Kathryn Dance Band 3: Die Angebetete
Thriller. Deutsche Erstausgabe
Wenn Liebe zur Besessenheit wird, fühlt sie sich wie Hass an
Für die berühmte Sängerin Kayleigh Towne ist "Your Shadow" nur ihr neuester Hit. Für ihren glühendsten Fan enthält der Song jedoch eine geheime Botschaft -...
Für die berühmte Sängerin Kayleigh Towne ist "Your Shadow" nur ihr neuester Hit. Für ihren glühendsten Fan enthält der Song jedoch eine geheime Botschaft -...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Kathryn Dance Band 3: Die Angebetete “
Wenn Liebe zur Besessenheit wird, fühlt sie sich wie Hass an
Für die berühmte Sängerin Kayleigh Towne ist "Your Shadow" nur ihr neuester Hit. Für ihren glühendsten Fan enthält der Song jedoch eine geheime Botschaft - die sich ganz allein an ihn richtet. Um seinem Idol, seiner Angebeteten endlich nahe zu sein, muss er sich den Weg in ihr Herz erkämpfen und zerstören, was zwischen ihnen steht. Bereits mit dem ersten Mord steht für die psychologische Ermittlerin Kathryn Dance fest, dass es noch weitere Tote geben wird. Denn Stalker sind immer Wiederholungstäter.
Für die berühmte Sängerin Kayleigh Towne ist "Your Shadow" nur ihr neuester Hit. Für ihren glühendsten Fan enthält der Song jedoch eine geheime Botschaft - die sich ganz allein an ihn richtet. Um seinem Idol, seiner Angebeteten endlich nahe zu sein, muss er sich den Weg in ihr Herz erkämpfen und zerstören, was zwischen ihnen steht. Bereits mit dem ersten Mord steht für die psychologische Ermittlerin Kathryn Dance fest, dass es noch weitere Tote geben wird. Denn Stalker sind immer Wiederholungstäter.
Klappentext zu „Kathryn Dance Band 3: Die Angebetete “
Wenn Liebe zur Besessenheit wird, fühlt sie sich wie Hass anFür die berühmte Sängerin Kayleigh Towne ist "Your Shadow" nur ihr neuester Hit. Für ihren glühendsten Fan enthält der Song jedoch eine geheime Botschaft - die sich ganz allein an ihn richtet. Um seinem Idol, seiner Angebeteten endlich nahe zu sein, muss er sich den Weg in ihr Herz erkämpfen und zerstören, was zwischen ihnen steht. Bereits mit dem ersten Mord steht für die psychologische Ermittlerin Kathryn Dance fest, dass es noch weitere Tote geben wird. Denn Stalker sind immer Wiederholungstäter ...
Lese-Probe zu „Kathryn Dance Band 3: Die Angebetete “
Die Angebetete von Jeffery DeaverVon: noreply@kayleightownemusic.com
An: EdwinSharp18474@anon.com
Betreff: AW: Du bist die Beste!!!
2. Januar, 10.32 Uhr Hallo, Edwin! Danke für Deine E-Mail! Ich freue mich sehr, dass Dir mein neues Album gefällt! Deine Unterstützung bedeutet mir alles. Besuche auf jeden Fall mal meine Website und trage Dich für meinen Newsletter ein, dann bleibst Du über alle neuen Veröffentlichungen und Konzerttermine auf dem Laufenden. Vergiss auch nicht, mir bei Facebook und Twitter zu folgen. Und schau regelmäßig in Deinen Briefkasten. Ich habe Dir das Autogrammfoto geschickt, um das Du gebeten hast. XO, Kayleigh
Von EdwinSharp26535@anon.com
An: ktowne7788@compserve.com
Betreff: Unglaublich!!!!!
3. September, 05.10 Uhr Hallo, Kayleigh! Ich bin total hin und weg. Mir fehlen die Worte. Und Du kennst mich ja inzwischen ziemlich gut - es verschlägt mir nicht oft die Sprache!! Wie dem auch sei, es geht um Folgendes: Ich habe gestern Abend Dein neues Album heruntergeladen und mir »Your Shadow« reingezogen. Whoahhh! Das ist zweifellos der beste Song, den ich je gehört habe; der beste, der je geschrieben wurde. Er gefällt mir sogar noch besser als »It's Going to Be Different This Time«. Ich habe Dir ja schon erzählt, dass niemand außer Dir so gut zum Ausdruck bringt, was ich über Einsamkeit, das Leben und einfach alles empfinde. Und dieser Song macht das total. Und was noch wichtiger ist, ich verstehe, was Du sagst, wie Du um Hilfe bittest. Es ist nun alles klar. Keine Sorge. Du bist nicht allein, Kayleigh!! Ich werde Dein Schatten sein. Für immer. XO, Edwin
Von: Samuel.King@CrowellSmithWendall.com
An: EdwinSharp26535@anon.com Betreff:
WG: Unglaublich!!!!!
... mehr
3. September, 10.34 Uhr Sehr geehrter Mr. Sharp, Miss Alicia Sessions, die persönliche Assistentin unserer Mandantin Kayleigh Towne und ihres Vaters, Bishop Towne, hat Ihre E-Mail vom heutigen Morgen an uns weitergeleitet. Sie haben mehr als 50 E-Mails und Briefe geschickt, seit wir uns vor zwei Monaten mit Ihnen in Verbindung gesetzt und Sie dringend gebeten haben, jegliche Kontaktaufnahme mit Miss Towne sowie ihren Freunden und Angehörigen zu unterlassen. Es erfüllt uns mit großer Sorge, dass Sie Miss Townes private E-Mail-Adresse in Erfahrung gebracht haben (wenngleich diese unterdessen geändert wurde), und wir prüfen derzeit, gegen welche Staats- und Bundesgesetze Sie dadurch verstoßen haben könnten. Wir müssen Sie leider erneut darauf hinweisen, dass Ihr Verhalten unseres Erachtens vollkommen unangemessen ist und möglicherweise Anlass zu weiteren rechtlichen Schritten gibt. Wir legen Ihnen mit äußerstem Nachdruck nahe, diese Warnung ernst zu nehmen. Wie wir bereits mehrmals betont haben, wurden sowohl Miss Townes Sicherheitspersonal als auch die örtlichen Strafverfolgungsbehörden über Ihre wiederholten zudringlichen Kontaktversuche unterrichtet. Wir sind vollauf bereit, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diesem beunruhigenden Verhalten ein Ende zu setzen. Samuel King, Esq. Crowell, Smith & Wendall, Rechtsanwälte
Von: EdwinSharp26535@anon.com
An: KST33486@westerninternet.com
Betreff: Bis bald!!!
