Finger, Hut und Teufelsbrut / Kommissar Siegfried Seifferheld Bd.3
Kommissar Seifferheld ermittelt
Entführung in Schwäbisch Hall: der indische Kulturattaché wird mitten auf dem Marktplatz gekidnappt! Klar, dass Kommissar a.D. Siegfried Seifferheld hier undercover ermittelt. Im "Indisch Kochen"-Kurs nimmt er die Fährte auf, und...
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Produktinformationen zu „Finger, Hut und Teufelsbrut / Kommissar Siegfried Seifferheld Bd.3 “
Entführung in Schwäbisch Hall: der indische Kulturattaché wird mitten auf dem Marktplatz gekidnappt! Klar, dass Kommissar a.D. Siegfried Seifferheld hier undercover ermittelt. Im "Indisch Kochen"-Kurs nimmt er die Fährte auf, und Schwester Irmgard, genannt der General, ist natürlich auch mit von der Partie.
Klappentext zu „Finger, Hut und Teufelsbrut / Kommissar Siegfried Seifferheld Bd.3 “
Vor den Augen der Weltöffentlichkeit wird der indische Kulturattaché mitten auf dem Marktplatz zu Schwäbisch Hall entführt. Siegfried Seifferheld, Kommissar a. D., kennt die Hintergründe, und während die Exekutive noch im Dunkeln tappt, ermittelt Seifferheld mit Gehhilfe und Gefahrhund undercover in einem "Indisch Kochen leicht gemacht"-Kurs. Währenddessen tobt in seiner Familie wieder einmal das Chaos: Seine Freundin MaC ist wutentbrannt ausgezogen, dafür ist seine Schwester Irmgard, auch genannt der General, wieder bei ihm in die Untere Herrengasse eingezogen. Und der heimliche Sticker Seifferheld erhält sogar eine eigene Radiosendung, in der er als Stickexperte mit Rat und Tat berät ...
Lese-Probe zu „Finger, Hut und Teufelsbrut / Kommissar Siegfried Seifferheld Bd.3 “
Finger, Hut und Teufelsbrut von Tatjana KruseGestatten: Die Leiche!
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Tja, sie hatte immer gedacht, sie würde an ihrem 111. Geburtstag sterben, in ihrer Strandvilla an der Ostsee, und ihr vierter Ehemann wäre darüber so bestürzt, dass er die Uni schmeißen würde.
Aber nun lag sie hier, in eisiger Zugluft und auf kalten Holzdielen, mit froststeifen Fingern das Messer in ihrem Bauch umklammernd.
Positiv war nur zu vermerken, dass der Tod eines der wenigen Dinge war, die man auch bequem im Liegen erledigen konnte.
Und dass man als Leiche in Ruhe über all die Dinge meditieren konnte, die im eigenen Leben schiefgelaufen waren. Zum Beispiel, wie es sein konnte, dass man mit einem Schwarzafrikaner im biblischen Sinne »ein Fleisch« wurde, dann aber ein asiatisch-gelbes Baby mit Mandelaugen auf die Welt brachte. Sah so die Strafe des Himmels für vorehelichen Geschlechtsverkehr aus?
»Sie ist tot!« Tayfun Ünsel, der sich über sie beugte, flüsterte es mehr, als dass er es deklamierte. »Tot!«
Er schluchzte auf. Das war so nicht geprobt und einen Tick schmierenkomödiantisch.
Aber die Leiche sagte dazu nichts.
»Nur die Guten sterben jung«, murmelte er erschüttert. »Lauter!«, rief eine Stimme von fern. »Man hört ja gar nichts!«
Das war jetzt doch des Guten zu viel: Karina Seifferheld schnaubte genervt.
»Pst!«, warnte El Presidente, der in diesem Agatha Christie-Stück den biederen Colonel gab, und stellte sich vor sie, damit die Zuschauer in der ersten Reihe das zornige Augenbrauenwackeln der vermeintlichen Leiche nicht mitbekamen.
»NUR DIE JUNGEN STERBEN GUT!«, brüllte Tayfun Ünsel seine Textzeile erneut, wenn auch mit leicht sinnentfremdetem Inhalt.
