Ein Hoffnungsstern am Himmel
Doch das Leben im australischen Busch ist hart für eine junge...
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Doch das Leben im australischen Busch ist hart für eine junge Städterin, und Estella hat nach ihrem Studium nie als Tierärztin praktiziert. Um weitere Vorurteile zu umgehen, verschweigt sie, dass sie gerade geschieden wird.
Gerade als die Farmer und Dorfbewohner beginnen, sie zu akzeptieren, holt ihre Vergangenheit sie ein: James hat inzwischen erfahren, dass Estella sein Kind erwartet und Davinia keine Kinder bekommen kann, ihre Erbschaft jedoch an Nachkommen gebunden ist.
Ein Hoffnungsstern amHimmel von Elizabeth Haran
LESEPROBE
London, 1954
Tut mir Leid, dass Sie warten mussten, Estella, sagte Dr.Blake, als er wieder ins Sprechzimmer kam. Die Untersuchung hat etwas längergedauert als üblich. Meine neue Assistentin ist noch ein bisschen unsicher. EinGlück, dass sie nicht bei jeder Spritze in Ohnmacht fällt ...
Bitte, Dr. Blake, wie lautet das Ergebnis?
Arthur Blake spürte Estellas Ungeduld, und so teilte er ihrdie Neuigkeit sofort mit.
Ihre Vermutung war richtig, Estella. Sie sind schwanger. Ichgratuliere!
Zu Dr. Blakes Erstaunen schien Estella alles andere alsglücklich zu sein. Über seinen unordentlichen Schreibtisch hinweg sah er, dasssie auf der vordersten Kante des Stuhles saß, die unruhigen Finger im Schoßineinander verschlungen. Sie hielt den Kopf gesenkt. Als sie ihn wieder hob,sah er Tränen in ihren großen grünen Augen und auf ihren blassen Wangenglitzern.
Ich weiß nicht, ob die Neuigkeit wirklich ein Grund fürGlückwünsche ist, Dr. Blake.
Der Arzt war ein älterer Herr und schon vor Estellas GeburtHausarzt ihrer Familie gewesen. Er hatte sie auf die Welt geholt, und es brachihm fast das Herz, sie nun so unglücklich zu sehen.
Was ist denn, Estella? Möchten Sie das Kind nicht?
Sie nickte, schüttelte dann jedoch den Kopf, um Dr. Blakegleich darauf durch ein erneutes Nicken zu verwirren.
Es tut mir Leid, dass ich so sentimental reagiere, Dr.Blake. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Normalerweise bin ich eineruhige, sachliche Frau, aber zurzeit breche ich beim geringsten Anlass inTränen aus und widerspreche dem armen James in fast allem, was er sagt.
Der Arzt kam um den Tisch herum und nahm ihre Hand. Das istunter diesen Umständen ganz normal, Estella. Ihr Körper macht dramatischeVeränderungen durch.
Wollen Sie damit sagen, dass diese Empfindlichkeit die ganzeSchwangerschaft hindurch anhält?
Nein, Ihre Gefühlswelt beruhigt sich schon wieder. Undmachen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie ab und zu ein bisschen vergesslich sind- das ist völlig normal. Leiden Sie unter morgendlicher Übelkeit?
Manchmal fühle ich mich unwohl, ja, aber zu ganzunterschiedlichen Zeiten.
Diese Übelkeit muss nicht unbedingt nur am Morgen auftreten.Zu allen Tageszeiten kann Ihnen vorübergehend schlecht sein. Außerdem kann IhrGeschmacksempfinden sich verändern. Es ist möglich, dass Sie den Geruch vonSpeisen, die Sie sonst gern gegessen haben, plötzlich nicht mehr ertragen, oderSie entwickeln eine Vorliebe für Dinge, die Sie vorher nie mochten ...
Du liebe Zeit, das hört sich ja schrecklich an!
Ob Sie s mir glauben oder nicht, Estella, es wird imGegenteil wunderschön!
Die junge Frau schluchzte. Ich habe Biologie, Anatomie undPhysiologie studiert. Da sollte man doch meinen, ich wüsste über allekörperlichen und seelischen Veränderungen in der Schwangerschaft Bescheid...
