Mein Leben für Amazonien
An der Seite der unterdrückten Völker; In Zusammenarbeit mit Josef Bruckmoser. Zum 75. Geburtstag von Erwin Kräutler
Das Buch zum 75. Geburtstag am 12. Juli 2014!
Mit beeindruckenden Bildern aus 50 Jahren Amazonien.
Wie kein anderer Österreicher hat Bischof Erwin Kräutler die moderne Kirche Lateinamerikas geprägt.
Kämpfen, glauben, hoffen:...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Mein Leben für Amazonien “
Mit beeindruckenden Bildern aus 50 Jahren Amazonien.
Wie kein anderer Österreicher hat Bischof Erwin Kräutler die moderne Kirche Lateinamerikas geprägt.
Kämpfen, glauben, hoffen: Authentisch und packend erzählt der Bischof von Xingu, der größten Diözese Brasiliens, was ihn bewegt und antreibt. Wegen seines unermütlichen Einsatzes für die indigenen Völker und den Schutz des Regenwalds ist er mehrfach nur knapp dem Tod entronnen. Erwin Kräutler, der Experte für Umweltschutz und die Rechte der Indios, wurde u.a. mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Klappentext zu „Mein Leben für Amazonien “
In diesem Buch blickt Bischof Erwin Kräutler auf sein Leben zurück. Wie kein anderer Österreicher hat er die Entwicklung der Kirche auf dem lateinamerikanischen Subkontinent seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil mitgestaltet. Und kein anderer kann diese Geschichte so authentisch erzählen wie der Ordensmann von den Missionaren vom Kostbaren Blut, der wegen seines persönlichen Einsatzes mehrfach nur knapp dem Tode entronnen ist.Erwin Kräutler sagt von sich selbst: "Ich bin Brasilianer, in Österreich geboren." Jahr für Jahr pflegt der Bischof den Kontakt zu seiner Familie sowie zu Freunden und Unterstützern in Europa. Er ist gefragter Gesprächspartner und Experte zu Fragen des Umweltschutzes und der Rechte der indigenen Völker im Amazonasgebiet. Zuletzt hat ihn Papst Franziskus zu sich gebeten, damit seine Erfahrung im Widerstreit zwischen dem naturnahen Leben der Indios im Regenwald und den Interessen der globalen Wirtschaft, die weite Teile des Xingu durch das riesige Kraftwerk Belo Monte vernichtet, in das päpstliche Schreiben zur Ökologie einfließen können.
In diesem Buch blickt Bischof Erwin Kräutler auf sein Leben zurück. Wie kein anderer Österreicher hat er die Entwicklung der Kirche auf dem lateinamerikanischen Subkontinent seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil mitgestaltet. Und kein anderer kann diese Geschichte so authentisch erzählen wie der Ordensmann von den Missionaren vom Kostbaren Blut, der wegen seines persönlichen Einsatzes mehrfach nur knapp dem Tode entronnen ist.
Erwin Kräutler sagt von sich selbst: "Ich bin Brasilianer, in Österreich geboren." Jahr für Jahr pflegt der Bischof den Kontakt zu seiner Familie sowie zu Freunden und Unterstützern in Europa. Er ist gefragter Gesprächspartner und Experte zu Fragen des Umweltschutzes und der Rechte der indigenen Völker im Amazonasgebiet. Zuletzt hat ihn Papst Franziskus zu sich gebeten, damit seine Erfahrung im Widerstreit zwischen dem naturnahen Leben der Indios im Regenwald und den Interessen der globalen Wirtschaft, die weite Teile des Xingu durch das riesige Kraftwerk Belo Monte vernichtet, in das päpstliche Schreiben zur Ökologie einfließen können.
Erwin Kräutler sagt von sich selbst: "Ich bin Brasilianer, in Österreich geboren." Jahr für Jahr pflegt der Bischof den Kontakt zu seiner Familie sowie zu Freunden und Unterstützern in Europa. Er ist gefragter Gesprächspartner und Experte zu Fragen des Umweltschutzes und der Rechte der indigenen Völker im Amazonasgebiet. Zuletzt hat ihn Papst Franziskus zu sich gebeten, damit seine Erfahrung im Widerstreit zwischen dem naturnahen Leben der Indios im Regenwald und den Interessen der globalen Wirtschaft, die weite Teile des Xingu durch das riesige Kraftwerk Belo Monte vernichtet, in das päpstliche Schreiben zur Ökologie einfließen können.
