Hinterher ist man immer tot
Roman
Wenn der Tod kommt ist Sense
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Produktinformationen zu „Hinterher ist man immer tot “
Wenn der Tod kommt ist Sense
Klappentext zu „Hinterher ist man immer tot “
Wenn der Tod kommt, ist SenseDan McEvoy, irischer Gangster mit Haarimplantat, hat ein Problem: Der Mob will ihn tot. Die Polizei will ihn tot. Dabei will er nur mit seiner neuen Freundin abhängen. Doch sein alter Erzfeind Mike hat noch eine Rechnung offen mit ihm. Dan soll ein gefährliches Paket an jemand ganz Üblen abliefern. Notgedrungen lässt er sich darauf ein. Da wird er entführt. Von zwei Cops mit einer Vorliebe für Latexanzüge. Als sich schließlich sogar Dans glamouröse Stiefoma in die Jagd auf ihn einschaltet, muss er erkennen: Die Familie ist die tödlichste Bedrohung von allen.
Lese-Probe zu „Hinterher ist man immer tot “
Hinterher ist man immer tot von Eoin ColferKAPITEL EINS
Cloisters Essex County, New Jersey
Der großartige Elmore Leonard hat gesagt, man sollte eine Geschichte niemals mit dem Wetter anfangen lassen. Das ist schön und gut - und leicht gesagt, Mr Leonard. Ihre Anhänger werden es sich brav in ihre Moleskine-Notizbücher geschrieben haben. Trotzdem beginnt eine Geschichte manchmal mit dem Wetter, und dann ist ihr scheißegal, was irgendein legendäres Genre-Genie empfiehlt, auch wenn es sich um den großen EL handelt. Fängt also alles mit dem Wetter an, sollte es auch am Anfang stehen, sonst dröselt sich plötzlich alles auf, die Einzelteile fliegen einem nur so um die Ohren, und man hat keine Ahnung mehr, wie man sie wieder zusammenbekommt.
Sie dürfen also mit folgenschweren meteorologischen Bedingungen gleich im ersten Kapitel rechnen, und kämen Kinder und Tiere vor, wären sie auch mit von der Partie - scheiß auf den ewig gestrigen Kerl mit Zigarre und Schielauge aus dem Kino. Die Geschichte ist so, wie sie ist.
Und da sie nun mal so ist, fangen wir einfach damit an:
Ich liege mit einer wunderschönen Frau im Bett und betrachte, wie das morgendliche Sonnenlicht ihr blondes Haar glänzen lässt, ihm eine Art glühenden Heiligenschein verleiht, und zum zigsten Mal denke ich, dass ich dem Glück wahrscheinlich nie wieder so nah sein werde und ihm in diesem Moment bereits sehr viel näher bin, als ich es eigentlich verdient hätte - nach all dem Blut, das ich in meinem Leben schon vergießen musste.
... mehr
Die Frau schläft, was ehrlich gesagt die beste Zeit ist, um sie zu betrachten. Sofia Delano lässt sich nicht gerne anstarren, wenn sie wach ist. Ein beiläufiger Blick geht in Ordnung, aber fünf Sekunden später machen sich bereits ihre Unsicherheiten und Phobien bemerkbar, und plötzlich hat man es mit einem ganz anderen Menschen zu tun. Besonders dann, wenn sie mal wieder ihr Lithium nicht genommen hat.
Dabei war Sofia ursprünglich frei von Psychosen. Sie wurden ihr regelrecht angezüchtet. Noch im Teenageralter heiratete sie Carmine Delano, der sie schlug und ihre psychischen Defekte so lange kultivierte, bis sie Symptome von Schizophrenie und Demenz sowie eine bipolare Persönlichkeitsstörung entwickelte. Carmine, ihr Prinz, dachte: Leck mich am Arsch, besorgte sich ein Ticket irgendwohin, Hauptsache weit weg, und ließ seine junge lädierte Frau zu Hause sitzen, wo sie sich fortan nach ihm verzehrte. Seither ward er nicht mehr gesehen. Kein Pieps, kein Mucks.
Und niemand verzehrt sich so intensiv wie Sofia Delano. Wäre es eine Kunstform, wäre Sofia Picasso. Die einzige Ablenkung, die sie sich gönnte, bestand darin, den Mieter der Wohnung unter ihrer eigenen zu schikanieren. Zufällig war ich das. Vor sechs Monaten tat ich ihr einen recht armseligen Gefallen im Haushalt, und zack, schon war sie überzeugt, ich sei ihr verschollener Ehemann, der seit zwanzig Jahren nicht mehr auf der Bildfläche aufgetaucht war. Zum letzten Mal richtig glücklich war Sofia, als sie und Carmine Ende der achtziger Jahre zusammenkamen, und so ist sie in diesem Jahrzehnt steckengeblieben. Ihre Madonna-Aufmachung ist ziemlich heiß, und als Cyndi Lauper ist sie umwerfend, nur ihre Chaka Khan könnte ehrlich gesagt noch optimiert werden.
Einmal haben wir miteinander geknutscht, aber weiter kann ich guten Gewissens unmöglich gehen. Ich weiß, dass es bei Pärchen durchaus verbreitet ist, so zu tun, als wäre man mit einer ganz anderen Person zusammen, doch sobald einer von beiden wirklich daran glaubt, dürfte mehr im Busch sein, davon bin ich fest überzeugt. Aber küssen ist okay, oder?
