Inspector Lynley Band 10: Undank ist der Väter Lohn
Ein berühmter Londoner...
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Ein berühmter Londoner Komponist begeht Selbstmord, und in einem gottverlassenen Moor werden die Leichen zweier junger Menschen gefunden. Seltsamerweise scheint es einen Zusammenhang zu geben.
Lynley und Havers gehen verschiedenen Spuren nach, können aber nicht umhin festzustellen, daß all ihre Theorien gravierende Lücken aufweisen. Letztendlich sind es die unkonventionellen Methoden von Barbara Havers, die einen Mörder ans Tageslicht befördern - und mehr als einen Schuldigen ...
Undank ist der Väter Lohn von Elizabeth George
LESEPROBE
JulianBritton war sich im klaren darüber, daß er bisher nichts aus seinem Lebengemacht hatte. Er züchtete Hunde, er verwaltete den Familiensitz, der kaum nochmehr war als eine bröckelnde Ruine, und er versuchte mit täglichen Vorträgen,seinen Vater vom Alkohol fernzuhalten. Das war auch schon alles. ZurMeisterschaft hatte er es einzig darin gebracht, Gin in den Ausguß zu kippen,und so fühlte er sich jetzt mit seinen siebenundzwanzig Jahren als völligerVersager. Aber heute abend durfte er nicht klein beigeben. Er mußte sichdurchsetzen.
Er begann mit den Vorbereitungen bei seiner äußeren Erscheinung. Vor demAnkleidespiegel in seinem Zimmer unterzog er sich einer gnadenlosen Musterung,zupfte seinen Hemdkragen gerade, schnippte einen Fussel von seiner Schulter.Stirnrunzelnd betrachtete er sein Gesicht und bemühte sich, den Ausdruck inseine Züge zu legen, den er am Abend zeigen wollte. Ernsthaftigkeit wäreangemessen, meinte er. Und auch eine gewisse Besorgnis, denn die warvertretbar. Aber keinesfalls durfte er den Anschein erwecken, mit einem innerenKonflikt zu kämpfen, und schon gar nicht durfte er aussehen, als sei er völligaus dem Lot. Und er durfte sich auf keinen Fall fragen, wie er gerade in diesemAugenblick, da sein Leben ein einziges Trümmerfeld war, dazu kam, dieses Wagniseinzugehen.
Zwei schlaflose Nächte und zwei endlose Tage hatten ihm reichlich Zeit gegeben,sich zu überlegen, was er sagen wollte. Und in der Tat hatte Julian den größtenTeil der beiden Nächte und Tage nach Nicola Maidens unglaublicher Enthüllungmit wohldurchdachten Phantasiegesprächen gefüllt, gerade mit so viel Besorgnisunterlegt, daß keiner auf den Gedanken kommen konnte, er fühle sich inirgendeiner Weise persönlich betroffen. Und nun, nach achtundvierzig Stundenununterbrochener Selbstgespräche, trieb es Julian, die Sache endlich auf denWeg zu bringen, auch wenn er keine Garantie dafür hatte, daß seinen Worten dasgewünschte Gewicht beigemessen würde.
Er wandte sich vom Spiegel ab und nahm seine Autoschlüssel von der Kommode. Diefeine Staubschicht, die sonst meist das mattglänzende Holz bedeckte, warentfernt worden. Samantha, seine Cousine, hatte sich also wieder einmal in einePutzorgie gestürzt, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie bei ihremwildentschlossenen Bemühen, seinem Vater das Trinken auszutreiben, erneutgescheitert war.
In ebendieser Absicht, ihren Onkel vor dem Alkohol zu retten, war Samantha voracht Monaten nach Derbyshire gekommen, ein guter Engel, der eines Tages inBroughton Manor erschien, um eine Familie wiederzuvereinen, die seit mehr alsdrei Jahrzehnten zerstritten war. Sie hatte in dieser Richtung allerdings kaumetwas erreicht, und Julian fragte sich, wie lange sie den Kampf noch weiterführenwürde.
