Highland Saga Band 2: Die geliehene Zeit
Claire will wissen, ob Jamie eine Schlacht überlebt hat.
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Claire will wissen, ob Jamie eine Schlacht überlebt hat.
Zwanzig Jahre lang hat Claire ihr Geheimnis bewahrt. Doch nun kehrt sie mit ihrer Tochter Brianna nach Schottland zurück. Und mitten in den Highlands, auf einem verwunschenen alten Friedhof, schlägt für sie die Stunde der Wahrheit.
Antreten zum Appell
Roger Wakefield stand mitten im Raum und fühlte sich umzingelt. Zu Recht, wie er meinte, denn um ihn herum standen Tische voller Nippes und Zierat und schwere viktorianische Möbel, die verschwenderisch mit Plüsch, Schonbezügen und Decken ausgestattet waren. Auf dem gewachsten Holzboden lagen kleine handumsäumte Läufer, die nur darauf warteten, unter einem vertrauensvoll daraufgesetzten Fuß davonzurutschen. Gleich diesem gab es elf weitere Zimmer voller Möbel, Kleider und Papiere. Und dann noch die Bücher - mein Gott, die Bücher!
An den Wänden des Studierzimmers standen Regale, die mit Büchern vollgestopft waren. Im übrigen Haus sah es nicht viel anders aus. Auf jeder horizontalen Fläche stapelten sich Bücher und Zettel, und jeder Schrank war bis zum Bersten gefüllt. Sein verstorbener Adoptivvater hatte sich eines langen, erfüllten Lebens erfreut. Und in seinen mehr als achtzig Lebensjahren hatte Reverend Reginald Wakefield niemals etwas fortgeworfen.
Roger zügelte den Impuls, davonzulaufen, in seinen Mini Morris zu springen, nach Oxford zurückzufahren und das Haus samt Inhalt dem Wetter und den Vandalen auszuliefern. Ruhe bewahren, ermahnte er sich und holte tief Luft. Du wirst schon damit fertig. Die Bücher sind noch der leichtere Teil; du mußt sie lediglich durchsehen und jemanden rufen, der sie abholt. Zwar würde dieser Jemand einen Lastwagen mit dem Fassungsvermögen eines Güterwaggons brauchen, aber es wäre zu schaffen. Die Kleider sind auch kein Problem - die gehen an die Wohlfahrt.
Roger hatte keine Vorstellung davon, was die Wohlfahrt mit Unmengen von schwarzen Sergeanzügen aus der Nachkriegszeit anfangen würde, aber vielleicht waren die Bedürftigen ja nicht besonders wählerisch. Schon fühlte er sich etwas erleichtert. Er hatte an der Historischen Fakultät von Oxford einen Monat Urlaub genommen, um den Haushalt des Reverend aufzulösen. Doch immer wieder überfiel ihn das Gefühl, er würde für diese Aufgabe Jahre brauchen.
Er trat näher an einen der Tische heran und nahm ein Porzellanschälchen in die Hand. Darin befanden sich unzählige kleine Vierecke aus Blei, "Gaberlunzies", die im achtzehnten Jahrhundert von den Pfarreien an die umherziehenden Bettler quasi als Lizenz ausgegeben wurden. Neben der Lampe stand eine Sammlung von Steingutkrügen und davor eine in Silber gefaßte Schnupftabakdose aus Horn. Ob er dies alles an ein Museum geben sollte? Da der Reverend in seiner Freizeit ein begeisterter Geschichtsforscher mit einer Vorliebe für das achtzehnte Jahrhundert gewesen war, stieß man im Haus überall auf Gegenstände aus der Zeit der Jakobiten.
Ohne sich dessen bewußt zu sein, strich Roger mit der Fingerspitze über die Dose und fuhr die dunklen Linien der Inschrift nach - Namen und Lebensdaten der führenden Mitglieder der Schneidergilde von Edinburgh anno 1726. Vielleicht sollte er einige ausgewählte Stücke aus der Sammlung des Reverend behalten... doch dann entschied er sich mit einem resoluten Kopfschütteln dagegen. "Vergiß es, Dummkopf", sagte er laut. "Das wäre der sichere Weg in den Wahnsinn." Oder das Anfangsstadium eines Lebens als Packratte. Wenn er damit anfing, ein paar Dinge aufzubewahren, würde er irgendwann alles behalten und schließlich in einem Ungetüm von Haus wie diesem wohnen, umgeben vom Plunder von Generationen. Und Selbstgespräche führen.