Dr. Blake ließ sich auf der Ecke seines Schreibtischesnieder und erwiderte lachend: Sie haben Tiermedizin studiert, Estella, undalles über Hunde und Katzen, Pferde und Kühe gelernt - aber nicht überMenschen. Deren Gefühlswelt ist schon ein wenig komplizierter als die derTiere. Er runzelte die Stirn. Oder macht Ihnen der Gedanke Sorgen, was James zuder Schwangerschaft sagen wird?
Estella nickte, und ihre Augen schimmerten schon wiederverdächtig. Er ist noch nicht bereit, die Rolle eines Vaters zu übernehmen.
Ob er bereit ist oder nicht, jetzt muss er sich damitabfinden. Und Sie dürfen sich nicht aufregen, das bekommt weder Ihnen noch demKind. Ich bin überzeugt, James wird begeistert sein, wenn er sich erst einmalan den Gedanken gewöhnt hat. Dr. Blake reichte ihr ein sauberes Taschentuch.
Da bin ich nicht so sicher, sagte sie. Wann immer ich diesesThema angesprochen habe, wollte er gar nicht erst darüber reden.
Aber Ihre Ehe ist doch glücklich?
Ja. Nur ... James ist im Grunde seines Herzens noch eingroßer Junge.
Arthur Blake lächelte und zwinkerte ihr beruhigend zu. Ichfürchte, daran wird sich auch nichts ändern, bis er wirklich Verantwortungtragen muss. Ein ganzes Jahr lang waren Sie zu zweit und mussten an niemandanderen denken - also gab es für James keinen zwingenden Grund, erwachsen zuwerden. Sicher ist seine Arbeit als Anwalt sehr anstrengend, aber Sie habenzusammen alles genießen können, was London an gesellschaftlichen Ereignissen zubieten hat.
Ja, das stimmt. Und James schätzt das gesellschaftlicheLeben sehr. Ich glaube nicht, dass er darauf verzichten will. Aber als Mutterwerde ich nicht so viele Partys und Bälle besuchen können, wie wir es jetzttun, nicht einmal, wenn wir jemanden einstellen.
Es ist ein sehr schöner Tag, Estella. Sie sollten einenPicknickkorb packen und James im Büro mit der Nachricht überraschen. Gehen Siemit ihm in den Hyde Park, und erzählen Sie ihm die große Neuigkeit. Dann werdenSie sehen, dass Ihre Sorgen völlig unbegründet waren.
Estella stand auf. Ich nehme an, früher oder später werdeich es ihm sagen müssen.
Allerdings. Und was fühlen Sie selbst in dieser Sache?Freuen Sie sich auf Ihr erstes Kind?
Estella legte eine Hand auf ihren Leib und versuchte sichdas Leben vorzustellen, das in ihr heranwuchs. Ein zaghaftes Lächeln legte sichauf ihre schönen Züge, gepaart mit einem Ausdruck des Erstaunens. Dr. Blakeliebte diesen Ausdruck auf den Gesichtern von Frauen, die ein Kind erwarteten.Es waren die Momente, in denen er seine Arbeit am liebsten tat.
In Gedanken verloren schlenderte Estella unter dem Glasdachder Burlington-Arkaden entlang. Irgendwann blieb siestehen, um ein hübsches Tweedkostüm zu bewundern, das ihr ins Auge fiel. Derwadenlange graue Rock und die passende hüftlange Jacke hätten ihre schlankeFigur gut zur Geltung gebracht. Der Gedanke, dass ihre Körperformen sich baldverändern würden, zauberte ein nachdenkliches Lächeln um ihre Mundwinkel. Siefragte sich, ob sie wirklich bereit war für alles, was mit ihr geschehen würde.
Als sie sich umwandte, sah sie ihr Spiegelbild in derSchaufensterscheibe. Sie trug ein cremefarbenes wadenlanges Kleid, dessen weitschwingender Rock mit roten Rosen bedruckt war; dazu rote Schuhe und einenpassenden Hut mit breiter Krempe. Sie versuchte, sich ihren schwangeren Leibvorzustellen, die geschwollenen Füße ... Würde James sie unattraktiv finden?
