Lockruf Saudia
Meine Erlebnisse im Hostessen-Camp
Die junge Schweizerin Teresa kommt ins Stewardessen-Camp der Saudi Arabian Airlines. Sie muss boshafte Intrigen der Kolleginnen aushalten und hat nur Anspruch auf ein bisschen Freiheit, wenn sie sich mit den Scheichs einlässt. Fesselnd schildert sie ihre Zeit in der arabischen Wüste.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Lockruf Saudia “
Die junge Schweizerin Teresa kommt ins Stewardessen-Camp der Saudi Arabian Airlines. Sie muss boshafte Intrigen der Kolleginnen aushalten und hat nur Anspruch auf ein bisschen Freiheit, wenn sie sich mit den Scheichs einlässt. Fesselnd schildert sie ihre Zeit in der arabischen Wüste.
Klappentext zu „Lockruf Saudia “
Für die junge Schweizerin Teresa geht ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung: Sie darf als Flugbegleiterin bei Saudi Arabian Airlines anfangen und ins Stewardessen-Camp Jeddah ziehen. Doch hinter den Mauern des Camps sieht die Realität ganz anders aus: Ihre Kolleginnen spinnen perfide Intrigen, von der arabischen Religionspolizei wird sie auf Schritt und Tritt überwacht, und ein bisschen Freiheit winkt Teresa nur, wenn sie sich wie die anderen Stewardessen mit den mächtigen und reichen Scheichs einlässt.In diesem authentischen und bewegenden Buch schildert Teresa Fortis ihre Erfahrungen als Flugbegleiterin und erzählt von ihrer aufregenden Zeit in der arabischen Wüste.
Lese-Probe zu „Lockruf Saudia “
Lockruf Saudia von Teresa Fortis Erster Teil
1
Liebe Air-Hostess-Kandidatin,
die Vorstellungsgespräche für Air-Hostessen der Saudi Arabian
Airlines finden ab dem 3. November 1981 im Sheraton
Istanbul Hotel statt. Sie werden ersucht, sich am Dienstag,
den 3. November um 9.20 Uhr beim Empfang zu melden.
Aufgrund dieses Telegramms flog ich an Allerheiligen nach
Istanbul. Hier war sie, die Berufschance, die ich mir
wünschte und mir keinesfalls entgehen lassen wollte.
Dezent geschminkt, in tannengrüner Rüschenbluse sowie
einem biederen weißen Rock und hohen Lederstiefeln, wollte ich
die richtige Mischung aus gepflegtem Äußeren und Verlässlichkeit
für meinen Auftritt vor dem saudischen Komitee ausstrahlen.
Als ich nun in einer Besuchernische des Hotels auf den Vorstellungstermin
wartete, traf mich der Blick einer jungen Frau.
Sie sah bleich und mager aus, ein Schatten ihrer selbst.
»Entschuldigung«, fragte sie in gebrochenem Englisch, nachdem
sie mich zuvor vergeblich auf Türkisch angesprochen hatte,
»bist du vielleicht wegen des Jobs als Flugbegleiterin hier?«
... mehr
Als ich bejahte, kicherte sie leicht verlegen und verriet, dass
auch sie deswegen hier sei.
»Ich male mir wenige Chancen aus. Ich komme direkt aus
Anatolien. Ich habe die ganze Nacht im Bus verbracht. Jetzt bin
ich müde. Mein Englisch ist schlecht. Ich fürchte, die werden
mich wieder heimschicken.«
Ich bedachte das matte Geschöpf mit einem aufmunternden
Lächeln. Ihre Selbsteinschätzung hielt ich für durchaus realistisch,
sie machte körperlich keinen sonderlich belastbaren Eindruck.
Auf unserer Etage hoch über der Stadt ging eine Tür. Der
dicke Teppich schluckte die Schritte der Sekretärin, die sich hinter
uns näherte, um mich als nächste Kandidatin aufzurufen.
»Chancenlos« war auf ihrem weichen Fauteuil schon wieder
eingenickt, als ich der Sekretärin folgte.
»Was wissen Sie über Saudi-Arabien?«
Der untersetzte, bebrillte Herr, der mir diese Frage stellte,
war Vorsteher eines vierköpfigen Männergremiums, das meine
Zeugnisse und Diplome und die notariell beglaubigten Kopien
auf Englisch vor sich ausgebreitet hatte.
»In politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht, Sir?«
»Nun, ganz allgemein.«
Ich fi ng etwas unsicher mit Öl und Wüste an; Gemeinplätze,
die jeder Fremde sofort mit Arabien in Verbindung bringt,
erwähnte die Staatsform, die geographische Lage und hörte
mich sagen: »Die Hauptstadt heißt Jeddah.«
Verwunderte Gesichter meiner Gegenüber machten mir meinen
Lapsus bewusst. Ich beeilte mich, meinen Fehler zu korrigieren.
Ȁh, ich meine Riad. Jeddah ist eine wichtige Hafenstadt
am Roten Meer.«
Die Gesichter der vier westlich gekleideten Herren hinter
dem Edelholztisch glätteten sich wieder, und ich erzählte, was
mir über Mekka und Medina noch einfiel, und schloss mit:
»Saudi-Arabien ist das heilige Land für alle Muslime.«
Mr. Al Majeed forderte mich höflich auf, zur Tür zu gehen, so
dass mein Gang begutachtet werden konnte. Ich wurde gemessen
(170 cm) und gewogen (53 kg). Mr. Al Majeed warf über den
Brillenrand hinweg einen prüfenden Blick auf meine Kleidung
und verbesserte: »Fünfzig Kilo.«
Das Vorstellungsgespräch neigte sich nach einer halben
Stunde dem Ende zu, und die Herren berieten sich kurz auf
Arabisch. Offenbar wollten sie sich hier und jetzt über meine
Kandidatur einigen.
»Im Namen unseres gütigen Königs Khalid bin Abdul Aziz
Al Saud haben wir beschlossen, Sie, Miss Fortis, als Trainee-
Hostess einzustellen«, wandte sich Mr. Al Majeed wieder an
mich und steckte mir einen prallgefüllten Umschlag im C4-Format
zu: »Füllen Sie bitte diese Formulare bis übermorgen aus
und übergeben Sie diese unserer Sekretärin Miss Utra vom
Saudia Offi ce. Voraussichtlich Mitte Dezember fängt Ihr Training
in Jeddah an. Alles Weitere erfahren Sie ebenfalls von Miss
Utra. Wir gratulieren Ihnen.«
Ein heißes, unbändiges Triumphgefühl durchflutete mich, als
ich das »Sheraton« verließ. Am liebsten hätte ich Luftsprünge
vollführt wie ein wildes Pony. Den Job hatte ich in der Tasche,
und ein Leben mit Reisen und voller Abenteuer konnte beginnen!
