Heimatlos
Der Roman Heimatlos ist die Schilderung der Schülerin Lili aus dem slowakischen Kesmark/Kezmarok, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Ereignissen der Geschichte mitgerissen wird. Aufgrund ihrer deutschen Nationalität muss sie zunächst vor den...
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Produktinformationen zu „Heimatlos “
Klappentext zu „Heimatlos “
Der Roman Heimatlos ist die Schilderung der Schülerin Lili aus dem slowakischen Kesmark/Kezmarok, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Ereignissen der Geschichte mitgerissen wird. Aufgrund ihrer deutschen Nationalität muss sie zunächst vor den Partisanen fliehen, wird dann gemeinsam mit der Mutter und der schwangeren Schwester sowie den übrigen Schicksalsgefährten vertrieben, in einem Lager interniert und später nach Bayern deportiert, das damals noch in Trümmern liegt, denn die neue Tschechoslowakei duldet allein Tschechen und Slowaken. Lilis Vater ist im Gefängnis, ihr Schwager irgendwo in Kriegsgefangenschaft, sie aber kämpft in einstigen Konzentrationslagern gegen Hunger und Krankheiten an und wird Zeugin von Massakern, die aus Rache verübt werden. Ausgeliefert und Heimatlos erlebt sie die ersten Jahre des Friedens, behauptet sich aber dennoch, selbst wenn sie Schicksalsschläge ereilen, von denen auch nur einer für ein Leben genügen würde. Bei alldem lassen sie Humor und Lebenslust nicht im Stich: Ihre Haltung zum Schicksal kann für uns alle richtungsweisend sein.
Lese-Probe zu „Heimatlos “
Wieder wurden die Pro-Kopf-Rationen reduziert. Die in der Kategorie fünf dürfen 1250 Kalorien am Tag essen. Die Flüchtlinge gehören in die Kategorie fünf. Sie sind die Letzten in der Reihe. 50 Gramm Zucker, 200 Gramm Schmalz, 400 Gramm Fleisch, 3 Liter fettarme, entrahmte Milch: für einen ganzen Monat. Auf das Brot streiche ich einen Hauch Schmalz, streue Zwiebelringe darauf und lege es auf die Ofenplatte, scharfe Zwiebeln, rußiges Brot, nur nicht so gierig!, Mama warnt mich, ich glaube, für mich wären sogar zehnmal 1250 Kalorien zu wenig, um nicht hungrig zu bleiben. Der Hunger ist der größte Herr, größer noch als die Amerikaner. Es gibt kein Fest, keinen Sonntag, ständig sind wir auf der Jagd nach Lebensmitteln, nur wird es eben immer schwerer, etwas zu essen zu besorgen, die Entfernungen werden immer größer. Zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Zug, die ganze Welt ist unterwegs. Ich habe kein Fahrrad und setze mich nicht in den Zug, denn wir haben nichts, womit ich mich auf den Weg machen könnte, nichts, was sich in irgendeinem Dorf zum Beispiel gegen eine Gans oder Speck eintauschen ließe, also gehe ich zu Fuß und organisiere so etwas. Meist mit Anni und den anderen, manchmal auch allein. Unser Jagdrevier ist jetzt eben der Wald. Es hat viel geregnet, daher gibt es Unmengen von Pilzen; Reizker, von orangerot bis purpurfarben, gelbe Pfifferlinge mit gekräuseltem Rand, aufgeblasene weiße Boviste, das ist jetzt das große Pilzjahr, Tag für Tag, Woche für Woche nichts anderes, immer nur Pilze - Pilzsuppe, gebratene Pilze, mit Pilzen gefüllte Kartoffeln -, wir essen sie linksherum und rechtsherum, manchmal nur so, ohne alles, sie ersetzen das Fleisch, die Nudeln, das Brot, Mama kann sie wirklich gut zubereiten, das Problem ist nur, dass mir schon bei ihrem Anblick übel wird, sie kommen mir zu den Ohren heraus. Für ein Stück Schinken oder einen Laib Brot mit knusprig brauner Kruste und weicher Krume würde ich sämtliche Pilze aller Wälder Blumenstadts hergeben, selbst die,
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die im nächsten Jahr und in aller Zukunft wachsen werden! Das Brot fehlt mir mehr als alles andere. Später einmal werde ich zu allem Brot essen, auch zur Fleischbrühe und zu den Mohnnudeln! Und sonntags Spanische Windtorte, so eine, wie sie in Kesmark in der Konditorei Prandl gebacken wurde. Wenn sie die Spanische Windtorte hier nicht kennen sollten, dann backen Mama und ich eine, Zucker, Eier, Esskastanien, Mama kennt das Rezept bestimmt auswendig. Aber woher sollten wir Zucker, Eier und Esskastanien haben, sind wir doch in einer Leprakolonie, in einem Schweinestall von riesigem Ausmaß, umgeben von lauter Müllbergen. Niemand schert sich um sie, sie wachsen nur und gammeln vor sich hin, Millionen von winzigen Fliegen und in Regenbogenfarben schillernden Schmeißfliegenscharen summen um sie herum, der Gestank durchdringt selbst den entlegensten Winkel des Lagers, nicht einmal der Wirbelwind vermag ihn hinauszufegen. Es wurde ein Gesetz verabschiedet, dass wir ebenso Deutsche sind wie die hier Geborenen, aber ein Gesetz ist nicht mehr als Buchstaben, mit der Niederschrift und Verkündung hat sich nichts geändert. Vom Lager aus gehen wir los, um etwas zu organisieren, um zu tauschen, auf Sammeltour, und hierher kommen wir nach Hause zurück. Das Lager ist das Zuhause. Barackingen, Bretterhausen, wie die Hiesigen es verspotten. Es gibt keine Wachtürme, keine bewaffneten Patrouillen, aber es ist, als lebten wir in einem Ghetto! Das Lager trennt. Sie und wir, die alten und die neuen Bürger. Wir interessieren sie nicht, sie fragen nicht, woher wir gekommen sind und warum wir fortgehen mussten. Wir sind für sie eine Strafe für den verlorenen Krieg, eine furchterregende Gefahr, Wildschweine, Kartoffelkäfer, Flüchtlinge: drei Heimsuchungen, wir stehen mit den Wildschweinen und den Kartoffelkäfern auf einer Stufe! Bayern war ein blühendes Land, bis wir gekommen sind, das sagt die Lehrerin in der Schule, und Hansi kommt blutig zerkratzt nach Hause. Flüchtling und Lagerkind, die
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Autoren-Porträt von Judit Kováts
Judit Kováts ist Schriftstellerin, war früher als Historikerin und Archivarin tätig und ist eine engagierte Verfechterin der oral history. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zum 19. Jahrhundert, vor allem zum ungarischen Reformzeitalter verfasst. Sie publiziert Erzählungen und Novellen, bisher sind auf Ungarisch drei Romane von ihr erschienen, die allesamt weniger bekannte historische Traumata des 20. Jahrhunderts aufarbeiten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Judit Kováts
- 2020, 430 Seiten, Maße: 13,9 x 20,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Eva Zador
- Verlag: Nischenverlag
- ISBN-10: 3950390677
- ISBN-13: 9783950390674
- Erscheinungsdatum: 06.10.2020
Kommentar zu "Heimatlos"
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