Eine kurze Geschichte vom Glück
Roman
Euphorie und Verzweiflung liegen für Robert Allmann sehr nah beieinander: Am selben Tag, an dem er ein unvorstellbares Vermögen gewinnt, verliert er das Wichtigste in seinem Leben und ist endlich gezwungen herauszufinden, wer er wirklich ist.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Eine kurze Geschichte vom Glück “
Euphorie und Verzweiflung liegen für Robert Allmann sehr nah beieinander: Am selben Tag, an dem er ein unvorstellbares Vermögen gewinnt, verliert er das Wichtigste in seinem Leben und ist endlich gezwungen herauszufinden, wer er wirklich ist.
Klappentext zu „Eine kurze Geschichte vom Glück “
Eine sympathische Frauenstimme meldet sich, als Robert Allmann den Telefonhörer abnimmt: "Ich habe eine erfreuliche Nachricht. Auf Sie entfallen sechs Komma zwei Millionen Euro." Eine Woge der Zuneigung umspült Robert, der plötzlich nicht mehr zwischen Schock und Euphorie zu unterscheiden vermag. Und als die Anruferin von der Lottogesellschaft auflegt, ahnt er noch nicht, welches neue Leben auf ihn wartet. Zunächst aber deckt Robert den Tisch, putzt Pfifferlinge und setzt Nudelwasser auf: Seine Frau Regina soll es als Erste erfahren, in angemessenem Rahmen. Doch der Abend verläuft anders als geplant. Und alles, was Robert bisher wichtig war, gerät ins Wanken.
Lese-Probe zu „Eine kurze Geschichte vom Glück “
Der Anruf kam kurz nach elf. Ich hatte bis dahin schon sieben Zigaretten geraucht, trank eben den vierten Espresso und dachte darüber nach, ob ich ein Aspirin schlucken sollte. Falls mein Kopfweh von dem billigen Wein herrührte, den ich am Abend zuvor getrunken hatte, dann würde es auch so weggehen - aber wenn es am Wetter lag, der bleigrauen Wolkenwand, die sich von Westen, von Frankreich her, langsam näher schob, aber partout nicht ankommen wollte, dann nähme es zu und überschritte bald den Punkt, an dem keine Tablette mehr hilft. In diesem Fall musste ich rechtzeitig gegensteuern. Schmerzmittel sind Drogen, ich gehe sparsam damit um, weil ich nicht in Abhängigkeit geraten will. Nicht auch noch davon. Alkohol, Zigaretten und Kaffee, das ist genug. Laster braucht der Mensch, die unterscheiden ihn vom Roboter, aber man muss auch seine Grenzen kennen.Ich konnte es nicht lassen, immer wieder Weine vom Discounter zu probieren, obwohl ich nur alle Schaltjahre mal einen anständigen fand - fast immer war es gefärbtes Wasser mit Fusel, Kirschsaft mit Bitterstoff oder anderer flüssiger Müll. Und ich trank diesen Müll, anstatt ihn wegzuschütten, weil ich so viel Soße nicht kochen konnte und der Überzeugung war, Wein sollte nur auf dem Umweg durch den menschlichen Körper in den Wasserkreislauf zurückgelangen. Immer nach solchen Selbstversuchseskapaden kehrte ich eine Zeit lang reumütig zu meinem Sechs-Euro-Cabernet aus dem Bioladen zurück, bis mich wieder die Sparwut juckte und ich dachte, die Regale sind voll, da muss doch einer trinkbar sein.
Ich drehte das Aspirinpäckchen in den Fingern, stellte es hochkant auf den Schreibtisch, damit es mir in die Augen fallen würde, sozusagen zur Wiedervorlage, da klingelte das Telefon, und ich nahm ab.
"Hallo?", sagte ich, obwohl ich mich sonst eigentlich immer mit Namen melde, aber ich rechnete mit einem Anruf meiner Frau, der ich vor einer halben Stunde auf die Mailbox gesprochen hatte, sie solle mir die Versionsnummer ihrer
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Praxissoftware durchgeben, damit ich das richtige Update herunterladen konnte. Das würde ich ihr dann auf CD brennen und am Wochenende installieren.
"Herr Allmann?", fragte eine Frauenstimme. "Spreche ich mit Herrn Robert Allmann?"
