Blutsommer / Martin Abel Bd.1
Thriller
Familie Lerch macht beim Picknick-Ausflug eine schauerhafte Entdeckung: das neueste Opfer des "Metzgers". Für Martin Abel, den besten Fallanalytiker des LKA, scheint er zunächst "nur" ein weiterer Serienkiller zu sein. Doch der Metzger lehrt ihn das Einmaleins des Grauens.
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Produktinformationen zu „Blutsommer / Martin Abel Bd.1 “
Familie Lerch macht beim Picknick-Ausflug eine schauerhafte Entdeckung: das neueste Opfer des "Metzgers". Für Martin Abel, den besten Fallanalytiker des LKA, scheint er zunächst "nur" ein weiterer Serienkiller zu sein. Doch der Metzger lehrt ihn das Einmaleins des Grauens.
Klappentext zu „Blutsommer / Martin Abel Bd.1 “
Das 1x1 des Grauens.Eine Dunstglocke liegt über der Stadt. Die Hitze ist unerträglich. Und dann der Geruch, dieser furchtbare Geruch!
Der Picknickausflug von Familie Lerch nimmt ein grausiges Ende, als sie im Wald auf einen dunklen Haufen stößt, von Fliegen und Maden bedeckt: Der «Metzger» hat wieder zugeschlagen.
Martin Abel, bester Fallanalytiker des Stuttgarter LKA, wird zur Unterstützung der Polizei nach Köln beordert. Keiner kann sich so gut in die Gedankenwelt von Serienmördern hineinversetzen
wie er: eine Gabe, die einsam macht. Abel glaubt, an Schrecklichem schon alles gesehen zu haben. Doch das hier - das ist eine neue Dimension.
Der erste Fall von Fallanalytiker Martin Abels
Das 1x1 des Grauens.
Eine Dunstglocke liegt über der Stadt. Die Hitze ist unerträglich. Und dann der Geruch, dieser furchtbare Geruch!
Der Picknickausflug von Familie Lerch nimmt ein grausiges Ende, als sie im Wald auf einen dunklen Haufen stößt, von Fliegen und Maden bedeckt: Der "Metzger" hat wieder zugeschlagen.
Martin Abel, bester Fallanalytiker des Stuttgarter LKA, wird zur Unterstützung der Polizei nach Köln beordert. Keiner kann sich so gut in die Gedankenwelt von Serienmördern hineinversetzen wie er: eine Gabe, die einsam macht. Abel glaubt, an Schrecklichem schon alles gesehen zu haben. Doch das hier - das ist eine neue Dimension.
Der erste Fall von Fallanalytiker Martin Abels
Eine Dunstglocke liegt über der Stadt. Die Hitze ist unerträglich. Und dann der Geruch, dieser furchtbare Geruch!
Der Picknickausflug von Familie Lerch nimmt ein grausiges Ende, als sie im Wald auf einen dunklen Haufen stößt, von Fliegen und Maden bedeckt: Der "Metzger" hat wieder zugeschlagen.
Martin Abel, bester Fallanalytiker des Stuttgarter LKA, wird zur Unterstützung der Polizei nach Köln beordert. Keiner kann sich so gut in die Gedankenwelt von Serienmördern hineinversetzen wie er: eine Gabe, die einsam macht. Abel glaubt, an Schrecklichem schon alles gesehen zu haben. Doch das hier - das ist eine neue Dimension.
Der erste Fall von Fallanalytiker Martin Abels
Lese-Probe zu „Blutsommer / Martin Abel Bd.1 “
Blutsommer von Rainer Löffler... mehr
Lautlos bewegte er sich auf den dunklen Wagen zu. Wie ein Raubtier auf der Jagd näherte er sich vorsichtig seinem Opfer.
Schon konnte er durch ein offenes Fenster das Knistern der Glut einer Zigarette hören, der Wartende vertrieb sich die Zeit mit Rauchen. Der herbe Duft nach verbranntem Tabak wurde von dem Geruch zu lang getragener Kleidung begleitet. Der Auserwählte war zweifellos nicht gut auf ihr Treffen vorbereitet, sein Mangel an Respekt war nicht zu leugnen.
Warte noch ein paar Stunden, dann wird Schweiß noch die angenehmste deiner Ausscheidungen sein, dachte der Herr der Puppen.
Aber noch saß der Mann entspannt rauchend in seinem Wagen und ahnte nicht, welche Veränderung ihm bevorstand. Stattdessen dachte er vermutlich über Dinge nach, die ihm momentan wichtig erschienen. Seine langweilige Arbeit in der Kanzlei. Ein unnötiger Streit mit seiner Frau. Vielleicht sogar an das Treffen mit der Geliebten ... Es gab vieles, mit dem man sich beschäftigen konnte, wenn man die wahren Prioritäten nicht kannte, dachte der Herr der Puppen.
Auch ich habe mich viel zu lang an der Oberfläche meiner Möglichkeiten bewegt, anstatt meiner wahren Berufung zu folgen. Ärger überkam ihn, als er an die vielen verschenkten Jahre dachte. Ich könnte schon viel weiter sein, wenn ich früher begriffen hätte.
Doch sein Unmut verflog so schnell, wie er gekommen war. Vergiss die Vergangenheit!, ermahnte ihn die Stimme in seinem Herzen. Es ist die Zukunft, die zählt.
Plötzlich warf der Auserwählte seine Zigarette aus dem schmalen Spalt des geöffneten Wagenfensters. Nur Zentimeter von den Fußsohlen seines Beobachters entfernt, fiel der glimmende Stumpen auf den feuchten Asphalt, wo er noch zwei-, dreimal umherwirbelte und seine glühende Asche in die Dunkelheit versprühte, bis er schließlich zischend in einer kleinen Pfütze landete. Dann war Stille.
Stille.
Der Herr der Puppen liebte dieses Wort wie kein anderes. In einer lauten Welt ohne Liebe für Details suchte er geradezu diese Momente, in denen außer seinem Herzschlag und dem des Auserwählten nichts zu hören war. Auch später, wenn die Arbeit vollbracht war und die Reste seines Opfers ihren Platz in der Galerie eingenommen hatten, herrschte eine Stille, die seine zum Zerreißen gespannten Sinne auf angenehme Art beruhigte.
