Sachbuch BV / Zelot
Jesus von Nazaret und seine Zeit
Fesselnd geschrieben, provokant in der Aussage: Das Jesus-Porträt des muslimischen Autors Reza Aslan. Der Autor wendet sich gegen die Verharmlosung Jesu als sanftem Hirten, der nicht von dieser Welt war Jesus stellte Gott in den Mittelpunkt - und er war ein...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch (Gebunden)
23.60 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Sachbuch BV / Zelot “
Fesselnd geschrieben, provokant in der Aussage: Das Jesus-Porträt des muslimischen Autors Reza Aslan. Der Autor wendet sich gegen die Verharmlosung Jesu als sanftem Hirten, der nicht von dieser Welt war Jesus stellte Gott in den Mittelpunkt - und er war ein Zelot, der es als seine Pflicht ansah, das Land der Juden von den römischen Besatzern zu befreien
Klappentext zu „Sachbuch BV / Zelot “
„Welches Recht haben Sie, über Jesus zu sprechen?" Diese Frage stellte eine Moderatorin bei Fox News dem Autor Reza Aslan, einem Religionswissenschaftler, nachdem er die Jesus-Biografie „Zelot" in den USA veröffentlicht hatte. Aslan ist Muslim und das Liveinterview sorgte für einen Skandal - aber auch dafür, dass das Buch in kürzester Zeit auf Platz eins der Bestsellerliste stand und dort wochenlang blieb. Reza Aslan reagierte übrigens sehr gefasst auf diese unverschämte Frage: Er schluckte zwar kurz, antwortete dann aber so freundlich und seriös wie möglich, dass er Religionswissenschaftler sei und so auch über den Islam, das Judentum oder andere Religionen forschen und schreiben würde. Der Moderatorin war scheinbar dennoch nicht zu verdeutlichen, dass er als Akademiker problemlos „Glauben" von „Wissen" trennen kann.Viele Menschen trennen „Jesus Christus" nicht von der Figur des historischen Jesus
... mehr
Das Phänomen, dass viele Menschen die Figur „Jesus Christus" nicht vom historischen Jesus trennen, liegt wohl in einem wenig wissenschaftlich orientierten Religionsunterricht begründet. Die Geschichten der Bibel sind zwar einzigartige Erzählungen, aber eben definitiv keine Zeitdokumente. Wer glaubt, die Jünger hätten sozusagen „live" von den Wundern, Taten und Worten berichtet und mitgeschrieben, was Jesus gesagt hat, liegt falsch. Und die Forscher sind sich noch nicht einmal darüber einig, ob es den historischen Jesus wirklich gegeben hat. Immerhin eine Mehrheit sieht das so, datiert aber seine Geburt auf ca. 4 vor Christus ... Reza Aslan hat sich in „Zelot" dem historischen Jesus gewidmet. Er erzählt vom Leben in der damaligen Zeit und trägt an Fakten und Quellen zusammen, was zusammengetragen werden kann. Ein mühsames Unterfangen, denn die Quellenlage ist dünn. Doch Reza Aslan nahm diese Herausforderung an ...
Reza Aslan schwärmte für Jesus - doch je gründlicher er die Bibel las, desto mehr zweifelte er
Reza Aslan war 15 Jahre alt, als er Jesus kennenlernte. Es war in einem evangelikalen Jugendcamp und er hörte am Lagerfeuer Geschichten von diesem Jesus, der vor 2.000 Jahren in einem Land namens Galiläa geboren wurde. Dass dieser Mann zum Christus, zum Erretter der Menschheit wurde und den Tod aus freiem Willen wählte, nur um uns von unseren Süden zu erlösen, das beeindruckte Reza Aslan ziemlich. Zwar war er Muslim, aber in seiner Familie wurde die Religion nicht gelebt, „alle Spuren Gottes", so schreibt er, waren „gründlich aus unserem Leben getilgt". Damals war Jesus für ihn Amerika und er wollte - frisch aus dem Camp zurück - allen Menschen die gute Nachricht von Jesus Christus weitertragen. Doch je gründlicher er die Bibel las, desto stärker wuchsen auch seine Zweifel. Denn Reza Aslan entdeckte, wie er beschreibt, Diskrepanzen zwischen dem Jesus der Evangelien und dem historischen Jesus. Im College forschte er weiter an dieser Diskrepanz und das Unbehagen an seinem neuen Glauben wurde zum Zweifel.
