Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will
Zu Besuch in Afghanistan
Kennen Sie dieses Gefühl von schwebender Unwirklichkeit zwischen Aufwachen und Augenaufschlagen? Man wacht auf und hat das Gefühl, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will “
Kennen Sie dieses Gefühl von schwebender Unwirklichkeit zwischen Aufwachen und Augenaufschlagen? Man wacht auf und hat das Gefühl, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird?
Dann lacht man kurz, denkt sich: Was bist du für ein Schwachkopf!
Und dann schlägt man die Augen auf, um zu sehen, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird! Und genau dort ist Kurt Krömer auf Einladung der dort stationierten Bundeswehrsoldaten gewesen, in einer der gefährlichsten Krisenregionen der Welt. Später folgte noch eine zweite Reise nach Kabul, um das Leben der Einwohner dieser geschundenen Stadt kennenzulernen. Zusammen mit Tankred Lerch hat Kurt Krömer einen ganz unerwarteten, atemberaubenden Reisebericht über Afghanistan geschrieben, der weit über das Bild hinausgeht, das wir aus den Medien gewohnt sind.
Dann lacht man kurz, denkt sich: Was bist du für ein Schwachkopf!
Und dann schlägt man die Augen auf, um zu sehen, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird! Und genau dort ist Kurt Krömer auf Einladung der dort stationierten Bundeswehrsoldaten gewesen, in einer der gefährlichsten Krisenregionen der Welt. Später folgte noch eine zweite Reise nach Kabul, um das Leben der Einwohner dieser geschundenen Stadt kennenzulernen. Zusammen mit Tankred Lerch hat Kurt Krömer einen ganz unerwarteten, atemberaubenden Reisebericht über Afghanistan geschrieben, der weit über das Bild hinausgeht, das wir aus den Medien gewohnt sind.
Klappentext zu „Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will “
Eine Reise weit heraus aus der Komfortzone - bei der Kurt Krömer mehr gelernt hat als andere auf dem Jakobsweg.Dieses Buch ist ein Ereignis. Der Komiker und ARD Late-Night-Talker Kurt Krömer ist bekennender Pazifist und anerkannter Wehrdienstverweigerer. Doch als sich die deutschen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gerade von ihm einen Auftritt zur Truppenunterhaltung wünschten, sagte er spontan Ja.
Von dieser Reise in eine der gefährlichsten Krisenzonen der Weltpolitik berichtet Kurt Krömer in seinen Aufzeichnungen - eine Reise, der dann sogar noch eine zweite Reise folgte, um neben dem Alltagsleben der deutschen Soldaten das Leben in der Hauptstadt Kabul kennenzulernen.
Das Sensationelle dieses Berichts liegt im Aufeinandertreffen von Komik und Tragik, von scharfem Witz, genauer Beobachtung und der allgegenwärtigen Bedrohung, der die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan jederzeit ausgesetzt sind.
Entscheidend ist, dass Kurt Krömers trockener Humor nie zynisch ist, sondern es regelrecht befreiend wirkt, wenn er auf seine unnachahmliche Art die überall lauernden Gefahren beschreibt und die Soldaten und Soldatinnen portraitiert, auf die er dort getroffen ist und die ihn mit offenen Armen empfangen haben.
Lese-Probe zu „Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will “
Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will von Kurt Krömer und Tankred Lerch Anreise
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Wenn man vom Flughafen Köln/Bonn aus mit der Luftwaffe nach Afghanistan fliegen möchte, ist das schon ein Unterfangen an sich. Man muss nämlich zuallererst auf den militärischen Teil des Flughafens gelangen. Hier sieht man mustergültig, dass militärische Geheimnisse in Deutschland durchaus bewahrt werden können. Denn niemand kann uns sagen, wie wir dorthin kommen. Die beste Antwort gibt es von einem blonden Engel an der Airport- Info: Außen rum.
Aha! Über das Rollfeld, oder was?
Selbst Kölns Taxifahrer haben keine Ahnung. Im Nachhinein ist mir auch klar, wieso. Die Tour ist für sie nicht gut. Man muss tatsächlich von außen einmal um das halbe Flugplatzgelände herumfahren und landet dann bei knapp zehn Euro auf dem Taxameter. Aber einer von hundert Taxifahrern am Flughafen lässt sich dann doch herab und erweist uns die Ehre, seiner Beförderungspflicht nachzukommen. Einzige Bedingung: Das sofortige Starten des Taxameters. Und bei der Größe unserer Truppe wird ihm das mehr Gewinn einbringen als ein durchschnittliches Rubbelfix- Los, denn mein Manager Pino ist irgendwo im Flughafen auf der Suche nach Kippen verloren gegangen, und Peter Kümmel, der Journalist der ZEIT, versucht eine Winterjacke mit Fellkragen in seinem Koffer zu verstauen. Der Koffer ist so riesig, dass man darin eine Kita eröffnen könnte. Peter hat ihn allerdings so gut befüllt, dass darin nicht einmal mehr Platz für seine Jacke ist.
Was will er eigentlich mit so einer Felljacke? Wir fliegen doch nach Afghanistan und nicht an den Nordpol. Und was will er überhaupt mit den ganzen Klamotten? Will er länger bleiben als wir? Vielleicht hat er auch seinen Fotografen darin versteckt, denn der ist der Einzige, der noch nicht hier ist.
Apropos Fotograf, wo ist eigentlich meine Kamera?
Ich habe sie nicht mehr bei mir. Ich habe sie drinnen vergessen. Aber in welchem Drinnen? Drinnen im Flugzeug? Drinnen im Terminal? Wenn Terminal, dann welcher Terminal? Köln oder Berlin? Ich werde wahnsinnig. Jetzt fällt es mir wieder ein. Haupthalle Tegel. Super. Ich rufe Pino an und bitte ihn, die Hotline des Flughafens anzurufen. Na ja, denke ich, dann habe ich jetzt schon mal ein Ziel, falls ich heil nach Hause zurückkommen sollte: meine Kamera wiederbeschaffen. Ich würde mir am liebsten selbst in den Hintern treten.
Ich schaue mich um. Ich habe ein Dreamteam um mich versammelt. Da wären meine Managerin Kleo (Pino ist immer noch nicht aufgetaucht), mein Realisator Tankred, der einen Pulli mit der Aufschrift Koksen ist achtziger trägt (auch eine sichere Bank, um schnell durch jede Zollkontrolle zu kommen), Herr Kümmel und sein Fotograf (den wir ebenfalls noch vermissen) sowie ein Kamerateam, bestehend aus zwei Mann. Kamera und Ton.
Das Kamerateam verhält sich vorbildlich. Beide sind freundlich, ruhig und bieten mir Schokoriegel und Haferkekse an. Da ich im Flugzeug von Berlin nach Köln das Pappbrötchen verschlafen habe, nehme ich beides dankend an.
Der Taxifahrer hat jetzt telefonisch einen Verwandten erreicht, der bereit zu sein scheint, ihm den Weg zum Militärflughafen zu beschreiben. Er sieht nicht amused aus.
Wir nutzen die Wartezeit, um drei Zigaretten nacheinander zu rauchen. Dabei beobachten wir, wie der Taxifahrer Kleo dabei beobachtet, wie sie das schwere Gepäck in seinen Wagen lädt.
Ich habe mich vorher schlaugemacht. Aus unserem Team haben zwei gedient: Pino, mein Manager, war beim Musikkorps, und bei Tankred, meinem Realisator, gab es während des Wehrdienstes irgendwelchen Ärger mit Haschisch. Nach eigener Aussage war er aber wohl entweder unschuldig oder wurde freigesprochen. Die anderen haben verweigert oder sind ausgemustert worden. Und ich, ich bin Totalverweigerer. Mir wird klar, wir brauchen keinen Hinterhalt zu befürchten. Wir sind bereits einer.
Pino kommt zurück. Der Geldautomat war kaputt. Und wegen meiner Kamera, da würde man ihn - falls man sie findet - anrufen. Alles klar, denke ich, das Ding ist also für immer weg.
Zigaretten hat Pino in der Eile vergessen zu kaufen. Er raucht eine von meinen und beobachtet uns, wie wir den Taxifahrer beobachten, der immer noch Kleo beobachtet, die nun den letzten Koffer in den Wagen gehoben hat. Warum hilft ihr denn keiner, denke ich, und zünde mir noch eine Zigarette an.