Tayfun spielte die Frau des Colonels (ja, eine Frauenrolle, weswegen er kurz vor der Enterbung durch seinen konservativ-türkischen Vater stand).
»Eine verdammt unschöne Geschichte«, konstatierte der Colonel (alias El Presidente, den alle so nannten, weil er der Leiter des Theaterrings war) und richtete sich auf. Er zog eine Meerschaumpfeife aus seiner Jackentasche. Das heißt, er wollte sie herausziehen, aber sie hatte sich im Innenfutter der Jacke verfangen. El Presidente ruckelte und zerrte - jeder echte Schauspieler hätte längst aufgegeben und einfach weitergespielt, doch der Theaterleiter lernte seinen Text haptisch, konnte sich also ohne die dazugehörigen Bewegungen an keine einzige Textzeile erinnern, und für seinen anstehenden Monolog brauchte er nun mal die Pfeife. Also zog El Presidente unter Einsatz all seiner Kräfte weiter, bis die Jackentasche riss und die Hand mitsamt Pfeife herauskatapultiert wurde, nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte und schwungvoll gegen Tayfun Ünsels Stirn klatschte.
Tayfun torkelte nach hinten, stolperte, drehte sich im Kreis und ging mit dem Gesicht nach vorn zu Boden. Er landete unsanft auf Karina, die als echte Profi-Leiche keinen Mucks von sich gab. Dafür brummte Ünsel senior in Reihe sieben ungnädig, weil die Ünsels ein osmanisches Kriegergeschlecht waren und ein echter Ünsel zurückgeschlagen hätte, auch und gerade auf einer Theaterbühne.
Tayfun rührte sich nicht. Also, er als Gesamtheit rührte sich nicht, gewisse Teile seiner Anatomie aber schon. Er schwärmte bereits seit langem für die ausgeflippte, spontane, in keine Schublade zu steckende Karina, und dass sie ein Kind von einem anderen bekommen hatte, änderte nichts an seinen Gefühlen. Wie sehr hatte er sich immer gewünscht, einmal so auf ihr zum Liegen zu kommen - nicht unbedingt angezogen und nicht unbedingt vor fast 100 fremden Menschen, aber trotzdem ...
Jedenfalls blieb er einfach liegen.
Das Publikum verstand das miss. Ein Mann ganz außen rechts in der dritten Reihe sprang auf und rief: »Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!«
Das ging natürlich nicht.
Tayfun, dieser wackere Nachfahre wilder osmanischer Krieger, war zwar volljährig und ausgewachsen, aber auf seinen Wangen spross kein Bart, sondern nur Flaum, was ihn für Frauenrollen geradezu prädestinierte, ihn aber im wirklichen Leben seit neuestem dazu veranlasste, immer einen Tick zu testosteronlastig zu agieren, damit auch ja alle merkten, dass sie es mit einem echten Kerl (!) zu tun hatten. Er rappelte sich auf, zog das hochgerutschte, fluffige Blümchenkleid rasch über die verdächtige Ausbuchtung, stellte sich breit beinig hin, stemmte die Hände in die Hüften und rief in sonorer Ben-Cartwright-Tonlage: »Nichts passiert, Leute, nichts passiert.« Man meinte fast, von fern ein Wiehern zu hören. Gleich würden Hoss, Adam und Little Joe auf die Bühne geritten kommen. An seiner Frauenstimme musste Tayfun noch arbeiten, wes wegen er ursprünglich auch keine Sprechrolle bekommen hatte.
El Presidente atmete dennoch erleichtert auf, der Arzt im Publikum kehrte an seinen Platz zurück.
Die Leiche rollte mit den Augen.
Die einzig echte Leiche war in diesem Moment der Theaterring, diese wunderbare Institution, die über Jahrzehnte in Schwäbisch Hall auch und gerade während der Wintersaison für kulturell hochwertige Theaterstücke gesorgt hatte. Ansonsten war die Stadt ja vor allem für ihr sommerliches Freilichttheater berühmt.
Man hatte diverse Landesbühnen verpflichtet, die in dem großen Neubausaal Goethe-, Schiller- oder Ionesco-Stücke zur Aufführung brachten. Aber der Zahn der Zeit hatte den Theaterring ausradiert, wie Karina immer zu sagen pflegte. Kaum Geld, wenig Zuschauer, dann noch weniger Geld und so gut wie keine Zuschauer mehr - und irgendwann war Sense.
