Ein Teil von Dir
Glauben Sie an Schicksal? Nach der Lektüre dieses Romans bestimmt. Anrührend und aufwühlend. Einfach wunderbar!
Lisa und Erik verpassen auf der Heimreise von ihren Flitterwochen ihren Flug. Erst zu Hause erfahren sie:...
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
4.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Ein Teil von Dir “
Glauben Sie an Schicksal? Nach der Lektüre dieses Romans bestimmt. Anrührend und aufwühlend. Einfach wunderbar!
Lisa und Erik verpassen auf der Heimreise von ihren Flitterwochen ihren Flug. Erst zu Hause erfahren sie: Das verpasste Flugzeug ist abgestürzt. Von nun an versuchen sie, bewusster zu leben. Doch schon bald greift das Schicksal wieder in ihr Leben ein.
Ein Teil von Dir ist auch erschienen unter dem Titel Was ich dir noch sagen will.
Lese-Probe zu „Ein Teil von Dir “
Ein Teil von Dir von Sofie Cramer PrologLisas Blick ruhte auf dem sanft gewölbten Horizont. Sie liebte diese kostbaren Augenblicke am Morgen, die Zeit zwischen Traum und Tag, in der die Gedanken noch frei und leise waren.
Aus dem Flugzeugfenster sah sie, wie die ersten Sonnenschimmer das tiefdunkle Blau der Nacht allmählich in blendende Pastelltöne verwandelten, die auf einem Meer weißer Wolken zu tanzen schienen. Friedlich und unbekümmert, dachte Lisa, wie das Lächeln der farbigen Mädchen, die noch vor wenigen Tagen am Strand von Sansibar durch ihr blondes, glattes Haar gestrichen hatten. Aus den glänzenden Kinderaugen hatte pure Lebensfreude gestrahlt, und Lisa war ganz warm ums Herz geworden.
Bewegende Momente wie diese hatte es viele gegeben auf ihrer verspäteten Hochzeitsreise. Morgens nach dem Frühstück waren Erik und sie oft am Strand entlangspaziert. Die einheimischen Kinder liefen auf sie zu, als hätten sie schon lange auf ihren Besuch gewartet. Sie sprachen Swahili. Und auch wenn Lisa kein einziges Wort verstand, hatte es doch meist freundlich geklungen. Die Mädchen konnten auch ein paar Brocken Englisch. Sie fragten nach pencil und money. Während Erik stets etwas unbehaglich aus dem Kreis der sie umringenden Kinder ausbrach, genoss Lisa die Aufmerksamkeit. Mit Bewunderung wanderten die Meinen Finger von ihrem Kopf zum Schmuck an
... mehr
Hals und Händen. »Pass bloß auf deinen Ehering auf!«, hatte Erik belustigt gerufen. Lisa ärgerte sich darüber ein wenig und überließ aus Trotz dem kleinsten der Mädchen ihr silberfarbenes Armband. Es war zwar bloß billiger Modeschmuck, sorgte aber doch für unbändige Freude. Dann griff sie in die Tasche ihres Jeansrocks und holte ein paar tansanische Schillinge hervor, die sie eigentlich für Postkarten eingesteckt hatte. Erik kommentierte ihr Verhalten nur mit einem amüsierten Kopfschütteln.
Lisa musste bei dem Gedanken daran lächeln. Der Urlaubszauber, der sich in ihren verspäteten Flitterwochen wie ein unerwartetes Geschenk über Erik und sie gebreitet hatte, hielt noch immer an. Und das, obwohl sie sich nach über sieben Stunden Nachtflug mittlerweile längst wieder über deutschem Boden befanden. Das jedenfalls zeigte der viel zu grell eingestellte Monitor zwei Reihen vor ihnen.
Erst jetzt begriff Lisa, was sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Die Stewardessen beeilten sich mit freundlicher Monotonie, die Passagiere zu wecken und mit einer Servierzange kleine, warme Handtücher zur Erfrischung zu reichen. Noch bevor eine der uniformierten Frauen auch Erik aufwecken konnte, deutete Lisa ihr, es nicht zu tun und ihr stattdessen beide Lappen zu überlassen. Lisa fuhr sich mit dem feuchten Tuch über ihr müdes Gesicht, dann beugte sie sich zu dem schlafenden Erik und pustete ihm sanft ins Gesicht.