Lese-Probe zu „Mein Leben für Amazonien “
Mein Leben für Amazonien - Erwin Kräutler ... mehr
3. Wie ich Kraft und Hoffnung schöpfe
Die Bibel am Morgen − meine heilige Stunde
Mein Arbeitstag ist sehr unterschiedlich, je nachdem, ob ich in Altamira
bin oder unterwegs am Xingu. Die Distanzen sind unendlich.
Auf dem Schiff gibt es die Möglichkeit, ein paar Hängematten
aufzuhängen. Es gibt auch eine kleine Dusche an Bord, ganz eng,
aber immerhin, eine kleine Kochecke und eine Toilette. Da kann
man schon leben. Aber von einer Gemeinde zur nächsten kann es
oft Stunden dauern, manchmal sogar einen ganzen Tag. Da verbringe
ich die Zeit damit, in aller Ruhe zu beten, zu lesen, zu meditieren.
Meistens komme ich am frühen Abend in eine Gemeinde. Ich werde
immer sehr herzlich empfangen. Es gibt einen genauen Ablauf,
den die Leute selbst bestimmen. Fast immer beginnt es mit einem
gemeinsamen Abendessen, dann folgt eine Versammlung, in der sie
ihre Berichte vortragen. Zuerst reden die Vertreterinnen und Vertreter
der Gemeinde. Wenn mehrere Gemeinden vertreten sind,
werden diese je einzeln vorgestellt. Ich komme ja jeweils in einen
Sektor einer Pfarre, und zwar das eine Jahr in diese, das andere Jahr
in die nächste Gemeinde. Die anderen Gemeinden des Sektors stoßen
dann jeweils dort dazu, wo ich gerade bin.
Vor der Nachtruhe wird der Gottesdienst für den nächsten
Tag vorbereitet und dann ein gemeinsames Abendgebet verrichtet.
Wenn Firmung vorgesehen ist, dann wollen die jungen Leute
beim Bischof beichten. Da bin ich am Abend ziemlich angehängt,
und wenn es mehr Firmlinge sind, stehe ich schon wieder am frühen
Morgen für die Beichte zur Verfügung. Zum Schlafen bleibt
nicht viel Zeit. Denn am Abend wird es meist spät, und am Morgen
geht es frühzeitig los. Das ist für mich kein Problem, denn ich bin
ein Frühaufsteher. Daheim in Altamira bin ich spätestens um zehn,
halb elf im Bett und stehe um halb fünf auf. Aber wenn ich draußen
bin und erst um Mitternacht in die Hängematte komme, wache ich
trotzdem zu meiner gewohnten Zeit auf, sodass die Nacht ziemlich
kurz ist. Ich kann aber meist auf dem Schiff in der Hängematte ein
wenig Schlaf nachholen.
Der Gottesdienst am nächsten Tag ist meistens mit einer Firmung
verbunden. Die anschließende kurze Agape ist ein Imbiss, mit Kaffee
oder Saft aus einheimischen Früchten. Im Anschluss gibt es noch einmal
ein Treffen mit dem Bischof. Die Leute stellen nun alle möglichen
Fragen, quer durch: Was sagst du zum neuen Papst? Wie stehst du
zur Regierung? Was hältst du von Belo Monte? Welche Beschlüsse
gab es bei der Bischofskonferenz? Wie geht es dir persönlich? Wie
lange stehst du noch unter Polizeischutz? Wirst du nach wie vor bedroht?
Die Leute sind sehr interessiert. Oft haben sie im Radio etwas
gehört und wollen nun vom Bischof genauer darüber Bescheid bekommen.