So ein Unsinn!, murmelte sie ärgerlich. James liebt dich,und er wird auch unser Kind lieben. Obwohl James dazu neigte, seinen Schwächenund Leidenschaften nachzugeben, war Estella sicher, dass er ein wunderbarerVater sein würde. Sie hoffte, einen Sohn zu bekommen, mit dem James im ParkFußball spielen konnte. Er war immer sehr sportlich gewesen, besonders währendseines Studiums; deshalb zweifelte sie nicht daran, dass auch er gern einenSohn hätte.
Estella öffnete die Tür zu James Büro, das er in einemGebäude am Grosvenor Square gemietet hatte - und blieb verwundert stehen: Stattwie erwartet Miss Frobisher zu sehen, die Sekretärinihres Mannes, stand sie vor einer Frau mit breiten Schultern, kräftigen Armenund einschüchterndem Blick, die eher für den Posten der Leiterin desObdachlosenasyls in Ealing geeignet schien. Nacheinem Blick auf den Berg von Sandwiches und Kuchenauf dem Tisch, der Estella seltsam fremd vorkam, wurde ihr klar, dass sie dieFrau beim Mittagessen störte. Entschuldigen Sie, wo ist Miss ... Frobisher?
Wer ist Miss Frobisher?, fragtedie Frau, die eben in ein dickes Sandwich hatte beißen wollen, unfreundlichzurück.
Die Sekretärin meines Mannes. Ist sie krank?
Ich arbeite für Mr. Cook, und Sie sind ganz sicher nichtseine Frau.
Estella wurde von einem eisblauen Augenpaar mitdurchdringendem Blick gemustert. Normalerweise hätte sie sich jetztkerzengerade aufgerichtet, doch so, wie sie sich im Moment fühlte, hätte siesich am liebsten umgedreht und die Flucht ergriffen. Ich bin Mrs. Lawford, sagte sie leise. Und ich kenne keinen Mr. Cook.
Und ich kenne keinen Mr. Lawford.Die eisigen blauen Augen wurden schmal, als die Frau ihr Sandwich widerstrebendauf den Tisch legte. Sie erhob sich und kam auf Estella zu. Ihre ganze Haltungdrückte aus, dass sie die Besucherin am liebsten auf nicht eben freundliche Arthinauskomplimentiert hätte. Sind Sie sicher, dass Sie im richtigen Büro sind,Mrs. Lawford?, fragte sie mit kaum verhohlenerUngeduld.
Ich weiß doch, wo mein Mann arbeitet!, entgegnete Estellamit einem Blick auf die Mattglasscheibe in der Tür. Alarmiert stellte sie fest,dass das Schild mit der Aufschrift james lawford rechtsanwalt verschwundenwar, und brach mit einem Mal in Tränen aus. Sie kam sich albern vor, konnteaber nichts dagegen tun. Wie war es möglich, dass sie das Büro ihres Mannesnicht fand?
Sofort entdeckte Edwina McDonald ihre mütterliche Ader. Oje, was ist mit Ihnen, meine Liebe?
Ich weiß es selbst nicht, erwiderte Estella kläglich. Ichwollte doch nur meinen Mann zu einem Picknick einladen und ihm sagen, dass ich... wir erwarten unser erstes Kind, und ... und nun kann ich sein Büro nichtfinden. Es tut mir Leid ...
Schon gut. Mir ist es bei jedem meiner fünf Sprösslingegenauso gegangen. Zum Glück sind sie inzwischen erwachsen!
Estella versuchte vergeblich, sich ihr Gegenüber alszärtliche Mutter vorzustellen.
In diesem Moment betrat ein Mann in mittleren Jahren dasBüro und zog seine Jacke aus. Ist schon ziemlich warm draußen, meinte er undwandte sich dem Schreibtisch zu. Als er die schluchzende Estella sah, fragte erseine Sekretärin mit einem verwunderten Blick: Ist etwas passiert, Edwina?
Nein, Mr. Cook. Mrs. Lawford gehtes sicher gleich wieder besser. Sie sucht ihren Mann und hat sich in der Türgeirrt.
Aber ich war sicher, dass es hier ist, beharrte Estella. Ichbin hier doch im Edmund-Foley-Gebäude, nicht wahr?
Ja, allerdings.
Und an der Tür steht die Nummer sechs, also muss das hierdas Büro meines Mannes sein.
Wir sind jetzt seit ungefähr einem Monat hier, Mrs. ... Lawford, nicht wahr?, fragte Mr. Cook.