Bei dem Gedanken an den ererbten Nachlaß fiel ihm wieder die Garage ein, und aller Mut verließ ihn. Der Reverend war eigentlich Rogers Großonkel. Nach dem Tod von Rogers Eltern im Zweiten Weltkrieg - seine Mutter war bei einem Bombenangriff der Deutschen, sein Vater im Luftraum über dem Ärmelkanal ums Leben gekommen - hatte ihn der Onkel adoptiert. Da er nun einmal nichts wegwerfen konnte, hatte der Reverend den gesamten Nachlaß von Rogers Eltern in Kisten und Kartons gepackt und in seiner Garage gestapelt. Roger wußte, daß seit zwanzig Jahren keine dieser Kisten mehr geöffnet worden war.
Als Roger sich vorstellte, wie er sich durch den Nachlaß seiner Eltern wühlte, stieß er einen biblischen Seufzer aus. "O Herr", stöhnte er. "Laß diesen Kelch an mir vorübergehen!"
Obwohl die Bemerkung keineswegs als Stoßgebet gemeint war, klingelte wie zur Antwort die Türglocke, so daß er sich überrascht auf die Zunge biß.
Wie immer bei feuchtem Wetter klemmte die Haustür, und als Roger sie endlich quietschend aufgestemmt hatte, sah er sich einer Dame gegenüber. "Ja bitte? Was gibt's?"
Sie war mittelgroß und ausgesprochen hübsch. Ihr zartgliedriger Körper war in weißes Leinen gekleidet, und auf ihrem Kopf prangte eine Mähne braunen, lockigen Haars, das sie halbwegs zu einem Knoten gebändigt hatte. Doch am auffälligsten waren ihre strahlenden Augen in der Farbe reifen Sherrys.
Sie ließ den Blick von seinen Turnschuhen, Größe fünfundvierzig, zu dem Gesicht hinaufwandern, das sich etwa dreißig Zentimeter über dem ihren befand. "Ich wollte eigentlich nicht unbedingt mit einem Gemeinplatz anfangen", sagte sie. "Trotzdem: Du bist aber groß geworden, Roger!"
Roger merkte, daß er rot wurde. Die Frau lachte und streckte ihm die Hand entgegen. "Sie sind doch Roger, nicht wahr? Ich bin Claire Randall, eine alte Freundin des Reverend. Als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, waren Sie fünf Jahre alt."
"Sie sind eine Freundin meines Vaters? Dann wissen Sie wohl schon..." Das Lächeln wich einem Ausdruck des Bedauerns.
"Ja. Ich war furchtbar traurig, als ich es hörte. Das Herz, nicht wahr?"
"Genau, und ganz plötzlich. Ich bin gerade aus Oxford gekommen, um das hier zu bewältigen." Die Handbewegung, die er dabei machte, konnte sich ebenso auf den Tod des Reverend wie auf das Haus mit all seinem Inhalt beziehen.
"Wenn ich die Bibliothek Ihres Vaters noch recht in Erinnerung habe, dürfte allein das Durchsehen der Bücher bis Weihnachten dauern", stellte Claire fest.
"Dann sollten wir ihn auch nicht weiter stören", ertönte eine sanfte Stimme mit deutlich amerikanischem Akzent.
"Oh, das habe ich ja ganz vergessen!" rief Claire aus und wandte sich zu der jungen Frau um, die etwas im Hintergrund stand. "Roger Wakefield - meine Tochter Brianna."
Brianna Randall trat mit einem schüchternen Lächeln auf ihn zu. Gedankenverloren starrte Roger sie an, bevor er sich auf den guten Ton besann. Er tat einen Schritt zurück und riß die Tür auf. Unvermittelt fragte er sich, wann er zuletzt das Hemd gewechselt hatte.
"Aber ich bitte Sie!" rief er herzlich. "Ich wollte ohnehin gerade eine Pause machen. Kommen Sie doch herein!"
Als Roger die beiden Frauen über den Flur in das Studierzimmer des Reverend führte, fiel ihm auf, daß Claires Tochter nicht nur angenehm anzusehen, sondern auch größer war als alle jungen Mädchen, die er bisher näher kennengelernt hatte. Sie mußte gut einsachtzig messen. Unwillkürlich richtete er sich zu seiner vollen Größe von einsneunzig auf. Erst im letzten Moment duckte er sich, um nicht mit dem Kopf an den Türrahmen zu stoßen, als er nach den beiden Damen das Studierzimmer betrat.
