Mit Leben anstecken
Neue Texte, Bilder und Zeichnungen aus dem Nachlass
Bischof Reinhold Stecher vereint in seinen Werken Amüsantes und Besinnliches, Kritisches und Dichterisches. „Mit Leben anstecken" bringt Neues aus der Schatztruhe des Wort- und Bildkünstlers zu Tage.
Erst jetzt wird nach und nach...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Mit Leben anstecken “
Bischof Reinhold Stecher vereint in seinen Werken Amüsantes und Besinnliches, Kritisches und Dichterisches. „Mit Leben anstecken" bringt Neues aus der Schatztruhe des Wort- und Bildkünstlers zu Tage.
Erst jetzt wird nach und nach deutlich, was Bischof Reinhold Stecher in 91 Jahren nahezu ungezügelter Kreativität alles erzeugt hat. Seine Vorträge und Predigten waren wegweisend für Gärtner und Schafzüchter, Universitätsprofessoren und Ärzte. Freude und glückliche Stunden verewigte er auf Aquarellen und in Gedichten. Als Kritiker hingegen positionierte er sich stets gegen Antisemitismus und Diktatur und vernachlässigte es auch nicht, gewisse ihm missfallende Entwicklungen in seiner Kirche mithilfe von pointierten Karikaturen anzuprangern. Im aktuellsten Band finden die Leserinnen und Leser Texte, Bilder und Zeichnungen aus dem Nachlass von Bischof Stecher, die bisher nicht das Licht der Welt erblickt hatten. Darunter finden sich bedeutende Dokumente wie die detailreiche Schilderung seiner Verhaftung durch die Gestapo zu Ostern 1941 oder die „Ernste Bilanz", die der 87-jährige zur Lage der Seelsorge zieht. Natürlich gibt es auch eine Vielzahl an kurzen Betrachtungen, Gedichten und Bildern, die das erfüllte Leben des Bischofs wiederspiegeln und dazu motivieren, auch selbst ein Leben in Fülle zu führen.
Bestellen Sie „Mit Leben anstecken" von Reinhold Stecher jetzt bequem bei Weltbild.at.
Erst jetzt wird nach und nach deutlich, was Bischof Reinhold Stecher in 91 Jahren nahezu ungezügelter Kreativität alles erzeugt hat. Seine Vorträge und Predigten waren wegweisend für Gärtner und Schafzüchter, Universitätsprofessoren und Ärzte. Freude und glückliche Stunden verewigte er auf Aquarellen und in Gedichten. Als Kritiker hingegen positionierte er sich stets gegen Antisemitismus und Diktatur und vernachlässigte es auch nicht, gewisse ihm missfallende Entwicklungen in seiner Kirche mithilfe von pointierten Karikaturen anzuprangern. Im aktuellsten Band finden die Leserinnen und Leser Texte, Bilder und Zeichnungen aus dem Nachlass von Bischof Stecher, die bisher nicht das Licht der Welt erblickt hatten. Darunter finden sich bedeutende Dokumente wie die detailreiche Schilderung seiner Verhaftung durch die Gestapo zu Ostern 1941 oder die „Ernste Bilanz", die der 87-jährige zur Lage der Seelsorge zieht. Natürlich gibt es auch eine Vielzahl an kurzen Betrachtungen, Gedichten und Bildern, die das erfüllte Leben des Bischofs wiederspiegeln und dazu motivieren, auch selbst ein Leben in Fülle zu führen.
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Klappentext zu „Mit Leben anstecken “
Heiteres und Besinnliches, Kritisches und Poetisches - Neues aus der Schatztruhe des Wort- und Bildkünstlers Reinhold StecherErst langsam tritt klar zu Tage, was Bischof Reinhold Stecher in 91 Jahren fast unbändiger Kreativität alles geschaffen hat. Mit seinen Vorträgen und Predigten hat er Schafzüchtern und Gärtnern, Universitätsprofessoren und Ärzten Orientierung gegeben, auf Aquarellen und in Gedichten hat er Freude und glückliche Stunden festgehalten, er galt als Mahner gegen Antisemitismus und Diktatur und sein Unbehagen über gewissen Entwicklungen in seiner Kirche hat er durch pointierte Karikaturen zum Ausdruck gebracht.Der neueste Band mit bisher unveröffentlichten Texte, Bilder und Zeichnungen aus dem Nachlass von Bischof Stecher enthält wichtige Dokumente wie die detaillierte Schilderung seiner Verhaftung durch die Gestapo zu Ostern 1941 oder die "Ernste Bilanz" des 87-Jährigen zur Situation der Seelsorge, vor allem aber kurze Betrachtungen, Bilder und Gedichte, die von einem erfüllten Leben zeugen und zu einem Leben in Fülle anregen.Tipps: Neue unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass des beliebten BischofsEin Buch für Herz und Verstand
Lese-Probe zu „Mit Leben anstecken “
Reinhold Stecher - Mit Leben anstecken Erstes Kapitel
HEITERES UND BESINNLICHES
Von Werten und Worten
Der Ruf nach „Werten" ist heute in aller Munde, bei Rednern
und Predigern, Politikern und Erziehern, Schriftstellern und
Zeitkritikern, Leitartiklern und Bischöfen. Man spricht von
Wertverlust und Wertdefiziten und das geht hinein bis in die
Debatten über Demokratie und Parteiprogramme, Europaverfassung
und UNO-Reform. und weil das Wort vom Wert
so oft gebraucht wird, bekommt es manchmal einen phrasenhaften
Beigeschmack. Man zählt ja in diesem Zusammenhang
lauter schöne Dinge auf, Haltungen, Einstellungen, Güter,
Tugenden - aber manchmal hat man doch das Gefühl,
dass mit dem Aufzählen und Sagen allein noch nichts zum
Wert wird, sondern eben oft ein Wort bleibt.
Darf ich diese kleine Betrachtung mit einem Hinweis beginnen,
der Ihnen allen vertraut ist? Sie haben alle in größerem
oder kleinerem Maße Wertsachen - Juwelen, Broschen,
von der Großmutter geerbten Schmuck, ein Medaillon, Brillantohrringe
... Allen diesen Dingen ist Folgendes zu Eigen:
Sie kosten Geld oder haben Geld gekostet. und sie rangieren
nicht beim billigen Hauskram. Man bewahrt sie nicht in Papiertüten
oder Plastiksäcken auf, sondern in Etuis.
Wenn wir von menschlichen, ethischen, ästhetischen oder
religiösen Werten sprechen - dann gleichen sie in diesen beiden
Punkten den Wertsachen. Das heißt zunächst, dass Werte
etwas kosten. Werte gibt es nie zum Nulltarif. Worte können
sehr billig sein und mit dem Ton verwehen. Werte bleiben ins
Herz eingegraben - oder sie sind nicht. Soziologisch nüchtern
betrachtet sind Werte immer etwas, wofür man bereit ist,
Mühe, Zeit und Geld aufzuwenden und anderes zurückzustellen.
Werte haben also immer ein Preisschild.
... mehr
Das Zweite, worin die hier angesprochenen humanen
Werte den Wertsachen zu Hause gleichen, ist die Tatsache,
dass man für sie Etuis braucht. Humane Werte bewahrt man
nicht in den Plastiksäcken der Oberflächlichkeit und den
Papiertüten der Gleichgültigkeit auf. Menschliche, lebenstragende
Werte brauchen Etuis. Ich erlaube mir, auf das eine
oder andere Etui hinzuweisen - und ich tue das deshalb,
weil der Wertverlust sehr oft mit dem Wegwerfen der Etuis
beginnt.