»Aufwachen, du Schlafmütze!«, flüsterte sie.
Doch Erik rührte sich nicht.
Typisch, dachte Lisa und musste schmunzeln bei dem Gedanken, dass ausgerechnet sie, die so einen leichten Schlaf hatte, an einen Mann geraten war, den nicht mal eine Herde vorbeitrampelnder Büffel wecken konnte!
Um sie herum herrschte bereits regsame Betriebsamkeit. Einige Passagiere vertraten sich die Beine oder machten sich geräuschvoll an den Fächern über ihnen zu schaffen.
Zaghaft zog Lisa nun an dem Gummiband von Eriks Schlafmaske. Eigentlich war es ja ihre Schlafhilfe. Sie hatte geahnt, dass die Strapazen der langen Reise und das mehrmalige Umsteigen sie vollkommen auslaugen würden. Doch auf diesem letzten Langstreckenflug von Daressalam nach Hamburg hatte Erik die Maske einfach an sich genommen, obwohl er sie im Gegensatz zu ihr gar nicht brauchte. Aber Lisa wollte sich nach diesen drei traumhaften Wochen, in denen sie beide sich glänzend verstanden und darüber hinaus ihr Liebesleben ordentlich aufgefrischt hatten, nicht aus Prinzip über irgendetwas ärgern. Vielmehr plagte sie noch immer das schlechte Gewissen über die chaotische Rückreise. Schließlich war es allein ihre Schusseligkeit gewesen, durch die sie den Flieger von Sansibar aufs afrikanische Festland verpasst hatten und über dreihundert US-Dollar für Ersatztickets ausgeben mussten.
Lisa seufzte. Schon die Safari in Tansania und der anschließende Badeurlaub auf Sansibar hatten ein halbes Vermögen gekostet. Geld, für das sie beide lange hatten sparen müssen. Trotzdem bereute Lisa nichts. Auch ihre Entscheidung, noch einmal zum Hotel zurückzukehren, um ihren vergessenen Ring zu holen, war richtig gewesen. Zwar hatten sie schon mehr als die Hälfte der rund einstündigen Strecke zum Flughafen hinter sich gebracht, aber ohne ihren Ehering hätte sie niemals ins Flugzeug steigen können!
An ihrem vorletzten Urlaubstag war Lisa nach dem Frühstück noch einmal aufs Zimmer gegangen, um ihre Strandutensilien zu holen. Erik war bereits auf seiner obligatorischen Joggingrunde unterwegs, denn er mochte auch im Urlaub nicht auf sein tägliches Training verzichten. Lisa hatte beschlossen, noch ein Mal in den heftigen Wellen des Indischen Ozeans zu baden und anschließend mit einer vom Hotel organisierten Gruppe Beachvolleyball zu spielen. Für diese Aktivitäten — so hatte sie sich eingeredet — würde das Tragen von Schmuck hinderlich oder doch zumindest sehr risikoreich sein. Also legte sie den Ring zu den anderen Wertsachen in den kleinen Safe, der im Kleiderschrank aus Tropenholz eingebaut und mit einem Zahlencode gesichert war. Sie tippte das Datum ihrer Hochzeit ein — toto, für den to. Oktober — und versteckte den Ring unterhalb des dicken, grauen Filzstoffes, auf dem ihre Ausweise, die Flugtickets und Handys sowie noch ein wenig Bargeld lagen. Erik hätte sich über diese zusätzliche Vorsichtsmaßnahme sicher lustig gemacht. Lisa dagegen ärgerte es, dass Erik seinen Ring gleich zu Hause gelassen hatte. Für mögliche Einbrecher gut sichtbar lag er auf seinem Nachttisch in ihrer gemeinsamen Hamburger Wohnung.