Das dauert meist bis Mittag. Das gemeinsame Mittagessen
ist gleichzeitig das Abschiedsmahl. Ich verabschiede mich und höre
hundert Mal dieselbe Frage: „Wann kommst du wieder?“
Irgendwie umfängt mich dann eine grenzenlose Wehmut. Ja,
wann komme ich wieder? Wann darf dieses liebe Volk wieder Eucharistie
feiern? Es geht mir dann, wie es Jesus erging, als er seine
Jüngern eingeladen hat, den See zu überqueren, um endlich auszuruhen,
und ihn viele Leute bereits am anderen Ufer erwarteten. „Als
er an Land ging und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit
ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er
lehrte sie lange“ (Mk 6,31–34). Wenn die Distanz zur nächsten Gemeinde
allzu groß ist, bekomme ich das Mittagessen mit an Bord.
In Altamira ist der Tagesablauf natürlich anders. Ich habe im Diözesanhaus
meinen Bereich, das Schlafzimmer und zwei Räume als
Büro. Ich stehe um halb fünf oder kurz vor fünf auf. Früher bin ich
fünf Kilometer am Fluss gelaufen, aber das hat mir die Polizei aus
Sicherheitsgründen verboten. Daher gehe ich jetzt in den Gängen
des Diözesanhauses auf und ab. Das sind immer etwa 75 Schritte
nach vorn und 75 Schritte zurück. Das ist nicht dasselbe wie am
Fluss entlang, aber ich bin es mittlerweile gewohnt.
Ich bete dabei meist drei Rosenkränze. Das entsprach früher, als
ich noch am Fluss entlang ging, ungefähr fünf Kilometern. Die Wiederholung
des Ave Maria ist das Rauschen im Hintergrund eines
Glaubensgeheimnisses, das immer mehr Herz und Sinn erfüllt und
präsent wird. Ich bete die Gesätzchen immer auf Latein. Das bin
ich so gewohnt und der Rhythmus ist zügiger als auf Deutsch. Ich
meditiere dazu auch oft Bibelstellen aus dem Römerbrief, den Korintherbriefen,
dem Brief an die Philipper oder an die Galater. Oder
auch die wunderbaren Abschiedsworte Jesu im Johannesevangelium
16,31–17,26. Das ist für mich wie ein erweitertes Vaterunser,
ein tiefgehendes Gebet, in dem sich viel wiederholt, aber das den
großen, unendlich tröstlichen Wunsch Jesu für alle seine Jüngerinnen
und Jünger ausspricht: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt
nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst“ ( Joh 17,15).
Besonders gern mag ich klassische Bibelstellen, die auf unsere Situation
in Amazonien zutreffen. Das beginnt im Alten Testament,
beim Exodus-Bericht von der Befreiung des Volkes Israel aus dem
Sklavenhaus (Ex 3,7–9). Oder der Erste Johannesbrief 3,16: „Daran
haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns eingesetzt
hat. Auch wir sind es schuldig, unser Leben für die Schwestern und
Brüder einzusetzen.“ Oder das Hohelied der Liebe aus dem Ersten
Brief an die Korinther 12,31–14,1, das ich auf Portugiesisch längst
auswendig kann. Oder aus dem Brief an die Philipper 2,5–9: „Seid
untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:
Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu
sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den
Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen: Er erniedrigte
sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“
Nach der Morgendusche mache ich etwa eine Stunde lang meine
Morgenbetrachtung und bete die Laudes. Die Bibel ist für mich
wie das tägliche Brot. Ich brauche diese „heilige Stunde“, wie ich sie
nenne. Ich brauche die Meditation, das Gebet, die kontemplative
Dimension. Es gibt in der Bibel für mich sehr existenzielle Stellen,
mit denen ich mich stark identifiziere, auch in Zeiten der Verfolgung,
der Angst, der Gefahren. Ich denke an Aussagen des Paulus
wie im Römerbrief 8,31 „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“
oder am Beginn des Römerbriefs „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen
zum Apostel, auserwählt für das Evangelium Gottes“ (Röm
1,1). In seinem zweiten Brief an Timotheus schreibt Paulus seinem
Schüler: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe“ (2 Tim 1,12). Das
ist auch für mich die Mitte meines Glaubens: dass ich weiß, auf
wen ich baue.
Auch mein Wahlspruch „Servus Christi Iesu“ stammt vom Beginn
des Römerbriefs. Als ich einmal in die Krypta des Salzburger
Doms ging, um an den Sarkophagen der Bischöfe zu beten, die ich
persönlich gekannt habe, wie war ich da plötzlich überrascht: Erzbischof
Andreas Rohracher, der mich 1965 im Salzburger Dom zum
Priester geweiht hat, hatte den gleichen Wahlspruch!