Ein solches Etui ist die Ehrfurcht. Auch dieses Etui hat einen
Sicherheitsverschluss, nämlich den einer gewissen Demut,
die um die eigenen Grenzen und die Tiefendimension
des Daseins weiß. und das Etui der Ehrfurcht ist ausgepolstert
mit dem Samt eines Gefühls für Würde. Als ich vor Jahren die
deutschsprachige pädagogische und psychologische Literatur
zum Thema „Erziehung zur Ehrfurcht" zusammengestellt
habe, war dieses Unternehmen von mäßigem Erfolg begleitet.
Eine empirisch-rationalistisch-nützlichkeitsbesessene Erziehungswissenschaft
hatte für Dinge wie „Ehrfurcht" keine
Schublade. Vielleicht ist's heute besser, aber ich wage das zu
bezweifeln.
Ein zweites, aus der Mode kommendes Etui ist der Sinn
für Intimität. Dieses Etui hat den Sicherheitsverschluss einer
gewissen Verschwiegenheit und ist mit dem Samt der Diskretion
und der Einfühlung ausgepolstert. In der so genannten
Informationsgesellschaft - vor allem jener Sparte, die uns mit
billigen Sensationen und unzähligen Belanglosigkeiten überschüttet
- ist dieses Etui schon längst auf dem Müllhaufen
gelandet. Man brüstet sich lieber mit tabuloser Transparenz
und so genannter schonungsloser Offenheit - auch dort, wo
es um des Allgemeinwohls willen wirklich nicht nötig wäre,
sondern nur der prickelnden Sensation dient. Paparazzi und
Schlafzimmerschnüffler sind mit dem Etui der Intimität abgefahren.
Ein drittes Etui für humane Werte möchte ich noch erwähnen,
das so aus der Mode gekommen ist, dass man es
fast nur im geistigen Antiquitätenladen findet. Ich meine das
Schamgefühl. Ich muss natürlich zugeben, dass der Sicherheitsverschluss
dieses Etuis häufig verklemmt war und man
es deshalb weggeworfen hat. In Bezug auf das Schamgefühl
hat es im Sexualbereich zweifellos Verklemmtheiten bis zu
neurotischen Störungen gegeben. Nun - heute sind diese Verklemmungen
eher den Enthemmungen gewichen, die auch
wieder für die seelische Gesundheit bedenklich sind, wie
Anna Freud festgestellt hat. Aber lassen wir einmal den mit
dem Wort Schamgefühl für viele verbundenen Sexualbereich
etwas beiseite und sprechen wir vom weiten Reich menschlicher
Werte: Wenn ein Mensch den anderen betrügt, ist das
eine bedauerliche Entgleisung. Aber wenn er sich überhaupt
nicht mehr schämt, andere über den Tisch zu ziehen, dann ist
er ein Lump. Wenn man sich nicht mehr schämt, selbst immer
mehr einzustreichen und andere ins out zu stellen - dann ist
das soziale Gefüge zutiefst bedroht - durch den Verlust des
Schamgefühls.
Ehrfurcht, Sinn für Intimität, Schamgefühl - das sind Beispiele
für die Etuis jener Wertsachen, die man nicht in der
Kommode oder dem Tresor, sondern im Herzen aufbewahrt.
Aber nun müssen wir uns überlegen, wie eine gute Sache
vom Wort zum Wert wird. Wenn ich jetzt einige Phasen der
Wertwerdung aufzähle, dann bitte ich das nicht so zu verstehen,
als würden diese Stufen auch im Alltag zeitlich hintereinander
verwirklicht. Das Leben flicht diese Elemente ineinander.
Aber es ist sinnvoll, sie einmal einzeln zu betrachten.
1. Theoretische Werterkenntnis
Darf ich die Sache an einem ganz neutralen Beispiel darlegen?
Da sagt einer: Sport ist eine gute Sache. Er ist wichtig für
die Gesundheit, wir brauchen ihn als Ausgleich für das bequeme
Leben der Zivilisation. Mens sana in corpore sano:
ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper, hieß
es schon in der Antike. Die Jugend müsste mehr sporteln,
dann käme sie nicht auf dumme Gedanken, die Öffentlichkeit
müsste mehr Sportplätze bauen usw. Alles schön und gut
und es wird tausendmal gesagt. Aber ist der Betreffende, der
das sagt, deswegen schon ein Sportler? Er erkennt den Sport
theoretisch als wertvoll. Das ist schon etwas. Aber deshalb
könnte er privat doch das Bierglasl, die Hauspatschen und
den Fernseher als wichtigste Sportgeräte betrachten. Im Bereich
der theoretischen Werterkenntnis kann die Versuchung
zum großen Gerede sehr leicht über die Bühne gehen. Damit
will ich nicht sagen, dass der kritische und unterscheidende
Hausverstand bei der Bildung menschlicher Werte keine Bedeutung
habe. Wir brauchen die Nachdenklichkeit und das
Hinter-die-Dinge-Schauen, weil wir ja die Werte nach ihrem
Gewicht prüfen müssen. Es gibt ja eindeutig Wertstufen: vitale
Werte, ökonomische Werte, kulturelle Werte, ästhetische
Werte, moralische Werte, Werte der Mitmenschlichkeit, Werte
eines positiven Lebens- und Weltgefühls, religiöse Werte
... Wer Werte nicht kritisch ordnen kann, läuft Gefahr, dass
dieser Lift der Werte ziemlich weit unten blockiert ...
Denken wir nur daran, wie viel „Idealismus" missbraucht
wurde, indem ein niederer Wert verabsolutiert wurde. Streng
genommen besteht ja das eigentliche Heidentum darin, dass
man einen beschränkten, vorläufigen, irdischen, relativen
Wert zu Gott macht. Es muss ja nicht so massiv sein wie einst,
als mich ein Gestapomann angebrüllt hat: „Was ist größer,
der Staat oder Gott?" Ich habe dann gesagt, dass Gott doch
ein wenig früher dagewesen wäre als der Staat. Aber er hat
darauf bestanden: Der Staat ist das Höchste ...
Also: Die theoretische Werterkenntnis hat schon eine Bedeutung
auch bei einer Sache wie dem Sport. Alle großen
Sportwissenschaftler haben in ihren Standardwerken auch einen
Abschnitt über Sportethos. Da habe ich zum Beispiel den
bemerkenswerten Satz gefunden, dass der Sport immer dem
Menschen zu dienen habe. Wenn also eine Kampfsportart auf
die Schädigung des Gegners aus ist, dann handle es sich nicht
mehr um Sport, sondern um Gladiatorenkämpfe. Eine bemerkenswerte
Erkenntnis, die sich bei manchen Sportsendern bis
heute nicht durchgesprochen hat.
Aber die rein theoretische Werterkenntnis macht unseren
Freund noch nicht zum Sportler. Da braucht es etwas mehr.
2. Praktisches Wertsehen
Da sagt sich nun unser Mann Folgendes: „Wenn ich so meinen
Cholesterinspiegel betrachte und meine Bequemlichkeit
vom Sessel zum Auto und vom Auto zum Sessel und vom
Sessel ins Schlemmerrestaurant - dann muss ich mir sagen:
Ich müsste etwas tun. Ich stinke so still vor mich hin und werde
sehr früh Kreislaufprobleme bekommen. Ich muss Bewegung
machen." Damit bekommt das Thema Sport für unseren
Freund eine existenzielle Schlagseite. Es geht ihn persönlich
etwas an. Das ist ein wichtiger Schritt - praktisches Wertsehen.
Ein Sportler ist er mit diesem „möchte schon" zwar noch
nicht, aber er steht sozusagen in den Startlöchern.
3. Wertfühlen
Damit kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt. Es gibt
keine Werterfahrung ohne Gefühl, ohne Emotion. Wir haben
das ja schon bei den Etuis gesehen: Es sind grundlegende
gemüthafte Prägungen, die den Menschen erst wertfähig
machen. Gemütsarmut ist immer gekoppelt mit Wertarmut.