„Jesus hätte sich selbst nie als Gottessohn bezeichnet
Was wuchs, war allerdings die Achtung und das Interesse für den historischen Jesus. Dem Jesus, der den brutalen römischen Besatzern die Stirn bot, dem Jesus, der ein jüdischer Bauer und Revolutionär war. Dem Jesus, der sich selbst nie als „Gottessohn" bezeichnet hätte und der sich auch nicht als Gott gesehen hat. „Denn", so Aslan, „zu seiner Zeit existierte die Idee eines Gottessohnes nicht." Jesus hat sich zudem selber nie als Gott gesehen.
Man kann Jesus-Anhänger werden, auch ohne ein Christ zu seinUnd genau diese Geschichte des historischen Jesus erzählt Aslan in „Zelot". In einem Interview mit der ZEIT gefragt, was seine „Pointe" des Buches sei, antwortete Aslan: „Ein armes Kind aus Palästina, ein ungebildeter Nobody, gründet eine Bewegung, die die mächtigste Regierung der Welt in Rage bringt. Dieser Jesus ist so hinreißend, dass man zu seinem Anhänger werden kann, auch ohne ein Christ zu sein."
Das Phänomen, dass viele Menschen die Figur „Jesus Christus" nicht vom historischen Jesus trennen, liegt wohl in einem wenig wissenschaftlich orientierten Religionsunterricht begründet. Die Geschichten der Bibel sind zwar einzigartige Erzählungen, aber eben definitiv keine Zeitdokumente. Wer glaubt, die Jünger hätten sozusagen „live" von den Wundern, Taten und Worten berichtet und mitgeschrieben, was Jesus gesagt hat, liegt falsch. Und die Forscher sind sich noch nicht einmal darüber einig, ob es den historischen Jesus wirklich gegeben hat. Immerhin eine Mehrheit sieht das so, datiert aber seine Geburt auf ca. 4 vor Christus ... Reza Aslan hat sich in „Zelot" dem historischen Jesus gewidmet. Er erzählt vom Leben in der damaligen Zeit und trägt an Fakten und Quellen zusammen, was zusammengetragen werden kann. Ein mühsames Unterfangen, denn die Quellenlage ist dünn. Doch Reza Aslan nahm diese Herausforderung an ...
Reza Aslan schwärmte für Jesus - doch je gründlicher er die Bibel las, desto mehr zweifelte er
Reza Aslan war 15 Jahre alt, als er Jesus kennenlernte. Es war in einem evangelikalen Jugendcamp und er hörte am Lagerfeuer Geschichten von diesem Jesus, der vor 2.000 Jahren in einem Land namens Galiläa geboren wurde. Dass dieser Mann zum Christus, zum Erretter der Menschheit wurde und den Tod aus freiem Willen wählte, nur um uns von unseren Süden zu erlösen, das beeindruckte Reza Aslan ziemlich. Zwar war er Muslim, aber in seiner Familie wurde die Religion nicht gelebt, „alle Spuren Gottes", so schreibt er, waren „gründlich aus unserem Leben getilgt". Damals war Jesus für ihn Amerika und er wollte - frisch aus dem Camp zurück - allen Menschen die gute Nachricht von Jesus Christus weitertragen. Doch je gründlicher er die Bibel las, desto stärker wuchsen auch seine Zweifel. Denn Reza Aslan entdeckte, wie er beschreibt, Diskrepanzen zwischen dem Jesus der Evangelien und dem historischen Jesus. Im College forschte er weiter an dieser Diskrepanz und das Unbehagen an seinem neuen Glauben wurde zum Zweifel.
„Jesus hätte sich selbst nie als Gottessohn bezeichnet
Was wuchs, war allerdings die Achtung und das Interesse für den historischen Jesus. Dem Jesus, der den brutalen römischen Besatzern die Stirn bot, dem Jesus, der ein jüdischer Bauer und Revolutionär war. Dem Jesus, der sich selbst nie als „Gottessohn" bezeichnet hätte und der sich auch nicht als Gott gesehen hat. „Denn", so Aslan, „zu seiner Zeit existierte die Idee eines Gottessohnes nicht." Jesus hat sich zudem selber nie als Gott gesehen.
Man kann Jesus-Anhänger werden, auch ohne ein Christ zu seinUnd genau diese Geschichte des historischen Jesus erzählt Aslan in „Zelot". In einem Interview mit der ZEIT gefragt, was seine „Pointe" des Buches sei, antwortete Aslan: „Ein armes Kind aus Palästina, ein ungebildeter Nobody, gründet eine Bewegung, die die mächtigste Regierung der Welt in Rage bringt. Dieser Jesus ist so hinreißend, dass man zu seinem Anhänger werden kann, auch ohne ein Christ zu sein."