Lisa trug ihren Ring dagegen Tag und Nacht, denn sie glaubte fest an die positive Wirkung, die dieses schmale, matte Schmuckstück aus Weißgold auf ihr Leben und ihr gemeinsames Glück hatte. Zumindest bildete sie sich ein, dass der Ring ihr stets Kraft gab. Wann immer sie eine verzwickte Entscheidung zu treffen oder sonst eine heikle Situation zu überstehen hatte, griff sie intuitiv zum Ring an ihrer rechten Hand und begann, spielerisch an ihm zu drehen. Augenblicklich wurde sie ruhiger und klarer in ihren Gedanken.
Die Angst, ihr Ring könne auf ominöse Weise aus dem Hotelsafe verschwinden, war ihr zwar peinlich. Aber es war das erste Mal in den acht Monaten, die sie verheiratet waren, dass sie ihn abnahm und ihn sicher versteckte. So sicher, dass sie ihn schließlich beim Packen selbst vergaß.
Erst auf dem Weg zum Flughafen, als Lisa aus dem Fenster des alten Minibusses einen Jungen beobachtete, der fröhlich und voller Hingabe eine lädierte Fahrradfelge vor sich herrollte, hatte ihr Herz einen riesigen Satz gemacht. »Verdammt!«, rief sie. »Ich habe meinen Ring vergessen!«
Erik blickte sie irritiert an, doch Lisa hatte sich schon an den Fahrer gewandt: »We have to go back. Immediately!«
Der Mann hörte wohl an ihrer Stimme, dass es sich um etwas wirklich Wichtiges handelte, denn er stoppte sofort den Wagen. Erik hingegen sah Lisa nur mit hochgezogenen Augenbrauen an und versuchte anschließend, sie davon zu überzeugen, dass es sicher eine vernünftigere Lösung des Problems gab.
Meistens gab Lisa in solchen Diskussionen nach. Denn Erik vermochte es auf nüchterne Weise, seine rationalen Überlegungen gegen ihre emotionale Sicht der Dinge zu behaupten.
Doch diesmal gab Lisa nicht nach. Sie bestand darauf, zurückzukehren, statt sich auf die Integrität des Hotelpersonals zu verlassen oder mit einem Ersatzring vertrösten zu lassen. Es war schließlich ihr Talisman, ihr Glücksbringer. Und wenn Lisa etwas wirklich wichtig war, zeigte sie eine Entschlossenheit, der selbst Erik nichts Wirksames mehr entgegensetzen konnte. Da konnte er ihr durch seinen genervten Gesichtsausdruck noch so deutlich zu verstehen geben, wie albern er ihren Aberglauben fand. Zugegeben, in besonders sentimentalen Situationen war sie geneigt, an romantische Zeichen statt an banale Zufälle zu glauben. Aber für Lisa war der Ehering nun mal ein wichtiges Symbol ihres neuen, sichereren Lebensgefühls.
Nachdem der Fahrer geduldig die Diskussion der beiden abgewartet hatte, deutete ihm Erik widerwillig, er solle tatsächlich umkehren. »Hakuna matata!«, hatte der Mann lachend erklärt und gleich darauf den Wagen gewendet.
Wie oft sie diesen Ausdruck in den vergangenen 20 Tagen schon gehört hatten! Bei jeder denkbaren Begebenheit war ein gleichmütiges »Hakuna matata. Kein Problem!« erklungen: beim Ordern ihrer Getränke an der Bar, bei der Zahlung von Trinkgeld, nachdem ihre Safari-Ausrüstung vom Wagen ins Hotelzimmer getragen worden war, und selbst als sie die aufdringlichen Ausflugsangebote der immer lächelnden Beachboys freundlich zurückgewiesen hatten. Mit kaum einem anderen Ausdruck als »Hakuna matata« ließ sich die entspannte Atmosphäre auf Sansibar besser beschreiben. Und so war Erik auf der ungeplanten Rückfahrt zum Hotel auch nichts anderes übrig geblieben, als wenigstens kurz zu schmunzeln — obwohl sein ständiger Blick auf die Armbanduhr seinen inneren Groll verriet.
