Musstu wissen, weissdu!
Neues aus den Niederungen deutscher Klassenzimmer. Originalausgabe
Ganz normaler Alltag an einer Berliner Schule? Aber ja – zumindest für Vertretungslehrer Stephan Serin, der tagtäglich seine Unerschrockenheit neu unter Beweis stellen muss.
Amüsieren Sie sich über bemerkenswerte...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Musstu wissen, weissdu! “
Ganz normaler Alltag an einer Berliner Schule? Aber ja – zumindest für Vertretungslehrer Stephan Serin, der tagtäglich seine Unerschrockenheit neu unter Beweis stellen muss.
Amüsieren Sie sich über bemerkenswerte Entschuldigungen, abenteuerliche Spickversuche und unvergessene Wandertage.
Klappentext zu „Musstu wissen, weissdu! “
ALLEIN UNTER SCHÜLERN"Ey, bei neue Lehrer muss man ruhisch sein. Musstu wissen, weißdu!"
"Ey, dis is strenger Lehrer."
"Ruhe. Der is sonst traurisch."
"Ey, wie heißen Sie noch mal?"
Mit großer Selbstironie erzählt Stephan Serin von seinen absurden Erlebnissen aus dem Katastrophengebiet Schule: abenteuerliche Spickversuche, bemerkenswerte Entschuldigungen, unvergessene Wandertage oder der nervenaufreibende Versuch, die eigene Autorität zu wahren, geben genügend Anlass zu kuriosen Geschichten. Der ganz normale Alltag eines unerschrockenen Lehrers - witzig und intelligent!
Lese-Probe zu „Musstu wissen, weissdu! “
Musstu wissen, weissdu! von Stephan SerinVORWORT
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Als ich das erste Mal als Lehrer vor Berliner Schüler trat, blies mir sofort ein rauer Wind ins Gesicht. Viele der Jugendlichen waren notorische Schwänzer, Kriegsflüchtlinge, Opfer von häuslicher Gewalt, Mitglieder von Gangs, Drogendealer, schwanger oder alles zusammen. Aufgrund meiner Herkunft aus der ehemaligen DDR, meiner bescheidenen 168 Zentimeter sowie meiner Klumpfüße wurde ich von ihnen abgelehnt und abwechselnd als «Ossi», «Nabelküsser» oder «Behindie» verspottet. Um mir ihren Respekt zu verdienen, fing ich an, lockere Klamotten zu tragen und ihnen neben meinen regulären Stunden Unterricht in Kampfsport zu erteilen. In dem Fach Geschichte analysierte ich - dabei das Curriculum, die inhaltlichen Vorgaben, völlig ignorierend - mit ihnen Texte von Bushido, um sie für Poesie zu öffnen. Ich lud sie zum Eis ein und begleitete sie zum Jugendamt, zum Frauenarzt und zum Jobcenter. Aber vor allen Dingen nahm ich sie als Menschen ernst und liebte jeden von ihnen, auch die, die mich mobbten. So wurden wir schließlich richtige Freunde. Statt sich wie früher zu prügeln, verarbeiteten die Jugendlichen ihre Frustrationen nunmehr in wunderbaren Gedichten. Vorher in absoluter Opposition zu den gesellschaftlichen Erwartungen, beabsichtigten meine Schüler auf einmal, entgegen ihren ursprünglichen Plänen, nach der Schule eine Arbeit anzunehmen und vielleicht sogar die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Gemeinsam mit ihnen gründete ich zudem eine Hilfsorganisation, durch deren Wirken ein afghanisches Mädchen aus der Parallelklasse in letzter Sekunde vor der Abschiebung in ihre Heimat gerettet und die Zwangsheirat einer Vierzehnjährigen verhindert wurde. Leider musste ich mich von meiner Klasse bald wieder verabschieden, denn mein Unterrichtspraktikum an ihrer Schule endete nach sechs Wochen - und es ging für mich zurück an die Uni. Mein begonnenes Werk konnte ich nicht fortsetzen.
