Mach mal Hals lang
...und andere Weisheiten aus dem Aschebeschär
'Maddin steht über den Dingen denn sein Hals ist genauso lang wie seine Vokale. Dank seiner Vogelperspektive weiß Maddin, dass Hessisch die beste Sprache zum Flirten ist. Und was hat der "Aschebeschär" mit Knutschen zu tun? Der linkische Bilderbuchhesse mit...
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Produktinformationen zu „Mach mal Hals lang “
'Maddin steht über den Dingen denn sein Hals ist genauso lang wie seine Vokale. Dank seiner Vogelperspektive weiß Maddin, dass Hessisch die beste Sprache zum Flirten ist. Und was hat der "Aschebeschär" mit Knutschen zu tun? Der linkische Bilderbuchhesse mit dem Pferdegebiss hat für alles eine Erklärung. Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Maddin? Ei, sischär!
Lese-Probe zu „Mach mal Hals lang “
Mach mal Hals lang von Martin SchneiderDer Katholen-Check
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Seit dem Erlebnis mit den Pilzen und meinem Meerschweinchen glaubte ich nicht mehr alles, was man mir erzählte. Auch bei den Märchen hatte ich plötzlich viele Fragen. Zum Beispiel Rapunzel. Wenn ein zartes junges Mädchen seinen Zopf aus dem Fenster hält und ein schwerer Prinz hängt sich unten dran, dann müsste das Mädchen doch eigentlich aus dem Fenster stürzen und sich alle Knochen brechen. Womöglich fiele es sogar auf den Prinzen drauf und beide wären vielleicht den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt.
Und im Zoo hatte ich selber einmal einen Wolf gesehen. Wie sollte denn bitte meine dicke Großmutter im Bauch eines Tieres Platz haben, das nicht größer ist als der Schäferhund vom Opa? Eines Tages kam Direktor Weissenberger in unsere Klasse und sagte: »Kinder, es tut mir leid, der evangelische Religionsunterricht muss in den nächsten drei Monaten ausfallen. Eure Religionslehrerin Frau Kunze ist guter Hoffnung und wird bald niederkommen.« Die Klasse schwieg, also hob ich die Hand. »Ja, Maddin?« »Aber Herr Weissenberger, wenn man guter Hoffnung ist, kann man doch besonders gut unterrichten. Meine Mutter sagt immer, die Lehrer sollen uns Mut machen.« Dass meine Mutter vor allem sagte, die Lehrer müssten uns Manieren beibringen, verschwieg ich an dieser Stelle. Aber Herr Weissenberger hatte mich anscheinend nicht gehört, er sagte nur: »Also, während Frau Kunze nicht da ist, müssen die evangelischen Schüler mit in den katholischen Religionsunterricht gehen.« Katholische Kinder waren mir am Anfang meiner Schulzeit etwas unheimlich gewesen, weil mein Obba mir mal erklärt hatte, dass die Katholen ganz viel sündigen. »Wenn ein Katholik lügt«, sagte mein Obba, »dann geht er in die Beichte, sagt, dass es ihm leid tut und schon ist der ganz Käs gegessen.