Über den Level der Werte sagen Intelligenzquotient und
akademische Grade noch nichts aus. Auch die forensische
Psychologie, die Seelenkunde im Gerichtssaal, weiß davon:
Der Gemütsarme ist der Gewissenlose. Mit Belehrung und
intellektueller Leistung schafft man noch keinen besseren
Menschen. Das war und ist der große Irrtum der Aufklärung.
Schon vor 20 Jahren hat das Wissenschaftsgremium des club
of Rome als wichtigstes Lernziel für eine humane Zukunft
die Empathie bezeichnet, die Fähigkeit zur Einfühlung, also
einen ausgesprochenen Gemütswert. Man muss sich daher
die Bedeutung der Gemütsbildung immer vor Augen halten.
Die raffiniertesten Wunderwerke der Informationstechnik
schaffen noch keine Gemütskultur und kein humaneres Dasein.
High-Tech ist großartig, aber nicht einfach identisch mit
High-Humanity. Menschliche Werte brauchen Herz.
Gehen wir in der Frage des Wertfühlens zurück zu unserem
Sportsfreund. Er wird eines Tages von einem Bekannten
eingeladen, der ein begeisterter Bergsteiger ist und ihm seine
wunderbaren Dias zeigt. Da spürt er, wie die Begeisterung
auf ihn überspringt. Er fühlt, dass ihm bei seinem Lebensstil
doch wunderbare Dinge verloren gehen. Er beneidet seinen
Freund. Die Sache bewegt sein Herz. Aber deshalb ist er
trotzdem noch kein Bergsteiger.
4. Praktische Werterfahrung
und nun lädt ihn der Freund zu einer Tour ein. Es wird ein
einmaliges Erlebnis. Es ist zwar mühevoll (es gibt eben keine
Werterfahrung ohne Mühe - denken wir an das Preisschild!),
in diesem Fall verlangen der Hüttenanstieg über die langweiligen
Moränen, der schwere Rucksack und die zermürbenden
Serpentinen ihren Tribut. Auch die Nacht auf der Höhe bringt
keinen guten Schlaf. Aber dann - der Aufstieg durch den
Bruch im Hellerwerden, die Morgensonne über den Gletschern
und der große Gipfel mit dem Weitblick - das alles
gräbt sich tief ein. Es sind Bilder, zu denen das Herz immer
wieder zurückkehren wird wie zu einer heimlichen Privatgalerie
der Erinnerung.
Jetzt hat unser Mann den Wert des Bergsports praktisch
erfahren. Er kennt ihn nicht mehr nur aus zweiter Hand. Jetzt
ist die Sache nicht nur in der Imagination, in irgendeiner
Wunschvorstellung. Jetzt weiß er um sie. Aber ist er deshalb
schon ein Bergsteiger? Nein, er hat sozusagen erlebnismäßig
nur geschnuppert und damit einen entscheidenden Schritt zur
Werterfahrung getan. Aber damit dieser Wert „Bergsport" in
ihm tragend und lebensformend bleibt, braucht es noch mehr.
5. Wertverankerung durch die wiederholte
Werterfahrung
Nun beginnt unser Freund mit dem Bergsteigen. Er schafft
sich die Ausrüstung an, geht zum Alpenverein, zahlt den Mitgliedsbeitrag,
macht einen Kurs mit. Er nimmt sich hie und
da Zeit, mit Gleichgesinnten auf Tour zu gehen, sammelt Erlebnisse,
Begegnungen, Eindrücke. Er legt sich eine gewisse
alpine Erfahrung und Fitness zu. Das Bergwandern und Berg-
steigen wird ein Teil seines Lebens. und damit ist er jetzt ein
Bergsteiger, ein Sportler. Der Wert ist durch Wiederholung in
ihm verankert. Natürlich muss er im Sinn der theoretischen
Werterkenntnis aufpassen, dass der Berg in der rechten Ordnung
der Werte bleibt. Wenn er seine Frau Wochenende für
Wochenende zu Hause sitzen lässt, sich um die Kinder nicht
viel kümmert, den Beruf vernachlässigt, alle Vorsicht beiseitelässt
und nur noch Kanten, Wände, Durchquerungen,
Überschreitungen und Tourenbuch im Kopf hat, dann wäre
er wieder kein rechter Sportler und Bergsteiger, sondern eben
ein Schrofentrottel, wie man das in Tirol nennt. Es gibt eben
Größeres als den Berg.
Das sind die Elemente der Wertgewinnung im Menschen:
theoretische Werterkenntnis, praktisches Wertsehen, Wert-
fühlen, reale Werterfahrung und wiederholte Werterfahrung.
Wir erkennen sofort, dass „Wert" etwas ist, was unsere Existenz,
unsere Person, unser Herz, unser Gewissen und unser
Leben angeht - und darin unterscheidet sich eben der Wert
vom bloßen Wort. Mit dem Wort nennt man etwas, mit dem
Wert bekennt man sich zu etwas.
Sie verstehen sicher, dass ich diese Wertwerdung beim
Bergfreund auch mit jedem anderen Wert durchspielen könnte
- mit der Hilfsbereitschaft, der Einfühlung, der Partnerschaft
und dem religiösen Wert. Vielleicht hat sich jemand gedacht,
dass ich als alter Bischof da nicht gerade besonders fromm gesprochen
habe. Aber wissen Sie - das Bemühen um ethische,
tief menschliche Werte ist immer in der Nähe Gottes. Wenn
ich in unserer Welt Initiativen aufbrechen sehe, die sich um
Helfen und Lindern, Heilen und Fördern bemühen - und ich
habe das oft erleben dürfen -, dann fällt es mir immer wieder
leichter, trotz aller Dunkelheiten und Ungereimtheiten dieser
Erde daran zu glauben, dass hinter allem eine unbegreifliche,
gewaltige Liebe steht, die alles umfängt und die einmal siegen
wird.
Und jetzt möchte ich zur Stärkung des Gedächtnisses noch
mit einem etwas skurrilen Vergleich schließen.
Ich vergleiche den Wert mit dem Hosenknopf. Der Hosenknopf
ist ein tragendes Element unserer Bekleidung, so
wie der Wert ein tragendes Element der Gesellschaft ist. Man
könnte den Vergleich auch noch weiterspinnen und festhalten,
dass eine wertarme Gesellschaft moralisch sozusagen die
Hosen verliert ...
Ich stelle also fest: Hosen brauchen Knöpfe. Das wäre die
objektive, allerdings nicht gerade weltbewegende theoretische
Werterkenntnis, auch wenn sie mit Pathos vorgetragen
wird. Ich sage nun weiter: Meine Hose braucht einen Knopf.
Denn hinten ist einer verloren gegangen und nun trägt der
andere die ganze Verantwortung. Das wäre das praktische
Wertsehen. Die Sache berührt mich.
Ich bin nun auf der Suche nach einem Ersatzknopf im reichen
Sortiment des Knopfgeschäftes. und ich finde den Idealknopf,
schön und passend. Er verspricht ein neues Knopf- und
Sicherheitsgefühl: Wertfühlen. und nun nähe ich den Knopf
mit einem Stich an. Er sitzt. Er nimmt sich auch ganz gut aus.
Aber er wird nicht lange halten mit nur einem Stich: einmalige
Werterfahrung.
und dann mache ich es so, wie ich es bei meiner Mutter
gelernt habe: hinauf und hinunter und kreuz und quer und
wieder hinauf und andersherum kreuz und quer und umwickeln
und noch einmal durch und einen Knoten - fertig. Jetzt
sitzt der Knopf fest und wird seine Aufgabe als tragendes Element
in einem Hosenleben erfüllen: die wiederholte Werterfahrung
oder Wertverankerung.
