Nachtaktiv
Roman
Der Berliner Winter ist hart. Vor allem dann, wenn man Single ist - so wie Heloise und ihre Freundinnen. Gemeinsam machen sie regelmäßig die Clubs der Stadt unsicher. Doch wenn Heloise ehrlich ist, dienen die vielen langen Nächte und die One-Night-Stands...
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Produktinformationen zu „Nachtaktiv “
Klappentext zu „Nachtaktiv “
Der Berliner Winter ist hart. Vor allem dann, wenn man Single ist - so wie Heloise und ihre Freundinnen. Gemeinsam machen sie regelmäßig die Clubs der Stadt unsicher. Doch wenn Heloise ehrlich ist, dienen die vielen langen Nächte und die One-Night-Stands nur dazu, ihren Exfreund zu vergessen. Letztlich sucht sie genau wie alle anderen die große Liebe. Aber das ist gar nicht so einfach ...
Lese-Probe zu „Nachtaktiv “
Nachtaktiv von Sophie Senoner JANUAR
DONNERSTAG, 1. JANUAR
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01:03 Punkt ein Uhr nachts, ungefähr. Mit Luise und Mia auf der Dachterrasse eines alten Plattenbauhochhauses, so in typischer Ostoptik. Grau, alles grau, und ich denke nur: Asbest. Und finde, das bringt ja auch nichts, dass sie da noch zwei Grundfarben reingeknallt haben. So blaue Linien an den Wänden, die sich mit roten treffen.
Plötzlich sagt der Typ neben mir: »Genereller Geschmack von urbanem Umbruchquartier liegt in der Luft.«
Ich nicke, bemühe mich aber in echt, das Ganze zu ignorieren, einfach weil ich weiß: Wenn der erste Mann im neuen Jahr, mit dem ich spreche, ein Stadt- und Regionalplanungsstudent ist, dann kann ich alles vergessen. Probiere Zustand in einen anderen zu zwingen und schaue deswegen auf den Alexanderplatz links von mir. Davor viele andere Plattenbauten. Allee, Allee, das Regierungsviertel, überall Licht. Dahinter der Himmel, dunkel. Versuche, mich angestrengt zu erinnern, wie wir hierhergekommen sind. Gar nicht von wegen Metaebene »Was hat uns hierhergebracht?«, sondern so in echt, ich meine, in welchem Auto sind wir eigentlich gekommen? Ich weiß nichts mehr. Und zwischen Verwirrung über die eigene Vergesslichkeit und den zwischenmenschlichen Verirrungen um mich herum schaue ich mich um und sehe dann Tier über Grill, sich langsam um sich selbst drehend. Erkenne darin Spanferkel und gucke mit Faszination Spanferkel zu. Bemerke, es ist irgendwie gar kein Spanferkel mehr, sondern eher ein Spanschwein, so groß wie es da hängt, zwischen den Ständern des Spießes, die sich unter dem Gewicht gefährlich nach innen neigen. Der Spieß ragt nur noch ein Stück aus dem Mund heraus, und da, am anderen Ende, von dem man gar nicht wissen will, wo es wieder rauskommt, da ist nur noch Schwein und eigentlich gar kein Spieß mehr. Denke dann, Spanschwein hab ich noch nie gehört, und plötzlich klingt das Wort ganz falsch, denn Sparschwein kennt man ja, aber nun macht dieses »Span« im Wort gar keinen Sinn mehr, und dann denke ich, ich muss ganz schön betrunken sein, so wie ich jetzt denke. Aber so ist das ja öfter, dass man sich an einem Wort aufhängt und es immer und immer wieder ausspricht, und je öfter man es wiederholt, desto weniger Sinn macht es. Bis es zum Schluss nur noch eine einzige Ansammlung von Lauten ist.
