Eine Billion Dollar
Doch das Geld ist an eine Mission gebunden.
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Doch das Geld ist an eine Mission gebunden.
John Salvatore Fontanelli ist ein armer Schlucker, bis er eine unglaubliche Erbschaft macht: ein Vermögen, das ein entfernter Vorfahr im 16. Jahrhundert hinterlassen hat und das durch Zins und Zinseszins in fast 500 Jahren auf über eine Billion Dollar angewachsen ist. Der Erbe dieses Vermögens, so heißt es im Testament, werde einst der Menschheit die verlorene Zukunft wiedergeben. John tritt das Erbe an. Er legt sich Leibwächter zu, verhandelt mit Ministern und Kardinälen. Die schönsten Frauen liegen ihm zu Füßen. Aber kann er noch jemandem trauen? Und dann erhält er einen Anruf von einem geheimnisvollen Fremden, der zu wissen behauptet, was es mit dem Erbe auf sich hat ...
Mit "Eine Billion Dollar" hat Bestsellerautor Andreas Eschbach einen spannenden Thriller über Moral und Habgier geschrieben.
EineBillion Dollar von Andreas Eschbach
LESEPROBE
PROLOG
Endlich öffneten sich zwei Türflügel vorihnen, und sie betraten einen von geradezu überirdischem Licht erfüllten Raum.Ein großer, ovaler Tisch aus dunklem Holz beherrschte seine Mitte, davorstanden zwei Männer und sahen ihnen erwartungsvoll entgegen.
»Mister Fontanelli, ich darf Ihnen meine Partnervorstellen«, meinte der junge Anwalt, nachdem er die Türen hinter ihnengeschlossen hatte. »Zunächst meinen Vater, Gregorio Vacchi.«
John schüttelte die Hand eines streng dreinblickenden, etwafünfundfünfzigjährigen Mannes, der einen grauen, einreihigen Anzug trug undeine Brille mit schmalem Goldrand und mit seinem dünn werdenden Haar etwas voneinem Buchhalter an sich hatte. Man konnte ihn sich als Anwalt für Steuerfragenvorstellen, wie er vor den Schranken eines Verwaltungsgerichts mit dünnlippigemMund trockene Paragrafen aus dem Handelsrecht zitierte. Der Händedruck fühltesich kühl und trocken an, geschäftsmäßig, und er murmelte etwas von »erfreut,Sie kennen zu lernen«, wobei man nicht den Eindruck hatte, dass er wusste, wasdas hieß: sich zu freuen.
Der andere Mann war wohl noch etwas älter, wirkte aber mitseinem vollen, lockigen Haar und seinen buschigen Augenbrauen, die seinemGesichtsausdruck etwas Düsteres verliehen, wesentlich vitaler. Er trug einenZweireiher, dunkelblau, mit einer streng konventionellen Klubkrawatte und einemformvollendet gesteckten Kavalierstuch in der Brusttasche. Ihn konnte man sichvorstellen, wie er, mit einem Glas Champagner in der Hand, in einer Edelkneipeden Sieg in einem aufsehenerregenden Mordprozess feierte und zu vorgerückterStunde den Kellnerinnen lachend in den Hintern zwickte. Sein Händedruck warfest, und er sah John fast unangenehm tief in die Augen, während er sich mitdunkler Stimme vorstellte: »Alberto Vacchi. Ich bin Eduardos Onkel.«
Erst jetzt bemerkte John, dass in einem ausladendenOhrensessel vor einem der Fenster noch jemand saß - ein alter Mann, der dieAugen geschlossen hielt, aber nicht so wirkte, als schlafe er wirklich. Eher,als sei er zu erschöpft, um sich allen Sinnen aussetzen zu können. Seinfaltiger Hals ragte mager aus dem weichen Kragen eines Hemdes, über dem er einegraue Strickweste trug. Auf dem Schoß hatte er ein kleines Samtkissen liegen,auf dem wiederum seine gefalteten Hände ruhten.
