Ein Garten am Meer
Die beiden Schwestern Rio und Dervla sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Erst der Tod des Vaters führt die beiden wieder zusammen. Als sie auf ein Familiengeheimnis stoßen, ist nichts mehr wie es war.
Ein romantischer Irlandroman.
Ein romantischer Irlandroman.
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Produktinformationen zu „Ein Garten am Meer “
Die beiden Schwestern Rio und Dervla sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Erst der Tod des Vaters führt die beiden wieder zusammen. Als sie auf ein Familiengeheimnis stoßen, ist nichts mehr wie es war.
Ein romantischer Irlandroman.
Ein romantischer Irlandroman.
Lese-Probe zu „Ein Garten am Meer “
Ein Garten am Meer von Kate ThompsonProlog
Sommer 2001
»He du! Was machst du denn da?«
Eine Mädchenstimme, klar wie geschliffenes Kristall. Río, die auf einem Bett von Grasnelken ihren Tagträumen nachgehangen hatte, dachte kurz, sie sei gemeint. Träge drehte sie sich auf den Bauch, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und stützte das Kinn auf die Unterarme.
Von ihrem Aussichtspunkt oben auf dem Kliff konnte sie den Strand gut überblicken, der heute dalag wie auf einer Postkarte, mit kleinen weißen Wellen, die auf den Sand rollten. Unten auf der alten Aufschleppe vor Coral Cottage stand ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, die Arme stocksteif ausgestreckt, die Hände zu Fäusten geballt.
»Du da!«, sagte das Mädchen wieder. »Hast du mich nicht gehört? Ich habe dich gefragt, was du da machst!«
Der Junge auf den Steinen blickte auf, ließ den Blick kurz über die blonden Locken schweifen, über das bauchfreie T-Shirt, die grell leuchtende pinkfarbene Radlerhose und die Sandalen, und wandte sich dann wieder der Untersuchung des kleinen Beckens zu, das sich gebildet hatte, als das Wasser zurückging. »Ich suche nach Krabben«, erklärte er. »Schlaumeier, das habe ich nicht gemeint, ich will wissen, was du hier auf meinem Land machst.«
»Deinem Land?«, murrte er. »Glaub ich nicht, Barbiepuppe.«
»Kann schon sein, dass du das nicht glaubst, aber ich weiß es. Die Aufschleppe hier gehört meinem Daddy, und du läufst einfach auf unserem Grundstück herum. Und nenn mich nicht Barbiepuppe, du Bauerntrampel.«
Lächelnd griff Río nach ihrer Sonnenbrille. Gummistiefel gegen Pumps, das versprach immer eine gute Show.
»Hör doch mal auf, so rumzukreischen. Da oben auf der Wiese ist eine Eselin, die
... mehr
versucht, ihr neugeborenes Fohlen zu säugen. Du machst den beiden ja Angst!«
Río sah, wie das Mädchen den Mund aufsperrte und dann wieder schloss. »Eine Eselin? Du meinst, da oben ist eine Eselin mit einem Fohlen?«
»Genau.« Der Junge stand auf. »Wenn du willst, kann ich sie dir zeigen.«
Das Mädchen blickte ihn unsicher an. »Ich darf nicht weiter gehen als bis auf die Aufschleppe.« »Wieso das denn?«
»Ich habe neue Sandalen an, und die sollen nicht schmutzig werden.« Der Junge zuckte mit den Schultern. »Dann zieh sie doch aus.«
»Die Schuhe ausziehen?«
»Sie sind ja wohl nicht angenagelt, oder?«
Von der Wiese war ein melancholischer Schrei zu hören. »Was war das denn?«, fragte das Mädchen. »Das war Dorcas.«
»Die Eselin?«
»Genau.«
»Und wie heißt das Fohlen?«
»Hat noch keinen Namen.«
»Wie alt ist es denn?«
»Eine Woche.«
»Eine Woche! Wie süß!«
»Ja, süß ist es schon«, sagte der Junge und ging. Das Mädchen warf einen verstohlenen Blick über die Schulter, dann begann es, die Sandalen auszuziehen, und sprang von der Aufschleppe auf den Sand.
»Ich heiße Isabella«, sagte sie, als sie ihn eingeholt hatte. »Und du?«
»Finn. Willst du 'n Stück Süßholz?«
»Hallo? Hast du noch nie gehört, dass man von Fremden keine Süßigkeiten annehmen darf?« »Süßholz ist eigentlich keine Süßigkeit, sondern so 'ne Art Pflanze. Hast du überhaupt schon mal 'nen Esel gesehen?«
»Klar, im Fernsehen. Was ist das da?«
»Otterkacke.«
»Iiih!« Finn lachte. »Warte nur, bis du Eselkacke siehst.«
Die Stimmen der Kinder wurden schwächer, als die beiden den Strand hinuntergingen. Río wollte gerade Finn nachrufen, er solle aufpassen, wenn Isabella mit nackten Füßen über das scharfkantige Viehgitter ging, da hörte sie andere Stimmen und wandte sich nach links. Zwei Männer spazierten auf dem Mäuerchen entlang, das den Strand säumte.
Der eine hatte einen Jagdstock bei sich, der andere trug eine Ledermappe unter dem Arm. Beide murmelten irgendetwas in ihre Handys, und beide trugen nagelneue Barbourjacken und blitzsaubere Gummistiefel.
