt habe, kann ich eigentlich alle Schauspieler der Welt über fünf Filme zusammenbringen. An diesem Abend nehme ich die Herausforderung an, auf diesem Wege Franka Potente und Humphrey Bogart zu vereinen. Was mir nach einigem Kopfzerbrechen auch triumphal gelingt. Im Hintergrund singt immer noch Perry Como. In meiner Brust macht sich eine tiefe Zufriedenheit breit. Alkohol ist eine wunderbare Erfindung. Es ist einer von diesen Abenden, an denen man eins ist mit sich und der Umwelt und denkt: Genau dies hier, dieser Moment ist das Leben. Nicht diese übliche Kette von Tagen, die vergehen, ohne dass man es überhaupt bemerkt. An denen man tagsüber grübelt, was eigentlich genau von einem erwartet wird, und nachts, ob man es hinreichend erfüllt hat.
Meine Stimmung am nächsten Morgen ist weniger euphorisch. Ich bin verkatert und habe einen rostigen Geschmack im Mund. Je mehr ich versuche, ihn mit Mineralwasser wegzuspülen, desto schlimmer wird er gemeinerweise. Außerdem fühle ich mich schwach, weinerlich und sentimental. Es ist wohl so eine Art Post-Geburtstagskrise. Ich vermisse die gute alte Zeit, in der man selbst Anfang zwanzig und die Welt voller vermeintlicher Gewissheiten war: Mit dreißig würde man natürlich Haus, Mann und Kinder haben. Aber bis dahin war ja zum Glück noch so unendlich viel Zeit, dass man vergnügt vorgeben konnte, so etwas unglaublich Ödes niemals zu wollen. Niemals würde einen das Leben der Erwachsenen erwarten, in dem Ehemänner ihre Frauen betrügen und Freundinnen schwanger werden.
Und plötzlich kommt eine Einladung zum Klassentreffen, bei der man zunächst vermutet, die Absender hätten sich vertan. Man kennt keinen Namen auf der Liste. Dann fällt einem auf, dass die Frauen einfach nur andere Nachnamen haben. Nur ich heiße noch so wie beim Abitur: Juli Sommer. Wieso ist der Übergang so schleichend, warum gibt es keinen Punkt, an dem man vorgewarnt wird: Jetzt wird's ernst. Wieso ist das Leben so grausam? Wieso muss man plötzlich aufwachen, mitten im »echten« Leben stecken, in dem die Fenster der Möglichkeiten immer kleiner werden? Wieso? Wieso kann man nicht mehr Rockstar, Schauspielerin oder Archäologin werden? Das wäre doch alles mal drin gewesen. Mist, dies wird wieder so ein vergrübelter Tag. Vermutlich werde ich am Nachmittag erschöpft einschlafen, mich abends noch zerstörter fühlen, dafür dann aber gar nicht mehr schlafen können.
Das Telefon klingelt. Ich bin einfach zu wehrlos. Obwohl ich ganz genau weiß, dass es am Samstagmorgen nur meine Mutter wagt, mich anzurufen, gehe ich an den Apparat.
»Na, wie fühlt man sich mit dreiunddreißig?«, fragt sie. »Schwach«, erwidere ich und merke erschrocken, wie abweisend ich klinge.
»Hast du wieder zu viel gefeiert? Ich bin ja abends meist zu erschöpft, um etwas zu unternehmen. Aber so ist das wohl, wenn man Verantwortung für einen Haushalt trägt, für einen Mann sorgt und zwei Kinder großgezogen hat.« Sie seufzt.
Oh nein, bitte nicht. Sie ist in Leidensstimmung, das erkenne ich sofort. Es gibt Tage, an denen ich sie fast normal finde. Und es gibt Tage wie diesen, an denen sich die eindeutig schizophrene Tendenz in ihrem Charakter nicht leugnen lässt.