Wir steigen ein. Das Taxameter steht bei sechsunddreißig Euro. Bei dreiundvierzig achtzig halten wir wieder an. Wir sind da. Der Militärflughafen Köln-Wahn. In der Mitte der Wartehalle steht ein Hippie mit Haaren bis zum Hintern und einer Piloten- Sonnenbrille, die sich in seinen Haaren verfangen hat. In seiner Mähne könnte man die halbe Auslage eines durchschnittlichen Optikergeschäftes verstecken. Er winkt uns zu. Es ist Christian, der Fotograf der ZEIT. Jetzt sind wir komplett und bereit für das Spiel Passlotto, wer hat ihn heute vergessen?. Die Antwort ist einfach: Keiner, weil Kleo vor Reisebeginn alle Pässe an sich genommen hat.
Jetzt wird es ernst.
Die Wartehalle besteht aus Glas und Stahl. Das Gebäude ist voller Soldaten. Angehörige und andere Zivilisten sind in der absoluten Unterzahl. An diesem Morgen gehen vier Flüge raus. Unser Flug geht nach Termez in Usbekistan. Ab da soll es mit der Transall erst nach Mazar- e Sharif und dann nach Kabul weitergehen. Dort dann entweder per Hubschrauber oder Konvoi. Das wissen wir noch nicht. Unser Flieger ist der dritte. Wir haben noch Zeit für ein paar Zigaretten und einen Kaffee. Der Kaffee kostet nur neunzig Cent, schmeckt aber wie zwanzig. Die Uniformen der Soldaten sind alle gleich. Unterscheiden tun sie sich nur durch die Rangabzeichen auf den Schultern. Das zivile Prinzip »Keiner ist besser angezogen als der Chef« wird somit außer Kraft gesetzt. Das ist selten. Außer bei der Bundeswehr geht das nur bei Angela Merkel und Sido. Aber die geben ihren Leuten auch kaum eine Chance.
Dann ist es so weit: Passkontrolle, Gepäckaufgabe und Röntgen des Handgepäcks. Unser Flieger ist ein Airbus A310 - 300 und er ist gut besetzt.
Anstatt des üblichen Bordmagazins liegt eine Ausgabe von Y - Das Magazin der Bundeswehr in der Sitztasche vor einem aus. Das ganze Heft ist ein einziger Werbeprospekt für die Bundeswehr. Ich sehe mich um, doch niemand blättert darin, außer mir.
Wir fliegen unter anderem über die Grenze zwischen Kasachstan und Usbekistan. Von oben sieht es aus, als würde man Mittelerde in Richtung Auenland überfliegen. Oder als ob Kinder eine Landschaft für eine Modelleisenbahn gebaut hätten. Das eine Kind ein prachtvoller Tausendsassa aus gutem, liebevollem Elternhaus und das andere ein depressives Heimkind.
Nach ca. fünf Stunden landen wir in Usbekistan auf dem Flughafen von Termez. Der Kapitän ist vom Rang her Major. Das weiß ich, weil er es sagt. Er bedankt sich bei allen Gästen und bittet uns sitzen zubleiben, bis wir aufgerufen werden. Da der Flieger voll besetzt ist, kann das hier wohl dauern, denke ich mir. Doch beim Aussteigen gibt es Promibonus. Allerdings nicht für mich, sondern für einen Staatssekretär aus dem Bundesministerium der Verteidigung. Er darf als Erster aussteigen. Die Soldaten freuen sich über seine Anwesenheit ungefähr so wie die spanische Regierung über die Ratingagentur Moody's. Unsere kleine Reisegruppe kommt aber auch recht bald dran, wir werden an der Gangway von Feldwebel Thea empfangen. Dass sie Feldwebel ist, weiß ich, weil sie es sagt. Im Verlauf unseres Aufenthalts wird uns auffallen, dass Militärs sich stets und prompt mit Rang und Namen vorstellen. Thea erklärt uns zunächst das Notwendigste dessen, was wir hier in Termez wissen müssen: Folgen und Aufsitzen. Folgen heißt Folgen und Aufsitzen bedeutet, in einen camouflagefarbenen VW-Bus einzusteigen. Die Pässe behält sie.
Um das Gepäck brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, sagt Feldwebel Thea. Klar, das sagen sie bei Airberlin auch immer. Und dann hat man die zweihundert Euro Gebühr für achtzig Gramm Übergepäck umsonst bezahlt, weil der Koffer auf Mallorca ist und man selbst in Buenos Aires. Es gibt hier aber viel zu viel zu sehen, um sich lange darüber aufzuregen. Stahl, Beton und Stacheldraht. Schön ist es nicht, und die Sonne geht hier in Usbekistan schneller unter als die FDP in Deutschland. Man möchte meinen, selbst die Dunkelheit kommt zackig. Feldwebel Thea zeigt uns noch kurz, wo es nachher Abendessen gibt, und schickt uns dann auf den Marktplatz.
Marktplatz? Ja, sagt sie, das würde nur so heißen und wäre genau dort, wo wir jetzt gerade stehen. Aha. Also bleiben wir stehen und rauchen an Ort und Stelle die ersten vier Zigaretten nach dem Flug. Es ist nicht übermäßig heiß. Nur sehr warm.
Kurze Zeit später treten alle Soldaten in Uniform auf dem Marktplatz an. Jede Gruppe hat vorhin beim Aussteigen eine Farbe genannt bekommen, und wenn die betreffende Farbe aufgerufen wird, darf die Gruppe zu dem von ihr aufgegebenen Gepäck gehen. Unsere Gruppe hat Grün. Oder Braun. Oder Grau. Da gehen die Meinungen auseinander. Wir gehen einfach bei Rot mit, und keiner protestiert. Thea bringt uns zu unserem Container. Die Containerbehausungen sehen so aus wie die Geschäftsstelle des FC St. Pauli.
Es gibt eine Containerkolonie mit Waschräumen und Toiletten und eine andere mit Schlafräumen. In den Zimmern gibt es Klimaanlagen und frischbezogene Betten. Kleo und ich bekommen Einzelzellen. Der Rest kommt in eine Gruppenzelle. Ich bin überzeugt, wir haben es besser als ihrerzeit die RAF.
Wir stellen unser Handgepäck hinein und machen uns auf den Weg zum Essensraum. Dafür muss man einmal durch das gesamte Camp marschieren, aber es lohnt sich: In einem großen Saal gibt es Pizza, Salat, Obst, Brot, Käse, Wurst und diverse Getränke. Alles deutlich über Jugendherbergsniveau.
Wir essen alle zusammen. Ein Kontakt zu den Soldaten hat sich noch nicht ergeben. Mein Kameramann scheint entweder schwerhörig oder unhöflich zu sein. Obwohl ich ihn mehrmals laut und deutlich mit Carsten anspreche, scheint er nicht zu reagieren. Viel später erfahre ich, dass er Marc heißt.
Nach dem Essen rauchen wir ein paar Zigaretten und gehen dann dahin, wohin auch alle anderen gehen. In die Kneipe im Camp, Area 51. Kein Witz! Die heißt wirklich so.
Doch anstatt Außerirdischer gibt es hier nur deutsche Soldaten. Die Area 51 sieht aus wie ein Vereinsheim in Tarnfarben. Lounge-Sessel und Sofas, ein Kicker, ein langer Tresen, ein DJ-Pult, eine Fernsehecke und überall Bilder mit Rangabzeichen. Es ist klimatisiert, und ein Bier kostet zwischen siebzig und neunzig Cent. Die Regel lautet: jeder Soldat darf nicht mehr als zwei kleine Dosen Bier pro Tag trinken.
Es könnte sich hier auch um ein Fest im Vereinshaus einer Kleingartenkolonie handeln. Nichts weist daraufhin, dass man sich fernab der Heimat befindet. Hier erinnert nichts an Krieg. Ein Ort der absoluten Ablenkung. Ich kaufe mir eine Schachtel Zigaretten zu eins zwanzig, gehe nach draußen und zünde mir eine an.