Estella nickte.
Ah, dann ist Ihr Mann sicher James Lawford,der Anwalt?
Genau. Estellas Miene hellte sich auf. Also war sie dochnicht dabei, den Verstand zu verlieren!
Das hier war früher sein Büro. Ich hatte meines direktgegenüber, bevor ich hier eingezogen bin.
Oh. Und wo ist mein Mann jetzt, Mr. Cook? Haben Sie dieBüros getauscht?
Mr. Cook schien sich plötzlich nicht mehr wohl in seinerHaut zu fühlen. Nein, Mrs. Lawford. Ihr Mann hat hierkein Büro mehr.
Verwirrt fragte Estella: Wollen Sie damit sagen, er hat seinBüro in ein anderes Gebäude verlegt?
Das nehme ich an.
Aber warum?
Brian Cook fühlte sich immer unbehaglicher; außerdem tatEstella ihm Leid. Ich glaube, es war eine ... nun ja, geschäftlicheEntscheidung.
Oh. Estella nahm an, dass James ein größeres, besseres Bürogefunden hatte. Er hatte des Öfteren davon gesprochen, dass er gern in größerenund moderneren Räumen arbeiten würde. Sie wissen nicht zufällig, wo sich seinneues Büro befindet, Mr. Cook?
Ich fürchte, er hat keine Adresse hinterlassen, Mrs. Lawford. Nur unbezahlte Rechnungen, fügte er in Gedankenhinzu. Brian Cook sah Estella ihr Befremden deutlich an. Er warf einen Blickauf den Picknickkorb in ihrer Hand, und seine Haltung wurde freundlicher.Vielleicht hat er es Ihnen ja erzählt, und Sie haben es bloß vergessen? Auchich vergesse ständig irgendetwas.
Ich glaube kaum, dass ich etwas so Wichtiges vergessenwürde, aber Sie haben Recht ... mein Arzt hat mir eben erst gesagt, dass soetwas in meinem Zustand normal ist.
Brian Cook warf Edwina einen fragenden Blick zu, und diesesagte leise: Sie erwartet ein Kind!
Estella blickte Mr. Cook an und begriff allmählich, dass ersich bemühte, ihr weitere Peinlichkeiten zu ersparen. Doch es war zu spät - siehatte sich in ihrem Leben noch nie so gedemütigt gefühlt. Ich komme mirschrecklich albern vor. Tut mir Leid, dass ich Sie gestört habe.
Sie haben uns nicht gestört, Mrs. Lawford,sagte Mr. Cook und geleitete sie bis auf den Korridor.
Wann haben Sie dieses Büro übernommen, sagten Sie?, fragteEstella leise und versuchte fieberhaft, den Aussagen Mr. Cooks einen Sinn zuentnehmen.
Cook steckte den Kopf ins Büro, um seine Sekretärin zufragen. Es ist sogar schon mehr als einen Monat her, nicht wahr, Edwina?
Morgen sind es fünf Wochen, erwiderte die Sekretärin einwenig ungehalten, da sie sich gerade einen Bissen Cornedbeef-Sandwich in denMund geschoben hatte.
Verwirrt und ratlos wandte Estella sich zum Gehen.
Draußen, im hellen Sonnenlicht, blieb sie stehen und las diein Stein gemeißelte Inschrift über dem Hauptportal des Gebäudes: edmund foley 1785. Sie hatte zwarnicht an den Worten Mr. Cooks gezweifelt, musste sich trotzdem aber noch einmalvergewissern, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. James schien wirklich dasBüro gewechselt zu haben, aber warum hatte er ihr nichts davon gesagt? JedenMorgen machte er sich um die gleiche Zeit auf den Weg zur Arbeit, und jedenAbend kam er zwischen sechs und sieben Uhr zurück, je nachdem, wie vieleMandanten er gehabt hatte. Meist war er dann müde und ging nach dem Abendessenschlafen. Estella wusste nicht, was sie denken sollte. Sie konnte unmöglich vergessenhaben, dass ihr Mann in ein anderes Büro umgezogen war! Andererseits war sie inletzter Zeit tatsächlich ungewöhnlich erschöpft und vergesslich gewesen undhatte erst an diesem Vormittag den Grund dafür erfahren. Der Gedanke an dasBaby zauberte den Hauch eines Lächelns auf ihr Gesicht, das jedoch rasch wiederverblasste.