Vor der „heiligen Stunde“ gehe ich meinen Kalender durch. Ich
habe Geburtstage, Todestage, von meiner Familie, von Verwandten,
von befreundeten Menschen, die Weihe- oder Professtage meiner
Mitbrüder und Mitschwestern penibel aufgeschrieben. Ich trinke
dabei meinen Orangensaft und den Matetee, den ich sehr gern mag.
Es gibt in Brasilien eine ganz eigene Art, wie man ihn zubereitet.
Am Abend lese ich die weiteren Horen des Stundengebets, die
Vesper und die Matutin des nächsten Tages. Viele Lesungen aus
den Büchern der Kirchenväter, die dabei vorgesehen sind, habe ich
schon sehr oft gelesen. So erlaube mir hin und wieder, statt der Väter
einen anderen Text zu lesen, der mir als geistliche Lesung oder
theologisch wichtig erscheint.
Wenn ich in Altamira bin, feiere ich meistens am Abend um sieben
oder halb acht die Eucharistie. Danach findet in Ausnahmefällen
noch eine Versammlung statt. Aber in der Regel wissen die Leute,
dass der Bischof für solche Begegnungen am Abend nicht mehr gut
zu haben ist. Ich lege mich zwar nach dem Mittagessen 20 Minuten
hin, höchstens eine halbe Stunde. Aber ich halte Versammlungen
bis spät in die Nacht physisch nicht mehr aus.
Gern habe ich die biblischen Bilder vom Salz der Erde und vom
Licht der Welt. Ich erzähle den Menschen, dass eine Suppe ohne
Salz schlicht und einfach ungenießbar ist. So brauche es uns Christen
als Salz der Erde. Nicht, dass wir besser wären als die anderen,
sondern in dem Sinn, dass wir das Salz und das Licht sein möchten
in der Gesellschaft. Es hat keinen Wert, über die Finsternis zu
schimpfen. Es ist gescheiter, eine Kerze anzuzünden.
Oft sind es natürlich auch meine Sorgen, die ich in mein Gebet
einbringe. Und davon gibt es genug. Seien es persönliche, interne
Angelegenheiten der Diözese, oder äußere Angelegenheiten von
Menschen, wo ich keine Lösung finde. Die Menschen erwarten vom
Bischof eine Lösung! Sag uns, was sollen wir tun!? Das geht an die
Substanz. Da sind mir gerade die Psalmen eine große Hilfe oder das
Buch Ijob. Der Mensch hat das Recht, zu Gott zu schreien und zu
fragen, warum?! Wenn Leute misshandelt werden, frage ich mich:
Um Gottes willen, warum muss das so sein, warum kann ich so wenig
dagegen tun?!
Wenn es mir nicht gut geht, denke ich an den Kreuzweg, an die
Agonie am Ölberg. Nachfolge Christi heißt ja nicht, dem wundertätigen
Jesus nachzufolgen oder seine guten, schönen Worte
weiterzusagen. Nachfolge Jesu heißt, auch seinen Schmerz, sein
Leiden zu akzeptieren als den eigenen Schmerz, das eigene Leiden.
Das redet sich leicht daher, aber ist absolut nicht einfach. Daher
beeindruckt mich bis heute das alttestamentliche Buch Ijob.
Der Mensch Ijob redet mit Gott – und wie! Besonders das letzte
Kapitel 42 ist herrlich. Auf Deutsch heißt es in den Versen 4 bis
6: „Hör doch, ich will nun reden, ich will dich fragen, du belehre
mich! Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; jetzt
aber hat mein Auge dich geschaut. Darum widerrufe ich und atme
auf, in Staub und Asche.“
Es gibt Augenblicke, in denen es dir die Stimme verschlägt und
du nicht einmal mehr die Kraft hast aufzuschreien. Ich denke an
jene Stunde, als ich vor dem Sarg von Schwester Dorothy stand,
die erschossen worden war. Ich denke an meinen guten Freund
Dema, ein Familienvater von vier Kindern. Auch er wurde erschossen
und fiel seiner Frau zu Füßen. Sein letzter Blick traf seine
liebe Maria da Penha: Schau auf unsere Kinder! Ich denke an
meinen Mitbruder Hubert Mattle. Ich sehe ihn noch neben mir,
mit seiner kleinen Hündin. Als ich am Tag, an dem er erschossen
wurde, vom Auferstehungsgottesdienst zurückkam, lag die Hündin
vor Huberts Zimmertür, unmittelbar neben meinem Zimmer.