"Ja", sagte ich und hörte selbst, wie reserviert meine Stimme klang. Telefonvermarkter am Vormittag? Wollten die jetzt auch noch Arbeitslose für Geldanlagen gewinnen? Oder Zeitschriften? Oder Lottosysteme? Bei Lotto macht es Sinn, dachte ich noch, Lotto und arbeitslos passt, da sprach die Stimme weiter:
"Mein Name ist Voula Perides, ich rufe im Auftrag der Baden-Württembergischen Lottogesellschaft an. Ich habe eine erfreuliche Nachricht für Sie."
Na klar, die Sorte erfreulicher Nachricht kannte ich: Für nur soundso viel Euro im Monat erhielte ich die Chance, reich zu werden. Das war die Standarderöffnung.
Ich mache mir einen Sport daraus, diese Leute höflich abzuwimmeln, sie tun nur ihre Arbeit, und die macht sicher keinen Spaß, also sagte ich: "Danke, das ist nett, aber ich spiele schon Lotto. Zu irgendeinem System oder so etwas bin ich nicht mehr zu überreden."
"Das weiß ich", sagte sie.
Und dann sagte sie erst mal nichts mehr. Und daran merkte ich, irgendwas war anders. Die wollte mir nichts verkaufen. Sie schwieg einfach und wartete, bis ich mich entschlossen hatte, den Mund wieder aufzumachen.
"Sie wollen mir nichts verkaufen?", fragte ich.
"Nein", sagte sie.
"Hab ich etwa gewonnen?"
"Stellen wir die Frage noch kurz zurück? Ich habe selbst noch zwei Fragen, die Sie mir vorher beantworten müssen. Die erste: Wann sind Sie geboren?"
"Am fünfzehnten April zweiundsechzig."
"Und wo haben Sie Ihre Kundenkarte eingetragen?"
"Bei Rose in der Günterstalstraße. Hier in Freiburg."
"Gut. Sie sind es selbst."
"Wer denn sonst? Die Putzfrau?"
Sie lachte: "Zum Beispiel. Ja. Oder sonst jemand, von dem Sie nicht wollen, dass er erfährt, was ich Ihnen zu sagen habe."
"Jetzt wär's aber auch nett, Sie würden's endlich sagen. Sonst fang ich an mit Nägelkauen."
"Tun Sie's nicht, das gibt Entzündungen", sagte sie. Offenbar machte es ihr Spaß, mich hinzuhalten.
"Bitte." Ich klang fast ärgerlich, aber ich musste lachen.
Sie auch, ich hörte ein Glucksen: "Entschuldigung. Ja, Sie haben gewonnen. Ich gratuliere."
"Mann ...", ich musste noch mal neu anfangen, das war kein brauchbarer Text, aber inzwischen war ich aufgeregt, es kam nicht viel besser, ich fragte nur: "Wie viel denn?" Mein Zwerchfell vibrierte.
"Ich will Sie nicht auf die Folter spannen, aber vielleicht setzen Sie sich erst mal. Die Summe ist hoch. Es könnte ein Schock für Sie sein."
"Okay", sagte ich und zündete mir eine Zigarette an. Das tu ich immer, wenn ich telefoniere, es ist ein Reflex, aber diesmal dachte ich, die brauch ich jetzt. "Hatte schon mal jemand einen Herzinfarkt?"
"Nein, aber wir fürchten so was. Es könnte passieren. Ich will das nicht erleben. Normalerweise kommt jemand von uns vorbei, aber Herr Storck, unser Glücksbote, hat schon zweimal vergeblich bei Ihnen geklingelt, deshalb rufe ich an. Sitzen Sie?"
"Ja. Wie heißt der Mann? Storch?"
"Storck, mit k."
"Ich hör zu."
"Herr Allmann, Sie teilen sich den Jackpot mit einem einzigen anderen Gewinner. Auf Sie entfallen sechs Komma zwei Millionen."
Ich weiß, dass ich erst mal nichts dachte und nichts sagte, ich weiß, dass ich spürte, wie die Zeit verging, dass mir irgendwann auffiel, wie geduldig sie am anderen Ende der Leitung auf meine Reaktion wartete, und ein Schwall von Zuneigung für diese fremde Frau, die nur eine Stimme war, allerdings die eines Engels, wollte aus mir heraus. "Sie haben vielleicht den schönsten Beruf der Welt", sagte ich.
"Das könnte sein." In ihrer Stimme klang ein Lächeln mit.