An einem Tag vergisst sie ihre Kinder völlig, um im von Papas Geld finanzierten Nobelkostüm immer noch den Hippie im Geiste zu spielen und sich obskuren Selbstfindungstrips hinzugeben. Dann wieder hat sie diese weichgespülten Phasen, in denen sie so tut, als sei sie schon immer der aufopferungsvolle Muttertyp gewesen, der in weißer Baumwollschürze pausenlos duftenden Apfelkuchen und sonntags Rouladen serviert. Eine von denen, die ihres Lebenssinns beraubt werden, wenn die Kinder ausziehen. Und, was soll ich sagen: Es funktioniert hervorragend. Ich bekomme sofort Schuldgefühle und vergesse glatt, dass ich mir nach der Schule immer selbst Tiefkühlkost - wenn denn überhaupt welche da war - zubereiten musste, weil meine Mutter in anderen Sphären schwebte und nicht wirklich Zeit für so profanes Zeug hatte. Irdischer Pragmatismus und totale Transzendenz können bei ihr schneller wechseln als das Wolkenbild an stürmischen Tagen.
Copyright © 2012 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Wenn ich gestorben bin, dann macht aus meiner Asche einen Diamanten«, sagt meine Mutter hastig, kaum dass ich den Telefonhörer abgenommen habe. Für den Bruchteil einer Sekunde wage ich zu hoffen, dass diese Ansage bloß Teil der Proben für ihre Laienschauspielgruppe ist. Andererseits würde es zu ihr passen, sich an meinem Geburtstag ausführlich mit ihrer Vergänglichkeit zu beschäftigen - Nebenrollen liegen ihr einfach nicht.
»Ach, Mama, wie soll denn das gehen?«
Falsche Frage. Jetzt hat sie mich am Wickel. Sie erklärt mir lang und breit das aufwendige Verfahren, in dem ein Teil der Asche eines Verstorbenen zu einem Diamanten gepresst wird - das hat sie im Fernsehen gesehen. Irrwitzigerweise ist die ganze Angelegenheit natürlich viel teurer, als sich gleich einen echten Diamanten zu kaufen.
»Mama, du wirst noch ganz lange leben. Und ich habe heute einfach keine Lust über Beerdigungen nachzudenken, heute ist mein Geburtstag. Schon vergessen?«
Sie hat es tatsächlich vergessen. Unglaublich. Wäre mir das an ihrem Geburtstag passiert, hätte sie wochenlang alle Leiden Christi inszeniert. So murmelt sie nur leicht beschämt: »Ähem, nein, natürlich nicht. Alles Liebe zum Geburtstag.«
»Danke. Ich muss jetzt aber aufhören. Es klingelt gerade.« »Nie hast du Zeit für mich«, sagt sie beleidigt.
Ich verabschiede mich schnell und laufe zur Tür. Da stehen Tanja, Hrithik, Toni und Peter. Juchhu! Die Party kann beginnen. Natürlich haben alle Geschenke dabei. Obwohl ich sie gebeten habe, das zu lassen. Nicht aus falscher Bescheidenheit. Mir gefällt die Endlosschleife des Geschenketerrors einfach nicht, in der man sich bei nächster Gelegenheit mit einem genauso kostspieligen oder liebevoll ausgesuchten Päckchen würde revanchieren müssen. Außerdem bekommt man sowieso nie etwas, was man wirklich gebrauchen kann.
Die erwartungsfrohen Blicke beim Auspacken machen mich nervös. Geben ist wohl wirklich seliger als Nehmen. Weil die erste Reaktion des Beschenkten über Glück oder Unglück des Schenkers entscheidet, gebe ich mir an dieser Stelle immer besonders viel Mühe. Ich lasse mir einen Moment Zeit und fange nicht sofort an zu strahlen. Das würde zu aufgesetzt und mechanisch aussehen. Ich tue also so, als ließe ich das Geschenk einen kleinen Moment auf mich wirken, setze zu einem leichten Lächeln an, um schließlich dem Schenker in juchzender Freude um den Hals zu fallen.