Daraufhin hatten engagierte, junge Theaterringler selbst ein Ensemble gebildet. Sie besaßen zwar alle mehr Leidenschaft als Talent und hatten schon genug damit zu tun, ihre Texte auswendig zu lernen und nicht gegen die spärlichen Requisiten zu stoßen, aber dennoch war der vergleichsweise winzige Theaterkeller, in dem sie seitdem auftraten, immer gut besetzt.
So wie an diesem Abend.
Die Tote in der Bibliothek von Agatha Christie stand auf dem Programm.
Dank einer redaktionellen Vorankündigung im Haller Tagblatt - Anzeigen konnten sich die Theaterringler natürlich nicht leisten - war der Theaterkeller ausverkauft, und das nicht nur mit Hilfe von Verwandten und Freunden der Darsteller.
Karina, die erst vor kurzem Mutter geworden war, agierte als Leiche. Sie starb gleich im ersten Akt und ließ den Schlussapplaus aus, damit sie schnell wieder nach Hause zum Stillen konnte.
Manche suchten das Scheinwerferlicht ja regelrecht, waren zur Rampensau geboren und »meiselten« sich immer wieder ins Bild, will heißen an den vorderen Bühnenmittenrand (wie man es Inge Meisel nachgesagt hatte). Karina hingegen machte es nichts aus, früh zu sterben und im Programm nur unter »ferner lagen tot herum« genannt zu werden.
Als herumliegende Leiche konnte man sehr gut über das Leben im Allgemeinen und kleine, gelbe Babys im Besonderen nachdenken. Das Problem war nur, dass der Theaterkeller furchtbar kalt und feucht war und man am nächsten Tag entsetzlich steife Knochen hatte ...
Prolog:
Ein ... äh ... perfekter Tag
Aus dem Polizeibericht
Einbrecher verleihen sich Flügel
In einem Supermarkt in der Innenstadt wurde Sonntagnacht gegen zwei Uhr ein Einbruchsalarm ausgelöst. Im Rahmen der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Täter mit rund 1000 Dosen Red Bull verschwunden sind. Sie konnten unerkannt entfliehen. Oder entfliegen? Die Polizei sucht jedenfalls Zeugen: (0791) 4444.
Der frühe Vogel kann mich mal!
Fertig.
Siegfried Seifferheld, Kommissar im berufsunfallbedingten Vorruhestand, drückte auf die »Senden«-Taste seines Laptops. Wie immer hatte er im Morgengrauen - seit seinem 60. Geburtstag litt er unter seniler Bettflucht - in der Küche den Polizeibericht für das Haller Tagblatt geschrieben. Eine ungeliebte Aufgabe, die ihm Polizeichefin Gesine Bauer aufs Auge gedrückt hatte, weil sie glaubte, auf diese Weise würde er sich noch mit seinem alten Job verbunden fühlen und endlich aufhören, jedes Mal seine Nase schnüffelnd hineinzustecken, wenn es irgendwo in Schwäbisch Hall einen spektakulären Kriminalfall zu lösen gab. Doch Seifferheld hasste diese Aufgabe. Er bemühte sich nach Kräften, die Berichte so abzufassen, dass Frau Bauer die Redlichkeit der Polizeiarbeit in Gefahr gebracht sah und ihm den Job wieder entzog, aber bislang war ihm das nicht gelungen.
»Gleich gibt's Frühstück«, rief er unter die Tischplatte.
Hovawart Onis ließ seinen geliebten rosa Teddy aus dem Maul fallen und wedelte mit dem Schwanz. Besagter Schwanz war eine sogenannte »Knickrute«, weswegen Onis nicht zur Zucht zugelassen wurde, obwohl er mit seinem bernsteinfarbenen Fell ein ausnehmend hübsches Tier war.
Doch erst spitzten beide die Ohren, Herr und Hund. Es war halb sieben Uhr morgens. Noch fünf Sekunden ...