"Ich wollte eigentlich schon viel früher kommen", sagte Claire, während sie sich in einen tiefen Ohrensessel sinken ließ. "Letztes Jahr hatte ich für unsere Reise nach England schon alles gebucht. Aber dann gab es im Krankenhaus in Boston einen Notfall - ich bin Ärztin", erklärte sie. Spöttisch kräuselte sie die Lippen, als sie auf Rogers Gesicht den Ausdruck der Überraschung sah, den er nicht ganz hatte verbergen können. "Schade, daß es nicht geklappt hat. Ich hätte Ihren Vater gern noch einmal wiedergesehen."
Roger fragte sich, warum sie trotzdem gekommen war, wenn sie vom Tod des Reverend schon wußte. Sie einfach zu fragen, schien ihm jedoch zu unhöflich. "Und jetzt sehen Sie sich ein bißchen die Gegend an?" erkundigte er sich statt dessen.
"Ja, wir sind mit dem Zug aus London gekommen", erwiderte Claire. Lächelnd blickte sie ihre Tochter an. "Ich wollte Brianna die Gegend zeigen. Wenn Sie sie reden hören, würden Sie nicht glauben, daß sie Engländerin ist wie ich. Allerdings hat sie nie hier gelebt."
"Wirklich?" Roger warf der jungen Frau einen fragenden Blick zu. Seiner Meinung nach sah sie alles andere als englisch aus. Eine dichte Mähne roten Haars fiel ihr ungebändigt über die Schultern und umrahmte ein ausdrucksvolles Gesicht mit einer geraden langen Nase - ein wenig zu lang vielleicht.
"Ich bin in Amerika geboren", erklärte Brianna, "aber Mutter und Daddy sind - waren - Engländer." "Waren?"
"Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben", erläuterte Claire. "Ich glaube, Sie haben ihn gekannt - Frank Randall."
"Natürlich, Frank Randall!" Roger schlug sich mit der Hand an die Stirn. Als Brianna kicherte, merkte er, wie er rot wurde. "Wahrscheinlich halten Sie mich für einen ausgemachten Trottel, aber ich habe erst jetzt begriffen, wer Sie sind."
Randall, ein bedeutender Historiker, war mit dem Reverend eng befreundet gewesen. Seit langem hatten die beiden Männer ihre Erkenntnisse über die Zeit der Jakobiten ausgetauscht, obwohl Frank Randall seit mindestens zehn Jahren nicht mehr im Pfarrhaus gewesen war.
"Dann wollen Sie wohl auch die historischen Stätten bei Inverness besichtigen", vermutete Roger. "Waren Sie schon in Culloden?"
"Bis jetzt nicht", erwiderte Brianna. "Aber wir werden im Laufe der Woche noch hinfahren." Ihr Lächeln war höflich - mehr nicht.
"Für heute nachmittag haben wir eine Ausflugsfahrt zum Loch Ness gebucht", sagte Claire. "Und morgen fahren wir vielleicht nach Fort William. Womöglich streifen wir aber auch einfach nur durch Inverness. Der Ort ist beträchtlich gewachsen, seit ich zuletzt hier war."
"Und wann war das?" Roger fragte sich, ob er seine Dienste als Fremdenführer anbieten sollte. Eigentlich blieb ihm dafür keine Zeit, aber schließlich waren die Randalls enge Freunde seines Vaters gewesen. Zudem erschien ihm ein Ausflug nach Fort William in Begleitung zweier attraktiver Damen weitaus verlockender als die Aussicht, die Garage aufzuräumen.
"Oh, vor über zwanzig Jahren. Es ist lange her." In Claires Worten schwang ein rätselhafter Unterton mit, doch als Roger sie fragend ansah, begegnete sie seinem Blick mit einem offenen Lächeln.
"Nun", setzte er an, "wenn es irgend etwas gibt, was ich für Sie tun kann, solange Sie hier bei uns in den Highlands sind..."
Obwohl sie weiterhin lächelte, veränderte sich Claires Miene. Fast hatte Roger den Eindruck, daß sie auf dieses Angebot nur gewartet hatte. "Wenn Sie es so direkt anbieten...", meinte sie.