Tatsächlich lag der Ring noch unberührt im Safe unterhalb der kleinen Filzmatte. Erik gab dem Pagen, der sie ins Zimmer begleitet hatte, ein großzügiges Trinkgeld und drängte zur Weiterfahrt. Eine halbe Stunde hatten sie bereits verloren; jetzt würden sie sich sehr beeilen müssen.
Als sie auf dem Weg zum Flughafen nur langsam vorankamen, wuchs Lisas schlechtes Gewissen ins Unendliche. Auf den engen Straßen drängten sich mittlerweile zahlreiche Menschen, und immer wieder war der Chauffeur gezwungen, Schritttempo zu fahren. In Stone Town gerieten sie sogar in einen kleinen Stau, weil eine Schotterpiste in Hakuna-matata-Manier in eine asphaltierte Straße verwandelt wurde. Dadurch verloren sie weitere fünfundzwanzig Minuten, in denen Lisa immer nervöser und Erik immer stiller wurde.
Lisa konnte es überhaupt nicht leiden, wenn Erik so verdächtig ruhig wurde. Dann war er in einer Welt, zu der sie keinen Zugang mehr hatte. Genauso wie beim Computerspielen, Lesen oder seinem exzessiven Sportprogramm. Er war dann vollkommen in sich gekehrt und nahm um ihn herum nichts mehr wahr. Doch nach fast drei Jahren kannte Lisa ihren Mann mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass der Versuch, ihn zum Reden zu ermuntern, in solchen Momenten bloß nach hinten losging.
Mit starker Verspätung kamen sie schließlich an dem kleinen Flughafen der Insel an. Die Halle war gespenstisch leer, und auch am Schalter gab es keine lange Schlange mit wartenden Passagieren, wie man sie von modernen Großflughäfen
kennt. Nur zwei dunkelhäutige, junge Männer diskutierten lautstark mit einem Bediensteten in Uniform. Eriks höfliche Fragen wurden geflissentlich überhört.
Es blieben nur noch etwa fünfzehn Minuten bis zur eigentlichen Abflugzeit. Während der Fahrt hatte Lisa mehrfach erfolglos versucht, Erik mit dem Argument zu beruhigen, dass an einem so überschaubaren Flughafen wie diesem sicher auf jeden Passagier gewartet würde.
Erik wandte sich schließlich an die Dame, die die Ausreisevisa bearbeitete, und schob ihr einen Zehn-Dollar-Schein über den Schalter, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Doch anstatt sich zu beeilen, verschwand sie für eine gefühlte Ewigkeit in einem Hinterzimmer. Schließlich kam sie mit einem Formular zurück, in dem Lisa und Erik zunächst den Reiseverlauf des Hinwegs — von Hamburg über Addis Abeba und Nairobi, weiter zum Kilimanjaro-Airport und schließlich von Arusha nach Sansibar — und des Rückflugs eintragen mussten. Angeblich war das eine Vorsichtsmaßnahme, um einer weiteren Verbreitung der Schweinegrippe entgegenzuwirken. Alles Drängen half nichts.
Nach weiteren kostbaren Minuten kamen Lisa und Erik endlich an der Passkontrolle an, von wo aus sie durch die Abflughalle und direkt weiter Richtung Rollfeld rannten.
Lisa atmete auf. Vor ihnen stand eine Maschine der Precision Air, der tansanischen Fluggesellschaft, die sie aufs Festland bringen sollte. Doch ein älterer Herr hielt sie zurück und erklärte ihnen mit einem herzlichen, aber zahnlückigen Lächeln, dass sie zu spät waren. Mehrfach deutete er entschieden auf das Flugzeug, dessen Türen bereits verschlossen waren, und schüttelte bedauernd den Kopf.
Lisa und Erik sahen noch, wie die Maschine abhob. Dann liefen sie niedergeschlagen zurück in die Halle und kauften mit ihrer Kreditkarte Tickets für die nächste Maschine.
Immerhin waren sie auch damit noch rechtzeitig nach Daressalam gekommen und hatten ihren Anschlussflieger nach Deutschland erwischt.