... weniger
Lese-Probe zu „Sachbuch BV / Zelot “
Zelot von Reza AslanIhr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Matthäus 10,34
Inhalt
Vorbemerkung des Autors 13
Einführung 19
Chronologie 29
Teil I
Prolog
Ein Opfer anderer Art 33
Kapitel Eins
Ein Loch im Winkel 41
Kapitel Zwei
König der Juden 49
Kapitel Drei
Ihr wisst, woher ich bin 58
Kapitel Vier
Die Vierte Philosophie 68
Kapitel Fünf
Wo ist die Flotte, mit der ihr die römischen Meere erobert? 81
Kapitel Sechs
Jahr eins 93
Teil II
Prolog
Eifer für dein Haus 111
Kapitel Sieben
Die Stimme in der Wüste 119
Kapitel Acht
Folgt mir nach 130
Kapitel Neun
Durch den Finger Gottes 144
Kapitel Zehn
Dein Reich komme 157
Kapitel Elf
Für wen haltet ihr mich? 170
Kapitel Zwölf
Kein König außer dem Kaiser 191
Teil III
Prolog
Gott in Fleischesgestalt 209
Kapitel Dreizehn
Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist 219
Kapitel Vierzehn
Bin ich nicht ein Apostel? 231
Kapitel Fünfzehn
Der Gerechte 247
Epilog
Wahrer Gott von wahrem Gott 265
Danksagung 269
Anmerkungen 271
Bibliographie 360
Register 373
... mehr
Vorbemerkung des Autors
Ich war 15 Jahre alt, als ich Jesus kennenlernte.
Den Sommer meines zweiten Highschool-Jahres verbrachte ich in einem evangelikalen Jugendcamp im Norden Kaliforniens mit seinen Wäldern, Feldern und dem weiten blauen Himmel, wo man mit genug Zeit und Stille und leise gesprochener Ermutigung gar nicht anders konnte, als die Stimme Gottes zu hören. Inmitten der künstlich angelegten Seen und majestätischen Kiefern sang ich mit meinen Freunden Lieder, spielte Spiele und tauschte Geheimnisse aus. In vollen Zügen genossen wir die Freiheit von den Zwängen, die uns Elternhaus und Schule sonst auferlegten. Abends trafen wir uns alle im Versammlungssaal in der Mitte des Camps, das Kaminfeuer prasselte, und ich hörte eine merkwürdige Geschichte, die mein Leben verändern sollte.
Vor 2000 Jahren, so erzählte man mir, wurde in einem Land namens Galiläa der Gott des Himmels und der Erde als hilfloses Kind geboren. Dieses Kind wuchs zu einem Mann ohne Sünde heran. Der Mann wurde zum Christus, zum Erretter der Menschheit. Durch seine Worte und Wundertaten provozierte er die Juden, die sich als das von Gott auserwählte Volk sahen, und dafür ließen ihn die Juden an ein Kreuz schlagen. Er hätte sich dieser grauenvollen Strafe entziehen können, doch er wählte aus freiem Willen den Tod. Sein Tod gab dem Ganzen erst einen Sinn, denn sein Opfer befreite uns alle von der Last unserer Sünden. Aber damit endete die Geschichte noch nicht, denn drei Tage später stand er wieder auf, erhöht und göttlich, sodass jetzt alle, die an ihn glauben und ihn in ihre Herzen aufnehmen, das ewige Leben haben werden.
Für ein Kind, das in einer zusammengewürfelten Familie aus lauen Muslimen und dezidierten Atheisten aufwuchs, war das wahrhaft die größte Geschichte, die es je gehört hatte. Nie zuvor hatte ich die Anziehungskraft Gottes so deutlich gespürt. In meinem Geburtsland Iran war ich Muslim etwa so, wie ich eben Perser war. Meine Religion und meine ethnische Herkunft waren eng miteinander verbunden. Wie den meisten Menschen, die in eine religiöse Tradition hineingeboren werden, war mein Glaube mir so vertraut wie meine Haut und etwa ebenso gleichgültig. Nachdem meine Familie durch die Revolution 1979 zur Flucht gezwungen worden war, wurde Religion im Allgemeinen und der Islam im Besonderen zu einem Tabu in unserem Haushalt. Der Islam stand stellvertretend für alles, was wir an die jetzt im Iran herrschenden Mullahs verloren hatten. Meine Mutter betete noch, wenn niemand es sah, und man stieß vielleicht mal auf einen Koran irgendwo ganz hinten in einem Schrank oder einer Schublade. Aber insgesamt waren alle Spuren Gottes gründlich aus unserem Leben getilgt.
