»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte«
Briefe an Lotte Zweig 1934-1940
Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes hatte Stefan Zweig 1934 Salzburg verlassen und in London eine Wohnung gemietet. Von dort versuchte er, seine Arbeit weiterzuführen, und stellte die aus Deutschland geflüchtete Lotte Altmann als Sekretärin ein. Fünf Jahre...
Jetzt vorbestellen
versandkostenfrei
Buch (Gebunden)
25.70 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte« “
Klappentext zu „»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte« “
Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes hatte Stefan Zweig 1934 Salzburg verlassen und in London eine Wohnung gemietet. Von dort versuchte er, seine Arbeit weiterzuführen, und stellte die aus Deutschland geflüchtete Lotte Altmann als Sekretärin ein. Fünf Jahre später, wenige Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, sollte sie seine zweite Frau werden. Dazwischen liegt eine Zeit der vorsichtigen Annäherung an die um 27 Jahre jüngere Lotte und erheblicher Spannungen mit Zweigs Ehefrau Friderike, von der er 1938 geschieden wurde.Der mit zahlreichen unbekannten Bildern ergänzte Band enthält die bisher unveröffentlichten Briefe Stefan Zweigs an Lotte Altmann und die Korrespondenz der beiden mit Lottes Familie bis zum Abschied von Europa im Sommer 1940.
Lese-Probe zu „»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte« “
»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte« Briefe an Lotte Zweig 1934-1940 von Stefan ZweigTeil I
1933
Frankfurt am Main
Die Verantwortlichen der Universität Frankfurt am Main ließen sich keine Zeit. Erst Ende April 1933 war ein Reichsgesetz gegen die angebliche Überfüllung der Hochschulen beschlossen worden, und schon Anfang Mai wurde von der Universitätsverwaltung ein Fragebogen für nichtarische Studierende verteilt. Am oberen Rand des Blattes war handschriftlich eigens die Aufforderung »sofort ausgefüllt an Sekretariat zurücksenden « hinzugefügt worden. Das Ziel dieser Maßnahme war für jedermann leicht zu erkennen: Es ging schon jetzt, ein Vierteljahr nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, darum, jüdische Studierende und Professoren aus den Hochschulen zu verbannen.
Am 16. Mai 1933, elf Tage nach ihrem 25. Geburtstag, gab Elisabet Charlotte Altmann, von allen Lotte genannt, das ausgefüllte Formular an die Universität zurück. Sie wird sich wenig Hoffnung gemacht haben, dass sie ihr Studium weiter fortsetzen dürfte. Weder konnte sie die Frage nach einem arischen Elternteil noch jene nach arischen Großeltern bejahen. Es nützte schon gar nichts, dass sich die Reihe ihrer Vorfahren in Deutschland mütterlicherseits über ihren 1888 verstorbenen Urgroßvater, den bedeutenden Rabbiner Samson Raphael Hirsch, angeblich bis ins 13. Jahrhundert nachweisen ließ. Die letzte Frage lautete: »Welche sonstigen, für Ihre Weiterzulassung zum Studium sprechenden besonderen Gesichtspunkte haben Sie noch anzugeben? (z. B. Bruder gefallen)«. Den Platz für die Antwort hat Lotte Altmann freigelassen.
... mehr
Lotte Altmanns Familie stammte mütterlicherseits aus Frankfurt am Main und väterlicherseits aus Oberschlesien, wo Lotte am 5. Mai 1908 in Kattowitz geboren wurde. Nachdem das Gebiet 1920 von Deutschland an Polen abgetreten worden war, verlegten ihre Eltern Joseph Georg und Therese Altmann ihren Wohnsitz nach Frankfurt am Main. Der Familienbetrieb, der mit Eisenwaren und Bergbauausrüstungen handelte, blieb jedoch in Kattowitz bestehen und wurde dort von Lottes älteren Brüdern Hans und Richard weitergeführt.
Durch mehrere Schulwechsel und eine längere Krankheit - wahrscheinlich litt Lotte Altmann schon früh unter allergischem Asthma - verlor sie gegenüber ihren gleichaltrigen Mitschülern beinahe ein Schuljahr. Sie stellte deshalb, noch während sie sich im Herbst 1929 auf die Reifeprüfung am Realgymnasium vorbereitete, den Antrag, an Lehrveranstaltungen der Universität teilnehmen zu dürfen, was ihr nach einer Anhörung ohne Einschränkung gestattet wurde. Als Studienwunsch gab sie Neuere Sprachen an, später schrieb sie sich für Französisch, Englisch und Volkswirtschaft ein und plante, nach ihrem Abschluss als Bibliothekarin zu arbeiten. Nachdem sie je ein Semester in Berlin und Kiel studiert hatte, kehrte sie wieder an die Universität Frankfurt zurück. Mit der Abgabe des ausgefüllten Fragebogens war Lotte Altmanns Studium nach sieben Semestern beendet. Am 14. Juni 1933 bekam sie ihr Abgangszeugnis und war gezwungen, die Universität ohne Abschluss zu verlassen.