Ich war bereit, dieses ungewöhnliche und hoffentlich
abwechslungsreiche Leben, das mir diese Arbeit verhieß, in seiner
ganzen Fülle zu ergreifen und auszukosten.
* * *
Ich riss den Wagenschlag zu Gemals Taxi auf, der mich zwei
Tage zuvor vom Flughafen in die Stadt mitgenommen hatte und
seither eifersüchtig bewachte. Gemals Deutschkenntnisse waren
rudimentär, und jede Unterhaltung mit ihm ein mühsames und
zähflüssiges Unterfangen.
»Fahren Sie mich an den Bosporus, Gemal! Wir wollen
blauen Fisch essen gehen, es gibt etwas zu feiern!«
Tags zuvor hatte er mir den Topkapi-Palast gezeigt. Wir saßen
auf einer verwitterten Steinterrasse mit traumhafter Aussicht
auf die Stadt und den Fluss im pastellfarbenen Novemberlicht.
Ich ließ die Stimmung auf mich wirken: »Hier könnte ich stundenlang
verweilen.«
»Später sehen Topkapi von innen. Hat sehr schöne Schmuck
und Barthaar von Prophet.«
»Das muss ich natürlich sehen.«
»Kann ich etwas fragen?«
»Bitte.«
»Sie sind Frau oder Fräulein?«
»Frau, natürlich.«
»Dann haben schon Mann?«
»Nö.«
»Dann Sie sind Fräulein.«
Ich insistierte: »Ich bin schon 24. Ich bin eine Frau, ganz
unabhängig von meinem Zivilstand.«
Das verstand er natürlich nicht. »Wenn nicht haben Mann,
dann Fräulein.«
Ich begriff endlich, worauf er hinauswollte. Frau oder Fräulein,
Jungfrau oder nicht.
»Na gut, dann eben Fräulein«, sagte ich schnell.
Eine lange Gesprächspause entstand. Ich genoss die Aussicht
und konnte es noch immer nicht so recht fassen, dass ich jetzt, als
wäre das alles ganz selbstverständlich, hier in Istanbul auf einer
sonnigen Steinterrasse saß, statt in Zürich Bahnbillette zu verkaufen.
Gemal brachte sich mit einem Räuspern wieder in Erinnerung
und wollte wissen, weshalb ich noch nicht verheiratet war.
»Keine Lust. Ich fühle mich zu jung dazu. Und Sie Gemal?«
»Ich Taxifahrer. Die Mädchen nicht wollen Taxifahrer. Heirat
kost viel Geld. Kein schöne Wohnung. Leben mit Mutter. Auch
nicht schön im Gesicht. Große Nas.«
Das leuchtete mir ein. »Das tut mir leid«, murmelte ich verlegen
und ärgerte mich insgeheim, das es mir nicht gelang, dem
Gespräch eine unverfängliche Richtung zu geben. Er schaute
mich mit traurigem Hundeblick an. »Ich gefalle Sie auch nicht,
weil nicht schön, große Nas.«
»Hören Sie Gemal, ob mir Ihre Nase gefällt oder nicht, ist
doch total unwichtig. Auf jeden Fall ist sie Ihnen beim Taxifahren
nicht im Weg. Können Sie mich morgen früh um acht Uhr
zum Hotel Sheraton fahren?«
»Ich da sein.«
»Ich verlasse mich auf Sie.«
Als ich alle Formulare ausgefüllt und auch einer Forderung von
fünfzig aktuellen Passfotos Genüge getan hatte, stand eigentlich
auch schon der Abreisetag bevor.
»Sie können jetzt nicht gehen«, sagte Miss Utra, »Sie sind
doch selektioniert und müssen nächsten Sonntag am Informationsabend
im Ballsaal des Sheraton-Hotels teilnehmen.«
»Aber wenn ich bis Sonntag hier bleibe, verliert mein Rückflug-
ticket seine Gültigkeit.«
»Sie müssen hier bleiben, nach dem Informationsabend am
achten November haben Sie einen Termin im American Hospital
am elften.«
»Aber das ist ja erst in einer Woche! Kann ich mich nicht
auch in der Schweiz untersuchen lassen?«
»Ich glaube, das geht nicht. Dort gibt es keinen von Saudia
akkreditierten Arzt. Sie müssen sich hier im American Hospital
untersuchen lassen. Was Ihr Ticket anbelangt, so lassen Sie es
hier, ich werde sehen, was sich machen lässt.«
Ich klaubte mein Ticket aus der Tasche und legte es auf Miss
Utras Schreibtisch. Da ich jetzt noch eine Woche länger als vorgesehen
in Istanbul bleiben musste, würde mein Bargeld gerade
noch zum Begleichen der Hotelrechnung ausreichen. Darüber
hinaus blieb mir nur noch die Wahl zwischen nichts mehr essen
oder mich einladen lassen.
Gleich beim Abholen des Zimmerschlüssels an der Hotelrezeption
erhielt ich die erste Einladung. Der Rezeptionist Fahri,
der nicht nur gut aussah, sondern auch gut Deutsch sprach, lud
mich zu einer türkischen Hochzeitsfeier am Marmarameer ein,
wo er als Sänger auftreten sollte.
Ich erlebte ein unterhaltsames, emotionsgeladenes Hochzeitsfest,
das mit gesanglichen und bauchtänzerischen Darbietungen
seinen Auftakt nahm und lautstark feuchtfröhlich leider
viel zu früh enden musste. Schuld daran war die verhängte
Ausgangssperre, da die Türkei seit dem letzten, einige Monate
zurückliegenden Militärputsch noch immer unter Kriegsrecht
stand.
Soldaten mit geschultertem Maschinengewehr standen in
Istanbul an jeder strategisch wichtigen Stelle; vor jedem öffentlichen
oder staatlichen Gebäude und an jeder Straßenkreuzung.
Passanten hatten sich unauffällig zu verhalten, durften sich nicht
in Gruppen zusammenfinden und mussten jedem militärischen
Befehl auf der Stelle Folge leisten. Die Ordnungshüter hatten
Schießbefehl.
Es passierte an einem regnerischen, düsteren Nachmittag.
Ich war mit Fahri auf der Millet Caddesi verabredet und hatte
gerade zwei bewaffnete Militärs passiert, als diese mir in den
Rücken schrien, ich solle sofort stehen bleiben. Ich gefror auf
der Stelle.
Ein Schwall Türkisch prasselte auf mich nieder. Ich hob
abwehrend die Hände: »Yok türk! Ich verstehe nichts, sprechen
Sie Deutsch? Englisch? Französisch?«
Es stellte sich heraus, dass mich die beiden Rambos nur aus
Neugierde angehalten hatten. Sie wollten wissen, woher ich
kam, was ich hier tat, und hätten gerne noch viel mehr gefragt,
wäre ihnen nicht die Sprachbarriere im Wege gewesen.