Das war für mich ganz in Ordnung. Schließlich war ein Muslim im Amerika der achtziger Jahre etwa so fremd wie ein Marsianer. Mein Glaube war eine Art blauer Fleck, das auffälligste Symbol meiner Andersartigkeit; er musste verborgen werden.
Jesus dagegen war Amerika. Er war die zentrale Gestalt im nationalen Drama Amerikas. Wenn ich ihn in mein Herz aufnahm, konnte ich mich so wahrhaft amerikanisch fühlen wie nur möglich. Ich will damit nicht sagen, dass ich mit meiner Bekehrung einen bestimmten Zweck verfolgte. Ganz im Gegenteil, ich brannte mit absoluter Hingabe für meinen neu gefundenen Glauben. Ich bekam einen Jesus präsentiert, der weniger «Herr und Heiland» als bester Freund war, jemand, zu dem ich eine tiefe und persönliche Beziehung aufbauen konnte. Für mich als Teenager, der versuchte, einer nicht klar umrissenen Welt, deren ich mir gerade erst bewusst geworden war, einen Sinn abzugewinnen, war dies eine Einladung, die ich nicht ausschlagen konnte.
Sofort nach meiner Rückkehr aus dem Camp versuchte ich eifrig, die gute Nachricht von Jesus Christus weiterzutragen: zu meinen Freunden und meiner Familie, meinen Nachbarn und Klassenkameraden, Menschen, die ich gerade kennengelernt hatte, und Leuten, die ich auf der Straße traf; zu jenen, die gern zuhörten, und jenen, die überhaupt kein Interesse hatten. Doch während ich mich so heiß bemühte, die Seelen der Welt zu retten, geschah etwas Unerwartetes: Je gründlicher ich die Bibel studierte, um mich gegen die Zweifel der Ungläubigen zu wappnen, desto größere Diskrepanzen entdeckte ich zwischen dem Jesus der Evangelien und dem Jesus der Geschichte - zwischen Jesus dem Christus und Jesus von Nazaret. Und als ich im College begann, mich wissenschaftlich mit der Geschichte der Religionen zu beschäftigen, entwickelten sich aus diesem frühen Unbehagen bald ausgewachsene Zweifel an meinem neuen Glauben.
Die Basis des evangelikalen Christentums ist, so hat man es mir jedenfalls beigebracht, der bedingungslose Glaube, dass jedes Wort der Bibel von Gott kommt und wahr ist, buchstäblich und unfehlbar. Die plötzliche Erkenntnis, dass diese Überzeugung ganz offenkundig und eindeutig falsch ist, dass die Bibel voller eklatanter und augenfälliger Irrtümer und Widersprüche steckt - wie man es von einem Text, der von hunderten Händen über Jahrtausende hinweg geschrieben wurde, nicht anders erwarten kann - , ließ mich verwirrt und ohne spirituellen Anker zurück. Und so verwarf ich wie viele andere in dieser Situation wütend meinen Glauben, als sei er eine teure Fälschung, der ich aufgesessen war. Ich begann wieder über den Glauben und die Kultur meiner Väter nachzudenken und spürte als Erwachsener eine tiefere, engere Bindung zu beidem als früher in meiner Kindheit, eine Vertrautheit wie im Umgang mit einem alten Freund, den man nach vielen Jahren wieder trifft.
Gleichzeitig setzte ich meine akademische Beschäftigung mit der Religionswissenschaft fort und vertiefte mich wieder in die Bibel, nicht als bedingungslos Glaubender, sondern als wissbegieriger Forscher. Nachdem ich die Annahme, die Geschichten dort seien buchstäblich wahr, aufgegeben hatte, bemerkte ich eine tiefere Wahrheit in dem Text, eine Wahrheit, die absichtlich losgelöst war von den Bedingtheiten der Historie. Je mehr ich über das Leben des historischen Jesus erfuhr, über die turbulente Welt, in der er lebte, und über die Brutalität der römischen Besatzung, der er die Stirn bot, desto stärker fühlte ich mich ironischerweise zu ihm hingezogen. Ja, der jüdische Bauer und Revolutionär, der die Herrschaft des mächtigsten Reiches herausforderte, das die Welt je gesehen hatte, und daran scheiterte, stand mir viel realer vor Augen als jenes abgeklärte, überirdische Wesen, mit dem man mich in der Kirche bekannt gemacht hatte.