Jungs aus der Stadt, die den Landedelmann spielten. Jetzt stiegen die beiden vom Mäuerchen herunter und gingen über den Strand, bis sie genau unterhalb von Ríos Horchposten stehen blieben. »Ihre Leute sollen das mit meinen Leuten klären«, schnauzte der eine in sein Handy.
»Ich sorge dafür, dass Sie angerufen werden«, rief der andere nicht minder barsch in seines. Dann klappten sie beide ihre Telefone zu. Isabella und Finn verschwanden um die Landspitze, und Río hörte, wie die beiden von Dorcas mit freudigem Eselschrei begrüßt wurden.
Einer der Männer blickte kurz auf und hob die Hand, um seine Augen vor der Sonne zu schützen. Er lehnte sich auf den Jagdstock und sah wirklich genauso aus wie ein Model aus den Sonntagsbeilagen anspruchsvoller Zeitungen.
»Was ist das denn für ein abscheulicher Lärm, James?«, fragte er.
»Ein Esel. Gewöhn dich dran«, antwortete der mit der Ledermappe. »Die Lärmbelästigung auf dem Land ist genauso schlimm wie in der Stadt, es sind nur andere Geräusche. Du wirst hier vom Blöken der Schafe geweckt. Furchtbar.«
»Und vom Zwitschern der Vögel«, ergänzte der andere. »Felicity lässt gerade aus Indien die Statue irgendeiner Göttin hierher transportieren, damit sie jeden Tag die Morgendämmerung von ihrem Yoga-Pavillon aus begrüßen kann.«
Ja, holla! Río stellte gerade fest, dass dies eine ganz exzellente Gelegenheit zum Lauschen war. Yoga-Pavillons! Indische Göttinnen! Was für Halbirre liefen denn da unten am Strand herum?
»Hat Felicity auch erwähnt, dass sie mich beauftragt hat, den Pavillon ein Stück zu versetzen?«, fragte der eine Mann, der offenbar James hieß.
»Damit sie eine bessere Sicht hat?« Der andere Mann aus der Sonntagsbeilage drehte sich einmal um die eigene Achse, um die gesamte Bucht zu überblicken, dann nickte er.
»Da hat sie recht. Stell dir nur vor, was für ein Gefühl das sein muss, den Tag mit diesem Ausblick zu begrüßen.«
»Sie wird sich fühlen wie der edle Cortez.«
»Der edle was?«
»Cortez. Auf dem Gipfel, als er sah von ferne das stille Meer. Keats, du weißt schon.«
»Ach ja, natürlich.« Río musste lächeln. Es war vollkommen klar, dass der Typ keine Ahnung hatte, wovon die Rede war.
»Eure Motorjacht könnt ihr da drüben festmachen«, bemerkte James und zeigte auf eine Boje, die in fünfzig Metern Entfernung auf dem Wasser tanzte.
»Da haben die Vorbesitzer ihr Ruderboot vertäut, hat mir der Makler erzählt.«
»Dann brauche ich aber ein festes Schlauchboot, um hinzukommen. Ich hoffe doch, das passt neben dem Geländewagen noch in die Garage.«
»Sicher. Und für den Aufsitzmäher ist auch noch Platz. Das habe ich alles berücksichtigt, als ich euch die Pläne gezeichnet habe. Aber wenn du da bist, kannst du das Boot auch unten am Strand lassen vor dem Tor.«
James deutete auf das Gittertor, das zum Strand hinausführte. Auf dem Anstieg dahinter erstreckte sich ein alter Obstgarten, in dem Río als Kind oft gepicknickt hatte, weil es dort einen öffentlichen Weg zum Strand gab.
»Der Grund dort ist Gemeineigentum, oder?«
»Streng genommen, ja.« James öffnete seine Mappe. »Aber wenn du dort Gras ansäst, lässt sich das Gelände leicht in eure Gartenanlage integrieren.«
»So etwas kann schwierig werden, die Leute sind da manchmal ziemlich eigen.«
James zuckte mit den Schultern. »Weißt du, Adair, da müsste sich jemand schon sehr genau mit den Grundstücksverhältnissen auskennen, um von dem alten Wegerecht zu wissen. Und ich glaube nicht, dass die Einheimischen viel spazieren gehen, so weit abseits aller normalen Wege.«
Na, ich schon, dachte Río empört. Ich gehe hier spazieren. Und nicht nur das, ich will auch weiterhin im Evaskostüm baden gehen. Und picknicken. Gelegentlich habe ich hier sogar ein bisschen der Liebe im Grünen gepflegt.
Ich sage dir jetzt schon, Adair, wenn du da einen Rasen anlegst, dann komme ich mit Dorcas und sorge dafür, dass sie überall hinkackt.
»Ich will mir keine Feinde machen, James«, sagte Adair. »Es sieht schon blöd genug aus, dass wir das alte Cottage abreißen und ein zehnmal so großes Haus da hinsetzen.«
»Darüber würde ich mir nicht so viel Sorgen machen. Das Cottage war so baufällig, dass innerhalb eines Jahres oder so ohnehin die Aufforderung zum Abriss gekommen wäre, wenn du nicht den Riecher gehabt hättest, vorher zuzuschlagen. Die Jungs von der Baubehörde sind ziemlich allergisch gegen einsturzgefährdete Gebäude.«
»Genau wie gute Baufirmen.« Adair breitete die Arme aus und beschrieb einen Bogen über die Bucht und das Cottage, von dem Río wusste, dass es ein Stück weiter hier oben unter uralten Bäumen lag. Er seufzte tief und zufrieden auf und sah jetzt noch mehr nach Sonntagsbeilage aus, wenn das überhaupt möglich war.