So wünsche ich Ihnen eine ganze Menge schöner, gut sitzender,
mühevoll und mit Hingabe angenähter, tragfähiger
und belastbarer Hosenknöpfe.
Der göttliche Gärtner
Wenn wir die ersten Seiten der Heiligen Schrift aufschlagen,
machen wir eine überraschende Feststellung: Der erste Gärtner
der Menschheitsgeschichte ist der unendliche, ewige
Gott. Denn im zweiten Kapitel des Buches Genesis heißt es:
„Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten
an ..." (Gen 2,8)
Nun sind diese tiefsinnigen Erzählungen über die Erschaffung
des Menschen selbstverständlich nicht wörtlich zu nehmen.
Vor 3000 Jahren konnte sich der Mensch nur in Bildern
ausdrücken. Wenn er etwas Hintergründiges und Wichtiges
sagen wollte, dann tat er es nicht in abstrakten Worten und
theoretischen Abhandlungen, sondern in Erzählungen, deren
Tiefsinn man aufspüren muss. So ist es auch mit dem Garten
Eden. Es ist ein völliges Missverständnis, wenn manche
Leute auf die Suche gegangen sind, wo wohl etwa das Paradies
gewesen sein soll ... Wenn Gott für den Menschen einen
Garten anlegt, dann heißt das ganz einfach: Gott will, dass
der Mensch glücklich ist. Denn in der Literatur des ganzen
Alten Orients und der ganzen Heiligen Schrift ist der Garten
das Symbol für Glück, Frieden und Wohlbefinden. Im Garten
leben zu dürfen, ist der Traum des Menschen - und es ist
auch der Wille Gottes. Er will, dass wir glücklich werden.
Das heißt in unsere Sprache übersetzt „Dann legte Gott, der
Herr, in Eden einen Garten an ..." Das Wort „Eden" bedeutet
im Hebräischen „Wonne", und dass Gott den Garten im osten
anlegt, hat keine geografische, sondern eine symbolische
Bedeutung. Im Osten geht die Sonne auf, im Osten liegt die
Hoffnung, der Osten ist die Himmelsrichtung Gottes, nach
Osten haben die Christen jahrhundertelang gebetet ...
Wenn wir nun von dieser Tatsache, dass Gott in seiner
Schöpfung zuallererst als Gärtner auftritt, eine Brücke schlagen
wollen zum Beruf des Gärtners, dann drängt sich ein
schöner, tiefer Gedanke auf: Ist die Zielrichtung des Arbeitens
und Werkens eines Gärtners nicht auch von dem Bestreben
getragen, in diese Welt etwas Glück, Farbe, Wohlbefinden
und Freude zu bringen? Sollen die Gestecke und Bouquets
nicht da und dort ein Lächeln hervorzaubern, die Blumenstöcke
einer Wohnung Wärme geben, ein Blumenstrauß in
ein Krankenzimmer eine Ermunterung, ein Kranz, der an
den Sarg gelegt wird, etwas Trost bringen? Schafft die Pflege
in den Parks der Städte nicht Räume des Aufatmens und
der Gelöstheit? Sind die bunten Rabatten mit den fröhlichen
Farben nicht ein bisschen ein „Kopf-hoch" für jeden Vorübergehenden?
oder ist die Arbeit der Gärtner nur eine Frage von
Handel und Verkauf? Das muss sie auch sein - aber dahinter,
vielleicht meist unausgesprochen, steht doch auch die Intention
des göttlichen Gärtners und Floristen: „Ich will, dass die
Menschen glücklich sind ..."
Wenn wir weiterlesen im Buch Genesis, im Bericht von der
Erschaffung der Welt, dann steht da geschrieben: „Gott, der
Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten
von Eden, damit er ihn bebaue und behüte ..." (Gen 2,15)
Mit diesem Wort ist ein Doppeltes ausgedrückt: Der
Mensch erhält den Auftrag, den Garten des Glücks weiterzubauen,
zu entfalten, kreativ zu sein, sich zu mühen und zu
meliorieren. Gott gibt ihm, wie ein weiser Pädagoge, nicht
ein fertiges Spielzeug, wie die oft dummen, technisch perfekten
Spielereien für Kinder, die der Fantasie und der Initiative
keinen Raum lassen - nein, er macht es wie kluge Eltern, die
einen Baukasten, ein Lego, einen Sandhaufen bevorzugen,
wo das Kind sich betätigen kann. „Auf dass er ihn bebaue ..."
- das ist ein Appell an den schöpferischen Menschen, an dieser
Erde weiterzubauen und weiter zu planen, ein göttlicher
Anstoß zu Initiative und Verantwortung.
und zum anderen sagt der Herr, der Mensch solle den Garte
Eden „behüten". Das menschliche Glück ist also bedroht
und es braucht daher pflegende, behütende, sorgende, abwehrende
und schützende Hände. Der Garten des menschlichen
Glücks braucht vor allem Ehrfurcht vor dem Wunder
der Schöpfung, und wir wissen heute, dass im Wort „Behüten
der Schöpfung" geradezu eine Hauptaufgabe der Zukunft vor
uns steht.
Gehen wir wieder von den Worten der Genesis in die
Geschäfte und Glashäuser der Gärtner, in die Baumschulen
und Jungpflanzenbeete, in die Parks und die Friedhöfe, in die
Hotelrezeptionen und die Festsäle, auf die Balkone und in
die Grünanlagen. Ist es nicht so, dass mit diesem Dienst am
Grünen und Blühen eine Welt zu Ende gebaut wird? Ist ein
schöner Garten nicht so etwas wie ein Traum von Vollendung
in der Schöpfung? Ich liebe sehr die unberührte Natur. Das
Hochgebirge und die Bergwälder, so wie mir auch die Tundra
und die Gletscher des Nordlands gefallen haben. Aber wenn
man wochen- und monatelang die Welt ohne eine Spur von
Menschenhand gesehen hat, dann freut man sich auf die erste
grüne Wiese, den kleinen Bauerngarten und einen Blumenstock,
auf blühende Obstbäume und einen gepflegten Rasen.
Sie bauen in gewisser Hinsicht Gottes Schöpfung zu Ende. Er
hat uns nämlich den Spielraum gelassen, das zu tun. Aber wir
müssen es mit Ehrfurcht tun, ohne Schädigung und Vergewaltigung
der Natur.
Im Wort vom „Behüten" kündigt Gott schon an, dass der
Garten des Glücks keine ungestörte Idylle ist, im Gegenteil,
er ist bedroht: „Da gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von
allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum
der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen. Denn
sobald du davon isst, wirst du sterben." (Gen 2,16-17)
Was soll dieses Wort heißen? Es ist oft und oft gründlich
missverstanden worden. Nur die Kenntnis der damaligen Bildsprache
schafft Klarheit. „Erkennen, was gut und böse ist",
heißt im ganzen Alten Orient „Richter sein" (wir sprechen
heute ja auch noch von einem „richterlichen Erkenntnis").
Der oberste Richter aber ist und bleibt Gott. und so heißt
das Wort „Du darfst vom Baum der Erkenntnis des Guten und
Bösen nicht essen" in unsere Sprache übertragen: Mensch, du
darfst dich nicht zu Gott machen! Du bleibst ein Geschöpf,
du bleibst ein Winzling, du bleibst beschränkt. Spiel nicht
den Allmächtigen, den ungebundenen, den Eingebildeten,
den Größenwahnsinnigen. Vergötze nicht dein Ego, mach
dich nicht selbst zum Maß aller Dinge. Deine Hybris wird
dich kaputtmachen und deinen Garten des Glücks. Das ist
der Sinn des Essverbots vom Baum der Erkenntnis des Guten
und des Bösen.