Das Goldgelb des Feuers spiegelt sich in den Gesichtern der Menschen wider, die im Kreis drum herumstehen, und Mia ist überdrauf, hüpft hoch bei jedem Satz, den sie hinausschreit: »Krass Mann, was sich für wunderschöne, goldbraune Nu-an-cen bilden, wenn das Schwei-ne-fett mit dem Feu-er in Ver-bi-nd-u-ng tritt!«
Der Typ neben mir mit dem kleinen Schnauzer erklärt: »Ditt Schwein als Statussymbol, vasteehste? Dittsoll keener essen, ditt steht hier nur rum. So wie mein ukrainischer Hausmeister 'nen fetten BMW vorm Haus stehen hat, obwohl jeder in der Straße weeß, ditt der nur jeleast ist.«
Und ich sage: »Hmm«, weil ich ihn ja auch fast verstehe, aber da grölt Mia schon wieder von hinten: »Versteht ihr? Wir sind ja auch alle viiiel zu drauf, um vom Schweiiin zu ess-ssen!«
Und ich denke, ey, ich bin nicht drauf, sondern nur ziemlich betrunken, das ist nämlich das Nicht-Faire, dass diese ganzen Junkies immer denken, alle anderen seien auch überdrauf. Und dann sagen sie so was am nächsten Morgen wie: Heloise, du kamst ja gestern gar nicht mehr klar, was hattest du denn genommen? Und man denkt, das muss ich mir jetzt echt nicht antun, ich war nämlich im Gegensatz zu dir einfach nur betrunken.
Das Spanschwein dreht sich immer noch zweckentfremdet, zum puren Symbol missbraucht um sich selbst herum. Mia fährt sich mit den Händen hektisch durchs Haar, reibt sich die Nase. Kommt mit weit aufgerissenen Augen auf mich zu. »Schatz, ich liebe dich, ja? Silvester, Mann, Scheißjahr vorbei. Alles neu!«
Fahren morgens nach der Hochhaus-Asbest-Party noch irgendwann ins Crocket. Stehen in der Schlange. Luise versucht, am Telefon herauszubekommen, ob Easyjet trotz des Eissturms, der seit ein paar Tagen wütet, am Montag nach London fliegt, sie muss zurück zu ihrem Praktikum. Ich bemerke nur, dass sie völlig hinüber ist. Sie spricht die Worte auf fast bewundernswerte Weise falsch aus, zieht sie wie wild zusammen, betont mal das Ende, mal den Anfang, und ich muss laut lachen, weil ich weiß, dass die arme Telefonistin am anderen Ende sie zu keinem Prozent verstehen kann. Dann fängt Mia vor mir in der Reihe plötzlich an, uns alle nervös zu machen, indem sie behauptet, die Bowle von der Party gerade eben sei in echt voller MDMA gewesen, und ich denke, verdammt, sei ruhig jetzt. Ich meine, sie weiß doch, dass ich wirklich gegen Drogen bin, so aus Prinzip, meine ich, weil man ja weiß, dass alles Schlechte davon kommt und keiner dagegen gewinnen kann. Denke dann aber, na ja, von wegen Tendenz zu allgemein positiver Grundstimmung, dass MDMA vielleicht das Einzige ist, was Sinn macht. Ich meine, ich bin jetzt zwei Stunden ziemlich glücklich und dann am nächsten Tag vier Stunden nicht, und das ist irgendwie okay und kalkulierbar. Spüre nun wirklich einen ekligen, bitteren Geschmack im Mund und glaube auch zu bemerken, wie irgendwas zu wirken anfängt. Meine Mundwinkel ziehen sich wie von alleine hoch. Versuche, mir das Ganze nicht anmerken zu lassen, bekomme aber schon erste hysterische Lachschübe und probiere stattdessen meinen zweiten Lederhandschuh zu finden. Drehe mich um und beobachte dabei, wie der Typ hinter mir auf den Flyer in seiner Hand guckt und zum Jungen neben sich sagt: »Alter, ich sag dem Honk noch, dass man Silvester im Deutschen mit i schreibt und nicht mit y.«
Und muss laut lachen, weil ich nicht wusste, dass irgendjemand noch das Wort »Honk« benutzt, ich meine, ich beleidige meine Freunde ja auch nicht mehr mit »Behindi «, »Keck« oder »Fisch«. Und dann auch über den Satz, denn den habe ich vor ein paar Stunden selbst zu Luise gesagt, als ich noch klar war. Und sie darauf: Ja, richtig so, und alle Leute müssen wissen, dass der Imperativ von »geben« »gib« ist und von »werfen« »wirf«, so mit aufgesetzter, nervender Stimme, wie man so was halt sagt, wenn man versucht, sich selbst als Professorentochter zu parodieren. Dann sehe ich, wie der Typ den Flyer hinten in seine linke Hosentasche steckt, ihm dadurch aber sein Handschuh hinunterfällt. Ich bücke mich also, um ihn aufzuheben, komme hoch, blicke dabei in sein Gesicht und registriere, dass er ziemlich süß ist. So genau mein Typ, mit braunen Locken und Gesichtszügen, die ich unwillkürlich als charmant bezeichnen würde. Als ich ihm seinen Handschuh zurückgeben will, stelle ich fest, dass er meinen Handschuh in der Hand hält. »He, das ist meiner!«, sage ich.