In dem Moment kam der Taxifahrer Gemal auf uns zu. Ich muss
wohl ziemlich verdutzt dreingesehen haben, war ich doch mit
Fahri verabredet, und Gemal kam. Den beiden Plaudertaschen
war meine Verwirrung nicht entgangen. Reflexartig brachten sie
ihre Gewehre in Anschlag, zielten auf Gemal und zischten ihn an.
Dieser blieb, Hände erhoben, wie versteinert stehen, während
sich Verblüffung und Entsetzen abwechselnd auf seinem
Gesicht widerspiegelten.
Meine beiden Beschützer standen stramm und hielten Gemal
in Schach. Passanten hasteten mit neugierigen Seitenblicken
vorüber.
Die Situation war perfekt. Ich hätte nur noch »Feuer« zu
rufen brauchen.
»Lassen Sie, ich kenne den Mann. Ich habe auf ihn gewartet,
er ist mein Taxifahrer«, sagte ich, als ich mich vom ersten Schreck
erholt hatte.
Als das Missverständnis geklärt war, hatten wir es eilig, von
dort wegzukommen. Gemal hastete an meiner Seite. Inzwischen
hatte es wieder stärker zu regnen angefangen und aus dem dunkelgrünen
Laubschatten der Bäume, unter denen wir gingen,
lösten sich dicke Tropfen.
»Dort vorn steht Taxi. Ich Kunde hierherbringen, Sie
sehen.«
»Gemal, ich habe kein Geld, um mit Ihnen große Fahrten zu
unternehmen.«
»Will kein Geld. Teetrinken, schönes Restaurant, Marmarameer!«
Der Mann war unsäglich. Er betrachtete mich wohl schon als
sein Eigentum. Da es unmöglich war, ihn loszuwerden, und
Fahri mich offenbar versetzt hatte, konnte ich ebenso gut mit
ihm Teetrinken gehen, da sowieso nichts Besseres auf meinem
Programm stand.
»Also, gut. Teetrinken am Marmarameer.«
Er nickte ernst und fädelte sich geschickt in den unübersichtlichen
Verkehrsstrom ein. Ich genoss es trotz allem, in seinem Taxi
zu sitzen und seine schnittigen Verkehrsmanöver zu verfolgen.
Das Meer war von dunkelgrauer Farbe und stand hoch.
Unruhig peitschte es an die Gestade der Autostraße. Es gibt für
mich nicht vieles, was schöner ist als das Meer, und so fi ng ich
an, an diesem ungeplanten Ausflug meine Freude zu haben.
Der Ort am Marmarameer, zu dem Gemal mich fuhr, hatte
seinen eigenen morbiden Charme.
Es war ein altes riesiges Gebäude, in Rot und Braun gestrichen,
ein zweckentfremdeter Tanzpalast mit wackligen Tischen
und alten, unbequemen Holzstühlen möbliert. Die Patina des
Alters lag fast greifbar über allem; alte Türken saßen hier, als
wären sie Teil des Mobiliars. Der Salz- und Tanggeruch des
Meeres vermischte sich mit dem Moder und abgestandenen
Tabakgestank der Teehalle. Ich war bezaubert von der verlotterten
Atmosphäre des Ortes, selbst die Kellner waren alte, würdige
Herren. Einer brachte uns Tee, der selbst stark gesüßt noch
nach Salz und Rauch schmeckte, und stellte schweigend ein
Backgammon-Spiel vor uns auf.
Während Gemal und ich um die Wette würfelten, verspürte
ich ein unangenehmes Brennen in der Blasengegend. In den
letzten Tagen hatten die rauhen Novemberwinde zu- und die
sonnig milden Nachmittage abgenommen. Die Temperatur war
um einige Grade gefallen, und ich fröstelte oft, da die Kleidungsstücke,
die ich mitgenommen hatte, zu leicht für den
plötzlichen Wetterumschwung waren. In meinem bescheidenen
Hotel gab es weder heißes Wasser noch Heizung, und ich lag oft
stundenlang angekleidet unter zwei Wolldecken und versuchte,
meine eiskalten Füße mit den Händen zu wärmen.
Dank sorgfältigem Make-up sah ich am Sonntagabend noch
recht passabel aus, als ich mich zur Informationsveranstaltung
im Ballsaal des Sheraton einfand. Ich war eine der Letzten, die
eintrafen. Die meisten saßen schon erwartungsvoll auf bereitgestellten
Stühlen, die einer erhöhten Tribüne mit vier Sitzmöglichkeiten
gegenüberstanden. Die Tribüne war in den Farben
und dem Logo der Airline drapiert, so dass wir uns gleich mit
den Farben unseres zukünftigen Arbeitgebers vertraut machen
konnten.
Mein Blick schweifte über die vier Stuhlreihen, als ich einen
freien Platz entdeckte zwischen einer rassigen Blonden und einer
etwas altjüngferlich wirkenden Endzwanzigerin. Direkt hinter
mir saß ein unglaublich schönes Wesen mit sprühenden dunklen
Augen und üppigen schwarzen Locken, das mir meine zu Boden
geschlitterte Tasche aufhob. Während ich mich bei ihr bedankte,
segelte auch schon Miss Utra herein, legte Papiere auf die Rednertribüne
und zog sich dezent in den Hintergrund zurück.
Unsere Aufmerksamkeit galt inzwischen dem Einzug der vier
Saudis in Landestracht, die auf der Rednertribüne Platz nahmen.
Mr. Al Majeed richtete das Wort an uns: »Ahlan Wasahlan,
wir heißen euch herzlich willkommen! Diese Worte werdet
ihr in Zukunft noch oft hören und selbst sprechen. Ahlan
Wasahlan ist nicht nur ein Willkommensgruß, sondern auch
der Titel unseres Bordmagazins, das jeden Monat neu herauskommt.«
Mr. Al Majeed sprach von der Stadt nordwestlich von Jeddah,
die »Saudia« mit der Genehmigung des gütigen Königs Khalid
bin Abdul Aziz al Saud auf einer Fläche von 1,5 Millionen Quadratmetern
eigens für seine ausländischen Angestellten hatte errichten lassen.
3377 Wohnungen standen für über 12 000 Angestellte bereit.
Vier Stadtteile gruppierten sich um den Wasserturm, das Zentrum
und dominierende Bauwerk von Saudia City.
Eine Meerwasserentsalzungsanlage, ein Kraftwerk und eine
Kläranlage waren schon in Betrieb. Ebenso ein internes und
externes Telefonnetzwerk, eine Schule, ein rund um die Uhr
geöffnetes Medical Center, eine Moschee, eine Tankstelle, ein
Supermarkt, eine Bank, Restaurants, Parks und Gärten, die die
Wüste in eine Oase verwandeln sollten, und, als Krönung, eine
großzügige Freizeitanlage mit einem Swimmingpool olympischen
Ausmaßes, Fußballfeld, Basketball, Volleyball, Squash,
Tennis ... »name it we have it«.
