Haiders Schatten
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Seit Jörg Haiders vieldiskutiertem Unfalltod im Jahr 2008 und der anschließenden Mythenbildung um den umstrittensten Politiker Österreichs haben viele Leute Stefan Petzner gefragt, wann er denn endlich ein Buch über seine Zeit an der Seite dieses erfolgreichsten und gefürchtetsten Rechtspopulisten Europas schreiben würde. Schließlich lernte Petzner Haider in jener Zeit, in der er nicht einen einzigen Tag Urlaub nahm und rund um die Uhr für ihn erreichbar war und ständig zur Verfügung stand, besser kennen als irgendjemand sonst aus dessen politischem Umfeld. "Haiders Schatten" erzählt anhand brisanter, bisher unbekannter, Details ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte ganz neu, zeichnet das Psychogramm eines Getriebenen, das viele der Geheimnisse und Rätsel rund um den Mythos Jörg Haider lüftet, und einen erhellenden Blick hinter die Kulissen des Rechtspopulismus frei gibt, der mit den immer selben einfachen Tricks die anderen Parteien gleichermaßen vor sich hertreibt und vorführt, wie er Wähler geschickt manipuliert, instrumentalisiert und für sich gewinnt.
„Haiders Schatten" beschäftigt die Leute genauso, wie einst der Politiker Jörg Haider selbst. Viele hassten ihn, viele liebten ihn. Haider spaltete definitiv die Gemüter, jedoch ist es ihm immer gelungen, im Gespräch zu sein. Genauso topaktuell und im Gespräch ist dieses Buch und daran spalten sich gleichfalls wieder die Geister. Stefan Petzner hat mit „Haiders Schatten" ein Buch geschrieben, das seine Version des berüchtigten Politikers zeichnet und egal welche Meinung man zu Jörg Haider auch hat, interessant ist dieses Buch alle Mal.
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Darum
Während ich an diesem Buch arbeite, jährt sich Jörg Haiders Tod
bald zum siebten Mal. Haider, der erfolgreichste Rechtspopulist
Europas, gleichermaßen bewundert und verehrt wie gefürchtet
und angefeindet, starb in der Nacht vom 10. zum 11. Oktober
2008 bei einem Autounfall in Lambichl, südwestlich der Kärntner
Landeshauptstadt Klagenfurt, als er gerade auf dem Weg zu
seiner Familie war. Er hat in dieser Nacht von der Welt abgelassen,
diese Welt aber bis heute nicht von ihm. Dieses Buch soll
uns dabei helfen, es doch zu tun. Auch mir.
Es ist aber kein Buch über den Mythos Haider. Es ist vielmehr
ein persönliches Buch über einen Politiker, der mein Leben geprägt
hat und vielleicht heute sogar mehr denn je prägt, gerade
weil er nicht mehr da ist. Seit seinem Tod wusste ich, dass ich
dieses Buch eines Tages schreiben würde. Denn es gibt Geschichten
im Leben, die erzählt werden müssen. Die Geschichte, wie
ich als Publizistik-Student Haider kennenlernte und sein engster
Vertrauter, Pressesprecher, Spin-Doktor und Generalsekretär
wurde, ist eine davon.
Trotzdem habe ich fast sieben Jahre gewartet. Zum einen,
weil in der Zeit nach Haiders Tod die Stimmung in Österreich zu
aufgeheizt und emotionsgeladen war. Die Diskussionen über
ihn verliefen hitzig bis hysterisch und Spekulationen, Gerüchte
und Verschwörungstheorien
mischten sich mit zumeist stümperhaften
Erklärungsversuchen des Phänomens Jörg Haider
und ersten halbherzigen Anläufen der historischen Einordnung
seines politischen
Wirkens und dessen Folgen. Die einen spra-
chen ihn heilig, die anderen verdammten ihn, dazwischen gab
es nichts.
Ich wollte dieses Buch erst schreiben, wenn eine nüchterne
und sachliche Auseinandersetzung mit Haider und dem Rechtspopulismus,
den er in Europa mit erfunden hat,
geworden wäre. Wie tickte Haider wirklich? Wie lebte und
wie starb er? Was war damals wirklich? Und wie funktionierte
seine Politik? Erst wenn sich diese Fragen stellen lassen würden,
ohne dass jede Antwort in den Reflexen zorniger Kritiker oder
beleidigter Anhänger untergehen würden, wollte ich damit beginnen.