Wer auf den kommenden Seiten eine vergleichbare Heldensaga erwartet, den wird Musstu wissen, weißdu! mit Sicherheit enttäuschen. Denn in diesem Buch erzählt kein Lehrer davon, wie leicht ihm alles von der Hand geht, wie sehr er seinen Beruf und alle Schüler liebt. Stattdessen handeln die fünfunddreißig Kapitel - in den meisten schildere ich Erlebnisse, die ich innerhalb eines halben Jahres (Januar bis Juni 2011) an einer Sekundarschule1 in Berlin hatte, in einigen wenigen berichte ich aber auch über vorher gemachte Erfahrungen an anderen pädagogischen Einrichtungen - von den täglichen, unverschuldeten oder selbstverschuldeten Missgeschicken und unkalkulierbaren Herausforderungen, die die Arbeit mit Jugendlichen mit sich bringt. Natürlich sind die Erlebnisse dabei bisweilen stark fiktionalisiert, zugespitzt und auf eine überschaubare Anzahl von Figuren reduziert. Dahinter steht jedoch keineswegs die Absicht, Schüler, Pädagogen oder die Schule an sich zu diffamieren. Es sollen auch mitnichten die vielen positiven Momente negiert werden, die man als Lehrer in seinem Beruf unbestreitbar hat. Nur rühmen sich eben heutzutage schon genug Menschen öffentlich ihrer Erfolge. Dabei ist Scheitern eigentlich viel spannender und amüsanter als jeder strahlende und mühelose Triumph.
Der Autor
1
ENDLICH EINE MAIL
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Stauffenberg-Oberschule besetzt zum
kommenden Halbjahr eine Stelle für Französisch und Geschichte. Hiermit laden wir Sie herzlich zu einem Bewerbungsgespräch am 28.06.11 um 8.30 Uhr
ein. Bitte bestätigen Sie uns Ihr Erscheinen. Mit freundlichen Grüßen, die Schulleitung.
Erst halte ich die Einladung für einen Spam. Zwei Jahre hatte sich schließlich niemand bei mir gemeldet. Zwei Jahre, in denen ich mich mit verschiedenen Vertretungslehrerjobs und einer Beschäftigung an einer Privatschule über Wasser gehalten habe, ignorierte mich die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung bei jeder Einstellungsrunde geflissentlich. Doch die Stauffenberg-Oberschule gibt es wirklich, das kann kein Spam sein. Es handelt sich hier um ein Gymnasium im gutbürgerlichen Zehlendorf. Vor acht Monaten habe ich sogar schon mal eine unbeantwortete Initiativbewerbung dort hingeschickt.
Ich bin sofort angespannt. Jetzt nur keinen Fehler machen! Wenn ich mir diese Möglichkeit auf eine Festanstellung durch die Lappen gehen lasse, werde ich vielleicht wieder vierundzwanzig Monate auf die nächste Chance warten müssen. Schon ein einziges falsches Wort in meiner Antwort-E-Mail kann einen schlechten Eindruck hinterlassen und alles zunichtemachen. Aber wie sieht die perfekte Bestätigung aus? Sachlich-funktional? Oder soll ich eher hervorheben, wie viel mir an dieser Stelle liegt? Oder besser doch pokern, um zu vermitteln, nicht auf die Arbeit angewiesen zu sein, noch andere Angebote zu haben?
Wenn davon auszugehen ist, dass jede persönliche Färbung, jeder Anflug von Emotionalität angreifbar macht, dann wäre vielleicht folgende Antwort ratsam:
Sehr geehrter Direktor/ sehr geehrte Direktorin, die Stauffenberg-Oberschule besetzt zum
kommenden Halbjahr eine Stelle für Französisch und Geschichte. Zusammen mit anderen sehr geehrten Damen und Herren wurde ich herzlich zu einem Bewerbungsgespräch am 28.06. 11 um 8.30 Uhr eingeladen. Ich wurde gebeten, mein Erscheinen zu bestätigen. Hiermit bestätige ich mein Erscheinen. Bitte bestätigen Sie mir, dass Sie meine Bestätigung erhalten haben. Mit freundlichen Grüßen, ein sehr geehrter Herr/eine sehr geehrte Dame.
Dieses Schreiben ist maschinell erstellt und auch ohne Unterschrift gültig.