Und meine Herren, die kann vielleicht küssen! Als würde sie mir das Pochen direkt aus dem Herzen saugen. Und ihre Augen? Groß und blau, mit viel zu viel Kajal umrahmt. Früher sind Männer für solche Augen in hohle Holzpferde geklettert.
Einmal habe ich mit der Hand ihren Busen gestreift, aber das war keine Absicht, ehrlich. Ich glaube, manchmal weiß sie, wer ich bin. Am Anfang war ich wohl Carmine, aber jetzt ... Ich glaube, es gibt einen Hoffnungsschimmer.
Wenn ich also so verflucht edelmütig bin, wie kommt es dann, dass ich jetzt mit dieser verblendeten Frau im Bett liege? Erstens: Sie können mich mal mit Ihrer schmutzigen Phantasie. Und zweitens: Ich liege auf der Decke, und Sofia kuschelt sich darunter. Zum ersten Mal seit sechs Monaten bin ich über Nacht geblieben, weil wir uns gestern Abend eine Flasche Rotwein (dessen Tanningehalt einen Elefanten niedergestreckt hätte) geteilt und dabei Die fabelhafte Welt der Amélie angesehen haben, den wahrscheinlich unbrutalsten Film aller Zeiten.
Wir haben gelacht.
Mit französischem Akzent.
Ich weiß noch, dass ich dachte: So könnte es doch immer sein.
Sofia tickt am optimalsten, wenn sie ihre Medikamente mit zwei Gläsern Wein einnimmt. Dann sieht sie mich plötzlich scharf, und wir können gemeinsam Filme gucken wie zwei verliebte Mittvierziger.
Und ich liebe sie. Ich liebe sie wie ein Highschool-Schüler die Königin des Abschlussballs.
Simon Moriarty, der seit meiner Zeit bei der irischen Armee immer mal wieder als mein Therapeut fungiert, hat mir erklärt, ich würde nach dem Unerreichbaren streben, um dadurch ewig rein zu bleiben. Aber was zum Teufel weiß er schon? Auf dem ganzen Planeten gibt es keinen Mann, der liegen könnte, wo ich liege, ohne dass ihm das Herz aufgeht.
Und glauben Sie mir, Sofia ist nicht unerreichbar. Seit wir uns angefreundet haben, hat sie ihr Bestmögliches getan, um erreicht zu werden. Aber ich kann es nicht, und dieses gemeinsame Rum- liegen macht es nicht besser.
Sofia schlägt die Augen auf, und ich denke, bitte, Gott, mach, dass sie mich erkennt.
Mit einer Stimme, die so rauchig ist, dass Katzen allein aufgrund des Klangs schnurren würden, sagt sie: »Hey Dan. Wie geht's?«
Und da ist er: der perfekte Augenblick. Ich präge ihn mir schnell per Zwinkerfoto ein, dann erst antworte ich.
»Mir geht's richtig gut«, sage ich, und das ist die Wahrheit. Jeder Tag, an dem ich nicht Carmine sein muss, ist ein guter Tag für D. McEvoy.
»Warum liegst du da obendrauf?«, fragt sie und fährt mir mit dem Finger übers Gesicht, bleibt mit dem Nagel an meinen Bartstoppeln hängen. »Komm unter die Decke, ins Warme.«
Könnte ich machen. Warum nicht? Erwachsene in gegenseitigem Einvernehmen und so weiter. Aber Sofia kann in null Komma nichts umschalten, und wer bin ich dann?
Carmine?
Ein Fremder?
Und weitere Traumata oder Hirnspielchen kann sie wirklich nicht gebrauchen.
Also sage ich: »Hey, wie wär's, wenn ich dir einen Kaffee bringe?«
Sofia seufzt. »In zwei Monaten werde ich vierzig, Dan. Die Uhr tickt.«
Ich versuche zu lächeln, aber es wird eine Grimasse draus, und Sofia hat Erbarmen.
»Okay, Dan. Kaffee.«
Sie schließt die Augen und streckt sich, ein langes Bein gleitet unter der Daunendecke hervor.
Ich glaube, vielleicht trinke ich jetzt auch einen Kaffee.
Ich lasse sie mit ein paar Kissen im Rücken und einem dieser Cappuccinos aus Tütchen im Bett sitzen, sie liest Caribbean Cruising, eine Zeitschrift, die sie schon hundert Mal gelesen hat, obwohl sie in den vergangenen zwanzig Jahren nur ein paarmal aus dem Haus gegangen ist. Wir beide versprechen uns etwas, bevor ich aufbreche. Ich schwöre hoch und heilig vorbeizukommen, wenn ich im Kasino fertig bin, und mit ihr Manons Rache zu gucken, was nicht gerade meine Lieblings-DVD ist, aber Sofia schwört, sie wird ihre Pillen nehmen, die ich in einer Tasse auf ihrem Nachttisch bereitgestellt habe.
Ich bin optimistisch, dass ich heute Abend erneut auf Wolke sieben schweben werde.
Es könnte der Anfang von etwas richtig Gutem sein. Sofia wird wieder klar im Kopf, und ich lerne ein bisschen Französisch. Das Kasino kommt in die Gänge, und schon seit einem halben Jahr hat niemand mehr versucht, mich umzubringen. Und - sieht man von den wenigen Pennern ab, die ich mit einem Arschtritt aus dem Club befördern musste - das Allerbeste ist: Ich musste schon lange niemandem mehr weh tun.