5. September, 23.43 Uhr Hallo, Kayleigh! Ich habe Deine neue E-Mail-Adresse. Ich weiß, was die vorhaben, aber keine Sorge, es wird alles gut. Im Moment liege ich im Bett und höre Dir zu. Ich fühle mich im wahrsten Sinne des Wortes wie Dein Schatten ... Und Du bist meiner. Du bist so wunderbar! Ich weiß nicht, ob Du schon Gelegenheit hattest, darüber nachzudenken - du bist sooooo beschäftigt, ich weiß! -, aber ich frage einfach noch mal: Es wäre echt cool, wenn Du mir eine Strähne von Deinem Haar schicken könntest. Ich weiß, dass Du es seit zehn Jahren und vier Monaten nicht mehr abgeschnitten hast (das ist eines der Dinge, die Dich so wunderschön machen!!!), aber vielleicht finden sich ja ein paar Haare in Deiner Bürste. Oder noch besser, auf Deinem Kissen. Ich werde sie für alle Zeit in Ehren halten. Das Konzert nächsten Freitag kann ich kaum noch erwarten. Bis bald. Auf ewig Dein, XO, Edwin
Sonntag
Das Herz eines Konzertsaals sind die Menschen.
Und wenn die riesige Halle - so wie hier gerade - dunkel und leer ist, verströmt sie eine fast greifbare Abneigung, eine Art Gleichgültigkeit.
Sogar Feindseligkeit.
Okay, reiß dich am Riemen, ermahnte Kayleigh Towne sich. Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen.
Sie stand auf der breiten verschrammten Bühne der Haupthalle des Fresno Conference Center, ließ den Blick ein weiteres Mal in die Runde schweifen und machte sich mit dem für sie typischen Perfektionismus an die Vorbereitung des für Freitag angesetzten Konzerts. Sie überdachte in immer neuen Variationen die Beleuchtung, die Bühnenshow und die Stellen, an denen die Bandmitglieder stehen und sitzen sollten. Wo sie sich am besten vorwagen, Fingerspitzen berühren und Kusshände verteilen konnte, ohne der Menge zu nahe zu kommen. Wo die beste Akustik für die Monitorboxen herrschen würde, damit die Band sich ohne Halleffekte und Rückkopplungen selbst hören konnte. Viele Künstler benutzten zu diesem Zweck mittlerweile In-Ear-Kopfhörer; Kayleigh mochte die Direktheit der traditionellen Bodenlautsprecher.
Es gab noch hundert andere Einzelheiten zu berücksichtigen. Sie war der Ansicht, dass jeder Auftritt perfekt sein sollte und dass jedes Publikum das Beste verdiente. Mehr als perfekt. Hundertzehnprozentig.
Immerhin war sie in Bishop Townes Schatten aufgewachsen.
Eine unpassende Wortwahl, merkte Kayleigh.
Ich werde Dein Schatten sein. Für immer ...
Zurück zu der Planung. Diese Show musste sich von der letzten hier - vor etwa acht Monaten - unterscheiden. Ein neu gestaltetes Programm war deshalb so wichtig, weil viele der Fans die Konzerte in Kayleighs Heimatstadt regelmäßig verfolgt haben würden, und sie wollte die Leute unbedingt überraschen. Es zählte zu den Besonderheiten von Kayleigh Townes Musik, dass ihr Publikum nicht ganz so groß war wie manch ein anderes, aber dafür treu wie ein Golden Retriever. Die Fans kannten die Liedtexte auswendig, kannten Kayleighs Gitarrenlicks, kannten ihre Bewegungen auf der Bühne und lachten über ihre Scherze, bevor sie die Zeilen beenden konnte. Die Leute lebten und atmeten ihre Auftritte, hingen an ihren Lippen, kannten Kayleighs Lebenslauf, ihre Vorlieben und Abneigungen.
Und einige wollten noch viel mehr wissen ...
Bei diesem Gedanken zogen sich ihr Herz und ihr Magen zusammen, als wäre sie mitten im Januar in den Hensley Lake gesprungen.
Bei dem Gedanken an ihn, natürlich.
Dann erstarrte sie und keuchte auf. Ja, da stand jemand am anderen Ende der Halle und beobachtete sie! Aus der Crew hatte niemand dort hinten zu tun.
Die Schatten bewegten sich.
Oder bildete sie sich das alles nur ein? Spielten ihre Augen ihr vielleicht einen Streich? Der liebe Gott hatte Kayleigh ein absolutes Gehör und eine engelsgleiche Stimme geschenkt. Dann hatte er beschlossen, dass das ausreichen musste, und mächtig bei ihrem Sehvermögen geknausert. Sie kniff die Augen zusammen und rückte die Brille zurecht. Ja, dahinten versteckte sich jemand. Er stand im Durchgang zum Lagerraum der Snackbar und wiegte sich vor und zurück.
Dann hörte die Bewegung auf.
Kayleigh kam zu dem Schluss, dass es wohl doch nichts gewesen war. Bloß ein Lichtreflex, ein Schattenspiel.
Andererseits hörte sie auch weiterhin ein beunruhigendes Klicken, Knacken und Knarren - von woher auch immer - und erschauderte in einem Anflug von Panik.
Er ...
Der Mann, der ihr Hunderte von E-Mails und Briefen geschrieben hatte - in vertrautem Tonfall, völlig verblendet -, über das Leben, das sie gemeinsam führen könnten, und verbunden mit der Bitte, sie möge ihm Haarsträhnen oder abgeschnittene Fingernägel zusenden. Der Mann, dem es bei einem Dutzend Shows irgendwie gelungen war, Nahaufnahmen von Kayleigh zu schießen, ohne dass er dabei jemals jemandem aufgefallen wäre. Der Mann, der sich vermutlich - wenngleich es nie einen konkreten Beweis dafür gegeben hatte - während der Tour in die Bandbusse oder Wohnmobile geschlichen hatte, um einzelne Kleidungsstücke von Kayleigh zu stehlen, darunter auch Unterwäsche.
Der Mann, der ihr Dutzende Fotos von sich selbst geschickt hatte: struppiges Haar, fett, in Kleidung, die ungewaschen aussah. Die Bilder waren seltsamerweise nie obszön, sondern eher familiärer Natur, was sie nur umso verstörender machte. Sie wirkten wie die Schnappschüsse, die ein Junge von unterwegs an seine Freundin schicken würde.
Er ...
Ihr Vater hatte vor Kurzem einen Leibwächter für sie engagiert, einen mächtigen Kerl mit rundem Kahlkopf, aus dessen Ohr gelegentlich ein Spiralkabel ragte und erkennen ließ, was seine Aufgabe war. Doch im Augenblick drehte Darthur Morgan draußen seine Runde und überprüfte die geparkten Fahrzeuge. Sein Sicherheitskonzept beinhaltete unter anderem die nette Idee, sich einfach regelmäßig zu zeigen, damit potenzielle Stalker lieber kehrtmachen und abhauen würden, als die Konfrontation mit einem Einhundertfünfzehn-Kilo-Mann zu riskieren, der wie ein mies gelaunter Rapper aussah (was er als Jugendlicher bestimmt auch gewesen war).