"Darf ich Ihnen was abgeben? Damit Sie sich mitfreuen?"
"Aber nein, Herr Allmann, ich bitte Sie. Das ist nett von Ihnen, aber das sollen Sie nicht. Ich freue mich auch so mit. Herzlichen Glückwunsch."
"Ich glaube, mir wird schlecht."
"Atmen Sie tief durch, legen Sie die Zigarette weg, versuchen Sie, sich zu beruhigen, und hören Sie mir zu, wenn Sie wollen. Ich würde Ihnen gern den einen oder anderen Rat geben, wenn ich darf."
"Ja, gern. Sicher. Bitte." Meine Stimme klang anders als sonst. Ohne Atemluft. Gehaucht. Oder so, als wären meine Ohren auf einmal viel weiter weg vom Mund.
"Tun Sie einfach erst mal gar nichts. Sagen Sie niemandem etwas davon, überlegen Sie in Ruhe, wie Ihr Leben weitergehen soll. Könnten Sie sich für ein paar Tage zurückziehen, irgendwo einen Kurzurlaub machen, allein sein und gründlich darüber nachdenken? Verstehen Sie, warum ich Ihnen das rate?"
"Ich glaube, ja. Neid vermeiden."
"Nicht nur, es geht auch um das Ausmaß der Veränderung. Manche Leute werden nach der ersten Euphorie depressiv, manche verlieren den Halt und schlittern in eine psychische Leere. Oder sie kaufen sich sinnlose Dinge, markieren den spendablen Krösus und vergraulen ihre Freunde, anstatt sie glücklich zu machen, oder sie finden sich in falscher Gesellschaft wieder - es kann alles passieren. Unsere Erfahrung ist, dass diejenigen, die erst mal gar nichts geändert haben, nur vielleicht ihre Schulden bezahlt und ein neues Auto gekauft oder eine schöne Reise gebucht, am besten damit klarkommen."
"Darf ich Ihnen nicht wenigstens ein Auto schenken? Irgendein schniekes Cabrio? Roter Käfer? Grüner Mini?"
"Nein. Eine Flasche Wein, wenn Sie wollen."
"Rot oder weiß?"
"Gern rot. Aber bitte keinen teuren. Gut darf er sein, teuer nicht. Ich will kein Geld trinken. Das würde mir den Genuss verderben."
"Okay. Ich schick Ihnen den, den ich selber mag."
"Einen Rat noch, wenn Sie erlauben. Eröffnen Sie ein Konto woanders, in einer Stadt, in der man Sie nicht kennt, oder bei einer anderen Bank. Besprechen Sie Ihre Finanzen nicht mit Freunden oder Bekannten, so lange, bis Sie wissen, was Sie wollen und wem Sie vertrauen."
"Also erst mal gar nichts tun. Nur freuen. Und Klappe halten."
"Genau."
"Und dann? Wenn ich weiß, was ich will? Was tu ich dann?"
"Sie wenden sich an mich. Wir regeln alles nach Ihren Wünschen. Meine Telefonnummer ist null-sieben-elf- zwei-null-null-eins-null-eins. Und mein Name ..."
Ich unterbrach sie: "Voula Perides. Den vergess ich nicht mehr."
Sie lachte. "Ist Ihnen immer noch schwindlig?"
"Nur noch im Geiste. Oder in der Seele. Körperlich ist alles infarktfrei abgegangen."
Sie lachte wieder: "Dann bin ich ja froh. Bis bald also. Melden Sie sich."
Mein Kopfweh war weg. Und es regnete. Also war der Wein nicht schuld gewesen. Darüber musste ich mir nun nie wieder Gedanken machen. Flüssiger Müll würde in Zukunft keines meiner Probleme sein. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ich zu viel Aspirin genommen. Flau. Zittrig. Ich musste versuchen zu kapieren, was los war. Aber ich konnte nicht denken.