Daran könnte ich mich gewöhnen.
Man kann glücklich sein. Es ist möglich. Ich habe Menschen in Parks beobachtet oder draußen vor den Theatern. Himmelherrgott, ich hab sogar schon höchstpersönlich ein paar sehr glückliche Exemplare kennengelernt. Vielleicht bin ich ja jetzt selbst mal dran?
Sei bloß nicht zu gut gelaunt, ermahne ich mich. Das Universum duldet Glück nie lange, wobei das wahrscheinlich nicht der Titel eines der Ratgeberbücher sein wird, die kurz vor Weihnachten die Buchhandlungen überschwemmen.
Ich halte im Gehen nach glücklichen Menschen Ausschau, um mein Argument zu untermauern, bin aber noch keine fünf Straßenecken weit gekommen, als mein Handy klingelt. Ohne aufs Display zu schauen, weiß ich, dass mich Zebulon Kronski anruft, einer meiner wenigen Freunde. Ich weiß es, weil er »Dr. Beat« von Miami Sound Machine als seinen persönlichen Klingelton eingestellt hat.
Das allein sagt schon einiges über meinen Freund Zeb. Man muss sich nur mal fünf Sekunden lang die kubanisch-amerikanische Polyphonie anhören, und schon hat man, ohne den Mann je gesehen zu haben, eine präzise Vorstellung. Zeb ist also Arzt, versteht sich. Er hält sich für einen Checker, daher auch der retrocoole Miami-Sound, und außerdem ist er ein dreistes Arschloch, das sich einfach so ein fremdes Handy unter den Nagel reißt und an den Einstellungen rumfummelt. Wer steht schon auf so was? Das Handy eines Mannes ist eine sehr private Angelegenheit, damit macht man keinen Blödsinn. Ich hab noch nie jemanden sagen hören: Hey, du hast an meinem Bildschirmschoner rumgemacht, super.
Das alles ist wahr: Zebulon Kronski ist ein dreistes Arschloch von einem Schönheitschirurgen, das sich selbst für einen Checker hält. Wären wir uns unter normalen Umständen begegnet, hätte ich wahrscheinlich den Raum mit geballten Fäusten verlassen, nur um ihm nicht die Lichter auszuknipsen, aber als wir uns kennenlernten, war ich mit den UN-Friedenstruppen im Libanon stationiert und steckte bis zum Hals in der Scheiße, und so wurden wir bombige Blutsbrüder. Manchmal überlebt man den Frieden nur mit einem Freund aus Kriegszeiten. Der Umstand, dass wir in Nahost auf gegnerischen Seiten standen, spielt dabei keine Rolle. Wir sind beide zu alt, um noch an Seiten zu glauben. Ich setze mein Vertrauen einzig in Menschen. Und nicht in allzu viele.
Im Prinzip stand ich ja auf gar keiner Seite. Ich stand mittendrin.
Ich warte, bis Gloria Estefan mit dem Takt fertig ist, dann zücke ich mein iPhone.
»Hallo«, sage ich und halte mich an die irische Maxime, niemals freiwillig zu viele Informationen rauszurücken.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Sergeant«, sagt Dr. Zebulon Kronski und träufelt mir mit seinem bestenfalls in Hollywood glaubwürdigen irischen Akzent Gift in die Ohren.
»Morgen, Zeb«, erwidere ich müde und misstrauisch.
Ich kenne einen bei der Army, der am Telefon nicht mal durchblicken lassen würde, dass es tatsächlich Morgen ist, weil sich dadurch seine Position unter Umständen besser einkreisen lässt.
»Hast du den Akzent geübt?«, frage ich. »Ist gut.«
»Echt?«
»Nein, nicht echt, du Hornochse. Dein Akzent ist so schlecht, dass er schon rassistisch ist.«
Die Attacke ist ein bisschen billig, weil Zebulon gerade erst mit dem Schauspielunterricht angefangen hat, sich aber schon für einen Charakterdarsteller hält.
Ich hab so was Verschrobenes, gestand er mir mal nach einer Flasche Illegalem aus den Everglades - vielleicht, vielleicht aber auch nicht, steckte sogar ein Stück Alligatorpenis drin. Ein bisschen was von Jeff Goldblum und ein Hauch von diesem Typen, der Monk spielt. Weißt du, was ich meine? Ich hab mal bei irgendeiner CSI-Serie vorgesprochen. Der Regisseur meinte, ich hätte ein interessantes Gesicht.
Ein interessantes Gesicht? Das kannst du singen, Bruder.
Wie ein normales Gesicht, das zwischen zwei Panzerglasscheiben zerquetscht wurde. Andererseits ist meine eigene Visage auch nicht gerade aufsehenerregend. Der mürrische Ausdruck des harten Mannes steht mir schon so lange ins Gesicht geschrieben, dass er hängenblieb, obwohl der Wind längst gedreht hat.
Unbeeindruckt von meinem Rassismus-Vorwurf kontert Zeb mit ungeschönten Neuigkeiten.
»Mrs Madden ist gestorben, Dan. Wir sind mega gefickt.«
Zeb und ich stehen beide auf den Begriff »mega« und behalten ihn in einer Zeit des ständig im Mund geführten »Wahnsinns« und der schrecklichen Missverständnisse zwischen den Generationen in Hinblick auf »krank«, »krass« und »porno« Situationen vor, die dieses Adjektiv wirklich verdienen.