»Der Padrone«, sagte Eduardo Vacchi leise, der JohnsBlick bemerkt hatte. »Mein Großvater. Wie Sie sehen, sind wir einFamilienunternehmen.«
John nickte nur, wusste nicht, was er sagen sollte. Er ließsich zu einem Stuhl dirigieren, der einsam an der einen Breitseite desKonferenztisches stand, und folgte der Einladung einer Hand, sich zu setzen.Auf der gegenüberliegenden Tischseite standen vier Stühle nebeneinander, dieLehnen ordentlich an die Tischkante gerückt, und auf den Plätzen vor diesenLehnen lagen dünne Aktenmappen aus schwarzem Leder, in das ein Wappen geprägtwar.
»Wollen Sie etwas trinken?«, wurde er gefragt. »Kaffee?Mineralwasser?«
»Kaffee, bitte«, hörte John sich sagen. In seinem Brustkorbrührte sich wieder das flatternde Gefühl, das ihn befallen hatte, seit er indie Halle des Waldorf-Astoria gekommen war.
Eduardo verteilte Kaffeetassen, die auf einem kleinenfahrbaren Beistelltisch ordentlich aufgestellt bereitstanden, stellteSahnekännchen und Zuckerstreuer aus getriebenem Silber dazu, schenkte überallein und stellte die Kanne neben Johns Tasse ab. Die drei Vacchis nahmen Platz,Eduardo auf der Seite, die von John aus gesehen rechts lag, Gregorio, derVater, neben ihm, und Alberto, der Onkel, wiederum neben diesem. Der viertePlatz, ganz links, blieb leer.
Ein allgemeines Sahneeingießen, Zuckerstreuen undKaffeeumrühren setzte ein. John starrte auf die wunderbare, mahagoniroteMaserung der Tischplatte. Das musste Wurzelholz sein. Während er seinen Kaffeeumrührte, mit einem schweren, silbernen Kaffeelöffel, versuchte er, sichunauffällig umzusehen.
Durch die Fenster hinter den drei Anwälten ging der Blickweit hinaus über ein helles, flirrendes New York, in dessen Schluchten dasSonnenlicht tanzte, und auf einen Hudson River, der in tiefem,hellgesprenkeltem Blau glänzte. Rechts und links der Fenster fielen duftige,lachsfarbene Vorhänge herab, die einen vollendeten Kontrast zu dem schweren,makellos dunkelroten Teppichboden und den schneeweißen Wänden bildeten.Unglaublich. John nippte an seinem Kaffee, der stark und aromatisch schmeckte,eher wie der Espresso, den seine Mutter ihm manchmal bereitete, wenn er nachHause kam.
Eduardo Vacchi öffnete die Mappe, die vor ihm lag, und dasverhaltene Geräusch, das das Leder des Einbands auf der Tischplatte machte,klang wie ein Signal. John stellte seine Tasse zurück und holte noch einmalLuft. Es ging los.
»Mister Fontanelli«, begann der junge Anwalt, dessenJackett genau den gleichen Farbton wie der Teppichboden hatte, und beugte sichleicht vor, die Ellbogen dabei auf den Tisch lehnend, die Hände gefaltet. SeinTonfall war jetzt nicht mehr verbindlich, sondern sozusagen amtlich. »Ich hatteSie gebeten, einen Identitätsnachweis zu diesem Gespräch mitzubringen -Führerschein, Reisepass oder dergleichen -, nur der Form halber, versteht sich.Haben Sie etwas Entsprechendes dabei?«
John nickte. »Meinen Führerschein. Moment.« Er griff hastigin seine Gesäßtasche, erschrak, als er nichts fand, bis ihm einfiel, dass erden Führerschein in die Innentasche seines Jacketts gesteckt hatte. Mit heißen,beinahe bebenden Fingern reichte er das Papier über den Tisch. Der Anwalt nahmden Führerschein entgegen, musterte ihn flüchtig und reichte ihn dann mit einemKopfnicken an seinen Vater weiter, der ihn im Gegensatz dazu so eingehendstudierte, als sei er überzeugt, es mit einer Fälschung zu tun zu haben.
