Inselgäste
Roman. Aus d. Niederländ. v. Arne Braun
Die ''Dünenrose'' ist ein romantisches Häuschen auf einer Insel im Wattenmeer. Und jeder Gast hat seine eigene Geschichte: Studentin Sanne entdeckt, dass sie schwanger ist, ein verwitweter Mann hadert mit seinem Leben und Wim findet ihre große...
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Produktinformationen zu „Inselgäste “
Die ''Dünenrose'' ist ein romantisches Häuschen auf einer Insel im Wattenmeer. Und jeder Gast hat seine eigene Geschichte: Studentin Sanne entdeckt, dass sie schwanger ist, ein verwitweter Mann hadert mit seinem Leben und Wim findet ihre große Liebe.
Neugierig verfolgt die Putzfrau dieses Treiben.
Neugierig verfolgt die Putzfrau dieses Treiben.
Lese-Probe zu „Inselgäste “
Als er den Schlüssel ins Schloß steckte, überlief ihn ein Schauder, als ob er einem zu lange unterdrückten Harndrang nachgäbe. Es war fast soweit. Das einzige, was er noch tun mußte, war, zwei Briefe zu schreiben. Briefe, in denen stand, was er an diesem ersten Nachmittag auf der Insel alles gemacht, gesehen, erlebt hatte. Er brauchte nicht einmal ins Dorf zu gehen, um sie einzuwerfen. An der Kreuzung am Ende der Straße, neben der giftgrünen Telefonzelle, hatte er einen Briefkasten gesehen. Er würde sich alle Mühe geben, einen leichten Ton anzuschlagen, wenigstens ein paar Sätze aufs Papier zu bekommen, aus denen sie bei seiner Beerdigung zitieren konnten. Er wollte seine Kinder und Enkel nicht mit der Frage belasten, ob sie es hätten verhindern können. Und warum er sich nicht verabschiedet hatte? Wie konnte er nur? - gerade jetzt, da alle so erleichtert waren, daß er wieder einmal eine Woche wegfuhr, etwas zu wollen schien, ein Ziel hatte. Tod durch Ertrinken sollte man denken: ein ungeübter Schwimmer, von der Kälte benommen, von der Flut mitgerissen. Purer Übermut, keine Verzweiflungstat - eben gerade nicht. Wie kalt würde das Wasser sein? fragte er sich zum ersten Mal. So kalt wie ein Glas Whisky, wenn der Eiswürfel zu schmelzen beginnt, die Ecken runder werden? Er vertrug keine Kälte, hoffentlich würde sein Herz schnell versagen. Ohne eine Spur von Neugier betrat er das Haus. Lange würde er hier nicht bleiben, es war nur noch eine Frage von Stunden. Das erste, was ihm ins Auge fiel, war ein Zettel mit den Ankunfts- und Abfahrtzeiten der Fähre, der neben dem Spiegel im Flur hing. Er war hierhergekommen, um zu warten, nicht um sich einzugewöhnen, ein Bahnsteig war dies, mehr nicht. Erst als er seinen Koffer abstellte, begriff er, daß er den da nicht stehenlassen konnte. Er mußte sich wieder einmal entscheiden, für ein Zimmer, sich einrichten, denn das tut man normalerweise, wenn man sich irgendwo eine Woche aufhält. All seine Handlungen mußten, im nachhinein
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rekonstruiert, völlig alltäglich wirken. Er warf einen Blick auf die steile, weiß gestrichene Treppe. Hunderte, vielleicht Tausende Schritte hatten die Farbe in der Mitte der Stufen abgetreten, zu fast gleichförmigen Ovalen. Sollte er hochgehen, um nachzusehen, ob dort noch mehr Zimmer waren? Gerade von diesen ganzen Entscheidungen, den lieben langen Tag, war er in letzter Zeit hundemüde geworden. Aufstehen oder im Bett bleiben, die Werbeprospekte vor der Tür aufheben oder liegenlassen, das Telefon abnehmen oder klingeln lassen. Meistens blieb er lange im Bett und hörte, bei geschlossenen Vorhängen, Radio. Mit einem Philips-Weltempfänger, der seit dem Tod seiner Frau Johanna vor elf Monaten auf ihrem Kissen lag. Aber auch das Radio stellte er mit der Zeit auf eine Sprache ein, die er nicht verstand, oder so leise, daß er kaum hörte, was gesagt wurde. Die einzige Meldung aus dieser ganzen Flut von Berichten, die ihm in Erinnerung geblieben war, handelte