Ich merke, dass mich einige Soldaten erkennen. Aber sie sind sehr höflich und kommen nicht einfach an meinen Tisch gestürmt, sondern machen das sehr gesittet und freundlich. Alle freuen sich darüber, dass wir diese Tour hier machen, und sagen das auch ganz deutlich. Schnell haben wir eine Gruppe von Soldaten um uns versammelt und unterhalten uns. Mit am Tisch stehen zwei Stabsärzte. Einer hat den Rang eines Hauptmanns, einer den eines Majors. Das weiß ich, weil sie es gesagt haben. Der eine ist Zahnarzt und fliegt das erste Mal nach Afghanistan. Der andere operiert Verwundete. Da horchen wir auf. Ach ja, es gibt ja auch Verwundete. Wir befinden uns schließlich in einem Kriegsgebiet.
Kennen Sie dieses Gefühl von schwebender Unwirklichkeit zwischen Aufwachen und Augenaufschlagen? Man wacht auf und hat das Gefühl, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird?
Dann lacht man kurz, denkt sich: Was bist du für ein Schwachkopf! Und dann schlägt man die Augen auf, um zu sehen, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird!
Na dann mal los. Ich mache mich auf zum Körperpflegecontainer. Auf dem Weg dorthin werfe ich einen Blick auf meine Klamotten von gestern, die gleichzeitig auch die einzigen zur Verfügung stehenden Klamotten für heute sind. In diesem Moment beschließt man, dass Sprühen das neue Duschen ist, putzt sich nur die Zähne und deodorisiert den Rest.
Aprilfrischgesprüht mache ich mich auf den Weg zum Frühstückssaal.
Es ist morgens schon recht warm. Ich schwitze meine Klamotten bereits auf dem Weg zum Frühstückssaal ein. Dort ist direkt am Eingang eine ganze Reihe mit Waschbecken aufgestellt. Das ist mir gestern schon aufgefallen. Hygiene wird hier ganz großgeschrieben.
Mein Frühstück besteht aus frischem Rührei, frischen Brötchen und frischem Obst. Damit rangiert die Bundeswehr, was das Frühstück angeht, schon über der Hälfte aller Hotelketten.
An einem Tisch sitzt mein Realisator Tankred und unterhält sich mit einem Oberstleutnant. Der Oberstleutnant gehört zu den Pionieren. Er will alles über unsere Reise und meine Auftritte wissen und fragt uns dann, was die Menschen in unserem Umfeld über unsere Reise so gesagt haben. Ich erzähle ihm, dass ich vor meiner Abreise nach Afghanistan deutlich gespürt habe, dass man von Leuten anders als sonst verabschiedet worden ist. Mein Steuerberater zum Beispiel hat mich beim letzten Treffen in den Arm genommen und mich fest gedrückt. Die Leute haben einen behandelt, als ob man schon tot wäre. Das ist hier wohl das erste Vorurteil, das man abbauen kann. Man wird nicht sofort erschossen, sobald man afghanischen Boden betritt. Es ist ein Kriegsgebiet, von daher nicht ungefährlich, aber man steht hier auch nicht unter ständigem Beschuss.
Der Oberstleutnant weist uns noch darauf hin, dass gleich als Nächstes der Flug mit der Transall von Termez nach Mazar-e Sharif ansteht, von da aus würde es dann mit Fahrzeugen in das erste Camp nach Kabul weitergehen. Er sagt, das Phantasialand sei ein feuchter Schiss gegen so einen Flug mit einer Transall.
Wir verabschieden uns von ihm und rauchen vor dem Gebäude die ersten drei Zigaretten des Tages. Tankred, der in Köln lebt, schaut mich an und sagt Et hätt noch immer jot jejange!
Ich lächle und erinnere ihn nicht an das Kölner Stadtarchiv und den U-Bahn-Bau.
Wir stehen mit gepackten Taschen zwischen dem Körperpflege- und dem Schlafcontainer neben einem Oberstleutnant. Er hat einen Militärrucksack und ich eine braune Ledertasche. In meiner Ledertasche sind alle meine wichtigen Dokumente. Zum Beispiel mein Programm und der Drehplan für die nächsten Tage. Der Herr Oberstleutnant ist der Kommandeur eines Nachschubbataillons in Mazar- e Sharif. Da fliegt er immer mal wieder hin, um nach seinen Jungs zu schauen, wie er sagt. Ist quasi so eine Art Dienstreise, sagt er, die er ein- bis zweimal im Monat macht. Der Herr Oberstleutnant würde rauchtechnisch gut in unsere Gruppe passen. Er raucht auch lieber zwei oder drei Zigaretten nacheinander. Wer weiß, wann es die nächste gibt.
Mein Realisator und der langhaarige Fotograf kommen dazu. Ich schaue mich um. Ansonsten stehen nur Soldaten auf dem Marktplatz.
Feldwebel Thea ruft die Gruppe Schwarz zum Einchecken in die Transall. Ich gebe den anderen ein Zeichen, dass wir diesmal so tun, als ob wir zu Schwarz gehören. Ich habe gesehen, was der Herr Oberstleutnant alles in den Taschen hat, und keine Lust, am Check-in zu warten, bis er das alles ausgepackt hat.
Wir werden über das Rollfeld gefahren. Der Check-in- Posten für die Transall besteht aus zwei großen Kisten. Aus der einen bekommt man einen Stahlhelm gereicht, aus der anderen eine bombensichere Splitterschutzweste. Der Kamerad an der Helmausgabe grinst mich an. Na, Krömer! Jetzt geht's los, was?
Ja, denke ich, jetzt geht's los, Krömer. Wenn man der Meinung ist, dass der Auftritt einer hundertköpfigen Blaskapelle, die auf einem Sechzehn- Tonner transportiert wird, laut ist, dann ist eine Transall sehr laut. Selbst wenn sie noch steht. Weil der Helm nur unangenehm und schwer ist, aber nicht bis über die Ohren geht, werden noch Ohrenstöpsel verteilt. Dann ziehen wir unsere Westen an. Sie wiegt 18 Kilogramm und trägt sich so bequem wie ein in Blei gegossener Dackel, der einem um den Oberkörper geschnallt wird. Interessant ist, dass nur wir Zivilisten die Weste im Flieger tragen sollen. Die Soldaten hingegen tragen ihre Westen nur über dem Arm. Fallschirme bekommen wir nicht. Was bringen dann die Westen? Im Ernst: Wenn wir in der Luft abgeschossen werden, dann schützt mich die Weste ja wohl nicht vor dem Aufprall auf den Boden aus dreitausend Meter Höhe. Der Helm schon eher, der wirkt stabil. Und die Lederbändchen, die ihn unterm Kinn fixieren, saugen den Schweiß ganz gut auf. Ich müsste also im Fall der Fälle darauf achten, dass ich möglichst auf dem Kopf lande. Oder auf der Tasche. Aber eigentlich will ich gar nicht abgeschossen werden. Die anderen auch nicht. Der Kameramann Carsten macht seine Weste nicht einmal zu. Die Klettverschlüsse baumeln an ihm herunter. Er war schon zweimal in Afghanistan und hat dort für die ARD gedreht, ein alter Hase. Ich würde auch gerne lässig die Weste öffnen, aber ich weiß nicht, wie das geht. Und außerdem fürchte ich mich ein wenig davor.
Ein Soldat hält eine kurze Rede. Ich verstehe aber nichts, weil ich schon die Ohrenstöpsel in den Ohren habe. Wir steigen ein. Beim Einsteigen stolpere ich über die Ketten, an denen das Gepäck festgezurrt ist.
Pass auf, sagt mein Manager, das hat er doch eben gesagt!
Ich werde auf eine Stoffsitzbank an der Flugzeugwand gedrückt und setze mich. Es ist unglaublich laut. Es riecht nach Öl, Kerosin und Schweiß. Ich glaube, hauptsächlich nach meinem Schweiß. Ich kann mich nicht bewegen. Mein Helm rutscht, und unter der Weste juckt es unglaublich. Was mache ich hier?