Um Schlag halb sieben Uhr setzten jeden Morgen die vollen Glocken der evangelischen Stadtkirche St. Michael zum Morgengeläut ein. Das wuchtige Dröhnen konnte Tote wecken, weshalb die weise vorausschauenden Stadtväter den hiesigen Friedhof auch weit vor die Tore der Stadt in den Wald gelegt hatten. Es pflegte stets genau so lange zu läuten, wie der Durchschnittsbeter brauchte, um ein Vaterunser aufzusagen, dann verstummten die Glocken, und nur die alten Fachwerkmauern der Innenstadt vibrierten noch eine Zeitlang nach.
Noch vier Sekunden ... drei ... zwei ... eins ...
Stille.
»Hm«, sagte Seifferheld.
Onis legte den Hundekopf schräg.
Nichts.
Kein Morgengeläut.
Wie sich später herausstellen sollte, hatte ein Fehler in der Elektronik vorgelegen. Die Glocken läuteten erst zur Mittagszeit wieder.
Wäre Siegfried Seifferheld ein abergläubischer Mensch gewesen, er hätte darin ein Omen gesehen.
Und das vollkommen zu Recht.
Das ist kein Speck - das ist eine erotische Nutzfläche.
In circa neun Kilometern Entfernung schubste Seifferhelds Tochter Susanne ihren Lebensgefährten Olaf Schmüller zur gleichen Zeit aus dem gemeinsamen Bett.
Olaf hatte mit ihr zusammen eine wunderschöne Tochter gezeugt und das kleine Häuschen im Vorort Tullau mit eigenen Händen nach ihren Wünschen umgebaut. Außerdem massierte er von Berufs wegen die Hüfte ihres Vaters Siegfried, in der seit einem Banküberfall eine Kugel steckte. Lauter Dinge, die eigentlich für Olaf sprachen.
Und es war ja auch nicht seine Schuld, dass sie sich als frischgebackene Mutter so total unerotisch fühlte. Alles an ihr war fleischig und wabbelig ... Wie um alles in der Welt schafften es Promi-Mütter wie Heidi Klum, nach wenigen Wochen schon wieder ihren alten, straffen Körper zu haben? Susanne fand sich hässlich, und dass Olaf mit ihr schlafen wollte, erschien ihr demütigend. Dabei konnte es sich doch nur um eine reine Mitleidsnummer handeln, und Mitleid wollte sie nicht! Sie war kein süßes Frauchen, das man verhätschelte, wenn es Kummer hatte, sie war eine gestandene Karrierefrau, die sich nur mal kurz eine Auszeit genommen hatte, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern (was sie im Übrigen wohl eher nicht aus freien Stücken getan hätte, aber Olaf hatte seinerzeit eine Packung defekter Kondome zum Einsatz gebracht).
»Olaf!«, warnte sie, und in null Komma nichts wurde aus Selbstmitleid ein leises Knurren im hinteren Rachenraum.
»Entschuldige, Liebes, ich wollte dich nur wach küssen, mehr nicht«, säuselte Olaf, der sich mit neuen blauen Flecken vom Teppich aufrappelte. Allmählich sah er aus wie der Blaue Reiter von Kandinsky, zumal mit seinem Pferdeschwanz, und seine Kollegen vom Reha-Zentrum spekulierten schon, ob er sich seit neuestem mitternächtliche Kneipenschlägereien angewöhnt hatte oder ob ihn seine Frau womöglich verprügelte. Dabei hatte er extra zwei zusätzliche Fleecedecken vor seiner Seite des Bettes ausgelegt, seit seine Susanne jedes Mal, wenn er im Bett zärtlich werden wollte, ihren Ellbogen ausfuhr und ihn mit gezielten Fußtritten von der Matratze hebelte.
»Du brauchst einfach noch mehr Zeit«, sagte er und streichelte den abstrakt gemusterten Nachthemdrücken von Susanne.
Es war ihm wirklich ernst. Seine Geduld kannte keine Grenzen. Er liebte seine Frau.
Die wiederum gab einen undefinierbaren Laut von sich und zog sich das Kissen über den Kopf. Dass Olaf so unglaublich verständnisvoll und geduldig war, machte alles nur noch schlimmer.