»Unsere Zuflucht auf dem Lande, weit weg von den Massen. Unsere eigene Sturmhöhe. Nur damit du merkst, dass ich auch gelegentlich ein Buch in die Hand nehme.«
Wäre Río nicht so empört gewesen, sie hätte vermutlich gekichert.
»Hast du daran gedacht, den Namen zu ändern?«, fragte James voller Eifer. »Coral Cottage wäre wohl nicht mehr so ganz passend für das neue Haus.«
»Wir können es ja Coral Castle nennen«, lachte Adair.
»Würde schon eher passen«, bestätigte James. »Ist aber nicht sehr diplomatisch, wenn du tatsächlich die Einheimischen auf deiner Seite haben willst.«
»Auch wieder wahr. Wie ich schon sagte, ich will mir keine Feinde machen.«
Río biss sich auf die Lippe, um nicht die Antwort herauszuschreien, die ihr auf der Zunge lag. Schließlich wollte sie so viel wie möglich mitbekommen, also durfte sie diese Stadtleute nicht auf sich aufmerksam machen. Jedenfalls jetzt noch nicht.
»Seit unserem letzten Gespräch habe ich noch ziemlich viel Feinarbeit gemacht.«
»Wunderbar.«
»Willst du die neuen Pläne sehen?« James breitete einen großen Bogen Papier auf einem flachen Felsen aus, und die beiden Männer beugten sich darüber.
»Wie schon gesagt, der Yoga-Pavillon ist ein bisschen verschoben worden. Da ist er zwar eher einsehbar, aber wenn wir ihn ein Stückchen weiter nach Osten drehen, kriegt er die Morgensonne voll, und ...«
Und so weiter. Der Architekt war überhaupt nicht mehr zu bremsen. Río lauschte noch ein paar Minuten und erfuhr Folgendes: Das Haus würde Fußbodenheizung haben, dazu einen riesigen offenen Kamin im Wohnbereich, raumhohe dreifachverglaste Fenster überall und fantastische weiße Fliesen in der Küche. Es würde zwei große Badezimmer bekommen, drei Schlafzimmer mit Bad, eine Dusche im Erdgeschoss, einen Whirlpool auf einer Terrasse.
Es würde Empfangsräume haben, ein Spielzimmer und eine Bar, dazu natürlich einen Fitnessraum und einen Wellnessbereich sowie ein großes Büro, damit Adair mit seinen Geschäftspartnern in Dublin, London und New York in ständigem Kontakt bleiben konnte. Dann würde es noch einen Gästetrakt geben, in dem weitere Schlafzimmer mit Bad eingerichtet wurden, damit Felicitys Freunde dort wohnen konnten, wenn sie von Dublin kamen, um Partys zu feiern.
Es würde ein Schwimmbad geben fünfzig Meter vom Meer entfernt! und natürlich ein schönes, großes Ankleidezimmer neben dem großen Schlafzimmer, damit die Dame des Hauses ihre Designerfreizeitkleidung standesgemäß unterbringen konnte. Jedenfalls vermutete Río, dass es sich um solche Freizeitkleidung handelte. Um es mit James' Worten zusammenzufassen: ein Haus mit Flair. Mit Flair? Wie wäre es mit einem Zuhause mit Herz? Oder war im Irland des Wirtschaftsbooms das Zuhause keine Herzensangelegenheit mehr? Musste man stattdessen riesige Residenzen in die Landschaft stellen, um aller Welt zu zeigen, was für ein toller Erfolgsmensch man war?
»Dann kann Felicity ja schon mal ihre Gästelisten zusammenstellen«, sagte Adair endlich, während die beiden Männer sich wieder aufrichteten.
»Sie plant nämlich ein paar sehr ernsthafte Partys. Für die Einweihungsparty hat sie Louis gefragt, ob Boyzone wohl kommen würde.« Boyzone! Auf welchem Stern lebten diese Leute?
Río stand mühsam auf und betrachtete die beiden durch ihre Sonnenbrille, wie sie weitergingen. Nur noch Sprachfetzen wehten zu ihr herauf. Jetzt sprachen sie über Geld. Über Millionen.
»Adair?« Eine Frau in einer hellbeigen Wildlederweste und passenden Slippern kam etwas angestrengt den überwachsenen Pfad vom Cottage herunter. Sie trug eine kunstvoll verwuschelte Frisur mit vielen blonden Strähnchen, ihre Bräune sah aus wie aus der Sprühdose, und ihr Akzent klang wie eine erwachsene Version von Isabella.
»Adair«, rief sie noch einmal.
»Weißt du, wo Izzy ist?«
»Ich dachte, sie ist bei dir, Felicity«, antwortete er. »Nein, nein! Ich dachte, sie ist bei dir! Wo kann sie denn nur sein?«
»Vielleicht erkundet sie ein bisschen die Umgebung.«
»Na, das will ich doch nicht hoffen! Ich habe ihr gesagt, sie darf an den Strand, aber nur bis zur Aufschleppe. Izzy? Isabella!«
Die Frau blickte am Strand entlang, dann griff sie sich entsetzt an den Hals. »Oh, mein Gott! Da liegen ihre Sandalen!«
»Wo?«
»Da drüben, auf der Aufschleppe. Aber wo ist Isabella?« Jetzt sahen sie alle drei so sehr aus wie Gestalten aus einer griechischen Tragödie, dass Río sich wie ein Deus ex Machina vorkam, als sie an die Kante des Kliffs trat.