"Aber Mutter, das können wir Mr. Wakefield doch nicht zumuten!" sagte Brianna. "Sieh doch, was er hier alles zu tun hat!" Sie wies auf die überquellenden Kartons und die meterhohen Bücherstapel.
"Mir würde es aber Spaß machen", wandte Roger ein. "Worum geht es denn?"
Claire warf ihrer Tochter einen tadelnden Blick zu. "Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu überrumpeln", erklärte sie indigniert. "Aber vielleicht kennt er ja jemanden, der uns helfen kann. Es geht um eine kleinere historische Untersuchung", fügte sie zu Roger gewandt hinzu. "Ich brauche jemanden, der sich mit den Jakobiten im achtzehnten Jahrhundert auskennt - also mit Bonnie Prince Charles und diesen Dingen."
Interessiert beugte Roger sich vor. "Die Jakobiten?" fragte er. "Das ist nicht gerade mein Spezialgebiet, aber in den wichtigsten Dingen kenne ich mich aus. Wenn man so nah an Culloden wohnt, kann man gar nicht anders. Dort fand nämlich die Entscheidungsschlacht statt", erklärte er Brianna. "Die Soldaten des Bonnie Prince standen dem Heer des Herzogs von Cumberland gegenüber und wurden hingemetzelt."
"Genau", sagte Claire. "Darum geht es auch bei meinem Anliegen." Sie öffnete die Handtasche und holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus.
Roger breitete es aus und überflog es rasch. Unter der Überschrift "JAKOBITENAUFSTAND VON 1745/46 - CULLODEN" waren die Namen von etwa dreißig Männern aufgeführt.
"Aha, es geht also um den Jakobitenaufstand", meinte Roger. "Diese Männer haben in Culloden gekämpft, nicht wahr?"
"Ja", erwiderte Claire, "und ich möchte wissen, wie viele von ihnen die Schlacht überlebt haben."
Roger, der noch immer auf die Liste blickte, rieb sich das Kinn. "Eine einfache Frage", meinte er, "aber womöglich schwer zu beantworten. Von den Hochlandschotten des Bonnie Prince sind so viele gefallen, daß man sie in Massengräbern beerdigt hat. Und die Grabsteine tragen lediglich die Namen der Clans."
"Ich weiß", entgegnete Claire. "Brianna kennt das Schlachtfeld noch nicht, aber ich war schon mal da - vor langer Zeit." Roger glaubte zu sehen, wie ein Schatten über ihr Gesicht huschte. Nicht weiter erstaunlich, dachte er, denn das Feld von Culloden war ein Ort, an dem jeder Ergriffenheit verspürte. Auch ihm traten Tränen in die Augen, wenn er über die weite Moorlandschaft blickte und an die tapferen Hochlandschotten dachte, die hingemetzelt unter der Grasnarbe in der Erde lagen.
Claire faltete weitere maschinenbeschriebene Blätter auseinander und reichte sie ihm. Während sie mit dem Finger über den Falz strich, fiel ihm auf, wie wohlgeformt und gepflegt ihre Hände waren, die jeweils nur von einem Ring geschmückt waren. Der silberne Ring an ihrer rechten Hand war besonders eindrucksvoll, ein breiter jakobitischer Reif mit den verschlungenen Ornamenten des Hochlands, in die Distelblüten - das traditionelle Symbol der Highlands - eingraviert waren.
"Dies sind die Namen ihrer Frauen, soweit wir sie kennen. Vielleicht bringt uns das weiter, denn womöglich haben sie wieder geheiratet oder sind ausgewandert, nachdem ihre Männer in der Schlacht von Culloden gefallen sind. Und das muß dann ja wohl im Taufregister der Pfarrei verzeichnet sein. Sie kommen alle aus dem Pfarrkreis von Broch Mordha, also ein ganzes Stück weiter südlich von hier."
"Eine gute Idee", gab ihr Roger überrascht recht. "Ein Historiker würde ähnlich vorgehen."
"Schließlich habe ich lange genug mit einem zusammengelebt", entgegnete Claire trocken. "Da schnappt man so einiges auf."
"Gewiß." Erst jetzt fiel Roger etwas ein, und hastig stand er auf. "Ich bin ein fürchterlicher Gastgeber. Zuerst bekommen Sie einen Drink, und dann erzählen Sie weiter. Vielleicht kann ich Ihnen helfen."