So wie in diesem Augenblick. Der Mann in dem Auto öffnete das Handschuhfach, um etwas herauszunehmen. Vielleicht eine Straßenkarte, vielleicht eine neue Schachtel Zigaretten. Was immer es auch war, es spielte keine Rolle mehr. Denn noch während der Mann sich tiefer zur Seite beugte, um besser an das Gesuchte heranzukommen, spürte der Jäger mit jeder Faser
seines Körpers, dass jetzt die Zeit des Handelns gekommen war.
Lautlos machte der Herr der Puppen den entscheidenden Schritt auf sein Opfer zu.
14. Juli, 8.50 Uhr;
Köln-Klettenberg, Fort Deckstein
Der Rollsplitt knallte im Takt eines Maschinengewehrs gegen den Unterboden des Minivans, als Wolfgang Lerch ohne zu blinken über die durchgezogene Linie in den Waldweg abbog.
«Du bist mir ja ein schönes Vorbild!» Martina Lerch klang halb belustigt, halb ernst. «Was glaubst du, was die Kinder daraus lernen, wenn sie einen Geisterfahrer zum Vater haben?»
«Was sollen sie daraus lernen? Wahrscheinlich bewundern sie meine Fähigkeit, mutige Entscheidungen zu treffen. Nicht wahr, ihr drei?»
«Was ist ein Geisterfahrer, Mami?», wollte Louisa vom Rücksitz aus wissen.
«Das ist jemand, der in die falsche Richtung fährt», erklärte ihr Anna. «Wenn so einer einen Unfall baut, dann zahlt die Versicherung nicht. Außerdem kommt er ins Gefängnis und kriegt fünf Jahre lang nur Wasser und Brot.»
«Nur Wasser und Brot?» Martina Lerch zwickte ihrem Mann in seinen stattlichen Bauch. «Okay, fahr weiter, Wolfgang.»
Als sie die Lichtung mit dem Parkplatz erreichten, standen nur zwei weitere Autos dort, ein dunkler Jeep und ein roter Honda. Wolfgang Lerch parkte am anderen Ende des Platzes, direkt neben der Abzweigung des Waldweges, den sie einschlagen mussten.
«Siehst du, es war doch eine gute Idee, so früh aufzubrechen. Jetzt können wir uns in aller Ruhe den schönsten Grillplatz im Wald aussuchen, während die Leute, die heute Nachmittag kommen, ihr Fleisch in der Sonne braten müssen. Bin ich nicht ein guter Organisator?»
«Der beste. Jetzt musst du den Kindern nur noch erklären, warum es notwendig ist, dafür an einem Samstag um sieben Uhr aufzustehen.» Martina gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich losschnallte und ausstieg.
Obwohl es noch so früh war, fühlte sie sich von einem Moment zum anderen wie im Vorraum einer Sauna, bei der jemand vergessen hatte, die Tür zu schließen. Die schwüle Luft kroch in Sekunden unter ihre Kleidung, wo sie für unangenehme Feuchte sorgte. Martina wusste, dass dies nur ein Vorgeschmack dessen war, was ihnen am Nachmittag blühte, wenn sich die Tür zur Sauna endgültig öffnete. Dann half nur noch trinken und stillsitzen, so wie schon seit Wochen in fast ganz Deutschland.
Während ihr Mann zum Kofferraum ging, um den Bollerwagen auszuladen, zog Martina die Schiebetür auf. Erst half sie ihrer Jüngsten aus dem Kindersitz, dann stiegen Anna und zuletzt Lena aus dem Auto, die Louisas Teddy fest in der Hand hielt. Die Achtjährige wusste genau, dass ihre kleine Schwester ohne Winnie keinen Schritt aus dem Haus gemacht hätte und schon gar nicht aus dem Auto. Deshalb hatte sie sich persönlich zu Winnies Aufpasserin erklärt. Zur Freude aller, denn jeder wusste, was los war, wenn das Stofftier versehentlich irgendwo liegenblieb.
«Scheiße! Hat jemand an den Spiritus gedacht?» Wolfgang Lerch hielt die Trageschlaufen einer Jutetasche auseinander und blickte hinein. «Ich glaube, ich hab ihn vergessen!»
«Der Fusel ist da, wo er hingehört, nämlich bei der Holzkohle im Grill», erklärte ihm seine Frau.
«Scheiße sagt man nicht», beschwerte sich Louisa. «Frau Aßmann sagt, wer das Sch-Wort sagt, ist dumm wie Bohnenstroh.»
«Deine Kindergärtnerin hat vollkommen recht, mein Schatz. Aber dein Papa hat sich nur versprochen. Er wollte eigentlich schade sagen.» Martina Lerch blickte ihren Mann warnend an.
«Stimmt das, Papa?»
«Natürlich. Du musst dir keine Sorgen machen. Dein Vater ist nicht dumm.»
Als alles umgeladen war, schloss Wolfgang Lerch den Wagen mit der Fernbedienung ab. Louisa lachte zufrieden, als die Blinker kurz aufleuchteten und die Hupe ertönte. Dann rannte sie zu Lena und Anna, die bereits einige Meter vorausgelaufen waren.
«Du bist dran», rief sie, als sie ihre älteste Schwester erreichte und mit der Hand abklatschte.
«Ich bin doch kein Baby mehr», maulte Anna, während sie die Mailbox ihres Handys kontrollierte. Sie hatte es nach einem halben Jahr schwerster Überzeugungsarbeit zu ihrem zwölften Geburtstag geschenkt bekommen. Seitdem drehte sich ihre ganze Freizeit um das Gerät, auch wenn heute kein Mensch außer ihr zu wissen schien, dass sie es besaß.
«Doofie!» Lena streckte Anna die Zunge heraus und lief hinter Louisa her.