Das klappt auch diesmal ganz gut - zumindest bei Tonis nett gemeintem Versuch, mich mit der neu aufgelegten Hitchcock-Edition zu erfreuen. Einen der Filme besitze ich zumindest wirklich noch nicht. Es funktioniert auch bei Tanjas und Hrithiks Obst- und Gemüsekisten-Abo, das dazu führen wird, dass in Zukunft viel erlesenes BioGrünzeug in meiner Wohnung gammelt. »Jetzt wo du mit dem Rauchen aufgehört hast ...«, erklärt Tanja und meint wohl: Jetzt kannst du auch vollends zur genussfreien Asketin mutieren, die ihren Grüntee nur im Lotusblütensitz ein- nimmt.
Hrithik lächelt verlegen. Er ist noch nicht lange mit Tanja zusammen und hat ihren Gesundheitstick offenbar noch nicht richtig verinnerlicht.
Oh mein Gott, ich bin ein nörgeliges, undankbares Biest. Es ist aber auch wirklich nicht leicht, dreiunddreißig zu werden, ohne nennenswerte Ziele der jugendlichen Lebensplanung erreicht zu haben. Aber dafür können ja meine Freunde nichts, die es nur gut mit mir meinen. Mit liebevoller Aufmerksamkeit widme ich mich also Peters Geschenk.
»Oh, ein Buch?«, hauche ich lächelnd. Die Form der nachlässig verpackten Gabe lässt keinen Freiraum für Interpretationen.
»Korrekt«, antwortet Peter.
Innerlich gewappnet mache ich mich darauf gefasst, dass sich unter dem Papier wieder einer von Peters Lebenshilfe-Scherzen verbirgt - wie der Südamerika-Reiseführer im letzten Jahr. Für die Reise, von der ich immer spreche, die ich aber vermutlich nie machen werde.
Anklagend sieht der Buchtitel zu mir hoch, nachdem ich das Geschenkpapier abgewickelt habe: »Was ist Wahrheit?«
Ich schlucke, und in meinem Hinterkopf geht sofort ein fieses Affengeschnattere los. Peter hat bei allem, was er sagt und tut, einen tiefgründigen Hintergedanken. Was also will er mir sagen? Verdammt. Finden meine Freunde mich unehrlich? Dabei lehne ich Lügen und Heuchelei doch in jeder Form ab - außer vielleicht wenn es um Geschenke meiner Freunde geht. Na ja, vielleicht greife ich auch gelegentlich zu der ein oder anderen kleinen Notlüge. Aber das macht doch jeder, oder? Ich tue so, als läse ich den Klappentext. Dann lächele ich Peter zögernd zu. »Das klingt ja wahnsinnig interessant.«
Zum Glück fällt mir die sichere Methode der Spontanentspannung wieder ein, von der ich in dem Buch »Weil ich es mir wert bin« gelesen habe: Tief einatmen und gleich wieder ausatmen. Dann den Atem sechs Sekunden anhalten. Na bitte. Ich werde später über eventuelle, in Geschenkpapier verpackte Botschaften nachdenken. Übermorgen ist auch noch ein Tag. Wenn ich jetzt nicht in Grübeleien versinke, liegt vor mir ein wunderbarer Freitagabend mit meinen besten Freunden. Dann ein herrlich verkaterter Samstag. Und am Sonntag, wenn die Paare spazieren gehen oder eng umschlungen vor dem Fernseher sitzen, werde ich wieder arbeiten. Das ist der Vorteil eines freiberuflichen Singles. Er muss nicht den ganzen Sonntag untätig vor dem Fernseher hocken, um bei alten Schnulzen von einem besseren Leben voller Liebe zu träumen.
Eigentlich geht es mir fantastisch.
»Ich glaube, es ist Zeit für ein paar Gimlets«, rufe ich ausgelassen in die Runde.