Trotz der Unordnung wußte Roger, wo er die Karaffe finden konnte, und kurz darauf hatte er seinen Gästen einen Whisky eingeschenkt. Brianna nippte trotz der großzügigen Menge Soda so zögernd an ihrem Glas, als enthielte es anstelle des vorzüglichen Glenfiddich Insektengift. Claire schien ihn weitaus mehr zu genießen.
"Also." Roger setzte sich wieder und nahm die Blätter zur Hand. "Historisch gesehen ist es eine faszinierende Aufgabe. Habe ich recht verstanden: Die Familien stammen alle aus demselben Pfarrbezirk und wahrscheinlich sogar aus demselben Clan? Wie ich sehe, heißen viele von ihnen Fraser."
Claire nickte. "Sie kommen vom selben Hof, einem kleinen Gut in den Highlands namens Broch Tuarach - in der Gegend hieß es auch Lallybroch. Und sie gehörten zum Clan der Fraser, obwohl sie dessen Oberhaupt, Lord Lovat, offiziell nie die Treue geschworen hatten. Dem Aufstand haben sie sich schon recht früh angeschlossen und in der Schlacht von Prestonpans mitgekämpft, während Lord Lovats Männer erst kurz vor der Schlacht von Culloden hinzustießen."
"Wirklich? Interessant!" Gewöhnlich starb ein Pächter oder Kätner im achtzehnten Jahrhundert an seinem Wohnort, wurde anständig auf dem Dorffriedhof begraben und säuberlich im Taufregister der Pfarrei aufgeführt. Doch Bonnie Prince Charlies Versuch, den Thron von Schottland zurückzuerobern, hatte dem normalen Lauf der Dinge ein Ende gesetzt.
Als nach der Niederlage von Culloden eine Hungersnot ausbrach, waren viele Hochlandschotten in die Neue Welt ausgewandert; andere hatten auf der Suche nach Arbeit und Nahrung die Täler und Moore verlassen und sich in die Städte begeben. Nur wenige waren geblieben.
"Interessantes Material für einen Artikel", überlegte Roger laut, "wenn man das Schicksal der einzelnen verfolgt und sieht, was aus ihnen geworden ist - es sei denn, sie sind wirklich bei der Schlacht von Culloden gefallen. Aber noch besteht die Möglichkeit, daß einige die Schlacht überlebt haben." Dieses Projekt wäre für ihn auch dann eine willkommene Ablenkung gewesen, wenn jemand anders als Claire Randall um seine Hilfe gebeten hätte.
"Nun, ich glaube, ich kann Ihnen weiterhelfen", sagte er und wurde mit einem warmen Lächeln belohnt. "Wirklich! Das ist ja wunderbar!" rief Claire.
"Ist mir ein Vergnügen", erwiderte Roger. Er faltete die Zettel auseinander und breitete sie auf dem Tisch aus. "Ich fange gleich damit an. Aber erzählen Sie mir, wie Ihnen die Fahrt von London hierher gefallen hat!"
Autoren-Porträt von Diana Gabaldon
Diana Gabaldon, Jahrgang 1952, war früher Honorarprofessorin fürTiefseebiologie und Zoologie an der Universität von Arizona, bevor sie sichhauptberuflich dem Schreiben widmete. Bereits ihr erster Roman "Feuer undStein" wurde international zu einem riesigen Erfolg und führte dazu, dassMillionen LeserInnen zu begeisterten Fans der Highland-Saga wurden. Inzwischen werden ihre Werke"von China bis Schweden verschlungen und haben zu einem Pilgerstrom ihrerFans ins schottische Hochland geführt" (Der Spiegel).
Diana Gabaldon lebt mit ihrem Mann und drei Kindernin Scottsdale, Arizona.
Sprecher-Information zu Daniele Hoffmann
Die 1963geborene Daniele Hoffmann hat nach ihrem Studium an der Theaterhochschule inLeipzig und an der Schauspielschule in Berlin zahlreiche Rollen in Film,Fernsehen und Theater gespielt. Sie ist die deutsche Stimme hochkarätigerHollywoodstars wie Jamie Lee Curtis, Calista Flockheart alias "Ally McBeal", Mary Stuart Masterson,Laura Dern und natürlich - Julia Roberts.