« Deshalb dachte ich, alle Katholen würden ständig lügen. Aber in der Schule schwindelten die katholischen Mitschüler auch nicht mehr als die evangelischen Kinder. Wahrscheinlich hatten wir nur ein schlechteres Gewissen als die Katholen. Schließlich mussten wir ja bis zum Jüngsten Gericht warten. Erst da würden uns die ganzen Lügen wieder verziehen. Wenn man sich vorstellt, was sich bis dahin so alles ansammelt an kleinen und großen Sünden - da haben die Katholen es doch eigentlich ganz clever geregelt mit der Beichte! Die sind wahrscheinlich schneller beim Jüngsten Gericht durch als mit ihrem Auto durch den TÜV. Während unsereins wohl länger brauchen wird als ein Nazi bei den Nürnberger Prozessen und Kachelmann zusammen. Naja, damals war ich jedenfalls schon sehr neugierig auf den katholischen Ersatzreligionsunterricht. Und gleich in der ersten Stunde erklärte uns Herr Siebert, der einen seltsamen weißen Kragen unter dem Pullover trug und mit »Pfarrer Siebert« oder »Herr Pfarrer« angesprochen werden wollte, was eine Hostie ist: »Das Besondere daran ist: Die Hostie ist der Leib Christi. Zur besseren Anschauung habe ich euch eine mitgebracht. Als Priester habe ich immer Hostien dabei. Für den Fall, dass ich einem Christen in der letzten Stunde beistehen muss.« Daraufhin meldete ich mich: »Das ist ja super! Ich bin auch Christ. Können Sie mir dann morgen in der letzten Stunde beistehen? Da haben wir immer Frau Baumann in Mathe, und ich will nicht schon wieder an die Tafel.« Aber Pfarrer Siebert meinte eine andere letzte Stunde. Außerdem sah das, was er in die Höhe hielt, eher wie eine Backoblate aus. Also meldete ich mich wieder: »Die Dinger kenne ich, damit backt meine Omma an Weihnachten immer Lebkuchen.«
Pfarrer Siebert schüttelte den Kopf: »Nein, nein, Hostien sind etwas ganz anderes. Während der Messe in der Kirche wird daraus der Leib des Herrn. Das kann aber nur ein Priester.« Die Klasse schwieg andächtig. Vor zwei Jahren hätte ich da bestimmt noch dran geglaubt, aber jetzt?
Ich beschloss, es mir am nächsten Sonntag genauer anzuschauen. Sollte die katholische Messe etwa viel spektakulärer sein als der evangelische Gottesdienst, in dem nur viel geredet wurde und es gar keine Zaubertricks gab? Und konnte man die katholischen Tricks ganz leicht lernen, oder musste man dazu wirklich Pfarrer sein? Vielleicht war es ja ganz einfach Humbug? Mein Obba guckte etwas komisch, als ich von meinem Vorhaben für den nächsten Sonntag berichtete. Aber weil es für die Schule war, gab es keine Einwände. Am Sonntag zog ich meinen besten Anzug an, lila Samtcord mit braunem Hemd. Voller Erwartung stiefelte ich zu der katholischen Heiligkreuzkirche in Burgholzhausen. In dem barocken Gemäuer hatten sich lauter alte Leute versammelt, aber auch Eva Böger und Karl-Heinz Dilbert aus meiner Klasse sah ich in den Holzreihen knien. Warum die Katholen in den unbequemen Bänken auch noch ständig auf die Knie gehen, habe ich bis heute nicht verstanden. Aber beim Frisör machte ich es fortan genauso. Pfarrer Siebert zog ein und trug ein prächtig geschmücktes Gewand, wie ein Zauberer. Er schwenkte ein Gefäß, aus dem Rauch aufstieg, dessen würziger Geruch mich ganz schwindelig machte. Vielleicht sollten diese Gase das Publikum empfänglicher für die Tricks machen? Ich rutschte auf meinem Sitz herum und wartete auf die Hostie. Nach langem Warten, zwischendrin fielen alle um mich herum ständig auf die Knie, es gab viel monotonen Sing sang und noch mehr stinkenden Rauch, holte der Priester endlich die Hostien hervor.