»Auch wir haben einen Identitätsnachweis dabei.« Eduardolächelte leicht und zog zwei große, äußerst amtlich aussehende Papiere hervor.»Die Familie Vacchi ist seit mehreren Jahrhunderten in Florenz ansässig, undfast alle männlichen Mitglieder dieser Familie sind seit Generationen alsRechtsanwälte und Vermögensverwalter tätig. Das erste Dokument bestätigt dies;das zweite ist eine englische Übersetzung des ersten Dokuments, beglaubigt vomStaate New York.« Er reichte John die beiden Papiere, der sie ratlos musterte.Das eine Papier, eingelegt in eine Klarsichthülle, schien ziemlich alt zu sein.Ein italienischer Text, von dem John nur jedes zehnte Wort verstand, stand mitSchreibmaschine auf ergrautes, wappengeprägtes Papier getippt, und zahlloseausgeblichene Stempel und Unterschriften drängten sich darunter. Die englischeÜbersetzung, ein sauberer Laser-Ausdruck, versehen mit einer Gebührenmarke undeinem notariellen Stempel, klang verwirrend und ziemlich juristisch, und soweitJohn sie verstand, bestätigte sie, was der junge Vacchi gesagt hatte.
Er legte beide Urkunden vor sich hin, verschränkte dieArme. Einer seiner Nasenflügel zuckte nervös, hoffentlich sah man das nicht.
Wieder faltete Eduardo die Hände. Johns Führerschein warinzwischen bei Alberto angelangt, der ihn wohlwollend nickend betrachtete unddann bedächtig in die Mitte des Tisches schob.
»Mister Fontanelli, Sie sind Erbe eines beträchtlichenVermögens«, begann Eduardo wieder, wieder in förmlichem Ton. »Wir sind hier, umIhnen die Höhe der betreffenden Summe und die Randbedingungen des Erbesmitzuteilen und, falls Sie sich bereit erklären, das Erbe anzutreten, mit Ihnendie Schritte zu besprechen, die für die Eigentumsübertragung notwendig sind.«
John nickte ungeduldig. »Ähm, ja - könnten Sie mir zuerstmal sagen, wer überhaupt gestorben ist?«
»Wenn Sie gestatten, möchte ich die Antwort auf diese Fragenoch einen Moment zurückstellen. Es ist eine längere Geschichte. Jedenfalls istes niemand aus Ihrer unmittelbaren Verwandtschaft.«
»Und wieso erbe ich dann etwas?«
»Das lässt sich, wie gesagt, nicht in ein oder zwei Sätzenerklären. Deswegen bitte ich Sie, sich noch zu gedulden. Im Moment ist dieFrage: Sie sollen eine beträchtliche Menge Geld erhalten - wollen Sie eshaben?«
John musste unwillkürlich auflachen. »Okay. Wie viel?«
»Über achtzigtausend Dollar.«
»Sagten Sie achtzigtausend?«
»Ja. Achtzigtausend.«
Mann! John lehnte sich zurück, atmete pfeifend aus. Puh.Mann, o Mann. Acht-zig-tau-send! Kein Wunder, dass sie vier Mann hoch angereistwaren. Achtzigtausend Dollar, das war eine ordentliche Summe. Wie viel war denndas? Auf einen Schlag! Mann, Mann! Auf einen Schlag, das musste man erst einmalverdauen. Das hieß ... Mann, das hieß, er konnte aufs College gehen, lockerkonnte er das, ohne auch nur noch eine blöde Stunde bei irgendeinem blödenPizzaservice oder sonst wo jobben zu müssen. Achtzigtausend ... Mann, auf einenSchlag! Einfach so! Unglaublich. Wenn er ... Okay, er musste aufpassen, dassihn nicht der Größenwahn befiel. Er konnte in der Wohngemeinschaft bleiben, diewar okay, nicht luxuriös, aber wenn er sparsam lebte - Mann, es würde noch füreinen Gebrauchtwagen reichen! Dazu ein paar gute Klamotten. Dies und das. Ha!Und keine Sorgen mehr.