Toni rennt sofort hinter mir her, um die Zubereitung der Cocktails zu überwachen. Wir teilen die Leidenschaft für Krimis von Raymond Chandler und für das Lieblingsgetränk seines Privatdetektivs Philip Marlowe. Wir streiten bloß ständig über die angemessene Dosis Lime -Juice, die den Drink perfekt macht.
Als wir mal wieder einen Kompromiss gefunden haben, hilft Toni mir, die Gläser ins Wohnzimmer zu tragen. Hrithik hat inzwischen meine gut versteckte Perry-Como-CD gefunden und »The most beautiful girl in the world« laut aufgedreht. Er strahlt Tanja an. Die beiden sind seit zwei Monaten ein Paar. Davor sind sie Ewigkeiten befreundet gewesen. Ich habe nie verstanden, wie so etwas passieren kann. Man hört zwar immer wieder davon, und »Harry und Sally« ist es schließlich auch so ergangen - aber ich persönlich habe niemals mit einem meiner alten Freunde schlafen wollen. Na ja, mit Peter habe ich geschlafen. Aber gleich im ersten Semester, als wir noch nicht alte Freunde, sondern frische Fremde waren. Da konnte ich schließlich noch nicht wissen, dass er sich einmal als philosophischer Berater selbstständig machen und von einer langen Asienreise eine chinesische Frau mitbringen würde, die seine Sprache nicht versteht, aber Feng-Shui in seine vier Wände bringt.
»Und das hat mir Louisa vor meiner Abreise für dich mitgegeben.«
Grinsend hält er mir noch ein Geschenk hin, das in etwa die Form eines Ufos hat. Ich packe es aus und halte eine kleine Schneekugel in der Hand. Statt weißer Flocken rieselt es allerdings winzige grüne Kleeblätter auf die Miniatur eines irischen Herrenhauses.
»Oh, wie schön«, sage ich und meine es nun tatsächlich ehrlich. Wir haben alle gemeinsam im letzten Jahr einige Zeit in Irland verbracht, um dort unsere Freundin Louisa und ihren Vater zu besuchen. Der hatte nämlich nach der unschönen Trennung von seiner Frau einen Jugendtraum verwirklicht und seinen Arztkittel in Deutschland gegen eine Küchenschürze in Irland eingetauscht. Sein Imbiss dort - in Sichtweite eines Herrenhauses, das genauso aussieht wie das in der Schneekugel - soll fantastisch laufen. Louisa haben wir dann leider auch an die grüne Insel und an Colin verloren, einen zugegebenermaßen bezaubernden Dozenten. In den hat sie sich nämlich unsterblich verliebt. Und auch Peter ist länger geblieben als geplant. Seine philosophische Praxis in Hamburg lief nicht so gut wie erwartet, deswegen hatte er sie eigentlich aufgegeben, um fortan Louisas Vater unter die Arme zu greifen. Aber dann hat er besagte Chinareise unternommen, sich in Liu verliebt und es vorgezogen, sich ihr als philosophischer Berater in Deutschland vorzustellen und nicht als begeisterter Frittenwender in Irland. Er will sie langsam an seine Zweitexistenz heranführen, ist schließlich nicht jedermanns Sache. Frechheit, dass ausgerechnet er mir ein Buch zum Thema »Wahrheit« schenkt. Egal, nicht drüber nachdenken! Begeistert schüttle ich die Schneekugel und vermisse Louisa ganz furchtbar.
»Auf Juli!«, ruft Peter und hebt sein Glas.