Die Familie Altmann stand Maßnahmen wie diesen nicht hilflos gegenüber und handelte schnell. Lottes acht Jahre älterer Bruder Manfred wanderte mit seiner Frau Johanna, genannt Hannah, und Tochter Eva schon Mitte Mai 1933 nach England aus, wo er eine Arztpraxis eröffnen wollte. Ihm war kurz zuvor seine Arbeitsstelle als Arzt in einer Berliner Klinik gekündigt worden. Die Begründung dafür war dieselbe wie für den Verweis seiner Schwester von der Universität: Jüdische Akademiker waren aus öffentlichen Einrichtungen in Deutschland auszuschließen. Manfred Altmann kannte England bereits von Verwandtenbesuchen und Urlaubsreisen, an denen auch Lotte teilgenommen hatte. Unter den gegebenen Umständen bestand er nun darauf, dass seine Schwester Deutschland so schnell wie möglich verlassen sollte. Ende Juni ließ Lotte sich einen Reisepass ausstellen und fuhr kurz darauf nach London, um Manfred und seine Familie zu besuchen, wie sie bei der Einreise angab. Sie bekam eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate und meldete sich im Whittingham College in Hove an der Kanalküste an, um ihr Englisch zu verbessern. Im September kehrte Lotte Altmann wieder nach London zurück und zog in das Haus ihres Bruders in der Willesden Lane. Eine Arbeit durfte sie auch nach der Verlängerung ihres Visums nicht annehmen, doch war sie bei der Organisation für Jüdische Flüchtlinge im Woburn House gemeldet, die half, mehr oder weniger inoffizielle Anstellungen zu vermitteln. So hätte Lotte wenigstens etwas zum Einkommen der Familie beitragen können, denn noch war es ihrem Bruder nicht gestattet worden, eine eigene Arztpraxis zu eröffnen. Außerdem kamen immer mehr Flüchtlinge aus Deutschland nach Großbritannien, und man musste darauf vorbereitet sein, bald die eigenen Eltern aufnehmen zu müssen, wenn sich die Lage in Frankfurt für sie verschlimmern sollte.
Ob Lotte Altmann je in ihrem Wunschberuf arbeiten und Bibliothekarin werden würde, war zu diesem Zeitpunkt mehr als ungewiss. Mit ihren Sprachkenntnissen in Deutsch, Englisch und Französisch hatte sie nicht die allerschlechtesten Chancen, eine kleinere Anstellung in einem fremden Land zu bekommen. Um ihre Fähigkeiten weiter auszubauen, beschäftigte sie sich mit Aktenführung und belegte einen Schreibmaschinenkurs. Vielleicht wäre es ja möglich, als Sekretärin zu arbeiten?
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Lotte Altmanns Familie stammte mütterlicherseits aus Frankfurt am Main und väterlicherseits aus Oberschlesien, wo Lotte am 5. Mai 1908 in Kattowitz geboren wurde. Nachdem das Gebiet 1920 von Deutschland an Polen abgetreten worden war, verlegten ihre Eltern Joseph Georg und Therese Altmann ihren Wohnsitz nach Frankfurt am Main. Der Familienbetrieb, der mit Eisenwaren und Bergbauausrüstungen handelte, blieb jedoch in Kattowitz bestehen und wurde dort von Lottes älteren Brüdern Hans und Richard weitergeführt.
Durch mehrere Schulwechsel und eine längere Krankheit - wahrscheinlich litt Lotte Altmann schon früh unter allergischem Asthma - verlor sie gegenüber ihren gleichaltrigen Mitschülern beinahe ein Schuljahr. Sie stellte deshalb, noch während sie sich im Herbst 1929 auf die Reifeprüfung am Realgymnasium vorbereitete, den Antrag, an Lehrveranstaltungen der Universität teilnehmen zu dürfen, was ihr nach einer Anhörung ohne Einschränkung gestattet wurde. Als Studienwunsch gab sie Neuere Sprachen an, später schrieb sie sich für Französisch, Englisch und Volkswirtschaft ein und plante, nach ihrem Abschluss als Bibliothekarin zu arbeiten. Nachdem sie je ein Semester in Berlin und Kiel studiert hatte, kehrte sie wieder an die Universität Frankfurt zurück. Mit der Abgabe des ausgefüllten Fragebogens war Lotte Altmanns Studium nach sieben Semestern beendet. Am 14. Juni 1933 bekam sie ihr Abgangszeugnis und war gezwungen, die Universität ohne Abschluss zu verlassen.