Estella seufzte tief, als sie daran dachte, dass sie Jamesnun erst am Abend von ihrer Schwangerschaft erzählen konnte. Sie wusste, dasses albern war, doch sie fühlte sich deprimiert und sehr allein, und in ihremKopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Wieder begann Estella zu weinen.
Verflixt!, rief sie sich dann selbst zur Ordnung und wischtedie Tränen mit einer ungeduldigen, zornigen Bewegung fort. Es geht nicht an,dass du als heulendes Nervenbündel durch die Gegend läufst! Nach einem Blickauf den Picknickkorb beschloss sie, allein im Park zu Mittag zu essen. Dortwürden ihr wenigstens die Tauben Gesellschaft leisten.
Entschlossen ging Estella über die Straße. Sie hörte nicht,wie der Fahrer eines Austin bewundernd hinter ihr her pfiff, noch vernahm siedas Mittagsläuten des Big Ben. Als sie sich dem Grosvenor Hotel näherte,grübelte sie immer noch darüber nach, wie sie wohl vergessen konnte, dass Jamesein anderes Büro bezogen hatte. Konnte das wirklich sein? Estella musste sicheingestehen, dass sie sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war, seit sievermutete, schwanger zu sein. James hatte sogar Bemerkungen über ihreVergesslichkeit gemacht, doch sie hatte ihm nichts von ihrem Verdacht erzählt.Ihre Angst vor seiner Reaktion war zu groß gewesen.
Estella erschrak, als sie mit einer hochschwangeren Frauzusammenstieß. Sie entschuldigte sich, aber die Frau lächelte ihr freundlichzu, bevor sie weiterging. Plötzlich sah Estella ihren Mann aus dem GrosvenorHotel kommen. Erstaunt beobachtete sie, wie er ein Taxi heranwinkte. Siewunderte sich über sein Äußeres, das nicht so makellos war wie üblich, undfragte sich, wohin er wohl fahren wollte. In dem Moment entdeckte sie ihreCousine Davinia.
Na, so was, murmelte Estella. James muss ihr zufälligbegegnet sein.
Es musste sich tatsächlich um einen Zufall handeln, dennJames hatte nicht erwähnt, dass er sich mit Daviniatreffen wollte - oder doch? Wie dem auch war, Estella hatte Mitleid mit James,denn Davinia war ausgesprochen exaltiert. Seit demTod ihres dritten Ehemannes zogen sich selbst geduldige und verständnisvolleMenschen von Davinia zurück. Unter dem Vorwand, einenRat oder Unterstützung zu suchen, nahm sie jeden sofort ganz in Beschlag. Wegenseiner Hilfsbereitschaft war James sicher eine leichte Beute. Er war galant,aufmerksam und sanft, und viele Frauen schwärmten von seinem Charme. Estellavertraute ihm vorbehaltlos; niemals würde James sie betrügen.
Sie ging auf die beiden zu, froh und dankbar, dass sie nieAnlass zur Eifersucht hatte, als James Daviniaplötzlich in die Arme schloss.
Estella blieb stehen. Fassungslos beobachtete sie, wie ihrMann ihre Cousine leidenschaftlich küsste - vor allen Leuten, die um diese Mittagsstundeauf dem Grosvenor Square unterwegs waren. Sie merkte, wie ihr die Kniezitterten. Mit dem Gefühl tiefster Demütigung sah sie die glühenden Blicke, dieJames und Davinia tauschten, während er sie zärtlichan sich zog und mit dem Handrücken sanft ihre Wange berührte. Offensichtlichwaren sie sich der Blicke und des Getuschels der Vorübergehenden nicht bewusst,und keiner von beiden sah Estella, die nicht mehr als zehn Schritte von ihnenentfernt stehen geblieben war. James und Daviniabefanden sich in ihrer eigenen Welt - einer Welt, von der Estella bishergeglaubt hatte, sie gehöre ihr ganz allein.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie Davinia ins Taxi steigen sah. Durch das hintere Fensterlächelte sie James liebevoll zu. Ihre blonden, kunstvoll frisierten Haareumrahmten ihr hübsches Gesicht. Tränen stiegen Estella in die Augen, als Jamesdem davonfahrenden Wagen hinterherblickte, als könneer sich nicht von der Frau losreißen, die darin saß. Estella wäre am liebstengeflohen, doch ihre Beine fühlten sich so schwer an, als wären sie aus Blei.Sie wünschte sich sehnlichst, die letzten Minuten ausihrem Gedächtnis löschen und zu jenen Tagen zurückkehren zu können, als sienoch nichts vom Betrug ihres Mannes geahnt hatte. Es brach ihr fast das Herz,als sie an das Baby dachte. Wie kannst du mir so etwas antun, James, flüstertesie und legte unwillkürlich eine Hand auf ihren Leib. Tränen strömten ihr überdie Wangen. Warum?, sagte sie leise. Ich brauche dich doch ... Ich brauche dichjetzt mehr als je zuvor. In diesem Augenblick verwandelte ihre Verzweiflungsich in Wut.