Außerdem musste ich selbst erst die dafür nötige Distanz gewinnen
und meine Position im Leben neu bestimmen. Denn genau
wie meine Begegnung mit Haider mein Leben verändert hat,
hat es auch sein Tod getan. In den Jahren an seiner Seite war ich
im Dauerbetrieb, und das stets am Belastungslimit, in den sieben
Jahren nach seinem Tod war ich mit den Aufräumarbeiten in mir
und um mich beschäftigt. In allen meinen Haider-Jahren war ich
ohne einen einzigen Tag Urlaub praktisch rund um die Uhr mit
ihm in Kontakt oder zumindest für ihn erreichbar. Mein Handy
war kein einziges
Mal ausgeschaltet, seit ich von der Idylle eines
steirischen Bauernhofes
in einen Brennpunkt der europäischen
Politik geriet, wo sich alle meine Kindheitsträume erfüllten, um
gleich darauf
in einer einzigen Nacht wieder zu platzen. Meine
Neupositionierung
im Leben war dementsprechend schwer.
Ich habe mich nie von meiner politischen Vergangenheit distanziert
und werde es auch weiterhin nicht tun. Denn populistische
Parteien können natürliche Bestandteile eines gesunden politischen
Biotops sein. Sie sind nicht nur ungefährlich, sie sind
sogar ein Gewinn für die Demokratie, wenn, ja wenn die anderen
Parteien nur richtig mit ihnen umzugehen wüssten.
Das ist ein zweiter Grund, warum ich dieses Buch geschrieben
habe: Mein steigendes Unbehagen über das massive Unvermögen
genau dazu und über den falschen Umgang der europäischen
Eliten
mit den derzeit in Europa aktuellen populistischen
Strömungen
auf beiden Seiten des politischen Spektrums, rechts
und links.
Die europäischen Eliten haben den rechten wie linken Populismus
durch ihre strategischen Fehler, ihr beharrliches Wiederholen
falscher Gegenrezepte, ihre taktische Ungeschicklichkeit
und ihr handwerkliches Versagen zu einem hypertrophen Symptom
ihrer eigenen politischen Unkultur gemacht. Wenn sie nicht
endlich kapieren, was da läuft und was sie dagegen tun müssen,
werden die dermaßen künstlich aufgeblähten Populisten tatsächlich
flächendeckend die Macht an sich reißen. Dann geht es
irgendwann um die europäische Aufbauarbeit seit 1945 und die
dabei mühsam erarbeitete friedliche Demokratie in einem freien,
vereinten Europa.
Haider und ich haben immer herzlich gelacht, wenn die Politologen,
Soziologen und Meinungsforscher angetreten sind, um
unseren Erfolg zu erklären und die Frage zu beantworten,
wie wir
denn zu stoppen und zu verhindern wären. Sie waren ahnungslos
und hilflos. Ihre Erklärungsversuche reichten niemals an unsere
tatsächliche politische Denkart und Konzeption
heran und
erschienen uns immer kläglich. Trotz der Schwächen,
die auch
wir hatten, trotz all der Angriffsstellen, die wir zu Genüge
boten,
und die uns selbst sehr wohl bewusst waren, konnten wir uns
dennoch stets sicher fühlen. Wir hatten nicht nur keine Gegner,
unsere vermeintlichen Gegner spielten uns auch noch ständig in
die Hände. Wir wussten immer, dass die Einzigen, die uns wirk-
lich schaden konnten, wir selbst waren. Niemand sonst.