Er sprach über das neue Trainingscenter in Jeddah, über den
neuen Flughafen, den eine deutsche Baufirma auf einem Gelände
von 102 Quadratkilometern für sieben Milliarden D-Mark
errichtet hatte und der, wie könnte es auch anders sein, der
größte der Welt war. Er ging über zu den neuen Boeing 747, die
in Bälde geliefert werden sollten, und schnitt schließlich das brisante
Thema »die Rolle der Frau in Saudi-Arabien« an: »Wir in
Saudi-Arabien respektieren die Frauen zu sehr.«
Die Saudi-Frau lebt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, verborgen
im Schoß ihrer Familie. Sie darf keine öffentliche Arbeit
annehmen, weil sie dabei zwangsläufig mit fremden Männern
(d. h. Männer, mit denen sie nicht verwandt ist) in Berührung käme.
Aber auch in Saudi-Arabien ist eine Fluggesellschaft ohne
weibliche Betreuung undenkbar. Genauso wie ein Spital ohne
Krankenschwestern und Ärztinnen oder ein Haushalt ohne
Dienstmädchen. Ausländische Arbeitnehmerinnen machten
zwar nur einen winzigen, unumgänglichen Bruchteil der über
drei Millionen Ausländer aus, doch der tägliche Kontakt mit
den Ausländern blieb nicht ohne Auswirkung auf die Bevölkerung.
Das Alkoholverbot, die Verbannung der Frau aus der
saudi-arabischen Männergesellschaft und der verlangte Verzicht
auf öffentliche Unterhaltung wurden immer öfter umgangen.
»Wie ihr ja alle wisst, ist Saudi-Arabien das Kernland des
Islam. Unser Alltag wird von der Religion geprägt, da wirkt der
Europäer, besonders natürlich die europäische Frau, wie ein
Fremdkörper. Je unauffälliger man sich verhält und kleidet,
desto besser kommt man zurecht. Schon eine ärmellose Bluse
wird oft als Provokation empfunden. Arme und Beine sollten
bedeckt sein, wer sich auffällig kleidet, erregt Aufsehen - vor
allem aber Verachtung. Also meine Damen: keine tiefausgeschnittenen
Kleider, nichts Durchsichtiges, Geschlitztes oder
Körperbetontes. Abschließend: ein Lob den Türkinnen! Ihr
seid gute Arbeiterinnen, fleißig und zuverlässig. Saudia kommt
immer wieder gerne in die Türkei, um Air-Hostessen zu rekrutieren.
In den vergangenen Wochen haben wir 169 Interviews
geführt, und über neunhundert Bewerbungen erhalten. Wir
wollten sechzig neue Air-Hostessen, wir wollten die Besten«, er
unterbrach sich kurz, denn schon bei der Zahl Neunhundert
ging ein Raunen durch die Reihen, »wir fanden 52, die unseren
Ansprüchen genügten. Euch. Ihr seid die Besten!«
Er machte eine kurze Pause, während wir Auserwählten links
und rechts neugierige Blicke tauschten.
»Selbstverständlich«, und Mr. Al Majeeds Stimme wurde eindringlicher,
»erwarten wir auch einiges von euch«, und an dieser
Stelle ließ er dann die Katze ein wenig aus dem Sack und sprach
über die unangenehmeren Seiten unseres neuen Berufes wie
Nachtflüge, kurzfristig gestrichene freie Tage, Sondereinsätze,
24 Stunden Bereitschaftsdienst und Ähnliches mehr. Aber schon
tröstete und lockte er wieder mit Tennisplätzen, Swimmingpools
und Feinschmeckerlokalen, die in Jeddah angeblich wie
Pilze aus dem Boden schossen.
Nach der Vorführung eines Films über die hypermoderne
Ausbildungsstätte in Jeddah, die jährlich über tausend Mitarbeitern
zum flugtauglich letzten Schliff verhilft, wurde das Bufett
eröffnet. Ich suchte unter den Mädchen vergebens nach der blassen,
schmächtigen Anatolierin. Viele der jungen Frauen schienen
einander zu kennen, nur meine Sitznachbarin zur Linken stand
allein mit einem Keks in der Hand am Buffet. Sie hieß Özlem,
war 28 Jahre alt und Architektin von Beruf. Mit diesem Neuanfang
erfüllte sie sich einen langgehegten Berufstraum. Wir kamen
auf die Sekretärin Miss Utra zu sprechen, deren Herkunft mir
Rätsel aufgab. Özlem kicherte: »Sie ist eine Israelin!«
Ich war baff: »Tatsächlich?«
»Nun, in Saudi-Arabien arbeiten offiziell keine Juden für die
Fluggesellschaft, aber hier in Istanbul könnten sie das Büro
ohne Miss Utra gleich schließen. Diese Frau ist so was von
kompetent, sie übernimmt alle Arbeiten und organisiert alles.«
Die blonde, türkische Sitznachbarin gesellte sich zu uns und
stellte sich mit dem wohlklingenden Namen »Canan« vor.
Canan maß mindestens eins achtundsiebzig. Sie hatte große,
wunderschöne grüne Augen, ich mochte sie auf Anhieb.
»Mein Englisch ist nicht besonders gut«, vertraute sie mir
treuherzig zwinkernd an. »Meine Schulzeugnisse übrigens auch
nicht. Aber ich will unbedingt Air-Hostess werden. Wenn sie
mich dieses Jahr nicht genommen hätten, hätte ich es nächstes
Jahr wieder versucht und übernächstes. Aber ich hatte Glück!«
Sie lachte hell auf und schnappte sich ein Baklava-Stückchen.
»Das ist, weil ich an einem Freitag während der Gebetszeit
geboren wurde. Der Volksmund sagt, dass man dann viel Glück
im Leben hat.«
Als der Informationsabend zu Ende war, brauste das Glückskind
am Steuer eines roten, schnittigen Sportwagens davon. Da
musste wirklich was dran sein an dem, was der Volksmund sagt.
* * *
Am nächsten Tag schleppte ich mich gottergeben zum Untersuchungstermin
ins American Hospital. Ich setzte mich in
Aksaray in ein Sammeltaxi und fuhr damit bis zur Cumhuriyet
Caddesi. Von dort ging ich zu Fuß weiter, inzwischen hatte ich
mich von der Nervensäge Gemal abgenabelt.
Gesundheits-Check-up! Dass ich nicht lachte! Ich litt an
einer akuten Blasen- und Nierenentzündung, und nur noch
schmerzstillende Medikamente hielten mich aufrecht. Im Krankenhaus
würden die Ärzte rasch herausfinden, wie krank ich
war, und mich von der Liste der Kandidatinnen streichen. Flugbegleiterinnen
haben bekanntlich robust und widerstandsfähig
zu sein. Ergeben ließ ich die eher oberflächliche Untersuchung
über mich ergehen und beantwortete brav die auf Englisch
gestellten Fragen des sanften, türkischen Arztes. Nachdem er
von mir noch frische Pröbchen meiner Körperflüssigkeiten
erhalten hatte, durfte ich gehen. Aber wohin? Nach Hause?