Mit der selbstzufriedenen Miene eines von der Liebegesättigten Mannes beobachtete James, wie DaviniasTaxi sich hinter einem roten Doppeldeckerbus in den Verkehr einfädelte und inRichtung Park Lane fuhr.
Estella ging zu ihm hinüber, zitternd vor Zorn.
Als James spürte, dass jemand neben ihm stand, wandte ersich um. Estella! Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Estellas Blick sagte ihmdeutlich, dass sie Zeuge des rührenden Abschieds von seiner Geliebten gewordenwar.
Du erinnerst dich also noch an mich - Estella Lawford, die seit kaum einem Jahr deine Frau ist? Siestarrte ihn finster an. Und bis vor einer Minute habe ich nicht mal geahnt,dass mein geliebter Mann in aller Öffentlichkeit einer Affäre mit meinerlebenslustigen Cousine frönt, die nicht viel intelligenter ist als einRegenwurm und deren Mann gerade erst unter der Erde liegt!
James geriet in Panik, denn Estella hatte so lautgesprochen, dass sie die Aufmerksamkeit anderer, ebenfalls auf Taxis wartenderHotelgäste erregte. Er nahm ihren Arm und versuchte sie fortzuziehen, dochEstella rührte sich nicht von der Stelle.
Können wir nicht irgendwohin gehen und wie zivilisierteMenschen über diese Sache sprechen, Estella?
Wieso? Gerade eben hat es dir nichts ausgemacht, deineAffäre öffentlich zur Schau zu stellen. Sie schüttelte den Kopf. Wie konntestdu mich so demütigen? Ich komme gerade von deinem Büro und habe mich dort schonschrecklich blamiert, als ich erfahren musste, dass du gar nicht mehr dortarbeitest - und das schon seit fast fünf Wochen!
(Seite 9-19)
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© 2003 by Elizabeth Haran
Übersetzung: Monika Ohletz
© für diedeutschsprachige Ausgabe 2004 by Verlagsgruppe LübbeGmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach - All rights reserved.
Autoren-Porträtvon Elizabeth Haran
Elizabeth Haran wurde in Simbabwe geboren. Schließlich zog ihreFamilie nach England und wanderte von dort nach Australien aus. Heute lebt siemit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in Südaustralien, nahe dem Barossa Valley. Ihre Leidenschaft für das Schreibenentdeckte sie mit Anfang dreißig; zuvor arbeitete sie als Model, besaß eineGärtnerei und betreute lernbehinderte Kinder.
Interview mit Maeve Haran
Die meisten Ihrer Protagonistinnen leben in derGroßstadt und meistern ihr Leben zwischen Mann, Kind und Karriere. Flora Parkerdagegen zieht es aufs Land. Was halten Sie vom Landleben?
Ich liebe die Ruhe und die Schönheit ländlicher Gegenden.Aber wie meine Buchheldin Flora, bin ich eigentlich ein richtiges Stadtmädchen.In meinen Roman "Ein Mann im Heuhaufen" habe ich einige persönliche Erfahrungeneingeflochten. So ziehe ich mich grundsätzlich falsch an, wenn ich aufs Land fahre,und gebe dann ein entsprechend lächerliches Bild ab. In einer Szenebeispielsweise denkt Flora, sie wäre von Stieren umringt, dabei waren es nurOchsen. Das ist in Wirklichkeit mir selbst passiert! Aber doch, ich liebe dasLandleben. Ich genieße es, den Wechsel der Jahreszeiten zu beobachten oder alldie Namen der Blumen und Vögel zu kennen. Diese Begeisterung für die Naturwollte ich auch in meinem Buch zum Ausdruck bringen, denn ich finde, sie ist eingutes Gegengewicht zu meiner humorvollen Schreibweise.