Doch mit dem unmäßig erstarkenden Populismus in ganz
Europa ist die Lage tatsächlich ernst geworden. In Österreich
ist Heinz-Christian Strache, den viele als neuen Haider sehen,
drauf und dran, Haiders bestes bundesweites Wahlergebnis aller
Zeiten, 27 Prozent der Stimmen, wieder zu erreichen, und das
ohne bemerkenswertes politisches Talent, sondern vor allem
durch konsequentes Kopieren von Haiders bewährten politischen
Verfahren. In den Niederlanden macht Geert Wilders von
der »Partei für die Freiheit« Schlagzeilen, in Schweden Jimmie
Âkesson von den »Schwedendemokraten« und in Frankreich
Marine Le Pen vom »Front National«, die sogar Anlauf nimmt,
2017 französische Präsidentin zu werden. In Finnland entstanden
die »Wahren Finnen« und sitzen heute in der Regierung, in
Belgien
der »Vlaams Belang« und auch in England, wo Rechtspopulismus
bis vor kurzem nicht wahrnehmbar war, brachte es
die rechtspopulistische
»UK Independence Party« bei der jüngsten
Europawahl
zur stimmenstärksten Partei. In der Schweiz reüssiert
seit Jahren die rechtspopulistische »Schweizer Volkspartei
«.
Auf der anderen Spielfeldseite des Populismus bringt der griechische
Volksverführer Alexis Tsipras (Syriza) sein eigenes Land
und mit ihm gleich ganz Europa ganz nahe an den politischen
und finanziellen
Abgrund, während »Podemos« drauf und dran
ist, es ihm in Spanien gleich zu tun.
Sogar in Deutschland, das vor allem rechte und nationalistische
Strömungen schon dank der guten Aufarbeitung seiner
Geschichte bisher immer einigermaßen im Griff hatte, gingen
Menschen zu Tausenden für eine rechte Bewegung, die Pegida,
auf die Straße. Ganz Deutschland war schockiert, niemand verstand
es und keiner hätte es für möglich gehalten. Doch Deutsch-
land dürfte bald noch viel intensivere Bekanntschaft mit dem
Rechtspopulismus machen. Denn während ich das schreibe,
richtet sich gerade die »Alternative für Deutschland«, die anfangs
eher ungeschickt agierte, an den erfolgreichen rechtspopulistischen
Arbeitsmodellen aus. Dies mit ihrer neuen Chefin
Frauke Petry, die politische Erfahrung mitbringt, intelligent
und ungleich charismatischer ist sowie mit ihrem Hang zur
Provokation eine deutsche Marine Le Pen werden kann. Wenn
Petry alles halbwegs richtig macht, ist die »AfD« klar auf dem
Weg zur Zehn-Prozent-Partei, und ich wage zu prophezeien, dass
die deutschen Eliten in ihren Reaktionsmustern genau die gleichen
Fehler und Trugschlüsse eingewebt haben werden wie alle
anderen.
Ich habe fünf Jahre lang das Handwerk eines Populisten erlernt
und als politischer Grenzgänger erfolgreich angewandt.
Ich habe mit Haider die, letztlich immer gleichen, Tricks einstudiert,
perfektioniert und andere darin unterwiesen. Ich weiß
deshalb, wie sich Populisten entzaubern lassen und wie ihnen
ihre Gegenspieler jenen Platz im politischen Biotop zuweisen
können, der für eine Gesellschaft noch nützlich ist. Ich erzähle
meine Geschichte deshalb auch, um zu zeigen, wie Populisten
wirklich funktionieren, was ihre Gegenspieler, allen voran die
beiden großen politischen Blöcke der Sozialdemokraten
und der
Konservativen, falsch machen, wie sie es richtig machen könnten
und wie sie, statt den Populisten den Weg zu ebnen, deren
besondere Fähigkeiten zu ihrem eigenen Vorteil und zum Vorteil
der Gesellschaft nutzen könnten.
Dieses Buch ist mein Beitrag zur Geschichtsschreibung: Über
den Populismus in Europa und über Jörg Haider, der so viele
Jahre lang der wichtigste Mensch in meinem Leben war.
Im Herz der Karawanken
Wir stiegen mit Atemwolken vor den Mündern und umgeschnallten
Rucksäcken durch den frühen Morgen den Berg hinauf.
Im Gegensatz zu Jörg Haider hatte ich nie viel Spaß am Wandern
und Bergsteigen gehabt. Für mich als Bergbauernkind
war
die Natur kein so großes Abenteuer wie für ihn, und mit ihm war
es besonders
anstrengend, weil er Sport immer gleich als Wettkampf
interpretierte.
