In Stahlgewittern
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»Ernst Jüngers Bericht ,In Stahlgewittern', der erstmals 1920 mit dem Untertitel ,Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers' erschien, ist die mit Abstand bedeutendste, facettenreichste und einprägsamste Darstellung der entsetzlichen Erfahrungswirklichkeit des Ersten Weltkriegs aus der Hand eines deutschen Schriftstellers. Der bildkräftig eine epochale Erfahrung komprimierende Titel, der bald zum geflügelten Wort werden sollte, mag den Blick auf das Buch des noch unbekannten Autors gelenkt haben; immer wieder bestechend und dauerhaft faszinierend aber wirkt es durch die Eindringlichkeit und Genauigkeit seiner Schilderungen, zudem durch die persönliche Verbürgtheit des Dargestellten.«
Aus dem Nachwort von Helmuth Kiesel
Von der broschierten Ausgabe ist eine >> E-Book-Ausgabe lieferbar.
»'In Stahlgewittern' machte ihn zum Helden einer Generation junger Offiziere, die alles gegeben hatten und am Ende bestenfalls das Eiserne Kreuz davontrugen. Gide pries es als 'das schönste Kriegsbuch, das ich je las.' Tatsächlich ähnelt es keinem anderen Buch der damaligen Zeit - keine Spur von den pastoralen Meditationen eines Siegfried Sassoon oder Edmund Blunden, kein Anflug von Feigheit wie bei Hemingway, kein Masochismus wie bei T. E. Lawrence und kein Mitleid wie bei Remarque.«
Bruce Chatwin
Der Text dieser Ausgabe folgt Ernst Jüngers Fassung letzter Hand in den Sämtlichen Werken in 22 Bänden.
Der Zug hielt in Bazancourt, einem Städtchen der Champagne. Wir stiegen aus. Mit ungläubiger Ehrfurcht lauschten wir den langsamen Takten des Walzwerks der Front, einer Melodie, die uns in langen Jahren Gewohnheit werden sollte. Ganz weit zerfloß der weiße Ball eines Schrapnells im grauen Dezemberhimmel. Der Atem des Kampfes wehte herüber und ließ uns seltsam erschauern. Ahnten wir, daß fast alle von uns verschlungen werden sollten an Tagen, in denen das dunkle Murren dahinten aufbrandete zu unaufhörlich rollendem Donner - der eine früher, der andere später?
Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen. Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. Er schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen. »Kein schönrer Tod ist auf der Welt ...« Ach, nur nicht zu Haus bleiben, nur mitmachen dürfen!
»In Gruppenkolonne antreten!« Die erhitzte Phantasie beruhigte sich beim Marsch durch den schweren Lehmboden der Champagne. Tornister, Patronen und Gewehr drückten wie Blei. »Kurztreten! Aufbleiben dahinten!«
Endlich erreichten wir das Dorf Orainville, den Ruheort des Füsilierregiments 73, eins der ärmlichen Nester jener Gegend, gebildet durch fünfzig Häuschen aus Ziegel- oder Kreidestein um einen parkumschlossenen Herrensitz.
Das Treiben auf der Dorfstraße bot den an die Ordnung der Städte gewöhnten Augen einen fremden Anblick dar. Man sah nur wenige, scheue und zerlumpte Zivilisten; überall Soldaten in abgetragenen, zerschlissenen Röcken mit wettergegerbten, meist von großen Bärten umrahmten
Nachdem wir die erste Nacht in einer gewaltigen Scheune verbracht hatten, wurden wir im Hofe des Schlosses vom Regimentsadjutanten, dem Oberleutnant von Brixen, eingeteilt. Ich kam zur neunten Kompanie.
Unser erster Kriegstag sollte nicht vorübergehen, ohne uns einen entscheidenden Eindruck zu hinterlassen. Wir saßen in der uns zur Unterkunft angewiesenen Schule und frühstückten. Plötzlich dröhnte eine Reihe dumpfer Erschütterungen in der Nähe, während aus allen Häusern Soldaten dem Dorfeingang zustürzten. Wir folgten ihrem Beispiel, ohne recht zu wissen, warum. Wieder ertönte ein eigenartiges, nie gehörtes Flattern und Rauschen über uns und ertrank in polterndem Krachen. Ich wunderte mich, daß die Leute um mich her sich mitten im Lauf wie unter einer furchtbaren Drohung zusammenduckten. Das Ganze erschien mir etwas lächerlich; etwa so, als ob man Menschen Dinge treiben sähe, die man nicht recht versteht.
Gleich darauf erschienen dunkle Gruppen auf der menschenleeren Dorfstraße, in Zeltbahnen oder auf den verschränkten Händen schwarze Bündel schleppend. Mit einem merkwürdig beklommenen Gefühl der Unwirklichkeit starrte ich auf eine blutüberströmte Gestalt mit lose am Körper herabhängendem und seltsam abgeknicktem Bein, die unaufhörlich ein heiseres »Zu Hilfe!« hervorstieß, als ob ihr der jähe Tod noch an der Kehle säße. Sie wurde in ein Haus getragen, von dessen Eingang die Rote-Kreuz-Flagge herabwehte.
Was war das nur? Der Krieg hatte seine Kral
- Autor: Ernst Jünger
- 2014, 4. Aufl., 312 Seiten, Maße: 13,1 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Klett-Cotta
- ISBN-10: 3608960708
- ISBN-13: 9783608960709
- Erscheinungsdatum: 03.02.2014
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