Aber möglicherweise erwartet man gerade, dass der Bewerber bereits in der Zusage deutlich macht, wie sehr er die Stelle will. Dann sollte ich besser meine ganze Leidenschaft in die Waagschale werfen und den Direktor persönlich ansprechen, dessen Namen ich auf der Homepage der Schule finde:
Lieber Herr Doktor Menz,
juhu, super, großartig, bombastisch, gigantisch! Das waren die ersten Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, als ich Ihre Einladung las. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben. Es war zu schön, um wahr zu sein. Endlich werde ich mal eingeladen, nach zwei Jahren. Und dann auch noch von Ihnen. Ihre Schule ist nämlich zufällig meine absolute Lieblingsschule in
Deutschland. Schon vor der Maueröffnung, als ich noch im Osten lebte, war es ein Traum von mir, irgendwann einmal in Zehlendorf am Stauffenberg-Gymnasium zu unterrichten. Und nun bin ich meinem Traum einen großen Schritt näher. Wahnsinn! Natürlich komme ich zum Bewerbungsgespräch, egal zu welcher Zeit, egal bei welchem Wetter. Ich werde vor Ihrer Tür stehen. Aber bitte, bitte, bitte, nehmen Sie mich! Ich flehe Sie an! Ich brauche diesen Job. Ich will schließlich mal Kinder haben und eine Freundin. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn ich die Stelle nicht erhalte. Ich verspreche Ihnen auch, meine in den letzten zwei Jahren aus beruflicher Perspektivlosigkeit entstandene Spielsucht wieder in den Griff zu bekommen. Damit Sie sehen, dass ich es ernst meine, schicke ich Ihnen ein Foto von mir mit für die Ahnengalerie der Schule.
Ich freue mich auf Sie,
Ihr Stephan Serin
Allerdings spricht die kühle, unpersönliche Art, in der die Einladung verfasst ist, dafür, dass so viel Herzblut in der Antwort schnell nach hinten losgehen kann. Offenbar ist sich Herr Doktor Menz sicher, einen geeigneten Kandidaten zu finden, und hält es nicht für nötig, um ihn zu werben. Da würde er mir zu großen Enthusiasmus möglicherweise als pure Verzweiflung auslegen. Ist es nicht so, dass sich auf dem Arbeitsmarkt diejenigen am besten verkaufen, die gekonnt zum Ausdruck bringen, eine Stelle gar nicht zu wollen, weil diese unter ihrem Niveau ist? Wäre unter dieser Prämisse nicht vorgespieltes Desinteresse am vielversprechendsten?
Sehr geehrte Schulleitung,
grundsätzlich habe ich kein Problem damit, bei Ihnen zu einem Vorstellungsgespräch anzutanzen. Ich sage mal: Anhören kann man es sich ja, was die andere Seite so zu bieten hat. Allerdings startet unsere Liaison unter denkbar schlechten Vorzeichen. Ich empfinde
es doch als ziemlich kränkend, dass Sie es nicht für nötig erachten, mich in der E-Mail mit meinem
Namen anzureden. Genauso schlimm ist es, dass Sie hinter meinem Rücken offenbar noch mit anderen Kandidaten in Verhandlung stehen. Oder wie muss ich das «Sehr geehrte Damen und Herren» verstehen? Ich deute das als Misstrauensbekundung meiner Person gegenüber. Unter diesen Voraussetzungen sehe ich mich nicht imstande, am 28. Juni zu Ihnen nach Zehlendorf zu kommen und dafür an der RathenauSekundarschule in Marzahn zu fehlen, an der ich
noch bis zum 29. Juni Vertretungslehrer bin. Sie sehen, ich habe noch andere berufliche Optionen. Ich brauche Ihr Angebot nicht. Dennoch bin ich bereit, Ihnen, sofern Sie mir in einer weiteren E-Mail deutlich machen, dass Sie mich wirklich wollen und sich für Ihr zweifelhaftes Vorgehen entschuldigen, eine zweite Chance zu gewähren. Allerdings müssten wir dann für das Vorstellungsgespräch einen Ersatztermin finden. Tragen Sie sich dazu bitte in meinen Kalender bei doodle ein. Den Link schicke ich Ihnen mit.
Mit freundlichen Grüßen,
Stephan Serin
Mmmmmh, das ist vielleicht doch zu dick aufgetragen. Herr Doktor Menz wird wissen, dass seine Schulleiterkollegen den Bewerbern mit den Fächern Französisch und Geschichte nicht gerade nachlaufen. Und vermutlich ist er überdies im Bilde, dass ich seit Beendigung meines Referendariats ohne feste Anstellung bin. Verdammt! So eine Antwortmail ist auch wirklich schwierig. Alle Fassungen erscheinen mir irgendwie ungeeignet. Ich entscheide mich schließlich für eine Mischung aus Variante 1 und 2. Begeistert bin ich nicht, aber immerhin mache ich mit ihr wohl auch nichts falsch.