Ein zweites Mal zupfte Lisa nun behutsam an dem Gummiband der Schlafmaske. Endlich regte sich Eriks Körper ein wenig. Er zuckte einmal heftig, dann befreite er seine Augen von der Schlafbrille und blickte Lisa überrascht an. Erik schien mit einem Schlag vollkommen da zu sein.
»Guten Morgen«, flüsterte Lisa lächelnd. Und als Erik sich erschrocken umsah, fragte sie besorgt: »Alles in Ordnung? Du siehst ja aus, als hättest du einen Geist gesehen!«
»Hab ich auch«, erwiderte Erik nach kurzem Zögern. Dann lehnte er sich erschöpft in seinen Sitz zurück, atmete tief durch und griff nach dem Waschlappen, den Lisa ihm hinhielt.
»Was ist denn? Hast du schlecht geträumt?«
Erik schloss kurz seine Augen, um sich mit dem Tuch übers Gesicht zu fahren. Dann sah er Lisa ernst an und sagte mit zitternder Stimme: »Ich hab geträumt, wir stürzen ab.« 1
Vier Wochen später
Lisa stand am Küchenfenster und spielte gedankenverloren mit ihrem Ring am Finger. Zwei winzige Blaumeisen pickten ein paar Krümel vor der Mülltonne im Innenhof auf und flogen zurück zu einem großen Ahornbaum.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei hamburg
Lisa musste bei dem Gedanken daran lächeln. Der Urlaubszauber, der sich in ihren verspäteten Flitterwochen wie ein unerwartetes Geschenk über Erik und sie gebreitet hatte, hielt noch immer an. Und das, obwohl sie sich nach über sieben Stunden Nachtflug mittlerweile längst wieder über deutschem Boden befanden. Das jedenfalls zeigte der viel zu grell eingestellte Monitor zwei Reihen vor ihnen.
Erst jetzt begriff Lisa, was sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Die Stewardessen beeilten sich mit freundlicher Monotonie, die Passagiere zu wecken und mit einer Servierzange kleine, warme Handtücher zur Erfrischung zu reichen. Noch bevor eine der uniformierten Frauen auch Erik aufwecken konnte, deutete Lisa ihr, es nicht zu tun und ihr stattdessen beide Lappen zu überlassen. Lisa fuhr sich mit dem feuchten Tuch über ihr müdes Gesicht, dann beugte sie sich zu dem schlafenden Erik und pustete ihm sanft ins Gesicht.
»Aufwachen, du Schlafmütze!«, flüsterte sie.
Doch Erik rührte sich nicht.
Typisch, dachte Lisa und musste schmunzeln bei dem Gedanken, dass ausgerechnet sie, die so einen leichten Schlaf hatte, an einen Mann geraten war, den nicht mal eine Herde vorbeitrampelnder Büffel wecken konnte!
Um sie herum herrschte bereits regsame Betriebsamkeit. Einige Passagiere vertraten sich die Beine oder machten sich geräuschvoll an den Fächern über ihnen zu schaffen.
Zaghaft zog Lisa nun an dem Gummiband von Eriks Schlafmaske. Eigentlich war es ja ihre Schlafhilfe. Sie hatte geahnt, dass die Strapazen der langen Reise und das mehrmalige Umsteigen sie vollkommen auslaugen würden. Doch auf diesem letzten Langstreckenflug von Daressalam nach Hamburg hatte Erik die Maske einfach an sich genommen, obwohl er sie im Gegensatz zu ihr gar nicht brauchte. Aber Lisa wollte sich nach diesen drei traumhaften Wochen, in denen sie beide sich glänzend verstanden und darüber hinaus ihr Liebesleben ordentlich aufgefrischt hatten, nicht aus Prinzip über irgendetwas ärgern. Vielmehr plagte sie noch immer das schlechte Gewissen über die chaotische Rückreise. Schließlich war es allein ihre Schusseligkeit gewesen, durch die sie den Flieger von Sansibar aufs afrikanische Festland verpasst hatten und über dreihundert US-Dollar für Ersatztickets ausgeben mussten.