Mein Herz gerät ins Stottern, und das Telefon scheint mir schwerer zu wiegen als ein Backstein. Ich hätte ans Glücklichsein nicht mal denken dürfen; das hab ich jetzt davon.
Mrs Madden tot? Schon?
Die Information ist falsch. In meinem Leben gibt es derzeit keinerlei Spielraum für Schwierigkeiten. Meine Probleme hängen dichter aufeinander als Patronen in einem Magazin.
Sie darf nicht tot sein.
»Erzähl keinen Scheiß«, sage ich, will aber nur Zeit schinden, damit mein Herz seinen Rhythmus wiederfindet.
»Ich erzähl keinen Scheiß, alter Ire«, sagt Zeb. »Ich hab gesagt mega. Bei mega versteh ich keinen Spaß, das ist unser Code.«
Normalerweise wäre ich nicht so erschüttert, wenn eine Dame, die ich nicht mal persönlich kenne, den Löffel abgibt, auch nicht, wenn sie aus Irland stammt. In diesem Fall aber hängt mein persönliches Wohlergehen davon ab, dass Mrs Madden lebendig genug ist, um ihren Sohn einmal wöchentlich anzurufen.
Das Problem ist folgendes: Mike Madden, der geliebte Sohn, ist ein großer Fisch in unserem kleinen Teich, und mit großem Fisch meine ich, dass er das fieseste Gangsterarschgesicht unseres ruhigen Reviers ist. Mike regelt seine einschlägigen Geschäfte aus seinem Hauptquartier, dem Brass Ring Club auf dem Cloisters Strip. Für ihn arbeiten rund ein Dutzend Schläger mit viel zu vielen Waffen und zu wenigen Highschool-Abschlüssen, die alle bereit sind, über seine Witze zu lachen und jedem weh zu tun, der es wagt, Steinchen ins Getriebe der Madden-Maschine zu werfen. Eigentlich ist er eine Lachnummer, dieser falsche keltische Vollhorst mit seinem irischen Dialekt, der wie eine Kopie von Der Sieger klingt. Beim Friedenscorps bin ich einigen wie ihm begegnet; selbsternannte Obermotze, die sich einbilden, mächtig zu sein, Muskeln aber von Hirn nicht unterscheiden können - keiner von denen hätte sich lange an der Spitze einer Organisation halten können. Der Nächstbeste stand immer schon bereit, hatte die besseren Beziehungen und eine Kalaschnikow unter dem Jackett versteckt. Aber hier in Cloisters hatte Mike immer leichtes Spiel, weil die Stadt viel zu unbedeutend ist, als dass sich irgendein Gangster mit Selbstachtung hätte breitmachen wollen. Mike ist lange nicht so kapitalkräftig wie andere Bosse, dafür muss er aber auch nicht jede zweite Woche Revierkämpfe führen. Außerdem kann er von morgens bis abends seine Leute volllabern, ohne dass jemand auch nur flüstern würde: »Verdammt noch mal, halt den Rand!«
Niemand außer mir.
Mike und ich hatten im vergangenen Jahr eine kleine Aussprache, nachdem es zwischen mir und seinem Lieutenant zu Spannungen mit teilweise tödlichem Ausgang gekommen war. Zeb war ebenfalls in die Sache verwickelt, was allen Beteiligten böse aufstieß. Das Ende vom Lied war dann, dass ich mich gezwungen sah, einen meiner irischen Kumpel aus alten Armeezeiten zu bitten, sich bis an die Zähne bewaffnet wie ein Kobold in Mrs Maddens Garten in Ballyvaloo einzunisten, damit Zeb und ich weiterhin die gute Luft im Essex County schnuppern konnten.
Ich spürte einen Teil meiner Seele verkümmern, als ich der Mutter meines Gegenspielers drohte. Tiefer war ich nie gesunken, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Seit diesem Deal bin ich davon überzeugt, wer Geschäfte mit dem Teufel macht, erfindet sich nach seinem Vorbild neu. Es gab Zeiten, da wäre es mir absolut nicht in den Sinn gekommen, jemandes Mutter zu drohen, egal unter welchen Umständen, schon gar nicht, wenn ich daran denke, was meine eigene Mutter durchmachen musste.
Ich hätte die Drohung doch nie wahr gemacht, sage ich mir jeden Tag. So schlimm bin ich auch wieder nicht.
Vielleicht kann ich wieder werden, wie ich einmal war. Vielleicht mit Sofia neben mir im Bett, wenn ihr Haar golden in der Morgensonne glänzt.
Hört euch das an. Ich klinge wie Céline Dion auf einem Ozeanriesen.
Egal ...
Irish Mike Madden ist nur bereit, Zebulon und mich nicht abzuschlachten, solange seine Mutter lebt - oder anders gesagt, er hat angekündigt, uns zu töten, sobald seine Mutter das Zeitliche segnet. Die Umstände im Einzelnen sind dabei gar nicht so wichtig. Im Prinzip sind Zeb und ich jetzt mit heruntergelassenen Hosen an ein Fass gefesselt, und Mike steht mit einer extragroßen Portion Gleitcreme hinter uns.
Metaphorischer Gleitcreme.
Hoffe ich.