Heute kann ich mit Überzeugung sagen, dass zwei Jahrzehnte gründlicher akademischer Forschung zu den Ursprüngen des Christentums aus mir einen Anhänger des Jesus von Nazaret gemacht haben, leidenschaftlicher, als meine Begeisterung für Jesus Christus je war. Mit diesem Buch möchte ich die frohe Botschaft des historischen Jesus mit demselben Eifer verbreiten wie früher als Junge die Geschichte des Christus.
Auf einige Dinge möchte ich noch hinweisen, bevor wir mit unserer Untersuchung beginnen. Zu jedem gut belegten, intensiv erforschten und absolut maßgeblichen Argument in Bezug auf den historischen Jesus gibt es ein ebenso gut belegtes, ebenso intensiv erforschtes und ebenso maßgebliches Gegenargument. Statt die Leser und Leserinnen mit der jahrhundertelangen Debatte über das Leben und die Mission des Jesus von Nazaret zu belasten, habe ich meine Darstellung ausgehend von meiner langen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Neuen Testament und der frühchristlichen Geschichte auf den meiner Ansicht nach genauesten und einleuchtendsten Belegen aufgebaut. Wer sich für diese Debatte interessiert, findet ausführliche Forschungsdiskussionen und wo möglich auch die Argumente jener Wissenschaftler, die mit meiner Deutung nicht übereinstimmen, in den langen Anmerkungen am Ende dieses Buches.
Die Bibelpassagen sowie die Namensschreibweisen sind in der vorliegenden deutschsprachigen Ausgabe der Einheitsübersetzung entnommen.
Alle Bezüge auf das Material der Logienquelle Q (das Material, das nur das Matthäus- und das Lukas-Evangelium verwenden) werden so gekennzeichnet: (Mt|Lk), wobei die Reihenfolge der Bücher anzeigt, welches Evangelium ich genauer zitiere. Die Leser werden feststellen, dass ich mich bei meiner Skizze der Geschichte Jesu vor allem auf das Markus-Evangelium und das Q-Material stütze. Dies sind die frühesten und damit zuverlässigsten Quellen, die uns über das Leben des Nazaräers zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen habe ich mich nicht allzu sehr in die sogenannten gnostischen Evangelien vertieft. Diese Texte sind unglaublich wichtig für das weite Meinungsspektrum der frühchristlichen Gemeinschaft zu der Frage, wer Jesus war und was seine Lehren bedeuteten, aber sie werfen kaum neues Licht auf den historischen Jesus selbst.
Obwohl fast einhelliger Meinung nach die Evangelien, mit der möglichen Ausnahme der Apostelgeschichte des Lukas, nicht von den Menschen geschrieben wurden, nach denen sie benannt sind, werde ich die Verfasser der Evangelien der Einfachheit und Klarheit halber weiter mit den Namen bezeichnen, die uns heute geläufig sind. Und schließlich bezeichne ich in diesem Buch das Alte Testament wissenschaftlich angemessener als die Hebräische Bibel oder die Hebräischen Schriften.
Einführung
Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt etwas über den Menschen Jesus von Nazaret wissen. Die Wanderprediger, die mit einer Schar zerlumpter Anhänger im Schlepptau von Dorf zu Dorf zogen und lautstark das Ende der Welt verkündeten, waren zu Jesu Zeiten ein vertrauter Anblick - so vertraut, dass sie in der römischen Elite zu einer Art Karikatur verkommen waren. In einem absurden Abschnitt über genauso eine Gestalt schildert der griechische Philosoph Kelsos einen jüdischen heiligen Mann, der in Galiläa übers Land zieht und ohne ein bestimmtes Gegenüber vor sich hin ruft: «Ich bin der Gott oder Gottes Knecht oder ein göttliches pneuma [Geist]. Aber ich komme, denn die Welt ist schon dem Untergang geweiht. Und ihr werdet mich bald kommen sehen mit der Macht des Himmels.»