»Wir müssen ihn trocken kriegen, Julie«, hatte Samantha erst an diesem Morgengesagt. »Dir muß doch klar sein, wie wichtig das gerade jetzt ist.«
Nicola andererseits, die seinen Vater seit acht Jahren kannte und nicht erstseit acht Monaten, vertrat schon lange den Standpunkt, ihn in Ruhe zu lassen.Mehr als einmal hatte sie gesagt: »Wenn dein Dad sich zu Tode trinken will,kannst du nichts dagegen tun, Jule. Und Sam genausowenig.« Aber Nicola hatte jaauch keine Ahnung, was das für ein Gefühl war, wenn man zusehen mußte, wie dereigene Vater langsam, aber sicher dem Alkohol verfiel und immer tiefer intrunkenen Wahnvorstellungen von einer romantischen Vergangenheit versank. Siewar in einer Umgebung groß geworden, wo die Dinge das waren, was sie zu seinschienen. Sie hatte Eltern, deren Liebe unerschütterlich war. Sie hatte nichtdie bittere Erfahrung machen müssen, zuerst von der Mutter im Stich gelassen zuwerden, weil die sich den »Blumenkindern« angeschlossen hatte und am Abend vordem zwölften Geburtstag ihres Kindes auf und davon war, um bei einem Guru inwallenden Gewändern zu »studieren«, und dann vom Vater, dessen Liebe zumAlkohol anscheinend stärker war als die Liebe zu seinen drei Kindern. Ja,dachte Julian, hätte Nicola sich auch nur einmal über die unterschiedlichenVerhältnisse, in denen sie beide aufgewachsen waren, Gedanken gemacht, so hättesie vielleicht erkannt, daß jede ihrer verdammten Entscheidungen -
Er dachte nicht weiter. Diese Gedanken würde er nicht zulassen. Er konnte essich nicht erlauben. Er durfte sich nicht von dem Vorhaben, das jetzt inAngriff genommen werden mußte, ablenken lassen.
»Jetzt hör mir mal zu!« Er nahm seine Brieftasche und schob sie ein. »Du bistfür jede gut genug. Sie hat Scheißangst gekriegt. Sie hat den falschen Weggenommen. Und damit basta. Behalt das im Kopf. Und denk dran, daß jeder weiß,wie gut ihr beide immer zueinander gepaßt habt.«
Daran glaubte er. Nicola Maiden war seit Jahren genauso ein Teil von JulianBrittons Leben wie er ein Teil von ihrem. Wer sie kannte, wußte längst, daß siezusammengehörten. Nicola war die einzige, die das offenbar nicht akzeptierte.
»Ich weiß ja, daß wir nicht verlobt sind«, hatte er ihr an dem Abend vor zweiTagen gesagt, als sie ihm eröffnet hatte, daß sie für immer aus dem PeakDistrict fort wolle und von nun an nur noch zu Kurzbesuchen zurückkehren würde.»Aber zwischen uns hat es doch immer eine stillschweigende Vereinbarunggegeben, oder nicht? Ich würde nicht mit dir schlafen, wenn ich das nicht ernstnähme Komm schon, Nick! Verdammt noch mal, du kennst mich doch!«
Es war nicht der Heiratsantrag, wie er ihn sich vorgestellt hatte, und sieinterpretierte seine Worte auch nicht so. Sie sagte sehr direkt: »Jule, ich magdich unheimlich gern. Du bist ein prima Kerl und warst mir immer ein echterFreund. Und bei uns läuft's gut, viel besser als es für mich je mit einemanderen gelaufen ist.«
»Ja, also dann -«
»Aber ich liebe dich nicht«, fuhr sie fort. »Sex ist nicht gleich Liebe. Dasist nur in Filmen und Büchern so.«
Im ersten Moment war er sprachlos vor Bestürzung. Es war, als hätte jemandjeden Gedanken in seinem Kopf gelöscht. Und als er schwieg, sprach sie weiter.
Sie würde, sagte sie, weiterhin seine Freundin im Peak District bleiben, wenner das wolle. Sie würde hin und wieder ihre Eltern besuchen kommen und sichgerne immer die Zeit nehmen, auch Julian zu sehen. Sie könnten, wenn er daswolle, auch in Zukunft miteinander schlafen. Ihr sei das recht. Aber heiraten?Dazu seien sie beide viel zu verschieden, erklärte sie.