Wir wissen alle, dass diese Bedrohung in unserer Welt immer
da ist. Als ich einmal vor Tiefenpsychologen den Sinn
der Genesis darzulegen versuchte, hat ein Professor aus München
danach zu mir gesagt: Es gibt keine Darstellung, die tiefer
und besser ausdrückt, was das Böse ist, als diese uralte
Symbolgeschichte.
Das „Heldische"
Der französische Philosoph Henri Bergson hat dem „Heldischen"
in der menschlichen Persönlichkeit eine Note und Bedeutung
beigemessen, die über Sturmangriffe und Schlachtfelder
weit hinausgeht. Er meint damit die Möglichkeit des
Menschen, über sich hinauszuwachsen, um für andere, die
Gesellschaft, die Heimat oder das Reich Gottes etwas zu tun,
was man nicht tun muss. Weder ein Gesetz noch ein Gebot,
noch eine Amtspflicht, noch eine Vorschrift zwingen den
Menschen, diese oder jene Aufgabe oder Last zu übernehmen.
Aber, meint Bergson, wenn ein Mensch sich zu diesem
Über-sich-Hinausgehen entschließt, dann kann dieser nicht
verlangte, nicht bezahlte, nicht erzwungene Einsatz sich sehr
positiv für seine Persönlichkeit auswirken. und gleichzeitig
garantiert diese Form des „Heldischen" zu einem guten Teil
unsere Lebensqualität.
Und unter diesem Aspekt habe ich bis zum heutigen Tag
sehr viel „Heldisches" entdeckt. Hierher gehört der Einsatz in
Bergrettung, Rotem Kreuz, Schwarzem Kreuz oder Grünem
Kreuz, hierher die freiwillige Mitarbeit im Hospizdienst, hierher
die engagierten Frauen und Männer im sozialen Einsatz in
Caritas, Vinzenzverein, Kinderdorf, Jugendarbeit, Obdachlosenbereich
und Flüchtlingsbetreuung, hierher die unzähligen
Idealisten, die sich der Pflege der Schönheit der Kultur und
dem Schutz der Natur widmen, hierher gehört der Lehrer, der
über die Schulstunde hinaus für die Seinen da ist, hierher gehören
unzählige „Ehrenamtliche", „Funktionäre" und „Aktivisten",
großzügige Wohltäter - und sie müssen alle nicht.
Die Rotkreuzhelfer, die Malteserin, der junge Mensch im
Bergrettungsdienst, der Caritassammler und der Musiklehrer,
der sich um einen Jugendchor müht - sie müssen alle nicht.
und sie haben finanziell nichts davon.
Es ist ebenso klar, dass eine solche Einstellung für die
Gewissensbildung der jungen Menschen entscheidend sein
kann. In unserer Gegenwart zählt zwar in manchen Kreisen
nur die Wissensbildung und der Maßstab allen schulischen
Bemühens ist darum abfragbares Wissen. Aber für das Erfüllt-
sein, die Lebensfreude und Grundeinstellung zum Menschen
ist das „Heldische" Bergsons maßgebend. und für das Klima
in unserem Land auch.
© Verlagsanstalt Tyrolia
Das Zweite, worin die hier angesprochenen humanen
Werte den Wertsachen zu Hause gleichen, ist die Tatsache,
dass man für sie Etuis braucht. Humane Werte bewahrt man
nicht in den Plastiksäcken der Oberflächlichkeit und den
Papiertüten der Gleichgültigkeit auf. Menschliche, lebenstragende
Werte brauchen Etuis. Ich erlaube mir, auf das eine
oder andere Etui hinzuweisen - und ich tue das deshalb,
weil der Wertverlust sehr oft mit dem Wegwerfen der Etuis
beginnt.
Ein solches Etui ist die Ehrfurcht. Auch dieses Etui hat einen
Sicherheitsverschluss, nämlich den einer gewissen Demut,
die um die eigenen Grenzen und die Tiefendimension
des Daseins weiß. und das Etui der Ehrfurcht ist ausgepolstert
mit dem Samt eines Gefühls für Würde. Als ich vor Jahren die
deutschsprachige pädagogische und psychologische Literatur
zum Thema „Erziehung zur Ehrfurcht" zusammengestellt
habe, war dieses Unternehmen von mäßigem Erfolg begleitet.
Eine empirisch-rationalistisch-nützlichkeitsbesessene Erziehungswissenschaft
hatte für Dinge wie „Ehrfurcht" keine
Schublade. Vielleicht ist's heute besser, aber ich wage das zu
bezweifeln.
Ein zweites, aus der Mode kommendes Etui ist der Sinn
für Intimität. Dieses Etui hat den Sicherheitsverschluss einer
gewissen Verschwiegenheit und ist mit dem Samt der Diskretion
und der Einfühlung ausgepolstert. In der so genannten
Informationsgesellschaft - vor allem jener Sparte, die uns mit
billigen Sensationen und unzähligen Belanglosigkeiten überschüttet
- ist dieses Etui schon längst auf dem Müllhaufen
gelandet. Man brüstet sich lieber mit tabuloser Transparenz
und so genannter schonungsloser Offenheit - auch dort, wo
es um des Allgemeinwohls willen wirklich nicht nötig wäre,
sondern nur der prickelnden Sensation dient. Paparazzi und
Schlafzimmerschnüffler sind mit dem Etui der Intimität abgefahren.
Ein drittes Etui für humane Werte möchte ich noch erwähnen,
das so aus der Mode gekommen ist, dass man es
fast nur im geistigen Antiquitätenladen findet. Ich meine das
Schamgefühl. Ich muss natürlich zugeben, dass der Sicherheitsverschluss
dieses Etuis häufig verklemmt war und man
es deshalb weggeworfen hat. In Bezug auf das Schamgefühl
hat es im Sexualbereich zweifellos Verklemmtheiten bis zu
neurotischen Störungen gegeben. Nun - heute sind diese Verklemmungen
eher den Enthemmungen gewichen, die auch
wieder für die seelische Gesundheit bedenklich sind, wie
Anna Freud festgestellt hat. Aber lassen wir einmal den mit
dem Wort Schamgefühl für viele verbundenen Sexualbereich
etwas beiseite und sprechen wir vom weiten Reich menschlicher
Werte: Wenn ein Mensch den anderen betrügt, ist das
eine bedauerliche Entgleisung. Aber wenn er sich überhaupt
nicht mehr schämt, andere über den Tisch zu ziehen, dann ist
er ein Lump. Wenn man sich nicht mehr schämt, selbst immer
mehr einzustreichen und andere ins out zu stellen - dann ist
das soziale Gefüge zutiefst bedroht - durch den Verlust des
Schamgefühls.
Ehrfurcht, Sinn für Intimität, Schamgefühl - das sind Beispiele
für die Etuis jener Wertsachen, die man nicht in der
Kommode oder dem Tresor, sondern im Herzen aufbewahrt.
Aber nun müssen wir uns überlegen, wie eine gute Sache
vom Wort zum Wert wird. Wenn ich jetzt einige Phasen der
Wertwerdung aufzähle, dann bitte ich das nicht so zu verstehen,
als würden diese Stufen auch im Alltag zeitlich hintereinander
verwirklicht. Das Leben flicht diese Elemente ineinander.
Aber es ist sinnvoll, sie einmal einzeln zu betrachten.
1. Theoretische Werterkenntnis
Darf ich die Sache an einem ganz neutralen Beispiel darlegen?