Solange ich noch mit Frau Perides geredet hatte, war ich mir einigermaßen zurechnungsfähig vorgekommen, aber jetzt schien mir alles schwammig und schlierig, irgendwie diffus. Ich wusste, dass ich glücklich war, ich spürte es auch, aber wie genau sich das anfühlte, hätte ich niemandem beschreiben können. Eben schwammig. Nein, nicht nur. Die Zigarette, die ich mir jetzt anzündete, schmeckte großartig. Nicht wie irgendeine. Eher vielleicht wie die nach dem phantastischsten Sex meines Lebens. Allerdings weiß ich nicht mehr, wie die geschmeckt hat, denn die größten Erlebnisse gehen unerkannt vorüber. Man rechnet mit noch größeren und erfasst den Punkt nicht, an dem die Welle abschwingt und das Glück sich verringert, bis es irgendwann mehr und mehr zum Echo eines Moments, zu einer Erinnerung geworden ist. Und diese Erinnerung ist vage, weil man den Moment nicht festgehalten hat. Nicht einmal bemerkt.
Ich wusste, wer der andere Gewinner war. Mein ehemaliger Kompagnon Ecki in Heidelberg.
Es war absurd, lächerlich, der Erhabenheit oder Glückseligkeit des Augenblicks in keiner Weise angemessen, aber was ich fühlte in dem Moment, als mir klar wurde, dass Ecki vielleicht in genau dieser Sekunde ebenso verdattert, glücklich und reich sein musste wie ich, war: Das steht dem nicht zu. Das darf einfach nicht wahr sein, dass diese dumme Sau nun erst recht auf den Putz hauen kann.
Jetzt hob sich mir der Magen, das lag nicht an Ecki, es lag am Schock, den die Nachricht ausgelöst hatte. Ich rannte ins Bad und schaffte es gerade noch bis zum Klo, um ein halbes Brötchen und vier Espressi zu erbrechen. So euphorisch und so gern, so heiter und gelassen habe ich noch nie gekotzt.
Und dann legte ich mich auf das mit verschlissenem und hässlichem lilafarbenen Stoff bezogene Sofa und schlief. Das ist meine Art von Schutzschaltung: Im größten Stress, im schlimmsten Streit, wenn alles übersteuert ist, dann gehe ich auf Stand-by und schlafe mich in Deckung.
"Herr Allmann?", fragte eine Frauenstimme. "Spreche ich mit Herrn Robert Allmann?"
"Ja", sagte ich und hörte selbst, wie reserviert meine Stimme klang. Telefonvermarkter am Vormittag? Wollten die jetzt auch noch Arbeitslose für Geldanlagen gewinnen? Oder Zeitschriften? Oder Lottosysteme? Bei Lotto macht es Sinn, dachte ich noch, Lotto und arbeitslos passt, da sprach die Stimme weiter:
"Mein Name ist Voula Perides, ich rufe im Auftrag der Baden-Württembergischen Lottogesellschaft an. Ich habe eine erfreuliche Nachricht für Sie."
Na klar, die Sorte erfreulicher Nachricht kannte ich: Für nur soundso viel Euro im Monat erhielte ich die Chance, reich zu werden. Das war die Standarderöffnung.
Ich mache mir einen Sport daraus, diese Leute höflich abzuwimmeln, sie tun nur ihre Arbeit, und die macht sicher keinen Spaß, also sagte ich: "Danke, das ist nett, aber ich spiele schon Lotto. Zu irgendeinem System oder so etwas bin ich nicht mehr zu überreden."
"Das weiß ich", sagte sie.
Und dann sagte sie erst mal nichts mehr. Und daran merkte ich, irgendwas war anders. Die wollte mir nichts verkaufen. Sie schwieg einfach und wartete, bis ich mich entschlossen hatte, den Mund wieder aufzumachen.
"Sie wollen mir nichts verkaufen?", fragte ich.
"Nein", sagte sie.
"Hab ich etwa gewonnen?"
"Stellen wir die Frage noch kurz zurück? Ich habe selbst noch zwei Fragen, die Sie mir vorher beantworten müssen. Die erste: Wann sind Sie geboren?"
"Am fünfzehnten April zweiundsechzig."
"Und wo haben Sie Ihre Kundenkarte eingetragen?"
"Bei Rose in der Günterstalstraße. Hier in Freiburg."
"Gut. Sie sind es selbst."
"Wer denn sonst? Die Putzfrau?"
Sie lachte: "Zum Beispiel. Ja. Oder sonst jemand, von dem Sie nicht wollen, dass er erfährt, was ich Ihnen zu sagen habe."
"Jetzt wär's aber auch nett, Sie würden's endlich sagen. Sonst fang ich an mit Nägelkauen."