»Nicht schlecht«, brachte er schließlich heraus. »Und waswollen Sie jetzt von mir wissen? Ob ich das Geld nehme oder nicht?«
»Ja.«
»Mal 'ne ganz dumme Frage: Ist denn ein Haken bei derSache? Erbe ich irgendwelche Schulden mit oder so was?«
»Nein. Sie erben Geld. Wenn Sie zustimmen, erhalten Sie dasGeld und können damit machen, was Sie wollen.«
John schüttelte fassungslos den Kopf. »Können Sie sichvorstellen, dass ich dazu Nein sage? Können Sie sich vorstellen, dass irgendjemanddazu Nein sagt?«
Der junge Anwalt hob die Hände. »Es ist eineFormvorschrift. Wir müssen fragen.«
»Okay. Sie haben gefragt. Und ich sage Ja.«
»Schön. Meinen Glückwunsch.«
John zuckte mit den Schultern. »Wissen Sie, ich glaub'serst, wenn ich die Scheine in den Händen halte.«
»Das ist Ihr gutes Recht.«
Aber es stimmte nicht: Er glaubte es jetzt schon. Obwohl esso absolut verrückt war, mehr als wahnwitzig - vier Anwälte kamen von Italiennach New York gejettet, um ihm, dem mittellosen, unbegabten Pizza-Ausfahrerachtzigtausend Dollar zu schenken - einfach so, mir nichts, dir nichts -,glaubte er es. Es war etwas in diesem Raum, das ihn sicher machte. Sicher, aneinem Wendepunkt in seinem Leben zu stehen. Es war, als habe er sein Leben langdarauf gewartet, hierher zu kommen. Verrückt. Er spürte eine wohltuende Wärme,die sich in seinem Bauch ausbreitete.
Eduardo Vacchi schloss seine Aktenmappe wieder. Als habe erdarauf gewartet, schlug neben ihm sein Vater - wie hieß der noch mal? Gregorio?- die seine auf. John spürte ein Kribbeln im Nacken und hinter den Augenbrauen.Das sah jetzt zu einstudiert aus. Jetzt kam es, das dicke Ende, die großeAbzockmasche. Jetzt hieß es aufpassen.
»Aus Gründen, die noch zu erklären sein werden«, begannEduardos Vater, und seine Stimme klang so teilnahmslos, dass man fast meinte,Staub aus seinem Mund kommen zu sehen, »ist Ihr Fall, Mister Fontanelli,einzigartig in der Geschichte unserer Kanzlei. Obwohl die Vacchis sich seitGenerationen mit Vermögensverwaltung befassen, haben wir noch nie ein Gesprächwie das heutige geführt und werden es wohl auch nie wieder führen. InAnbetracht dieser Situation hielten wir es für das Beste, im Zweifelsfalllieber zu vorsichtig als zu sorglos zu sein.« Er nahm seine Brille ab und hieltsie so in der Hand, dass einer der Bügel in Johns Richtung wies. »Einbefreundeter Kollege hatte vor einigen Jahren das betrübliche Erlebnis,anlässlich einer Testamentseröffnung einen der Anwesenden einem plötzlichenHerztod erliegen zu sehen, ausgelöst aller Wahrscheinlichkeit nach durch denSchock der freudigen Überraschung, plötzlich Erbe eines bedeutenden Vermögenszu sein. Es hatte sich, das muss hinzugefügt werden, zwar um eine etwas größereSumme gehandelt, als mein Sohn Sie Ihnen eben genannt hat, aber die betreffendePerson war nicht wesentlich älter gewesen als Sie es sind, und bis zu diesemZeitpunkt hatte man von einer Gefährdung seines Herzens nichts gewusst.« Ersetzte die Brille wieder auf, rückte sie sorgsam zurecht und fasste John dannwieder ins Auge. »Sie verstehen, was ich damit sagen will?«
John, der seinem Vortrag nur mit Mühe gefolgt war, nickteautomatisch, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein. Nein, ich verstehe nichts.Erbe ich jetzt, oder erbe ich nicht?«
»Sie erben, keine Sorge.« Gregorio spähte an seiner Naseentlang auf seine Mappe hinunter, schob mit den Händen Papiere darauf umher.»Alles, was Eduardo Ihnen gesagt hat, stimmt.« Er sah ihn wieder an. »Bis aufden Betrag.«
»Bis auf den Betrag?«
»Sie erben nicht achtzigtausend, sondern über vierMillionen Dollar.«
John starrte ihn an, starrte ihn an und hatte das Gefühl,dass die Zeit stehen blieb dabei, starrte ihn an und das Einzige, das sichbewegte, war sein eigener Unterkiefer, der sich abwärts bewegte, unaufhaltsam,unbeeinflussbar.