Sehr geehrte Schulleitung,
hiermit bestätige ich meine Teilnahme zum Bewerbungsgespräch am 28.06. 11. Vielen Dank für die Einladung.
Mit freundlichen Grüßen,
Stephan Serin
Jetzt kann ich nur hoffen und warten. Vor allem im Warten bin ich mittlerweile ziemlich gut.
...
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH
Als ich das erste Mal als Lehrer vor Berliner Schüler trat, blies mir sofort ein rauer Wind ins Gesicht. Viele der Jugendlichen waren notorische Schwänzer, Kriegsflüchtlinge, Opfer von häuslicher Gewalt, Mitglieder von Gangs, Drogendealer, schwanger oder alles zusammen. Aufgrund meiner Herkunft aus der ehemaligen DDR, meiner bescheidenen 168 Zentimeter sowie meiner Klumpfüße wurde ich von ihnen abgelehnt und abwechselnd als «Ossi», «Nabelküsser» oder «Behindie» verspottet. Um mir ihren Respekt zu verdienen, fing ich an, lockere Klamotten zu tragen und ihnen neben meinen regulären Stunden Unterricht in Kampfsport zu erteilen. In dem Fach Geschichte analysierte ich - dabei das Curriculum, die inhaltlichen Vorgaben, völlig ignorierend - mit ihnen Texte von Bushido, um sie für Poesie zu öffnen. Ich lud sie zum Eis ein und begleitete sie zum Jugendamt, zum Frauenarzt und zum Jobcenter. Aber vor allen Dingen nahm ich sie als Menschen ernst und liebte jeden von ihnen, auch die, die mich mobbten. So wurden wir schließlich richtige Freunde. Statt sich wie früher zu prügeln, verarbeiteten die Jugendlichen ihre Frustrationen nunmehr in wunderbaren Gedichten. Vorher in absoluter Opposition zu den gesellschaftlichen Erwartungen, beabsichtigten meine Schüler auf einmal, entgegen ihren ursprünglichen Plänen, nach der Schule eine Arbeit anzunehmen und vielleicht sogar die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Gemeinsam mit ihnen gründete ich zudem eine Hilfsorganisation, durch deren Wirken ein afghanisches Mädchen aus der Parallelklasse in letzter Sekunde vor der Abschiebung in ihre Heimat gerettet und die Zwangsheirat einer Vierzehnjährigen verhindert wurde. Leider musste ich mich von meiner Klasse bald wieder verabschieden, denn mein Unterrichtspraktikum an ihrer Schule endete nach sechs Wochen - und es ging für mich zurück an die Uni. Mein begonnenes Werk konnte ich nicht fortsetzen.
Wer auf den kommenden Seiten eine vergleichbare Heldensaga erwartet, den wird Musstu wissen, weißdu! mit Sicherheit enttäuschen. Denn in diesem Buch erzählt kein Lehrer davon, wie leicht ihm alles von der Hand geht, wie sehr er seinen Beruf und alle Schüler liebt. Stattdessen handeln die fünfunddreißig Kapitel - in den meisten schildere ich Erlebnisse, die ich innerhalb eines halben Jahres (Januar bis Juni 2011) an einer Sekundarschule1 in Berlin hatte, in einigen wenigen berichte ich aber auch über vorher gemachte Erfahrungen an anderen pädagogischen Einrichtungen - von den täglichen, unverschuldeten oder selbstverschuldeten Missgeschicken und unkalkulierbaren Herausforderungen, die die Arbeit mit Jugendlichen mit sich bringt. Natürlich sind die Erlebnisse dabei bisweilen stark fiktionalisiert, zugespitzt und auf eine überschaubare Anzahl von Figuren reduziert. Dahinter steht jedoch keineswegs die Absicht, Schüler, Pädagogen oder die Schule an sich zu diffamieren. Es sollen auch mitnichten die vielen positiven Momente negiert werden, die man als Lehrer in seinem Beruf unbestreitbar hat. Nur rühmen sich eben heutzutage schon genug Menschen öffentlich ihrer Erfolge. Dabei ist Scheitern eigentlich viel spannender und amüsanter als jeder strahlende und mühelose Triumph.