"Tun Sie's nicht, das gibt Entzündungen", sagte sie. Offenbar machte es ihr Spaß, mich hinzuhalten.
"Bitte." Ich klang fast ärgerlich, aber ich musste lachen.
Sie auch, ich hörte ein Glucksen: "Entschuldigung. Ja, Sie haben gewonnen. Ich gratuliere."
"Mann ...", ich musste noch mal neu anfangen, das war kein brauchbarer Text, aber inzwischen war ich aufgeregt, es kam nicht viel besser, ich fragte nur: "Wie viel denn?" Mein Zwerchfell vibrierte.
"Ich will Sie nicht auf die Folter spannen, aber vielleicht setzen Sie sich erst mal. Die Summe ist hoch. Es könnte ein Schock für Sie sein."
"Okay", sagte ich und zündete mir eine Zigarette an. Das tu ich immer, wenn ich telefoniere, es ist ein Reflex, aber diesmal dachte ich, die brauch ich jetzt. "Hatte schon mal jemand einen Herzinfarkt?"
"Nein, aber wir fürchten so was. Es könnte passieren. Ich will das nicht erleben. Normalerweise kommt jemand von uns vorbei, aber Herr Storck, unser Glücksbote, hat schon zweimal vergeblich bei Ihnen geklingelt, deshalb rufe ich an. Sitzen Sie?"
"Ja. Wie heißt der Mann? Storch?"
"Storck, mit k."
"Ich hör zu."
"Herr Allmann, Sie teilen sich den Jackpot mit einem einzigen anderen Gewinner. Auf Sie entfallen sechs Komma zwei Millionen."
Ich weiß, dass ich erst mal nichts dachte und nichts sagte, ich weiß, dass ich spürte, wie die Zeit verging, dass mir irgendwann auffiel, wie geduldig sie am anderen Ende der Leitung auf meine Reaktion wartete, und ein Schwall von Zuneigung für diese fremde Frau, die nur eine Stimme war, allerdings die eines Engels, wollte aus mir heraus. "Sie haben vielleicht den schönsten Beruf der Welt", sagte ich.
"Das könnte sein." In ihrer Stimme klang ein Lächeln mit.
"Darf ich Ihnen was abgeben? Damit Sie sich mitfreuen?"
"Aber nein, Herr Allmann, ich bitte Sie. Das ist nett von Ihnen, aber das sollen Sie nicht. Ich freue mich auch so mit. Herzlichen Glückwunsch."
"Ich glaube, mir wird schlecht."
"Atmen Sie tief durch, legen Sie die Zigarette weg, versuchen Sie, sich zu beruhigen, und hören Sie mir zu, wenn Sie wollen. Ich würde Ihnen gern den einen oder anderen Rat geben, wenn ich darf."
"Ja, gern. Sicher. Bitte." Meine Stimme klang anders als sonst. Ohne Atemluft. Gehaucht. Oder so, als wären meine Ohren auf einmal viel weiter weg vom Mund.
"Tun Sie einfach erst mal gar nichts. Sagen Sie niemandem etwas davon, überlegen Sie in Ruhe, wie Ihr Leben weitergehen soll. Könnten Sie sich für ein paar Tage zurückziehen, irgendwo einen Kurzurlaub machen, allein sein und gründlich darüber nachdenken? Verstehen Sie, warum ich Ihnen das rate?"
"Ich glaube, ja. Neid vermeiden."
"Nicht nur, es geht auch um das Ausmaß der Veränderung. Manche Leute werden nach der ersten Euphorie depressiv, manche verlieren den Halt und schlittern in eine psychische Leere. Oder sie kaufen sich sinnlose Dinge, markieren den spendablen Krösus und vergraulen ihre Freunde, anstatt sie glücklich zu machen, oder sie finden sich in falscher Gesellschaft wieder - es kann alles passieren. Unsere Erfahrung ist, dass diejenigen, die erst mal gar nichts geändert haben, nur vielleicht ihre Schulden bezahlt und ein neues Auto gekauft oder eine schöne Reise gebucht, am besten damit klarkommen."
"Darf ich Ihnen nicht wenigstens ein Auto schenken? Irgendein schniekes Cabrio? Roter Käfer? Grüner Mini?"
"Nein. Eine Flasche Wein, wenn Sie wollen."
"Rot oder weiß?"
"Gern rot. Aber bitte keinen teuren. Gut darf er sein, teuer nicht. Ich will kein Geld trinken. Das würde mir den Genuss verderben."