Ich bin im Zwiespalt, was diese jüngste Entwicklung angeht. Bei dem Gedanken, erneut in die Schlacht ziehen zu müssen, überfällt mich eine ungeheure Müdigkeit, gleichzeitig bin ich aber auch ein klitzekleines bisschen erleichtert darüber, dass Mrs Madden gestorben ist und ich nicht schuld daran bin. Jedenfalls glaube ich, dass ich nicht schuld daran bin. Allerdings sollte ich meinen Kobold möglichst bald anrufen, denn mein alter Kamerad, der Mrs Madden in meinem Auftrag im Auge behielt, ist für seine eigenmächtigen Entscheidungen bekannt. Vielleicht hat Corporal Tommy Fletcher sein Auge für was anderes gebraucht.
Ich höre Zeb an meinem Ohr.
»Yo, D-man? Bist du umgekippt?«
Yo? Zeb liebt die Kultur, die er sich hier angeeignet hat. Vergangene Woche hat er bee-yatch zu mir gesagt, und ich musste ihm ernsthaft an die Stirn tippen.
»Ja. Ich bin da. Die Nachricht hat mir nur vorübergehend den Wind aus den Segeln genommen.«
© List Verlag
Die Frau schläft, was ehrlich gesagt die beste Zeit ist, um sie zu betrachten. Sofia Delano lässt sich nicht gerne anstarren, wenn sie wach ist. Ein beiläufiger Blick geht in Ordnung, aber fünf Sekunden später machen sich bereits ihre Unsicherheiten und Phobien bemerkbar, und plötzlich hat man es mit einem ganz anderen Menschen zu tun. Besonders dann, wenn sie mal wieder ihr Lithium nicht genommen hat.
Dabei war Sofia ursprünglich frei von Psychosen. Sie wurden ihr regelrecht angezüchtet. Noch im Teenageralter heiratete sie Carmine Delano, der sie schlug und ihre psychischen Defekte so lange kultivierte, bis sie Symptome von Schizophrenie und Demenz sowie eine bipolare Persönlichkeitsstörung entwickelte. Carmine, ihr Prinz, dachte: Leck mich am Arsch, besorgte sich ein Ticket irgendwohin, Hauptsache weit weg, und ließ seine junge lädierte Frau zu Hause sitzen, wo sie sich fortan nach ihm verzehrte. Seither ward er nicht mehr gesehen. Kein Pieps, kein Mucks.
Und niemand verzehrt sich so intensiv wie Sofia Delano. Wäre es eine Kunstform, wäre Sofia Picasso. Die einzige Ablenkung, die sie sich gönnte, bestand darin, den Mieter der Wohnung unter ihrer eigenen zu schikanieren. Zufällig war ich das. Vor sechs Monaten tat ich ihr einen recht armseligen Gefallen im Haushalt, und zack, schon war sie überzeugt, ich sei ihr verschollener Ehemann, der seit zwanzig Jahren nicht mehr auf der Bildfläche aufgetaucht war. Zum letzten Mal richtig glücklich war Sofia, als sie und Carmine Ende der achtziger Jahre zusammenkamen, und so ist sie in diesem Jahrzehnt steckengeblieben. Ihre Madonna-Aufmachung ist ziemlich heiß, und als Cyndi Lauper ist sie umwerfend, nur ihre Chaka Khan könnte ehrlich gesagt noch optimiert werden.
Einmal haben wir miteinander geknutscht, aber weiter kann ich guten Gewissens unmöglich gehen. Ich weiß, dass es bei Pärchen durchaus verbreitet ist, so zu tun, als wäre man mit einer ganz anderen Person zusammen, doch sobald einer von beiden wirklich daran glaubt, dürfte mehr im Busch sein, davon bin ich fest überzeugt. Aber küssen ist okay, oder?
Und meine Herren, die kann vielleicht küssen! Als würde sie mir das Pochen direkt aus dem Herzen saugen. Und ihre Augen? Groß und blau, mit viel zu viel Kajal umrahmt. Früher sind Männer für solche Augen in hohle Holzpferde geklettert.
Einmal habe ich mit der Hand ihren Busen gestreift, aber das war keine Absicht, ehrlich. Ich glaube, manchmal weiß sie, wer ich bin. Am Anfang war ich wohl Carmine, aber jetzt ... Ich glaube, es gibt einen Hoffnungsschimmer.
Wenn ich also so verflucht edelmütig bin, wie kommt es dann, dass ich jetzt mit dieser verblendeten Frau im Bett liege? Erstens: Sie können mich mal mit Ihrer schmutzigen Phantasie. Und zweitens: Ich liege auf der Decke, und Sofia kuschelt sich darunter. Zum ersten Mal seit sechs Monaten bin ich über Nacht geblieben, weil wir uns gestern Abend eine Flasche Rotwein (dessen Tanningehalt einen Elefanten niedergestreckt hätte) geteilt und dabei Die fabelhafte Welt der Amélie angesehen haben, den wahrscheinlich unbrutalsten Film aller Zeiten.
Wir haben gelacht.
Mit französischem Akzent.
Ich weiß noch, dass ich dachte: So könnte es doch immer sein.
Sofia tickt am optimalsten, wenn sie ihre Medikamente mit zwei Gläsern Wein einnimmt. Dann sieht sie mich plötzlich scharf, und wir können gemeinsam Filme gucken wie zwei verliebte Mittvierziger.
Und ich liebe sie. Ich liebe sie wie ein Highschool-Schüler die Königin des Abschlussballs.
Simon Moriarty, der seit meiner Zeit bei der irischen Armee immer mal wieder als mein Therapeut fungiert, hat mir erklärt, ich würde nach dem Unerreichbaren streben, um dadurch ewig rein zu bleiben. Aber was zum Teufel weiß er schon? Auf dem ganzen Planeten gibt es keinen Mann, der liegen könnte, wo ich liege, ohne dass ihm das Herz aufgeht.