Auch von hinten konnte ich sehen, dass es ganz gewöhnliche Backoblaten waren, die in einer Schale über den Altar gehalten wurden. Pfarrer Siebert sprach irgendwas von »Gott, Schöpfer des Lebens« und »Brot des Lebens«, aber die Backoblaten blieben Backoblaten. Dann gab es wieder lange Gebete und viel Gesinge. Am Ende brach der Priester die Oblaten in kleine Stücke. Aber auch jetzt verwandelten sie sich kein bisschen, naja, es wurde krümelig, aber was ist das denn bitte für ein billiger Zaubertrick? Kein schönes Brötchen und schon gar nicht der Herr Jesus. Vielleicht hatte mein Obba ja doch recht: Die Katholiken lügen, dass sich die Balken biegen. Und ein katholischer Pfarrer wie Herr Siebert konnte ja noch mehr lügen, weil er es sich dann einfach selber wieder beichten konnte! Gleichzeitig war ich ein bisschen erleichtert, weil ich am Schluss der Messe sah, dass die Katholen alle eine zerbrochene Backoblate essen mussten. Man stelle sich nur vor, sie würden tatsächlich ein Stück von Jesus runterschlucken, ekelig. Dann schon lieber eine pappige Backoblate. Obwohl, vielleicht sollte ich den Katholen mal Lebkuchen von meiner Oma mitbringen? In der nächsten Stunde stellte ich Pfarrer Siebert zur Rede. »Stimmt es eigentlich, dass die Backoblate in der Messe zu Jesus wird, Herr Pfarrer?« »Lieber Maddin, das heißt erstens Hostie. Aber zweitens hast du recht.« »Und wer macht das, dass die Hostie zu Jesus wird?« »Das macht der Priester.« »Haben Sie das letzten Sonntag in der Messe auch gemacht?« »Natürlich, das mache ich in jeder Messe.« Dabei blieb er vollkommen ruhig und wurde noch nicht einmal rot. »Das stimmt überhaupt nicht!«, rief ich, »ich war da, und die Hostie, die Sie in die Höhe gehalten haben, die hat sich überhaupt nicht verändert, die war bis zum Schluss überhaupt nicht Jesus, sondern eine Backoblate wie von meiner Omma!« Pfarrer Siebert blieb völlig ruhig - wenn meine Mutter mich dabei erwischt, dass ich meine Hausaufgaben nicht gemacht habe, bin ich doch auch immer sehr zerknirscht; dann ist nämlich die Strafe milder. Er sagte seelenruhig: »Das ist ein mystischer und heiliger Akt, in dem sich die Hostie in den Leib des Herrn wandelt. Das ist das Geheimnis des Glaubens. Du kannst es nicht sehen, Maddin, das ist völlig normal, du musst es eben glauben.« »Dann essen alle Leute im Gottesdienst ein Stück von Jesus?« »Ja, in gewisser Weise schon. So nehmen wir den Leib des Herrn in uns auf.« Natürlich war mir sofort klar, dass der Mann einfach nur Unsinn redete. Dann würde man Jesus ja runterschlucken und auch verdauen. Und dann würde man ihn auf dem Klo als dicke, braune Wurst in der Porzellanschüssel entsorgen. Manchmal sagte meine Omma zwar »mein Gott!«, wenn der Obba auf dem Klo war, aber schon damals war mir klar, dass das andere Gründe hatte. »Pfarrer Siebert, das ist doch alles Blödsinn!«, sagte ich. »Sie können doch jetzt ruhig zugeben, dass Sie gelogen haben. Lügen ist zwar eine Sünde, aber für Sie als Katholen ist das ja nicht so schlimm: Sie brauchen ja bloß zu beichten und die Sache ist geritzt.«
Ohne ersichtlichen Grund wurde Pfarrer Siebert sehr, sehr böse und beschimpfte mich lautstark mit den schlimmsten Ausdrücken, die ihm gerade in den Sinn kamen: »Du Dorftrottel! Du Rotznase! Du Bauerntrampel!« Und ehe ich mich versah, klebte er mir eine saftige Ohrfeige. »Du, du, du ... «
Vor lauter Wut fielen ihm keine Worte mehr ein. Noch nie hatte ich vorher einen Menschen so wütend gesehen. Sein Augen funkelten hasserfüllt, sein Gesicht war schrecklich verzerrt - kein Zweifel: In den armen Herrn Pfarrer Siebert war just in diesem Augenblick der Teufel gefahren! Dass ich so was aus nächster Nähe miterleben konnte! Das war einfach fantastisch! Großartig! Mit dieser grandiosen Vorstellung war ich jetzt doch wieder überzeugt davon, dass die Katholen so einiges zu bieten haben, was es sonst nur im Zirkus oder im Film gibt. Auch wenn der Trick mit den Backoblaten nicht so überzeugend war.