Im Nebenzimmer wachte klein Ola-Sanne auf und krähte munter. Sie war ein sonniges Kind, das so gut wie nie schrie, und wenn doch, so waren seine Lautäußerungen durchweg angenehm fürs Ohr. Opa Seifferheld antizipierte bereits eine Opernkarriere für die Kleine.
»Ich geh schon«, rief Olaf. »Mach ich gern.«
Susanne stöhnte.
Genervt.
...
© 2012 Tatjana Kruse / Knaur Taschenbuch
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Tja, sie hatte immer gedacht, sie würde an ihrem 111. Geburtstag sterben, in ihrer Strandvilla an der Ostsee, und ihr vierter Ehemann wäre darüber so bestürzt, dass er die Uni schmeißen würde.
Aber nun lag sie hier, in eisiger Zugluft und auf kalten Holzdielen, mit froststeifen Fingern das Messer in ihrem Bauch umklammernd.
Positiv war nur zu vermerken, dass der Tod eines der wenigen Dinge war, die man auch bequem im Liegen erledigen konnte.
Und dass man als Leiche in Ruhe über all die Dinge meditieren konnte, die im eigenen Leben schiefgelaufen waren. Zum Beispiel, wie es sein konnte, dass man mit einem Schwarzafrikaner im biblischen Sinne »ein Fleisch« wurde, dann aber ein asiatisch-gelbes Baby mit Mandelaugen auf die Welt brachte. Sah so die Strafe des Himmels für vorehelichen Geschlechtsverkehr aus?
»Sie ist tot!« Tayfun Ünsel, der sich über sie beugte, flüsterte es mehr, als dass er es deklamierte. »Tot!«
Er schluchzte auf. Das war so nicht geprobt und einen Tick schmierenkomödiantisch.
Aber die Leiche sagte dazu nichts.
»Nur die Guten sterben jung«, murmelte er erschüttert. »Lauter!«, rief eine Stimme von fern. »Man hört ja gar nichts!«
Das war jetzt doch des Guten zu viel: Karina Seifferheld schnaubte genervt.
»Pst!«, warnte El Presidente, der in diesem Agatha Christie-Stück den biederen Colonel gab, und stellte sich vor sie, damit die Zuschauer in der ersten Reihe das zornige Augenbrauenwackeln der vermeintlichen Leiche nicht mitbekamen.
»NUR DIE JUNGEN STERBEN GUT!«, brüllte Tayfun Ünsel seine Textzeile erneut, wenn auch mit leicht sinnentfremdetem Inhalt.
Tayfun spielte die Frau des Colonels (ja, eine Frauenrolle, weswegen er kurz vor der Enterbung durch seinen konservativ-türkischen Vater stand).
»Eine verdammt unschöne Geschichte«, konstatierte der Colonel (alias El Presidente, den alle so nannten, weil er der Leiter des Theaterrings war) und richtete sich auf. Er zog eine Meerschaumpfeife aus seiner Jackentasche. Das heißt, er wollte sie herausziehen, aber sie hatte sich im Innenfutter der Jacke verfangen. El Presidente ruckelte und zerrte - jeder echte Schauspieler hätte längst aufgegeben und einfach weitergespielt, doch der Theaterleiter lernte seinen Text haptisch, konnte sich also ohne die dazugehörigen Bewegungen an keine einzige Textzeile erinnern, und für seinen anstehenden Monolog brauchte er nun mal die Pfeife. Also zog El Presidente unter Einsatz all seiner Kräfte weiter, bis die Jackentasche riss und die Hand mitsamt Pfeife herauskatapultiert wurde, nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte und schwungvoll gegen Tayfun Ünsels Stirn klatschte.
Tayfun torkelte nach hinten, stolperte, drehte sich im Kreis und ging mit dem Gesicht nach vorn zu Boden. Er landete unsanft auf Karina, die als echte Profi-Leiche keinen Mucks von sich gab. Dafür brummte Ünsel senior in Reihe sieben ungnädig, weil die Ünsels ein osmanisches Kriegergeschlecht waren und ein echter Ünsel zurückgeschlagen hätte, auch und gerade auf einer Theaterbühne.