Vier!
Millionen!
Dollar!
»Wow!«, entfuhr es ihm. Er griff sich mit den Händen insHaar, hob den Blick zur Decke hoch und sagte noch mal: »Wow!« Dann fing er anzu lachen. Zerwühlte sich das Haar und lachte wie irrsinnig geworden. VierMillionen Dollar! Er konnte sich gar nicht beruhigen, lachte, dass diewahrscheinlich schon darüber nachdachten, einen Krankenwagen zu rufen. VierMillionen! Vier Millionen!
Er sah ihn wieder an, den Anwalt aus dem fernen Florenz. DasLicht des heißen Frühlings ließ sein schütteres Haar aussehen wie einenHeiligenschein. Er hätte ihn küssen können. Er hätte sie alle küssen können.Kamen daher und legten ihm vier Millionen Dollar in den Schoß! Er lachtewieder, lachte und lachte.
»Wow!«, sagte er noch einmal, als er wieder zu Atem kam.»Ich verstehe. Sie hatten Angst, dass mich der Schlag trifft, wenn Sie mir ausdem Stand heraus sagen, dass ich vier Millionen geerbt habe, richtig?«
»So könnte man es ausdrücken«, nickte Georgio Vacchi mitder Andeutung eines Lächelns um die Mundwinkel.
»Und wissen Sie was? Sie haben Recht. Mich hätte der Schlaggetroffen. Oh, Mann ...« Er schlug die Hand vor den Mund, wusste gar nicht,wohin mit seinem Blick. »Wissen Sie, dass ich vorgestern die schrecklichsteNacht meines Lebens hatte - und nur, weil mir das Geld für die U-Bahn fehlte?Ein lausiger Dollar, lausige fünfundzwanzig Cent? Und jetzt kommen Sie undreden von vier Millionen ...«
Puh. Puh, puh, puh. Weiß Gott, das war nicht gelogen mitdem Herzschlag. Sein Herz raste. Die bloße Vorstellung von Geld ließ seinenKreislauf toben, als habe er Sex.
Vier Millionen Dollar. Das war ... Das war mehr als nurGeld. Das war ein anderes Leben. Mit vier Millionen Dollar konnte er machen,was er wollte. Mit vier Millionen Dollar brauchte er keinen Tag seines Lebensmehr zu arbeiten. Ob er studierte oder nicht, ob er der beschissenste Maler derWelt war oder nicht, es spielte keine Rolle.
»Das ist wirklich wahr?«, musste er plötzlich fragen. »Ichmeine, es taucht nicht plötzlich jemand auf und sagt: Ätsch, Sie sind in derVersteckten Kamera! , oder so was? Wir reden von richtigem Geld, von einerrichtigen Erbschaft?«
Der Anwalt hob seine Augenbrauen, als sei diese Vorstellungfür ihn der Inbegriff des Absurden. »Wir reden von richtigem Geld. KeineSorge.«
»Ich meine, wenn Sie mich hier verarschen, werde ichjemanden erwürgen. Und ich weiß nicht, ob das den Zuschauern der VerstecktenKamera gefällt.«
»Ich kann Ihnen versichern, wir sind ausschließlich zu demZweck hier, Sie zu einem reichen Mann zu machen.«
»Schön.« Es war nicht so, dass er sich tatsächlich Sorgengemacht hätte. Aber das war ein Gedanke gewesen, den er hatte loswerden müssen,gerade so, als könne durch das bloße Aussprechen die Gefahr gebannt werden.Irgendetwas ließ ihn wissen, dass er nicht belogen wurde.
Es war heiß hier drinnen. Das Merkwürdige war, dass er, alssie hereingekommen waren, den Raum als kühl empfunden hatte, als zu niedrigklimatisiert. Jetzt war ihm, als müsse das Blut in seinen Adern jeden Momentanfangen zu kochen. Ob er Fieber hatte? Vielleicht eine Nachwirkung dervorletzten Nacht, als er zu Fuß über die Brooklyn Bridge nach Hause marschiertwar, durch einen feuchten, kalten Wind, der vom Meer her geweht und ihn zumEiszapfen hatte werden lassen.