«Lauft nicht so weit in den Wald, Kinder! Hier gibt es jede Menge Bären und Wölfe.»
«Aber doch nur im Märchen!» Unbeeindruckt verschwanden die beiden Mädchen mit Winnie im Schlepptau in einem Gebüsch. Fröhliches Geschnatter begleitete ihren Weg durch den Wald, sodass sich ihre Eltern keine Sorgen zu machen brauchten, sie könnten verlorengehen.
In gemächlichem Tempo folgten die Lerchs mit ihrer Größten dem schmalen Schotterweg in Richtung des kleinen Waldsees, der ihr Ziel war. Er lag, von mehreren Feuerstellen umgeben, nur einen knappen Kilometer vom Parkplatz entfernt und war bequem in einigen Minuten erreichbar. Die beiden Erwachsenen gingen voraus und diskutierten darüber, warum man das nervige Quietschen des Bollerwagens eigentlich mit schöner Regelmäßigkeit eine Sekunde nach dem Einladen in den Van wieder vergaß und sich beim nächsten Mal wunderte, dass man es nicht beseitigt hatte.
«Was für ein herrlicher Tag!» Martina Lerch warf den Kopf in den Nacken und streckte die Arme aus. «Ich verspreche dir, dass ich heute nichts, aber auch gar nichts tun werde, was anstrengt. Nur essen, schlafen und ...», fügte sie flüsternd hinzu, nachdem sie sich mit einem Blick über die Schulter vergewissert hatte, dass ihre Älteste mit dem Handy beschäftigt war und ihnen nicht zuhörte, «wenn es unbedingt sein muss, heute Abend auch noch ein bisschen Sex.»
Ihr Mann grinste. «Es muss sein, mein Schatz. Du weißt genau, dass ich immer einen Hormonschub bekomme, wenn ich Fleisch esse. Das sind vermutlich meine Urinstinkte - aus der Zeit, als Männer ihre Frauen noch mit der Keule erlegten.»
«Träum weiter, du Halbwilder! Ich werde dir heute Abend zeigen, was eine Frau mit einer Keule alles machen kann.»
Lachend zog Wolfgang Lerch den Bollerwagen weiter in Richtung des Grillplatzes. Der Weg zog sich über eine kleine Kuppe und fiel dann zu einem trockenen Bachbett ab, das sich durch den Wald schlängelte. «Lena! Louisa! Kommt her!», rief Martina Lerch, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie die beiden Mädchen schon eine Weile nicht mehr gehört hatte. In etwa hundert Metern Entfernung glaubte sie für einen kurzen Moment plötzlich Lenas rotes Kleid aufblitzen zu sehen, das schnell wieder hinter einem Gebüsch verschwand.
«Lena! Wenn ihr nicht sofort herkommt, werde ich böse!» Ihre Stimme klang streng, und doch machte sich bereits Unruhe in ihr breit. Die Kinder hielten oft die Spielregeln nicht ein. Eine der wichtigsten war, sich nicht aus der Sicht- und Rufweite der Eltern zu entfernen. Doch ihre Töchter wussten genau: Wenn ihre Mutter diesen Ton anschlug, war mit ihr nicht zu spaßen.
«Lena! Louisa!»
Alles blieb ruhig.
Martina Lerch blickte ihren Mann an. Angst schnürte ihr plötzlich die Kehle zu. Man wusste ja, was heutzutage alles passieren konnte. Und wie schnell so etwas ging...
«Wir sollten lieber mal nachschauen», sagte nun auch ihr Mann.
«Ja. Ich ...»
Im nächsten Moment drang ein markerschütternder Schrei durch den Wald. Eine Sekunde später schrie noch jemand. Den Lerchs gefror das Blut in den Adern.
«Louisa! Lena!», brüllte Wolfgang Lerch.
«Anna, du bleibst mit deiner Mutter hier! Ich sehe nach, was los ist.»
«Wir kommen mit!» Ein kurzer Blick in die Augen seiner Frau machte ihm klar, dass jede Diskussion zwecklos war. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rannte er los, die beiden anderen folgten.
Martina Lerch blieb dicht bei Anna, sodass ihr Mann schnell einen Vorsprung vor den beiden gewann. Dabei scherte er sich nicht um die Dornen, die seine nackten Beine zerkratzten, er nahm den kürzesten Weg dorthin, wo er seine Töchter vermutete.
«Louisa! Lena! Ich bin gleich bei euch!»
Wolfgang Lerch versuchte, noch schneller zu laufen. Sein Herz klopfte wild, und seine untrainierten Lungen brannten. Während er mit bleiernen Beinen durch das Gebüsch stolperte, trieb ihn nur ein einziger Gedanke an: Er musste zu seinen Töchtern und ihnen helfen.
Eine Sekunde später taumelte er in das trockene Bachbett hinunter. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn erstarren.
Louisa lag ein paar Meter von ihm entfernt auf einem Haufen Erde und schien wirres Zeug zu plappern, Wolfgang konnte kein Wort verstehen. Gerade machte sie den hilflosen Versuch, sich aufzurappeln, doch nach wenigen Zentimetern sank sie auf den Waldboden zurück.
Wolfgang Lerch blinzelte irritiert, als er neben dem Erdhaufen einen Stapel aus Kleidungsstücken entdeckte.
Dann blickte er zu Lena, die mit nach vorn gebeugtem Oberkörper ein paar Meter vor ihrer Schwester stand und aussah, als würde sie nach Luft ringen. Wolfgang Lerch eilte zu ihr und streckte eine Hand nach ihr aus, um sie zu beruhigen. Als seine Finger nur noch Zentimeter von ihrer Schulter entfernt waren, entdeckte er zu ihren Füßen eine matschige Lache.
«Lena, was ...» Seine Stimme erstarb, als er den flehenden Blick seiner Tochter sah.
«Papa, ich kann nichts dafür. Ich konnte doch nicht wissen, dass es da liegt ...!» Ein weiterer Schwall ihres Mageninhaltes landete im Laub.