Interview mit Diana Gabaldon
"Feuer und Stein" ist der erste Bandeiner historischen Saga, die den Leser ins Schottland des 18. Jahrhundertsentführt. Was reizt Ihre Leser an einer solchen Zeitreise?
Na ja, diese Frage sollten Sie eigentlich den Lesernstellen, oder? Aber ich werde Ihnen ein bisschen davon erzählen, was ich vonmeinen Lesern gehört habe...
Viele mögen es, mit mir Zeitreisen zu unternehmen; siesagen, die Lebendigkeit der Story gebe ihnen das Gefühl, Teil der Geschichte zusein. Als wären sie mittendrin im 18. Jahrhundert, mit seinen Gebäuden, Tönenund Gerüchen. Viele mögen die Art und Weise, in der ich ihnen Wissen undInformationen vermittle - über Geschichte (bei mir stimmen alle Fakten), überSchottland, die Kräutermedizin und viele andere Dinge, von denen ich im Bucherzähle. Viele lieben die Abenteuer, von denen ich berichte. "Es sindAbenteuer ohne Ende", sagt mein Mann immer. Einige mögen auch dieLiebesgeschichten, die sich durch meine Bücher ziehen. Während es in Liebesromanenum das Werben geht, handeln meine Bücher vom Heiraten. Natürlich ist es sehrinteressant, was Menschen zusammenbringt. Aber für mich ist viel interessanter,was Leute dazu bringt, 50 Jahre zusammenzubleiben.
Einige Leser mögen das Spekulative an meinen Büchern:die Theorien zu Zeitreisen und die moralischen Schwierigkeiten, denen sich einZeitreisender ausgesetzt sieht. Wenn man sich bewusst ist, was mit einempassiert - hat man dann die Verpflichtung, die Sache zu stoppen? Wenn ja,könnte man das? Und was ist, wenn nicht? Wie lebt man mit der "Bürde"des Wissens, wenn man keine Kraft hat, den Ereignissen entgegenzuwirken? Undwenn du denkst, du könntest etwas unternehmen, ist der Preis, den du dafürbezahlst, nicht zu hoch?
So ziemlich alle Leute mögen die Helden meiner Bücher.Sie sagen, Figuren wie Jamie Fraser und Claire Randall seien so realistisch,dass sie unbedingt wissen wollen, was meinen Helden als nächstes passiert!
Eine meiner liebsten Leserstimmen der letzten Wochen kamvon einer jungen Frau aus Sachsen. Sie schrieb: "Mein Onkel, der alle ihreBücher zwei Mal gelesen hat, meinte: "Die Geschichten sind verrückt,unrealistisch, abgedreht und abstrakt. Aber warum sind sie bloß sokurz?""
Wie kamen Sie, eine Amerikanerin ausArizona, auf die Idee, ausgerechnet das schottische Hochland als SchauplatzIhres Abenteuerromans auszuwählen?
Nun, das hat mit der Frage zu tun, wie ich - alserfolgreiche Wissenschaftlerin - auf den Gedanken gekommen bin, einenAbenteuerroman zu schreiben. Eigentlich war das alles eher Zufall. Ich wollteschon immer Schriftstellerin werden und sah das als meine Bestimmung an. Ichkomme allerdings aus einer sehr konservativen Familie und bekam ständig Sprüchezu hören wie: "Bei deiner schlechten Menschenkenntnis wirst du eines Tageseinen Herumtreiber heiraten. Sorge dafür, dass du eine gute Ausbildungbekommst, damit du später deine Kinder unterstützen kannst!" Ich habe dann abereinen sehr netten Mann geheiratet, wir sind mittlerweile seit 32 Jahrenzusammen und haben drei wundervolle Kinder, die jetzt selber schon erwachsensind.
Wie dem auch sei, vor diesem familiären Hintergrundhielt ich es für besser, nicht über meine geplante Schriftstellerkarriere zusprechen, denn eine solche Laufbahn ist ja ganz und gar nicht sicher undvorhersehbar. Außerdem wusste ich auch gar nicht, wie ich das Roman schreibenanpacken sollte. Als ich dann aber so Mitte 30 war, dachte ich mir: Wenn duRomane schreiben willst, solltest du s jetzt versuchen und nicht warten, bis duin den Ruhestand gehst. Hätte sich erst dann herausgestellt, dass ich gut bin,hätte ich schließlich eine Menge Zeit verloren!