Tayfun rührte sich nicht. Also, er als Gesamtheit rührte sich nicht, gewisse Teile seiner Anatomie aber schon. Er schwärmte bereits seit langem für die ausgeflippte, spontane, in keine Schublade zu steckende Karina, und dass sie ein Kind von einem anderen bekommen hatte, änderte nichts an seinen Gefühlen. Wie sehr hatte er sich immer gewünscht, einmal so auf ihr zum Liegen zu kommen - nicht unbedingt angezogen und nicht unbedingt vor fast 100 fremden Menschen, aber trotzdem ...
Jedenfalls blieb er einfach liegen.
Das Publikum verstand das miss. Ein Mann ganz außen rechts in der dritten Reihe sprang auf und rief: »Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!«
Das ging natürlich nicht.
Tayfun, dieser wackere Nachfahre wilder osmanischer Krieger, war zwar volljährig und ausgewachsen, aber auf seinen Wangen spross kein Bart, sondern nur Flaum, was ihn für Frauenrollen geradezu prädestinierte, ihn aber im wirklichen Leben seit neuestem dazu veranlasste, immer einen Tick zu testosteronlastig zu agieren, damit auch ja alle merkten, dass sie es mit einem echten Kerl (!) zu tun hatten. Er rappelte sich auf, zog das hochgerutschte, fluffige Blümchenkleid rasch über die verdächtige Ausbuchtung, stellte sich breit beinig hin, stemmte die Hände in die Hüften und rief in sonorer Ben-Cartwright-Tonlage: »Nichts passiert, Leute, nichts passiert.« Man meinte fast, von fern ein Wiehern zu hören. Gleich würden Hoss, Adam und Little Joe auf die Bühne geritten kommen. An seiner Frauenstimme musste Tayfun noch arbeiten, wes wegen er ursprünglich auch keine Sprechrolle bekommen hatte.
El Presidente atmete dennoch erleichtert auf, der Arzt im Publikum kehrte an seinen Platz zurück.
Die Leiche rollte mit den Augen.
Die einzig echte Leiche war in diesem Moment der Theaterring, diese wunderbare Institution, die über Jahrzehnte in Schwäbisch Hall auch und gerade während der Wintersaison für kulturell hochwertige Theaterstücke gesorgt hatte. Ansonsten war die Stadt ja vor allem für ihr sommerliches Freilichttheater berühmt.
Man hatte diverse Landesbühnen verpflichtet, die in dem großen Neubausaal Goethe-, Schiller- oder Ionesco-Stücke zur Aufführung brachten. Aber der Zahn der Zeit hatte den Theaterring ausradiert, wie Karina immer zu sagen pflegte. Kaum Geld, wenig Zuschauer, dann noch weniger Geld und so gut wie keine Zuschauer mehr - und irgendwann war Sense.
Daraufhin hatten engagierte, junge Theaterringler selbst ein Ensemble gebildet. Sie besaßen zwar alle mehr Leidenschaft als Talent und hatten schon genug damit zu tun, ihre Texte auswendig zu lernen und nicht gegen die spärlichen Requisiten zu stoßen, aber dennoch war der vergleichsweise winzige Theaterkeller, in dem sie seitdem auftraten, immer gut besetzt.
So wie an diesem Abend.
Die Tote in der Bibliothek von Agatha Christie stand auf dem Programm.
Dank einer redaktionellen Vorankündigung im Haller Tagblatt - Anzeigen konnten sich die Theaterringler natürlich nicht leisten - war der Theaterkeller ausverkauft, und das nicht nur mit Hilfe von Verwandten und Freunden der Darsteller.
Karina, die erst vor kurzem Mutter geworden war, agierte als Leiche. Sie starb gleich im ersten Akt und ließ den Schlussapplaus aus, damit sie schnell wieder nach Hause zum Stillen konnte.
Manche suchten das Scheinwerferlicht ja regelrecht, waren zur Rampensau geboren und »meiselten« sich immer wieder ins Bild, will heißen an den vorderen Bühnenmittenrand (wie man es Inge Meisel nachgesagt hatte). Karina hingegen machte es nichts aus, früh zu sterben und im Programm nur unter »ferner lagen tot herum« genannt zu werden.