»Alles in Ordnung«, rief sie. »Ich weiß, wo sie ist.«
Sie hob eine Hand an den Mund, bildete mit Daumen und Mittelfinger einen Kreis und pfiff laut. Auf ihren zweiten Pfiff gab es eine ebenso laute Antwort von der anderen Seite der Landzunge, und kurz darauf tauchte Finn am Horizont auf.
»Finn«, rief Río. »Bring das Mädchen zurück, ihre Mutter sucht nach ihr.«
»Gleich.«
Río drehte ihr Haar zu einem Knoten, bückte sich, um ihre Espadrilles und ihren Rucksack aufzuheben, und kletterte dann den Kliffpfad hinunter zu dem vollkommen verdatterten Trio. Als sie vor den dreien stand, nahm sie die Sonnenbrille ab und schenkte ihnen einen stahlharten Blick aus grünen Augen. »Tag«, sagte sie.
»Die Kleine wollte die Esel sehen.«
»Du meine Güte«, erwiderte die offenbar sehr verärgerte Felicity. »Aber doch nicht, ohne mich vorher zu fragen! Ich habe ihr deutlich gesagt, sie darf nicht weiter gehen als bis auf die Aufschleppe.« »Hallo, Ma.« Río drehte sich um und lächelte, als Finn auf sie zukam.
Der sichere Gang, das intelligente Gesicht, die schlanke, anmutige Gestalt all diese Züge erinnerten an den keltischen Stammesführer, von dem er seinen Namen hatte. Und der um seinen Mund verschmierte Süßholzsaft betonte nur sein wunderbares schiefes Grinsen.
Isabella lief neben ihm her, glücklich und vollkommen aufgelöst. Ihre blonden Locken waren zerzaust, ihre Wangen feuerrot, und die pinkfarbenen Radlerhosen hatten jede Menge Grasflecken. Ihr Mund war genau wie Finns mit Süßholzsaft verschmiert, und sie strahlte übers ganze Gesicht.
»Mami«, rief sie und tänzelte hinüber zu Felicity, die immer noch ihre Perlenkette umklammert hielt, als handele es sich um einen Rosenkranz.
»Du hättest das Eselfohlen sehen sollen! Soooo süüüß! Und weißt du, wie wir sie getauft haben? Pinkie!«
»Du hast sie Pinkie getauft, ich nicht«, brummte Finn. Felicity stellte sich auf die Aufschleppe und betrachtete mit indigniertem Blick Isabellas verlassene Sandalen.
»Zieh dir deine Schuhe wieder an, Isabella«, sagte sie. Dann wandte sie sich an Río, und das Lächeln, zu dem sie sich zwang, sah aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
»Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Felicity Bolger, und das sind mein Mann Adair und unser Architekt James McDermot.«
»Ich bin Río«, antwortete Río. »Und das ist mein Sohn Finn.«
Felicity Bolger sah Finn mit kaum verhohlenem Widerwillen an, bevor sie sich wieder ihrer Tochter zuwandte.
»Können wir nicht auch einen Esel haben, Mami?«, zwitscherte Isabella, die ihre Sandalen zuhakte. »Wir könnten ihn hier unten halten, und Finn würde sich um ihn kümmern, wenn wir in der Stadt sind. Finn sagt, Eselrennen sind echt stark. Er sagt, er könnte ein Rennen organisieren, und dann könnten wir Eintritt verlangen und Wetten annehmen, welcher Esel das Rennen gewinnt. Ich bin auf Dorcas geritten, und, na ja, sie hat mich zwar wieder abgeworfen, aber Finn sagt, ich sitze ganz anständig drauf und ...«
»Oh, bitte hör auf zu plappern, Isabella, und konzentrier dich auf das, was du tust«, schnauzte Felicity ihre Tochter an. »Wir kommen zu spät zu dem Empfang.«
Isabella sah ihre Mutter aufsässig an.
»Ich will aber nicht zu diesem blöden Empfang«, sagte sie. »Ich will hierbleiben und auf Dorcas reiten.«
Danach hing ein schicksalsschweres Schweigen zwischen ihnen, bis James sich irgendwann räusperte und Adair ein paar Töne vor sich hin pfiff. Felicity seufzte kurz und zittrig auf.
»Nun gut«, sagte sie dann mit bebender Stimme.
»Bleib hier und reite auf Dorcas, wenn du unbedingt willst. So wie du aussiehst, kann ich dich ohnehin nicht mit auf den Empfang nehmen. Du kannst mit Paps in James' Jeep zurückfahren. Würdest du mir bitte die Schlüssel für den Mercedes geben, Adair?«
»Felicity ...«
»Die Schlüssel.«
Adair griff in die Tasche seiner Jacke, zog einen Schlüsselbund heraus und gab ihn ihr. Dann warf Felicity mit einem kaum hörbaren »Danke, viel Spaß noch ...« ihr gefärbtes Haar zurück und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Wieder herrschte Schweigen, dann sagte Adair Bolger zu seiner Tochter: »Lauf ihr nach, Liebes.« »Aber Paps ...«
»Mach schon. Ich komme in einer Stunde nach.«
»Aber ...«
»Bitte, mein Schatz! Dieser Empfang bedeutet deiner Mutter sehr, sehr viel, es ist ihr erstes großes gesellschaftliches Ereignis in Coolnamara.«
Isabella starrte ihrer Mutter nach, die den Strand entlangstolperte und dabei entsetzlich elend und einsam aussah.