Und glauben Sie mir, Sofia ist nicht unerreichbar. Seit wir uns angefreundet haben, hat sie ihr Bestmögliches getan, um erreicht zu werden. Aber ich kann es nicht, und dieses gemeinsame Rum- liegen macht es nicht besser.
Sofia schlägt die Augen auf, und ich denke, bitte, Gott, mach, dass sie mich erkennt.
Mit einer Stimme, die so rauchig ist, dass Katzen allein aufgrund des Klangs schnurren würden, sagt sie: »Hey Dan. Wie geht's?«
Und da ist er: der perfekte Augenblick. Ich präge ihn mir schnell per Zwinkerfoto ein, dann erst antworte ich.
»Mir geht's richtig gut«, sage ich, und das ist die Wahrheit. Jeder Tag, an dem ich nicht Carmine sein muss, ist ein guter Tag für D. McEvoy.
»Warum liegst du da obendrauf?«, fragt sie und fährt mir mit dem Finger übers Gesicht, bleibt mit dem Nagel an meinen Bartstoppeln hängen. »Komm unter die Decke, ins Warme.«
Könnte ich machen. Warum nicht? Erwachsene in gegenseitigem Einvernehmen und so weiter. Aber Sofia kann in null Komma nichts umschalten, und wer bin ich dann?
Carmine?
Ein Fremder?
Und weitere Traumata oder Hirnspielchen kann sie wirklich nicht gebrauchen.
Also sage ich: »Hey, wie wär's, wenn ich dir einen Kaffee bringe?«
Sofia seufzt. »In zwei Monaten werde ich vierzig, Dan. Die Uhr tickt.«
Ich versuche zu lächeln, aber es wird eine Grimasse draus, und Sofia hat Erbarmen.
»Okay, Dan. Kaffee.«
Sie schließt die Augen und streckt sich, ein langes Bein gleitet unter der Daunendecke hervor.
Ich glaube, vielleicht trinke ich jetzt auch einen Kaffee.
Ich lasse sie mit ein paar Kissen im Rücken und einem dieser Cappuccinos aus Tütchen im Bett sitzen, sie liest Caribbean Cruising, eine Zeitschrift, die sie schon hundert Mal gelesen hat, obwohl sie in den vergangenen zwanzig Jahren nur ein paarmal aus dem Haus gegangen ist. Wir beide versprechen uns etwas, bevor ich aufbreche. Ich schwöre hoch und heilig vorbeizukommen, wenn ich im Kasino fertig bin, und mit ihr Manons Rache zu gucken, was nicht gerade meine Lieblings-DVD ist, aber Sofia schwört, sie wird ihre Pillen nehmen, die ich in einer Tasse auf ihrem Nachttisch bereitgestellt habe.
Ich bin optimistisch, dass ich heute Abend erneut auf Wolke sieben schweben werde.
Es könnte der Anfang von etwas richtig Gutem sein. Sofia wird wieder klar im Kopf, und ich lerne ein bisschen Französisch. Das Kasino kommt in die Gänge, und schon seit einem halben Jahr hat niemand mehr versucht, mich umzubringen. Und - sieht man von den wenigen Pennern ab, die ich mit einem Arschtritt aus dem Club befördern musste - das Allerbeste ist: Ich musste schon lange niemandem mehr weh tun.
Daran könnte ich mich gewöhnen.
Man kann glücklich sein. Es ist möglich. Ich habe Menschen in Parks beobachtet oder draußen vor den Theatern. Himmelherrgott, ich hab sogar schon höchstpersönlich ein paar sehr glückliche Exemplare kennengelernt. Vielleicht bin ich ja jetzt selbst mal dran?
Sei bloß nicht zu gut gelaunt, ermahne ich mich. Das Universum duldet Glück nie lange, wobei das wahrscheinlich nicht der Titel eines der Ratgeberbücher sein wird, die kurz vor Weihnachten die Buchhandlungen überschwemmen.
Ich halte im Gehen nach glücklichen Menschen Ausschau, um mein Argument zu untermauern, bin aber noch keine fünf Straßenecken weit gekommen, als mein Handy klingelt. Ohne aufs Display zu schauen, weiß ich, dass mich Zebulon Kronski anruft, einer meiner wenigen Freunde. Ich weiß es, weil er »Dr. Beat« von Miami Sound Machine als seinen persönlichen Klingelton eingestellt hat.
Das allein sagt schon einiges über meinen Freund Zeb. Man muss sich nur mal fünf Sekunden lang die kubanisch-amerikanische Polyphonie anhören, und schon hat man, ohne den Mann je gesehen zu haben, eine präzise Vorstellung. Zeb ist also Arzt, versteht sich. Er hält sich für einen Checker, daher auch der retrocoole Miami-Sound, und außerdem ist er ein dreistes Arschloch, das sich einfach so ein fremdes Handy unter den Nagel reißt und an den Einstellungen rumfummelt. Wer steht schon auf so was? Das Handy eines Mannes ist eine sehr private Angelegenheit, damit macht man keinen Blödsinn. Ich hab noch nie jemanden sagen hören: Hey, du hast an meinem Bildschirmschoner rumgemacht, super.