Doch an diesem sonnigen 28. Dezember
des Jahres 2007 hatte ich keine Wahl. Haider hatte seine Funktion
als Kärntner
Landeshauptmann
von Anfang an als eine Art Dauerwahlkampf
angelegt und ließ sich Veranstaltungen
wie die
»Eierspeisparty
« in der Klagenfurter
Hütte im Bärental
nicht entgehen.
Umso
weniger, als das Bärental
seine Wahlheimat
war. Er
wollte, dass ich mitkomme,
und ich hatte mich schließlich überreden
lassen.
Uriges Beisammensein mit dem Zweck, Spenden für die Bergrettungen
Klagenfurt und Ferlach zu sammeln, Zieharmonika-
Musik, Gesang, Tanz, und zur »Eierspeis« viel Alkohol,
das war
das so einfache wie beliebte Konzept der Veranstaltung.
Seit 1984
war sie Tradition, und auch dieses Jahr würden sich an die zweitausend
Menschen bei dem ländlichen Spektakel
einfinden,
alle
mit rohen Eiern im Gepäck, aus denen ihnen der Hüttenwirt
ihre
»Eierspeis« zubereiten würde. Einem Volkspolitiker
wie Haider
bot das eine perfekte Bühne. Während ich als sein Pressesprecher
und engster Mitarbeiter eher widerwillig und einsilbig durch
den Schnee stapfte, riss mich ab und zu das Gelächter
der kleinen
Wanderergruppe um ihn aus meinen Gedanken.
Als wir oben ankamen, war die Hütte bereits gefüllt, doch
wie immer strömten über den Tag verteilt immer mehr Gäste in
das kleine Alpenvereinshaus inmitten der Karawanken, bis es darin
drückend eng wurde. Haider störte das nicht. Er kam umso
mehr in Fahrt, je voller die Hütte wurde. Bis zum frühen Abend
mischte er sich unter die Menschen, ging von Tisch zu Tisch,
schüttelte Hände, scherzte, sang und tanzte. Obwohl der Mann
auf die Sechzig zuging und damit mehr als dreißig Jahre älter
war als ich, hatte er eine scheinbar unerschöpfliche Energie.
An der Volksnähe, die er in der Hütte an den Tag legte, wirkte
nichts inszeniert. War es auch nicht. Haider liebte das Bad in der
Menge. Während anderen Politikern der direkte Kontakt zu den
Bürgern suspekt bis unheimlich ist, eine lästige Pflichtübung vor
allem in Wahlkampfzeiten, blühte Haider im Umgang mit Menschen
erst richtig auf. Sie waren es, die seine Akkus mit Energie
speisten. Tag für Tag aufs Neue. Je mehr Menschen er begegnete,
umso größer war seine Energie.
Noch dazu hatte er die erstaunliche Gabe, sich Menschen, die
er nur ein einziges Mal gesehen hatte, über Jahre hinweg zu merken,
meist samt ihren Geschichten. Oft genug verblüffte er einen
Gesprächspartner,
wenn der »kennst mich eh nimmer« sagte,
und Haider Jahre nach der ersten und einzigen Begegnung mit
dem Mann, antwortete: »Klar, du bist doch der Heinz aus dem
Maltatal.
Wie geht es deinen beiden Töchtern? Die müssen jetzt
auch langsam groß sein.«
Er wisse auch nicht, woher er das habe, hatte Haider einmal
zu mir gesagt, er benütze es einfach. Jedem einzelnen seiner Gesprächspartner
gab er damit das Gefühl, ihm ganz nahe und verbunden
zu sein. Als wären sie alle keine Wähler, sondern ein fixer
Teil seines Lebens, an den er sich zu jeder Zeit an jedem Ort
erinnerte.
Sie liebten ihn dafür und er war damit für sie weniger
die Respektperson
eines Landeshauptmannes, sondern vielmehr
ein Freund, ein Kumpel, sie fühlten sich als Teil seiner großen
Familie, die er Kärnten nannte und als dessen Oberhaupt er sich
ansah.
Als die Dämmerung hereinbrach, stiegen wir mit ein paar
Anderen
wieder ab und erreichten schließlich das Anwesen der
Haiders.