Der Autor
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ENDLICH EINE MAIL
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Stauffenberg-Oberschule besetzt zum
kommenden Halbjahr eine Stelle für Französisch und Geschichte. Hiermit laden wir Sie herzlich zu einem Bewerbungsgespräch am 28.06.11 um 8.30 Uhr
ein. Bitte bestätigen Sie uns Ihr Erscheinen. Mit freundlichen Grüßen, die Schulleitung.
Erst halte ich die Einladung für einen Spam. Zwei Jahre hatte sich schließlich niemand bei mir gemeldet. Zwei Jahre, in denen ich mich mit verschiedenen Vertretungslehrerjobs und einer Beschäftigung an einer Privatschule über Wasser gehalten habe, ignorierte mich die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung bei jeder Einstellungsrunde geflissentlich. Doch die Stauffenberg-Oberschule gibt es wirklich, das kann kein Spam sein. Es handelt sich hier um ein Gymnasium im gutbürgerlichen Zehlendorf. Vor acht Monaten habe ich sogar schon mal eine unbeantwortete Initiativbewerbung dort hingeschickt.
Ich bin sofort angespannt. Jetzt nur keinen Fehler machen! Wenn ich mir diese Möglichkeit auf eine Festanstellung durch die Lappen gehen lasse, werde ich vielleicht wieder vierundzwanzig Monate auf die nächste Chance warten müssen. Schon ein einziges falsches Wort in meiner Antwort-E-Mail kann einen schlechten Eindruck hinterlassen und alles zunichtemachen. Aber wie sieht die perfekte Bestätigung aus? Sachlich-funktional? Oder soll ich eher hervorheben, wie viel mir an dieser Stelle liegt? Oder besser doch pokern, um zu vermitteln, nicht auf die Arbeit angewiesen zu sein, noch andere Angebote zu haben?
Wenn davon auszugehen ist, dass jede persönliche Färbung, jeder Anflug von Emotionalität angreifbar macht, dann wäre vielleicht folgende Antwort ratsam:
Sehr geehrter Direktor/ sehr geehrte Direktorin, die Stauffenberg-Oberschule besetzt zum
kommenden Halbjahr eine Stelle für Französisch und Geschichte. Zusammen mit anderen sehr geehrten Damen und Herren wurde ich herzlich zu einem Bewerbungsgespräch am 28.06. 11 um 8.30 Uhr eingeladen. Ich wurde gebeten, mein Erscheinen zu bestätigen. Hiermit bestätige ich mein Erscheinen. Bitte bestätigen Sie mir, dass Sie meine Bestätigung erhalten haben. Mit freundlichen Grüßen, ein sehr geehrter Herr/eine sehr geehrte Dame.
Dieses Schreiben ist maschinell erstellt und auch ohne Unterschrift gültig.
Aber möglicherweise erwartet man gerade, dass der Bewerber bereits in der Zusage deutlich macht, wie sehr er die Stelle will. Dann sollte ich besser meine ganze Leidenschaft in die Waagschale werfen und den Direktor persönlich ansprechen, dessen Namen ich auf der Homepage der Schule finde:
Lieber Herr Doktor Menz,
juhu, super, großartig, bombastisch, gigantisch! Das waren die ersten Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, als ich Ihre Einladung las. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben. Es war zu schön, um wahr zu sein. Endlich werde ich mal eingeladen, nach zwei Jahren. Und dann auch noch von Ihnen. Ihre Schule ist nämlich zufällig meine absolute Lieblingsschule in
Deutschland. Schon vor der Maueröffnung, als ich noch im Osten lebte, war es ein Traum von mir, irgendwann einmal in Zehlendorf am Stauffenberg-Gymnasium zu unterrichten. Und nun bin ich meinem Traum einen großen Schritt näher. Wahnsinn! Natürlich komme ich zum Bewerbungsgespräch, egal zu welcher Zeit, egal bei welchem Wetter. Ich werde vor Ihrer Tür stehen. Aber bitte, bitte, bitte, nehmen Sie mich! Ich flehe Sie an! Ich brauche diesen Job. Ich will schließlich mal Kinder haben und eine Freundin. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn ich die Stelle nicht erhalte. Ich verspreche Ihnen auch, meine in den letzten zwei Jahren aus beruflicher Perspektivlosigkeit entstandene Spielsucht wieder in den Griff zu bekommen. Damit Sie sehen, dass ich es ernst meine, schicke ich Ihnen ein Foto von mir mit für die Ahnengalerie der Schule.