Lisa seufzte. Schon die Safari in Tansania und der anschließende Badeurlaub auf Sansibar hatten ein halbes Vermögen gekostet. Geld, für das sie beide lange hatten sparen müssen. Trotzdem bereute Lisa nichts. Auch ihre Entscheidung, noch einmal zum Hotel zurückzukehren, um ihren vergessenen Ring zu holen, war richtig gewesen. Zwar hatten sie schon mehr als die Hälfte der rund einstündigen Strecke zum Flughafen hinter sich gebracht, aber ohne ihren Ehering hätte sie niemals ins Flugzeug steigen können!
An ihrem vorletzten Urlaubstag war Lisa nach dem Frühstück noch einmal aufs Zimmer gegangen, um ihre Strandutensilien zu holen. Erik war bereits auf seiner obligatorischen Joggingrunde unterwegs, denn er mochte auch im Urlaub nicht auf sein tägliches Training verzichten. Lisa hatte beschlossen, noch ein Mal in den heftigen Wellen des Indischen Ozeans zu baden und anschließend mit einer vom Hotel organisierten Gruppe Beachvolleyball zu spielen. Für diese Aktivitäten — so hatte sie sich eingeredet — würde das Tragen von Schmuck hinderlich oder doch zumindest sehr risikoreich sein. Also legte sie den Ring zu den anderen Wertsachen in den kleinen Safe, der im Kleiderschrank aus Tropenholz eingebaut und mit einem Zahlencode gesichert war. Sie tippte das Datum ihrer Hochzeit ein — toto, für den to. Oktober — und versteckte den Ring unterhalb des dicken, grauen Filzstoffes, auf dem ihre Ausweise, die Flugtickets und Handys sowie noch ein wenig Bargeld lagen. Erik hätte sich über diese zusätzliche Vorsichtsmaßnahme sicher lustig gemacht. Lisa dagegen ärgerte es, dass Erik seinen Ring gleich zu Hause gelassen hatte. Für mögliche Einbrecher gut sichtbar lag er auf seinem Nachttisch in ihrer gemeinsamen Hamburger Wohnung.
Lisa trug ihren Ring dagegen Tag und Nacht, denn sie glaubte fest an die positive Wirkung, die dieses schmale, matte Schmuckstück aus Weißgold auf ihr Leben und ihr gemeinsames Glück hatte. Zumindest bildete sie sich ein, dass der Ring ihr stets Kraft gab. Wann immer sie eine verzwickte Entscheidung zu treffen oder sonst eine heikle Situation zu überstehen hatte, griff sie intuitiv zum Ring an ihrer rechten Hand und begann, spielerisch an ihm zu drehen. Augenblicklich wurde sie ruhiger und klarer in ihren Gedanken.
Die Angst, ihr Ring könne auf ominöse Weise aus dem Hotelsafe verschwinden, war ihr zwar peinlich. Aber es war das erste Mal in den acht Monaten, die sie verheiratet waren, dass sie ihn abnahm und ihn sicher versteckte. So sicher, dass sie ihn schließlich beim Packen selbst vergaß.
Erst auf dem Weg zum Flughafen, als Lisa aus dem Fenster des alten Minibusses einen Jungen beobachtete, der fröhlich und voller Hingabe eine lädierte Fahrradfelge vor sich herrollte, hatte ihr Herz einen riesigen Satz gemacht. »Verdammt!«, rief sie. »Ich habe meinen Ring vergessen!«
Erik blickte sie irritiert an, doch Lisa hatte sich schon an den Fahrer gewandt: »We have to go back. Immediately!«
Der Mann hörte wohl an ihrer Stimme, dass es sich um etwas wirklich Wichtiges handelte, denn er stoppte sofort den Wagen. Erik hingegen sah Lisa nur mit hochgezogenen Augenbrauen an und versuchte anschließend, sie davon zu überzeugen, dass es sicher eine vernünftigere Lösung des Problems gab.
Meistens gab Lisa in solchen Diskussionen nach. Denn Erik vermochte es auf nüchterne Weise, seine rationalen Überlegungen gegen ihre emotionale Sicht der Dinge zu behaupten.