Und er: »Da du einen handfesten Beweis hast«, und gibt ihn mir wieder.
Ich lächle, denke, ein ganz Smarter, »eine Hand wäscht die andere«, und halte ihm seinen hin.
»Da gebe ich dir die Hand drauf! Ist ja immerhin ein echter Lammlederhandschuh«, und ich staune, dass einem Jungen so was so schnell auffällt, also aus welcher Haut welchen toten Tieres mein Handschuh ist, das ist ja fast pervers, und schaffe es gerade noch »Dafür lege ich meine Hand ins Feuer!« zu witzeln.
Aber da kommt Mia schon angestürmt und sagt: »Ja, ja, los, Heli, ich kenn den Türsteher am Seiteneingang«, und zieht mich fort.
Der Typ lächelt mich an. Ich finde, er hat das wunderschönste Lächeln der ganzen Welt, so strahlend und offenherzig, und diese Lippen und der Dreitagebart!
»Ich heiße Heloise, ja? Schreibe fürs Weltmeister Magazin. Google das!«, rufe ich ihm hinterher. Er winkt mir mit seinem Handschuh zu, ich ihm mit meinem zurück und lache, und er lacht, und dann sind wir schon im Dunkel des Clubs angelangt.
»Mia, Mia, ich habe mich gerade verliebt!«, schreie ich ihr nach.
Und sie: »Nein, Schatz, ich sagte dir doch, da war MDMA in der Bowle.«
Und ich: »Nein! Wie wir gerade unsere Handschuhe ausgetauscht haben. Das war wie die Ringzeremonie bei einer Hochzeit!«
»Du bist so scheiße spirituell«, ärgert sie mich.
»Und du bist so scheiße aggressiv vom Koks!«, schreie ich.
UND PLÖTZLICH: ALLES LICHT! FREUDE! MUSIK!
16:04 Finde Handy mein laut Scooters' How Much Is The Fish kreischend neben offener Crémantflasche. Freue mich über alle drei. Entscheide mich für generell positive Grundstimmung im neuen Jahr, was natürlich ein total blöder Vorsatz ist, und deswegen auch gleich noch für: Alles ist möglich. Bemerke, wie ich überlangsam in jeder meiner Bewegungen bin und nicht richtig hören kann, weil so ein gedämpftes Rauschen mich von der Außenwelt trennt. Missed Call: Luise Handy. Frage mich, ob heute schon der zweite Januar ist oder immer noch der erste. Und warum ich nur noch einen Schuh anhabe.
»Luise«, krächze ich und will sie gerade daran erinnern, wie lustig wir es damals fanden, so total betrunken dieses geniale Lied der späten Neunziger als Klingelton einzustellen. Obwohl nun alle bei einem Anruf immer denken, ich sei eines dieser ravenden Ost-Spacken- Mädchen oder ganz hart auf irgendwas hängengeblieben. Doch dann werde ich unterbrochen und höre Stimmenwirrwarr und Techno, und sie brüllt: »Weißt du, Heli, wenn ich was an Berlin liebe, dann ist es, dass diese Stadt Platz für meine ganze Vergangenheit hat, verstehst du? Ich meine, ich war gerade auf einer Party in einer WG, da wohnt dieser dumme Penner, der mich in der Siebten für das blonde Mädchen mit den rosa Pullis aus der 7b verlassen hat, und gleich nebenan ist das Haus, wo ich zum Geigenunterricht musste! Aber Mann, fuck it. Berlin ist so groß. Weißt du, wir können immer wieder von vorne beginnen!« Sie hält kurz inne. Brüllt dann wieder: »Ich liebe dich, ja?« -
»Ich liebe dich auch«, murmle ich, und sie fragt: »Kommst du her? Wir sind immer noch im Crocket.«
Und ich so, überschwerfällig: »Ich kann nicht, hab einfach keine Energie mehr.« Worüber ich lachen muss, weil ich zum Satzende hin tatsächlich immer langsamer geworden bin, als hätte ich wirklich 'ne leere Batterie. Und Luise lacht auch, aber ich weiß nicht, ob über das Gleiche oder einfach auch nur aus allgemein positiver Grundstimmung, und sage dann: »Ich muss jetzt schlafen, denke ich.« Will sie noch fragen, welches Datum wir heute haben. Und ob sie weiß, wo mein Schuh ist. Aber da hat sie schon aufgelegt.