Das 1. Jahrhundert war eine Ära apokalyptischer Erwartung unter den Juden des großen Territoriums, das die Römer als «Palästina» bezeichneten und das das moderne Israel/Palästina ebenso umfasste wie weite Teile Jordaniens, Syriens und des Libanon. Zahllose Propheten, Prediger und Messiasse zogen durch das Heilige Land und kündeten vom nahen Gericht Gottes. Viele dieser sogenannten falschen Messiasse kennen wir namentlich. Einige wenige tauchen sogar im Neuen Testament auf. Der Prophet Theudas hatte nach Darstellung der Apostelgeschichte 400 Jünger, bevor die Römer ihn festnahmen und köpften. Eine mysteriöse charismatische Gestalt, die nur «der Ägypter» genannt wird, stellte in der Wüste ein Heer auf, das dann von römischen Soldaten ausgelöscht wurde. Im Jahr 4 v. Chr., dem Jahr, in dem nach Meinung der meisten Fachleute Jesus von Nazaret geboren wurde, setzte sich ein armer Schafhirte namens Athronges ein Diadem auf den Kopf und krönte sich damit selbst zum «König der Juden»; er und seine Anhänger wurden von einer Legion Soldaten niedergemetzelt. Ein weiterer messianischer Aspirant, der sich einfach «der Samariter» nannte, wurde von Pontius Pilatus gekreuzigt, obwohl er noch nicht einmal ein Heer aufgestellt und Rom in keiner Weise herausgefordert hatte - ein Fingerzeig darauf, dass die Behörden das um sich greifende apokalyptische Fieber spürten und extrem empfindlich geworden waren. Dann gab es da noch den Bandenführer Hiskia, Simon von Peräa, Judas den Galiläer, seinen Enkel Manaim, Simon bar Giora und Simon bar Kochba. Sie alle traten mit messianischen Ansprüchen hervor, und sie alle wurden von Rom deshalb hingerichtet. Auf diese Liste gehört auch die Sekte der Essener, von denen einige in Abgeschiedenheit auf dem ausgedörrten Plateau von Qumran nahe dem Nordwestufer des Toten Meeres lebten; dann die Zeloten, eine revolutionäre jüdische Gruppierung des 1. Jahrhunderts, die einen blutigen Krieg gegen Rom mit anzettelte; und schließlich die Furcht einflößenden militanten Attentäter, die die Römer Sicarii (Dolchträger) nannten - Palästina durchlebte im 1. Jh. n. Chr. eine Ära intensiver messianischer Energie.
Man kann Jesus von Nazaret nur schwer direkt in eine der bekannten religiös-politischen Bewegungen seiner Zeit einordnen. Er war ein Mann tiefgreifender Widersprüche, predigte an einem Tag die ethnische Ausschließlichkeit («Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt», Mt 15,24), am nächsten den wohlwollenden Universalismus («Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern», Mt 28,19); einmal forderte er bedingungslosen Frieden («Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden», Mt 5,9), ein anderes Mal sprach er sich für Gewalt und Konflikt aus («Wer aber kein Geld hat, soll seinen Mantel verkaufen und sich dafür ein Schwert kaufen», Lk 22,36).
Der historische Jesus ist so schwer zu fassen, weil es außerhalb des Neuen Testaments kaum Spuren des Mannes gibt, der den Lauf der Menschheitsgeschichte so dauerhaft verändern sollte. Die früheste und verlässlichste nichtbiblische Erwähnung Jesu findet sich im 1. Jahrhundert bei dem jüdischen Historiker Flavius Josephus († nach 100 n. Chr.). In einer kurzen, beiläufigen Passage in Jüdische Altertümer schreibt Josephus von einem teuflischen jüdischen Hohepriester namens Hannas, der nach dem Tod des römischen Statthalters Festus unrechtmäßig einen gewissen «Jakobus, Bruder des Jesus, den sie Messias nennen» als Gesetzesbrecher zur Steinigung verurteilen ließ. In dem Abschnitt wird weiter berichtet, was mit Hannas geschah, als der neue Statthalter Albinus schließlich in Jerusalem ankam.
So kurz und abschätzig diese Anspielung auch sein mag (die Erklärung «den sie Messias nennen» ist ganz offensichtlich spöttisch gemeint), besitzt er doch enorme Bedeutung für all jene, die nach irgendeiner Spur des historischen Jesus forschen. In einer Gesellschaft ohne Nachnamen erforderte ein so häufiger Name wie Jakobus einen besonderen Zusatz - einen Geburtsort oder Vatersnamen etwa - , um ihn von all den anderen Männern namens Jakobus in Palästina zu unterscheiden (daher auch «Jesus von Nazaret»). In diesem Fall lieferte Jakobus' Verwandtschaft mit jemandem, der nach Meinung des Josephus seiner Leserschaft womöglich bekannt war, den Namenszusatz. Der Abschnitt belegt also nicht nur, dass «Jesus, den sie Messias nennen» wirklich gelebt hat, sondern auch, dass er im Jahr 94 n. Chr., als Jüdische Altertümer geschrieben wurde, weithin als Gründer einer neuen und fortbestehenden Bewegung anerkannt war.