Durch Wolfgang Lerch ging ein Ruck. Er musste seine Kinder so schnell wie möglich hier wegbringen. Alles andere war unwichtig.
Er kniete sich neben Louisa und schob seine Hände unter ihre Achseln. Ihr Herz pochte wild. Vorsichtig zog er sie von dem Erdhügel weg, jede Sekunde damit rechnend, dass seine Tochter vor Schmerzen aufschreien könnte und er in seiner Bewegung innehalten musste. Doch Louisa keuchte nur stoßartig und lehnte sich kraftlos an ihn, als er sie auf seinen Schoß setzte. Wolfgang Lerch spürte, wie sie zitterte.
«Ganz ruhig, meine Kleine! Papa ist bei dir, jetzt kann dir nichts mehr geschehen.»
Angewidert scheuchte er die Fliegen beiseite, die sich auf Louisa niedergelassen hatten - und hielt plötzlich inne.
Die kleinen Maden sahen aus dieser Entfernung aus wie dünne weiße Wurzeln, und für einen Moment glaubte Wolfgang Lerch tatsächlich, dass es welche waren. Doch dann sah er, dass sich etwas in dem schmierigen Brei bewegte, der Louisas Kleid bedeckte.
«O mein Gott!»
Fieberhaft suchte er seine Hose nach Papiertaschentüchern ab. Als er endlich eines gefunden hatte, entfernte er mit zitternden Händen einige der Maden und tupfte anschließend mehrmals die Stelle ab, wo die Tiere gelegen hatten. Dann warf er das Taschentuch angeekelt weg.
Verdammter Mist! Er hatte wie immer nur eins eingesteckt. Aber er konnte die Maden unmöglich auch nur eine Sekunde länger auf seiner Tochter herumkriechen lassen. Kurz entschlossen zog er sein T-Shirt aus und begann vorsichtig, den immer noch von Fliegen umschwirrten Brei zu entfernen.
«Es wird alles gut, meine kleine Prinzessin. Papa bringt dich gleich nach Hause!» Besorgt lauschte er Louisas Atmung, es schien, als bekäme sie kaum Luft.
Während er die Hände seiner Tochter abwischte, fiel sein Blick auf den Haufen, von dem er sie vor wenigen Sekunden heruntergezogen hatte.
«O Gott!» Eine eiskalte Hand griff nach seinem Herz.
«Papa!» Annas Stimme kam aus unmittelbarer Nähe.
Wolfgang Lerch fuhr herum. «Bleib, wo du bist!» Seine Älteste und seine Frau waren gerade an derselben Stelle in das Bachbett heruntergestiegen wie er kurz zuvor.
«Aber Papa! Was ist denn mit Louisa?» Anna kam langsam näher.
«Ich sagte, du sollst bleiben, wo du bist!», sagte Wolfgang scharf. «Martina, geh mit Lena und Anna zurück zum Wagen. Ich trage Louisa.»
«Tragen? Warum um alles in der Welt tragen?» Panik stieg in Martina Lerch hoch. «Wolfgang! Was ist mit ihr?»
«Tut einfach, was ich sage, verdammt!»
Martina Lerch wollte ihren Mann zurechtweisen. Doch dann sah sie die Angst in seinem Blick. Schnell machte sie einen Schritt nach vorn und hielt Anna an der Schulter fest. «Du rührst dich nicht von der Stelle!» Sie ging an ihrer ältesten Tochter vorbei zu Lena, die sich immer noch übergab.
Wolfgang Lerch bettete Louisa vorsichtig auf seine Arme und hob sie hoch. Er ließ sein T-Shirt achtlos liegen und ging mit ihr das Bachbett zurück. Gleichzeitig gab er damit den Blick auf den dunklen Haufen frei.
«Was ist das, Wolfgang?»
«Nur ein totes Reh», murmelte er, schaute aber seiner Frau dabei nicht in die Augen.
«O Gott!»
Schnell drehte sie Lena zur Seite. «Los, mein Schatz! Wir müssen zum Wagen. Anna nimmt dich an die Hand.»
Lena wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleides den Mund ab. Dann hob sie Winnie auf und ging langsam zu ihrer großen Schwester, die sie die Böschung hinaufführte.
Als Wolfgang Lerch seine Frau erreichte, dankte er Gott, dass er vor ihr bei Louisa gewesen war und sie hatte reinigen können. Speichel rann aus dem Mund ihrer Tochter und hinterließ helle Bahnen auf dem kleinen verschmierten Gesicht, doch er wollte sich nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn Martina auch noch die Maden gesehen hätte.
«Ist sie verletzt?», fragte Martina Lerch ängstlich.
«Ich hab keine Ahnung, verdammt! Ich sehe nur, dass sie offenbar keine Luft bekommt.»
«Wir müssen ins Krankenhaus, schnell!»
«Das weiß ich! Und wir müssen die Polizei rufen, aber das ist nicht so dringend. Der ... Haufen liegt morgen auch noch da.»
Als sie kurz darauf wieder auf dem Schotterweg standen, war die Vierjährige völlig verstummt. Ihr Kopf war dunkel angelaufen und hing kraftlos nach unten. «Schnell, zum Auto», rief Wolfgang Lerch.
«Anna, du ziehst den Bollerwagen», befahl Martina Lerch. «Wenn du nicht mehr kannst, lass ihn stehen. Lena, schaffst du es allein?»
Seine mittlere Tochter nickte tapfer.
«Gut, dann zurück zum Parkplatz!»
Während sie mit schnellen Schritten kehrtmachten, legte Wolfgang Lerch zwei Finger an Louisas Halsschlagader, so wie er es im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hatte. Nach wenigen Sekunden versuchte er es einige Zentimeter daneben.
«Mein Gott, Martina! Ich kann ihren Puls nicht spüren!»