»Ja, auf ein wunderbares, neues Lebensjahr, in dem alles in Erfüllung geht, was du dir erträumst«, sagt Tanja und gibt mir einen Kuss auf die Wange, als ich neben ihr aufs Sofa sinke. Nebenbei krault sie Hrithik die Haare, der zu ihren Füßen auf dem Boden hockt - auf einem der seidenen, roten Kissen mit Schriftzeichen, die Peter mir zusätzlich zu dem Buch mitgebracht hat. Die Farbe Rot steht in China angeblich für Glück und Wohlstand, »und da Rot bei uns die Farbe der Liebe ist, kann bei dir eigentlich nichts mehr schiefgehen«, hat Peter kichernd gesagt. Das muss wohl so eine Art postmoderne Fusions-Mystik sein. Das Schriftzeichen wiederum ist die chinesische Zahl Neun, die wohl ewige Freundschaft bedeutet. Da hat er wirklich kunstvoll so viel Bedeutung wie möglich in ein kleines Kissen verpackt - typisch Peter. Aber irgendwie trotzdem süß.
»Darin könnte man auch wunderbar die Asche von Verstorbenen aufbewahren«, sage ich, auf das Kissen deutend, und erzähle von dem Telefonat mit meiner Mutter.
Wie sich herausstellt, ist sie nicht die Einzige, die sich schon ernsthafte Gedanken über ihr Ableben gemacht hat.
»Also, ich möchte verbrannt und nicht von Würmern zerfressen werden«, stellt Tanja fest. Ich bin überrascht. Bei ihrem Öko-Bewusstsein hätte ich darauf gewettet, dass eine korrekte Kompostierung, also die klassische Erdbestattung, viel eher in ihrem Sinne wäre. Hrithik will seine Asche in einer Rakete in den Weltraum fliegen lassen, um seinen kindlichen Traum vom Astronautendasein zumindest nach seinem Tod zu verwirklichen. Tanja gibt sofort bereitwillig ihr Einverständnis, ihre Asche ebenfalls ins Weltall zu schießen. Und Peter will sich in ein künstliches Korallenriff einpflanzen lassen, um damit posthum einen Beitrag an die Meeresbiologie zu leisten.
»Ich weiß aber nicht, ob Fische wirklich philosophische Beratung brauchen«, sagt Toni und lacht.
Peter zieht beleidigt die Augenbrauen hoch. »Freunde, können wir dieses Lästermaul nicht auch einfach in den Weltraum schießen? Am besten jetzt gleich?«, fragt er mit gespielter Verzweiflung.
Toni wirft - immer noch lachend - mit dem Kissen nach ihm. Tanja und Hrithik sehen sich an und verdrehen die Augen. Klar, die beiden sind ja nun dank erhebender Liebe über die Albernheiten ihrer drolligen Freunde erhaben.
»Wieso hast du dich eigentlich von Thomas getrennt?«, fragt Hrithik mich abrupt, als wir alle schon etwas angetrunken sind.
Eine heikle Frage. Die »Feuersbrunst meines Herzens« hat uns sozusagen verbrannt. Das ist der Titel eines üblen Machwerks. Es gibt ein Stadium in Liebesbeziehungen, in dem ich wieder die Romane lese, die ich als Single auch lese, dann aber zumindest nicht verstecken muss. Die, auf deren Cover sich halb entkleidete, weichgezeichnete Pärchen räkeln. Also die billigen Dinger, die mit Vorliebe in der Vergangenheit spielen, als die Männer noch echte Männer und die Frauen noch echte Frauen waren. Einer ehemaligen Germanistikstudentin natürlich unwürdig, bieten sie dafür aber adelige, anfangs leicht distanzierte Herren, denen ein weiblicher Wirbelwind Schloss und Hormone aufmischt. Oder einen Lebemann, den umgekehrt ein strenges, junges Mädchen bekehrt. Außerdem wird darin reichlich Sex geboten, bei dem alle Beteiligten (in diesen Romanen meist nur zwei) genau gleichzeitig und mit einem seligen Seufzer zum Höhepunkt kommen. Das tröstet, wenn man alleine ist. Aber eben auch, wenn man anfängt, sich in einer Beziehung alleine zu fühlen.