Nach Saudi-Arabien?
Getrübten Sinnes verließ ich die Stätte meines vermeintlichen
Niedergangs. Trotzdem war ich nicht total niedergeschlagen.
Ich hatte mein Möglichstes getan, um meine Situation zu verändern.
Wenn es jetzt nicht klappen sollte, dann war das einer
Macht jenseits meines Einflussbereiches zuzuschreiben.
Besuchen Sie uns im Internet:
www.knaur.de
Vollständige Taschenbuchausgabe Februar 2011
Knaur Taschenbuch
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Copyright © 2009 by Teresa Fortis und WOA Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur
mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildungen: Nabeel Turner, Gettyimages;
plainpicture/Ableimages; Andy Park/Gettyimages
Satz: Wilhelm Vornehm, München
Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-426-78388-7
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Als ich bejahte, kicherte sie leicht verlegen und verriet, dass
auch sie deswegen hier sei.
»Ich male mir wenige Chancen aus. Ich komme direkt aus
Anatolien. Ich habe die ganze Nacht im Bus verbracht. Jetzt bin
ich müde. Mein Englisch ist schlecht. Ich fürchte, die werden
mich wieder heimschicken.«
Ich bedachte das matte Geschöpf mit einem aufmunternden
Lächeln. Ihre Selbsteinschätzung hielt ich für durchaus realistisch,
sie machte körperlich keinen sonderlich belastbaren Eindruck.
Auf unserer Etage hoch über der Stadt ging eine Tür. Der
dicke Teppich schluckte die Schritte der Sekretärin, die sich hinter
uns näherte, um mich als nächste Kandidatin aufzurufen.
»Chancenlos« war auf ihrem weichen Fauteuil schon wieder
eingenickt, als ich der Sekretärin folgte.
»Was wissen Sie über Saudi-Arabien?«
Der untersetzte, bebrillte Herr, der mir diese Frage stellte,
war Vorsteher eines vierköpfigen Männergremiums, das meine
Zeugnisse und Diplome und die notariell beglaubigten Kopien
auf Englisch vor sich ausgebreitet hatte.
»In politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht, Sir?«
»Nun, ganz allgemein.«
Ich fi ng etwas unsicher mit Öl und Wüste an; Gemeinplätze,
die jeder Fremde sofort mit Arabien in Verbindung bringt,
erwähnte die Staatsform, die geographische Lage und hörte
mich sagen: »Die Hauptstadt heißt Jeddah.«
Verwunderte Gesichter meiner Gegenüber machten mir meinen
Lapsus bewusst. Ich beeilte mich, meinen Fehler zu korrigieren.
Ȁh, ich meine Riad. Jeddah ist eine wichtige Hafenstadt
am Roten Meer.«
Die Gesichter der vier westlich gekleideten Herren hinter
dem Edelholztisch glätteten sich wieder, und ich erzählte, was
mir über Mekka und Medina noch einfiel, und schloss mit:
»Saudi-Arabien ist das heilige Land für alle Muslime.«
Mr. Al Majeed forderte mich höflich auf, zur Tür zu gehen, so
dass mein Gang begutachtet werden konnte. Ich wurde gemessen
(170 cm) und gewogen (53 kg). Mr. Al Majeed warf über den
Brillenrand hinweg einen prüfenden Blick auf meine Kleidung
und verbesserte: »Fünfzig Kilo.«
Das Vorstellungsgespräch neigte sich nach einer halben
Stunde dem Ende zu, und die Herren berieten sich kurz auf
Arabisch. Offenbar wollten sie sich hier und jetzt über meine
Kandidatur einigen.
»Im Namen unseres gütigen Königs Khalid bin Abdul Aziz
Al Saud haben wir beschlossen, Sie, Miss Fortis, als Trainee-
Hostess einzustellen«, wandte sich Mr. Al Majeed wieder an
mich und steckte mir einen prallgefüllten Umschlag im C4-Format
zu: »Füllen Sie bitte diese Formulare bis übermorgen aus
und übergeben Sie diese unserer Sekretärin Miss Utra vom
Saudia Offi ce. Voraussichtlich Mitte Dezember fängt Ihr Training
in Jeddah an. Alles Weitere erfahren Sie ebenfalls von Miss
Utra. Wir gratulieren Ihnen.«
Ein heißes, unbändiges Triumphgefühl durchflutete mich, als
ich das »Sheraton« verließ. Am liebsten hätte ich Luftsprünge
vollführt wie ein wildes Pony. Den Job hatte ich in der Tasche,
und ein Leben mit Reisen und voller Abenteuer konnte beginnen!
Ich war bereit, dieses ungewöhnliche und hoffentlich
abwechslungsreiche Leben, das mir diese Arbeit verhieß, in seiner
ganzen Fülle zu ergreifen und auszukosten.
* * *
Ich riss den Wagenschlag zu Gemals Taxi auf, der mich zwei
Tage zuvor vom Flughafen in die Stadt mitgenommen hatte und
seither eifersüchtig bewachte. Gemals Deutschkenntnisse waren
rudimentär, und jede Unterhaltung mit ihm ein mühsames und
zähflüssiges Unterfangen.
»Fahren Sie mich an den Bosporus, Gemal! Wir wollen
blauen Fisch essen gehen, es gibt etwas zu feiern!«
Tags zuvor hatte er mir den Topkapi-Palast gezeigt. Wir saßen
auf einer verwitterten Steinterrasse mit traumhafter Aussicht
auf die Stadt und den Fluss im pastellfarbenen Novemberlicht.
Ich ließ die Stimmung auf mich wirken: »Hier könnte ich stundenlang
verweilen.«
»Später sehen Topkapi von innen. Hat sehr schöne Schmuck
und Barthaar von Prophet.«
»Das muss ich natürlich sehen.«
»Kann ich etwas fragen?«
»Bitte.«
»Sie sind Frau oder Fräulein?«
»Frau, natürlich.«
»Dann haben schon Mann?«
»Nö.«
»Dann Sie sind Fräulein.«
Ich insistierte: »Ich bin schon 24. Ich bin eine Frau, ganz
unabhängig von meinem Zivilstand.«
Das verstand er natürlich nicht. »Wenn nicht haben Mann,
dann Fräulein.«
Ich begriff endlich, worauf er hinauswollte. Frau oder Fräulein,
Jungfrau oder nicht.
»Na gut, dann eben Fräulein«, sagte ich schnell.