Ich freue mich auf Sie,
Ihr Stephan Serin
Allerdings spricht die kühle, unpersönliche Art, in der die Einladung verfasst ist, dafür, dass so viel Herzblut in der Antwort schnell nach hinten losgehen kann. Offenbar ist sich Herr Doktor Menz sicher, einen geeigneten Kandidaten zu finden, und hält es nicht für nötig, um ihn zu werben. Da würde er mir zu großen Enthusiasmus möglicherweise als pure Verzweiflung auslegen. Ist es nicht so, dass sich auf dem Arbeitsmarkt diejenigen am besten verkaufen, die gekonnt zum Ausdruck bringen, eine Stelle gar nicht zu wollen, weil diese unter ihrem Niveau ist? Wäre unter dieser Prämisse nicht vorgespieltes Desinteresse am vielversprechendsten?
Sehr geehrte Schulleitung,
grundsätzlich habe ich kein Problem damit, bei Ihnen zu einem Vorstellungsgespräch anzutanzen. Ich sage mal: Anhören kann man es sich ja, was die andere Seite so zu bieten hat. Allerdings startet unsere Liaison unter denkbar schlechten Vorzeichen. Ich empfinde
es doch als ziemlich kränkend, dass Sie es nicht für nötig erachten, mich in der E-Mail mit meinem
Namen anzureden. Genauso schlimm ist es, dass Sie hinter meinem Rücken offenbar noch mit anderen Kandidaten in Verhandlung stehen. Oder wie muss ich das «Sehr geehrte Damen und Herren» verstehen? Ich deute das als Misstrauensbekundung meiner Person gegenüber. Unter diesen Voraussetzungen sehe ich mich nicht imstande, am 28. Juni zu Ihnen nach Zehlendorf zu kommen und dafür an der RathenauSekundarschule in Marzahn zu fehlen, an der ich
noch bis zum 29. Juni Vertretungslehrer bin. Sie sehen, ich habe noch andere berufliche Optionen. Ich brauche Ihr Angebot nicht. Dennoch bin ich bereit, Ihnen, sofern Sie mir in einer weiteren E-Mail deutlich machen, dass Sie mich wirklich wollen und sich für Ihr zweifelhaftes Vorgehen entschuldigen, eine zweite Chance zu gewähren. Allerdings müssten wir dann für das Vorstellungsgespräch einen Ersatztermin finden. Tragen Sie sich dazu bitte in meinen Kalender bei doodle ein. Den Link schicke ich Ihnen mit.
Mit freundlichen Grüßen,
Stephan Serin
Mmmmmh, das ist vielleicht doch zu dick aufgetragen. Herr Doktor Menz wird wissen, dass seine Schulleiterkollegen den Bewerbern mit den Fächern Französisch und Geschichte nicht gerade nachlaufen. Und vermutlich ist er überdies im Bilde, dass ich seit Beendigung meines Referendariats ohne feste Anstellung bin. Verdammt! So eine Antwortmail ist auch wirklich schwierig. Alle Fassungen erscheinen mir irgendwie ungeeignet. Ich entscheide mich schließlich für eine Mischung aus Variante 1 und 2. Begeistert bin ich nicht, aber immerhin mache ich mit ihr wohl auch nichts falsch.
Sehr geehrte Schulleitung,
hiermit bestätige ich meine Teilnahme zum Bewerbungsgespräch am 28.06. 11. Vielen Dank für die Einladung.
Mit freundlichen Grüßen,
Stephan Serin
Jetzt kann ich nur hoffen und warten. Vor allem im Warten bin ich mittlerweile ziemlich gut.
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Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH
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Autoren-Porträt von Stephan Serin
Serin, StephanStephan Serin wurde 1978 in Ostberlin geboren. Nach seinem Abitur studierte er Französisch und Politische Bildung auf Lehramt in Potsdam - und auch für ein Jahr als Erasmusaustauschstudent in Pau, Frankreich. Heute ist er Lehrer an einer Brandenburger Schule und lebt mit seiner Familie in Berlin.Seit 2000 gehört Serin der Berliner Lesebühne «Chaussee der Enthusiasten» an, wo er jede Woche mit seinen Texten auftritt. Sein erstes Buch «Föhn mich nicht zu» war ein großer Erfolg und eroberte Platz 1 der Bestsellerliste.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stephan Serin
- 2012, 255 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499628139
- ISBN-13: 9783499628139
- Erscheinungsdatum: 02.04.2012
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