Wenn man sich allerdings zu sehr mit der Heldin identifiziert, kann Schlimmes geschehen: Der Typ, der neben einem im Bett schnarcht, erscheint im Vergleich so blass, leidenschaftslos und wenig galant, dass man sich sofort nach einem anderen umsehen möchte. Bei Thomas hatte ich die Empfindung über ein halbes Jahr hinweg jeden Abend, und nichts ließ mehr auf eine rauschende Zukunft hoffen. Danach habe ich die Trennung oft bereut, weil Thomas eigentlich ein netter, zuverlässiger, intelligenter Mann ist. Einer, den sich jede Frau wünscht, die von einer reifen, erwachsenen Beziehung träumt. Aber das alles werde ich nun vor den anderen sicher nicht zugeben.
»Na ja, zuletzt war es eben eher geschwisterlich«, lautet die knappere Variante.
»Da waren Tanja und Hrithik aber raffiniert«, meint Toni, »die haben die Geschwisterlichkeit einfach zehn Jahre lang vorweggenommen. Dann kann ja nur noch ein Leben voller Leidenschaft und grandiosem Sex auf sie warten.«
Tanja wird rot. Und ich schweige lieber, weil ich daran ja nicht glaube. Ich habe mich noch nie in einen Mann verliebt, zu dem ich mich nicht von Anfang an hingezogen fühlte. Ich unterstelle diesen ehemals nur freundschaftlich verbundenen Paaren eher Bequemlichkeit und die Angst vor den unberechenbaren Risiken der freien Wildbahn. Vermutlich machen diejenigen, die von einer Freundschaft in eine Beziehung geschlittert sind, anschließend genauso geschwisterlich weiter, was sie letztendlich von anderen langjährigen Paaren nicht unterscheidet. Die verbindet aber zumindest immer noch die Erinnerung an eine Phase heißer Leidenschaft. Ach, das Leben ist einfach zu kompliziert, die Erwartungen zu hoch. Man sollte Ehen wieder arrangieren, und Frauen von der ohnehin nur lästigen Berufstätigkeit befreien. Dann sind sie abhängiger und können es sich nicht leisten, gutverdienende Männer wie Thomas zu verlassen, die im Grunde alles richtig gemacht haben. Da haben wir nun endlich die neuen Männer, die über Gefühle sprechen und aufmerksam sind, und träumen immer noch von den unterbelichteten Typen aus amerikanischen Altherrenromanen, die ihre Schwiegertöchter flachlegen und ihre Frauen anschweigen. Schwieriges Terrain. Vielleicht sehen meine Freunde das insgeheim genauso, denn wir wechseln rasch das Thema. Ausgehend von der mystischen Bedeutung meines neuen Kissens sind wir plötzlich mittendrin in der lebhaftesten Diskussion über die neue Esoterikwelle. Tanja glaubt an westliche Sternzeichen, Peter an fernöstliche. Hrithik, Toni und ich glauben an gar nichts und machen uns über sie lustig. Ich habe insgeheim ein schlechtes Gewissen dabei. Rein intellektuell lehne ich den neu aufkeimenden Boom natürlich wirklich ab. Und selbstverständlich glaube ich auch nicht ernsthaft an Horoskope. Aber ich lese sie doch zu gerne. Und wenn ich gerade mal einen Partner habe, lese ich den Text für dessen Sternzeichen gleich mit, um dann in helle Aufregung zu geraten, wenn dort eine Tendenz zu Affären oder Abenteuern angekündigt wird. Ekelhaft, dieser ganze Irrglaube.
»Ich möchte, dass es mal wieder ein Roman in die Bestsellerlisten schafft, in dem kein Vampir auftaucht oder die größte Liebe erst im Jenseits möglich ist«, sagt Toni gerade aufgebracht.
»Ja. Und Sachbücher, in denen es nicht ums Pilgern, Ayurveda oder Engel geht«, pflichte ich ihr schnell bei.