Dann warf sie einen Blick auf Finn, der die Erforschung des kleinen Wasserbeckens wieder aufgenommen hatte.
»Na gut«, sagte sie dann, hakte ihre Sandalen endgültig zu und sprang auf.
»Mami, Mami«, rief sie. »Warte, ich komme doch mit!«
Felicity blieb stehen und machte dann eine hilflose Handbewegung.
»Aber ... deine Kleider ...«
»Sie kann sich im Hotel umziehen«, rief Adair schnell.
»Lauf, Isabella.« Und Isabella lief. Nach ein paar Metern drehte sie sich um und winkte Finn noch einmal zu.
»Nächstes Mal kann man vielleicht schon auf ihr reiten«, rief sie, bevor sie ihrer Mutter weiter nachlief. »Mami, jetzt warte doch! Finn erlaubt mir, auf Pinkie zu reiten, wenn sie groß genug ist. Vielleicht könnte ich ja Reithosen und richtige Stiefel kriegen und eine Reitkappe ...«
»Sei doch nicht albern, Isabella. Du sprichst von einem Esel, nicht von einem Vollblutpony.«
»Aber es könnte solchen Spaß machen! Denk doch mal an den Film, wo ...«
Río sah, wie das Mädchen den Mund aufsperrte und dann wieder schloss. »Eine Eselin? Du meinst, da oben ist eine Eselin mit einem Fohlen?«
»Genau.« Der Junge stand auf. »Wenn du willst, kann ich sie dir zeigen.«
Das Mädchen blickte ihn unsicher an. »Ich darf nicht weiter gehen als bis auf die Aufschleppe.« »Wieso das denn?«
»Ich habe neue Sandalen an, und die sollen nicht schmutzig werden.« Der Junge zuckte mit den Schultern. »Dann zieh sie doch aus.«
»Die Schuhe ausziehen?«
»Sie sind ja wohl nicht angenagelt, oder?«
Von der Wiese war ein melancholischer Schrei zu hören. »Was war das denn?«, fragte das Mädchen. »Das war Dorcas.«
»Die Eselin?«
»Genau.«
»Und wie heißt das Fohlen?«
»Hat noch keinen Namen.«
»Wie alt ist es denn?«
»Eine Woche.«
»Eine Woche! Wie süß!«
»Ja, süß ist es schon«, sagte der Junge und ging. Das Mädchen warf einen verstohlenen Blick über die Schulter, dann begann es, die Sandalen auszuziehen, und sprang von der Aufschleppe auf den Sand.
»Ich heiße Isabella«, sagte sie, als sie ihn eingeholt hatte. »Und du?«
»Finn. Willst du 'n Stück Süßholz?«
»Hallo? Hast du noch nie gehört, dass man von Fremden keine Süßigkeiten annehmen darf?« »Süßholz ist eigentlich keine Süßigkeit, sondern so 'ne Art Pflanze. Hast du überhaupt schon mal 'nen Esel gesehen?«
»Klar, im Fernsehen. Was ist das da?«
»Otterkacke.«
»Iiih!« Finn lachte. »Warte nur, bis du Eselkacke siehst.«
Die Stimmen der Kinder wurden schwächer, als die beiden den Strand hinuntergingen. Río wollte gerade Finn nachrufen, er solle aufpassen, wenn Isabella mit nackten Füßen über das scharfkantige Viehgitter ging, da hörte sie andere Stimmen und wandte sich nach links. Zwei Männer spazierten auf dem Mäuerchen entlang, das den Strand säumte.
Der eine hatte einen Jagdstock bei sich, der andere trug eine Ledermappe unter dem Arm. Beide murmelten irgendetwas in ihre Handys, und beide trugen nagelneue Barbourjacken und blitzsaubere Gummistiefel.
Jungs aus der Stadt, die den Landedelmann spielten. Jetzt stiegen die beiden vom Mäuerchen herunter und gingen über den Strand, bis sie genau unterhalb von Ríos Horchposten stehen blieben. »Ihre Leute sollen das mit meinen Leuten klären«, schnauzte der eine in sein Handy.
»Ich sorge dafür, dass Sie angerufen werden«, rief der andere nicht minder barsch in seines. Dann klappten sie beide ihre Telefone zu. Isabella und Finn verschwanden um die Landspitze, und Río hörte, wie die beiden von Dorcas mit freudigem Eselschrei begrüßt wurden.
Einer der Männer blickte kurz auf und hob die Hand, um seine Augen vor der Sonne zu schützen. Er lehnte sich auf den Jagdstock und sah wirklich genauso aus wie ein Model aus den Sonntagsbeilagen anspruchsvoller Zeitungen.
»Was ist das denn für ein abscheulicher Lärm, James?«, fragte er.
»Ein Esel. Gewöhn dich dran«, antwortete der mit der Ledermappe. »Die Lärmbelästigung auf dem Land ist genauso schlimm wie in der Stadt, es sind nur andere Geräusche. Du wirst hier vom Blöken der Schafe geweckt. Furchtbar.«
»Und vom Zwitschern der Vögel«, ergänzte der andere. »Felicity lässt gerade aus Indien die Statue irgendeiner Göttin hierher transportieren, damit sie jeden Tag die Morgendämmerung von ihrem Yoga-Pavillon aus begrüßen kann.«
Ja, holla! Río stellte gerade fest, dass dies eine ganz exzellente Gelegenheit zum Lauschen war. Yoga-Pavillons! Indische Göttinnen! Was für Halbirre liefen denn da unten am Strand herum?