Bis dahin hatte ich schon alles Mögliche geschrieben:Textbücher, wissenschaftliche Beiträge, Artikel für Nachschlagewerke,Softwarerezensionen und Beiträge für Computerzeitschriften, Lehrmaterialien,Stipendienanträge, Jahresberichte - und Walt-Disney-Comics. Wie man das macht,hatte mir nie jemand gesagt; ich hatte einfach einige Beispiele gelesen unddann drauflosgeschrieben. Also war das offensichtlich auch der beste Weg, um zulernen, wie man einen Roman schreibt - man muss ihn einfach schreiben.
Meine Mutter brachte mir das Lesen bei, als ich dreiwar, und seitdem verschlang ich alles, was mir unter die Finger kam - überRomane wusste ich so gut Bescheid, dass ich selbst einen schreiben konnte.
Ich beschloss also, versuchsweise einen Roman zuschreiben, um zu sehen, wie man das macht und wie viel Disziplin und Fleiß mandazu bracht. Danach wollte ich entscheiden, ob es wirklich das war, was ichwollte, und gegebenenfalls ein kommerziell funktionierendes Thema wählen undeinen "echten" Roman schreiben, der dann natürlich auch veröffentlicht werdensollte.
Nun, als Übungsobjekt wählte ich "Feuer und Stein", dochdas Ganze ist etwas aus dem Ruder gelaufen Zu Beginn aber war es nur ein Übungsstück. Ich sagte mir: "WelcheArt von Roman kann man am leichtesten schreiben? Es ist ja zum Üben, da macht skeinen Sinn, was Schwieriges auszuwählen." Und ich kam zu dem Schluss, dass fürmich ein historischer Roman am einfachsten zu schreiben sei. BeiHistorienromanen gibt s ja keine thematischen Einschränkungen; man kann überalles schreiben, solange man ein lebendiges, überzeugendes und glaubwürdigesSetting hat, das die Vergangenheit lebendig werden lässt.
Nun, das wiederum hängt von lebendigen, überzeugendenund glaubwürdigen Details ab - und die bekommt man offensichtlich durchRecherchen. Okay, ich hatte eine Forschungsprofessur (an der Universität hatteich mich auf wissenschaftliche Berechnungen spezialisiert, aber das war Zufall,denn eigentlich hatte ich Biologie, Meeresbiologie und Ökologie studiert), undich wusste, wie man mit einer Bibliothek umgeht. Ich sagte mir also, dass es einfacherist, Sachen nachzuschlagen als sie sich auszudenken, und falls ich keineFantasie haben sollte, dann könnte ich mir ja immer noch alles Notwendige aushistorischen Berichten zusammenklauen.
Die nächste Frage war logischerweise die nach der Zeitund dem Ort für das Buch. Da ich mich in Geschichte nicht sonderlich auskannteund sowieso alles würde nachschlagen müssen, war das eigentlich ziemlich egal.Zufällig sah ich dann die Wiederholung einer Folge von "Dr. Who" im Fernsehen.Da ich nicht weiß, ob man die Serie in Deutschland auch kennt, erzähle ich kurzdavon: "Dr. Who" ist ein Lord vom Planeten Gallifrey, der durch Zeitund Raum reist und zahlreiche Abenteuer zu bestehen hat. Auf seinem Weg wird ervon Gefährten aus unterschiedlichen Epochen der Erdgeschichte begleitet, die jenach Zeitabschnitt unterschiedlich sind. In dieser ziemlich alten Folge, dieich zufälligerweise sah (die Sendung läuft seit 30 Jahren in England), hatteder Doktor einen 17- oder 18-jährigen jungen Mann aus dem Schottland des Jahres1745 dabei - im Kilt. Als ich das sah, dachte ich bei mir: "Oh, das ist ja ganzreizend!". Ich überlegte bis zum nächsten Tag und sagte mir: "Nun, du willstein Buch schreiben. Es ist ziemlich egal, welche Zeit du dir raussuchst -wichtig ist allein, dass du dir eineZeit und einen Ort aussuchst und endlich anfängst. Also dann eben Schottland,achtzehntes Jahrhundert."