Haider hatte natürlich noch lange nicht genug und
wollte
die Feierei noch im Haus ausklingen lassen. Das renovierte
alte Bauernhaus lag abgeschieden in dem Tal, das seinen Namen
von den vielen Bären hat, die es dort einmal gab. Ringsum
erstreckte
sich dichter Nadelwald. Unweit des Anwesens, auf einer
Waldlichtung, stand eine kleine Kapelle. Nähere Nachbarn
gab es in dieser Abgeschiedenheit keine, und auch keinen Handyempfang.
Wir polterten in das längst verdunkelte Haus und unterhielten
uns in der rustikalen Bauernstube mit einer kleinen Gruppe
von Begleitern noch lautstark über das Erlebte und den hinter
uns liegenden Tag. Nach gut einer Stunde verabschiedete ich
mich, stieg in meinen silbergrauen Nissan und fuhr los.
Die Straße nach Klagenfurt, die durch das Rosentaler Idyll
führt, ist bei Tageslicht für Urlauber eine echte Traumstraße.
Bei der herrschenden Witterung konnte ich mich darauf allerdings
nicht konzentrieren, zumal nach einer derart ausgelassenen
Feier. Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit also auf die
Fahrbahn, die in engen Serpentinen einen Berg hinab und dann
wieder hinauf führte, und auf der eine dünne Schneedecke lag.
Ich fuhr langsam und vorsichtig und kam gut voran. Bis zu
dem Moment als ich mit meinen Rädern auf eine spiegelglatte
Eisfläche traf und die Kontrolle über den Wagen verlor. Das
Auto ließ sich nicht mehr steuern, schleuderte und glitt geradewegs
auf eine steile Böschung zu. Leitplanken gab es dort kei-
ne. Meine Tasche, mein Handy und ein paar andere Dinge, die
am Beifahrersitz gelegen waren, flogen durcheinander, als der
Wagen einen Erdwall am Straßenrand durchbrach und über die
Böschung
hinunterstürzte.
Mit aufgerissenen Augen sah ich mit Schnee bedeckte Fichten
auf mich zukommen, während mein Wagen durch das Strauchwerk
rutschte. Mit einem dumpfen Knall kam der Nissan zum
Stillstand.
Er hing jetzt, abgefangen von einem Baumstumpf umgekippt
im Gebüsch, sodass von der Straße her die Bodenplatte
und die Räder zu sehen gewesen wären.
Ich hing still im Gurt und sah mich um, bis mich ein Knarren
aus der Starre riss. Ich bekam Angst. Was, wenn das Auto weiter
die Böschung hinunter purzelt? Ich löste den Gurt, prallte
gegen die Fahrertür und kletterte auf allen Vieren über die Beifahrerseite
hinaus ins klirrend kalte Freie und hinauf auf die
Straße.
Es war längst stockdunkel. Ich stand mitten im Dezember in
der Einöde, weit und breit kein Mensch, die Jacke im Auto, das
Auto im Gebüsch. Wenigstens war ich relativ unversehrt, wie ich
nach gründlichem Abtasten feststellte. Neben dem Handy hatte
ich im Auto noch schnell meine Zigaretten zusammengesucht,
und zündete mir eine an. Zwar war ich durch den Unfall in einem
leichten Schock, mir war aber klar, dass ich noch nicht weit
weg vom Anwesen der Haiders sein konnte. Also wählte ich die
Festnetznummer
im Bärental. Haider hob sofort ab. Ich redete
bewusst
beschwichtigend. »Ich habe ein kleines Problem«, sagte
ich. »Ich habe gerade einen Unfall gebaut.«
»Um Gottes Willen, wo bist du? Ist dir etwas passiert?«
Ich beruhigte ihn. »Alles in Ordnung. Ich muss nur irgendwie
das Auto aus der Böschung kriegen«, sagte ich.
»Rühr dich nicht vom Fleck, ich bin gleich da«, sagte Haider,
nachdem ich ihm die Stelle so genau wie möglich beschrieben
hatte.
Da stand ich also frierend mitten in diesem winterlichen Nirgendwo,
wartete und starrte auf die leuchtenden Scheinwerfer
meines Wagens. Nach kaum zehn Minuten hörte ich in der Ferne
Sirenen aufheulen. Zuerst stellte ich keinen Zusammenhang
zwischen ihnen und meinem Missgeschick her, schon gar nicht,
als es anscheinend mehrere Sirenen wurden. Doch sie kamen
näher, und wenige Minuten später war es, als würden aus allen
Ecken des Tals Einsatzfahrzeuge auf mich zurasen.