Martina biss sich auf die Lippen. Dann fuhr sie zu Anna herum und rief: «Gib mir dieses gottverdammte Handy!» Mit zitternden Fingern wählte sie die Notrufnummer. In ihrer Panik verwählte sie sich zweimal, bevor sie jemanden erreichte. Als sie ihre Stimme einigermaßen unter Kontrolle gebracht und die Situation geschildert hatte, wurde sie angewiesen, zum Kinderkrankenhaus in Köln-Riehl zu fahren. Gleichzeitig wurde die Polizei alarmiert, ein Einsatzfahrzeug loszuschicken, das sie zum Krankenhaus eskortieren und den Weg frei halten sollte.
«Los, schnell!» Wolfgang Lerch begann, mit Louisa auf den Armen zu laufen.
«Ich kann nicht mehr!», rief Anna, die den Bollerwagen ziehen musste.
«Lass den verdammten Wagen stehen! Wir holen ihn später!» Anna ließ die Zugstange los. Dann rannte sie hinter ihrer Familie her.
Auf dem Parkplatz angekommen, half Martina ihren zwei älteren Töchtern in den Minivan. Anna hielt wieder die Hand von Lena, die noch immer kein Wort sprach und sich unterwegs zum Auto noch einmal übergeben hatte.
Während Martina Lerch sich ans Steuer setzte und mit verschwitzten Fingern das Lenkrad festhielt, nahm ihr Mann vorsichtig auf dem Beifahrersitz Platz. In seinen Armen hielt er seine Jüngste, deren Kopf inzwischen eine bläuliche Färbung angenommen hatte.
«Gib Gas, verdammt! Gib Gas!»
Die Fahrt ins Krankenhaus wurde für sie alle zur Hölle.
...
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH
Lautlos bewegte er sich auf den dunklen Wagen zu. Wie ein Raubtier auf der Jagd näherte er sich vorsichtig seinem Opfer.
Schon konnte er durch ein offenes Fenster das Knistern der Glut einer Zigarette hören, der Wartende vertrieb sich die Zeit mit Rauchen. Der herbe Duft nach verbranntem Tabak wurde von dem Geruch zu lang getragener Kleidung begleitet. Der Auserwählte war zweifellos nicht gut auf ihr Treffen vorbereitet, sein Mangel an Respekt war nicht zu leugnen.
Warte noch ein paar Stunden, dann wird Schweiß noch die angenehmste deiner Ausscheidungen sein, dachte der Herr der Puppen.
Aber noch saß der Mann entspannt rauchend in seinem Wagen und ahnte nicht, welche Veränderung ihm bevorstand. Stattdessen dachte er vermutlich über Dinge nach, die ihm momentan wichtig erschienen. Seine langweilige Arbeit in der Kanzlei. Ein unnötiger Streit mit seiner Frau. Vielleicht sogar an das Treffen mit der Geliebten ... Es gab vieles, mit dem man sich beschäftigen konnte, wenn man die wahren Prioritäten nicht kannte, dachte der Herr der Puppen.
Auch ich habe mich viel zu lang an der Oberfläche meiner Möglichkeiten bewegt, anstatt meiner wahren Berufung zu folgen. Ärger überkam ihn, als er an die vielen verschenkten Jahre dachte. Ich könnte schon viel weiter sein, wenn ich früher begriffen hätte.
Doch sein Unmut verflog so schnell, wie er gekommen war. Vergiss die Vergangenheit!, ermahnte ihn die Stimme in seinem Herzen. Es ist die Zukunft, die zählt.
Plötzlich warf der Auserwählte seine Zigarette aus dem schmalen Spalt des geöffneten Wagenfensters. Nur Zentimeter von den Fußsohlen seines Beobachters entfernt, fiel der glimmende Stumpen auf den feuchten Asphalt, wo er noch zwei-, dreimal umherwirbelte und seine glühende Asche in die Dunkelheit versprühte, bis er schließlich zischend in einer kleinen Pfütze landete. Dann war Stille.
Stille.
Der Herr der Puppen liebte dieses Wort wie kein anderes. In einer lauten Welt ohne Liebe für Details suchte er geradezu diese Momente, in denen außer seinem Herzschlag und dem des Auserwählten nichts zu hören war. Auch später, wenn die Arbeit vollbracht war und die Reste seines Opfers ihren Platz in der Galerie eingenommen hatten, herrschte eine Stille, die seine zum Zerreißen gespannten Sinne auf angenehme Art beruhigte.
So wie in diesem Augenblick. Der Mann in dem Auto öffnete das Handschuhfach, um etwas herauszunehmen. Vielleicht eine Straßenkarte, vielleicht eine neue Schachtel Zigaretten. Was immer es auch war, es spielte keine Rolle mehr. Denn noch während der Mann sich tiefer zur Seite beugte, um besser an das Gesuchte heranzukommen, spürte der Jäger mit jeder Faser
seines Körpers, dass jetzt die Zeit des Handelns gekommen war.
Lautlos machte der Herr der Puppen den entscheidenden Schritt auf sein Opfer zu.
14. Juli, 8.50 Uhr;
Köln-Klettenberg, Fort Deckstein
Der Rollsplitt knallte im Takt eines Maschinengewehrs gegen den Unterboden des Minivans, als Wolfgang Lerch ohne zu blinken über die durchgezogene Linie in den Waldweg abbog.
«Du bist mir ja ein schönes Vorbild!» Martina Lerch klang halb belustigt, halb ernst. «Was glaubst du, was die Kinder daraus lernen, wenn sie einen Geisterfahrer zum Vater haben?»
«Was sollen sie daraus lernen? Wahrscheinlich bewundern sie meine Fähigkeit, mutige Entscheidungen zu treffen. Nicht wahr, ihr drei?»
«Was ist ein Geisterfahrer, Mami?», wollte Louisa vom Rücksitz aus wissen.
«Das ist jemand, der in die falsche Richtung fährt», erklärte ihr Anna. «Wenn so einer einen Unfall baut, dann zahlt die Versicherung nicht. Außerdem kommt er ins Gefängnis und kriegt fünf Jahre lang nur Wasser und Brot.»
«Nur Wasser und Brot?» Martina Lerch zwickte ihrem Mann in seinen stattlichen Bauch. «Okay, fahr weiter, Wolfgang.»