Das alles ist wahr: Zebulon Kronski ist ein dreistes Arschloch von einem Schönheitschirurgen, das sich selbst für einen Checker hält. Wären wir uns unter normalen Umständen begegnet, hätte ich wahrscheinlich den Raum mit geballten Fäusten verlassen, nur um ihm nicht die Lichter auszuknipsen, aber als wir uns kennenlernten, war ich mit den UN-Friedenstruppen im Libanon stationiert und steckte bis zum Hals in der Scheiße, und so wurden wir bombige Blutsbrüder. Manchmal überlebt man den Frieden nur mit einem Freund aus Kriegszeiten. Der Umstand, dass wir in Nahost auf gegnerischen Seiten standen, spielt dabei keine Rolle. Wir sind beide zu alt, um noch an Seiten zu glauben. Ich setze mein Vertrauen einzig in Menschen. Und nicht in allzu viele.
Im Prinzip stand ich ja auf gar keiner Seite. Ich stand mittendrin.
Ich warte, bis Gloria Estefan mit dem Takt fertig ist, dann zücke ich mein iPhone.
»Hallo«, sage ich und halte mich an die irische Maxime, niemals freiwillig zu viele Informationen rauszurücken.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Sergeant«, sagt Dr. Zebulon Kronski und träufelt mir mit seinem bestenfalls in Hollywood glaubwürdigen irischen Akzent Gift in die Ohren.
»Morgen, Zeb«, erwidere ich müde und misstrauisch.
Ich kenne einen bei der Army, der am Telefon nicht mal durchblicken lassen würde, dass es tatsächlich Morgen ist, weil sich dadurch seine Position unter Umständen besser einkreisen lässt.
»Hast du den Akzent geübt?«, frage ich. »Ist gut.«
»Echt?«
»Nein, nicht echt, du Hornochse. Dein Akzent ist so schlecht, dass er schon rassistisch ist.«
Die Attacke ist ein bisschen billig, weil Zebulon gerade erst mit dem Schauspielunterricht angefangen hat, sich aber schon für einen Charakterdarsteller hält.
Ich hab so was Verschrobenes, gestand er mir mal nach einer Flasche Illegalem aus den Everglades - vielleicht, vielleicht aber auch nicht, steckte sogar ein Stück Alligatorpenis drin. Ein bisschen was von Jeff Goldblum und ein Hauch von diesem Typen, der Monk spielt. Weißt du, was ich meine? Ich hab mal bei irgendeiner CSI-Serie vorgesprochen. Der Regisseur meinte, ich hätte ein interessantes Gesicht.
Ein interessantes Gesicht? Das kannst du singen, Bruder.
Wie ein normales Gesicht, das zwischen zwei Panzerglasscheiben zerquetscht wurde. Andererseits ist meine eigene Visage auch nicht gerade aufsehenerregend. Der mürrische Ausdruck des harten Mannes steht mir schon so lange ins Gesicht geschrieben, dass er hängenblieb, obwohl der Wind längst gedreht hat.
Unbeeindruckt von meinem Rassismus-Vorwurf kontert Zeb mit ungeschönten Neuigkeiten.
»Mrs Madden ist gestorben, Dan. Wir sind mega gefickt.«
Zeb und ich stehen beide auf den Begriff »mega« und behalten ihn in einer Zeit des ständig im Mund geführten »Wahnsinns« und der schrecklichen Missverständnisse zwischen den Generationen in Hinblick auf »krank«, »krass« und »porno« Situationen vor, die dieses Adjektiv wirklich verdienen.
Mein Herz gerät ins Stottern, und das Telefon scheint mir schwerer zu wiegen als ein Backstein. Ich hätte ans Glücklichsein nicht mal denken dürfen; das hab ich jetzt davon.
Mrs Madden tot? Schon?
Die Information ist falsch. In meinem Leben gibt es derzeit keinerlei Spielraum für Schwierigkeiten. Meine Probleme hängen dichter aufeinander als Patronen in einem Magazin.
Sie darf nicht tot sein.
»Erzähl keinen Scheiß«, sage ich, will aber nur Zeit schinden, damit mein Herz seinen Rhythmus wiederfindet.
»Ich erzähl keinen Scheiß, alter Ire«, sagt Zeb. »Ich hab gesagt mega. Bei mega versteh ich keinen Spaß, das ist unser Code.«
Normalerweise wäre ich nicht so erschüttert, wenn eine Dame, die ich nicht mal persönlich kenne, den Löffel abgibt, auch nicht, wenn sie aus Irland stammt. In diesem Fall aber hängt mein persönliches Wohlergehen davon ab, dass Mrs Madden lebendig genug ist, um ihren Sohn einmal wöchentlich anzurufen.