von nichts, Luft, Schaumflocken: Forschungen hatten ergeben, daß man seine Muskeln auch trainieren konnte, indem man sich nur vorstellte, eine Übung zu machen. Das war gemessen worden. Auch bei jemandem, der sich nur einbildete, Gewichte zu stemmen, nahm der Muskelumfang zu. Er hatte sich noch einmal umgedreht und zufrieden die Augen geschlossen. Er konnte fortan ruhig im Bett bleiben und sich vorstellen, daß er aufstünde, duschte, frühstückte, sich anzöge, einen Spaziergang machte, Leute träfe. Und von all diesen Aktivitäten würde er berichten, wenn seine Kinder ihn abends anriefen und die rituelle Frage stellten: Und, was hast du heute gemacht? Er konnte am Leben teilnehmen, "wieder gut funktionieren", wie sein Schwiegersohn es nannte, während er tat, was er am liebsten tat: im Bett bleiben und sich nicht von der Stelle rühren. Nun mußte er aber wirklich eine Entscheidung treffen. Die Kleider, die er nie mehr tragen würde, in einem Schrank verstauen. Die Hosen nebeneinander auf Bügel hängen und die Oberhemden, für jeden Tag ein frisches. Unterhosen, Hemden, Pullover, Socken in die Fächer. Er hob seinen Koffer an und murmelte vor sich hin: "Was ein Mensch doch alles tun muß. Selbst jetzt, wo es mich schon fast nicht mehr gibt..." Er dachte nicht nach, sondern ging in ein Zimmer neben der Haustür, Es war eine kleine Kammer mit dunkelgrünen Blümchengardinen, einem Waschbecken und einem Spiegel, in dem er sein Gesicht sah, sein fast siebzigjähriges Gesicht, bleich und grünlich, als hätte er schon tagelang im Wasser gelegen. So würde er aussehen, wenn er wieder unten am Strand angespült werden würde oder auf einer anderen Insel, vielleicht gar in England an den Klippen von Dover. Er fuhr sich mit den Fingern durch das dünne, weiße Haar, das vom Seewind zerzaust war. Seine Tochter hatte es kurz vor seiner Abreise noch einmal nachgeschnitten, auch das Haar in seinen Ohren. "Man weiß ja nie, wem man begegnet." An seine Nasenhaare wagte sie sich nicht heran, das sollte er selbst tun. Er betastete sein Gesicht mit den Fingerspitzen: so mager würde es in ein paar Tagen nicht mehr sein, eher schwammig, aufgedunsen, lädiert vielleicht. Arme Tochter, die ihn im Leichenschauhaus identifizieren, müßte: Ist das Ihr vermißter Vater? Hoffentlich übernimmt An das, die ist robuster als Bea. Außerdem ist Bea alleinstehend, während An seit zwanzig Jahren mit Hans zusammen ist, der als Arzt schon Schlimmeres gesehen hat. Er zog die Vorhänge auf, versuchte, nicht mehr daran zu denken, wie sie erschrecken, sich die Hand vor den Mund schlagen, vielleicht gar würgen würde. Beschämt faßte er sich ans Kinn. Noch ehe er seinen Koffer ganz ausgepackt hatte, wußte er, daß keine Badehose darin war. Wenn er in Unterhose angeschwemmt werden würde, könnte man denken, er sei im Halbschlaf ins Meer gewankt. Er wollte in den Augen seiner Töchter nicht als Idiot dastehen. Es waren tadellose Unterhosen, ihre Mutter hatte sie noch ausgesucht. Nicht solche neumodischen Schlabbershorts, in denen das Geschlecht volle Bewegungsfreiheit hat, sondern enganliegende, hellblaue und weiße, die einem noch das Gefühl geben, einen Hintern zu haben. Trotzdem wollte er nicht in Unterhose gefunden werden. "Nein, nein", sagte er bestimmt und räusperte sich, um seine Heiserkeit zu vertreiben. Er war immer etwas heiser, wenn er lange nicht geredet hatte. Bis auf ein paar Worte mit dem Mann auf dem Parkplatz, wo sein Auto stand, mit der Frau, bei der er eine Rückfahrkarte für die Fähre gekauft hatte, und mit dem Busfahrer hatte er heute noch mit niemandem gesprochen. Er schüttelte den Kopf: eine Unterhose würde seine Töchter vielleicht nachdenklich stimmen. Sie wußten, daß er nicht der Typ war, der in Unterwäsche an den Strand geht, auch wenn es April war und