Eine lange Gesprächspause entstand. Ich genoss die Aussicht
und konnte es noch immer nicht so recht fassen, dass ich jetzt, als
wäre das alles ganz selbstverständlich, hier in Istanbul auf einer
sonnigen Steinterrasse saß, statt in Zürich Bahnbillette zu verkaufen.
Gemal brachte sich mit einem Räuspern wieder in Erinnerung
und wollte wissen, weshalb ich noch nicht verheiratet war.
»Keine Lust. Ich fühle mich zu jung dazu. Und Sie Gemal?«
»Ich Taxifahrer. Die Mädchen nicht wollen Taxifahrer. Heirat
kost viel Geld. Kein schöne Wohnung. Leben mit Mutter. Auch
nicht schön im Gesicht. Große Nas.«
Das leuchtete mir ein. »Das tut mir leid«, murmelte ich verlegen
und ärgerte mich insgeheim, das es mir nicht gelang, dem
Gespräch eine unverfängliche Richtung zu geben. Er schaute
mich mit traurigem Hundeblick an. »Ich gefalle Sie auch nicht,
weil nicht schön, große Nas.«
»Hören Sie Gemal, ob mir Ihre Nase gefällt oder nicht, ist
doch total unwichtig. Auf jeden Fall ist sie Ihnen beim Taxifahren
nicht im Weg. Können Sie mich morgen früh um acht Uhr
zum Hotel Sheraton fahren?«
»Ich da sein.«
»Ich verlasse mich auf Sie.«
Als ich alle Formulare ausgefüllt und auch einer Forderung von
fünfzig aktuellen Passfotos Genüge getan hatte, stand eigentlich
auch schon der Abreisetag bevor.
»Sie können jetzt nicht gehen«, sagte Miss Utra, »Sie sind
doch selektioniert und müssen nächsten Sonntag am Informationsabend
im Ballsaal des Sheraton-Hotels teilnehmen.«
»Aber wenn ich bis Sonntag hier bleibe, verliert mein Rückflug-
ticket seine Gültigkeit.«
»Sie müssen hier bleiben, nach dem Informationsabend am
achten November haben Sie einen Termin im American Hospital
am elften.«
»Aber das ist ja erst in einer Woche! Kann ich mich nicht
auch in der Schweiz untersuchen lassen?«
»Ich glaube, das geht nicht. Dort gibt es keinen von Saudia
akkreditierten Arzt. Sie müssen sich hier im American Hospital
untersuchen lassen. Was Ihr Ticket anbelangt, so lassen Sie es
hier, ich werde sehen, was sich machen lässt.«
Ich klaubte mein Ticket aus der Tasche und legte es auf Miss
Utras Schreibtisch. Da ich jetzt noch eine Woche länger als vorgesehen
in Istanbul bleiben musste, würde mein Bargeld gerade
noch zum Begleichen der Hotelrechnung ausreichen. Darüber
hinaus blieb mir nur noch die Wahl zwischen nichts mehr essen
oder mich einladen lassen.
Gleich beim Abholen des Zimmerschlüssels an der Hotelrezeption
erhielt ich die erste Einladung. Der Rezeptionist Fahri,
der nicht nur gut aussah, sondern auch gut Deutsch sprach, lud
mich zu einer türkischen Hochzeitsfeier am Marmarameer ein,
wo er als Sänger auftreten sollte.
Ich erlebte ein unterhaltsames, emotionsgeladenes Hochzeitsfest,
das mit gesanglichen und bauchtänzerischen Darbietungen
seinen Auftakt nahm und lautstark feuchtfröhlich leider
viel zu früh enden musste. Schuld daran war die verhängte
Ausgangssperre, da die Türkei seit dem letzten, einige Monate
zurückliegenden Militärputsch noch immer unter Kriegsrecht
stand.
Soldaten mit geschultertem Maschinengewehr standen in
Istanbul an jeder strategisch wichtigen Stelle; vor jedem öffentlichen
oder staatlichen Gebäude und an jeder Straßenkreuzung.
Passanten hatten sich unauffällig zu verhalten, durften sich nicht
in Gruppen zusammenfinden und mussten jedem militärischen
Befehl auf der Stelle Folge leisten. Die Ordnungshüter hatten
Schießbefehl.
Es passierte an einem regnerischen, düsteren Nachmittag.
Ich war mit Fahri auf der Millet Caddesi verabredet und hatte
gerade zwei bewaffnete Militärs passiert, als diese mir in den
Rücken schrien, ich solle sofort stehen bleiben. Ich gefror auf
der Stelle.
Ein Schwall Türkisch prasselte auf mich nieder. Ich hob
abwehrend die Hände: »Yok türk! Ich verstehe nichts, sprechen
Sie Deutsch? Englisch? Französisch?«
Es stellte sich heraus, dass mich die beiden Rambos nur aus
Neugierde angehalten hatten. Sie wollten wissen, woher ich
kam, was ich hier tat, und hätten gerne noch viel mehr gefragt,
wäre ihnen nicht die Sprachbarriere im Wege gewesen.
In dem Moment kam der Taxifahrer Gemal auf uns zu. Ich muss
wohl ziemlich verdutzt dreingesehen haben, war ich doch mit
Fahri verabredet, und Gemal kam. Den beiden Plaudertaschen
war meine Verwirrung nicht entgangen. Reflexartig brachten sie
ihre Gewehre in Anschlag, zielten auf Gemal und zischten ihn an.
Dieser blieb, Hände erhoben, wie versteinert stehen, während
sich Verblüffung und Entsetzen abwechselnd auf seinem
Gesicht widerspiegelten.
Meine beiden Beschützer standen stramm und hielten Gemal
in Schach. Passanten hasteten mit neugierigen Seitenblicken
vorüber.
Die Situation war perfekt. Ich hätte nur noch »Feuer« zu
rufen brauchen.
»Lassen Sie, ich kenne den Mann. Ich habe auf ihn gewartet,
er ist mein Taxifahrer«, sagte ich, als ich mich vom ersten Schreck
erholt hatte.
Als das Missverständnis geklärt war, hatten wir es eilig, von
dort wegzukommen. Gemal hastete an meiner Seite. Inzwischen
hatte es wieder stärker zu regnen angefangen und aus dem dunkelgrünen
Laubschatten der Bäume, unter denen wir gingen,
lösten sich dicke Tropfen.
»Dort vorn steht Taxi. Ich Kunde hierherbringen, Sie
sehen.«
»Gemal, ich habe kein Geld, um mit Ihnen große Fahrten zu
unternehmen.«
»Will kein Geld. Teetrinken, schönes Restaurant, Marmarameer!«
Der Mann war unsäglich. Er betrachtete mich wohl schon als
sein Eigentum. Da es unmöglich war, ihn loszuwerden, und
Fahri mich offenbar versetzt hatte, konnte ich ebenso gut mit
ihm Teetrinken gehen, da sowieso nichts Besseres auf meinem
Programm stand.