(c) Ullstein TB Verlag
Seit dem Erlebnis mit den Pilzen und meinem Meerschweinchen glaubte ich nicht mehr alles, was man mir erzählte. Auch bei den Märchen hatte ich plötzlich viele Fragen. Zum Beispiel Rapunzel. Wenn ein zartes junges Mädchen seinen Zopf aus dem Fenster hält und ein schwerer Prinz hängt sich unten dran, dann müsste das Mädchen doch eigentlich aus dem Fenster stürzen und sich alle Knochen brechen. Womöglich fiele es sogar auf den Prinzen drauf und beide wären vielleicht den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt.
Und im Zoo hatte ich selber einmal einen Wolf gesehen. Wie sollte denn bitte meine dicke Großmutter im Bauch eines Tieres Platz haben, das nicht größer ist als der Schäferhund vom Opa? Eines Tages kam Direktor Weissenberger in unsere Klasse und sagte: »Kinder, es tut mir leid, der evangelische Religionsunterricht muss in den nächsten drei Monaten ausfallen. Eure Religionslehrerin Frau Kunze ist guter Hoffnung und wird bald niederkommen.« Die Klasse schwieg, also hob ich die Hand. »Ja, Maddin?« »Aber Herr Weissenberger, wenn man guter Hoffnung ist, kann man doch besonders gut unterrichten. Meine Mutter sagt immer, die Lehrer sollen uns Mut machen.« Dass meine Mutter vor allem sagte, die Lehrer müssten uns Manieren beibringen, verschwieg ich an dieser Stelle. Aber Herr Weissenberger hatte mich anscheinend nicht gehört, er sagte nur: »Also, während Frau Kunze nicht da ist, müssen die evangelischen Schüler mit in den katholischen Religionsunterricht gehen.« Katholische Kinder waren mir am Anfang meiner Schulzeit etwas unheimlich gewesen, weil mein Obba mir mal erklärt hatte, dass die Katholen ganz viel sündigen. »Wenn ein Katholik lügt«, sagte mein Obba, »dann geht er in die Beichte, sagt, dass es ihm leid tut und schon ist der ganz Käs gegessen.« Deshalb dachte ich, alle Katholen würden ständig lügen. Aber in der Schule schwindelten die katholischen Mitschüler auch nicht mehr als die evangelischen Kinder. Wahrscheinlich hatten wir nur ein schlechteres Gewissen als die Katholen. Schließlich mussten wir ja bis zum Jüngsten Gericht warten. Erst da würden uns die ganzen Lügen wieder verziehen. Wenn man sich vorstellt, was sich bis dahin so alles ansammelt an kleinen und großen Sünden - da haben die Katholen es doch eigentlich ganz clever geregelt mit der Beichte! Die sind wahrscheinlich schneller beim Jüngsten Gericht durch als mit ihrem Auto durch den TÜV. Während unsereins wohl länger brauchen wird als ein Nazi bei den Nürnberger Prozessen und Kachelmann zusammen. Naja, damals war ich jedenfalls schon sehr neugierig auf den katholischen Ersatzreligionsunterricht. Und gleich in der ersten Stunde erklärte uns Herr Siebert, der einen seltsamen weißen Kragen unter dem Pullover trug und mit »Pfarrer Siebert« oder »Herr Pfarrer« angesprochen werden wollte, was eine Hostie ist: »Das Besondere daran ist: Die Hostie ist der Leib Christi. Zur besseren Anschauung habe ich euch eine mitgebracht. Als Priester habe ich immer Hostien dabei. Für den Fall, dass ich einem Christen in der letzten Stunde beistehen muss.« Daraufhin meldete ich mich: »Das ist ja super! Ich bin auch Christ. Können Sie mir dann morgen in der letzten Stunde beistehen? Da haben wir immer Frau Baumann in Mathe, und ich will nicht schon wieder an die Tafel.« Aber Pfarrer Siebert meinte eine andere letzte Stunde. Außerdem sah das, was er in die Höhe hielt, eher wie eine Backoblate aus. Also meldete ich mich wieder: »Die Dinger kenne ich, damit backt meine Omma an Weihnachten immer Lebkuchen.«
Pfarrer Siebert schüttelte den Kopf: »Nein, nein, Hostien sind etwas ganz anderes. Während der Messe in der Kirche wird daraus der Leib des Herrn. Das kann aber nur ein Priester.« Die Klasse schwieg andächtig. Vor zwei Jahren hätte ich da bestimmt noch dran geglaubt, aber jetzt?