Ich streichelte die Hündin und sie schaute zu mir auf und fing
an zu weinen. Hundeweinen ist herzzerreißend. Es geht dir durch
Mark und Bein.
Was kann ich dazu sagen, wie soll ich das in Worte fassen?
Schweigen ist da besser als große Erklärungen oder eine noch so gut
gemeinte Predigt. Oft und oft habe ich keine Antwort und ich suche
auch keine. Die Theodizee-Frage habe ich nie gestellt und werde sie
auch nie stellen: Warum lässt Gott das zu? Wie oft ist das Elend,
die Not, von Menschen hervorgerufen, durch Menschen verursacht!
Das ist gerade bei uns in Amazonien ganz offensichtlich. Und wenn
anderswo, in Asien, tausende Menschen einem Tsunami zum Opfer
fallen? Auch da ist die Frage mehr als überflüssig, warum Gott diese
Menschen alle zugrunde gehen lässt, wenn es viele wissenschaftlich
fundierte Hinweise gibt, dass solche Katastrophen durch den von
den Menschen provozierten Klimawandel und skrupellosen Raubbau
viel häufiger und größer geworden sind.
© Tyrolia
3. Wie ich Kraft und Hoffnung schöpfe
Die Bibel am Morgen − meine heilige Stunde
Mein Arbeitstag ist sehr unterschiedlich, je nachdem, ob ich in Altamira
bin oder unterwegs am Xingu. Die Distanzen sind unendlich.
Auf dem Schiff gibt es die Möglichkeit, ein paar Hängematten
aufzuhängen. Es gibt auch eine kleine Dusche an Bord, ganz eng,
aber immerhin, eine kleine Kochecke und eine Toilette. Da kann
man schon leben. Aber von einer Gemeinde zur nächsten kann es
oft Stunden dauern, manchmal sogar einen ganzen Tag. Da verbringe
ich die Zeit damit, in aller Ruhe zu beten, zu lesen, zu meditieren.
Meistens komme ich am frühen Abend in eine Gemeinde. Ich werde
immer sehr herzlich empfangen. Es gibt einen genauen Ablauf,
den die Leute selbst bestimmen. Fast immer beginnt es mit einem
gemeinsamen Abendessen, dann folgt eine Versammlung, in der sie
ihre Berichte vortragen. Zuerst reden die Vertreterinnen und Vertreter
der Gemeinde. Wenn mehrere Gemeinden vertreten sind,
werden diese je einzeln vorgestellt. Ich komme ja jeweils in einen
Sektor einer Pfarre, und zwar das eine Jahr in diese, das andere Jahr
in die nächste Gemeinde. Die anderen Gemeinden des Sektors stoßen
dann jeweils dort dazu, wo ich gerade bin.
Vor der Nachtruhe wird der Gottesdienst für den nächsten
Tag vorbereitet und dann ein gemeinsames Abendgebet verrichtet.
Wenn Firmung vorgesehen ist, dann wollen die jungen Leute
beim Bischof beichten. Da bin ich am Abend ziemlich angehängt,
und wenn es mehr Firmlinge sind, stehe ich schon wieder am frühen
Morgen für die Beichte zur Verfügung. Zum Schlafen bleibt
nicht viel Zeit. Denn am Abend wird es meist spät, und am Morgen
geht es frühzeitig los. Das ist für mich kein Problem, denn ich bin
ein Frühaufsteher. Daheim in Altamira bin ich spätestens um zehn,
halb elf im Bett und stehe um halb fünf auf. Aber wenn ich draußen
bin und erst um Mitternacht in die Hängematte komme, wache ich
trotzdem zu meiner gewohnten Zeit auf, sodass die Nacht ziemlich
kurz ist. Ich kann aber meist auf dem Schiff in der Hängematte ein
wenig Schlaf nachholen.