Im Gegensatz zu früher weiß ich heute: Eine Transall ist ein Flugzeug und kein Raumschiff. Es ist ein Bundeswehrflugzeug, mit dem Waffen und Menschen transportiert werden. Mit meinem Helm, der von oben drückt, und der Weste, die von unten hochrutscht, fühle ich mich wie jemand, dem man ein zu enges Aquarium über den Kopf gestülpt hat und der dabei Flüssignahrung eingeflößt bekommt, der dadurch aufquillt und immer dicker wird und der nicht einmal mehr lachen kann, weil es zu wenig Platz für das fette Gesicht gibt. In einer Transall gibt es weder Tomatensaft noch süß oder salzig. Die Stewardess ist ein Soldat, der hier Lademeister heißt und einen Scheiß darauf gibt, ob man angeschnallt ist oder nicht. Ich bin angeschnallt. Aber das ist nicht das Verdienst der Bundeswehr, sondern schlicht und einfach Glück.
Mir gegenüber sitzt mein Team. Sie sehen aus wie gesprengte Mainzelmännchen. Ich will mich nicht sehen, aber es ist schon zu spät. Christian, der Fotograf, hat mich im Visier. Und bevor ich protestieren kann, blitzt es auch schon.
Ich muss daran denken, ihm in der Nacht die Speicherkarte zu klauen und sie zu vernichten. So soll mich keiner sehen, so lange ich lebe.
Doch wenn es so weitergeht, dann wird diese Zeitspanne nicht mehr allzu groß sein.
Ich versuche meine Beine auszustrecken. Das geht nicht, weil direkt vor mir das Gepäck der Soldaten verzurrt ist. Es sind nur noch wenige Minuten bis zur Landung in Mazar- e Sharif, der aus Funk und Fernsehen bekannten Ortschaft. Wenn über Mazar- e Sharif berichtet wird, sieht man allerdings keine Strandbilder und dicken Urlauber, die sich darüber beklagen, dass Kakerlaken auf den Zimmern sind und der Spießbraten nicht wie in Deutschland schmeckt. In diesem Fall sieht man in den Beiträgen immer nur Soldaten, Panzer und Zelte.
Die Maschine setzt zur Landung an. Im Steilflug geht es nach unten. Mir wird schlecht. Der Lademeister grinst mich an. Er sagt etwas. Ich glaube Na, Krömer! Alles gut? Durch die Ohrenstöpsel hört es sich aber an wie Na, Oma! Biste tot?
Peter Kümmel
Der Innenraum des Propellerflugzeugs hat etwas von einer verdunkelten, grün verhängten Höhle, fast könnte man ihn für eine Theatergarderobe halten. Zumindest nun, wenn man neben Krömer sitzt, denn Krömer hat eindeutig etwas Theaterhaftes an sich. Er trägt einen Tropenanzug und darüber eine schusssichere Weste; auf dem Kopf hat er einen Schutzhelm; er trägt gleich zwei Kostüme übereinander, sein privates, in dem er diese Afghanistan- Reise unternimmt, und darüber das Kostüm des Krieges. Und er ist umgeben von Menschen in Kostümen. Sehen wir uns um: Überall Männer mit Kampfanzug, Schutzweste und Sonnenbrille, kurz geschorenen Köpfen, hochgeschnürten Stiefeln, Gewehren zwischen den Knien - Verkleidete, die hier ganz andere Rollen spielen als zu Hause.
Links neben mir sitzt ein älterer, erschöpfter Ingenieur aus Massachusetts, der für die Stromversorgung in den amerikanischen Einrichtungen zuständig ist. »Summer is fighting time«, sagt er mir. »Die Frühjahrsoffensive ist ausgefallen, die Taliban waren mit der Mohnernte beschäftigt. Aber der Sommer wird fürchterlich werden.«
Plötzlich fliegt die Transall durch eine Wolke voller flimmernder Sonnenreflexe, es ist eine Art Feuerwerk hoch über dem Hindukusch. Wir wurden vor dem Start darauf vorbereitet: Das sind sogenannte Flares, Täuschkörper aus Magnesium und Staniol, die von unserer Maschine stammen. Sie sind dazu da, feindliche Lenkraketen abzulenken.
Nach etwa einer Stunde setzen wir zum Sinkflug an, was sich durch jähe Stille ankündigt: Die Propeller ersterben, das Flugzeug kippt pfeifend in die Tiefe. Warum? Der Steilflug bietet die geringste Angriffsfläche, und er kühlt die Rotoren, sodass Thermogeschütze kein Ziel finden. Es ist ein Höllensturz. Die Landung allerdings ist die weichste, die man sich vorstellen kann.
Zehn Uhr morgens. Ortszeit. Mazar- e Sharif. Das Rührei sitzt. Noch.
Ich denke darüber nach, wie jemand mit einer Flugabwehrrakete auf die Transall zielt und abdrückt.
Warum mir solche Visionen immer wieder im Kopf umherschwirren, weiß ich nicht. Vielleicht ist es die überschäumende Fantasie eines Künstlers. Im Ausmalen von Horrorszenarien bin ich ganz gut. Bei ganz normalen Inlandsflügen zum Beispiel stelle ich mir manchmal vor, wie die Maschine in der Mitte auseinanderbricht, wie ich dann durch den Sog nach draußen katapultiert werde und ins Meer falle, in dem ich dann ertrinke. Ich weiß, dass solche Visionen nur bedingt hilfreich sind, aber ich kann es nicht abstellen.
Ich schaue mich um. Die Soldaten an Bord sind guter Dinge. Sie reden und lachen. Wir setzen so sanft auf, wie Wladimir Klitschko einen Gegner zu Boden schlägt. Die erste Etappe des Tages ist geschafft. Wir sind in Mazar- e Sharif gelandet. Und wir leben noch. Ab hier wird uns ein Presseteam der Bundeswehr begleiten, und wir dürfen auch endlich die Kameras rausholen und drehen. Ich steige aus dem Flieger. Die Luft schmeckt salzig. Das liegt aber in erster Linie daran, dass mir der Schweiß von der Stirn direkt in den Mund läuft. Ich verschließe ihn mit einer Zigarette und folge den anderen.
Eine Soldatin stellt sich vor. Es ist Oberleutnant Kerstin. Sie kümmert sich um die Presse vor Ort. Für Peter Kümmel ist sie Gold wert. Sie befreit ihn von seiner fellbesetzten Winterjacke und verspricht ihm, dass er sich diese am Tag der Abreise wieder bei ihr abholen kann. Kerstin gibt uns zu trinken und weist uns eine Raucherecke zu. Da dürfen wir aber noch nicht hin. Erst müssen wir unser Gepäck von einer Palette holen, es identifizieren und auf die Palette daneben stellen. Dann sammelt Oberleutnant Kerstin unsere Pässe ein und geht damit weg. Jetzt können wir rauchen. Es ist unheimlich warm in Mazar- e Sharif. Wir rauchen eigentlich schon mehr aus unseren Hemden als aus dem Hals.
Überall um uns herum geschieht das Gleiche. Soldaten steigen aus Flugzeugen, laden ihr Gepäck um oder aus und wuseln durcheinander. Andere Soldaten wiederum bewachen das Ganze. Es sind jetzt nicht mehr ausschließlich deutsche Soldaten, die wir hier sehen, sondern ein Mix aus verschiedenen Nationen. Die Uniformen sehen alle ähnlich aus, unterscheiden sich lediglich durch die Muster. Wie bei den Zebras. Im Moment sehen für mich die Gesichter aller Uniformierten auch noch aus wie bei den Zebras.
Es ist laut. Ständig starten und landen Maschinen. Zwei Soldaten kommen auf uns zu. Beide sehen aus wie gemalt. Einer ist etwa Mitte dreißig, dicke Sonnenbrille, dicke Arme, breiter Gang und kein Muskel in seinem Gesicht, der sich rührt. Er trägt Pistole und Gewehr bei sich. Der andere sieht in seiner Kampfuniform aus wie frisch aus dem Ei gepellt. Er ist Fregattenkapitän und der für uns zuständige Presseoffizier. Für die Zeit unserer Reise ist er unser Kindermädchen. Aber warum Fregattenkapitän? Was sucht ein Kapitän in der Wüste? Vielleicht ist er hier in Afghanistan, weil sein Schiff versenkt worden ist? Im Gegensatz zu ihm finde ich diese Frage auch nicht blöd. Aber er erklärt es mir. Er kommt von der Marine. Da hat man andere Titel.