Kayleigh spähte abermals in den hinteren Teil der Halle - was die beste Stelle für ihn wäre, wenn er sie beobachten wollte. Dann biss sie die Zähne zusammen. Sie ärgerte sich über ihre Angst und noch mehr über ihr Unvermögen, die Beklemmung in den Griff zu bekommen und sich nicht länger ablenken zu lassen. Mach dich gefälligst wieder an die Arbeit, dachte sie.
Und wovor fürchtest du dich überhaupt? Du bist nicht allein. Die Band war zwar noch nicht in der Stadt - sie schloss gerade ein paar Studioaufnahmen in Nashville ab -, aber Bobby stand an dem riesigen Midas-XL8-Mischpult auf der Kontrollplattform im hinteren Teil der Halle, etwa sechzig Meter entfernt. Alicia bereitete die Probenräume vor. Zwei der bulligen Roadies aus Bobbys Truppe luden derweil die unzähligen Kisten aus dem Laster, um all die Werkzeuge und Requisiten und Sperrholzplatten und Ständer und Kabel und Verstärker und Instrumente und Computer und Stimmer zusammenzusetzen und aufzubauen - die paar Tonnen Ausrüstung eben, die auch eine mittelgroße Tourband wie die von Kayleigh benötigte.
Sie nahm an, dass einer der Jungs ihr zu Hilfe eilen würde, falls der Schatten dort tatsächlich er wäre.
Verdammt, hör endlich auf, mehr aus ihm zu machen, als er ist! Er, er, er - als hättest du Angst, auch nur seinen Namen auszusprechen. Als würdest du ihn dadurch heraufbeschwören.
Sie hatte schon andere besessene Fans gehabt, jede Menge sogar - welche großartige Singer-Songwriterin mit himmlischer Stimme würde nicht auch ein paar aufdringliche Bewunderer anziehen? Sie hatte zwölf Heiratsanträge von Männern erhalten, die ihr noch nie begegnet waren, und drei von Frauen. Ein Dutzend Paare wollten sie adoptieren, ungefähr dreißig halbwüchsige Mädchen wollten ihre beste Freundin sein, tausend Männer wollten sie zu einem Drink oder Abendessen einladen, manche in Ökorestaurants, andere in Luxushotels ... und zahllose Offerten boten ihr die Freuden einer Hochzeitsnacht, ohne sich vorher der Mühe einer Eheschließung zu unterziehen. He Kayleigh denk drüber nach denn ich besorgs dir besser als dus je gekriegt hast und übrigens hier is ein Bild von dem was dich erwartet ja das bin wirklich ich nicht schlecht oder???
(Es war eine ziemlich blöde Idee, ein solches Foto an eine damals siebzehnjährige Kayleigh zu schicken.)
Für gewöhnlich fand sie es amüsant, so viel Aufmerksamkeit zu erregen. Aber nicht immer und definitiv nicht in diesem Moment. Kayleigh schnappte sich unwillkürlich ihre Jeansjacke von einem nahen Stuhl und zog sie über ihrem T-Shirt an, um allen neugierigen Blicken noch weniger Angriffsfläche zu bieten. Und das, obwohl Fresnos charakteristische Septemberhitze die dunkle Halle in einen großen Schmortopf verwandelt hatte.
Wieder dieses Klicken und Klopfen aus dem Nichts.
»Kayleigh?«
Sie fuhr herum und versuchte sich den Schreck nicht anmerken zu lassen, obwohl sie im selben Moment die Stimme erkannte.
Eine kräftige Frau von etwa dreißig Jahren blieb mitten auf der Bühne stehen. Sie hatte kurzes rotes Haar und diverse Tätowierungen auf Armen, Schultern und Rücken, die durch das enge Tanktop nur teilweise verdeckt wurden. Die ebenfalls enge und hüftbetonte Jeans steckte in modischen Cowboystiefeln. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Alles okay?«
»Hast du nicht. Was gibt's?«, fragte sie Alicia Sessions.
Ein Nicken in Richtung des iPads in ihrer Hand. »Die sind gerade reingekommen. Probeabzüge der neuen Poster. Wenn wir sie noch heute in die Druckerei geben, sind sie bis zur Show auf jeden Fall fertig. Gefallen sie dir?«
Kayleigh beugte sich über den Bildschirm und nahm die Poster in Augenschein. In der heutigen Musikbranche ging es natürlich nur zum Teil um Musik. Wahrscheinlich war das schon immer so gewesen, vermutete sie, doch es kam ihr so vor, als würde der geschäftliche Teil ihrer Karriere mit wachsender Popularität viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als früher. Sie interessierte sich nicht besonders für diese Angelegenheiten und musste sich meistens auch nicht damit auseinandersetzen. Ihr Vater fungierte als ihr Manager, Alicia kümmerte sich um den täglichen Papierkram und die Termine, die Anwälte prüften die Verträge, und die Plattenfirma regelte die Details mit den Tonstudios, den CD-Presswerken, dem Einzelhandel und den Download-Portalen. Kayleighs langjähriger Produzent und Freund bei BHRC Records, Barry Zeigler, überwachte die technische Seite der Arrangements und Produktionen, und Bobby und die Crew übernahmen Aufbau und Durchführung der Shows.
Das alles geschah, damit Kayleigh Towne tun konnte, was sie am besten beherrschte: Lieder schreiben und sie singen.
Einer der wenigen geschäftlichen Aspekte, der ihr trotz allem wichtig war, betraf ihre Fans. Viele von ihnen waren jung oder besaßen nicht viel Geld, und damit sie den Abend des Konzerts in ganz besonderer Erinnerung behalten konnten, sollten sie dort preiswerte Andenken von angemessener Qualität erwerben können. Zum Beispiel Poster, T-Shirts, Schlüsselanhänger, Arm- oder Stirnbänder, Talismane, Songbooks, Rucksäcke ... und Kaffeebecher - für all die Mütter und Väter, die ihre Kinder zu den Konzerten und wieder nach Hause fuhren und außerdem die Tickets bezahlten.
Kayleigh musterte die Probeabzüge. Das Motiv war sie selbst mit ihrer liebsten Martin-Gitarre - keine von den großen Dreadnoughts, sondern eine kleinere 000-18, schon alt, mit einer schmucklosen vergilbten Decke aus Fichtenholz und einer eigenen Stimme. Das Foto war zugleich das Innenbild ihres neuesten Albums Your Shadow.
Er ...