"Okay. Ich schick Ihnen den, den ich selber mag."
"Einen Rat noch, wenn Sie erlauben. Eröffnen Sie ein Konto woanders, in einer Stadt, in der man Sie nicht kennt, oder bei einer anderen Bank. Besprechen Sie Ihre Finanzen nicht mit Freunden oder Bekannten, so lange, bis Sie wissen, was Sie wollen und wem Sie vertrauen."
"Also erst mal gar nichts tun. Nur freuen. Und Klappe halten."
"Genau."
"Und dann? Wenn ich weiß, was ich will? Was tu ich dann?"
"Sie wenden sich an mich. Wir regeln alles nach Ihren Wünschen. Meine Telefonnummer ist null-sieben-elf- zwei-null-null-eins-null-eins. Und mein Name ..."
Ich unterbrach sie: "Voula Perides. Den vergess ich nicht mehr."
Sie lachte. "Ist Ihnen immer noch schwindlig?"
"Nur noch im Geiste. Oder in der Seele. Körperlich ist alles infarktfrei abgegangen."
Sie lachte wieder: "Dann bin ich ja froh. Bis bald also. Melden Sie sich."
Mein Kopfweh war weg. Und es regnete. Also war der Wein nicht schuld gewesen. Darüber musste ich mir nun nie wieder Gedanken machen. Flüssiger Müll würde in Zukunft keines meiner Probleme sein. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ich zu viel Aspirin genommen. Flau. Zittrig. Ich musste versuchen zu kapieren, was los war. Aber ich konnte nicht denken.
Solange ich noch mit Frau Perides geredet hatte, war ich mir einigermaßen zurechnungsfähig vorgekommen, aber jetzt schien mir alles schwammig und schlierig, irgendwie diffus. Ich wusste, dass ich glücklich war, ich spürte es auch, aber wie genau sich das anfühlte, hätte ich niemandem beschreiben können. Eben schwammig. Nein, nicht nur. Die Zigarette, die ich mir jetzt anzündete, schmeckte großartig. Nicht wie irgendeine. Eher vielleicht wie die nach dem phantastischsten Sex meines Lebens. Allerdings weiß ich nicht mehr, wie die geschmeckt hat, denn die größten Erlebnisse gehen unerkannt vorüber. Man rechnet mit noch größeren und erfasst den Punkt nicht, an dem die Welle abschwingt und das Glück sich verringert, bis es irgendwann mehr und mehr zum Echo eines Moments, zu einer Erinnerung geworden ist. Und diese Erinnerung ist vage, weil man den Moment nicht festgehalten hat. Nicht einmal bemerkt.
Ich wusste, wer der andere Gewinner war. Mein ehemaliger Kompagnon Ecki in Heidelberg.
Es war absurd, lächerlich, der Erhabenheit oder Glückseligkeit des Augenblicks in keiner Weise angemessen, aber was ich fühlte in dem Moment, als mir klar wurde, dass Ecki vielleicht in genau dieser Sekunde ebenso verdattert, glücklich und reich sein musste wie ich, war: Das steht dem nicht zu. Das darf einfach nicht wahr sein, dass diese dumme Sau nun erst recht auf den Putz hauen kann.
Jetzt hob sich mir der Magen, das lag nicht an Ecki, es lag am Schock, den die Nachricht ausgelöst hatte. Ich rannte ins Bad und schaffte es gerade noch bis zum Klo, um ein halbes Brötchen und vier Espressi zu erbrechen. So euphorisch und so gern, so heiter und gelassen habe ich noch nie gekotzt.
Und dann legte ich mich auf das mit verschlissenem und hässlichem lilafarbenen Stoff bezogene Sofa und schlief. Das ist meine Art von Schutzschaltung: Im größten Stress, im schlimmsten Streit, wenn alles übersteuert ist, dann gehe ich auf Stand-by und schlafe mich in Deckung.
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Autoren-Porträt von Thommie Bayer
Thommie Bayer, geb. 1953 in Esslingen, war Maler und Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte, Drehbücher und Romane zu schreiben. All seine Bücher entwickeln einen erzählerischen Sog, wie man ihn sonst vor allem aus angelsächsischen Romanen kennt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Thommie Bayer
- 2008, Aufl., 214 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492049206
- ISBN-13: 9783492049207
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