Jetzt sind wir also in Mazar- e Sharif. Wir fragen Fregattenkapitän Roland, ob wir hier auf dem Flughafen drehen dürfen. Das sei prinzipiell in Ordnung. Wir hätten, so lange er dabei sei, eine grundsätzliche Drehgenehmigung für die deutschen ISAF-Kräfte. Aber auch er müsse vor Ort immer noch alle anwesenden Soldaten fragen, ob sie mit dem Dreh einverstanden sind.
Denn jeder deutsche Soldat hat, so erklärt uns der Fregattenkapitän, wie jeder andere Bürger der Bundesrepublik Deutschland ein Recht am eigenen Bild. Deshalb müssen wir jeden fragen, der auch nur zufällig durchs Bild läuft oder laufen wird, ob er einverstanden ist.
Das Kamerateam ist parat. Wir könnten loslegen, aber Fregattenkapitän Roland muss nochmal los. Er sagt nicht wohin, aber da, wo er hingehen wird, wird er sicherlich viel fragen.
© 2013, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Wenn man vom Flughafen Köln/Bonn aus mit der Luftwaffe nach Afghanistan fliegen möchte, ist das schon ein Unterfangen an sich. Man muss nämlich zuallererst auf den militärischen Teil des Flughafens gelangen. Hier sieht man mustergültig, dass militärische Geheimnisse in Deutschland durchaus bewahrt werden können. Denn niemand kann uns sagen, wie wir dorthin kommen. Die beste Antwort gibt es von einem blonden Engel an der Airport- Info: Außen rum.
Aha! Über das Rollfeld, oder was?
Selbst Kölns Taxifahrer haben keine Ahnung. Im Nachhinein ist mir auch klar, wieso. Die Tour ist für sie nicht gut. Man muss tatsächlich von außen einmal um das halbe Flugplatzgelände herumfahren und landet dann bei knapp zehn Euro auf dem Taxameter. Aber einer von hundert Taxifahrern am Flughafen lässt sich dann doch herab und erweist uns die Ehre, seiner Beförderungspflicht nachzukommen. Einzige Bedingung: Das sofortige Starten des Taxameters. Und bei der Größe unserer Truppe wird ihm das mehr Gewinn einbringen als ein durchschnittliches Rubbelfix- Los, denn mein Manager Pino ist irgendwo im Flughafen auf der Suche nach Kippen verloren gegangen, und Peter Kümmel, der Journalist der ZEIT, versucht eine Winterjacke mit Fellkragen in seinem Koffer zu verstauen. Der Koffer ist so riesig, dass man darin eine Kita eröffnen könnte. Peter hat ihn allerdings so gut befüllt, dass darin nicht einmal mehr Platz für seine Jacke ist.
Was will er eigentlich mit so einer Felljacke? Wir fliegen doch nach Afghanistan und nicht an den Nordpol. Und was will er überhaupt mit den ganzen Klamotten? Will er länger bleiben als wir? Vielleicht hat er auch seinen Fotografen darin versteckt, denn der ist der Einzige, der noch nicht hier ist.
Apropos Fotograf, wo ist eigentlich meine Kamera?
Ich habe sie nicht mehr bei mir. Ich habe sie drinnen vergessen. Aber in welchem Drinnen? Drinnen im Flugzeug? Drinnen im Terminal? Wenn Terminal, dann welcher Terminal? Köln oder Berlin? Ich werde wahnsinnig. Jetzt fällt es mir wieder ein. Haupthalle Tegel. Super. Ich rufe Pino an und bitte ihn, die Hotline des Flughafens anzurufen. Na ja, denke ich, dann habe ich jetzt schon mal ein Ziel, falls ich heil nach Hause zurückkommen sollte: meine Kamera wiederbeschaffen. Ich würde mir am liebsten selbst in den Hintern treten.
Ich schaue mich um. Ich habe ein Dreamteam um mich versammelt. Da wären meine Managerin Kleo (Pino ist immer noch nicht aufgetaucht), mein Realisator Tankred, der einen Pulli mit der Aufschrift Koksen ist achtziger trägt (auch eine sichere Bank, um schnell durch jede Zollkontrolle zu kommen), Herr Kümmel und sein Fotograf (den wir ebenfalls noch vermissen) sowie ein Kamerateam, bestehend aus zwei Mann. Kamera und Ton.
Das Kamerateam verhält sich vorbildlich. Beide sind freundlich, ruhig und bieten mir Schokoriegel und Haferkekse an. Da ich im Flugzeug von Berlin nach Köln das Pappbrötchen verschlafen habe, nehme ich beides dankend an.
Der Taxifahrer hat jetzt telefonisch einen Verwandten erreicht, der bereit zu sein scheint, ihm den Weg zum Militärflughafen zu beschreiben. Er sieht nicht amused aus.
Wir nutzen die Wartezeit, um drei Zigaretten nacheinander zu rauchen. Dabei beobachten wir, wie der Taxifahrer Kleo dabei beobachtet, wie sie das schwere Gepäck in seinen Wagen lädt.
Ich habe mich vorher schlaugemacht. Aus unserem Team haben zwei gedient: Pino, mein Manager, war beim Musikkorps, und bei Tankred, meinem Realisator, gab es während des Wehrdienstes irgendwelchen Ärger mit Haschisch. Nach eigener Aussage war er aber wohl entweder unschuldig oder wurde freigesprochen. Die anderen haben verweigert oder sind ausgemustert worden. Und ich, ich bin Totalverweigerer. Mir wird klar, wir brauchen keinen Hinterhalt zu befürchten. Wir sind bereits einer.
Pino kommt zurück. Der Geldautomat war kaputt. Und wegen meiner Kamera, da würde man ihn - falls man sie findet - anrufen. Alles klar, denke ich, das Ding ist also für immer weg.
Zigaretten hat Pino in der Eile vergessen zu kaufen. Er raucht eine von meinen und beobachtet uns, wie wir den Taxifahrer beobachten, der immer noch Kleo beobachtet, die nun den letzten Koffer in den Wagen gehoben hat. Warum hilft ihr denn keiner, denke ich, und zünde mir noch eine Zigarette an.
Wir steigen ein. Das Taxameter steht bei sechsunddreißig Euro. Bei dreiundvierzig achtzig halten wir wieder an. Wir sind da. Der Militärflughafen Köln-Wahn. In der Mitte der Wartehalle steht ein Hippie mit Haaren bis zum Hintern und einer Piloten- Sonnenbrille, die sich in seinen Haaren verfangen hat. In seiner Mähne könnte man die halbe Auslage eines durchschnittlichen Optikergeschäftes verstecken. Er winkt uns zu. Es ist Christian, der Fotograf der ZEIT. Jetzt sind wir komplett und bereit für das Spiel Passlotto, wer hat ihn heute vergessen?. Die Antwort ist einfach: Keiner, weil Kleo vor Reisebeginn alle Pässe an sich genommen hat.
Jetzt wird es ernst.
Die Wartehalle besteht aus Glas und Stahl. Das Gebäude ist voller Soldaten. Angehörige und andere Zivilisten sind in der absoluten Unterzahl. An diesem Morgen gehen vier Flüge raus. Unser Flug geht nach Termez in Usbekistan. Ab da soll es mit der Transall erst nach Mazar- e Sharif und dann nach Kabul weitergehen. Dort dann entweder per Hubschrauber oder Konvoi. Das wissen wir noch nicht. Unser Flieger ist der dritte. Wir haben noch Zeit für ein paar Zigaretten und einen Kaffee. Der Kaffee kostet nur neunzig Cent, schmeckt aber wie zwanzig. Die Uniformen der Soldaten sind alle gleich. Unterscheiden tun sie sich nur durch die Rangabzeichen auf den Schultern. Das zivile Prinzip »Keiner ist besser angezogen als der Chef« wird somit außer Kraft gesetzt. Das ist selten. Außer bei der Bundeswehr geht das nur bei Angela Merkel und Sido. Aber die geben ihren Leuten auch kaum eine Chance.
Dann ist es so weit: Passkontrolle, Gepäckaufgabe und Röntgen des Handgepäcks. Unser Flieger ist ein Airbus A310 - 300 und er ist gut besetzt.
Anstatt des üblichen Bordmagazins liegt eine Ausgabe von Y - Das Magazin der Bundeswehr in der Sitztasche vor einem aus. Das ganze Heft ist ein einziger Werbeprospekt für die Bundeswehr. Ich sehe mich um, doch niemand blättert darin, außer mir.