Da sagt einer: Sport ist eine gute Sache. Er ist wichtig für
die Gesundheit, wir brauchen ihn als Ausgleich für das bequeme
Leben der Zivilisation. Mens sana in corpore sano:
ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper, hieß
es schon in der Antike. Die Jugend müsste mehr sporteln,
dann käme sie nicht auf dumme Gedanken, die Öffentlichkeit
müsste mehr Sportplätze bauen usw. Alles schön und gut
und es wird tausendmal gesagt. Aber ist der Betreffende, der
das sagt, deswegen schon ein Sportler? Er erkennt den Sport
theoretisch als wertvoll. Das ist schon etwas. Aber deshalb
könnte er privat doch das Bierglasl, die Hauspatschen und
den Fernseher als wichtigste Sportgeräte betrachten. Im Bereich
der theoretischen Werterkenntnis kann die Versuchung
zum großen Gerede sehr leicht über die Bühne gehen. Damit
will ich nicht sagen, dass der kritische und unterscheidende
Hausverstand bei der Bildung menschlicher Werte keine Bedeutung
habe. Wir brauchen die Nachdenklichkeit und das
Hinter-die-Dinge-Schauen, weil wir ja die Werte nach ihrem
Gewicht prüfen müssen. Es gibt ja eindeutig Wertstufen: vitale
Werte, ökonomische Werte, kulturelle Werte, ästhetische
Werte, moralische Werte, Werte der Mitmenschlichkeit, Werte
eines positiven Lebens- und Weltgefühls, religiöse Werte
... Wer Werte nicht kritisch ordnen kann, läuft Gefahr, dass
dieser Lift der Werte ziemlich weit unten blockiert ...
Denken wir nur daran, wie viel „Idealismus" missbraucht
wurde, indem ein niederer Wert verabsolutiert wurde. Streng
genommen besteht ja das eigentliche Heidentum darin, dass
man einen beschränkten, vorläufigen, irdischen, relativen
Wert zu Gott macht. Es muss ja nicht so massiv sein wie einst,
als mich ein Gestapomann angebrüllt hat: „Was ist größer,
der Staat oder Gott?" Ich habe dann gesagt, dass Gott doch
ein wenig früher dagewesen wäre als der Staat. Aber er hat
darauf bestanden: Der Staat ist das Höchste ...
Also: Die theoretische Werterkenntnis hat schon eine Bedeutung
auch bei einer Sache wie dem Sport. Alle großen
Sportwissenschaftler haben in ihren Standardwerken auch einen
Abschnitt über Sportethos. Da habe ich zum Beispiel den
bemerkenswerten Satz gefunden, dass der Sport immer dem
Menschen zu dienen habe. Wenn also eine Kampfsportart auf
die Schädigung des Gegners aus ist, dann handle es sich nicht
mehr um Sport, sondern um Gladiatorenkämpfe. Eine bemerkenswerte
Erkenntnis, die sich bei manchen Sportsendern bis
heute nicht durchgesprochen hat.
Aber die rein theoretische Werterkenntnis macht unseren
Freund noch nicht zum Sportler. Da braucht es etwas mehr.
2. Praktisches Wertsehen
Da sagt sich nun unser Mann Folgendes: „Wenn ich so meinen
Cholesterinspiegel betrachte und meine Bequemlichkeit
vom Sessel zum Auto und vom Auto zum Sessel und vom
Sessel ins Schlemmerrestaurant - dann muss ich mir sagen:
Ich müsste etwas tun. Ich stinke so still vor mich hin und werde
sehr früh Kreislaufprobleme bekommen. Ich muss Bewegung
machen." Damit bekommt das Thema Sport für unseren
Freund eine existenzielle Schlagseite. Es geht ihn persönlich
etwas an. Das ist ein wichtiger Schritt - praktisches Wertsehen.
Ein Sportler ist er mit diesem „möchte schon" zwar noch
nicht, aber er steht sozusagen in den Startlöchern.
3. Wertfühlen
Damit kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt. Es gibt
keine Werterfahrung ohne Gefühl, ohne Emotion. Wir haben
das ja schon bei den Etuis gesehen: Es sind grundlegende
gemüthafte Prägungen, die den Menschen erst wertfähig
machen. Gemütsarmut ist immer gekoppelt mit Wertarmut.
Über den Level der Werte sagen Intelligenzquotient und
akademische Grade noch nichts aus. Auch die forensische
Psychologie, die Seelenkunde im Gerichtssaal, weiß davon:
Der Gemütsarme ist der Gewissenlose. Mit Belehrung und
intellektueller Leistung schafft man noch keinen besseren
Menschen. Das war und ist der große Irrtum der Aufklärung.
Schon vor 20 Jahren hat das Wissenschaftsgremium des club
of Rome als wichtigstes Lernziel für eine humane Zukunft
die Empathie bezeichnet, die Fähigkeit zur Einfühlung, also
einen ausgesprochenen Gemütswert. Man muss sich daher
die Bedeutung der Gemütsbildung immer vor Augen halten.
Die raffiniertesten Wunderwerke der Informationstechnik
schaffen noch keine Gemütskultur und kein humaneres Dasein.
High-Tech ist großartig, aber nicht einfach identisch mit
High-Humanity. Menschliche Werte brauchen Herz.
Gehen wir in der Frage des Wertfühlens zurück zu unserem
Sportsfreund. Er wird eines Tages von einem Bekannten
eingeladen, der ein begeisterter Bergsteiger ist und ihm seine
wunderbaren Dias zeigt. Da spürt er, wie die Begeisterung
auf ihn überspringt. Er fühlt, dass ihm bei seinem Lebensstil
doch wunderbare Dinge verloren gehen. Er beneidet seinen
Freund. Die Sache bewegt sein Herz. Aber deshalb ist er
trotzdem noch kein Bergsteiger.
4. Praktische Werterfahrung
und nun lädt ihn der Freund zu einer Tour ein. Es wird ein
einmaliges Erlebnis. Es ist zwar mühevoll (es gibt eben keine
Werterfahrung ohne Mühe - denken wir an das Preisschild!),
in diesem Fall verlangen der Hüttenanstieg über die langweiligen
Moränen, der schwere Rucksack und die zermürbenden
Serpentinen ihren Tribut. Auch die Nacht auf der Höhe bringt
keinen guten Schlaf. Aber dann - der Aufstieg durch den
Bruch im Hellerwerden, die Morgensonne über den Gletschern
und der große Gipfel mit dem Weitblick - das alles
gräbt sich tief ein. Es sind Bilder, zu denen das Herz immer
wieder zurückkehren wird wie zu einer heimlichen Privatgalerie
der Erinnerung.
Jetzt hat unser Mann den Wert des Bergsports praktisch
erfahren. Er kennt ihn nicht mehr nur aus zweiter Hand. Jetzt
ist die Sache nicht nur in der Imagination, in irgendeiner
Wunschvorstellung. Jetzt weiß er um sie. Aber ist er deshalb
schon ein Bergsteiger? Nein, er hat sozusagen erlebnismäßig
nur geschnuppert und damit einen entscheidenden Schritt zur
Werterfahrung getan. Aber damit dieser Wert „Bergsport" in
ihm tragend und lebensformend bleibt, braucht es noch mehr.
5. Wertverankerung durch die wiederholte
Werterfahrung
Nun beginnt unser Freund mit dem Bergsteigen. Er schafft
sich die Ausrüstung an, geht zum Alpenverein, zahlt den Mitgliedsbeitrag,
macht einen Kurs mit. Er nimmt sich hie und
da Zeit, mit Gleichgesinnten auf Tour zu gehen, sammelt Erlebnisse,
Begegnungen, Eindrücke. Er legt sich eine gewisse
alpine Erfahrung und Fitness zu. Das Bergwandern und Berg-
steigen wird ein Teil seines Lebens. und damit ist er jetzt ein
Bergsteiger, ein Sportler. Der Wert ist durch Wiederholung in
ihm verankert. Natürlich muss er im Sinn der theoretischen
Werterkenntnis aufpassen, dass der Berg in der rechten Ordnung
der Werte bleibt. Wenn er seine Frau Wochenende für
Wochenende zu Hause sitzen lässt, sich um die Kinder nicht
viel kümmert, den Beruf vernachlässigt, alle Vorsicht beiseitelässt
und nur noch Kanten, Wände, Durchquerungen,
Überschreitungen und Tourenbuch im Kopf hat, dann wäre
er wieder kein rechter Sportler und Bergsteiger, sondern eben
ein Schrofentrottel, wie man das in Tirol nennt. Es gibt eben
Größeres als den Berg.