Als herumliegende Leiche konnte man sehr gut über das Leben im Allgemeinen und kleine, gelbe Babys im Besonderen nachdenken. Das Problem war nur, dass der Theaterkeller furchtbar kalt und feucht war und man am nächsten Tag entsetzlich steife Knochen hatte ...
Prolog:
Ein ... äh ... perfekter Tag
Aus dem Polizeibericht
Einbrecher verleihen sich Flügel
In einem Supermarkt in der Innenstadt wurde Sonntagnacht gegen zwei Uhr ein Einbruchsalarm ausgelöst. Im Rahmen der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Täter mit rund 1000 Dosen Red Bull verschwunden sind. Sie konnten unerkannt entfliehen. Oder entfliegen? Die Polizei sucht jedenfalls Zeugen: (0791) 4444.
Der frühe Vogel kann mich mal!
Fertig.
Siegfried Seifferheld, Kommissar im berufsunfallbedingten Vorruhestand, drückte auf die »Senden«-Taste seines Laptops. Wie immer hatte er im Morgengrauen - seit seinem 60. Geburtstag litt er unter seniler Bettflucht - in der Küche den Polizeibericht für das Haller Tagblatt geschrieben. Eine ungeliebte Aufgabe, die ihm Polizeichefin Gesine Bauer aufs Auge gedrückt hatte, weil sie glaubte, auf diese Weise würde er sich noch mit seinem alten Job verbunden fühlen und endlich aufhören, jedes Mal seine Nase schnüffelnd hineinzustecken, wenn es irgendwo in Schwäbisch Hall einen spektakulären Kriminalfall zu lösen gab. Doch Seifferheld hasste diese Aufgabe. Er bemühte sich nach Kräften, die Berichte so abzufassen, dass Frau Bauer die Redlichkeit der Polizeiarbeit in Gefahr gebracht sah und ihm den Job wieder entzog, aber bislang war ihm das nicht gelungen.
»Gleich gibt's Frühstück«, rief er unter die Tischplatte.
Hovawart Onis ließ seinen geliebten rosa Teddy aus dem Maul fallen und wedelte mit dem Schwanz. Besagter Schwanz war eine sogenannte »Knickrute«, weswegen Onis nicht zur Zucht zugelassen wurde, obwohl er mit seinem bernsteinfarbenen Fell ein ausnehmend hübsches Tier war.
Doch erst spitzten beide die Ohren, Herr und Hund. Es war halb sieben Uhr morgens. Noch fünf Sekunden ...
Um Schlag halb sieben Uhr setzten jeden Morgen die vollen Glocken der evangelischen Stadtkirche St. Michael zum Morgengeläut ein. Das wuchtige Dröhnen konnte Tote wecken, weshalb die weise vorausschauenden Stadtväter den hiesigen Friedhof auch weit vor die Tore der Stadt in den Wald gelegt hatten. Es pflegte stets genau so lange zu läuten, wie der Durchschnittsbeter brauchte, um ein Vaterunser aufzusagen, dann verstummten die Glocken, und nur die alten Fachwerkmauern der Innenstadt vibrierten noch eine Zeitlang nach.
Noch vier Sekunden ... drei ... zwei ... eins ...
Stille.
»Hm«, sagte Seifferheld.
Onis legte den Hundekopf schräg.
Nichts.
Kein Morgengeläut.
Wie sich später herausstellen sollte, hatte ein Fehler in der Elektronik vorgelegen. Die Glocken läuteten erst zur Mittagszeit wieder.
Wäre Siegfried Seifferheld ein abergläubischer Mensch gewesen, er hätte darin ein Omen gesehen.
Und das vollkommen zu Recht.
Das ist kein Speck - das ist eine erotische Nutzfläche.
In circa neun Kilometern Entfernung schubste Seifferhelds Tochter Susanne ihren Lebensgefährten Olaf Schmüller zur gleichen Zeit aus dem gemeinsamen Bett.
Olaf hatte mit ihr zusammen eine wunderschöne Tochter gezeugt und das kleine Häuschen im Vorort Tullau mit eigenen Händen nach ihren Wünschen umgebaut. Außerdem massierte er von Berufs wegen die Hüfte ihres Vaters Siegfried, in der seit einem Banküberfall eine Kugel steckte. Lauter Dinge, die eigentlich für Olaf sprachen.