Als sie die Lichtung mit dem Parkplatz erreichten, standen nur zwei weitere Autos dort, ein dunkler Jeep und ein roter Honda. Wolfgang Lerch parkte am anderen Ende des Platzes, direkt neben der Abzweigung des Waldweges, den sie einschlagen mussten.
«Siehst du, es war doch eine gute Idee, so früh aufzubrechen. Jetzt können wir uns in aller Ruhe den schönsten Grillplatz im Wald aussuchen, während die Leute, die heute Nachmittag kommen, ihr Fleisch in der Sonne braten müssen. Bin ich nicht ein guter Organisator?»
«Der beste. Jetzt musst du den Kindern nur noch erklären, warum es notwendig ist, dafür an einem Samstag um sieben Uhr aufzustehen.» Martina gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich losschnallte und ausstieg.
Obwohl es noch so früh war, fühlte sie sich von einem Moment zum anderen wie im Vorraum einer Sauna, bei der jemand vergessen hatte, die Tür zu schließen. Die schwüle Luft kroch in Sekunden unter ihre Kleidung, wo sie für unangenehme Feuchte sorgte. Martina wusste, dass dies nur ein Vorgeschmack dessen war, was ihnen am Nachmittag blühte, wenn sich die Tür zur Sauna endgültig öffnete. Dann half nur noch trinken und stillsitzen, so wie schon seit Wochen in fast ganz Deutschland.
Während ihr Mann zum Kofferraum ging, um den Bollerwagen auszuladen, zog Martina die Schiebetür auf. Erst half sie ihrer Jüngsten aus dem Kindersitz, dann stiegen Anna und zuletzt Lena aus dem Auto, die Louisas Teddy fest in der Hand hielt. Die Achtjährige wusste genau, dass ihre kleine Schwester ohne Winnie keinen Schritt aus dem Haus gemacht hätte und schon gar nicht aus dem Auto. Deshalb hatte sie sich persönlich zu Winnies Aufpasserin erklärt. Zur Freude aller, denn jeder wusste, was los war, wenn das Stofftier versehentlich irgendwo liegenblieb.
«Scheiße! Hat jemand an den Spiritus gedacht?» Wolfgang Lerch hielt die Trageschlaufen einer Jutetasche auseinander und blickte hinein. «Ich glaube, ich hab ihn vergessen!»
«Der Fusel ist da, wo er hingehört, nämlich bei der Holzkohle im Grill», erklärte ihm seine Frau.
«Scheiße sagt man nicht», beschwerte sich Louisa. «Frau Aßmann sagt, wer das Sch-Wort sagt, ist dumm wie Bohnenstroh.»
«Deine Kindergärtnerin hat vollkommen recht, mein Schatz. Aber dein Papa hat sich nur versprochen. Er wollte eigentlich schade sagen.» Martina Lerch blickte ihren Mann warnend an.
«Stimmt das, Papa?»
«Natürlich. Du musst dir keine Sorgen machen. Dein Vater ist nicht dumm.»
Als alles umgeladen war, schloss Wolfgang Lerch den Wagen mit der Fernbedienung ab. Louisa lachte zufrieden, als die Blinker kurz aufleuchteten und die Hupe ertönte. Dann rannte sie zu Lena und Anna, die bereits einige Meter vorausgelaufen waren.
«Du bist dran», rief sie, als sie ihre älteste Schwester erreichte und mit der Hand abklatschte.
«Ich bin doch kein Baby mehr», maulte Anna, während sie die Mailbox ihres Handys kontrollierte. Sie hatte es nach einem halben Jahr schwerster Überzeugungsarbeit zu ihrem zwölften Geburtstag geschenkt bekommen. Seitdem drehte sich ihre ganze Freizeit um das Gerät, auch wenn heute kein Mensch außer ihr zu wissen schien, dass sie es besaß.
«Doofie!» Lena streckte Anna die Zunge heraus und lief hinter Louisa her.
«Lauft nicht so weit in den Wald, Kinder! Hier gibt es jede Menge Bären und Wölfe.»
«Aber doch nur im Märchen!» Unbeeindruckt verschwanden die beiden Mädchen mit Winnie im Schlepptau in einem Gebüsch. Fröhliches Geschnatter begleitete ihren Weg durch den Wald, sodass sich ihre Eltern keine Sorgen zu machen brauchten, sie könnten verlorengehen.
In gemächlichem Tempo folgten die Lerchs mit ihrer Größten dem schmalen Schotterweg in Richtung des kleinen Waldsees, der ihr Ziel war. Er lag, von mehreren Feuerstellen umgeben, nur einen knappen Kilometer vom Parkplatz entfernt und war bequem in einigen Minuten erreichbar. Die beiden Erwachsenen gingen voraus und diskutierten darüber, warum man das nervige Quietschen des Bollerwagens eigentlich mit schöner Regelmäßigkeit eine Sekunde nach dem Einladen in den Van wieder vergaß und sich beim nächsten Mal wunderte, dass man es nicht beseitigt hatte.
«Was für ein herrlicher Tag!» Martina Lerch warf den Kopf in den Nacken und streckte die Arme aus. «Ich verspreche dir, dass ich heute nichts, aber auch gar nichts tun werde, was anstrengt. Nur essen, schlafen und ...», fügte sie flüsternd hinzu, nachdem sie sich mit einem Blick über die Schulter vergewissert hatte, dass ihre Älteste mit dem Handy beschäftigt war und ihnen nicht zuhörte, «wenn es unbedingt sein muss, heute Abend auch noch ein bisschen Sex.»
Ihr Mann grinste. «Es muss sein, mein Schatz. Du weißt genau, dass ich immer einen Hormonschub bekomme, wenn ich Fleisch esse. Das sind vermutlich meine Urinstinkte - aus der Zeit, als Männer ihre Frauen noch mit der Keule erlegten.»
«Träum weiter, du Halbwilder! Ich werde dir heute Abend zeigen, was eine Frau mit einer Keule alles machen kann.»