Er sah an sich herab. Seine Jeans schienen plötzlichschäbiger geworden zu sein, sein Jackett - die Enden der Ärmel waren abgewetzt;das war ihm bisher noch nie aufgefallen. Der Stoff begann, fadenscheinig zuwerden. Und sein Hemd war ärmlich, ein billiger Lumpen aus dem Trödelladen.Nicht einmal als es neu gewesen war, hatte es richtig gut ausgesehen. Ramsch.Tand. Er fing einen Blick Eduardos auf, der leise lächelte, als errate er seineGedanken.
Die Skyline draußen glitzerte noch immer wie ein Traum ausGlas und Kristall. Er war jetzt also ein gemachter Mann. John SalvatoreFontanelli, Schuhmachersohn aus New Jersey, hatte es geschafft - ohne eigeneLeistung, ohne eigenes Dazutun, einfach durch eine Laune des Schicksals.Vielleicht hatte er so etwas immer geahnt und sich deshalb nie großangestrengt, nie besondere Mühe gegeben? Weil ihm eine Fee an der Wiegegeflüstert hatte, dass er das alles nicht nötig haben würde?
»Okay«, rief er und klatschte in die Hände. »Wie geht esweiter?«
»Sie nehmen das Erbe also an?«
»Yes, Sir!«
Der Anwalt nickte zufrieden und klappte seine Aktenmappewieder zu. John lehnte sich zurück und atmete tief aus. Was für ein Tag! Erfühlte sich wie mit Champagner gefüllt, voller kleiner, lustig blubbernderBläschen, die aufstiegen und aufstiegen und sich zu einem albernen Kichern imoberen Teil seines Brustkorbs sammelten.
Er war gespannt, wie so eine Erbschaft in der Praxis vorsich ging. Wie er das Geld bekommen würde. Wohl kaum in bar. Per Überweisungwürde nicht gehen, da er kein Konto mehr hatte. Vielleicht würde er einenScheck kriegen. Es würde ihm ein Hochgenuss sein, in die Schalterhalle der Bankzu spazieren, die ihm sein Konto gekündigt hatte, seinem ehemaligenKundenbetreuer einen Scheck über vier Millionen Dollar unter die Nase zu haltenund abzuwarten, was für ein Gesicht er machen würde. Es würde ein Hochgenusswerden, sich aufzuführen wie ein Schwein, wie das letzte reiche Arschloch ...
Jemand räusperte sich. John sah auf, kehrte aus seinenTagträumen zurück in die Realität des Konferenzraumes. Es war Alberto Vacchigewesen, der sich geräuspert hatte.
Und er hatte dabei die Aktenmappe aufgeklappt, die vor ihmgelegen hatte.
John sah Eduardoan. Sah Georgio an, seinen Vater. Sah Albertoan, seinen Onkel. »Sagen Sie jetzt bloß nicht, es ist noch mehr.«
Alberto lachte leise. Es klang wie das Gurren von Tauben.»Doch«, sagte er.
»Mehr als vier Millionen Dollar?«
»Wesentlich mehr.«
Das Wummern seines Herzens fing wieder an. Seine Lungebildete sich wieder ein, ein Blasebalg zu sein. John hob abwehrend eine Hand.»Warten Sie. Langsam. Vier Millionen war eine ganz gute Zahl. Warumübertreiben? Vier Millionen, das kann einen Mann schon glücklich machen. Mehrwäre ... na ja, vielleicht zu viel ...«
Der Italiener sah ihn unter seinen buschigen Augenbrauenan. In seinen Augen funkelte ein eigenartiges Licht. »Das ist die einzigeBedingung, die mit dem Erbe verknüpft ist, John. Entweder Sie nehmen alles -oder nichts ...«
John schluckte. »Ist es mehr als das Doppelte?«, fragte erhastig, als gelte es einen Fluch zu bannen, indem er dem anderen zuvorkam.