Doch diesmal gab Lisa nicht nach. Sie bestand darauf, zurückzukehren, statt sich auf die Integrität des Hotelpersonals zu verlassen oder mit einem Ersatzring vertrösten zu lassen. Es war schließlich ihr Talisman, ihr Glücksbringer. Und wenn Lisa etwas wirklich wichtig war, zeigte sie eine Entschlossenheit, der selbst Erik nichts Wirksames mehr entgegensetzen konnte. Da konnte er ihr durch seinen genervten Gesichtsausdruck noch so deutlich zu verstehen geben, wie albern er ihren Aberglauben fand. Zugegeben, in besonders sentimentalen Situationen war sie geneigt, an romantische Zeichen statt an banale Zufälle zu glauben. Aber für Lisa war der Ehering nun mal ein wichtiges Symbol ihres neuen, sichereren Lebensgefühls.
Nachdem der Fahrer geduldig die Diskussion der beiden abgewartet hatte, deutete ihm Erik widerwillig, er solle tatsächlich umkehren. »Hakuna matata!«, hatte der Mann lachend erklärt und gleich darauf den Wagen gewendet.
Wie oft sie diesen Ausdruck in den vergangenen 20 Tagen schon gehört hatten! Bei jeder denkbaren Begebenheit war ein gleichmütiges »Hakuna matata. Kein Problem!« erklungen: beim Ordern ihrer Getränke an der Bar, bei der Zahlung von Trinkgeld, nachdem ihre Safari-Ausrüstung vom Wagen ins Hotelzimmer getragen worden war, und selbst als sie die aufdringlichen Ausflugsangebote der immer lächelnden Beachboys freundlich zurückgewiesen hatten. Mit kaum einem anderen Ausdruck als »Hakuna matata« ließ sich die entspannte Atmosphäre auf Sansibar besser beschreiben. Und so war Erik auf der ungeplanten Rückfahrt zum Hotel auch nichts anderes übrig geblieben, als wenigstens kurz zu schmunzeln — obwohl sein ständiger Blick auf die Armbanduhr seinen inneren Groll verriet.
Tatsächlich lag der Ring noch unberührt im Safe unterhalb der kleinen Filzmatte. Erik gab dem Pagen, der sie ins Zimmer begleitet hatte, ein großzügiges Trinkgeld und drängte zur Weiterfahrt. Eine halbe Stunde hatten sie bereits verloren; jetzt würden sie sich sehr beeilen müssen.
Als sie auf dem Weg zum Flughafen nur langsam vorankamen, wuchs Lisas schlechtes Gewissen ins Unendliche. Auf den engen Straßen drängten sich mittlerweile zahlreiche Menschen, und immer wieder war der Chauffeur gezwungen, Schritttempo zu fahren. In Stone Town gerieten sie sogar in einen kleinen Stau, weil eine Schotterpiste in Hakuna-matata-Manier in eine asphaltierte Straße verwandelt wurde. Dadurch verloren sie weitere fünfundzwanzig Minuten, in denen Lisa immer nervöser und Erik immer stiller wurde.
Lisa konnte es überhaupt nicht leiden, wenn Erik so verdächtig ruhig wurde. Dann war er in einer Welt, zu der sie keinen Zugang mehr hatte. Genauso wie beim Computerspielen, Lesen oder seinem exzessiven Sportprogramm. Er war dann vollkommen in sich gekehrt und nahm um ihn herum nichts mehr wahr. Doch nach fast drei Jahren kannte Lisa ihren Mann mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass der Versuch, ihn zum Reden zu ermuntern, in solchen Momenten bloß nach hinten losging.
Mit starker Verspätung kamen sie schließlich an dem kleinen Flughafen der Insel an. Die Halle war gespenstisch leer, und auch am Schalter gab es keine lange Schlange mit wartenden Passagieren, wie man sie von modernen Großflughäfen
kennt. Nur zwei dunkelhäutige, junge Männer diskutierten lautstark mit einem Bediensteten in Uniform. Eriks höfliche Fragen wurden geflissentlich überhört.