Mühe mich zurück ins Bett und bemerke, jeder Muskel schmerzt. Denke, Silvester in Berlin, das ist eigentlich immer schrecklich. Das weiß jeder, das kriegt man von klein auf per Erziehung mitgegeben. Allein der ganzen kleinen, immer draufen Spanier wegen, die in ihren komischen Rastahaar-Batikkleider-Gruppenansammlungen hier herumstehen, als wäre es wieder 1996 oder so. Oder, ganz übel, wegen dieser 3-Tage-inBerlin- Bustouristen, die sich innerhalb einer Stunde alles reinhauen, was sie kriegen können, und bei denen man immer denkt: Jetzt seid ihr so zu, ich meine, da hättet ihr auch in eurem Idiotendorf bleiben können. Eigentlich total unsinnig, sich genau an diesem Tag den Stress zu machen, auf möglichst viele Partys zu gehen. Wo es doch draußen mit Sicherheit überkalt ist, jeder Eintritt viermal teurer ist als sonst, alle Clubs überfüllt sind und die bescheuerte BVG nur im Feiertagsmodus fährt. Oder dass man ständig versucht, sämtliche Leute beieinanderzuhalten, sogar solche, mit denen man sonst aus rationalen Gründen nicht feiern geht. Zum Beispiel, weil sie einfach wirklich sehr, sehr langweilige Menschen sind.
17:12 Jetzt, in diesem schrecklichen Zustand, in dem man sich vor lauter Zeit an alles erinnert, fällt mir auch wieder der Handschuh-Mann ein, und ich finde, alleine die Tatsache, dass er wusste, aus welchem Leder mein Handschuh war, das muss man sich mal vorstellen, ist ein Beweis, dass er eine Freundin hat. Ein handfester Beweis, meine ich. Muss das auf jeden Fall mit Mia besprechen.
01:03 Punkt ein Uhr nachts, ungefähr. Mit Luise und Mia auf der Dachterrasse eines alten Plattenbauhochhauses, so in typischer Ostoptik. Grau, alles grau, und ich denke nur: Asbest. Und finde, das bringt ja auch nichts, dass sie da noch zwei Grundfarben reingeknallt haben. So blaue Linien an den Wänden, die sich mit roten treffen.
Plötzlich sagt der Typ neben mir: »Genereller Geschmack von urbanem Umbruchquartier liegt in der Luft.«
Ich nicke, bemühe mich aber in echt, das Ganze zu ignorieren, einfach weil ich weiß: Wenn der erste Mann im neuen Jahr, mit dem ich spreche, ein Stadt- und Regionalplanungsstudent ist, dann kann ich alles vergessen. Probiere Zustand in einen anderen zu zwingen und schaue deswegen auf den Alexanderplatz links von mir. Davor viele andere Plattenbauten. Allee, Allee, das Regierungsviertel, überall Licht. Dahinter der Himmel, dunkel. Versuche, mich angestrengt zu erinnern, wie wir hierhergekommen sind. Gar nicht von wegen Metaebene »Was hat uns hierhergebracht?«, sondern so in echt, ich meine, in welchem Auto sind wir eigentlich gekommen? Ich weiß nichts mehr. Und zwischen Verwirrung über die eigene Vergesslichkeit und den zwischenmenschlichen Verirrungen um mich herum schaue ich mich um und sehe dann Tier über Grill, sich langsam um sich selbst drehend. Erkenne darin Spanferkel und gucke mit Faszination Spanferkel zu. Bemerke, es ist irgendwie gar kein Spanferkel mehr, sondern eher ein Spanschwein, so groß wie es da hängt, zwischen den Ständern des Spießes, die sich unter dem Gewicht gefährlich nach innen neigen. Der Spieß ragt nur noch ein Stück aus dem Mund heraus, und da, am anderen Ende, von dem man gar nicht wissen will, wo es wieder rauskommt, da ist nur noch Schwein und eigentlich gar kein Spieß mehr. Denke dann, Spanschwein hab ich noch nie gehört, und plötzlich klingt das Wort ganz falsch, denn Sparschwein kennt man ja, aber nun macht dieses »Span« im Wort gar keinen Sinn mehr, und dann denke ich, ich muss ganz schön betrunken sein, so wie ich jetzt denke. Aber so ist das ja öfter, dass man sich an einem Wort aufhängt und es immer und immer wieder ausspricht, und je öfter man es wiederholt, desto weniger Sinn macht es. Bis es zum Schluss nur noch eine einzige Ansammlung von Lauten ist.