»Hat Felicity auch erwähnt, dass sie mich beauftragt hat, den Pavillon ein Stück zu versetzen?«, fragte der eine Mann, der offenbar James hieß.
»Damit sie eine bessere Sicht hat?« Der andere Mann aus der Sonntagsbeilage drehte sich einmal um die eigene Achse, um die gesamte Bucht zu überblicken, dann nickte er.
»Da hat sie recht. Stell dir nur vor, was für ein Gefühl das sein muss, den Tag mit diesem Ausblick zu begrüßen.«
»Sie wird sich fühlen wie der edle Cortez.«
»Der edle was?«
»Cortez. Auf dem Gipfel, als er sah von ferne das stille Meer. Keats, du weißt schon.«
»Ach ja, natürlich.« Río musste lächeln. Es war vollkommen klar, dass der Typ keine Ahnung hatte, wovon die Rede war.
»Eure Motorjacht könnt ihr da drüben festmachen«, bemerkte James und zeigte auf eine Boje, die in fünfzig Metern Entfernung auf dem Wasser tanzte.
»Da haben die Vorbesitzer ihr Ruderboot vertäut, hat mir der Makler erzählt.«
»Dann brauche ich aber ein festes Schlauchboot, um hinzukommen. Ich hoffe doch, das passt neben dem Geländewagen noch in die Garage.«
»Sicher. Und für den Aufsitzmäher ist auch noch Platz. Das habe ich alles berücksichtigt, als ich euch die Pläne gezeichnet habe. Aber wenn du da bist, kannst du das Boot auch unten am Strand lassen vor dem Tor.«
James deutete auf das Gittertor, das zum Strand hinausführte. Auf dem Anstieg dahinter erstreckte sich ein alter Obstgarten, in dem Río als Kind oft gepicknickt hatte, weil es dort einen öffentlichen Weg zum Strand gab.
»Der Grund dort ist Gemeineigentum, oder?«
»Streng genommen, ja.« James öffnete seine Mappe. »Aber wenn du dort Gras ansäst, lässt sich das Gelände leicht in eure Gartenanlage integrieren.«
»So etwas kann schwierig werden, die Leute sind da manchmal ziemlich eigen.«
James zuckte mit den Schultern. »Weißt du, Adair, da müsste sich jemand schon sehr genau mit den Grundstücksverhältnissen auskennen, um von dem alten Wegerecht zu wissen. Und ich glaube nicht, dass die Einheimischen viel spazieren gehen, so weit abseits aller normalen Wege.«
Na, ich schon, dachte Río empört. Ich gehe hier spazieren. Und nicht nur das, ich will auch weiterhin im Evaskostüm baden gehen. Und picknicken. Gelegentlich habe ich hier sogar ein bisschen der Liebe im Grünen gepflegt.
Ich sage dir jetzt schon, Adair, wenn du da einen Rasen anlegst, dann komme ich mit Dorcas und sorge dafür, dass sie überall hinkackt.
»Ich will mir keine Feinde machen, James«, sagte Adair. »Es sieht schon blöd genug aus, dass wir das alte Cottage abreißen und ein zehnmal so großes Haus da hinsetzen.«
»Darüber würde ich mir nicht so viel Sorgen machen. Das Cottage war so baufällig, dass innerhalb eines Jahres oder so ohnehin die Aufforderung zum Abriss gekommen wäre, wenn du nicht den Riecher gehabt hättest, vorher zuzuschlagen. Die Jungs von der Baubehörde sind ziemlich allergisch gegen einsturzgefährdete Gebäude.«
»Genau wie gute Baufirmen.« Adair breitete die Arme aus und beschrieb einen Bogen über die Bucht und das Cottage, von dem Río wusste, dass es ein Stück weiter hier oben unter uralten Bäumen lag. Er seufzte tief und zufrieden auf und sah jetzt noch mehr nach Sonntagsbeilage aus, wenn das überhaupt möglich war.
»Unsere Zuflucht auf dem Lande, weit weg von den Massen. Unsere eigene Sturmhöhe. Nur damit du merkst, dass ich auch gelegentlich ein Buch in die Hand nehme.«
Wäre Río nicht so empört gewesen, sie hätte vermutlich gekichert.
»Hast du daran gedacht, den Namen zu ändern?«, fragte James voller Eifer. »Coral Cottage wäre wohl nicht mehr so ganz passend für das neue Haus.«
»Wir können es ja Coral Castle nennen«, lachte Adair.
»Würde schon eher passen«, bestätigte James. »Ist aber nicht sehr diplomatisch, wenn du tatsächlich die Einheimischen auf deiner Seite haben willst.«
»Auch wieder wahr. Wie ich schon sagte, ich will mir keine Feinde machen.«
Río biss sich auf die Lippe, um nicht die Antwort herauszuschreien, die ihr auf der Zunge lag. Schließlich wollte sie so viel wie möglich mitbekommen, also durfte sie diese Stadtleute nicht auf sich aufmerksam machen. Jedenfalls jetzt noch nicht.
»Seit unserem letzten Gespräch habe ich noch ziemlich viel Feinarbeit gemacht.«
»Wunderbar.«
»Willst du die neuen Pläne sehen?« James breitete einen großen Bogen Papier auf einem flachen Felsen aus, und die beiden Männer beugten sich darüber.