Und es war ja auch nicht seine Schuld, dass sie sich als frischgebackene Mutter so total unerotisch fühlte. Alles an ihr war fleischig und wabbelig ... Wie um alles in der Welt schafften es Promi-Mütter wie Heidi Klum, nach wenigen Wochen schon wieder ihren alten, straffen Körper zu haben? Susanne fand sich hässlich, und dass Olaf mit ihr schlafen wollte, erschien ihr demütigend. Dabei konnte es sich doch nur um eine reine Mitleidsnummer handeln, und Mitleid wollte sie nicht! Sie war kein süßes Frauchen, das man verhätschelte, wenn es Kummer hatte, sie war eine gestandene Karrierefrau, die sich nur mal kurz eine Auszeit genommen hatte, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern (was sie im Übrigen wohl eher nicht aus freien Stücken getan hätte, aber Olaf hatte seinerzeit eine Packung defekter Kondome zum Einsatz gebracht).
»Olaf!«, warnte sie, und in null Komma nichts wurde aus Selbstmitleid ein leises Knurren im hinteren Rachenraum.
»Entschuldige, Liebes, ich wollte dich nur wach küssen, mehr nicht«, säuselte Olaf, der sich mit neuen blauen Flecken vom Teppich aufrappelte. Allmählich sah er aus wie der Blaue Reiter von Kandinsky, zumal mit seinem Pferdeschwanz, und seine Kollegen vom Reha-Zentrum spekulierten schon, ob er sich seit neuestem mitternächtliche Kneipenschlägereien angewöhnt hatte oder ob ihn seine Frau womöglich verprügelte. Dabei hatte er extra zwei zusätzliche Fleecedecken vor seiner Seite des Bettes ausgelegt, seit seine Susanne jedes Mal, wenn er im Bett zärtlich werden wollte, ihren Ellbogen ausfuhr und ihn mit gezielten Fußtritten von der Matratze hebelte.
»Du brauchst einfach noch mehr Zeit«, sagte er und streichelte den abstrakt gemusterten Nachthemdrücken von Susanne.
Es war ihm wirklich ernst. Seine Geduld kannte keine Grenzen. Er liebte seine Frau.
Die wiederum gab einen undefinierbaren Laut von sich und zog sich das Kissen über den Kopf. Dass Olaf so unglaublich verständnisvoll und geduldig war, machte alles nur noch schlimmer.
Im Nebenzimmer wachte klein Ola-Sanne auf und krähte munter. Sie war ein sonniges Kind, das so gut wie nie schrie, und wenn doch, so waren seine Lautäußerungen durchweg angenehm fürs Ohr. Opa Seifferheld antizipierte bereits eine Opernkarriere für die Kleine.
»Ich geh schon«, rief Olaf. »Mach ich gern.«
Susanne stöhnte.
Genervt.
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© 2012 Tatjana Kruse / Knaur Taschenbuch
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Tatjana Kruse
Tatjana Kruse, Jahrgang 1960, lebt und arbeitet in Schwäbisch Hall. Sie ist überzeugte Krimiautorin. Sie wurde bereits mit dem "Marlowe" der Raymond-Chandler-Gesellschaft ausgezeichnet und mehrmals für den Agatha-Christie-Preis nominiert. Mit Siegfried Seifferheld, ihrem eigenwilligen Kommissar im Unruhestand, ist Tatjana Kruse ein äußerst sympathischer Serienheld gelungen. Nach "Kreuzstich, Bienenstich, Herzstich" gibt es nun den zweiten Roman um den Kommissar aus Schwäbisch Hall.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tatjana Kruse
- 2012, 4. Aufl., 320 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426510502
- ISBN-13: 9783426510506
- Erscheinungsdatum: 27.04.2012
Rezension zu „Finger, Hut und Teufelsbrut / Kommissar Siegfried Seifferheld Bd.3 “
"Seifferheld auf dem Weg zum Kult-Kommissar." Hellweger Anzeiger 20120512
Pressezitat
"Seifferheld auf dem Weg zum Kult-Kommissar." Hellweger Anzeiger 20120512
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