Ich beschloss, es mir am nächsten Sonntag genauer anzuschauen. Sollte die katholische Messe etwa viel spektakulärer sein als der evangelische Gottesdienst, in dem nur viel geredet wurde und es gar keine Zaubertricks gab? Und konnte man die katholischen Tricks ganz leicht lernen, oder musste man dazu wirklich Pfarrer sein? Vielleicht war es ja ganz einfach Humbug? Mein Obba guckte etwas komisch, als ich von meinem Vorhaben für den nächsten Sonntag berichtete. Aber weil es für die Schule war, gab es keine Einwände. Am Sonntag zog ich meinen besten Anzug an, lila Samtcord mit braunem Hemd. Voller Erwartung stiefelte ich zu der katholischen Heiligkreuzkirche in Burgholzhausen. In dem barocken Gemäuer hatten sich lauter alte Leute versammelt, aber auch Eva Böger und Karl-Heinz Dilbert aus meiner Klasse sah ich in den Holzreihen knien. Warum die Katholen in den unbequemen Bänken auch noch ständig auf die Knie gehen, habe ich bis heute nicht verstanden. Aber beim Frisör machte ich es fortan genauso. Pfarrer Siebert zog ein und trug ein prächtig geschmücktes Gewand, wie ein Zauberer. Er schwenkte ein Gefäß, aus dem Rauch aufstieg, dessen würziger Geruch mich ganz schwindelig machte. Vielleicht sollten diese Gase das Publikum empfänglicher für die Tricks machen? Ich rutschte auf meinem Sitz herum und wartete auf die Hostie. Nach langem Warten, zwischendrin fielen alle um mich herum ständig auf die Knie, es gab viel monotonen Sing sang und noch mehr stinkenden Rauch, holte der Priester endlich die Hostien hervor.
Auch von hinten konnte ich sehen, dass es ganz gewöhnliche Backoblaten waren, die in einer Schale über den Altar gehalten wurden. Pfarrer Siebert sprach irgendwas von »Gott, Schöpfer des Lebens« und »Brot des Lebens«, aber die Backoblaten blieben Backoblaten. Dann gab es wieder lange Gebete und viel Gesinge. Am Ende brach der Priester die Oblaten in kleine Stücke. Aber auch jetzt verwandelten sie sich kein bisschen, naja, es wurde krümelig, aber was ist das denn bitte für ein billiger Zaubertrick? Kein schönes Brötchen und schon gar nicht der Herr Jesus. Vielleicht hatte mein Obba ja doch recht: Die Katholiken lügen, dass sich die Balken biegen. Und ein katholischer Pfarrer wie Herr Siebert konnte ja noch mehr lügen, weil er es sich dann einfach selber wieder beichten konnte! Gleichzeitig war ich ein bisschen erleichtert, weil ich am Schluss der Messe sah, dass die Katholen alle eine zerbrochene Backoblate essen mussten. Man stelle sich nur vor, sie würden tatsächlich ein Stück von Jesus runterschlucken, ekelig. Dann schon lieber eine pappige Backoblate. Obwohl, vielleicht sollte ich den Katholen mal Lebkuchen von meiner Oma mitbringen? In der nächsten Stunde stellte ich Pfarrer Siebert zur Rede. »Stimmt es eigentlich, dass die Backoblate in der Messe zu Jesus wird, Herr Pfarrer?« »Lieber Maddin, das heißt erstens Hostie. Aber zweitens hast du recht.« »Und wer macht das, dass die Hostie zu Jesus wird?« »Das macht der Priester.« »Haben Sie das letzten Sonntag in der Messe auch gemacht?« »Natürlich, das mache ich in jeder Messe.