Der Gottesdienst am nächsten Tag ist meistens mit einer Firmung
verbunden. Die anschließende kurze Agape ist ein Imbiss, mit Kaffee
oder Saft aus einheimischen Früchten. Im Anschluss gibt es noch einmal
ein Treffen mit dem Bischof. Die Leute stellen nun alle möglichen
Fragen, quer durch: Was sagst du zum neuen Papst? Wie stehst du
zur Regierung? Was hältst du von Belo Monte? Welche Beschlüsse
gab es bei der Bischofskonferenz? Wie geht es dir persönlich? Wie
lange stehst du noch unter Polizeischutz? Wirst du nach wie vor bedroht?
Die Leute sind sehr interessiert. Oft haben sie im Radio etwas
gehört und wollen nun vom Bischof genauer darüber Bescheid bekommen.
Das dauert meist bis Mittag. Das gemeinsame Mittagessen
ist gleichzeitig das Abschiedsmahl. Ich verabschiede mich und höre
hundert Mal dieselbe Frage: „Wann kommst du wieder?“
Irgendwie umfängt mich dann eine grenzenlose Wehmut. Ja,
wann komme ich wieder? Wann darf dieses liebe Volk wieder Eucharistie
feiern? Es geht mir dann, wie es Jesus erging, als er seine
Jüngern eingeladen hat, den See zu überqueren, um endlich auszuruhen,
und ihn viele Leute bereits am anderen Ufer erwarteten. „Als
er an Land ging und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit
ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er
lehrte sie lange“ (Mk 6,31–34). Wenn die Distanz zur nächsten Gemeinde
allzu groß ist, bekomme ich das Mittagessen mit an Bord.
In Altamira ist der Tagesablauf natürlich anders. Ich habe im Diözesanhaus
meinen Bereich, das Schlafzimmer und zwei Räume als
Büro. Ich stehe um halb fünf oder kurz vor fünf auf. Früher bin ich
fünf Kilometer am Fluss gelaufen, aber das hat mir die Polizei aus
Sicherheitsgründen verboten. Daher gehe ich jetzt in den Gängen
des Diözesanhauses auf und ab. Das sind immer etwa 75 Schritte
nach vorn und 75 Schritte zurück. Das ist nicht dasselbe wie am
Fluss entlang, aber ich bin es mittlerweile gewohnt.
Ich bete dabei meist drei Rosenkränze. Das entsprach früher, als
ich noch am Fluss entlang ging, ungefähr fünf Kilometern. Die Wiederholung
des Ave Maria ist das Rauschen im Hintergrund eines
Glaubensgeheimnisses, das immer mehr Herz und Sinn erfüllt und
präsent wird. Ich bete die Gesätzchen immer auf Latein. Das bin
ich so gewohnt und der Rhythmus ist zügiger als auf Deutsch. Ich
meditiere dazu auch oft Bibelstellen aus dem Römerbrief, den Korintherbriefen,
dem Brief an die Philipper oder an die Galater. Oder
auch die wunderbaren Abschiedsworte Jesu im Johannesevangelium
16,31–17,26. Das ist für mich wie ein erweitertes Vaterunser,
ein tiefgehendes Gebet, in dem sich viel wiederholt, aber das den
großen, unendlich tröstlichen Wunsch Jesu für alle seine Jüngerinnen
und Jünger ausspricht: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt
nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst“ ( Joh 17,15).