»Also, gut. Teetrinken am Marmarameer.«
Er nickte ernst und fädelte sich geschickt in den unübersichtlichen
Verkehrsstrom ein. Ich genoss es trotz allem, in seinem Taxi
zu sitzen und seine schnittigen Verkehrsmanöver zu verfolgen.
Das Meer war von dunkelgrauer Farbe und stand hoch.
Unruhig peitschte es an die Gestade der Autostraße. Es gibt für
mich nicht vieles, was schöner ist als das Meer, und so fi ng ich
an, an diesem ungeplanten Ausflug meine Freude zu haben.
Der Ort am Marmarameer, zu dem Gemal mich fuhr, hatte
seinen eigenen morbiden Charme.
Es war ein altes riesiges Gebäude, in Rot und Braun gestrichen,
ein zweckentfremdeter Tanzpalast mit wackligen Tischen
und alten, unbequemen Holzstühlen möbliert. Die Patina des
Alters lag fast greifbar über allem; alte Türken saßen hier, als
wären sie Teil des Mobiliars. Der Salz- und Tanggeruch des
Meeres vermischte sich mit dem Moder und abgestandenen
Tabakgestank der Teehalle. Ich war bezaubert von der verlotterten
Atmosphäre des Ortes, selbst die Kellner waren alte, würdige
Herren. Einer brachte uns Tee, der selbst stark gesüßt noch
nach Salz und Rauch schmeckte, und stellte schweigend ein
Backgammon-Spiel vor uns auf.
Während Gemal und ich um die Wette würfelten, verspürte
ich ein unangenehmes Brennen in der Blasengegend. In den
letzten Tagen hatten die rauhen Novemberwinde zu- und die
sonnig milden Nachmittage abgenommen. Die Temperatur war
um einige Grade gefallen, und ich fröstelte oft, da die Kleidungsstücke,
die ich mitgenommen hatte, zu leicht für den
plötzlichen Wetterumschwung waren. In meinem bescheidenen
Hotel gab es weder heißes Wasser noch Heizung, und ich lag oft
stundenlang angekleidet unter zwei Wolldecken und versuchte,
meine eiskalten Füße mit den Händen zu wärmen.
Dank sorgfältigem Make-up sah ich am Sonntagabend noch
recht passabel aus, als ich mich zur Informationsveranstaltung
im Ballsaal des Sheraton einfand. Ich war eine der Letzten, die
eintrafen. Die meisten saßen schon erwartungsvoll auf bereitgestellten
Stühlen, die einer erhöhten Tribüne mit vier Sitzmöglichkeiten
gegenüberstanden. Die Tribüne war in den Farben
und dem Logo der Airline drapiert, so dass wir uns gleich mit
den Farben unseres zukünftigen Arbeitgebers vertraut machen
konnten.
Mein Blick schweifte über die vier Stuhlreihen, als ich einen
freien Platz entdeckte zwischen einer rassigen Blonden und einer
etwas altjüngferlich wirkenden Endzwanzigerin. Direkt hinter
mir saß ein unglaublich schönes Wesen mit sprühenden dunklen
Augen und üppigen schwarzen Locken, das mir meine zu Boden
geschlitterte Tasche aufhob. Während ich mich bei ihr bedankte,
segelte auch schon Miss Utra herein, legte Papiere auf die Rednertribüne
und zog sich dezent in den Hintergrund zurück.
Unsere Aufmerksamkeit galt inzwischen dem Einzug der vier
Saudis in Landestracht, die auf der Rednertribüne Platz nahmen.
Mr. Al Majeed richtete das Wort an uns: »Ahlan Wasahlan,
wir heißen euch herzlich willkommen! Diese Worte werdet
ihr in Zukunft noch oft hören und selbst sprechen. Ahlan
Wasahlan ist nicht nur ein Willkommensgruß, sondern auch
der Titel unseres Bordmagazins, das jeden Monat neu herauskommt.«
Mr. Al Majeed sprach von der Stadt nordwestlich von Jeddah,
die »Saudia« mit der Genehmigung des gütigen Königs Khalid
bin Abdul Aziz al Saud auf einer Fläche von 1,5 Millionen Quadratmetern
eigens für seine ausländischen Angestellten hatte errichten lassen.
3377 Wohnungen standen für über 12 000 Angestellte bereit.
Vier Stadtteile gruppierten sich um den Wasserturm, das Zentrum
und dominierende Bauwerk von Saudia City.
Eine Meerwasserentsalzungsanlage, ein Kraftwerk und eine
Kläranlage waren schon in Betrieb. Ebenso ein internes und
externes Telefonnetzwerk, eine Schule, ein rund um die Uhr
geöffnetes Medical Center, eine Moschee, eine Tankstelle, ein
Supermarkt, eine Bank, Restaurants, Parks und Gärten, die die
Wüste in eine Oase verwandeln sollten, und, als Krönung, eine
großzügige Freizeitanlage mit einem Swimmingpool olympischen
Ausmaßes, Fußballfeld, Basketball, Volleyball, Squash,
Tennis ... »name it we have it«.
Er sprach über das neue Trainingscenter in Jeddah, über den
neuen Flughafen, den eine deutsche Baufirma auf einem Gelände
von 102 Quadratkilometern für sieben Milliarden D-Mark
errichtet hatte und der, wie könnte es auch anders sein, der
größte der Welt war. Er ging über zu den neuen Boeing 747, die
in Bälde geliefert werden sollten, und schnitt schließlich das brisante
Thema »die Rolle der Frau in Saudi-Arabien« an: »Wir in
Saudi-Arabien respektieren die Frauen zu sehr.«
Die Saudi-Frau lebt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, verborgen
im Schoß ihrer Familie. Sie darf keine öffentliche Arbeit
annehmen, weil sie dabei zwangsläufig mit fremden Männern
(d. h. Männer, mit denen sie nicht verwandt ist) in Berührung käme.
Aber auch in Saudi-Arabien ist eine Fluggesellschaft ohne
weibliche Betreuung undenkbar. Genauso wie ein Spital ohne
Krankenschwestern und Ärztinnen oder ein Haushalt ohne
Dienstmädchen. Ausländische Arbeitnehmerinnen machten
zwar nur einen winzigen, unumgänglichen Bruchteil der über
drei Millionen Ausländer aus, doch der tägliche Kontakt mit
den Ausländern blieb nicht ohne Auswirkung auf die Bevölkerung.
Das Alkoholverbot, die Verbannung der Frau aus der
saudi-arabischen Männergesellschaft und der verlangte Verzicht
auf öffentliche Unterhaltung wurden immer öfter umgangen.