Das Goldgelb des Feuers spiegelt sich in den Gesichtern der Menschen wider, die im Kreis drum herumstehen, und Mia ist überdrauf, hüpft hoch bei jedem Satz, den sie hinausschreit: »Krass Mann, was sich für wunderschöne, goldbraune Nu-an-cen bilden, wenn das Schwei-ne-fett mit dem Feu-er in Ver-bi-nd-u-ng tritt!«
Der Typ neben mir mit dem kleinen Schnauzer erklärt: »Ditt Schwein als Statussymbol, vasteehste? Dittsoll keener essen, ditt steht hier nur rum. So wie mein ukrainischer Hausmeister 'nen fetten BMW vorm Haus stehen hat, obwohl jeder in der Straße weeß, ditt der nur jeleast ist.«
Und ich sage: »Hmm«, weil ich ihn ja auch fast verstehe, aber da grölt Mia schon wieder von hinten: »Versteht ihr? Wir sind ja auch alle viiiel zu drauf, um vom Schweiiin zu ess-ssen!«
Und ich denke, ey, ich bin nicht drauf, sondern nur ziemlich betrunken, das ist nämlich das Nicht-Faire, dass diese ganzen Junkies immer denken, alle anderen seien auch überdrauf. Und dann sagen sie so was am nächsten Morgen wie: Heloise, du kamst ja gestern gar nicht mehr klar, was hattest du denn genommen? Und man denkt, das muss ich mir jetzt echt nicht antun, ich war nämlich im Gegensatz zu dir einfach nur betrunken.
Das Spanschwein dreht sich immer noch zweckentfremdet, zum puren Symbol missbraucht um sich selbst herum. Mia fährt sich mit den Händen hektisch durchs Haar, reibt sich die Nase. Kommt mit weit aufgerissenen Augen auf mich zu. »Schatz, ich liebe dich, ja? Silvester, Mann, Scheißjahr vorbei. Alles neu!«
Fahren morgens nach der Hochhaus-Asbest-Party noch irgendwann ins Crocket. Stehen in der Schlange. Luise versucht, am Telefon herauszubekommen, ob Easyjet trotz des Eissturms, der seit ein paar Tagen wütet, am Montag nach London fliegt, sie muss zurück zu ihrem Praktikum. Ich bemerke nur, dass sie völlig hinüber ist. Sie spricht die Worte auf fast bewundernswerte Weise falsch aus, zieht sie wie wild zusammen, betont mal das Ende, mal den Anfang, und ich muss laut lachen, weil ich weiß, dass die arme Telefonistin am anderen Ende sie zu keinem Prozent verstehen kann. Dann fängt Mia vor mir in der Reihe plötzlich an, uns alle nervös zu machen, indem sie behauptet, die Bowle von der Party gerade eben sei in echt voller MDMA gewesen, und ich denke, verdammt, sei ruhig jetzt. Ich meine, sie weiß doch, dass ich wirklich gegen Drogen bin, so aus Prinzip, meine ich, weil man ja weiß, dass alles Schlechte davon kommt und keiner dagegen gewinnen kann. Denke dann aber, na ja, von wegen Tendenz zu allgemein positiver Grundstimmung, dass MDMA vielleicht das Einzige ist, was Sinn macht. Ich meine, ich bin jetzt zwei Stunden ziemlich glücklich und dann am nächsten Tag vier Stunden nicht, und das ist irgendwie okay und kalkulierbar. Spüre nun wirklich einen ekligen, bitteren Geschmack im Mund und glaube auch zu bemerken, wie irgendwas zu wirken anfängt. Meine Mundwinkel ziehen sich wie von alleine hoch. Versuche, mir das Ganze nicht anmerken zu lassen, bekomme aber schon erste hysterische Lachschübe und probiere stattdessen meinen zweiten Lederhandschuh zu finden. Drehe mich um und beobachte dabei, wie der Typ hinter mir auf den Flyer in seiner Hand guckt und zum Jungen neben sich sagt: »Alter, ich sag dem Honk noch, dass man Silvester im Deutschen mit i schreibt und nicht mit y.«