Nein, hör auf.
Ihr Blick schweifte ein weiteres Mal über die Eingänge.
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte Alicia, in deren Stimme ein schwacher texanischer Akzent mitschwang.
»Ja.« Kayleigh widmete sich wieder den Postern, die alle das gleiche Foto mit unterschiedlicher Beschriftung und verschiedenen Hintergründen zeigten. Es war eine ungeschönte Aufnahme, die weitgehend dem Bild entsprach, das Kayleigh von sich selbst hatte: mit einem Meter achtundfünfzig kleiner, als es ihr lieb war, das Gesicht ein wenig lang, aber mit phänomenalen blauen Augen, vollen Wimpern und Lippen, hinter denen manche Reporter Kollagen vermuteten. Von wegen ... Ihr Markenzeichen, das goldblonde, ein Meter zwanzig lange Haar - nein, nicht geschnitten, nur gestutzt, und zwar seit zehn Jahren und vier Monaten - wallte in der künstlichen sanften Brise des großen Ventilators im Fotostudio. Dazu Designerjeans und eine dunkelrote Bluse mit Stehkragen. Ein kleines diamantbesetztes Kruzifix.
»Du musst den Fans das volle Programm liefern«, pflegte Bishop Towne zu sagen. »Und damit meine ich auch die Optik. Für Männer gelten dabei andere Maßstäbe als für Frauen, und es rächt sich, wenn man das ignoriert.« Er wollte sagen, dass ein Mann sich in der Welt der Countrymusic einen Look erlauben konnte, wie er für Bishop selbst kennzeichnend war: dicker Bauch, Zigarette, ein faltiges, knorriges Gesicht mit Bartstoppeln, ein zerknittertes Hemd, verschrammte Stiefel und eine verwaschene Jeans. Eine Frau hingegen, predigte er - obwohl er eigentlich »ein Mädchen« meinte -, müsse sich wie für eine Abendverabredung zurechtmachen. Was in Kayleighs Fall natürlich den Besuch eines kirchlichen Tanztees bedeutet hätte: Sie hatte ihre Karriere auf dem Image des netten Mädchens von nebenan aufgebaut. Sicher, die Jeans durften ein wenig enger sein, und die Blusen und Pullover durften ihre weiblichen Rundungen betonen, aber sie blieben immer hochgeschlossen. Das Make-up war dezent und vorwiegend in Rosatönen gehalten.
»Gib die Poster frei.«
»Mach ich.« Alicia schaltete das iPad aus und hielt kurz inne. »Ich habe aber noch nicht das Einverständnis deines Vaters eingeholt. «
»Die sind prima«, versicherte Kayleigh.
»Ja. Ich lege sie ihm nur schnell vor. Du weißt schon.«
Nun hielt Kayleigh kurz inne. Dann: »Okay.«
»Ist die Akustik hier gut?«, fragte Alicia, die früher selbst als Künstlerin aufgetreten war. Sie hatte eine ziemlich gute Stimme und liebte die Musik, was zweifellos der Grund war, weshalb sie für jemanden wie Kayleigh Towne arbeitete, obwohl die tüchtige, selbstsichere Frau als persönliche Assistentin eines Firmenchefs leicht das Doppelte hätte verdienen können. Sie hatte ihre Stelle im letzten Frühling angetreten und die Band hier noch nie live erlebt.
»Oh, der Sound ist erstklassig«, sagte Kayleigh mit Blick auf die hässlichen Betonwände. »Würde man gar nicht vermuten.« Sie erklärte, die Konstrukteure der Halle hätten damals in den 1960er-Jahren offenbar ganze Arbeit geleistet. Es gab viele Konzertsäle - darunter auch besonders exklusive, die für klassische Musik gedacht waren -, deren Erbauer nicht daran geglaubt hatten, ein Musikinstrument oder eine Stimme könne ohne bauliche Unterstützung von der Bühne aus auch noch den hintersten Sitzplatz erreichen. Also hatten die Architekten winkelförmige Oberflächen und frei stehende Elemente hinzugefügt, um die Lautstärke der Musik zu erhöhen, was zwar gelang, aber die Schallwellen gleichzeitig in alle möglichen Richtungen ablenkte. Das Resultat war der akustische Albtraum eines jeden Künstlers, nämlich ein Widerhall, bei dem Echo auf Echo folgte, was dem Publikum einen breiigen, bisweilen sogar buchstäblich falschen Klang zu Gehör brachte.
Hier, im bescheidenen Fresno, erläuterte Kayleigh nun Alicia , so wie ihr Vater es zuvor schon einmal ihr erläutert hatte, hatten die Konstrukteure hingegen auf die Kraft und Reinheit der Stimme, des Trommelfells, des Resonanzbodens, der Rohrflöte und der Saite vertraut. Sie wollte ihre Assistentin soeben auffordern, den Refrain eines ihrer Songs mit ihr anzustimmen, um einen anschaulichen Beweis der Akustik zu liefern - Alicia sang großartig die zweite Stimme -, als ihr auffiel, dass die Frau zum hinteren Teil der Halle schaute. Vielleicht war sie von dem wissenschaftlichen Vortrag gelangweilt. Doch dann runzelte Alicia die Stirn.
»Was ist denn?«, fragte Kayleigh.
»Sind nicht nur wir beide und Bobby hier?«
»Wie meinst du das?«
»Ich dachte, ich hätte gerade jemanden gesehen.« Sie streckte den Arm aus. Ihre Fingernägel waren schwarz lackiert. »Dahinten, in dem Durchgang.«
Genau an der Stelle, an der auch Kayleigh vor wenigen Minuten einen Schatten entdeckt zu haben glaubte.
Mit feuchter Hand berührte sie geistesabwesend ihr Telefon und starrte auf die sich kontinuierlich verändernden Schemen im hinteren Teil der Halle.
Ja ... nein. Sie konnte es einfach nicht sagen.
Dann zuckte Alicia die breiten Schultern, von denen eine von einer rot-grünen Schlangentätowierung geziert wurde. »Hm«, machte sie. »Wohl doch nicht. Was auch immer das war, es ist weg ... Okay, dann bis später. Um eins im Restaurant?«
»Ja, da sehen wir uns.«
Kayleigh hörte, wie die Stiefelschritte sich entfernten, wandte den Blick aber nicht von den schwarzen Durchgängen ab.
Dann flüsterte sie plötzlich wütend: »Edwin Sharp.«
Da. Ich habe seinen Namen gesagt.
»Edwin, Edwin, Edwin.«
Und jetzt, da ich dich heraufbeschworen habe, hör gut zu: Verschwinde gefälligst aus meinem Konzertsaal. Ich habe zu tun.