Das sind die Elemente der Wertgewinnung im Menschen:
theoretische Werterkenntnis, praktisches Wertsehen, Wert-
fühlen, reale Werterfahrung und wiederholte Werterfahrung.
Wir erkennen sofort, dass „Wert" etwas ist, was unsere Existenz,
unsere Person, unser Herz, unser Gewissen und unser
Leben angeht - und darin unterscheidet sich eben der Wert
vom bloßen Wort. Mit dem Wort nennt man etwas, mit dem
Wert bekennt man sich zu etwas.
Sie verstehen sicher, dass ich diese Wertwerdung beim
Bergfreund auch mit jedem anderen Wert durchspielen könnte
- mit der Hilfsbereitschaft, der Einfühlung, der Partnerschaft
und dem religiösen Wert. Vielleicht hat sich jemand gedacht,
dass ich als alter Bischof da nicht gerade besonders fromm gesprochen
habe. Aber wissen Sie - das Bemühen um ethische,
tief menschliche Werte ist immer in der Nähe Gottes. Wenn
ich in unserer Welt Initiativen aufbrechen sehe, die sich um
Helfen und Lindern, Heilen und Fördern bemühen - und ich
habe das oft erleben dürfen -, dann fällt es mir immer wieder
leichter, trotz aller Dunkelheiten und Ungereimtheiten dieser
Erde daran zu glauben, dass hinter allem eine unbegreifliche,
gewaltige Liebe steht, die alles umfängt und die einmal siegen
wird.
Und jetzt möchte ich zur Stärkung des Gedächtnisses noch
mit einem etwas skurrilen Vergleich schließen.
Ich vergleiche den Wert mit dem Hosenknopf. Der Hosenknopf
ist ein tragendes Element unserer Bekleidung, so
wie der Wert ein tragendes Element der Gesellschaft ist. Man
könnte den Vergleich auch noch weiterspinnen und festhalten,
dass eine wertarme Gesellschaft moralisch sozusagen die
Hosen verliert ...
Ich stelle also fest: Hosen brauchen Knöpfe. Das wäre die
objektive, allerdings nicht gerade weltbewegende theoretische
Werterkenntnis, auch wenn sie mit Pathos vorgetragen
wird. Ich sage nun weiter: Meine Hose braucht einen Knopf.
Denn hinten ist einer verloren gegangen und nun trägt der
andere die ganze Verantwortung. Das wäre das praktische
Wertsehen. Die Sache berührt mich.
Ich bin nun auf der Suche nach einem Ersatzknopf im reichen
Sortiment des Knopfgeschäftes. und ich finde den Idealknopf,
schön und passend. Er verspricht ein neues Knopf- und
Sicherheitsgefühl: Wertfühlen. und nun nähe ich den Knopf
mit einem Stich an. Er sitzt. Er nimmt sich auch ganz gut aus.
Aber er wird nicht lange halten mit nur einem Stich: einmalige
Werterfahrung.
und dann mache ich es so, wie ich es bei meiner Mutter
gelernt habe: hinauf und hinunter und kreuz und quer und
wieder hinauf und andersherum kreuz und quer und umwickeln
und noch einmal durch und einen Knoten - fertig. Jetzt
sitzt der Knopf fest und wird seine Aufgabe als tragendes Element
in einem Hosenleben erfüllen: die wiederholte Werterfahrung
oder Wertverankerung.
So wünsche ich Ihnen eine ganze Menge schöner, gut sitzender,
mühevoll und mit Hingabe angenähter, tragfähiger
und belastbarer Hosenknöpfe.
Der göttliche Gärtner
Wenn wir die ersten Seiten der Heiligen Schrift aufschlagen,
machen wir eine überraschende Feststellung: Der erste Gärtner
der Menschheitsgeschichte ist der unendliche, ewige
Gott. Denn im zweiten Kapitel des Buches Genesis heißt es:
„Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten
an ..." (Gen 2,8)
Nun sind diese tiefsinnigen Erzählungen über die Erschaffung
des Menschen selbstverständlich nicht wörtlich zu nehmen.
Vor 3000 Jahren konnte sich der Mensch nur in Bildern
ausdrücken. Wenn er etwas Hintergründiges und Wichtiges
sagen wollte, dann tat er es nicht in abstrakten Worten und
theoretischen Abhandlungen, sondern in Erzählungen, deren
Tiefsinn man aufspüren muss. So ist es auch mit dem Garten
Eden. Es ist ein völliges Missverständnis, wenn manche
Leute auf die Suche gegangen sind, wo wohl etwa das Paradies
gewesen sein soll ... Wenn Gott für den Menschen einen
Garten anlegt, dann heißt das ganz einfach: Gott will, dass
der Mensch glücklich ist. Denn in der Literatur des ganzen
Alten Orients und der ganzen Heiligen Schrift ist der Garten
das Symbol für Glück, Frieden und Wohlbefinden. Im Garten
leben zu dürfen, ist der Traum des Menschen - und es ist
auch der Wille Gottes. Er will, dass wir glücklich werden.
Das heißt in unsere Sprache übersetzt „Dann legte Gott, der
Herr, in Eden einen Garten an ..." Das Wort „Eden" bedeutet
im Hebräischen „Wonne", und dass Gott den Garten im osten
anlegt, hat keine geografische, sondern eine symbolische
Bedeutung. Im Osten geht die Sonne auf, im Osten liegt die
Hoffnung, der Osten ist die Himmelsrichtung Gottes, nach
Osten haben die Christen jahrhundertelang gebetet ...
Wenn wir nun von dieser Tatsache, dass Gott in seiner
Schöpfung zuallererst als Gärtner auftritt, eine Brücke schlagen
wollen zum Beruf des Gärtners, dann drängt sich ein
schöner, tiefer Gedanke auf: Ist die Zielrichtung des Arbeitens
und Werkens eines Gärtners nicht auch von dem Bestreben
getragen, in diese Welt etwas Glück, Farbe, Wohlbefinden
und Freude zu bringen? Sollen die Gestecke und Bouquets
nicht da und dort ein Lächeln hervorzaubern, die Blumenstöcke
einer Wohnung Wärme geben, ein Blumenstrauß in
ein Krankenzimmer eine Ermunterung, ein Kranz, der an
den Sarg gelegt wird, etwas Trost bringen? Schafft die Pflege
in den Parks der Städte nicht Räume des Aufatmens und
der Gelöstheit? Sind die bunten Rabatten mit den fröhlichen
Farben nicht ein bisschen ein „Kopf-hoch" für jeden Vorübergehenden?
oder ist die Arbeit der Gärtner nur eine Frage von
Handel und Verkauf? Das muss sie auch sein - aber dahinter,
vielleicht meist unausgesprochen, steht doch auch die Intention
des göttlichen Gärtners und Floristen: „Ich will, dass die
Menschen glücklich sind ..."
