Miss Camerons Weihnachtsfest
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Erzählungen voll atmosphärischem Reiz, voll englischem bzw. schottischem Charme«, schwärmte der NDR.
MissCamerons Weihnachtsfest von Rosamunde Pilcher
LESEPROBE
DasVorweihnachtsgeschenk
Es war zweiWochen vor Weihnachten. An einem düsteren, bitterkalten Morgen fuhr EllenParry, wie sie es die letzten zweiundzwanzig Jahre an jedem Morgen getan hatte,ihren Ehemann James die kurze Strecke zum Bahnhof, gab ihm einen Abschiedskuss,sah seine Gestalt mit dem schwarzen Mantel und der Melone durch die Sperreverschwinden und fuhr dann vorsichtig auf der vereisten Straße nach Hause.
Als sieüber die langsam erwachende Dorfstraße und dann durch die sanfte Landschaftkroch, flogen ihre Gedanken, die zu dieser frühen Stunde wirr undundiszipliniert waren, in ihrem Kopf herum wie Vögel in einem Käfig. Es gab um dieseJahreszeit immer ungeheuer viel zu tun. Wenn sie das Frühstücksgeschirr gespülthatte, wollte sie eine Einkaufsliste für das Wochenende zusammenstellen,vielleicht Apfelpasteten mit Rosinen backen, ein paar Weihnachtskarten in letzterMinute schreiben, ein paar Geschenke in letzter Minute kaufen, Vickys Zimmerputzen.
Nein. Siebesann sich anders. Sie wollte Vickys Zimmer nicht putzen und das Bett nichtbeziehen, bevor sie nicht sicher wusste, dass Vicky Weihnachten bei ihnen seinwürde. Vicky war neunzehn. Im Herbst hatte sie in London eine Stelle gefundenund eine kleine Wohnung, die sie mit zwei anderen Mädchen teilte. Die Trennungwar jedoch nicht endgültig, denn am Wochenende kam Vicky meistens nach Hause,brachte manchmal eine Freundin mit und jedes Mal einen Sack schmutzige Wäschefür Mutters Waschmaschine.
Als sie dasletzte Mal da war, hatte Ellen angefangen, von Weihnachtsplänen zu sprechen,aber Vicky hatte ein verlegenes Gesicht gemacht und sich schließlich ein Herzgefasst, um Ellen zu eröffnen, dass sie dieses Jahr möglicherweise nicht zuHause sein würde. Sie wolle sich vielleicht einer Gruppe junger Leuteanschließen, die in der Schweiz Ski laufen und eine Villa mieten wollten.
Ellen, diediese Mitteilung völlig unvorbereitet traf, war es gelungen, ihre Bestürzung zuverbergen, doch insgeheim wurde ihr schwindelig bei der Aussicht, Weihnachtenohne ihr einziges Kind zu verbringen; dennoch war ihr bewusst, dass Elternnichts Schlimmeres tun konnten, als Besitzansprüche zu zeigen, sich zuweigern, loszulassen, ja überhaupt irgendetwas zu erwarten.
Es war sehrschwierig. Wenn sie nach Hause kam, war die Post vielleicht schon da gewesenund hatte einen Brief von Vicky gebracht. Sie sah im Geiste den Umschlag aufder Fußmatte liegen, Vickys große Handschrift.
Liebste Ma!Schlachte das gemästete Kalb und schmücke die Flure mit Stechpalmen, dieSchweiz ist gestorben, ich werde zu Hause sein und die Feiertage bei dir undDad verbringen.
Sie war soüberzeugt, dass der Brief da sein würde, brannte so sehr darauf, ihn zu lesen,dass sie sich erlaubte, ein bisschen schneller zu fahren. Im fahlen Licht desWintermorgens waren jetzt die gefrorenen Gräben und die schwarzen, vereisten Heckenzu erkennen. Sanfte Lichter schienen in den Fenstern der kleinen Häuser, derHügel hatte eine Schneehaube auf. Ellen dachte an Weihnachtslieder und den Duftvon Fichtenzweigen, und plötzlich war sie von Aufregung ergriffen, dem altenZauber der Kindheit.