»Ich meine«, sagt Toni, »alle Hollywood-Schauspieler sind doch jetzt Buddhisten oder Hindus oder sonst was. Das ist doch absurd. Oder könnt ihr euch umgekehrt vorstellen, dass sich ein hinduistischer Bollywood-Schauspieler plötzlich einen Rosenkranz ums Handgelenk schlingt, Wasser aus Lourdes trinkt und sich dazu - in absoluter Verkennung der Unterschiede der westlichen Religionszugehörigkeiten - Luthers Thesen in dekorativem Tribal-Rahmen aufs Schulterblatt tätowieren lässt?«
Tanja wirft flugs einen Blick auf Hrithiks Hände, als wolle sie nach dem Rosenkranz suchen. Hrithik sieht nämlich fast genauso aus wie sein Namensvetter, der indische Superstar Hrithik Roshan. Unwirklich hübsch für einen Mann. Hellbraune Augen unter langen schwarzen Wimpern und dazu ein paar Zahnreihen, gegen die Tom Cruises Veneers dunkelgelb aussehen. Er ist zwar Jurist, aber selbst meine Mutter würde einem Typen mit diesem Äußeren die spießbürgerliche Berufswahl verzeihen. Ich habe mich allerdings nie zu ihm hingezogen gefühlt. Das wäre so, als würde man sich in Barbies Ken verlieben. Zu glatt, zu perfekt.
Mich beschleicht der Gedanke, dass Toni Recht hat. Anscheinend ist alle Vernunft aus der Alten Welt und ihrem Sprössling, den USA, abgezogen und in die östliche Welt abgewandert. Die bauen jetzt riesige Firmen, Atomwaffen und gigantische Einkaufszentren und verpesten die Umwelt, während wir uns in »Entschleunigung« üben. Eigentlich haben sie uns schon besiegt. Darauf noch einen Gimlet.
»Bringst du mir noch einen mit?«, ruft Toni, als ich aufstehe, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Am Ende sitzen wir alle betrunken am Küchentisch und spielen mein Lieblingsspiel: Schauspieler über fünf Ecken zusammenbringen. Es beruht auf der Theorie, dass alle Menschen auf der Welt über fünf Ecken miteinander bekannt sind. Und weil ich so wahnsinnig viele Filme geguckt habe, kann ich eigentlich alle Schauspieler der Welt über fünf Filme zusammenbringen. An diesem Abend nehme ich die Herausforderung an, auf diesem Wege Franka Potente und Humphrey Bogart zu vereinen. Was mir nach einigem Kopfzerbrechen auch triumphal gelingt. Im Hintergrund singt immer noch Perry Como. In meiner Brust macht sich eine tiefe Zufriedenheit breit. Alkohol ist eine wunderbare Erfindung. Es ist einer von diesen Abenden, an denen man eins ist mit sich und der Umwelt und denkt: Genau dies hier, dieser Moment ist das Leben. Nicht diese übliche Kette von Tagen, die vergehen, ohne dass man es überhaupt bemerkt. An denen man tagsüber grübelt, was eigentlich genau von einem erwartet wird, und nachts, ob man es hinreichend erfüllt hat.
Meine Stimmung am nächsten Morgen ist weniger euphorisch. Ich bin verkatert und habe einen rostigen Geschmack im Mund. Je mehr ich versuche, ihn mit Mineralwasser wegzuspülen, desto schlimmer wird er gemeinerweise. Außerdem fühle ich mich schwach, weinerlich und sentimental. Es ist wohl so eine Art Post-Geburtstagskrise. Ich vermisse die gute alte Zeit, in der man selbst Anfang zwanzig und die Welt voller vermeintlicher Gewissheiten war: Mit dreißig würde man natürlich Haus, Mann und Kinder haben. Aber bis dahin war ja zum Glück noch so unendlich viel Zeit, dass man vergnügt vorgeben konnte, so etwas unglaublich Ödes niemals zu wollen. Niemals würde einen das Leben der Erwachsenen erwarten, in dem Ehemänner ihre Frauen betrügen und Freundinnen schwanger werden.