Die Familie Altmann stand Maßnahmen wie diesen nicht hilflos gegenüber und handelte schnell. Lottes acht Jahre älterer Bruder Manfred wanderte mit seiner Frau Johanna, genannt Hannah, und Tochter Eva schon Mitte Mai 1933 nach England aus, wo er eine Arztpraxis eröffnen wollte. Ihm war kurz zuvor seine Arbeitsstelle als Arzt in einer Berliner Klinik gekündigt worden. Die Begründung dafür war dieselbe wie für den Verweis seiner Schwester von der Universität: Jüdische Akademiker waren aus öffentlichen Einrichtungen in Deutschland auszuschließen. Manfred Altmann kannte England bereits von Verwandtenbesuchen und Urlaubsreisen, an denen auch Lotte teilgenommen hatte. Unter den gegebenen Umständen bestand er nun darauf, dass seine Schwester Deutschland so schnell wie möglich verlassen sollte. Ende Juni ließ Lotte sich einen Reisepass ausstellen und fuhr kurz darauf nach London, um Manfred und seine Familie zu besuchen, wie sie bei der Einreise angab. Sie bekam eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate und meldete sich im Whittingham College in Hove an der Kanalküste an, um ihr Englisch zu verbessern. Im September kehrte Lotte Altmann wieder nach London zurück und zog in das Haus ihres Bruders in der Willesden Lane. Eine Arbeit durfte sie auch nach der Verlängerung ihres Visums nicht annehmen, doch war sie bei der Organisation für Jüdische Flüchtlinge im Woburn House gemeldet, die half, mehr oder weniger inoffizielle Anstellungen zu vermitteln. So hätte Lotte wenigstens etwas zum Einkommen der Familie beitragen können, denn noch war es ihrem Bruder nicht gestattet worden, eine eigene Arztpraxis zu eröffnen. Außerdem kamen immer mehr Flüchtlinge aus Deutschland nach Großbritannien, und man musste darauf vorbereitet sein, bald die eigenen Eltern aufnehmen zu müssen, wenn sich die Lage in Frankfurt für sie verschlimmern sollte.
Ob Lotte Altmann je in ihrem Wunschberuf arbeiten und Bibliothekarin werden würde, war zu diesem Zeitpunkt mehr als ungewiss. Mit ihren Sprachkenntnissen in Deutsch, Englisch und Französisch hatte sie nicht die allerschlechtesten Chancen, eine kleinere Anstellung in einem fremden Land zu bekommen. Um ihre Fähigkeiten weiter auszubauen, beschäftigte sie sich mit Aktenführung und belegte einen Schreibmaschinenkurs. Vielleicht wäre es ja möglich, als Sekretärin zu arbeiten?
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
... weniger
Autoren-Porträt von Stefan Zweig
Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und lebte ab 1919 in Salzburg, bevor er 1938 nach England, später in die USA und schließlich 1941 nach Brasilien emigrierte. Mit seinen Erzählungen und historischen Darstellungen erreichte er weltweit in Millionenpublikum. Zuletzt vollendete er seine Autobiographie 'Die Welt von Gestern' und die 'Schachnovelle'. Am 23. Februar 1942 schied er zusammen mit seiner Frau »aus freiem Willen und mit klaren Sinnen« aus dem Leben. Oliver Matuschek, geboren 1971, studierte Politologie und Neuere Geschichte. Im Jahr 2008 war er Kurator der Ausstellung »Die drei Leben des Stefan Zweig« im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu Stefan Zweig, darunter: »Ich kenne den Zauber der Schrift. Katalog und Geschichte der Autographensammlung Stefan Zweig« (2005) und »Stefan Zweig. Drei Leben - Eine Biographie« (2006). Er gab u.a. die Briefe Zweigs an seine zweite Ehefrau Lotte heraus: »'Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte'« (2013).
Bibliographische Angaben
- Autor: Stefan Zweig
- 2013, 1. Auflage, 368 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,3 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Oliver Matuschek
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 359695004X
- ISBN-13: 9783596950041
- Erscheinungsdatum: 19.02.2013
Rezension zu „»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte« “
Zum besseren Verständnis bettet [...] Matuschek Zweigs Briefe an Lotte in einen fortlaufenden Kommentar ein [...]. Das gelingt so vorzüglich, dass daraus ein kleiner Briefroman entsteht. Oliver Pfohlmann Neue Zürcher Zeitung 20130810
Pressezitat
Zum besseren Verständnis bettet [...] Matuschek Zweigs Briefe an Lotte in einen fortlaufenden Kommentar ein [...]. Das gelingt so vorzüglich, dass daraus ein kleiner Briefroman entsteht. Oliver Pfohlmann Neue Zürcher Zeitung 20130810
Kommentar zu "»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte«"
Schreiben Sie einen Kommentar zu "»Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte«".
Kommentar verfassen