« Dabei blieb er vollkommen ruhig und wurde noch nicht einmal rot. »Das stimmt überhaupt nicht!«, rief ich, »ich war da, und die Hostie, die Sie in die Höhe gehalten haben, die hat sich überhaupt nicht verändert, die war bis zum Schluss überhaupt nicht Jesus, sondern eine Backoblate wie von meiner Omma!« Pfarrer Siebert blieb völlig ruhig - wenn meine Mutter mich dabei erwischt, dass ich meine Hausaufgaben nicht gemacht habe, bin ich doch auch immer sehr zerknirscht; dann ist nämlich die Strafe milder. Er sagte seelenruhig: »Das ist ein mystischer und heiliger Akt, in dem sich die Hostie in den Leib des Herrn wandelt. Das ist das Geheimnis des Glaubens. Du kannst es nicht sehen, Maddin, das ist völlig normal, du musst es eben glauben.« »Dann essen alle Leute im Gottesdienst ein Stück von Jesus?« »Ja, in gewisser Weise schon. So nehmen wir den Leib des Herrn in uns auf.« Natürlich war mir sofort klar, dass der Mann einfach nur Unsinn redete. Dann würde man Jesus ja runterschlucken und auch verdauen. Und dann würde man ihn auf dem Klo als dicke, braune Wurst in der Porzellanschüssel entsorgen. Manchmal sagte meine Omma zwar »mein Gott!«, wenn der Obba auf dem Klo war, aber schon damals war mir klar, dass das andere Gründe hatte. »Pfarrer Siebert, das ist doch alles Blödsinn!«, sagte ich. »Sie können doch jetzt ruhig zugeben, dass Sie gelogen haben. Lügen ist zwar eine Sünde, aber für Sie als Katholen ist das ja nicht so schlimm: Sie brauchen ja bloß zu beichten und die Sache ist geritzt.«
Ohne ersichtlichen Grund wurde Pfarrer Siebert sehr, sehr böse und beschimpfte mich lautstark mit den schlimmsten Ausdrücken, die ihm gerade in den Sinn kamen: »Du Dorftrottel! Du Rotznase! Du Bauerntrampel!« Und ehe ich mich versah, klebte er mir eine saftige Ohrfeige. »Du, du, du ... «
Vor lauter Wut fielen ihm keine Worte mehr ein. Noch nie hatte ich vorher einen Menschen so wütend gesehen. Sein Augen funkelten hasserfüllt, sein Gesicht war schrecklich verzerrt - kein Zweifel: In den armen Herrn Pfarrer Siebert war just in diesem Augenblick der Teufel gefahren! Dass ich so was aus nächster Nähe miterleben konnte! Das war einfach fantastisch! Großartig! Mit dieser grandiosen Vorstellung war ich jetzt doch wieder überzeugt davon, dass die Katholen so einiges zu bieten haben, was es sonst nur im Zirkus oder im Film gibt. Auch wenn der Trick mit den Backoblaten nicht so überzeugend war.
(c) Ullstein TB Verlag
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Autoren-Porträt von Martin Schneider
Martin Schneider ist Deutschlands beliebtester Hesse. Maddin begann als Comedian beim Hessischen Rundfunk. Inzwischen beglückt er das Publikum im Fernsehen (Schillerstraße, Maddin in Love) und live mit seinem Soloprogramm. Maddin lebt bei Marburg und ist immer noch auf der Suche nach der Frau, die perfekt zu seinem langen Hals passt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Schneider
- 2011, 208 Seiten, Maße: 12,2 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548374182
- ISBN-13: 9783548374185
- Erscheinungsdatum: 10.10.2011
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