Es blieben nur noch etwa fünfzehn Minuten bis zur eigentlichen Abflugzeit. Während der Fahrt hatte Lisa mehrfach erfolglos versucht, Erik mit dem Argument zu beruhigen, dass an einem so überschaubaren Flughafen wie diesem sicher auf jeden Passagier gewartet würde.
Erik wandte sich schließlich an die Dame, die die Ausreisevisa bearbeitete, und schob ihr einen Zehn-Dollar-Schein über den Schalter, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Doch anstatt sich zu beeilen, verschwand sie für eine gefühlte Ewigkeit in einem Hinterzimmer. Schließlich kam sie mit einem Formular zurück, in dem Lisa und Erik zunächst den Reiseverlauf des Hinwegs — von Hamburg über Addis Abeba und Nairobi, weiter zum Kilimanjaro-Airport und schließlich von Arusha nach Sansibar — und des Rückflugs eintragen mussten. Angeblich war das eine Vorsichtsmaßnahme, um einer weiteren Verbreitung der Schweinegrippe entgegenzuwirken. Alles Drängen half nichts.
Nach weiteren kostbaren Minuten kamen Lisa und Erik endlich an der Passkontrolle an, von wo aus sie durch die Abflughalle und direkt weiter Richtung Rollfeld rannten.
Lisa atmete auf. Vor ihnen stand eine Maschine der Precision Air, der tansanischen Fluggesellschaft, die sie aufs Festland bringen sollte. Doch ein älterer Herr hielt sie zurück und erklärte ihnen mit einem herzlichen, aber zahnlückigen Lächeln, dass sie zu spät waren. Mehrfach deutete er entschieden auf das Flugzeug, dessen Türen bereits verschlossen waren, und schüttelte bedauernd den Kopf.
Lisa und Erik sahen noch, wie die Maschine abhob. Dann liefen sie niedergeschlagen zurück in die Halle und kauften mit ihrer Kreditkarte Tickets für die nächste Maschine.
Immerhin waren sie auch damit noch rechtzeitig nach Daressalam gekommen und hatten ihren Anschlussflieger nach Deutschland erwischt.
Ein zweites Mal zupfte Lisa nun behutsam an dem Gummiband der Schlafmaske. Endlich regte sich Eriks Körper ein wenig. Er zuckte einmal heftig, dann befreite er seine Augen von der Schlafbrille und blickte Lisa überrascht an. Erik schien mit einem Schlag vollkommen da zu sein.
»Guten Morgen«, flüsterte Lisa lächelnd. Und als Erik sich erschrocken umsah, fragte sie besorgt: »Alles in Ordnung? Du siehst ja aus, als hättest du einen Geist gesehen!«
»Hab ich auch«, erwiderte Erik nach kurzem Zögern. Dann lehnte er sich erschöpft in seinen Sitz zurück, atmete tief durch und griff nach dem Waschlappen, den Lisa ihm hinhielt.
»Was ist denn? Hast du schlecht geträumt?«
Erik schloss kurz seine Augen, um sich mit dem Tuch übers Gesicht zu fahren. Dann sah er Lisa ernst an und sagte mit zitternder Stimme: »Ich hab geträumt, wir stürzen ab.« 1
Vier Wochen später
Lisa stand am Küchenfenster und spielte gedankenverloren mit ihrem Ring am Finger. Zwei winzige Blaumeisen pickten ein paar Krümel vor der Mülltonne im Innenhof auf und flogen zurück zu einem großen Ahornbaum.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei hamburg
... weniger
Autoren-Porträt von Sofie Cramer
Sofie Cramer, geboren 1974 in Soltau, studierte Germanistik und Politik in Bonn und Hannover. Inzwischen lebt und arbeitet sie als freiberufliche Journalistin, Drehbuchautorin und Trainerin in Lüneburg und Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sofie Cramer
- 255 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828996698
- ISBN-13: 9783828996694
Kommentare zu "Ein Teil von Dir"
4 von 5 Sternen
5 Sterne 9Schreiben Sie einen Kommentar zu "Ein Teil von Dir".
Kommentar verfassen