Eine Heerschar an Einsatzkräften rückte an. Offensichtlich
hatte Haider sie persönlich verständigt. Es war mir peinlich
und
ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. So ein Aufwand,
bloß um mein Auto aus der Böschung zu ziehen, dachte
ich und
erklärte den Einsatzleuten fast entschuldigend, was geschehen
war. Da brauste
auch schon Haider in seinem schwarzen
Phaeton
daher, stellte ihn mitten im Geschehen ab und sprang heraus.
Nachdem er sich kurz vergewissert hatte, dass es mir halbwegs
gut ging, verschaffte er sich einen Überblick über die Lage.
Während ich auf und ab lief, eine Zigarette nach der anderen
rauchte und anfing, mir darüber Gedanken zu machen, wie mein
Auto wieder halbwegs unbeschädigt aus der Böschung zu kriegen
wäre, dirigierte Haider gemeinsam mit dem Feuerwehr-
Kommandanten
die Einsatzkräfte. Die befestigten an den Vorderund
Hinterrädern
Seile und hoben den Nissan mit einem Kran
hoch in die Luft und aus der Böschung heraus.
Ein Polizist trat auf mich zu. Ich hatte noch gar nicht bemerkt,
dass in der Zwischenzeit auch die Polizei eingetroffen
war. »Haben Sie Alkohol getrunken?«, fragte er.
Ich sah ihm in die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein«,
sagte ich.
Vielleicht glaubte er mir, vielleicht auch nicht, jedenfalls
fragte er nicht weiter. »Die Kurve liegt tagsüber im Schatten. Da
bilden sich bei etwas milderer Witterung regelmäßig Eisplatten«,
sagte er stattdessen. Schon vor mir seien einige Fahrer hier
weggerutscht. »Da sollte die Straßenmeisterei in Zukunft wohl
Schotter streuen.« Damit ging er wieder.
Sie stellten meinen Wagen behutsam auf die Straße und nach
Aufforderung Haiders drehte ich am Zündschlüssel. Niemand
rechnete damit, dass das leicht verbeulte Ding anspringen würde,
aber einen Versuch war es wert. Nach kurzem Rattern lief der
Motor tatsächlich.
Am liebsten wäre ich gleich losgefahren, aber das ließ Haider
nicht zu. »Du fährst sicher nicht selbst«, sagte er.
Ein junger BZÖ-Parteifunktionär, Fred Reininger, sollte mich
chauffi
eren. Er war zuvor bei der kleinen Runde im Anwesen der
Haiders
dabei gewesen. Doch wir konnten noch nicht aufbrechen.
Denn mit großer Geste verkündete Haider, dass alle Anwesenden
zum Dank für die schnelle und professionelle Aktion in
das nächste Wirtshaus eingeladen seien.
»Wir müssen das machen«, sagte er, als er bemerkte, wie müde
und geknickt ich war. »Es dauert auch nicht lang.« Ich wollte
nach der Unfall-Aufregung nur noch heim, fühlte mich aber in
der Schuld der Feuerwehrleute und widersprach daher nicht.
Gegen zehn Uhr abends kamen wir in einem netten, aber
mit seinem Stil der Siebzigerjahre schon etwas verkommenen
Wirtshaus
an. Die Tischtücher waren aus Plastik, die hölzernen
Stühle
mit Schaumgummi gepolstert und die bunten Tapeten
an der Wand verblasst. Der Wirt staunte nicht schlecht, als rund
zwanzig
Gäste zur Tür herein strömten, die noch dazu der Landeshauptmann
anführte. Schließlich war das Gasthaus eher als
Treffpunkt
der slowenischsprachigen Volksgruppe bekannt.
Nachdem
Haider dem verdutzten Wirt mit einem lauten »servas«
die Hand entgegengestreckt hatte, wandte er sich an mich und
senkte die Stimme. »Es ist gut, dass wir hier auch einmal vorbei
schauen«, sagte er.