Wenn wir weiterlesen im Buch Genesis, im Bericht von der
Erschaffung der Welt, dann steht da geschrieben: „Gott, der
Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten
von Eden, damit er ihn bebaue und behüte ..." (Gen 2,15)
Mit diesem Wort ist ein Doppeltes ausgedrückt: Der
Mensch erhält den Auftrag, den Garten des Glücks weiterzubauen,
zu entfalten, kreativ zu sein, sich zu mühen und zu
meliorieren. Gott gibt ihm, wie ein weiser Pädagoge, nicht
ein fertiges Spielzeug, wie die oft dummen, technisch perfekten
Spielereien für Kinder, die der Fantasie und der Initiative
keinen Raum lassen - nein, er macht es wie kluge Eltern, die
einen Baukasten, ein Lego, einen Sandhaufen bevorzugen,
wo das Kind sich betätigen kann. „Auf dass er ihn bebaue ..."
- das ist ein Appell an den schöpferischen Menschen, an dieser
Erde weiterzubauen und weiter zu planen, ein göttlicher
Anstoß zu Initiative und Verantwortung.
und zum anderen sagt der Herr, der Mensch solle den Garte
Eden „behüten". Das menschliche Glück ist also bedroht
und es braucht daher pflegende, behütende, sorgende, abwehrende
und schützende Hände. Der Garten des menschlichen
Glücks braucht vor allem Ehrfurcht vor dem Wunder
der Schöpfung, und wir wissen heute, dass im Wort „Behüten
der Schöpfung" geradezu eine Hauptaufgabe der Zukunft vor
uns steht.
Gehen wir wieder von den Worten der Genesis in die
Geschäfte und Glashäuser der Gärtner, in die Baumschulen
und Jungpflanzenbeete, in die Parks und die Friedhöfe, in die
Hotelrezeptionen und die Festsäle, auf die Balkone und in
die Grünanlagen. Ist es nicht so, dass mit diesem Dienst am
Grünen und Blühen eine Welt zu Ende gebaut wird? Ist ein
schöner Garten nicht so etwas wie ein Traum von Vollendung
in der Schöpfung? Ich liebe sehr die unberührte Natur. Das
Hochgebirge und die Bergwälder, so wie mir auch die Tundra
und die Gletscher des Nordlands gefallen haben. Aber wenn
man wochen- und monatelang die Welt ohne eine Spur von
Menschenhand gesehen hat, dann freut man sich auf die erste
grüne Wiese, den kleinen Bauerngarten und einen Blumenstock,
auf blühende Obstbäume und einen gepflegten Rasen.
Sie bauen in gewisser Hinsicht Gottes Schöpfung zu Ende. Er
hat uns nämlich den Spielraum gelassen, das zu tun. Aber wir
müssen es mit Ehrfurcht tun, ohne Schädigung und Vergewaltigung
der Natur.
Im Wort vom „Behüten" kündigt Gott schon an, dass der
Garten des Glücks keine ungestörte Idylle ist, im Gegenteil,
er ist bedroht: „Da gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von
allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum
der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen. Denn
sobald du davon isst, wirst du sterben." (Gen 2,16-17)
Was soll dieses Wort heißen? Es ist oft und oft gründlich
missverstanden worden. Nur die Kenntnis der damaligen Bildsprache
schafft Klarheit. „Erkennen, was gut und böse ist",
heißt im ganzen Alten Orient „Richter sein" (wir sprechen
heute ja auch noch von einem „richterlichen Erkenntnis").
Der oberste Richter aber ist und bleibt Gott. und so heißt
das Wort „Du darfst vom Baum der Erkenntnis des Guten und
Bösen nicht essen" in unsere Sprache übertragen: Mensch, du
darfst dich nicht zu Gott machen! Du bleibst ein Geschöpf,
du bleibst ein Winzling, du bleibst beschränkt. Spiel nicht
den Allmächtigen, den ungebundenen, den Eingebildeten,
den Größenwahnsinnigen. Vergötze nicht dein Ego, mach
dich nicht selbst zum Maß aller Dinge. Deine Hybris wird
dich kaputtmachen und deinen Garten des Glücks. Das ist
der Sinn des Essverbots vom Baum der Erkenntnis des Guten
und des Bösen.
Wir wissen alle, dass diese Bedrohung in unserer Welt immer
da ist. Als ich einmal vor Tiefenpsychologen den Sinn
der Genesis darzulegen versuchte, hat ein Professor aus München
danach zu mir gesagt: Es gibt keine Darstellung, die tiefer
und besser ausdrückt, was das Böse ist, als diese uralte
Symbolgeschichte.
Das „Heldische"
Der französische Philosoph Henri Bergson hat dem „Heldischen"
in der menschlichen Persönlichkeit eine Note und Bedeutung
beigemessen, die über Sturmangriffe und Schlachtfelder
weit hinausgeht. Er meint damit die Möglichkeit des
Menschen, über sich hinauszuwachsen, um für andere, die
Gesellschaft, die Heimat oder das Reich Gottes etwas zu tun,
was man nicht tun muss. Weder ein Gesetz noch ein Gebot,
noch eine Amtspflicht, noch eine Vorschrift zwingen den
Menschen, diese oder jene Aufgabe oder Last zu übernehmen.
Aber, meint Bergson, wenn ein Mensch sich zu diesem
Über-sich-Hinausgehen entschließt, dann kann dieser nicht
verlangte, nicht bezahlte, nicht erzwungene Einsatz sich sehr
positiv für seine Persönlichkeit auswirken. und gleichzeitig
garantiert diese Form des „Heldischen" zu einem guten Teil
unsere Lebensqualität.
Und unter diesem Aspekt habe ich bis zum heutigen Tag
sehr viel „Heldisches" entdeckt. Hierher gehört der Einsatz in
Bergrettung, Rotem Kreuz, Schwarzem Kreuz oder Grünem
Kreuz, hierher die freiwillige Mitarbeit im Hospizdienst, hierher
die engagierten Frauen und Männer im sozialen Einsatz in
Caritas, Vinzenzverein, Kinderdorf, Jugendarbeit, Obdachlosenbereich
und Flüchtlingsbetreuung, hierher die unzähligen
Idealisten, die sich der Pflege der Schönheit der Kultur und
dem Schutz der Natur widmen, hierher gehört der Lehrer, der
über die Schulstunde hinaus für die Seinen da ist, hierher gehören
unzählige „Ehrenamtliche", „Funktionäre" und „Aktivisten",
großzügige Wohltäter - und sie müssen alle nicht.
Die Rotkreuzhelfer, die Malteserin, der junge Mensch im
Bergrettungsdienst, der Caritassammler und der Musiklehrer,
der sich um einen Jugendchor müht - sie müssen alle nicht.
und sie haben finanziell nichts davon.
Es ist ebenso klar, dass eine solche Einstellung für die
Gewissensbildung der jungen Menschen entscheidend sein
kann. In unserer Gegenwart zählt zwar in manchen Kreisen
nur die Wissensbildung und der Maßstab allen schulischen
Bemühens ist darum abfragbares Wissen. Aber für das Erfüllt-
sein, die Lebensfreude und Grundeinstellung zum Menschen
ist das „Heldische" Bergsons maßgebend. und für das Klima
in unserem Land auch.
© Verlagsanstalt Tyrolia
... weniger
Autoren-Porträt von Reinhold Stecher
REINHOLD STECHER (1921-2013) war über dreißig Jahre in der Jugendseelsorge und als Religionspädagoge tätig und von 1981 bis 1997 Bischof der Diözese Innsbruck; erfolgreicher Autor, Zeichner und Maler; Träger zahlreicher Preise, u. a. Ökumenischer Predigtpreis 2010 für sein Lebenswerk (Bonn).Jedes seiner Bücher - alle bei Tyrolia erschienen - ist zu einem Bestseller geworden (Gesamtauflage über 700.000 Exemplare).
Bibliographische Angaben
- Autor: Reinhold Stecher
- 2016, 136 Seiten, 24 farbige Abbildungen, Maße: 15,6 x 23,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Paul Ladurner
- Verlag: Tyrolia
- ISBN-10: 3702235523
- ISBN-13: 9783702235529
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