»Wie schon gesagt, der Yoga-Pavillon ist ein bisschen verschoben worden. Da ist er zwar eher einsehbar, aber wenn wir ihn ein Stückchen weiter nach Osten drehen, kriegt er die Morgensonne voll, und ...«
Und so weiter. Der Architekt war überhaupt nicht mehr zu bremsen. Río lauschte noch ein paar Minuten und erfuhr Folgendes: Das Haus würde Fußbodenheizung haben, dazu einen riesigen offenen Kamin im Wohnbereich, raumhohe dreifachverglaste Fenster überall und fantastische weiße Fliesen in der Küche. Es würde zwei große Badezimmer bekommen, drei Schlafzimmer mit Bad, eine Dusche im Erdgeschoss, einen Whirlpool auf einer Terrasse.
Es würde Empfangsräume haben, ein Spielzimmer und eine Bar, dazu natürlich einen Fitnessraum und einen Wellnessbereich sowie ein großes Büro, damit Adair mit seinen Geschäftspartnern in Dublin, London und New York in ständigem Kontakt bleiben konnte. Dann würde es noch einen Gästetrakt geben, in dem weitere Schlafzimmer mit Bad eingerichtet wurden, damit Felicitys Freunde dort wohnen konnten, wenn sie von Dublin kamen, um Partys zu feiern.
Es würde ein Schwimmbad geben fünfzig Meter vom Meer entfernt! und natürlich ein schönes, großes Ankleidezimmer neben dem großen Schlafzimmer, damit die Dame des Hauses ihre Designerfreizeitkleidung standesgemäß unterbringen konnte. Jedenfalls vermutete Río, dass es sich um solche Freizeitkleidung handelte. Um es mit James' Worten zusammenzufassen: ein Haus mit Flair. Mit Flair? Wie wäre es mit einem Zuhause mit Herz? Oder war im Irland des Wirtschaftsbooms das Zuhause keine Herzensangelegenheit mehr? Musste man stattdessen riesige Residenzen in die Landschaft stellen, um aller Welt zu zeigen, was für ein toller Erfolgsmensch man war?
»Dann kann Felicity ja schon mal ihre Gästelisten zusammenstellen«, sagte Adair endlich, während die beiden Männer sich wieder aufrichteten.
»Sie plant nämlich ein paar sehr ernsthafte Partys. Für die Einweihungsparty hat sie Louis gefragt, ob Boyzone wohl kommen würde.« Boyzone! Auf welchem Stern lebten diese Leute?
Río stand mühsam auf und betrachtete die beiden durch ihre Sonnenbrille, wie sie weitergingen. Nur noch Sprachfetzen wehten zu ihr herauf. Jetzt sprachen sie über Geld. Über Millionen.
»Adair?« Eine Frau in einer hellbeigen Wildlederweste und passenden Slippern kam etwas angestrengt den überwachsenen Pfad vom Cottage herunter. Sie trug eine kunstvoll verwuschelte Frisur mit vielen blonden Strähnchen, ihre Bräune sah aus wie aus der Sprühdose, und ihr Akzent klang wie eine erwachsene Version von Isabella.
»Adair«, rief sie noch einmal.
»Weißt du, wo Izzy ist?«
»Ich dachte, sie ist bei dir, Felicity«, antwortete er. »Nein, nein! Ich dachte, sie ist bei dir! Wo kann sie denn nur sein?«
»Vielleicht erkundet sie ein bisschen die Umgebung.«
»Na, das will ich doch nicht hoffen! Ich habe ihr gesagt, sie darf an den Strand, aber nur bis zur Aufschleppe. Izzy? Isabella!«
Die Frau blickte am Strand entlang, dann griff sie sich entsetzt an den Hals. »Oh, mein Gott! Da liegen ihre Sandalen!«
»Wo?«
»Da drüben, auf der Aufschleppe. Aber wo ist Isabella?« Jetzt sahen sie alle drei so sehr aus wie Gestalten aus einer griechischen Tragödie, dass Río sich wie ein Deus ex Machina vorkam, als sie an die Kante des Kliffs trat.
»Alles in Ordnung«, rief sie. »Ich weiß, wo sie ist.«
Sie hob eine Hand an den Mund, bildete mit Daumen und Mittelfinger einen Kreis und pfiff laut. Auf ihren zweiten Pfiff gab es eine ebenso laute Antwort von der anderen Seite der Landzunge, und kurz darauf tauchte Finn am Horizont auf.
»Finn«, rief Río. »Bring das Mädchen zurück, ihre Mutter sucht nach ihr.«
»Gleich.«
Río drehte ihr Haar zu einem Knoten, bückte sich, um ihre Espadrilles und ihren Rucksack aufzuheben, und kletterte dann den Kliffpfad hinunter zu dem vollkommen verdatterten Trio. Als sie vor den dreien stand, nahm sie die Sonnenbrille ab und schenkte ihnen einen stahlharten Blick aus grünen Augen. »Tag«, sagte sie.
»Die Kleine wollte die Esel sehen.«
»Du meine Güte«, erwiderte die offenbar sehr verärgerte Felicity. »Aber doch nicht, ohne mich vorher zu fragen! Ich habe ihr deutlich gesagt, sie darf nicht weiter gehen als bis auf die Aufschleppe.« »Hallo, Ma.« Río drehte sich um und lächelte, als Finn auf sie zukam.
Der sichere Gang, das intelligente Gesicht, die schlanke, anmutige Gestalt all diese Züge erinnerten an den keltischen Stammesführer, von dem er seinen Namen hatte. Und der um seinen Mund verschmierte Süßholzsaft betonte nur sein wunderbares schiefes Grinsen.