»Ich weiß, wieviel dir daran liegt, Broughton Manor zu erhalten«, sagte sie.»Das ist dein Traum, und du wirst ihn wahrmachen. Aber mir bedeutet dieserTraum nichts, und ich bin nicht bereit, dich oder mich damit zu kränken, daßich so tue, als ob. Das ist keinem gegenüber fair.«
Und endlich sagte er in einem Moment der bitteren Klarheit: »Es geht doch nurum das gottverfluchte Geld. Und die Tatsache, daß ich keines habe oderjedenfalls nicht genug, um dir zu genügen.«
»Nein, Julian, das stimmt nicht. Nicht ganz.« Sie drehte sich halb herum, sodaß sie ihm ins Gesicht sehen konnte, und seufzte tief. »Ich will versuchen, esdir zu erklären.«
Er hatte sie angehört, stundenlang, wie ihm schien, obwohl sie wahrscheinlichkaum zehn Minuten gesprochen hatte. Und am Ende, als alles zwischen ihnengesagt war, als sie aus dem Rover gestiegen und im Schatten der Giebelverandavon Maiden Hall verschwunden war, war er wie im Schlaf nach Hause gefahren,betäubt von Schmerz, Verwirrung und ungläubiger Überraschung. Nein, hatte erimmer nur gedacht, nein, sie könnte doch nie sie kann nicht ernstlich neinNach der ersten schlaflosen Nacht war ihm in all seinem Schmerz klargeworden,daß er unbedingt etwas unternehmen mußte. Er hatte sie angerufen, und sie hatteeingewilligt, sich mit ihm zu treffen. Sie würde es niemals ablehnen, ihn zusehen, hatte sie gesagt.
Ehe er aus dem Zimmer ging, warf er einen letzten Blick in den Spiegel undgönnte sich ein letztes Wort der Selbstbestätigung. »Ihr habt euch immer gutverstanden. Vergiß das nicht.«
Dann ging er durch den düsteren oberen Korridor des Gutshauses und öffnete dieTür zu dem kleinen Raum, den sein Vater als Wohnzimmer benutzte. Dieangespannten finanziellen Verhältnisse der Familie hatten zu einem allgemeinenAuszug aus den größeren unteren Räumen geführt, die mit dem Verkauf antikerMöbelstücke, von Gemälden und Kunstgegenständen allmählich unbewohnbar gewordenwaren. Jetzt lebten die Brittons nur noch in der oberen Etage des Hauses.Zimmer waren genug da, aber sie waren klein und dunkel.
Jeremy Britton saß in seinem Wohnzimmer, offensichtlich volltrunken. Der Kopfwar ihm auf die Brust gesunken, und zwischen den Fingern seiner rechten Handverglühte eine Zigarette. Julian ging zu ihm und nahm ihm die Zigarette ab.Sein Vater rührte sich nicht.
Julian schüttelte resigniert den Kopf, als er ihn betrachtete: All seinVerstand, seine Kraft und sein Stolz waren ausgelöscht von der Sucht. EinesTages würde sein Vater noch das Haus abbrennen. Es gab Momente - wie eben jetzt-, da dachte Julian, ein vernichtender Brand wäre vielleicht sogar das Beste.Er drückte die Zigarette aus und nahm die Packung Dunhill und das Feuerzeug ausder Brusttasche seines Vaters. Dann packte er die Ginflasche und ging.
Er war gerade dabei, Gin, Zigaretten und Feuerzeug hinter dem Haus zum Müll zuwerfen, als er ihre Stimme hörte.
»Hast du ihn wieder erwischt, Julie?«
Er fuhr zusammen, schaute sich um, konnte sie aber im Halbdunkel nicht sehen.Bis sie aufstand. Sie hatte auf der Trockenmauer gesessen, die den hinterenZugang des Gutshauses vom ersten seiner verwilderten Gärten abgrenzte. Eineunbeschnittene Glyzinie, die mit dem nahenden Herbst die ersten Blätter zuverlieren begann, hatte sie verborgen. Sie klopfte sich den Staub von ihrenKhakishorts und ging ihm entgegen.