Haider hatte halb Kärnten schon einmal die Hand geschüttelt
und sprach ohnedies die meisten Kärntner per du an. Allen
Sicherheits-Warnungen seiner Mitarbeiter und der Exekutive
zum Trotz hatte er nicht die geringste Schwellenangst und ging
überall hinein, selbst in die windigsten Spelunken, aus denen
angesichts der dunklen Gestalten darin der Großteil der bürgerlichen
Gesellschaft Kärntens gleich wieder geflüchtet wäre.
Wir saßen also dort, zwei Feuerwehrautos, einen Phaeton
und einen verbeulten Nissan vor dem Gasthaus geparkt, und
Haider schwang sich vor der versammelten Truppe zu einer Dankesrede
auf. Er war verzückt. Der Abend bot ihm unversehens
schon wieder eine Bühne, was ihm schon immer mehr Freude
bereitet hatte, als einmal einen stillen Dezemberabend zurückgezogen
mit sich selbst zu verbringen.
Er redete über Verlässlichkeit und andere Werte, und zwischendurch
drang wieder entspanntes Gelächter, untermalt
vom Klirren der Gläser, zu mir. Ich war leicht benommen, doch
als Mann der zweiten Reihe, in jener Rolle, die ich mir für mein
Leben ausgesucht hatte, wollte ich Haider nicht allein lassen und
schon gar nicht ihm die Show stehlen.
Ziemlich einsilbig wartete ich darauf, endlich heimfahren zu
können, doch es sah nach einer Stunde noch immer nicht gut
für mich aus. Die Rede war zwar vorbei, aber die zweite Runde
bereits bestellt. »Entschuldige, könnten wir dann bald aufbrechen?
«, sagte ich nach fast zwei Stunden zu ihm. »Irgendwie
geht es mir nicht so gut.«
Haider klopfte mir auf die Schultern. »Gleich«, sagte er.
Während die Gruppe immer ausgelassener wurde, verfiel ich
zusehends. Schließlich wurde mir übel. Mit der Hand vor dem
Mund riss ich gerade noch die Klotür auf und übergab mich im
nächsten Augenblick. Obwohl ich nach wie vor halb ohnmächtig
war, putzte ich das Klo mit Papier, um es halbwegs zivilisiert zu
hinterlassen. In meiner Funktion brauchte ich keine Reden zu
halten, aber ich durfte auch keinen schlechten Eindruck machen.
Als ich zum Tisch zurückkam, sah mich Haider aufmerksam an.
»Dir geht es wirklich nicht gut«, sagte er.
Ich wusste, dass ich käsebleich war. »Ich habe gerade gekotzt.
Aber ich glaube, das war nur vom Schock«, sagte ich.
Er stand auf. »Wir fahren ins Krankenhaus«, sagte er.
Ich schüttelte müde den Kopf. »Ich brauche nur etwas Schlaf.«
»Wir fahren jetzt sofort.«
Ich hasste Krankenhausaufenthalte und wollte tatsächlich
nur ausschlafen, aber Haider machte sich nun offensichtlich
wirklich
Sorgen und duldete daher keinen Widerspruch. Also
nahm ich am Beifahrersitz seines Phaeton Platz und er fuhr mich
ins Landeskrankenhaus
Klagenfurt, während Fred Reininger
meinen demolierten Nissan zu meiner Wohnung brachte.
Eine Menge Schwestern liefen zusammen, als der Landeshauptmann
persönlich einen Patienten in die Notaufnahme
brachte. Er schüttelte allen die Hand. Einige kannte er auch hier,
die sprach er mit ihrem Vornamen an. »Schaut ihn euch bitte genau
an, Monika. Er hatte einen Unfall mit dem Auto. Wer weiß,
was da passiert ist.«
»Mir geht es eh ganz gut. Alles halb so wild«, sagte ich, doch
niemand hörte mir zu. Was mich nicht kränkte. Ich wusste, dass
mir die Sonderbehandlung nicht zuteil wurde, weil ich Stefan
Petzner war, sondern weil ich Haiders rechte Hand war. Meine
Rolle privilegierte mich in Kärnten und das war reizvoll, aber ich
war mir des Unterschiedes immer bewusst: Ohne Haider wäre ich
nichts in Kärnten.