Lachend zog Wolfgang Lerch den Bollerwagen weiter in Richtung des Grillplatzes. Der Weg zog sich über eine kleine Kuppe und fiel dann zu einem trockenen Bachbett ab, das sich durch den Wald schlängelte. «Lena! Louisa! Kommt her!», rief Martina Lerch, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie die beiden Mädchen schon eine Weile nicht mehr gehört hatte. In etwa hundert Metern Entfernung glaubte sie für einen kurzen Moment plötzlich Lenas rotes Kleid aufblitzen zu sehen, das schnell wieder hinter einem Gebüsch verschwand.
«Lena! Wenn ihr nicht sofort herkommt, werde ich böse!» Ihre Stimme klang streng, und doch machte sich bereits Unruhe in ihr breit. Die Kinder hielten oft die Spielregeln nicht ein. Eine der wichtigsten war, sich nicht aus der Sicht- und Rufweite der Eltern zu entfernen. Doch ihre Töchter wussten genau: Wenn ihre Mutter diesen Ton anschlug, war mit ihr nicht zu spaßen.
«Lena! Louisa!»
Alles blieb ruhig.
Martina Lerch blickte ihren Mann an. Angst schnürte ihr plötzlich die Kehle zu. Man wusste ja, was heutzutage alles passieren konnte. Und wie schnell so etwas ging...
«Wir sollten lieber mal nachschauen», sagte nun auch ihr Mann.
«Ja. Ich ...»
Im nächsten Moment drang ein markerschütternder Schrei durch den Wald. Eine Sekunde später schrie noch jemand. Den Lerchs gefror das Blut in den Adern.
«Louisa! Lena!», brüllte Wolfgang Lerch.
«Anna, du bleibst mit deiner Mutter hier! Ich sehe nach, was los ist.»
«Wir kommen mit!» Ein kurzer Blick in die Augen seiner Frau machte ihm klar, dass jede Diskussion zwecklos war. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rannte er los, die beiden anderen folgten.
Martina Lerch blieb dicht bei Anna, sodass ihr Mann schnell einen Vorsprung vor den beiden gewann. Dabei scherte er sich nicht um die Dornen, die seine nackten Beine zerkratzten, er nahm den kürzesten Weg dorthin, wo er seine Töchter vermutete.
«Louisa! Lena! Ich bin gleich bei euch!»
Wolfgang Lerch versuchte, noch schneller zu laufen. Sein Herz klopfte wild, und seine untrainierten Lungen brannten. Während er mit bleiernen Beinen durch das Gebüsch stolperte, trieb ihn nur ein einziger Gedanke an: Er musste zu seinen Töchtern und ihnen helfen.
Eine Sekunde später taumelte er in das trockene Bachbett hinunter. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn erstarren.
Louisa lag ein paar Meter von ihm entfernt auf einem Haufen Erde und schien wirres Zeug zu plappern, Wolfgang konnte kein Wort verstehen. Gerade machte sie den hilflosen Versuch, sich aufzurappeln, doch nach wenigen Zentimetern sank sie auf den Waldboden zurück.
Wolfgang Lerch blinzelte irritiert, als er neben dem Erdhaufen einen Stapel aus Kleidungsstücken entdeckte.
Dann blickte er zu Lena, die mit nach vorn gebeugtem Oberkörper ein paar Meter vor ihrer Schwester stand und aussah, als würde sie nach Luft ringen. Wolfgang Lerch eilte zu ihr und streckte eine Hand nach ihr aus, um sie zu beruhigen. Als seine Finger nur noch Zentimeter von ihrer Schulter entfernt waren, entdeckte er zu ihren Füßen eine matschige Lache.
«Lena, was ...» Seine Stimme erstarb, als er den flehenden Blick seiner Tochter sah.
«Papa, ich kann nichts dafür. Ich konnte doch nicht wissen, dass es da liegt ...!» Ein weiterer Schwall ihres Mageninhaltes landete im Laub.
Durch Wolfgang Lerch ging ein Ruck. Er musste seine Kinder so schnell wie möglich hier wegbringen. Alles andere war unwichtig.
Er kniete sich neben Louisa und schob seine Hände unter ihre Achseln. Ihr Herz pochte wild. Vorsichtig zog er sie von dem Erdhügel weg, jede Sekunde damit rechnend, dass seine Tochter vor Schmerzen aufschreien könnte und er in seiner Bewegung innehalten musste. Doch Louisa keuchte nur stoßartig und lehnte sich kraftlos an ihn, als er sie auf seinen Schoß setzte. Wolfgang Lerch spürte, wie sie zitterte.
«Ganz ruhig, meine Kleine! Papa ist bei dir, jetzt kann dir nichts mehr geschehen.»
Angewidert scheuchte er die Fliegen beiseite, die sich auf Louisa niedergelassen hatten - und hielt plötzlich inne.
Die kleinen Maden sahen aus dieser Entfernung aus wie dünne weiße Wurzeln, und für einen Moment glaubte Wolfgang Lerch tatsächlich, dass es welche waren. Doch dann sah er, dass sich etwas in dem schmierigen Brei bewegte, der Louisas Kleid bedeckte.
«O mein Gott!»
Fieberhaft suchte er seine Hose nach Papiertaschentüchern ab. Als er endlich eines gefunden hatte, entfernte er mit zitternden Händen einige der Maden und tupfte anschließend mehrmals die Stelle ab, wo die Tiere gelegen hatten. Dann warf er das Taschentuch angeekelt weg.
Verdammter Mist! Er hatte wie immer nur eins eingesteckt. Aber er konnte die Maden unmöglich auch nur eine Sekunde länger auf seiner Tochter herumkriechen lassen. Kurz entschlossen zog er sein T-Shirt aus und begann vorsichtig, den immer noch von Fliegen umschwirrten Brei zu entfernen.
«Es wird alles gut, meine kleine Prinzessin. Papa bringt dich gleich nach Hause!» Besorgt lauschte er Louisas Atmung, es schien, als bekäme sie kaum Luft.
Während er die Hände seiner Tochter abwischte, fiel sein Blick auf den Haufen, von dem er sie vor wenigen Sekunden heruntergezogen hatte.