Wir fliegen unter anderem über die Grenze zwischen Kasachstan und Usbekistan. Von oben sieht es aus, als würde man Mittelerde in Richtung Auenland überfliegen. Oder als ob Kinder eine Landschaft für eine Modelleisenbahn gebaut hätten. Das eine Kind ein prachtvoller Tausendsassa aus gutem, liebevollem Elternhaus und das andere ein depressives Heimkind.
Nach ca. fünf Stunden landen wir in Usbekistan auf dem Flughafen von Termez. Der Kapitän ist vom Rang her Major. Das weiß ich, weil er es sagt. Er bedankt sich bei allen Gästen und bittet uns sitzen zubleiben, bis wir aufgerufen werden. Da der Flieger voll besetzt ist, kann das hier wohl dauern, denke ich mir. Doch beim Aussteigen gibt es Promibonus. Allerdings nicht für mich, sondern für einen Staatssekretär aus dem Bundesministerium der Verteidigung. Er darf als Erster aussteigen. Die Soldaten freuen sich über seine Anwesenheit ungefähr so wie die spanische Regierung über die Ratingagentur Moody's. Unsere kleine Reisegruppe kommt aber auch recht bald dran, wir werden an der Gangway von Feldwebel Thea empfangen. Dass sie Feldwebel ist, weiß ich, weil sie es sagt. Im Verlauf unseres Aufenthalts wird uns auffallen, dass Militärs sich stets und prompt mit Rang und Namen vorstellen. Thea erklärt uns zunächst das Notwendigste dessen, was wir hier in Termez wissen müssen: Folgen und Aufsitzen. Folgen heißt Folgen und Aufsitzen bedeutet, in einen camouflagefarbenen VW-Bus einzusteigen. Die Pässe behält sie.
Um das Gepäck brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, sagt Feldwebel Thea. Klar, das sagen sie bei Airberlin auch immer. Und dann hat man die zweihundert Euro Gebühr für achtzig Gramm Übergepäck umsonst bezahlt, weil der Koffer auf Mallorca ist und man selbst in Buenos Aires. Es gibt hier aber viel zu viel zu sehen, um sich lange darüber aufzuregen. Stahl, Beton und Stacheldraht. Schön ist es nicht, und die Sonne geht hier in Usbekistan schneller unter als die FDP in Deutschland. Man möchte meinen, selbst die Dunkelheit kommt zackig. Feldwebel Thea zeigt uns noch kurz, wo es nachher Abendessen gibt, und schickt uns dann auf den Marktplatz.
Marktplatz? Ja, sagt sie, das würde nur so heißen und wäre genau dort, wo wir jetzt gerade stehen. Aha. Also bleiben wir stehen und rauchen an Ort und Stelle die ersten vier Zigaretten nach dem Flug. Es ist nicht übermäßig heiß. Nur sehr warm.
Kurze Zeit später treten alle Soldaten in Uniform auf dem Marktplatz an. Jede Gruppe hat vorhin beim Aussteigen eine Farbe genannt bekommen, und wenn die betreffende Farbe aufgerufen wird, darf die Gruppe zu dem von ihr aufgegebenen Gepäck gehen. Unsere Gruppe hat Grün. Oder Braun. Oder Grau. Da gehen die Meinungen auseinander. Wir gehen einfach bei Rot mit, und keiner protestiert. Thea bringt uns zu unserem Container. Die Containerbehausungen sehen so aus wie die Geschäftsstelle des FC St. Pauli.
Es gibt eine Containerkolonie mit Waschräumen und Toiletten und eine andere mit Schlafräumen. In den Zimmern gibt es Klimaanlagen und frischbezogene Betten. Kleo und ich bekommen Einzelzellen. Der Rest kommt in eine Gruppenzelle. Ich bin überzeugt, wir haben es besser als ihrerzeit die RAF.
Wir stellen unser Handgepäck hinein und machen uns auf den Weg zum Essensraum. Dafür muss man einmal durch das gesamte Camp marschieren, aber es lohnt sich: In einem großen Saal gibt es Pizza, Salat, Obst, Brot, Käse, Wurst und diverse Getränke. Alles deutlich über Jugendherbergsniveau.
Wir essen alle zusammen. Ein Kontakt zu den Soldaten hat sich noch nicht ergeben. Mein Kameramann scheint entweder schwerhörig oder unhöflich zu sein. Obwohl ich ihn mehrmals laut und deutlich mit Carsten anspreche, scheint er nicht zu reagieren. Viel später erfahre ich, dass er Marc heißt.
Nach dem Essen rauchen wir ein paar Zigaretten und gehen dann dahin, wohin auch alle anderen gehen. In die Kneipe im Camp, Area 51. Kein Witz! Die heißt wirklich so.
Doch anstatt Außerirdischer gibt es hier nur deutsche Soldaten. Die Area 51 sieht aus wie ein Vereinsheim in Tarnfarben. Lounge-Sessel und Sofas, ein Kicker, ein langer Tresen, ein DJ-Pult, eine Fernsehecke und überall Bilder mit Rangabzeichen. Es ist klimatisiert, und ein Bier kostet zwischen siebzig und neunzig Cent. Die Regel lautet: jeder Soldat darf nicht mehr als zwei kleine Dosen Bier pro Tag trinken.
Es könnte sich hier auch um ein Fest im Vereinshaus einer Kleingartenkolonie handeln. Nichts weist daraufhin, dass man sich fernab der Heimat befindet. Hier erinnert nichts an Krieg. Ein Ort der absoluten Ablenkung. Ich kaufe mir eine Schachtel Zigaretten zu eins zwanzig, gehe nach draußen und zünde mir eine an.
Ich merke, dass mich einige Soldaten erkennen. Aber sie sind sehr höflich und kommen nicht einfach an meinen Tisch gestürmt, sondern machen das sehr gesittet und freundlich. Alle freuen sich darüber, dass wir diese Tour hier machen, und sagen das auch ganz deutlich. Schnell haben wir eine Gruppe von Soldaten um uns versammelt und unterhalten uns. Mit am Tisch stehen zwei Stabsärzte. Einer hat den Rang eines Hauptmanns, einer den eines Majors. Das weiß ich, weil sie es gesagt haben. Der eine ist Zahnarzt und fliegt das erste Mal nach Afghanistan. Der andere operiert Verwundete. Da horchen wir auf. Ach ja, es gibt ja auch Verwundete. Wir befinden uns schließlich in einem Kriegsgebiet.
Kennen Sie dieses Gefühl von schwebender Unwirklichkeit zwischen Aufwachen und Augenaufschlagen? Man wacht auf und hat das Gefühl, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird?
Dann lacht man kurz, denkt sich: Was bist du für ein Schwachkopf! Und dann schlägt man die Augen auf, um zu sehen, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird!
Na dann mal los. Ich mache mich auf zum Körperpflegecontainer. Auf dem Weg dorthin werfe ich einen Blick auf meine Klamotten von gestern, die gleichzeitig auch die einzigen zur Verfügung stehenden Klamotten für heute sind. In diesem Moment beschließt man, dass Sprühen das neue Duschen ist, putzt sich nur die Zähne und deodorisiert den Rest.
Aprilfrischgesprüht mache ich mich auf den Weg zum Frühstückssaal.
Es ist morgens schon recht warm. Ich schwitze meine Klamotten bereits auf dem Weg zum Frühstückssaal ein. Dort ist direkt am Eingang eine ganze Reihe mit Waschbecken aufgestellt. Das ist mir gestern schon aufgefallen. Hygiene wird hier ganz großgeschrieben.
Mein Frühstück besteht aus frischem Rührei, frischen Brötchen und frischem Obst. Damit rangiert die Bundeswehr, was das Frühstück angeht, schon über der Hälfte aller Hotelketten.