»Wesentlich mehr.«
»Mehr als das Zehnfache? Mehr als vierzigMillionen?«
»John, Sie müssen lernen, in großen Dimensionen zu denken.Das ist nicht leicht, und ich beneide Sie weiß Gott nicht.« Alberto nickte ihmaufmunternd zu, beinahe verschwörerisch, als wolle er ihn ermuntern, ihn in einverrufenes Haus zu begleiten. »Denken Sie groß, John!«
»Mehr als ...?« John hielt inne. In einer Zeitschrift hatteer einmal etwas über das Vermögen der großen Musikstars gelesen. Madonna, sohatte es geheißen, sei an die sechzig Millionen Dollar schwer, Michael Jacksonleicht das Doppelte. Die Rangliste angeführt hatte der Ex-Beatle PaulMcCartney, dessen Vermögen auf fünfhundert Millionen Dollar geschätzt wurde.Ihm schwindelte. »Mehr als das Zwanzigfache?« Er hatte das Hundertfache sagenwollen, es aber nicht gewagt. Anzunehmen, er könne - einfach so, ohne Mühe,ohne Talent - in Besitz eines Vermögens kommen, das an dasjenige einer solchenLegende auch nur heranreichte, hatte etwas von Gotteslästerung an sich.
Einen Moment war Stille. Der Anwalt sah ihn an, kaute dabeiauf seiner Lippe und sagte nichts.
»Befreunden Sie sich«, riet er schließlich, »mit der Zahl zweiMilliarden.« Und er fügte hinzu: »Dollar.«
John starrte ihn an, und etwas Schweres, Bleiernes schiensich auf ihn herabzusenken, auf alle Anwesenden. Das war jetzt kein Spaß mehr.Das Sonnenlicht, das durch die Fenster hereinbrach, blendete ihn, schmerzte wiedas Licht einer Verhörlampe. Wirklich kein Spaß.
»Das ist Ihr Ernst, nicht wahr?«, fragte er.
Alberto Vacchi nickte.
John sah sich um, fahrig, als suche er einen Ausweg.Milliarden! Die Zahl lastete auf ihm wie ein tonnenschweres Gewicht, drückte seineSchultern herab, presste auf seine Schädeldecke. Milliarden, das warenDimensionen, in denen er sich noch nicht einmal in seiner Vorstellung je bewegthatte. Milliarden, das hieß, sich in der Ebene der Rockefellers undRothschilds, der saudiarabischen Ölscheichs und der japanischenImmobiliengiganten zu befinden. Milliarden, das war mehr als Wohlstand. Das war... Irrsinn.
Sein Herz wummerte immer noch. An seinem rechtenUnterschenkel hatte ein Muskel angefangen zu zucken und wollte überhaupt nichtmehr aufhören. Vor allem musste er erst einmal zur Ruhe finden. Das war dochhier ein ganz seltsames Spiel. So was gab es doch nicht, nicht in der Welt, dieer kannte! Dass einfach vier Männer auftauchten, von denen er noch nie im Lebengehört hatte, die auch behaupteten, ihn noch nie gesehen zu haben - undbehaupteten, er habe zwei Milliarden Dollar geerbt. Nein. So funktionierte dasnicht. Hier lief irgend ein krummes Spiel. Er hatte keine Ahnung, wie einesolche Erbzeremonie normalerweise ablaufen musste, aber das war jedenfallsseltsam.
Er versuchte, sich an Filme zu erinnern, die er gesehenhatte. Verdammt, er hatte doch so viele Filme gesehen, mehr oder weniger seineJugend vor dem Fernseher und im Kino verbracht - wie war denn das gewesen? EineTestamentseröffnung, jawohl. Wenn jemand gestorben war, dann gab es eineTestamentseröffnung, zu der alle infrage kommenden Erben zusammenkamen, um dannaus dem Mund eines Notars zu erfahren, wer wie viel erbte. Und sichanschließend zu zanken.
Genau! Wie ging denn das überhaupt vor sich, wenn jemandstarb und etwas zu vererben hatte? Die ersten Erben waren doch Ehegatten undKinder, oder? Wie konnte es angehen, dass er etwas erben sollte und seineBrüder nicht? Und wieso erbte er überhaupt etwas, wenn sein Vater noch lebte?