FünfMinuten später parkte sie den Wagen in der Garage und ging durch die Hintertürins Haus. Nach der Eiseskälte draußen war es in der Küche wohltuend warm. DieReste vom Frühstück standen auf dem Tisch, aber sie sah darüber hinweg unddurchquerte die Diele, um nach der Post zu sehen. Der Briefträger war dagewesen, ein Stapel Umschläge lag auf der Fußmatte. Sie hob sie auf, soüberzeugt, einen Brief von Vicky vorzufinden, dass sie, als keiner da war, ihn übersehenzu haben glaubte und den Stapel noch einmal durchging. Aber von ihrer Tochterwar nichts dabei.
EinenAugenblick war sie von Enttäuschung übermannt, doch dann gab sie sich einenRuck, nahm sich zusammen. Vielleicht mit der Nachmittagspost ... Eine Reisevoller Hoffnung ist schöner als die Ankunft. Sie ging mit dem Stapel Umschlägein die Küche, warf ihren Schaffellmantel ab und setzte sich hin, um die Post zulesen.
Es warenvornehmlich Briefkarten. Sie öffnete eine nach der anderen und stellte sie imHalbkreis auf. Rotkehlchen, Engel, Weihnachtsbäume und Rentiere. Die letzteKarte war riesig groß und extravagant, eine Reproduktion von BreughelsSchlittschuhläufern. Mit herzlichen Grüßen von Cynthia. Cynthia hatte außerdemeinen Brief geschrieben. Ellen schenkte sich einen Becher Kaffee ein und lasihn.
Vor langerZeit waren Ellen und Cynthia die besten Schulfreundinnen gewesen. Aber als sieerwachsen waren, hatten sich ihre Wege getrennt und ihrer beider Leben ganz verschiedeneRichtungen eingeschlagen. Ellen hatte James geheiratet, und nach einer kurzenZeit in einer kleinen Londoner Wohnung waren sie mit ihrer neugeborenenTochter in dieses Haus gezogen, wo sie seither lebten. Einmal im Jahr fuhr siemit James in Urlaub, meistens an Orte, wo James Golf spielen konnte. Das waralles. Die übrige Zeit tat sie die Dinge, mit denen Frauen in aller Welt ihreZeit verbrachten, kochen, einkaufen, nähen, den Garten jäten, waschen und bügeln.Einladungen geben und von ein paar guten Freunden eingeladen werden; nebenbeiein bisschen karitative Arbeit und Kuchenbacken für den Basar der Frauenliga.Das alles stellte keine großen Anforderungen an sie und war, wie sie wohlwusste, ein bisschen fade.
Cynthiahingegen hatte einen angesehenen Arzt geheiratet, drei Kinder geboren, eineigenes Antiquitätengeschäft eröffnet und einen Haufen Geld verdient. IhreUrlaube waren unvorstellbar aufregend, sie reisten kreuz und quer durch die USA,wanderten in den Bergen von Nepal oder besuchten die Chinesische Mauer.
Ellens undJames' Freunde waren Ärzte, Rechtsanwälte oder Geschäftskollegen; Cynthias Hausin Campden Hill aber war ein Treffpunkt für die faszinierendsten Leute. BerühmteGesichter vom Fernsehen würzten ihre Partys, Schriftsteller diskutierten überden Existenzialismus, Künstler stritten über abstrakte Kunst, Politikerergingen sich in gewichtigen Debatten. Als sie einmal nach einem Einkaufstagbei Cynthia übernachtete, saß Ellen beim Abendessen zwischen einemKabinettsminister und einem jungen Mann mit pinkfarbenen Haaren und einemeinzelnen Ohrring. Das Bemühen, sich mit dem einen oder anderen dieserIndividuen zu unterhalten, war ein aufreibendes Erlebnis gewesen.
Hinterherhatte Ellen sich Vorwürfe gemacht. «Ich habe nichts, worüber ich reden kann »,sagte sie zu James. « Außer, wie ich Marmelade koche und meine Wäsche weißkriege, wie diese schrecklichen Frauen in der Fernsehwerbung.»
«Dukönntest über Bücher sprechen. Ich kenne keinen Menschen, der so viele Bücherverschlingt wie du.»
«Über Bücher kann man nicht sprechen. Lesen ist lediglichdas Erleben der Erlebnisse von anderen Leuten. Ich sollte etwas tun, selbstetwas erleben.» (...)
© Rowohlt Verlag GmbH
Übersetzung: Dorothee Asendorf und Margarete Längsfeld
- Autor: Rosamunde Pilcher
- 2011, 7. Aufl., 128 Seiten, Maße: 11,4 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Dorothee Asendorf, Margarete Längsfeld
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499241145
- ISBN-13: 9783499241147
- Erscheinungsdatum: 01.11.2005
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