An einem Tisch sitzt mein Realisator Tankred und unterhält sich mit einem Oberstleutnant. Der Oberstleutnant gehört zu den Pionieren. Er will alles über unsere Reise und meine Auftritte wissen und fragt uns dann, was die Menschen in unserem Umfeld über unsere Reise so gesagt haben. Ich erzähle ihm, dass ich vor meiner Abreise nach Afghanistan deutlich gespürt habe, dass man von Leuten anders als sonst verabschiedet worden ist. Mein Steuerberater zum Beispiel hat mich beim letzten Treffen in den Arm genommen und mich fest gedrückt. Die Leute haben einen behandelt, als ob man schon tot wäre. Das ist hier wohl das erste Vorurteil, das man abbauen kann. Man wird nicht sofort erschossen, sobald man afghanischen Boden betritt. Es ist ein Kriegsgebiet, von daher nicht ungefährlich, aber man steht hier auch nicht unter ständigem Beschuss.
Der Oberstleutnant weist uns noch darauf hin, dass gleich als Nächstes der Flug mit der Transall von Termez nach Mazar-e Sharif ansteht, von da aus würde es dann mit Fahrzeugen in das erste Camp nach Kabul weitergehen. Er sagt, das Phantasialand sei ein feuchter Schiss gegen so einen Flug mit einer Transall.
Wir verabschieden uns von ihm und rauchen vor dem Gebäude die ersten drei Zigaretten des Tages. Tankred, der in Köln lebt, schaut mich an und sagt Et hätt noch immer jot jejange!
Ich lächle und erinnere ihn nicht an das Kölner Stadtarchiv und den U-Bahn-Bau.
Wir stehen mit gepackten Taschen zwischen dem Körperpflege- und dem Schlafcontainer neben einem Oberstleutnant. Er hat einen Militärrucksack und ich eine braune Ledertasche. In meiner Ledertasche sind alle meine wichtigen Dokumente. Zum Beispiel mein Programm und der Drehplan für die nächsten Tage. Der Herr Oberstleutnant ist der Kommandeur eines Nachschubbataillons in Mazar- e Sharif. Da fliegt er immer mal wieder hin, um nach seinen Jungs zu schauen, wie er sagt. Ist quasi so eine Art Dienstreise, sagt er, die er ein- bis zweimal im Monat macht. Der Herr Oberstleutnant würde rauchtechnisch gut in unsere Gruppe passen. Er raucht auch lieber zwei oder drei Zigaretten nacheinander. Wer weiß, wann es die nächste gibt.
Mein Realisator und der langhaarige Fotograf kommen dazu. Ich schaue mich um. Ansonsten stehen nur Soldaten auf dem Marktplatz.
Feldwebel Thea ruft die Gruppe Schwarz zum Einchecken in die Transall. Ich gebe den anderen ein Zeichen, dass wir diesmal so tun, als ob wir zu Schwarz gehören. Ich habe gesehen, was der Herr Oberstleutnant alles in den Taschen hat, und keine Lust, am Check-in zu warten, bis er das alles ausgepackt hat.
Wir werden über das Rollfeld gefahren. Der Check-in- Posten für die Transall besteht aus zwei großen Kisten. Aus der einen bekommt man einen Stahlhelm gereicht, aus der anderen eine bombensichere Splitterschutzweste. Der Kamerad an der Helmausgabe grinst mich an. Na, Krömer! Jetzt geht's los, was?
Ja, denke ich, jetzt geht's los, Krömer. Wenn man der Meinung ist, dass der Auftritt einer hundertköpfigen Blaskapelle, die auf einem Sechzehn- Tonner transportiert wird, laut ist, dann ist eine Transall sehr laut. Selbst wenn sie noch steht. Weil der Helm nur unangenehm und schwer ist, aber nicht bis über die Ohren geht, werden noch Ohrenstöpsel verteilt. Dann ziehen wir unsere Westen an. Sie wiegt 18 Kilogramm und trägt sich so bequem wie ein in Blei gegossener Dackel, der einem um den Oberkörper geschnallt wird. Interessant ist, dass nur wir Zivilisten die Weste im Flieger tragen sollen. Die Soldaten hingegen tragen ihre Westen nur über dem Arm. Fallschirme bekommen wir nicht. Was bringen dann die Westen? Im Ernst: Wenn wir in der Luft abgeschossen werden, dann schützt mich die Weste ja wohl nicht vor dem Aufprall auf den Boden aus dreitausend Meter Höhe. Der Helm schon eher, der wirkt stabil. Und die Lederbändchen, die ihn unterm Kinn fixieren, saugen den Schweiß ganz gut auf. Ich müsste also im Fall der Fälle darauf achten, dass ich möglichst auf dem Kopf lande. Oder auf der Tasche. Aber eigentlich will ich gar nicht abgeschossen werden. Die anderen auch nicht. Der Kameramann Carsten macht seine Weste nicht einmal zu. Die Klettverschlüsse baumeln an ihm herunter. Er war schon zweimal in Afghanistan und hat dort für die ARD gedreht, ein alter Hase. Ich würde auch gerne lässig die Weste öffnen, aber ich weiß nicht, wie das geht. Und außerdem fürchte ich mich ein wenig davor.
Ein Soldat hält eine kurze Rede. Ich verstehe aber nichts, weil ich schon die Ohrenstöpsel in den Ohren habe. Wir steigen ein. Beim Einsteigen stolpere ich über die Ketten, an denen das Gepäck festgezurrt ist.
Pass auf, sagt mein Manager, das hat er doch eben gesagt!
Ich werde auf eine Stoffsitzbank an der Flugzeugwand gedrückt und setze mich. Es ist unglaublich laut. Es riecht nach Öl, Kerosin und Schweiß. Ich glaube, hauptsächlich nach meinem Schweiß. Ich kann mich nicht bewegen. Mein Helm rutscht, und unter der Weste juckt es unglaublich. Was mache ich hier?
Im Gegensatz zu früher weiß ich heute: Eine Transall ist ein Flugzeug und kein Raumschiff. Es ist ein Bundeswehrflugzeug, mit dem Waffen und Menschen transportiert werden. Mit meinem Helm, der von oben drückt, und der Weste, die von unten hochrutscht, fühle ich mich wie jemand, dem man ein zu enges Aquarium über den Kopf gestülpt hat und der dabei Flüssignahrung eingeflößt bekommt, der dadurch aufquillt und immer dicker wird und der nicht einmal mehr lachen kann, weil es zu wenig Platz für das fette Gesicht gibt. In einer Transall gibt es weder Tomatensaft noch süß oder salzig. Die Stewardess ist ein Soldat, der hier Lademeister heißt und einen Scheiß darauf gibt, ob man angeschnallt ist oder nicht. Ich bin angeschnallt. Aber das ist nicht das Verdienst der Bundeswehr, sondern schlicht und einfach Glück.
Mir gegenüber sitzt mein Team. Sie sehen aus wie gesprengte Mainzelmännchen. Ich will mich nicht sehen, aber es ist schon zu spät. Christian, der Fotograf, hat mich im Visier. Und bevor ich protestieren kann, blitzt es auch schon.
Ich muss daran denken, ihm in der Nacht die Speicherkarte zu klauen und sie zu vernichten. So soll mich keiner sehen, so lange ich lebe.
Doch wenn es so weitergeht, dann wird diese Zeitspanne nicht mehr allzu groß sein.
Ich versuche meine Beine auszustrecken. Das geht nicht, weil direkt vor mir das Gepäck der Soldaten verzurrt ist. Es sind nur noch wenige Minuten bis zur Landung in Mazar- e Sharif, der aus Funk und Fernsehen bekannten Ortschaft. Wenn über Mazar- e Sharif berichtet wird, sieht man allerdings keine Strandbilder und dicken Urlauber, die sich darüber beklagen, dass Kakerlaken auf den Zimmern sind und der Spießbraten nicht wie in Deutschland schmeckt. In diesem Fall sieht man in den Beiträgen immer nur Soldaten, Panzer und Zelte.
Die Maschine setzt zur Landung an. Im Steilflug geht es nach unten. Mir wird schlecht. Der Lademeister grinst mich an. Er sagt etwas. Ich glaube Na, Krömer! Alles gut? Durch die Ohrenstöpsel hört es sich aber an wie Na, Oma! Biste tot?