Dann wandte sie sich von dem finster gähnenden Durchgang ab, aus dem sie natürlich keine Menschenseele belauerte. Sie ging in die Mitte der Bühne und begutachtete die Klebeband- kreuze auf dem verstaubten Holzboden. Damit waren die Stellen markiert, an denen Kayleigh an verschiedenen Punkten des Konzerts stehen würde.
In diesem Moment rief jemand aus der Halle ihren Namen. »Kayleigh!« Es war Bobby, der nun hinter dem Mischpult zum Vorschein kam, dabei seinen Stuhl umwarf und sich gleichzeitig den Kopfhörer herunterriss. Er winkte ihr mit einer Hand zu und deutete mit der anderen auf einen Punkt über ihrem Kopf. »Vorsicht ...! Nein, Kayleigh!«
Sie schaute nach oben und sah einen der Scheinwerferriegel - eine mehr als zwei Meter lange Colortran-Batterie - aus der Aufhängung fallen und an einem dicken Stromkabel in Richtung der Bühne schwingen.
Kayleigh wich instinktiv zurück und stolperte über einen Gitarrenständer, an den sie nicht gedacht hatte.
Mit rudernden Armen kämpfte sie keuchend um ihr Gleichgewicht ...
Doch die junge Frau fiel hin und landete hart auf dem Steißbein. Die schwere Scheinwerferreihe schwang wie ein tödliches Pendel genau auf sie zu und wurde größer und größer. Kayleigh wollte sich panisch aufrappeln, wandte aber gleich wieder das Gesicht ab, weil die gleißenden Strahlen der Tausend-Watt- Birnen sie blendeten.
Dann wurde alles schwarz.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
3. September, 10.34 Uhr Sehr geehrter Mr. Sharp, Miss Alicia Sessions, die persönliche Assistentin unserer Mandantin Kayleigh Towne und ihres Vaters, Bishop Towne, hat Ihre E-Mail vom heutigen Morgen an uns weitergeleitet. Sie haben mehr als 50 E-Mails und Briefe geschickt, seit wir uns vor zwei Monaten mit Ihnen in Verbindung gesetzt und Sie dringend gebeten haben, jegliche Kontaktaufnahme mit Miss Towne sowie ihren Freunden und Angehörigen zu unterlassen. Es erfüllt uns mit großer Sorge, dass Sie Miss Townes private E-Mail-Adresse in Erfahrung gebracht haben (wenngleich diese unterdessen geändert wurde), und wir prüfen derzeit, gegen welche Staats- und Bundesgesetze Sie dadurch verstoßen haben könnten. Wir müssen Sie leider erneut darauf hinweisen, dass Ihr Verhalten unseres Erachtens vollkommen unangemessen ist und möglicherweise Anlass zu weiteren rechtlichen Schritten gibt. Wir legen Ihnen mit äußerstem Nachdruck nahe, diese Warnung ernst zu nehmen. Wie wir bereits mehrmals betont haben, wurden sowohl Miss Townes Sicherheitspersonal als auch die örtlichen Strafverfolgungsbehörden über Ihre wiederholten zudringlichen Kontaktversuche unterrichtet. Wir sind vollauf bereit, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diesem beunruhigenden Verhalten ein Ende zu setzen. Samuel King, Esq. Crowell, Smith & Wendall, Rechtsanwälte
Von: EdwinSharp26535@anon.com
An: KST33486@westerninternet.com
Betreff: Bis bald!!!
5. September, 23.43 Uhr Hallo, Kayleigh! Ich habe Deine neue E-Mail-Adresse. Ich weiß, was die vorhaben, aber keine Sorge, es wird alles gut. Im Moment liege ich im Bett und höre Dir zu. Ich fühle mich im wahrsten Sinne des Wortes wie Dein Schatten ... Und Du bist meiner. Du bist so wunderbar! Ich weiß nicht, ob Du schon Gelegenheit hattest, darüber nachzudenken - du bist sooooo beschäftigt, ich weiß! -, aber ich frage einfach noch mal: Es wäre echt cool, wenn Du mir eine Strähne von Deinem Haar schicken könntest. Ich weiß, dass Du es seit zehn Jahren und vier Monaten nicht mehr abgeschnitten hast (das ist eines der Dinge, die Dich so wunderschön machen!!!), aber vielleicht finden sich ja ein paar Haare in Deiner Bürste. Oder noch besser, auf Deinem Kissen. Ich werde sie für alle Zeit in Ehren halten. Das Konzert nächsten Freitag kann ich kaum noch erwarten. Bis bald. Auf ewig Dein, XO, Edwin
Sonntag
Das Herz eines Konzertsaals sind die Menschen.
Und wenn die riesige Halle - so wie hier gerade - dunkel und leer ist, verströmt sie eine fast greifbare Abneigung, eine Art Gleichgültigkeit.
Sogar Feindseligkeit.
Okay, reiß dich am Riemen, ermahnte Kayleigh Towne sich. Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen.
Sie stand auf der breiten verschrammten Bühne der Haupthalle des Fresno Conference Center, ließ den Blick ein weiteres Mal in die Runde schweifen und machte sich mit dem für sie typischen Perfektionismus an die Vorbereitung des für Freitag angesetzten Konzerts. Sie überdachte in immer neuen Variationen die Beleuchtung, die Bühnenshow und die Stellen, an denen die Bandmitglieder stehen und sitzen sollten. Wo sie sich am besten vorwagen, Fingerspitzen berühren und Kusshände verteilen konnte, ohne der Menge zu nahe zu kommen. Wo die beste Akustik für die Monitorboxen herrschen würde, damit die Band sich ohne Halleffekte und Rückkopplungen selbst hören konnte. Viele Künstler benutzten zu diesem Zweck mittlerweile In-Ear-Kopfhörer; Kayleigh mochte die Direktheit der traditionellen Bodenlautsprecher.
Es gab noch hundert andere Einzelheiten zu berücksichtigen. Sie war der Ansicht, dass jeder Auftritt perfekt sein sollte und dass jedes Publikum das Beste verdiente. Mehr als perfekt. Hundertzehnprozentig.
Immerhin war sie in Bishop Townes Schatten aufgewachsen.
Eine unpassende Wortwahl, merkte Kayleigh.
Ich werde Dein Schatten sein. Für immer ...
Zurück zu der Planung. Diese Show musste sich von der letzten hier - vor etwa acht Monaten - unterscheiden. Ein neu gestaltetes Programm war deshalb so wichtig, weil viele der Fans die Konzerte in Kayleighs Heimatstadt regelmäßig verfolgt haben würden, und sie wollte die Leute unbedingt überraschen. Es zählte zu den Besonderheiten von Kayleigh Townes Musik, dass ihr Publikum nicht ganz so groß war wie manch ein anderes, aber dafür treu wie ein Golden Retriever. Die Fans kannten die Liedtexte auswendig, kannten Kayleighs Gitarrenlicks, kannten ihre Bewegungen auf der Bühne und lachten über ihre Scherze, bevor sie die Zeilen beenden konnte. Die Leute lebten und atmeten ihre Auftritte, hingen an ihren Lippen, kannten Kayleighs Lebenslauf, ihre Vorlieben und Abneigungen.