Es ist jene Bewegung, nicht ihr Gründer, die die Aufmerksamkeit von Historikern des 2. Jahrhunderts wie Tacitus († 118) und Plinius dem Jüngeren († 113) erregt. Beide erwähnen Jesus von Nazaret, berichten aber abgesehen von seiner Verhaftung und Hinrichtung kaum etwas über ihn - es sind wichtige historische Belege, wie wir sehen werden, die aber wenig Licht auf die Einzelheiten des Lebens Jesu werfen. Wir alle sind deshalb auf die Informationen angewiesen, die wir aus dem Neuen Testament zusammentragen können.
Das erste schriftliche Zeugnis überhaupt stammt aus den Briefen des Paulus, eines frühen Anhängers Jesu, der um 66 n. Chr. herum starb (man kann Paulus' ersten erhaltenen Brief, den 1. Brief an die Thessalonicher, auf die Jahre zwischen 48 und 50 n. Chr. datieren, also etwa auf die Zeit zwei Jahrzehnte nach Jesu Tod). Paulus zeigt allerdings bemerkenswert wenig Interesse am historischen Jesus. Nur drei Szenen aus dem Leben Jesu finden überhaupt in seinen Briefen Erwähnung: das Letzte Abendmahl (1 Kor 11,23 - 26), die Kreuzigung (1 Kor 2,2) und, besonders wichtig für Paulus, die Auferstehung, ohne die, wie er sagt, «unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos» wäre (1 Kor 15,14). Paulus mag eine hervorragende Quelle für all jene sein, die sich für die frühe Geschichte des Christentums interessieren, aber er ist ein schlechter Führer, wenn man sich auf die Suche nach dem historischen Jesus begibt.
Damit bleiben uns nur die Evangelien, die ihre eigenen Probleme mit sich bringen. Zunächst einmal wurde keines von ihnen - mit der möglichen Ausnahme des Lukas-Evangeliums - von dem Mann geschrieben, nach dem es benannt ist. Das trifft im Übrigen auf die meisten Bücher des Neuen Testaments zu. Solche sogenannten pseudepigraphischen Werke, also Werke, die einem bestimmten Autor zugeschrieben, aber nicht von ihm verfasst wurden, waren in der antiken Welt sehr häufig und sollten ganz sicher nicht als Fälschungen aufgefasst werden. Ein Buch nach einer Person zu benennen war ein üblicher Weg, um die Glaubensüberzeugungen dieser Person wiederzugeben oder ihre Denkschule zu repräsentieren. Davon einmal abgesehen sind die Evangelien keine historische Dokumentation des Lebens Jesu und waren auch nie als solche gedacht. Es sind keine Augenzeugenberichte über Jesu Worte und Taten von Menschen, die ihn wirklich kannten, sondern vielmehr Glaubenszeugnisse von Glaubensgemeinschaften, die viele Jahre nach den Ereignissen, die sie schildern, niedergeschrieben wurden. Einfach gesagt, die Evangelien erzählen uns von Jesus Christus, nicht vom Menschen Jesus.
Die weithin akzeptierte Theorie zur Entstehung der Evangelien, die sogenannte Zweiquellentheorie, besagt, dass Markus' Bericht erstmals irgendwann nach 70 n. Chr. niedergeschrieben wurde, also etwa vier Jahrzehnte nach Jesu Tod. Markus stand eine Sammlung mündlicher und vielleicht auch eine Handvoll schriftlicher Überlieferungen zur Verfügung, die schon seit Jahren unter Jesu frühesten Anhängern kursierten. Indem er diesem Überlieferungswust ein chronologisches Gerüst gab, schuf Markus das ganz neue literarische Genre des Evangeliums, griechisch für «gute Nachricht». Doch das Markus-Evangelium ist in den Augen vieler Christen zu kurz und irgendwie unbefriedigend. Die Kindheitserzählungen fehlen; Jesus taucht einfach eines Tages am Ufer des Jordan auf, um sich von Johannes dem Täufer taufen zu lassen. Und auch die Erscheinungen nach der Auferstehung fehlen. Jesus wird gekreuzigt. Sein Leichnam wird in ein Grab gelegt. Ein paar Tage später ist das Grab leer. Schon die frühesten Christen vermissten so einiges in Markus' knappem Bericht über Jesu Leben und Wirken, und so blieb es dessen Nachfolgern Matthäus und Lukas überlassen, den ursprünglichen Text zu überarbeiten.