Und da sind wir nun. Bis zum dritten Schreibtag handeltees sich um einen ziemlich geradlinig erzählten historischen Roman. Bis dahinhatte ich genug recherchiert, um den Jakobiten-Aufstand von 1745 alshistorischen Hintergrund für die Geschichte auszuwählen. Ich wusste, dass esdabei vor allem um den Konflikt zwischen Schotten und Engländern ging, abersagte mir: "Okay, wegen des Kiltfaktors braucheich eine Menge Schotten - aber ich glaube, ich sollte auch eine weibliche Figurals Gegengewicht schaffen. Dann bekomme ich einen sexuellen Konflikt mithinein, das wäre gut. Und da es um Schotten und Engländer geht, bekommen wirjede Menge Konflikte, wenn ich eine englische Frau einführe."
Ich führte also diese Engländerin ein, ohne eine Idee zuhaben, wer sie war, wie sie in die ganze Geschichte hineinkam oder was sie dorttat. (Ich schreibe übrigens nicht am Stück, sondern in kleinen Abschnitten, dieich später dann zusammenklebe.) Und so setzte ich diese Frau in ein kleinesLandhaus voller Schotten, um zu sehen, was sie tun würde. Sie ging hinein, undalle drehten sich um und starrten sie an. Einer erhob sich langsam und sagte:"Ich bin Dougal MacKenzie. Und wer bitteschön sind Sie?" Worauf sie (ohne jedeHilfe meinerseits) antwortete: "Ich bin Claire Elizabeth Beauchamp. Und wer zumTeufel sind Sie?" Ich hielt inne und sagte: "Du hörst dich ganz und gar nichtwie eine Frau aus dem 18. Jahrhundert an." Zwei oder drei Seiten lang kämpfteich mit ihr, um sie zurechtzustutzen und sie wie eine historische Personsprechen zu lassen. Aber sie wollte partout nicht "historisch" werden, sondernmachte ständig ziemlich freche, moderne Bemerkungen und fing schließlich sogaran, die Geschichte selbst zu erzählen. "Nun gut", sagte ich mir, "da das Buchsowieso niemand je zu Gesicht bekommen wird, ist es ziemlich egal, was fürbizarre Sachen ich dir andichte. Sei also modern, und ich werde mir später überlegen,wie du dort hingekommen bist." Es ist also ihre Schuld, dass es in diesenBüchern Zeitreisen gibt.
Hätten Sie erwartet, dass IhreRomanreihe um die Heldin Claire Randall und ihren Liebsten James Fraser soviele Leser in ihren Bann ziehen würde?
Nie im Leben! Schließlich habe ich nicht damitgerechnet, dass überhaupt irgend jemand das Buch je lesen geschweige dennveröffentlichen würde - und schon gar nicht damit, dass Millionen Menschen inder ganzen Welt es lesen würden. Aber ich bin natürlich froh, dass es sogekommen ist.
Sie müssen sehr umfangreichrecherchiert haben. Wie lange dauerten Ihre Vorarbeiten zum ersten Band?
Ich habe überhaupt keine Vorarbeiten gebraucht. Ich wolltelernen, wie man einen Roman schreibt, und nicht alles über Schottland im 18.Jahrhundert wissen. Daher beschloss ich, sofort mit dem Schreiben anzufangenund parallel zu recherchieren. Wenn ich etwas schrieb, das sich hinterher alsfalsch herausstellen sollte, könnte ich es einfach korrigieren. Wenn ich aberzuerst Jahre mit Recherchen verbrachte, käme ich damit meinem Ziel keinenSchritt näher.
Also begann ich mit dem Schreiben und betrieb paralleldazu meine Recherchen. Ich arbeite übrigens immer noch so; Schreiben undRecherchieren befruchten und stimulieren sich in der Regel gegenseitig. Und daich nicht am Stück schreibe, sondern in Einzelteilen und Bruchstücken, muss ichauch nicht immer alles wissen, um an einer Szene zu arbeiten. Wenn ich zuirgendeinem Ort etwas Spezielles wissen muss, ist es ziemlich einfach für mich,an diese Information heranzukommen. Ich habe nicht nur Zugang zu einer gutenUniversitätsbibliothek, sondern mittlerweile eine ziemlich umfangreichepersönliche Bibliothek zusammengetragen. Sie enthält Bücher über die GeschichteSchottlands, den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und Dutzende Werke überHeilpflanzen, die gälische Kultur oder alle möglichen anderen Dinge, die einemsonst so einfallen könnten.
Die Fragenstellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Diana Gabaldon
- 2004, 992 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Sonja Schumacher, Rita Seuß, Barbara Steckhan
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442361060
- ISBN-13: 9783442361069
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