Irgendetwas stimmte hier nicht.
Sein Herz und seine Atmung schalteten einen Gang zurück.Nur nicht zu früh freuen. Erst mal einen auf misstrauisch machen war angesagt.
John räusperte sich. »Ich muss noch mal ganz dumm fragen«,begann er. »Wieso soll ausgerechnet ich etwas erben? Wie kommen Sie auf mich?«
Der Anwalt nickte ruhig. »Wir haben sehr ausführliche undsehr gründliche Recherchen angestellt. Wir hätten Sie nicht um eine Unterredunggebeten, wenn wir unserer Sache nicht hundertprozentig sicher wären.«
»Schön, Sie sind sich sicher. Aber ich nicht. WissenSie zum Beispiel, dass ich zwei Brüder habe? Muss ich ein Erbe nicht mit denenteilen?«
»In diesem Fall nicht.«
»Warum nicht?«
»Sie sind als Alleinerbe bezeichnet.«
»Und wer, zum Teufel, kommt auf die Idee, ausgerechnet michals Alleinerben von zwei Milliarden Dollar einzusetzen? Ich meine, mein Vaterist Schuhmacher. Und ich weiß von unserer Verwandtschaft zwar nicht viel, aberich bin mir sicher, dass sich kein Milliardär darunter befindet. Der reichsteMann dürfte mein Onkel Giuseppe sein, der ein Taxiunternehmen in Neapelbesitzt, mit zehn oder zwölf Fahrzeugen.«
Alberto Vacchi lächelte. »Richtig. Und der lebt noch underfreut sich, soweit wir wissen, bester Gesundheit.«
»Also. Wie soll dann so ein Erbe zustande kommen?«
»Das klingt, als seien Sie nicht sehr daran interessiert.«
John spürte, dass er allmählich wütend wurde. Er wurdeselten wütend, noch seltener richtig wütend, aber hier und heute konntees gut sein, dass es so weit kam. »Warum weichen Sie mir dauernd aus? Warummachen Sie so ein Geheimnis darum? Warum sagen Sie mir nicht einfach, der undder ist gestorben?«
Der Anwalt blätterte in seinen Papieren, und es sahverdammt noch mal nach einem Ablenkungsmanöver aus. So, wie wenn jemand ineinem leeren Terminkalender blättert und so tut, als hätte er Mühe, einenfreien Termin zu finden.
»Es handelt sich hier«, gab er schließlich zu, »nicht umeinen normalen Erbfall. Normalerweise gibt es ein Testament, einenTestamentsvollstrecker und eine Testamentseröffnung. Das Geld, um das es hiergeht, ist Eigentum einer Stiftung - in gewisser Weise könnte man sagen, esgehört im Augenblick sich selbst. Wir verwalten es lediglich, seit der Stiftergestorben ist - was schon vor sehr langer Zeit war. Er hat eine Verfügungerlassen, derzufolge das Vermögen der Stiftung auf den jüngsten männlichenNachfahren übergehen soll, der am 23. April des Jahres 1995 am Leben ist. Unddas sind Sie.«
John kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Der 23. April... das war vorgestern. Warum ausgerechnet dieser Tag?«
Alberto zuckte mit den Schultern. »Das ist so festgelegt.«
»Und ich soll der jüngste Fontanelli sein? Sind Siesicher?«
»Ihr Onkel Giuseppe hat eine fünfzehnjährige Tochter. Abereben eine Tochter. Ein Cousin Ihres Vaters, Romano Fontanelli, hatte einenSohn, Lorenzo. Der ist jedoch, wie Sie wahrscheinlich wissen, vor zwei Wochenüberraschend verstorben.«
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Autoren-Porträt von Andreas Eschbach
Andreas Eschbach, geboren 1959 in Ulm, studierte Luft- undRaumfahrttechnik und arbeitete zunächst als Software-Entwickler. Er lebt alsfreier Schriftsteller und EDV-Berater mit seiner Familie in der Nähe vonStuttgart.
- Autor: Andreas Eschbach
- 2003, 19. Aufl., Maße: 12,4 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404150406
- ISBN-13: 9783404150403
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