Und einige wollten noch viel mehr wissen ...
Bei diesem Gedanken zogen sich ihr Herz und ihr Magen zusammen, als wäre sie mitten im Januar in den Hensley Lake gesprungen.
Bei dem Gedanken an ihn, natürlich.
Dann erstarrte sie und keuchte auf. Ja, da stand jemand am anderen Ende der Halle und beobachtete sie! Aus der Crew hatte niemand dort hinten zu tun.
Die Schatten bewegten sich.
Oder bildete sie sich das alles nur ein? Spielten ihre Augen ihr vielleicht einen Streich? Der liebe Gott hatte Kayleigh ein absolutes Gehör und eine engelsgleiche Stimme geschenkt. Dann hatte er beschlossen, dass das ausreichen musste, und mächtig bei ihrem Sehvermögen geknausert. Sie kniff die Augen zusammen und rückte die Brille zurecht. Ja, dahinten versteckte sich jemand. Er stand im Durchgang zum Lagerraum der Snackbar und wiegte sich vor und zurück.
Dann hörte die Bewegung auf.
Kayleigh kam zu dem Schluss, dass es wohl doch nichts gewesen war. Bloß ein Lichtreflex, ein Schattenspiel.
Andererseits hörte sie auch weiterhin ein beunruhigendes Klicken, Knacken und Knarren - von woher auch immer - und erschauderte in einem Anflug von Panik.
Er ...
Der Mann, der ihr Hunderte von E-Mails und Briefen geschrieben hatte - in vertrautem Tonfall, völlig verblendet -, über das Leben, das sie gemeinsam führen könnten, und verbunden mit der Bitte, sie möge ihm Haarsträhnen oder abgeschnittene Fingernägel zusenden. Der Mann, dem es bei einem Dutzend Shows irgendwie gelungen war, Nahaufnahmen von Kayleigh zu schießen, ohne dass er dabei jemals jemandem aufgefallen wäre. Der Mann, der sich vermutlich - wenngleich es nie einen konkreten Beweis dafür gegeben hatte - während der Tour in die Bandbusse oder Wohnmobile geschlichen hatte, um einzelne Kleidungsstücke von Kayleigh zu stehlen, darunter auch Unterwäsche.
Der Mann, der ihr Dutzende Fotos von sich selbst geschickt hatte: struppiges Haar, fett, in Kleidung, die ungewaschen aussah. Die Bilder waren seltsamerweise nie obszön, sondern eher familiärer Natur, was sie nur umso verstörender machte. Sie wirkten wie die Schnappschüsse, die ein Junge von unterwegs an seine Freundin schicken würde.
Er ...
Ihr Vater hatte vor Kurzem einen Leibwächter für sie engagiert, einen mächtigen Kerl mit rundem Kahlkopf, aus dessen Ohr gelegentlich ein Spiralkabel ragte und erkennen ließ, was seine Aufgabe war. Doch im Augenblick drehte Darthur Morgan draußen seine Runde und überprüfte die geparkten Fahrzeuge. Sein Sicherheitskonzept beinhaltete unter anderem die nette Idee, sich einfach regelmäßig zu zeigen, damit potenzielle Stalker lieber kehrtmachen und abhauen würden, als die Konfrontation mit einem Einhundertfünfzehn-Kilo-Mann zu riskieren, der wie ein mies gelaunter Rapper aussah (was er als Jugendlicher bestimmt auch gewesen war).
Kayleigh spähte abermals in den hinteren Teil der Halle - was die beste Stelle für ihn wäre, wenn er sie beobachten wollte. Dann biss sie die Zähne zusammen. Sie ärgerte sich über ihre Angst und noch mehr über ihr Unvermögen, die Beklemmung in den Griff zu bekommen und sich nicht länger ablenken zu lassen. Mach dich gefälligst wieder an die Arbeit, dachte sie.
Und wovor fürchtest du dich überhaupt? Du bist nicht allein. Die Band war zwar noch nicht in der Stadt - sie schloss gerade ein paar Studioaufnahmen in Nashville ab -, aber Bobby stand an dem riesigen Midas-XL8-Mischpult auf der Kontrollplattform im hinteren Teil der Halle, etwa sechzig Meter entfernt. Alicia bereitete die Probenräume vor. Zwei der bulligen Roadies aus Bobbys Truppe luden derweil die unzähligen Kisten aus dem Laster, um all die Werkzeuge und Requisiten und Sperrholzplatten und Ständer und Kabel und Verstärker und Instrumente und Computer und Stimmer zusammenzusetzen und aufzubauen - die paar Tonnen Ausrüstung eben, die auch eine mittelgroße Tourband wie die von Kayleigh benötigte.
Sie nahm an, dass einer der Jungs ihr zu Hilfe eilen würde, falls der Schatten dort tatsächlich er wäre.
Verdammt, hör endlich auf, mehr aus ihm zu machen, als er ist! Er, er, er - als hättest du Angst, auch nur seinen Namen auszusprechen. Als würdest du ihn dadurch heraufbeschwören.
Sie hatte schon andere besessene Fans gehabt, jede Menge sogar - welche großartige Singer-Songwriterin mit himmlischer Stimme würde nicht auch ein paar aufdringliche Bewunderer anziehen? Sie hatte zwölf Heiratsanträge von Männern erhalten, die ihr noch nie begegnet waren, und drei von Frauen. Ein Dutzend Paare wollten sie adoptieren, ungefähr dreißig halbwüchsige Mädchen wollten ihre beste Freundin sein, tausend Männer wollten sie zu einem Drink oder Abendessen einladen, manche in Ökorestaurants, andere in Luxushotels ... und zahllose Offerten boten ihr die Freuden einer Hochzeitsnacht, ohne sich vorher der Mühe einer Eheschließung zu unterziehen. He Kayleigh denk drüber nach denn ich besorgs dir besser als dus je gekriegt hast und übrigens hier is ein Bild von dem was dich erwartet ja das bin wirklich ich nicht schlecht oder???
(Es war eine ziemlich blöde Idee, ein solches Foto an eine damals siebzehnjährige Kayleigh zu schicken.)
Für gewöhnlich fand sie es amüsant, so viel Aufmerksamkeit zu erregen. Aber nicht immer und definitiv nicht in diesem Moment. Kayleigh schnappte sich unwillkürlich ihre Jeansjacke von einem nahen Stuhl und zog sie über ihrem T-Shirt an, um allen neugierigen Blicken noch weniger Angriffsfläche zu bieten. Und das, obwohl Fresnos charakteristische Septemberhitze die dunkle Halle in einen großen Schmortopf verwandelt hatte.