Das Problem ist folgendes: Mike Madden, der geliebte Sohn, ist ein großer Fisch in unserem kleinen Teich, und mit großem Fisch meine ich, dass er das fieseste Gangsterarschgesicht unseres ruhigen Reviers ist. Mike regelt seine einschlägigen Geschäfte aus seinem Hauptquartier, dem Brass Ring Club auf dem Cloisters Strip. Für ihn arbeiten rund ein Dutzend Schläger mit viel zu vielen Waffen und zu wenigen Highschool-Abschlüssen, die alle bereit sind, über seine Witze zu lachen und jedem weh zu tun, der es wagt, Steinchen ins Getriebe der Madden-Maschine zu werfen. Eigentlich ist er eine Lachnummer, dieser falsche keltische Vollhorst mit seinem irischen Dialekt, der wie eine Kopie von Der Sieger klingt. Beim Friedenscorps bin ich einigen wie ihm begegnet; selbsternannte Obermotze, die sich einbilden, mächtig zu sein, Muskeln aber von Hirn nicht unterscheiden können - keiner von denen hätte sich lange an der Spitze einer Organisation halten können. Der Nächstbeste stand immer schon bereit, hatte die besseren Beziehungen und eine Kalaschnikow unter dem Jackett versteckt. Aber hier in Cloisters hatte Mike immer leichtes Spiel, weil die Stadt viel zu unbedeutend ist, als dass sich irgendein Gangster mit Selbstachtung hätte breitmachen wollen. Mike ist lange nicht so kapitalkräftig wie andere Bosse, dafür muss er aber auch nicht jede zweite Woche Revierkämpfe führen. Außerdem kann er von morgens bis abends seine Leute volllabern, ohne dass jemand auch nur flüstern würde: »Verdammt noch mal, halt den Rand!«
Niemand außer mir.
Mike und ich hatten im vergangenen Jahr eine kleine Aussprache, nachdem es zwischen mir und seinem Lieutenant zu Spannungen mit teilweise tödlichem Ausgang gekommen war. Zeb war ebenfalls in die Sache verwickelt, was allen Beteiligten böse aufstieß. Das Ende vom Lied war dann, dass ich mich gezwungen sah, einen meiner irischen Kumpel aus alten Armeezeiten zu bitten, sich bis an die Zähne bewaffnet wie ein Kobold in Mrs Maddens Garten in Ballyvaloo einzunisten, damit Zeb und ich weiterhin die gute Luft im Essex County schnuppern konnten.
Ich spürte einen Teil meiner Seele verkümmern, als ich der Mutter meines Gegenspielers drohte. Tiefer war ich nie gesunken, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Seit diesem Deal bin ich davon überzeugt, wer Geschäfte mit dem Teufel macht, erfindet sich nach seinem Vorbild neu. Es gab Zeiten, da wäre es mir absolut nicht in den Sinn gekommen, jemandes Mutter zu drohen, egal unter welchen Umständen, schon gar nicht, wenn ich daran denke, was meine eigene Mutter durchmachen musste.
Ich hätte die Drohung doch nie wahr gemacht, sage ich mir jeden Tag. So schlimm bin ich auch wieder nicht.
Vielleicht kann ich wieder werden, wie ich einmal war. Vielleicht mit Sofia neben mir im Bett, wenn ihr Haar golden in der Morgensonne glänzt.
Hört euch das an. Ich klinge wie Céline Dion auf einem Ozeanriesen.
Egal ...
Irish Mike Madden ist nur bereit, Zebulon und mich nicht abzuschlachten, solange seine Mutter lebt - oder anders gesagt, er hat angekündigt, uns zu töten, sobald seine Mutter das Zeitliche segnet. Die Umstände im Einzelnen sind dabei gar nicht so wichtig. Im Prinzip sind Zeb und ich jetzt mit heruntergelassenen Hosen an ein Fass gefesselt, und Mike steht mit einer extragroßen Portion Gleitcreme hinter uns.
Metaphorischer Gleitcreme.
Hoffe ich.
Ich bin im Zwiespalt, was diese jüngste Entwicklung angeht. Bei dem Gedanken, erneut in die Schlacht ziehen zu müssen, überfällt mich eine ungeheure Müdigkeit, gleichzeitig bin ich aber auch ein klitzekleines bisschen erleichtert darüber, dass Mrs Madden gestorben ist und ich nicht schuld daran bin. Jedenfalls glaube ich, dass ich nicht schuld daran bin. Allerdings sollte ich meinen Kobold möglichst bald anrufen, denn mein alter Kamerad, der Mrs Madden in meinem Auftrag im Auge behielt, ist für seine eigenmächtigen Entscheidungen bekannt. Vielleicht hat Corporal Tommy Fletcher sein Auge für was anderes gebraucht.
Ich höre Zeb an meinem Ohr.
»Yo, D-man? Bist du umgekippt?«
Yo? Zeb liebt die Kultur, die er sich hier angeeignet hat. Vergangene Woche hat er bee-yatch zu mir gesagt, und ich musste ihm ernsthaft an die Stirn tippen.
»Ja. Ich bin da. Die Nachricht hat mir nur vorübergehend den Wind aus den Segeln genommen.«
© List Verlag
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Autoren-Porträt von Eoin Colfer
Colfer, EoinEoin Colfer lebt mit seiner Frau und den beiden Söhnen im irischen Wexford. Er war Lehrer und hat mehrere Jahre in Saudi-Arabien, Tunesien und Italien unterrichtet, ehe er als Schriftsteller für junge Leser erfolgreich wurde. Neben seiner inzwischen 8-bändigen Artemis-Fowl-Serie, die in 34 Ländern erscheint, hat er zahlreiche weitere Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Außerdem ist er als Autor von Hardboiled-Krimis für Erwachsene erfolgreich.
Lösch, Conny
Conny Lösch lebt in Berlin und hat unter anderem Bücher von Ian Rankin, Don Winslow und Daniel Cole übersetzt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Eoin Colfer
- 2014, 352 Seiten, Maße: 13,6 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Lösch, Conny
- Übersetzer: Conny Lösch
- Verlag: List
- ISBN-10: 3471351035
- ISBN-13: 9783471351031
- Erscheinungsdatum: 28.02.2014
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