»Wie ihr ja alle wisst, ist Saudi-Arabien das Kernland des
Islam. Unser Alltag wird von der Religion geprägt, da wirkt der
Europäer, besonders natürlich die europäische Frau, wie ein
Fremdkörper. Je unauffälliger man sich verhält und kleidet,
desto besser kommt man zurecht. Schon eine ärmellose Bluse
wird oft als Provokation empfunden. Arme und Beine sollten
bedeckt sein, wer sich auffällig kleidet, erregt Aufsehen - vor
allem aber Verachtung. Also meine Damen: keine tiefausgeschnittenen
Kleider, nichts Durchsichtiges, Geschlitztes oder
Körperbetontes. Abschließend: ein Lob den Türkinnen! Ihr
seid gute Arbeiterinnen, fleißig und zuverlässig. Saudia kommt
immer wieder gerne in die Türkei, um Air-Hostessen zu rekrutieren.
In den vergangenen Wochen haben wir 169 Interviews
geführt, und über neunhundert Bewerbungen erhalten. Wir
wollten sechzig neue Air-Hostessen, wir wollten die Besten«, er
unterbrach sich kurz, denn schon bei der Zahl Neunhundert
ging ein Raunen durch die Reihen, »wir fanden 52, die unseren
Ansprüchen genügten. Euch. Ihr seid die Besten!«
Er machte eine kurze Pause, während wir Auserwählten links
und rechts neugierige Blicke tauschten.
»Selbstverständlich«, und Mr. Al Majeeds Stimme wurde eindringlicher,
»erwarten wir auch einiges von euch«, und an dieser
Stelle ließ er dann die Katze ein wenig aus dem Sack und sprach
über die unangenehmeren Seiten unseres neuen Berufes wie
Nachtflüge, kurzfristig gestrichene freie Tage, Sondereinsätze,
24 Stunden Bereitschaftsdienst und Ähnliches mehr. Aber schon
tröstete und lockte er wieder mit Tennisplätzen, Swimmingpools
und Feinschmeckerlokalen, die in Jeddah angeblich wie
Pilze aus dem Boden schossen.
Nach der Vorführung eines Films über die hypermoderne
Ausbildungsstätte in Jeddah, die jährlich über tausend Mitarbeitern
zum flugtauglich letzten Schliff verhilft, wurde das Bufett
eröffnet. Ich suchte unter den Mädchen vergebens nach der blassen,
schmächtigen Anatolierin. Viele der jungen Frauen schienen
einander zu kennen, nur meine Sitznachbarin zur Linken stand
allein mit einem Keks in der Hand am Buffet. Sie hieß Özlem,
war 28 Jahre alt und Architektin von Beruf. Mit diesem Neuanfang
erfüllte sie sich einen langgehegten Berufstraum. Wir kamen
auf die Sekretärin Miss Utra zu sprechen, deren Herkunft mir
Rätsel aufgab. Özlem kicherte: »Sie ist eine Israelin!«
Ich war baff: »Tatsächlich?«
»Nun, in Saudi-Arabien arbeiten offiziell keine Juden für die
Fluggesellschaft, aber hier in Istanbul könnten sie das Büro
ohne Miss Utra gleich schließen. Diese Frau ist so was von
kompetent, sie übernimmt alle Arbeiten und organisiert alles.«
Die blonde, türkische Sitznachbarin gesellte sich zu uns und
stellte sich mit dem wohlklingenden Namen »Canan« vor.
Canan maß mindestens eins achtundsiebzig. Sie hatte große,
wunderschöne grüne Augen, ich mochte sie auf Anhieb.
»Mein Englisch ist nicht besonders gut«, vertraute sie mir
treuherzig zwinkernd an. »Meine Schulzeugnisse übrigens auch
nicht. Aber ich will unbedingt Air-Hostess werden. Wenn sie
mich dieses Jahr nicht genommen hätten, hätte ich es nächstes
Jahr wieder versucht und übernächstes. Aber ich hatte Glück!«
Sie lachte hell auf und schnappte sich ein Baklava-Stückchen.
»Das ist, weil ich an einem Freitag während der Gebetszeit
geboren wurde. Der Volksmund sagt, dass man dann viel Glück
im Leben hat.«
Als der Informationsabend zu Ende war, brauste das Glückskind
am Steuer eines roten, schnittigen Sportwagens davon. Da
musste wirklich was dran sein an dem, was der Volksmund sagt.
* * *
Am nächsten Tag schleppte ich mich gottergeben zum Untersuchungstermin
ins American Hospital. Ich setzte mich in
Aksaray in ein Sammeltaxi und fuhr damit bis zur Cumhuriyet
Caddesi. Von dort ging ich zu Fuß weiter, inzwischen hatte ich
mich von der Nervensäge Gemal abgenabelt.
Gesundheits-Check-up! Dass ich nicht lachte! Ich litt an
einer akuten Blasen- und Nierenentzündung, und nur noch
schmerzstillende Medikamente hielten mich aufrecht. Im Krankenhaus
würden die Ärzte rasch herausfinden, wie krank ich
war, und mich von der Liste der Kandidatinnen streichen. Flugbegleiterinnen
haben bekanntlich robust und widerstandsfähig
zu sein. Ergeben ließ ich die eher oberflächliche Untersuchung
über mich ergehen und beantwortete brav die auf Englisch
gestellten Fragen des sanften, türkischen Arztes. Nachdem er
von mir noch frische Pröbchen meiner Körperflüssigkeiten
erhalten hatte, durfte ich gehen. Aber wohin? Nach Hause?
Nach Saudi-Arabien?
Getrübten Sinnes verließ ich die Stätte meines vermeintlichen
Niedergangs. Trotzdem war ich nicht total niedergeschlagen.
Ich hatte mein Möglichstes getan, um meine Situation zu verändern.
Wenn es jetzt nicht klappen sollte, dann war das einer
Macht jenseits meines Einflussbereiches zuzuschreiben.
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Vollständige Taschenbuchausgabe Februar 2011
Knaur Taschenbuch
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
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Autoren-Porträt von Teresa Fortis
Teresa Fortis wurde 1957 in Bern geboren und wohnt heute in der Nähe von Thun. Nach Abschluss der Handelsschule liess sie sich zur Kosmetikerin ausbilden und Jahre später zu ihrem damaligen Traumberuf als Air-Hostess. 1982 erlangte Teresa Fortis in Jeddah, Saudi-Arabien, das Diplom zur Flugbegleiterin. Anschliessend stand sie fünf Jahre lang in den Diensten von Saudi Arabian Airlines und heuerte danach für zwei Jahre bei Crossair an. Wiederum kehrte sie der Schweiz den Rücken und zog nach Tunesien, wo sie, nebst Ehefrau und Mutter eines Sohnes, Mitinhaberin eines Cafés war. Seit 1997 lebt sie wieder in der Schweiz und beschäftigt sich mit zeitgenössischer Kunst und der Schriftstellerei.
Bibliographische Angaben
- Autor: Teresa Fortis
- 2011, 336 Seiten, Maße: 12,5 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426783886
- ISBN-13: 9783426783887
- Erscheinungsdatum: 04.02.2011
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