Wieder dieses Klicken und Klopfen aus dem Nichts.
»Kayleigh?«
Sie fuhr herum und versuchte sich den Schreck nicht anmerken zu lassen, obwohl sie im selben Moment die Stimme erkannte.
Eine kräftige Frau von etwa dreißig Jahren blieb mitten auf der Bühne stehen. Sie hatte kurzes rotes Haar und diverse Tätowierungen auf Armen, Schultern und Rücken, die durch das enge Tanktop nur teilweise verdeckt wurden. Die ebenfalls enge und hüftbetonte Jeans steckte in modischen Cowboystiefeln. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Alles okay?«
»Hast du nicht. Was gibt's?«, fragte sie Alicia Sessions.
Ein Nicken in Richtung des iPads in ihrer Hand. »Die sind gerade reingekommen. Probeabzüge der neuen Poster. Wenn wir sie noch heute in die Druckerei geben, sind sie bis zur Show auf jeden Fall fertig. Gefallen sie dir?«
Kayleigh beugte sich über den Bildschirm und nahm die Poster in Augenschein. In der heutigen Musikbranche ging es natürlich nur zum Teil um Musik. Wahrscheinlich war das schon immer so gewesen, vermutete sie, doch es kam ihr so vor, als würde der geschäftliche Teil ihrer Karriere mit wachsender Popularität viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als früher. Sie interessierte sich nicht besonders für diese Angelegenheiten und musste sich meistens auch nicht damit auseinandersetzen. Ihr Vater fungierte als ihr Manager, Alicia kümmerte sich um den täglichen Papierkram und die Termine, die Anwälte prüften die Verträge, und die Plattenfirma regelte die Details mit den Tonstudios, den CD-Presswerken, dem Einzelhandel und den Download-Portalen. Kayleighs langjähriger Produzent und Freund bei BHRC Records, Barry Zeigler, überwachte die technische Seite der Arrangements und Produktionen, und Bobby und die Crew übernahmen Aufbau und Durchführung der Shows.
Das alles geschah, damit Kayleigh Towne tun konnte, was sie am besten beherrschte: Lieder schreiben und sie singen.
Einer der wenigen geschäftlichen Aspekte, der ihr trotz allem wichtig war, betraf ihre Fans. Viele von ihnen waren jung oder besaßen nicht viel Geld, und damit sie den Abend des Konzerts in ganz besonderer Erinnerung behalten konnten, sollten sie dort preiswerte Andenken von angemessener Qualität erwerben können. Zum Beispiel Poster, T-Shirts, Schlüsselanhänger, Arm- oder Stirnbänder, Talismane, Songbooks, Rucksäcke ... und Kaffeebecher - für all die Mütter und Väter, die ihre Kinder zu den Konzerten und wieder nach Hause fuhren und außerdem die Tickets bezahlten.
Kayleigh musterte die Probeabzüge. Das Motiv war sie selbst mit ihrer liebsten Martin-Gitarre - keine von den großen Dreadnoughts, sondern eine kleinere 000-18, schon alt, mit einer schmucklosen vergilbten Decke aus Fichtenholz und einer eigenen Stimme. Das Foto war zugleich das Innenbild ihres neuesten Albums Your Shadow.
Er ...
Nein, hör auf.
Ihr Blick schweifte ein weiteres Mal über die Eingänge.
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte Alicia, in deren Stimme ein schwacher texanischer Akzent mitschwang.
»Ja.« Kayleigh widmete sich wieder den Postern, die alle das gleiche Foto mit unterschiedlicher Beschriftung und verschiedenen Hintergründen zeigten. Es war eine ungeschönte Aufnahme, die weitgehend dem Bild entsprach, das Kayleigh von sich selbst hatte: mit einem Meter achtundfünfzig kleiner, als es ihr lieb war, das Gesicht ein wenig lang, aber mit phänomenalen blauen Augen, vollen Wimpern und Lippen, hinter denen manche Reporter Kollagen vermuteten. Von wegen ... Ihr Markenzeichen, das goldblonde, ein Meter zwanzig lange Haar - nein, nicht geschnitten, nur gestutzt, und zwar seit zehn Jahren und vier Monaten - wallte in der künstlichen sanften Brise des großen Ventilators im Fotostudio. Dazu Designerjeans und eine dunkelrote Bluse mit Stehkragen. Ein kleines diamantbesetztes Kruzifix.
»Du musst den Fans das volle Programm liefern«, pflegte Bishop Towne zu sagen. »Und damit meine ich auch die Optik. Für Männer gelten dabei andere Maßstäbe als für Frauen, und es rächt sich, wenn man das ignoriert.« Er wollte sagen, dass ein Mann sich in der Welt der Countrymusic einen Look erlauben konnte, wie er für Bishop selbst kennzeichnend war: dicker Bauch, Zigarette, ein faltiges, knorriges Gesicht mit Bartstoppeln, ein zerknittertes Hemd, verschrammte Stiefel und eine verwaschene Jeans. Eine Frau hingegen, predigte er - obwohl er eigentlich »ein Mädchen« meinte -, müsse sich wie für eine Abendverabredung zurechtmachen. Was in Kayleighs Fall natürlich den Besuch eines kirchlichen Tanztees bedeutet hätte: Sie hatte ihre Karriere auf dem Image des netten Mädchens von nebenan aufgebaut. Sicher, die Jeans durften ein wenig enger sein, und die Blusen und Pullover durften ihre weiblichen Rundungen betonen, aber sie blieben immer hochgeschlossen. Das Make-up war dezent und vorwiegend in Rosatönen gehalten.
»Gib die Poster frei.«
»Mach ich.« Alicia schaltete das iPad aus und hielt kurz inne. »Ich habe aber noch nicht das Einverständnis deines Vaters eingeholt. «
»Die sind prima«, versicherte Kayleigh.
»Ja. Ich lege sie ihm nur schnell vor. Du weißt schon.«
Nun hielt Kayleigh kurz inne. Dann: »Okay.«
»Ist die Akustik hier gut?«, fragte Alicia, die früher selbst als Künstlerin aufgetreten war. Sie hatte eine ziemlich gute Stimme und liebte die Musik, was zweifellos der Grund war, weshalb sie für jemanden wie Kayleigh Towne arbeitete, obwohl die tüchtige, selbstsichere Frau als persönliche Assistentin eines Firmenchefs leicht das Doppelte hätte verdienen können. Sie hatte ihre Stelle im letzten Frühling angetreten und die Band hier noch nie live erlebt.