«O Gott!» Eine eiskalte Hand griff nach seinem Herz.
«Papa!» Annas Stimme kam aus unmittelbarer Nähe.
Wolfgang Lerch fuhr herum. «Bleib, wo du bist!» Seine Älteste und seine Frau waren gerade an derselben Stelle in das Bachbett heruntergestiegen wie er kurz zuvor.
«Aber Papa! Was ist denn mit Louisa?» Anna kam langsam näher.
«Ich sagte, du sollst bleiben, wo du bist!», sagte Wolfgang scharf. «Martina, geh mit Lena und Anna zurück zum Wagen. Ich trage Louisa.»
«Tragen? Warum um alles in der Welt tragen?» Panik stieg in Martina Lerch hoch. «Wolfgang! Was ist mit ihr?»
«Tut einfach, was ich sage, verdammt!»
Martina Lerch wollte ihren Mann zurechtweisen. Doch dann sah sie die Angst in seinem Blick. Schnell machte sie einen Schritt nach vorn und hielt Anna an der Schulter fest. «Du rührst dich nicht von der Stelle!» Sie ging an ihrer ältesten Tochter vorbei zu Lena, die sich immer noch übergab.
Wolfgang Lerch bettete Louisa vorsichtig auf seine Arme und hob sie hoch. Er ließ sein T-Shirt achtlos liegen und ging mit ihr das Bachbett zurück. Gleichzeitig gab er damit den Blick auf den dunklen Haufen frei.
«Was ist das, Wolfgang?»
«Nur ein totes Reh», murmelte er, schaute aber seiner Frau dabei nicht in die Augen.
«O Gott!»
Schnell drehte sie Lena zur Seite. «Los, mein Schatz! Wir müssen zum Wagen. Anna nimmt dich an die Hand.»
Lena wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleides den Mund ab. Dann hob sie Winnie auf und ging langsam zu ihrer großen Schwester, die sie die Böschung hinaufführte.
Als Wolfgang Lerch seine Frau erreichte, dankte er Gott, dass er vor ihr bei Louisa gewesen war und sie hatte reinigen können. Speichel rann aus dem Mund ihrer Tochter und hinterließ helle Bahnen auf dem kleinen verschmierten Gesicht, doch er wollte sich nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn Martina auch noch die Maden gesehen hätte.
«Ist sie verletzt?», fragte Martina Lerch ängstlich.
«Ich hab keine Ahnung, verdammt! Ich sehe nur, dass sie offenbar keine Luft bekommt.»
«Wir müssen ins Krankenhaus, schnell!»
«Das weiß ich! Und wir müssen die Polizei rufen, aber das ist nicht so dringend. Der ... Haufen liegt morgen auch noch da.»
Als sie kurz darauf wieder auf dem Schotterweg standen, war die Vierjährige völlig verstummt. Ihr Kopf war dunkel angelaufen und hing kraftlos nach unten. «Schnell, zum Auto», rief Wolfgang Lerch.
«Anna, du ziehst den Bollerwagen», befahl Martina Lerch. «Wenn du nicht mehr kannst, lass ihn stehen. Lena, schaffst du es allein?»
Seine mittlere Tochter nickte tapfer.
«Gut, dann zurück zum Parkplatz!»
Während sie mit schnellen Schritten kehrtmachten, legte Wolfgang Lerch zwei Finger an Louisas Halsschlagader, so wie er es im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hatte. Nach wenigen Sekunden versuchte er es einige Zentimeter daneben.
«Mein Gott, Martina! Ich kann ihren Puls nicht spüren!»
Martina biss sich auf die Lippen. Dann fuhr sie zu Anna herum und rief: «Gib mir dieses gottverdammte Handy!» Mit zitternden Fingern wählte sie die Notrufnummer. In ihrer Panik verwählte sie sich zweimal, bevor sie jemanden erreichte. Als sie ihre Stimme einigermaßen unter Kontrolle gebracht und die Situation geschildert hatte, wurde sie angewiesen, zum Kinderkrankenhaus in Köln-Riehl zu fahren. Gleichzeitig wurde die Polizei alarmiert, ein Einsatzfahrzeug loszuschicken, das sie zum Krankenhaus eskortieren und den Weg frei halten sollte.
«Los, schnell!» Wolfgang Lerch begann, mit Louisa auf den Armen zu laufen.
«Ich kann nicht mehr!», rief Anna, die den Bollerwagen ziehen musste.
«Lass den verdammten Wagen stehen! Wir holen ihn später!» Anna ließ die Zugstange los. Dann rannte sie hinter ihrer Familie her.
Auf dem Parkplatz angekommen, half Martina ihren zwei älteren Töchtern in den Minivan. Anna hielt wieder die Hand von Lena, die noch immer kein Wort sprach und sich unterwegs zum Auto noch einmal übergeben hatte.
Während Martina Lerch sich ans Steuer setzte und mit verschwitzten Fingern das Lenkrad festhielt, nahm ihr Mann vorsichtig auf dem Beifahrersitz Platz. In seinen Armen hielt er seine Jüngste, deren Kopf inzwischen eine bläuliche Färbung angenommen hatte.
«Gib Gas, verdammt! Gib Gas!»
Die Fahrt ins Krankenhaus wurde für sie alle zur Hölle.
...
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Autoren-Porträt von Rainer Löffler
Löffler, RainerRainer Löffler lebt mit seiner Frau, seinen beiden Töchtern und dem Sohn in Hemmingen bei Stuttgart. BLUTSOMMER ist das Debüt des Autors - der Auftakt einer Serie um den Fallanalytiker Martin Abel.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rainer Löffler
- 2016, 8. Aufl., 493 Seiten, Maße: 12,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499257270
- ISBN-13: 9783499257278
- Erscheinungsdatum: 01.06.2012
Rezension zu „Blutsommer / Martin Abel Bd.1 “
Rainer Löffler bereichert die deutsche Thriller-Szene um eine aufregende Stimme. Kölner Stadt-Anzeiger
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