Im Sommer sterben
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Im Sommer sterben von Michael Theurillat
LESEPROBE
DerMann, der das Grün betrat und den kleinen weißen Ball aufhob, hatte in seinemLeben noch nie Golf gespielt. Er trug eine randlose Brille und Handschuhe ausdünnem Latex, wie es sich für einen Polizeibeamten von der Spurensicherung gehörte.Es war das erste Mal, dass er einen Golfball in den Händen hielt. Nachdem erden Fundort mit einem spitzen Holzstück markiert hatte, steckte er den Ball ineinen Plastikbeutel. Es war der einzige Fund an diesem Nachmittag, abgesehen vondem Toten, der hundertfünfzig Meter weiter oben lag. Der Anruf wegen des totenGolfers erreichte Kommissar Eschenbach kurz nach seiner Mittagspause. Er saßvor einem Berg Akten, den er schon seit Tagen unerledigt vor sich herschob; daneben stand ein Becher mit Espresso. Er hatteihn vom neu eröffneten Starbucks Café mitgenommen. »Einfacherschossen, am fünfzehnten Loch«, war die kurze Zusammenfassung von Elisabeth Kobler, der Polizeichefin des Kantons Zürich. »Fahren Siehin, und schauen Sie sich den Tatort mal an. Ich bin gerade bei RegierungsrätinSacher, wegen dieser Prügelei am Limmatplatz. Kommevielleicht später noch dazu.« »Schon gut«, brummte er. »Ich kümmere michdarum.« Der Espresso schmeckte scheußlich, zu süß, fand er, und der viel zugroße Styroporbecher passte dazu wie die Faust aufs Auge. »Und denken Sie dran,Eschenbach. Es sind alles piekfeine Leute dort. Nobler Club. Vielleicht bindenSie besser eine Krawatte um und halten Sie es lowkey.« »Selbstverständlich.« »Also, bis später.« »Bisspäter«, murmelte er und legte auf. Low key! In den letzten Wochen war das derLieblingsausdruck von Kobler gewesen. Seit die Pressewegen ein paar mutmaßlicher Verfehlungen der Polizei Dampf gegen seine Chefin machte,musste alles low keysein. Es wird schwierig, einen erschossenen Golfer in einem Nobel- Golfclubam Zürichsee low keyaussehen zu lassen, dachte er. Und überhaupt gingen ihm diese Anglizismenlangsam auf den Geist. Er öffnete seinen Schrank und nahm die orangefarbene Hermès-Krawatte heraus, die ihm seine Tochter letzten Monatzum Fünfzigsten geschenkt hatte. Er band sie um. »Nobler Club«, dachte er. Alsdas eine Ende zu lang geriet und über seinen Hosenbund reichte, löste er denKnoten und band sie erneut. Er sah in den Rasierspiegel in der Schranktür undfragte sich, ob ab fünfzig alles anders würde. Schlechter, älter oder grauer - oderalles zusammen. Als er damals mit achtunddreißig die Leitung der Kripoübernommen hatte, war er der jüngste Chef in der Geschichte der ZürcherKriminalpolizei gewesen. Inzwischen war sein dunkelbraunes Haar lichtergeworden; zumindest in den Ecken, fand er. Dafür hatte er kaum graue. Umgekehrtwäre es ihm lieber gewesen. Eschenbach zog eine Grimasse - dann schloss er die Schranktür.Seine Dienstwaffe würde er nicht brauchen; wenigstens das nicht. Dann fiel ihmein, dass sie noch beim Büchsenmacher war, und er gelegentlich dort anrufensollte. Er hasste das Ding, er überlegte lieber, als dass er schoss. Vielleichtauch deshalb, weil er das eine besser beherrschte als das andere. Er nahm seinJackett vom Stuhl, streifte es im Gehen über und verließ sein Büro. Im Gangbegegnete er Claudio Jagmetti, dem Praktikanten ausder Polizeischule, der ihm für den Sommer zugeteilt worden war. Er wies ihn an,den korrigierten Bericht auf seinem Schreibtisch neu zu verfassen. Dann ging erdie Treppe hinunter in die Tiefgarage und stieg in sein Auto. Eschenbach fuhrüber das Bellevue in Richtung Bürkliplatz. Links lagdas Seebecken. Die weißen Segel der Boote reflektierten das Sonnenlicht, und imHintergrund protzten die Alpen mit ewigem Schnee. Zusammen mit dem tiefblauenSommerhimmel eine Komposition in Blau und Weiß. Blau-weiß, die Farben vonZürich, dachte er. Es war Anfang Juli, und schon seit Wochen herrschtenTemperaturen wie sonst nur südlich der Alpen. Er lockerte seine Krawatte undnahm sie kurz darauf ganz ab. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Ander nächsten Ampel drehte er sich nach hinten und suchte im Jackett auf derRückbank seine Brissagos. Eschenbach liebte dieseknorrigen Zigarillos aus dem Tessin. Sie halfen ihm beim Denken. Er zündeteeine an und dachte an Corina. Sie war mit Kathrin ins Engadin gefahren, in dieWohnung der Schwiegereltern - drei Tage früher als geplant, weil man dieSommerferien vorverlegt und die Schule frühzeitig geschlossen hatte. Und dasalles wegen läppischer achtunddreißig Grad im Schatten. Weicheier, allesamt. Erhatte versprochen, übers Wochenende hochzufahren und sie zu besuchen. Es warkaum Verkehr auf der Seestraße. Eschenbach kam gut voran und erreichte dieEinfahrt zum Golfplatz in zwanzig Minuten. Platanen säumten den gepflegtenKiesweg, der hinauf zum Clubhaus führte. Eschenbach parkte seinen Volvo nebenzwei dunkelblauen Nobelkarossen, stieg aus und bemerkte, dass sein hellblauesHemd am Körper klebte und völlig durchgeschwitzt war. Schräg gegenüber bautenzwei ältere Damen in crème-weißen Karos ihre Caddywagen zusammen. Burberry-Look. Er kannte die Marke.Seine Tochter hatte auch eine solche Bluse, auf die sie mächtig stolz war. EinGeschenk von Corina. Karos sind mega, hatteman ihn aufgeklärt, total krass. Eschenbach fand das Muster lächerlich,irgendwie spießig und erinnerte sich schwach, dass seine Großmutter dieselbenKaros auch schon getragen hatte. Mit der Hand wischte er die Asche weg, die ihmauf seine sandfarbene Hose gefallen war. Die Damen in Karo musterten ihnargwöhnisch. Er grüßte freundlich und schritt - unbeeindruckt von der Arroganz,die ihm hier bereits auf dem Kiesplatz entgegenschlug - die Treppen hoch zumClubhaus. Die halb gerauchte Brissago steckte er inden Messingbehälter neben dem Eingang. »Sind Sie Mitglied?«, säuselte die Damehinter der Rezeption. »Eschenbach « Und mit gedämpfter Stimme: »Kripo Zürich. «Die junge Dame wich erschrocken zurück, fasste sich aber sofort wieder.Eschenbach beugte sich über die glatt lackierte Theke und flüsterte weiter:»Ich komme wegen des toten Golfers.« »Ja, ich weiß.« Aus dem nasalen Säuselnwar ein verschwörerisches Wispern geworden. »Einfach schrecklich. Ich rufeHerrn Aebischer. Das ist unser Clubmanager.« »Danke,ich warte draußen.« Eschenbach nahm die kalte Brissagowieder aus dem Messingbehälter, zündete sie erneut an und trat in die Sonne. Obwohles hochsommerlich warm war, fröstelte er. War es der Anflug einer Sommergrippe?Oder nur ein Unbehagen, das in ihm aufstieg? Die Golfbags,die vor dem Clubhaus standen, sahen aus wie stille Wachhunde. Er wartete. DieHecken waren fein säuberlich drapiert, und die Wege so exakt in die Landschaftgesetzt, als hätte ihnen ein Geometer den Marsch geblasen. Die Wiese war einRasen in eintönigem Grün. Man hatte einen zottigen Bären auf Pudel getrimmt; sojedenfalls kam es Eschenbach vor. Er zog an seinem Zigarillo. »Herr Kommissar?«Ein dürrer Herr in blauem Blazer kam in hastigen, kleinen Schritten aufEschenbach zu. Er stellte sich als der zuständige Manager der Golfanlage vor.In komplizierten Sätzen schilderte er, was sich ereignet hatte. Dass irgendwoda draußen, zwischen zwei Löchern, ein Toter lag, war das Einzige, was sichEschenbach merken konnte. Wilde Vermutungen über Querschläger, Militär,Jungschützen und dergleichen mischten sich mit Befürchtungen über möglicheImageschäden, die nun dem Club, ja dem Golfsport weltweit bevorstünden. Eschenbachlangweilten die Ausführungen. Er sehnte sich nach einem kühlen Bier. »Gibt eshier vielleicht etwas zu trinken?« Der Dürre im Blazer, der in seinemRedeschwall unterbrochen wurde, schaute ihn an, als hätte man ihn geradegeohrfeigt. »Ich hole Ihnen ein Wasser, und dann fahren wir zu Loch 15, zumToten. Ihre Kollegen arbeiten schon über eine Stunde und rekonstruieren denFall.« Der letzte Satz hatte etwas Vorwurfsvolles. (...)
© ClaassenVerlag
- Autor: Michael Theurillat
- 2005, 2, 335 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: CLAASSEN VERLAG
- ISBN-10: 3546003748
- ISBN-13: 9783546003742
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