Und plötzlich kommt eine Einladung zum Klassentreffen, bei der man zunächst vermutet, die Absender hätten sich vertan. Man kennt keinen Namen auf der Liste. Dann fällt einem auf, dass die Frauen einfach nur andere Nachnamen haben. Nur ich heiße noch so wie beim Abitur: Juli Sommer. Wieso ist der Übergang so schleichend, warum gibt es keinen Punkt, an dem man vorgewarnt wird: Jetzt wird's ernst. Wieso ist das Leben so grausam? Wieso muss man plötzlich aufwachen, mitten im »echten« Leben stecken, in dem die Fenster der Möglichkeiten immer kleiner werden? Wieso? Wieso kann man nicht mehr Rockstar, Schauspielerin oder Archäologin werden? Das wäre doch alles mal drin gewesen. Mist, dies wird wieder so ein vergrübelter Tag. Vermutlich werde ich am Nachmittag erschöpft einschlafen, mich abends noch zerstörter fühlen, dafür dann aber gar nicht mehr schlafen können.
Das Telefon klingelt. Ich bin einfach zu wehrlos. Obwohl ich ganz genau weiß, dass es am Samstagmorgen nur meine Mutter wagt, mich anzurufen, gehe ich an den Apparat.
»Na, wie fühlt man sich mit dreiunddreißig?«, fragt sie. »Schwach«, erwidere ich und merke erschrocken, wie abweisend ich klinge.
»Hast du wieder zu viel gefeiert? Ich bin ja abends meist zu erschöpft, um etwas zu unternehmen. Aber so ist das wohl, wenn man Verantwortung für einen Haushalt trägt, für einen Mann sorgt und zwei Kinder großgezogen hat.« Sie seufzt.
Oh nein, bitte nicht. Sie ist in Leidensstimmung, das erkenne ich sofort. Es gibt Tage, an denen ich sie fast normal finde. Und es gibt Tage wie diesen, an denen sich die eindeutig schizophrene Tendenz in ihrem Charakter nicht leugnen lässt.
An einem Tag vergisst sie ihre Kinder völlig, um im von Papas Geld finanzierten Nobelkostüm immer noch den Hippie im Geiste zu spielen und sich obskuren Selbstfindungstrips hinzugeben. Dann wieder hat sie diese weichgespülten Phasen, in denen sie so tut, als sei sie schon immer der aufopferungsvolle Muttertyp gewesen, der in weißer Baumwollschürze pausenlos duftenden Apfelkuchen und sonntags Rouladen serviert. Eine von denen, die ihres Lebenssinns beraubt werden, wenn die Kinder ausziehen. Und, was soll ich sagen: Es funktioniert hervorragend. Ich bekomme sofort Schuldgefühle und vergesse glatt, dass ich mir nach der Schule immer selbst Tiefkühlkost - wenn denn überhaupt welche da war - zubereiten musste, weil meine Mutter in anderen Sphären schwebte und nicht wirklich Zeit für so profanes Zeug hatte. Irdischer Pragmatismus und totale Transzendenz können bei ihr schneller wechseln als das Wolkenbild an stürmischen Tagen.
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Autoren-Porträt von Jana Seidel
Jana Seidel wurde 1977 in Hannover geboren. Nach ihrem Studium in Kiel volontierte sie bei einer Tageszeitung. Anschließend schrieb Jana Seidel zwei Jahre als freie Journalistin für diverse Medien. Mittlerweile lebt sie in Hamburg und arbeitet in einer Zeitschriftenredaktion.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jana Seidel
- 2012, 284 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442476372
- ISBN-13: 9783442476374
- Erscheinungsdatum: 15.02.2012
Rezension zu „Eigentlich bin ich eine Traumfrau “
"Wunderbar witzige Komödie" Clivia
Pressezitat
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