Und muss laut lachen, weil ich nicht wusste, dass irgendjemand noch das Wort »Honk« benutzt, ich meine, ich beleidige meine Freunde ja auch nicht mehr mit »Behindi «, »Keck« oder »Fisch«. Und dann auch über den Satz, denn den habe ich vor ein paar Stunden selbst zu Luise gesagt, als ich noch klar war. Und sie darauf: Ja, richtig so, und alle Leute müssen wissen, dass der Imperativ von »geben« »gib« ist und von »werfen« »wirf«, so mit aufgesetzter, nervender Stimme, wie man so was halt sagt, wenn man versucht, sich selbst als Professorentochter zu parodieren. Dann sehe ich, wie der Typ den Flyer hinten in seine linke Hosentasche steckt, ihm dadurch aber sein Handschuh hinunterfällt. Ich bücke mich also, um ihn aufzuheben, komme hoch, blicke dabei in sein Gesicht und registriere, dass er ziemlich süß ist. So genau mein Typ, mit braunen Locken und Gesichtszügen, die ich unwillkürlich als charmant bezeichnen würde. Als ich ihm seinen Handschuh zurückgeben will, stelle ich fest, dass er meinen Handschuh in der Hand hält. »He, das ist meiner!«, sage ich.
Und er: »Da du einen handfesten Beweis hast«, und gibt ihn mir wieder.
Ich lächle, denke, ein ganz Smarter, »eine Hand wäscht die andere«, und halte ihm seinen hin.
»Da gebe ich dir die Hand drauf! Ist ja immerhin ein echter Lammlederhandschuh«, und ich staune, dass einem Jungen so was so schnell auffällt, also aus welcher Haut welchen toten Tieres mein Handschuh ist, das ist ja fast pervers, und schaffe es gerade noch »Dafür lege ich meine Hand ins Feuer!« zu witzeln.
Aber da kommt Mia schon angestürmt und sagt: »Ja, ja, los, Heli, ich kenn den Türsteher am Seiteneingang«, und zieht mich fort.
Der Typ lächelt mich an. Ich finde, er hat das wunderschönste Lächeln der ganzen Welt, so strahlend und offenherzig, und diese Lippen und der Dreitagebart!
»Ich heiße Heloise, ja? Schreibe fürs Weltmeister Magazin. Google das!«, rufe ich ihm hinterher. Er winkt mir mit seinem Handschuh zu, ich ihm mit meinem zurück und lache, und er lacht, und dann sind wir schon im Dunkel des Clubs angelangt.
»Mia, Mia, ich habe mich gerade verliebt!«, schreie ich ihr nach.
Und sie: »Nein, Schatz, ich sagte dir doch, da war MDMA in der Bowle.«
Und ich: »Nein! Wie wir gerade unsere Handschuhe ausgetauscht haben. Das war wie die Ringzeremonie bei einer Hochzeit!«
»Du bist so scheiße spirituell«, ärgert sie mich.
»Und du bist so scheiße aggressiv vom Koks!«, schreie ich.
UND PLÖTZLICH: ALLES LICHT! FREUDE! MUSIK!
16:04 Finde Handy mein laut Scooters' How Much Is The Fish kreischend neben offener Crémantflasche. Freue mich über alle drei. Entscheide mich für generell positive Grundstimmung im neuen Jahr, was natürlich ein total blöder Vorsatz ist, und deswegen auch gleich noch für: Alles ist möglich. Bemerke, wie ich überlangsam in jeder meiner Bewegungen bin und nicht richtig hören kann, weil so ein gedämpftes Rauschen mich von der Außenwelt trennt. Missed Call: Luise Handy. Frage mich, ob heute schon der zweite Januar ist oder immer noch der erste. Und warum ich nur noch einen Schuh anhabe.