Isabella lief neben ihm her, glücklich und vollkommen aufgelöst. Ihre blonden Locken waren zerzaust, ihre Wangen feuerrot, und die pinkfarbenen Radlerhosen hatten jede Menge Grasflecken. Ihr Mund war genau wie Finns mit Süßholzsaft verschmiert, und sie strahlte übers ganze Gesicht.
»Mami«, rief sie und tänzelte hinüber zu Felicity, die immer noch ihre Perlenkette umklammert hielt, als handele es sich um einen Rosenkranz.
»Du hättest das Eselfohlen sehen sollen! Soooo süüüß! Und weißt du, wie wir sie getauft haben? Pinkie!«
»Du hast sie Pinkie getauft, ich nicht«, brummte Finn. Felicity stellte sich auf die Aufschleppe und betrachtete mit indigniertem Blick Isabellas verlassene Sandalen.
»Zieh dir deine Schuhe wieder an, Isabella«, sagte sie. Dann wandte sie sich an Río, und das Lächeln, zu dem sie sich zwang, sah aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
»Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Felicity Bolger, und das sind mein Mann Adair und unser Architekt James McDermot.«
»Ich bin Río«, antwortete Río. »Und das ist mein Sohn Finn.«
Felicity Bolger sah Finn mit kaum verhohlenem Widerwillen an, bevor sie sich wieder ihrer Tochter zuwandte.
»Können wir nicht auch einen Esel haben, Mami?«, zwitscherte Isabella, die ihre Sandalen zuhakte. »Wir könnten ihn hier unten halten, und Finn würde sich um ihn kümmern, wenn wir in der Stadt sind. Finn sagt, Eselrennen sind echt stark. Er sagt, er könnte ein Rennen organisieren, und dann könnten wir Eintritt verlangen und Wetten annehmen, welcher Esel das Rennen gewinnt. Ich bin auf Dorcas geritten, und, na ja, sie hat mich zwar wieder abgeworfen, aber Finn sagt, ich sitze ganz anständig drauf und ...«
»Oh, bitte hör auf zu plappern, Isabella, und konzentrier dich auf das, was du tust«, schnauzte Felicity ihre Tochter an. »Wir kommen zu spät zu dem Empfang.«
Isabella sah ihre Mutter aufsässig an.
»Ich will aber nicht zu diesem blöden Empfang«, sagte sie. »Ich will hierbleiben und auf Dorcas reiten.«
Danach hing ein schicksalsschweres Schweigen zwischen ihnen, bis James sich irgendwann räusperte und Adair ein paar Töne vor sich hin pfiff. Felicity seufzte kurz und zittrig auf.
»Nun gut«, sagte sie dann mit bebender Stimme.
»Bleib hier und reite auf Dorcas, wenn du unbedingt willst. So wie du aussiehst, kann ich dich ohnehin nicht mit auf den Empfang nehmen. Du kannst mit Paps in James' Jeep zurückfahren. Würdest du mir bitte die Schlüssel für den Mercedes geben, Adair?«
»Felicity ...«
»Die Schlüssel.«
Adair griff in die Tasche seiner Jacke, zog einen Schlüsselbund heraus und gab ihn ihr. Dann warf Felicity mit einem kaum hörbaren »Danke, viel Spaß noch ...« ihr gefärbtes Haar zurück und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Wieder herrschte Schweigen, dann sagte Adair Bolger zu seiner Tochter: »Lauf ihr nach, Liebes.« »Aber Paps ...«
»Mach schon. Ich komme in einer Stunde nach.«
»Aber ...«
»Bitte, mein Schatz! Dieser Empfang bedeutet deiner Mutter sehr, sehr viel, es ist ihr erstes großes gesellschaftliches Ereignis in Coolnamara.«
Isabella starrte ihrer Mutter nach, die den Strand entlangstolperte und dabei entsetzlich elend und einsam aussah.
Dann warf sie einen Blick auf Finn, der die Erforschung des kleinen Wasserbeckens wieder aufgenommen hatte.
»Na gut«, sagte sie dann, hakte ihre Sandalen endgültig zu und sprang auf.
»Mami, Mami«, rief sie. »Warte, ich komme doch mit!«
Felicity blieb stehen und machte dann eine hilflose Handbewegung.
»Aber ... deine Kleider ...«
»Sie kann sich im Hotel umziehen«, rief Adair schnell.
»Lauf, Isabella.« Und Isabella lief. Nach ein paar Metern drehte sie sich um und winkte Finn noch einmal zu.
»Nächstes Mal kann man vielleicht schon auf ihr reiten«, rief sie, bevor sie ihrer Mutter weiter nachlief. »Mami, jetzt warte doch! Finn erlaubt mir, auf Pinkie zu reiten, wenn sie groß genug ist. Vielleicht könnte ich ja Reithosen und richtige Stiefel kriegen und eine Reitkappe ...«
»Sei doch nicht albern, Isabella. Du sprichst von einem Esel, nicht von einem Vollblutpony.«
»Aber es könnte solchen Spaß machen! Denk doch mal an den Film, wo ...«
... weniger
Autoren-Porträt von Kate Thompson
Kate Thompson, geb. in Belfast, Studium der englischen und französischen Literatur in Dublin. Danach Theater- und TV-Schauspielerin. 1989 Gewinn des Best Actress Award. Arbeit für eine erfolgreiche irische Soap-Opera und Buchautorin. Kate Thompson lebt mit ihrer Familie in Dublin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kate Thompson
- 2010, 1, 496 Seiten, Maße: 12,5 x 18,8 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868003428
- ISBN-13: 9783868003420
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