»Oh, der Sound ist erstklassig«, sagte Kayleigh mit Blick auf die hässlichen Betonwände. »Würde man gar nicht vermuten.« Sie erklärte, die Konstrukteure der Halle hätten damals in den 1960er-Jahren offenbar ganze Arbeit geleistet. Es gab viele Konzertsäle - darunter auch besonders exklusive, die für klassische Musik gedacht waren -, deren Erbauer nicht daran geglaubt hatten, ein Musikinstrument oder eine Stimme könne ohne bauliche Unterstützung von der Bühne aus auch noch den hintersten Sitzplatz erreichen. Also hatten die Architekten winkelförmige Oberflächen und frei stehende Elemente hinzugefügt, um die Lautstärke der Musik zu erhöhen, was zwar gelang, aber die Schallwellen gleichzeitig in alle möglichen Richtungen ablenkte. Das Resultat war der akustische Albtraum eines jeden Künstlers, nämlich ein Widerhall, bei dem Echo auf Echo folgte, was dem Publikum einen breiigen, bisweilen sogar buchstäblich falschen Klang zu Gehör brachte.
Hier, im bescheidenen Fresno, erläuterte Kayleigh nun Alicia , so wie ihr Vater es zuvor schon einmal ihr erläutert hatte, hatten die Konstrukteure hingegen auf die Kraft und Reinheit der Stimme, des Trommelfells, des Resonanzbodens, der Rohrflöte und der Saite vertraut. Sie wollte ihre Assistentin soeben auffordern, den Refrain eines ihrer Songs mit ihr anzustimmen, um einen anschaulichen Beweis der Akustik zu liefern - Alicia sang großartig die zweite Stimme -, als ihr auffiel, dass die Frau zum hinteren Teil der Halle schaute. Vielleicht war sie von dem wissenschaftlichen Vortrag gelangweilt. Doch dann runzelte Alicia die Stirn.
»Was ist denn?«, fragte Kayleigh.
»Sind nicht nur wir beide und Bobby hier?«
»Wie meinst du das?«
»Ich dachte, ich hätte gerade jemanden gesehen.« Sie streckte den Arm aus. Ihre Fingernägel waren schwarz lackiert. »Dahinten, in dem Durchgang.«
Genau an der Stelle, an der auch Kayleigh vor wenigen Minuten einen Schatten entdeckt zu haben glaubte.
Mit feuchter Hand berührte sie geistesabwesend ihr Telefon und starrte auf die sich kontinuierlich verändernden Schemen im hinteren Teil der Halle.
Ja ... nein. Sie konnte es einfach nicht sagen.
Dann zuckte Alicia die breiten Schultern, von denen eine von einer rot-grünen Schlangentätowierung geziert wurde. »Hm«, machte sie. »Wohl doch nicht. Was auch immer das war, es ist weg ... Okay, dann bis später. Um eins im Restaurant?«
»Ja, da sehen wir uns.«
Kayleigh hörte, wie die Stiefelschritte sich entfernten, wandte den Blick aber nicht von den schwarzen Durchgängen ab.
Dann flüsterte sie plötzlich wütend: »Edwin Sharp.«
Da. Ich habe seinen Namen gesagt.
»Edwin, Edwin, Edwin.«
Und jetzt, da ich dich heraufbeschworen habe, hör gut zu: Verschwinde gefälligst aus meinem Konzertsaal. Ich habe zu tun.
Dann wandte sie sich von dem finster gähnenden Durchgang ab, aus dem sie natürlich keine Menschenseele belauerte. Sie ging in die Mitte der Bühne und begutachtete die Klebeband- kreuze auf dem verstaubten Holzboden. Damit waren die Stellen markiert, an denen Kayleigh an verschiedenen Punkten des Konzerts stehen würde.
In diesem Moment rief jemand aus der Halle ihren Namen. »Kayleigh!« Es war Bobby, der nun hinter dem Mischpult zum Vorschein kam, dabei seinen Stuhl umwarf und sich gleichzeitig den Kopfhörer herunterriss. Er winkte ihr mit einer Hand zu und deutete mit der anderen auf einen Punkt über ihrem Kopf. »Vorsicht ...! Nein, Kayleigh!«
Sie schaute nach oben und sah einen der Scheinwerferriegel - eine mehr als zwei Meter lange Colortran-Batterie - aus der Aufhängung fallen und an einem dicken Stromkabel in Richtung der Bühne schwingen.
Kayleigh wich instinktiv zurück und stolperte über einen Gitarrenständer, an den sie nicht gedacht hatte.
Mit rudernden Armen kämpfte sie keuchend um ihr Gleichgewicht ...
Doch die junge Frau fiel hin und landete hart auf dem Steißbein. Die schwere Scheinwerferreihe schwang wie ein tödliches Pendel genau auf sie zu und wurde größer und größer. Kayleigh wollte sich panisch aufrappeln, wandte aber gleich wieder das Gesicht ab, weil die gleißenden Strahlen der Tausend-Watt- Birnen sie blendeten.
Dann wurde alles schwarz.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Jeffery Deaver
Jeffery Deaver gilt als einer der weltweit besten Autoren intelligenter psychologischer Thriller. Wie kaum ein anderer beherrscht der von seinen Fans und den Kritikern gleichermaßen geliebte Jeffery Deaver den schier unerträglichen Nervenkitzel, verführt mit falschen Fährten, überrascht mit blitzschnellen Wendungen und streut dem Leser auf seine unnachahmliche Art Sand in die Augen. Seit dem ersten großen Erfolg als Schriftsteller hat er sich aus seinem Beruf als Rechtsanwalt zurückgezogen und lebt nun abwechselnd in Virginia und Kalifornien. Seine Bücher, die in 25 Sprachen übersetzt werden und in 150 Ländern erscheinen, haben ihm bereits zahlreiche renommierte Auszeichnungen eingebracht. Die kongeniale Verfilmung seines Romans "Die Assistentin" unter dem Titel "Der Knochenjäger" (mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen) war weltweit ein sensationeller Kinoerfolg und hat dem faszinierenden Ermittler- und Liebespaar Lincoln Rhyme und Amelia Sachs eine riesige Fangemeinde erobert.Thomas Haufschild, geboren 1967, arbeitet seit 1991 als Übersetzer und hat alle Romane von Eliot Pattison ins Deutsche übertragen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jeffery Deaver
- 2013, 1, 576 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Haufschild, Thomas
- Übersetzer: Thomas Haufschild
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764504706
- ISBN-13: 9783764504700
- Erscheinungsdatum: 22.04.2013
Rezension zu „Kathryn Dance Band 3: Die Angebetete “
"Packendes Psychospiel, das der US-Starautor mit Insiderwissen aus der Musikbranche aufpeppt." Hörzu
Kommentare zu "Kathryn Dance Band 3: Die Angebetete"
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