»Luise«, krächze ich und will sie gerade daran erinnern, wie lustig wir es damals fanden, so total betrunken dieses geniale Lied der späten Neunziger als Klingelton einzustellen. Obwohl nun alle bei einem Anruf immer denken, ich sei eines dieser ravenden Ost-Spacken- Mädchen oder ganz hart auf irgendwas hängengeblieben. Doch dann werde ich unterbrochen und höre Stimmenwirrwarr und Techno, und sie brüllt: »Weißt du, Heli, wenn ich was an Berlin liebe, dann ist es, dass diese Stadt Platz für meine ganze Vergangenheit hat, verstehst du? Ich meine, ich war gerade auf einer Party in einer WG, da wohnt dieser dumme Penner, der mich in der Siebten für das blonde Mädchen mit den rosa Pullis aus der 7b verlassen hat, und gleich nebenan ist das Haus, wo ich zum Geigenunterricht musste! Aber Mann, fuck it. Berlin ist so groß. Weißt du, wir können immer wieder von vorne beginnen!« Sie hält kurz inne. Brüllt dann wieder: »Ich liebe dich, ja?« -
»Ich liebe dich auch«, murmle ich, und sie fragt: »Kommst du her? Wir sind immer noch im Crocket.«
Und ich so, überschwerfällig: »Ich kann nicht, hab einfach keine Energie mehr.« Worüber ich lachen muss, weil ich zum Satzende hin tatsächlich immer langsamer geworden bin, als hätte ich wirklich 'ne leere Batterie. Und Luise lacht auch, aber ich weiß nicht, ob über das Gleiche oder einfach auch nur aus allgemein positiver Grundstimmung, und sage dann: »Ich muss jetzt schlafen, denke ich.« Will sie noch fragen, welches Datum wir heute haben. Und ob sie weiß, wo mein Schuh ist. Aber da hat sie schon aufgelegt.
Mühe mich zurück ins Bett und bemerke, jeder Muskel schmerzt. Denke, Silvester in Berlin, das ist eigentlich immer schrecklich. Das weiß jeder, das kriegt man von klein auf per Erziehung mitgegeben. Allein der ganzen kleinen, immer draufen Spanier wegen, die in ihren komischen Rastahaar-Batikkleider-Gruppenansammlungen hier herumstehen, als wäre es wieder 1996 oder so. Oder, ganz übel, wegen dieser 3-Tage-inBerlin- Bustouristen, die sich innerhalb einer Stunde alles reinhauen, was sie kriegen können, und bei denen man immer denkt: Jetzt seid ihr so zu, ich meine, da hättet ihr auch in eurem Idiotendorf bleiben können. Eigentlich total unsinnig, sich genau an diesem Tag den Stress zu machen, auf möglichst viele Partys zu gehen. Wo es doch draußen mit Sicherheit überkalt ist, jeder Eintritt viermal teurer ist als sonst, alle Clubs überfüllt sind und die bescheuerte BVG nur im Feiertagsmodus fährt. Oder dass man ständig versucht, sämtliche Leute beieinanderzuhalten, sogar solche, mit denen man sonst aus rationalen Gründen nicht feiern geht. Zum Beispiel, weil sie einfach wirklich sehr, sehr langweilige Menschen sind.
17:12 Jetzt, in diesem schrecklichen Zustand, in dem man sich vor lauter Zeit an alles erinnert, fällt mir auch wieder der Handschuh-Mann ein, und ich finde, alleine die Tatsache, dass er wusste, aus welchem Leder mein Handschuh war, das muss man sich mal vorstellen, ist ein Beweis, dass er eine Freundin hat. Ein handfester Beweis, meine ich. Muss das auf jeden Fall mit Mia besprechen.
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Autoren-Porträt von Sophie Senoner
Sophie Senoner wurde 1987 in Berlin geboren. 2009 übernahm sie neben ihrem Studium die Chefredaktion des Life-Style-Magazins Proud Magazine Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sophie Senoner
- 2013, 331 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548284728
- ISBN-13: 9783548284729
- Erscheinungsdatum: 15.02.2013
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