Nach Ihrem großen Erfolgals Schriftstellerin haben Sie Ihre Karriere als TV-Produzentin aufgegeben. Wasbedeutet das Schreiben für Sie? Haben Sie schon immer gern geschrieben, odergab es eine Art Wendepunkt in Ihrer persönlichen Entwicklung?
Schreiben ist ein großartiges Geschenk, ein unglaublichesPrivileg. Man hat die Möglichkeit, ein Leben lang das zu tun, was man liebt:sich Geschichten ausdenken. Es kann natürlich auch ein sehr einsames Lebensein, wenn man nur in seinem eigenen Kopf lebt. Das ist auch der Grund, warumich es so schätze, immer drei laute Kinder um mich zu haben und einen lautenschottischen Ehemann, der Gitarre spielt. Das wunderbarste Geschenk, was mandurch die Arbeit als Schriftstellerin erhält, ist die Freiheit. Früher, als ichnoch beim Fernsehen arbeitete, hatte ich ein sehr stressiges Leben. Jetzt kannich mir meine Zeit zwischen Romanen, Kurzgeschichten und journalistischerArbeit frei einteilen. Jeder dieser drei Bereiche erfüllt mich auf seine Weise.Abgesehen davon ist da natürlich noch meine Familie und unser kleines Landhaus,in dem ich mich immer sehr wohl fühle. Leider sind meine Töchter gerade ineinem schwierigen Alter und hassen es, ihre Zeit dort zu verbringen. Sie gehenlieber einkaufen und in die Disko. Ich dagegen konnte mir hier einigeInspirationen für "Ein Mann im Heuhaufen" holen: Ich habe mich mit sehr vielenFarmern unterhalten!
Der Wendepunkt in meiner persönlichen Entwicklung war dieGeburt meiner zweiten Tochter. Damals stellte ich fest, dass ich, beruflichgesehen, gerne mein eigener Herr wäre. Eine so erfolgreiche Karriere einfachaufzugeben, birgt auch ein großes Risiko. Damals hatte ich noch nie einen Romangeschrieben. Nur ein paar Artikel für Zeitschriften. Eigentlich wollte ichAnwältin werden und begann, an der Universität in Oxford Jura zu studieren.Doch nachdem ich einmal versucht hatte, Geschichten zu schreiben, war ichgefangen, und es gab kein Zurück mehr.
Die Frauen in IhrenRomanen sind oft attraktiv, energisch, witzig und immer noch auf der Suche nacheinem erfüllten Leben. Woher stammen Ihre Charaktere? Woher stammt IhreInspiration?
Meine Mutter war für mich eine große Inspiration. EineÄrztin, die voll im Berufsleben steht, vier Kinder hat und vor Energie nur sosprüht. Ich selbst bin auch sehr energisch und aktiv - das habe ich von ihr.Manchmal stieg sie um zwei Uhr morgens auf die Leiter und fing an, die Decke zustreichen. Das sieht auch mir ziemlich ähnlich! Sie erwähnen in Ihrer Frage,dass die Frauen in meinen Romanen sehr lebhaft und witzig sind, und doch immernach Erfüllung suchen. Einerseits denke ich, dass sich das Leben der Frauen inder heutigen Zeit sehr zum Positiven entwickelt hat. Andererseits ist diesegroße Auswahl an Möglichkeiten auch sehr verwirrend. Obwohl mir zum Beispielmeine Bücher überaus wichtig sind, so bedeutet es mir dennoch genauso viel,Kinder zu haben. Ich hasse es, wenn sich junge Frauen dagegen entscheiden, eineFamilie zu gründen, weil ihnen ihre Karriere wichtiger ist. Ideal ist, wenn manbeides unter einen Hut bringen kann. Doch es ist erstaunlich, wie kompliziertdas trotz allem noch ist!