Besonders gern mag ich klassische Bibelstellen, die auf unsere Situation
in Amazonien zutreffen. Das beginnt im Alten Testament,
beim Exodus-Bericht von der Befreiung des Volkes Israel aus dem
Sklavenhaus (Ex 3,7–9). Oder der Erste Johannesbrief 3,16: „Daran
haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns eingesetzt
hat. Auch wir sind es schuldig, unser Leben für die Schwestern und
Brüder einzusetzen.“ Oder das Hohelied der Liebe aus dem Ersten
Brief an die Korinther 12,31–14,1, das ich auf Portugiesisch längst
auswendig kann. Oder aus dem Brief an die Philipper 2,5–9: „Seid
untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:
Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu
sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den
Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen: Er erniedrigte
sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“
Nach der Morgendusche mache ich etwa eine Stunde lang meine
Morgenbetrachtung und bete die Laudes. Die Bibel ist für mich
wie das tägliche Brot. Ich brauche diese „heilige Stunde“, wie ich sie
nenne. Ich brauche die Meditation, das Gebet, die kontemplative
Dimension. Es gibt in der Bibel für mich sehr existenzielle Stellen,
mit denen ich mich stark identifiziere, auch in Zeiten der Verfolgung,
der Angst, der Gefahren. Ich denke an Aussagen des Paulus
wie im Römerbrief 8,31 „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“
oder am Beginn des Römerbriefs „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen
zum Apostel, auserwählt für das Evangelium Gottes“ (Röm
1,1). In seinem zweiten Brief an Timotheus schreibt Paulus seinem
Schüler: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe“ (2 Tim 1,12). Das
ist auch für mich die Mitte meines Glaubens: dass ich weiß, auf
wen ich baue.
Auch mein Wahlspruch „Servus Christi Iesu“ stammt vom Beginn
des Römerbriefs. Als ich einmal in die Krypta des Salzburger
Doms ging, um an den Sarkophagen der Bischöfe zu beten, die ich
persönlich gekannt habe, wie war ich da plötzlich überrascht: Erzbischof
Andreas Rohracher, der mich 1965 im Salzburger Dom zum
Priester geweiht hat, hatte den gleichen Wahlspruch!
Vor der „heiligen Stunde“ gehe ich meinen Kalender durch. Ich
habe Geburtstage, Todestage, von meiner Familie, von Verwandten,
von befreundeten Menschen, die Weihe- oder Professtage meiner
Mitbrüder und Mitschwestern penibel aufgeschrieben. Ich trinke
dabei meinen Orangensaft und den Matetee, den ich sehr gern mag.
Es gibt in Brasilien eine ganz eigene Art, wie man ihn zubereitet.
Am Abend lese ich die weiteren Horen des Stundengebets, die
Vesper und die Matutin des nächsten Tages. Viele Lesungen aus
den Büchern der Kirchenväter, die dabei vorgesehen sind, habe ich
schon sehr oft gelesen. So erlaube mir hin und wieder, statt der Väter
einen anderen Text zu lesen, der mir als geistliche Lesung oder
theologisch wichtig erscheint.
Wenn ich in Altamira bin, feiere ich meistens am Abend um sieben
oder halb acht die Eucharistie. Danach findet in Ausnahmefällen
noch eine Versammlung statt. Aber in der Regel wissen die Leute,
dass der Bischof für solche Begegnungen am Abend nicht mehr gut
zu haben ist. Ich lege mich zwar nach dem Mittagessen 20 Minuten
hin, höchstens eine halbe Stunde. Aber ich halte Versammlungen
bis spät in die Nacht physisch nicht mehr aus.
Gern habe ich die biblischen Bilder vom Salz der Erde und vom
Licht der Welt. Ich erzähle den Menschen, dass eine Suppe ohne
Salz schlicht und einfach ungenießbar ist. So brauche es uns Christen
als Salz der Erde. Nicht, dass wir besser wären als die anderen,
sondern in dem Sinn, dass wir das Salz und das Licht sein möchten
in der Gesellschaft. Es hat keinen Wert, über die Finsternis zu
schimpfen. Es ist gescheiter, eine Kerze anzuzünden.
Oft sind es natürlich auch meine Sorgen, die ich in mein Gebet
einbringe. Und davon gibt es genug. Seien es persönliche, interne
Angelegenheiten der Diözese, oder äußere Angelegenheiten von
Menschen, wo ich keine Lösung finde. Die Menschen erwarten vom
Bischof eine Lösung! Sag uns, was sollen wir tun!? Das geht an die
Substanz. Da sind mir gerade die Psalmen eine große Hilfe oder das
Buch Ijob. Der Mensch hat das Recht, zu Gott zu schreien und zu
fragen, warum?! Wenn Leute misshandelt werden, frage ich mich:
Um Gottes willen, warum muss das so sein, warum kann ich so wenig
dagegen tun?!