Ich konnte in Krankenhäusern nie gut schlafen, doch Haider
bestand darauf, dass ich blieb. Ich kannte ihn als hilfsbereiten
Menschen, der da war, wenn ihn jemand brauchte. Das zeichnete
ihn aus. Andererseits war er nicht in der Lage, einer Bühne zu
widerstehen, die sich ihm bot. Deshalb hielt ich mich nach meinem
ungehörten Einwand auch hier im Hintergrund. Auch das
Krankenhaus war sein Auftritt, nicht meiner, und seine Fürsorge
gehörte zumindest zum Teil zum Programm.
»Wir machen das schon, Herr Landeshauptmann«, sagte
Schwester
Monika zu ihm. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.
Herrn Petzner wird es hier an nichts fehlen.«
Ich kam in den Genuss aller Annehmlichkeiten, über die
ein Krankenhaus
verfügt. Die Ärzte stellten nichts weiter als
eine leichte
Gehirnerschütterung fest, trotzdem bestanden die
Schwestern
weiterhin darauf, dass ich für die Nacht blieb, selbstverständlich
in einem Einzelzimmer, das sofort bereitstand.
Als ich am nächsten Tag aufwachte, hatte ich Lust auf eine
Morgen-
Zigarette. Ich suchte das halbe Krankenhaus ab, bis ich
einen
Raucherhof fand. Kaum hatte ich mir eine angesteckt,
stand ein Arzt neben mir, als hätte er mich die ganze Zeit beschattet.
»Sie dürfen noch nicht rauchen«, maßregelte er mich. »Warten
Sie bitte die weiteren Untersuchungen ab.« Es klang nach
Rundum-
Check vom Haaransatz bis zu den Zehennägeln.
Ich hatte genug. »Ich habe nichts und ich gehe jetzt nachhause
«, antwortete ich, was der Arzt erst akzeptierte, nachdem ich
einen Revers unterschrieben hatte. Am Weg aus dem Krankenhaus
rief ich Haider an, sagte ihm, dass alles in Ordnung sei, und
nahm mir ein Taxi. Unterwegs nach Hause hörte ich im Radio
die Nachrichten. »Unfall des Pressesprechers von Landeshauptmann
Dr. Jörg Haider. Stefan Petzner kam gestern in den späten
Abendstunden
im Rosental mit dem Wagen von der Straße ab.«
Die nächsten zwei Stunden musste ich damit verbringen,
meiner Familie, Verwandten und Freunden am Telefon zu erklären,
dass mir nichts fehlte. Zwischendurch tauchte auch schon
mediale Kritik auf, weil bei der Bergung meines Wagens niemand
einen Alko-Test mit mir gemacht hatte.
Als sich der Rummel legte und ich mich daheim in meiner
kleinen Sofa-Ecke zurücklehnte, um meinen Unfall am vergangenen
Freitag-Abend noch einmal Revue passieren zu lassen, fiel
mir ein Traum ein. Einer, den ich immer wieder hatte, und der
einer von diesen intensiven und besonders real scheinenden war.
Darin ging es auch um einen Unfall, bloß war nicht ich das
Opfer. Alles lief in diesem Traum immer genau gleich ab. Mitten
in der Nacht läutete mein Handy. Es war immer der gleiche
Mann, dessen Stimme ich nicht kannte. Sein letzter Satz war immer
der gleiche: »Der Landeshauptmann ist tot«, sagte er.
© edition a,
wuchs auf einem Bergbauernhof im Kärntner
Laßnitzthal auf. Mit 22, als Student, lernte er
Jörg Haider kennen und geriet unvermittelt
in den Brennpunkt der Politik. Er stieg vom
Pressesprecher zum zweiten Mann hinter
Haider in der FPÖ auf. 2008 erfüllte sich
sein Lebenstraum. Er wurde Generalsekretär
der FPÖ unter Jörg Haider. Doch der Traum
platzte nach wenigen Monaten in der Nacht,
als Haider starb.
- Autor: Stefan Petzner
- 2015, 219 Seiten, Maße: 14,6 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: edition a
- ISBN-10: 3990011448
- ISBN-13: 9783990011447
- Erscheinungsdatum: 10.09.2015
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