Peter Kümmel
Der Innenraum des Propellerflugzeugs hat etwas von einer verdunkelten, grün verhängten Höhle, fast könnte man ihn für eine Theatergarderobe halten. Zumindest nun, wenn man neben Krömer sitzt, denn Krömer hat eindeutig etwas Theaterhaftes an sich. Er trägt einen Tropenanzug und darüber eine schusssichere Weste; auf dem Kopf hat er einen Schutzhelm; er trägt gleich zwei Kostüme übereinander, sein privates, in dem er diese Afghanistan- Reise unternimmt, und darüber das Kostüm des Krieges. Und er ist umgeben von Menschen in Kostümen. Sehen wir uns um: Überall Männer mit Kampfanzug, Schutzweste und Sonnenbrille, kurz geschorenen Köpfen, hochgeschnürten Stiefeln, Gewehren zwischen den Knien - Verkleidete, die hier ganz andere Rollen spielen als zu Hause.
Links neben mir sitzt ein älterer, erschöpfter Ingenieur aus Massachusetts, der für die Stromversorgung in den amerikanischen Einrichtungen zuständig ist. »Summer is fighting time«, sagt er mir. »Die Frühjahrsoffensive ist ausgefallen, die Taliban waren mit der Mohnernte beschäftigt. Aber der Sommer wird fürchterlich werden.«
Plötzlich fliegt die Transall durch eine Wolke voller flimmernder Sonnenreflexe, es ist eine Art Feuerwerk hoch über dem Hindukusch. Wir wurden vor dem Start darauf vorbereitet: Das sind sogenannte Flares, Täuschkörper aus Magnesium und Staniol, die von unserer Maschine stammen. Sie sind dazu da, feindliche Lenkraketen abzulenken.
Nach etwa einer Stunde setzen wir zum Sinkflug an, was sich durch jähe Stille ankündigt: Die Propeller ersterben, das Flugzeug kippt pfeifend in die Tiefe. Warum? Der Steilflug bietet die geringste Angriffsfläche, und er kühlt die Rotoren, sodass Thermogeschütze kein Ziel finden. Es ist ein Höllensturz. Die Landung allerdings ist die weichste, die man sich vorstellen kann.
Zehn Uhr morgens. Ortszeit. Mazar- e Sharif. Das Rührei sitzt. Noch.
Ich denke darüber nach, wie jemand mit einer Flugabwehrrakete auf die Transall zielt und abdrückt.
Warum mir solche Visionen immer wieder im Kopf umherschwirren, weiß ich nicht. Vielleicht ist es die überschäumende Fantasie eines Künstlers. Im Ausmalen von Horrorszenarien bin ich ganz gut. Bei ganz normalen Inlandsflügen zum Beispiel stelle ich mir manchmal vor, wie die Maschine in der Mitte auseinanderbricht, wie ich dann durch den Sog nach draußen katapultiert werde und ins Meer falle, in dem ich dann ertrinke. Ich weiß, dass solche Visionen nur bedingt hilfreich sind, aber ich kann es nicht abstellen.
Ich schaue mich um. Die Soldaten an Bord sind guter Dinge. Sie reden und lachen. Wir setzen so sanft auf, wie Wladimir Klitschko einen Gegner zu Boden schlägt. Die erste Etappe des Tages ist geschafft. Wir sind in Mazar- e Sharif gelandet. Und wir leben noch. Ab hier wird uns ein Presseteam der Bundeswehr begleiten, und wir dürfen auch endlich die Kameras rausholen und drehen. Ich steige aus dem Flieger. Die Luft schmeckt salzig. Das liegt aber in erster Linie daran, dass mir der Schweiß von der Stirn direkt in den Mund läuft. Ich verschließe ihn mit einer Zigarette und folge den anderen.
Eine Soldatin stellt sich vor. Es ist Oberleutnant Kerstin. Sie kümmert sich um die Presse vor Ort. Für Peter Kümmel ist sie Gold wert. Sie befreit ihn von seiner fellbesetzten Winterjacke und verspricht ihm, dass er sich diese am Tag der Abreise wieder bei ihr abholen kann. Kerstin gibt uns zu trinken und weist uns eine Raucherecke zu. Da dürfen wir aber noch nicht hin. Erst müssen wir unser Gepäck von einer Palette holen, es identifizieren und auf die Palette daneben stellen. Dann sammelt Oberleutnant Kerstin unsere Pässe ein und geht damit weg. Jetzt können wir rauchen. Es ist unheimlich warm in Mazar- e Sharif. Wir rauchen eigentlich schon mehr aus unseren Hemden als aus dem Hals.
Überall um uns herum geschieht das Gleiche. Soldaten steigen aus Flugzeugen, laden ihr Gepäck um oder aus und wuseln durcheinander. Andere Soldaten wiederum bewachen das Ganze. Es sind jetzt nicht mehr ausschließlich deutsche Soldaten, die wir hier sehen, sondern ein Mix aus verschiedenen Nationen. Die Uniformen sehen alle ähnlich aus, unterscheiden sich lediglich durch die Muster. Wie bei den Zebras. Im Moment sehen für mich die Gesichter aller Uniformierten auch noch aus wie bei den Zebras.
Es ist laut. Ständig starten und landen Maschinen. Zwei Soldaten kommen auf uns zu. Beide sehen aus wie gemalt. Einer ist etwa Mitte dreißig, dicke Sonnenbrille, dicke Arme, breiter Gang und kein Muskel in seinem Gesicht, der sich rührt. Er trägt Pistole und Gewehr bei sich. Der andere sieht in seiner Kampfuniform aus wie frisch aus dem Ei gepellt. Er ist Fregattenkapitän und der für uns zuständige Presseoffizier. Für die Zeit unserer Reise ist er unser Kindermädchen. Aber warum Fregattenkapitän? Was sucht ein Kapitän in der Wüste? Vielleicht ist er hier in Afghanistan, weil sein Schiff versenkt worden ist? Im Gegensatz zu ihm finde ich diese Frage auch nicht blöd. Aber er erklärt es mir. Er kommt von der Marine. Da hat man andere Titel.
Jetzt sind wir also in Mazar- e Sharif. Wir fragen Fregattenkapitän Roland, ob wir hier auf dem Flughafen drehen dürfen. Das sei prinzipiell in Ordnung. Wir hätten, so lange er dabei sei, eine grundsätzliche Drehgenehmigung für die deutschen ISAF-Kräfte. Aber auch er müsse vor Ort immer noch alle anwesenden Soldaten fragen, ob sie mit dem Dreh einverstanden sind.
Denn jeder deutsche Soldat hat, so erklärt uns der Fregattenkapitän, wie jeder andere Bürger der Bundesrepublik Deutschland ein Recht am eigenen Bild. Deshalb müssen wir jeden fragen, der auch nur zufällig durchs Bild läuft oder laufen wird, ob er einverstanden ist.
Das Kamerateam ist parat. Wir könnten loslegen, aber Fregattenkapitän Roland muss nochmal los. Er sagt nicht wohin, aber da, wo er hingehen wird, wird er sicherlich viel fragen.
© 2013, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
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Autoren-Porträt von Kurt Krömer, Tankred Lerch
Kurt Krömer, alias Alexander Bojcan, wurde 1974 geboren und ist Komiker und Schauspieler. Er ist vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis. Seine Sendung »Chez Krömer« wurde millionenfach geguckt. Zuletzt war er in der Comedy-Show »LOL - Last one laughing« zu sehen. Kurt Krömers Podcast »Feelings« ist einer der meistgehörten Podcasts des Landes. Sein Buch »Du darfst nicht alles glauben, was du denkst« war länger als ein Jahr in den Top 20 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde das meistverkaufte Sachbuch des Jahres 2022. Tankred Lerch wurde 1970 in Lübeck geboren, ist in Hamburg zur Schule gegangen und hat in Kiel studiert und volontiert. Seitdem wohnt er in Köln und arbeitet als Autor und Producer fürs Fernsehen. Momentan zum Beispiel für »Stromberg« und »Krömer - Late Night Show«. Tankred Lerch ist Mitglied des FC St. Pauli.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Kurt Krömer , Tankred Lerch
- 2013, 5. Aufl., 192 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 13,4 x 21,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462045369
- ISBN-13: 9783462045369
- Erscheinungsdatum: 18.06.2013
Rezension zu „Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will “
» Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will ist keine politische Analyse, sondern ein erfahrungssatter Bericht.« Michael Schmidt Der Tagesspiegel 20130708
Pressezitat
» Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will ist keine politische Analyse, sondern ein erfahrungssatter Bericht.« Michael Schmidt Der Tagesspiegel 20130708
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