Wenn es mir nicht gut geht, denke ich an den Kreuzweg, an die
Agonie am Ölberg. Nachfolge Christi heißt ja nicht, dem wundertätigen
Jesus nachzufolgen oder seine guten, schönen Worte
weiterzusagen. Nachfolge Jesu heißt, auch seinen Schmerz, sein
Leiden zu akzeptieren als den eigenen Schmerz, das eigene Leiden.
Das redet sich leicht daher, aber ist absolut nicht einfach. Daher
beeindruckt mich bis heute das alttestamentliche Buch Ijob.
Der Mensch Ijob redet mit Gott – und wie! Besonders das letzte
Kapitel 42 ist herrlich. Auf Deutsch heißt es in den Versen 4 bis
6: „Hör doch, ich will nun reden, ich will dich fragen, du belehre
mich! Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; jetzt
aber hat mein Auge dich geschaut. Darum widerrufe ich und atme
auf, in Staub und Asche.“
Es gibt Augenblicke, in denen es dir die Stimme verschlägt und
du nicht einmal mehr die Kraft hast aufzuschreien. Ich denke an
jene Stunde, als ich vor dem Sarg von Schwester Dorothy stand,
die erschossen worden war. Ich denke an meinen guten Freund
Dema, ein Familienvater von vier Kindern. Auch er wurde erschossen
und fiel seiner Frau zu Füßen. Sein letzter Blick traf seine
liebe Maria da Penha: Schau auf unsere Kinder! Ich denke an
meinen Mitbruder Hubert Mattle. Ich sehe ihn noch neben mir,
mit seiner kleinen Hündin. Als ich am Tag, an dem er erschossen
wurde, vom Auferstehungsgottesdienst zurückkam, lag die Hündin
vor Huberts Zimmertür, unmittelbar neben meinem Zimmer.
Ich streichelte die Hündin und sie schaute zu mir auf und fing
an zu weinen. Hundeweinen ist herzzerreißend. Es geht dir durch
Mark und Bein.
Was kann ich dazu sagen, wie soll ich das in Worte fassen?
Schweigen ist da besser als große Erklärungen oder eine noch so gut
gemeinte Predigt. Oft und oft habe ich keine Antwort und ich suche
auch keine. Die Theodizee-Frage habe ich nie gestellt und werde sie
auch nie stellen: Warum lässt Gott das zu? Wie oft ist das Elend,
die Not, von Menschen hervorgerufen, durch Menschen verursacht!
Das ist gerade bei uns in Amazonien ganz offensichtlich. Und wenn
anderswo, in Asien, tausende Menschen einem Tsunami zum Opfer
fallen? Auch da ist die Frage mehr als überflüssig, warum Gott diese
Menschen alle zugrunde gehen lässt, wenn es viele wissenschaftlich
fundierte Hinweise gibt, dass solche Katastrophen durch den von
den Menschen provozierten Klimawandel und skrupellosen Raubbau
viel häufiger und größer geworden sind.
© Tyrolia
... weniger
Autoren-Porträt von Erwin Kräutler
Kräutler, ErwinERWIN KRÄUTLER, geb. 1939 in Vorarlberg (Österreich), Eintritt in den Orden der Missionare vom Kostbaren Blut, Studium in Salzburg, seit seiner Priesterweihe 1965 als Missionar in Brasilien, seit 1981 Bischof der Prälatur Xingu. Für seinen Einsatz für die Umwelt und die indigenen Völker wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Romero-Preis, mehreren Ehrendoktoraten, 2010 mit dem Alternativen Nobelpreis sowie 2014 mit dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln.JOSEF BRUCKMOSER, Mag., geb. 1954 in Salzburg (Österreich), Studium der Theologie in Salzburg; seit 1989 Redakteur bei den Salzburger Nachrichten, derzeit Ressortleiter Wissenschaft, Gesundheit und Religion; verheiratet und Vater von drei Kindern. Gemeinsam mit Weihbischof Helmut Krätzl verfasste er das Buch "Mein Leben für eine Kirche, die den Menschen dient" zu dessen 80. Geburtstag.
Bibliographische Angaben
- Autor: Erwin Kräutler
- 2014, 232 Seiten, 40 farbige Abbildungen, 3 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,5 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Tyrolia
- ISBN-10: 3702233873
- ISBN-13: 9783702233877
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