»Ich glaube langsam wirklich, daß er sich umbringen will«, sagte Samanthanüchtern, wie es ihre Art war. »Nur auf den Grund bin ich bis jetzt noch nichtgekommen.«
»Er braucht keinen Grund«, versetzte Julian kurz. »Nur das Mittel.«
»Ich versuche immer wieder, ihn von dem Zeug wegzukriegen, aber er hat überalletwas versteckt.« Sie starrte auf das dunkle Haus, das sich wie eine Festung inder Landschaft vor ihnen erhob. »Ich versuch's wirklich, Julian. Ich weiß, daßes wichtig ist.« Sie richtete ihren Blick wieder auf ihn und musterte seineKleidung. »Du hast dich ja richtig fein gemacht. Ich bin gar nicht auf die Ideegekommen, was Besonderes anzuziehen. Hätte ich das tun sollen?«
Julian sah sie verständnislos an, während er die Hände zu seiner Brust hob undauf der Suche nach etwas, von dem er wußte, daß es nicht da war, gegen seinHemd klopfte.
»Du hast's vergessen, stimmt's?« fragte Samantha, der es an Scharfsinn nichtmangelte.
Julian wartete auf eine Erklärung.
»Die Mondfinsternis«, sagte sie.
»Die Mondfinsternis?« Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Ach Gott! DieMondfinsternis. Mensch, Sam, die hatte ich wirklich ganz vergessen. Ist sieheute nacht? Gehst du irgendwohin, wo man sie besser sehen kann?«
Mit einer Kopfbewegung zu der Glyzinie, unter der sie eben hervorgekommen war,sagte sie: »Ich hab uns Proviant eingepackt. Käse, Obst, Brot und ein bißchenWurst. Und Wein. Ich dachte, falls wir länger warten müssen, als vermutet.«
»Warten? Ach, Mist, Samantha« Er wußte nicht, wie er es ihr sagen sollte. Erhatte nie den Eindruck erwecken wollen, daß er sich mit ihr zusammen dieMondfinsternis ansehen wollte.
»Hab ich mich im Tag geirrt?« Ihr Ton verriet ihre Enttäuschung. Sie wußteschon, daß sie sich nicht im Tag geirrt hatte und allein zum Eyam Moor würdehinausmarschieren müssen, wenn sie sich das große Ereignis von dort aus ansehenwollte.
Er hatte nur ganz beiläufig von der zu erwartenden Mondfinsternis gesprochen.Zumindest hatte er es beiläufig gemeint. »Vom Eyam Moor aus kann man sie gutsehen«, hatte er bemerkt. »Es soll ungefähr eine halbe Stunde vor Mitternachtpassieren. Interessierst du dich für Astronomie, Sam?«
Samantha hatte diese Bemerkung offensichtlich als Aufforderung interpretiert,und einen Moment lang ärgerte sich Julian über seine Cousine. Was die sicheinbildete! Aber er bemühte sich, seinen Unwillen zu verbergen, er war ihrimmerhin einiges schuldig. Mit dem Ziel, ihre Mutter und ihren Onkel - JuliansVater - miteinander zu versöhnen, kam sie nun seit acht Monaten regelmäßig zuausgedehnten Besuchen aus Winchester nach Broughton Manor. Und jeder Aufenthalthatte sich mehr in die Länge gezogen, soviel gab es für sie auf dem Gut zu tun,sei es die Renovierung des Hauses oder die Durchführung der Turniere, Feste undInszenierungen historischer Ereignisse. Julian organisierte sie auf demGutsgelände, um das Einkommen der Familie Britton aufzubessern. Er waraufrichtig dankbar für Samanthas Hilfe, zumal seine Geschwister ihrem Zuhause längstden Rücken gekehrt hatten und sein Vater keinen Finger gerührt hatte, seit erkurz nach seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag den Besitz geerbt und nichtsEiligeres zu tun gehabt hatte, als ihn mit seinen Hippiefreunden zu bevölkernund völlig vor die Hunde gehen zu lassen.
©Verlagsgruppe Random House
Autoren-Porträt von Elizabeth George
DieAmerikanerin Elizabeth George hatte von Jugend an ein ausgeprägtes Faible fürdie britische Krimitradition. Bereits in ihrem ersten Roman kombinierte siepsychologische Raffinesse mit einem unfehlbaren Sinn für Spannung und Dramatik:Gott schütze dieses Haus (dt. 1989) wurde mit mehreren namhaften Auszeichnungengewürdigt. Elizabeth George lebt in Huntington Beach, Kalifornien.
- Autor: Elizabeth George
- 2001, 736 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Dtsch. v. Mechtild Sandberg-Ciletti
- Übersetzer: Mechtild Sandberg-Ciletti
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442449820
- ISBN-13: 9783442449828
- Erscheinungsdatum: 13.03.2001
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