sich abends fast niemand mehr am Wasser aufhielt. Nachdem er seinen Koffer ausgepackt, das Bett mit der Wäsche, an die ihn Bea im letzten Moment noch erinnert hatte, bezogen und einen sauberen Schlafanzug auf das Kissen gelegt hatte, warf er einen Blick ins Wohnzimmer. Dort, an dem runden Eßtisch mit der Blumenvase, würde er seine Briefe schreiben, nachher, wenn er zurück wäre aus dem Dorf. Er hängte die Plastiktüte mit dem Schreibblock, dem Stift, Umschlägen und Briefmarken an einen der vier Stühle und stellte den Ofen in der Ecke des Zimmers etwas höher. Zwei Stunden, länger würde er nicht brauchen, um die Briefe zu schreiben; danach würde er seine letzten Vorbereitungen treffen, die neue Badehose anziehen und im Bademantel warten, bis es dunkel war. Er stand schon im Flur, als er sich umdrehte, weil ihm jetzt erst bewußt wurde, was er auf dem Tisch gesehen hatte. Keine Kunstblumen, sondern echte, frische Blumen, gelb und lila, von denen Johanna zweifellos gewußt hätte oder hätte wissen wollen, wie sie heißen. Seine Töchter stellten ihm auch andauernd Blumen in die Wohnung, "damit sie etwas bewohnter aussieht". Wer hatte den Strauß dort hingestellt, die vorigen Mieter? Er nahm die Blumen aus der Vase und schaute sich nach einem Papierkorb um. Den Ofen hatte er auch kaum höher drehen müssen, wurde ihm nun klar. Das hatte schon jemand für ihn getan, jemand, der wollte, daß es bei seiner Ankunft behaglich im Zimmer war. "Ich will das alles nicht mehr." Er warf die Blumen in den Papierkorb. Obwohl er kein Geräusch hörte, oben oder hinter einer der verschlossenen Türen, hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. "Hallo", rief er. Er wartete einen Moment, räusperte sich: "Wer ist da?" Er ging auf den Flur und rief noch einmal, jetzt unten an der Treppe, kam sich vor wie ein Kind, das vor dem Schlafengehen schnell unter das Bett schaut. Außer dem Rauschen des Ofens hörte er nichts, doch die Stille beruhigte ihn nicht. Hatte er alles gut durchdacht, als er beschlossen hatte, ein Häuschen zu mieten, das nur eine Bedingung erfüllen mußte: daß es direkt am Meer lag? Er hatte sich etwas Kahleres, Unpersönlicheres vorgestellt. Keine Blumen auf dem Tisch. Nicht all die Spuren früherer Bewohner auf dem Sims. Nicht diese Zettel überall. Um allein zu sein, keine neugierigen Fragen beantworten zu müssen - darum hatte er lieber ein Ferienhaüs gewollt als ein Hotel. In so einem Häuschen gab es keinen Empfangschef, der abends gegen elf den Zimmerschlüssel am Brett hängen sieht und sich auf einmal daran erinnert, daß man vor einer reichlichen Stunde mit einem Handtuch über dem Arm durch die Drehtür verschwunden ist. Er ging zum Fenster, schob ein rotes Buch zur Seite, kniete sich auf die Bank und spähte hinaus. Das nächste Haus stand etwa dreißig Meter entfernt. Die blaue Jalousie vor dem Fenster war geschlossen, aber das hatte nichts zu sagen, es konnten noch Leute kommen. Samstag sei für die meisten Ferienhäuser Anreisetag, hatte das Fräulein vom Fremdenverkehrsamt ihm am Telefon gesagt, aber auf der Fähre heute früh um neun war es glücklicherweise nicht voll gewesen. Er schaute noch einmal zu der leeren Vase auf dem Tisch. Hoffentlich kam niemand, um zu fragen, ob alles zu seiner Zufriedenheit sei. Er wollte nicht gesehen werden in seinen letzten Stunden.
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Autoren-Porträt von Vonne van der Meer
Vonne van der Meer, geboren 1952, debütierte 1985, danach erschienen etliche Romane und Erzählbände.
Bibliographische Angaben
- Autor: Vonne van der Meer
- 2001, 196 Seiten, Maße: 13,2 x 22 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer
- ISBN-10: 3378006366
- ISBN-13: 9783378006362
Kommentar zu "Inselgäste"
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