Meiner Meinung nach besitzen Frauen einen wunderbaren Sinnfür Humor, deshalb sind sie auch in meinen Geschichten witzig. Es ist immerlustig, wenn eine Frauenrunde zusammenkommt - ich versuche, das einzufangen.Man lernt die Charaktere in meinen Geschichten über die Dialoge kennen, überdie Art und Weise, wie sie sich alles erzählen, besonders Freundinnen, Mütterund Töchter.
Wie schaffen Sie es, ein Familienlebenmit Mann und drei Kindern mit Ihrer Karriere als Schriftstellerin zuvereinbaren? Ist das alles nur eine Frage der Organisation? Was würden SieFrauen raten, die zögern, eine Familie zu gründen?
Eine Regel, an die ich mich immer zu halten versuche, ist:DER MORGEN IST HEILIG! An der Tür meines Arbeitszimmers hängt ein kleinerZettel, auf dem dieser Spruch steht. Früh am Morgen kann ich viel besserarbeiten. Ich bin eben eine "Lerche", keine Nachteule. Ich muss sehrdiszipliniert sein. Ich beginne mit dem Schreiben, sobald die Kinder zur Schulegegangen sind, und arbeite bis etwa zwei Uhr nachmittags. Dann verbringe ichentweder Zeit mit meinen Kindern oder mache ein paar Sachen für mich. Da ichüber moderne Familien schreibe, bieten gelegentliche Krisen bei uns eine guteVorlage! Ich kann jeder Frau, die noch zögert, Kinder zu bekommen, nur sagen:Mach es! Kinder sind der größte Reichtum, den unser Leben zu bieten hat. Arbeitist auch wundervoll, aber es ist nicht alles. Durch meinen Job bin ich in derganzen Welt herumgekommen und habe viele schöne Erfahrungen gemacht. Dochnichts von ist mir so wichtig wie mein kleiner Sohn, der seine Hand in meinelegt und sagt: "Ich liebe dich, Mum".
Die Heldinnen Ihrer Romane dürfensich oftmals über ein fulminantes Happyend freuen. Gibt es einen Traum, den Siesich selber noch gerne erfüllen würden?
Ich habe mir sozusagen mein eigenes Happyend schongeschrieben. Vor vier Jahren habe ich den Mann, mit dem ich damals schon seit18 Jahren zusammenlebte, in einem schottischen Schloss geheiratet. Es war derromantischste Tag in meinem Leben. Mein Sohn trug einen Schottenrock, und meineTöchter begleiteten uns als Brautjungfern. Ich trug eine rote Tiara, die ich inParis selbst angefertigt hatte. Die Atmosphäre wurde durch Dudelsackspieler undschottische Tänzer vervollkommnet. Es gab die schönsten Blumen, die ich jegesehen hatte. Und - was für schottische Verhältnisse geradezu an ein Wundergrenzt - die Sonne schien den ganzen Tag! Wir heirateten in einer Zeit, in dersich viele unserer Bekannten mittlerweile schon wieder scheiden ließen! Dasließ uns beide sehr glücklich und optimistisch in die Zukunft blicken.
Ansonsten wünsche ich mir, dass ich weiterhin schreibenkann, dass es Menschen gibt, die meine Bücher gerne lesen. Ich will meineKinder aufwachsen sehen und viel Zeit in unserem kleinen Landhaus verbringen.Es ist sehr aufregend für mich, mitzuerleben, wie sich meine Töchter zu jungenFrauen entwickeln. Die Mittlere spricht sehr gut deutsch und ist schon oft inDeutschland gewesen. Einige Leute sagen sogar, dass man meinen könnte, sie wäreeine Deutsche. Das macht mich sehr stolz. Ich bin außerdem sehr stolz darauf,dass die Leute in Deutschland meine Bücher offensichtlich sehr gerne lesen.Wenn meine Tochter nach Hause kommt, dann erzählt sie: "Mum,Deine Bücher sind überall!" Ich glaube, die Deutschen haben einen sehr gutenGeschmack!
Die Fragen stellte Ulrike Künnecke, literaturtest.de.
- Autor: Elizabeth Haran
- 2013, 7. Aufl., 608 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Ohletz, Monika
- Übersetzer: Monika Ohletz
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404151593
- ISBN-13: 9783404151592
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