Zwei Jahrzehnte nach Markus, zwischen 90 und 100 n. Chr., brachten die Verfasser des Matthäus- und des Lukas-Evangeliums, die unabhängig voneinander und mit Markus' Text als Vorlage arbeiteten, die Geschichte des Evangeliums auf den neuesten Stand, indem sie ihre eigenen, besonderen Überlieferungen einarbeiteten, darunter zwei verschiedene und einander widersprechende Kindheitserzählungen sowie eine Reihe ausgeschmückter Auferstehungsgeschichten, um ihre christlichen Leser zufriedenzustellen. Matthäus und Lukas stützten sich auch auf eine wohl frühe und ziemlich weit verbreitete Sammlung von Jesusworten, die die Wissenschaft als Logienquelle (abgekürzt Q für Quelle) bezeichnet. Wir haben diesen Text zwar heute nicht mehr vorliegen, aber wir können seine Inhalte erschließen, indem wir jene Verse zusammenstellen, die sich bei Matthäus und Lukas finden, nicht aber bei Markus.
Zusammen werden diese drei Evangelien - Markus, Matthäus und Lukas - als die synoptischen (griechisch für «zusammenschauen») Evangelien bezeichnet, weil sie eine mehr oder weniger gleiche Darstellung und Chronologie des Lebens und Wirkens Jesu liefern, die wiederum der des vierten, des zwischen 100 und 120 n. Chr. entstandenen Johannes-Evangeliums, in vielem widerspricht.
Damit hätten wir die kanonischen Evangelien. Aber sie sind nicht die einzigen. Heute haben wir Zugang zu einer ganzen Bibliothek nichtkanonischer Schriften, die meist aus dem 2. und 3. Jahrhundert stammen und einen ganz anderen Blick auf das Leben des Jesus von Nazaret werfen. Dazu gehören das Thomas- Evangelium, das Philippus-Evangelium, das Apokryphon des Johannes, das Evangelium der Maria Magdalena und eine Menge anderer sogenannter gnostischer Schriften, die 1945 in Oberägypten nahe der Stadt Nag Hammadi entdeckt wurden. Diese Bücher fanden keine Aufnahme in die Sammlung, die schließlich das Neue Testament bildete, aber sie sind von Bedeutung, weil sie dramatische Meinungsverschiedenheiten offenbaren, wenn es darum ging, wer Jesus war und was Jesus bedeutete - und das selbst unter jenen, die von sich behaupteten, sie seien mit ihm gezogen, hätten das Brot mit ihm geteilt und mit ihm gespeist, hätten seinen Worten gelauscht und mit ihm gebetet.
Letztendlich sind es nur zwei harte historische Fakten in Bezug auf Jesus von Nazaret, auf die wir uns wirklich verlassen können: zum einen, dass Jesus ein Jude war, der eine jüdische Volksbewegung in Palästina zu Beginn des 1. Jh.s n. Chr. anführte, und zum anderen, dass Rom ihn deshalb ans Kreuz schlug. Für sich genommen können diese beiden Fakten kein vollständiges Porträt eines Mannes bieten, der vor zweitausend Jahren lebte. Wenn wir sie aber mit allem anderen kombinieren, was wir über die unruhige Zeit wissen, in der Jesus lebte - und dank der Römer wissen wir eine Menge darüber - , können diese beiden Fakten helfen, ein Bild des Jesus von Nazaret zu zeichnen, das vielleicht historisch genauer ist als das der Evangelien. Tatsächlich hat der Jesus, dessen Bild bei dieser historischen Fingerübung entsteht - ein eifernder Revolutionär, der wie alle Juden jener Zeit in die religiösen und politischen Wirren Palästinas im 1. Jahrhundert hineingezogen wurde - , wenig Ähnlichkeit mit dem Bild des guten Hirten, das die frühchristliche Gemeinde pflegte.
Man muss bedenken, dass die Strafe der Kreuzigung in römischer Zeit fast ausschließlich Aufständischen vorbehalten war. Die Tafel, die die Römer über Jesu Kopf anbrachten, während er sich in Schmerzen wand - «König der Juden» - , wurde titulus genannt und war, anders als man gemeinhin annimmt, nicht sarkastisch gemeint. Jeder Verbrecher, der an einem Kreuz hing, bekam eine Tafel, auf der das genaue Verbrechen verzeichnet war, für das er hingerichtet wurde. Jesu Verbrechen bestand in den Augen Roms darin, dass er eine Königsherrschaft angestrebt (sich also des Verrat schuldig gemacht) hatte, genau wie fast alle anderen messianischen Aspiranten, die deswegen getötet wurden. Und Jesus starb nicht allein. Die Evangelien behaupten, dass links und rechts von Jesus Männer hingen, die auf Griechisch lestai genannt wurden, ein Wort, das im Deutschen oft mit «Diebe» wiedergegeben wird, eigentlich aber «Banditen» oder «Straßenräuber» bedeutet und die häufigste römische Bezeichnung für Aufständische oder Rebellen war.
Drei Rebellen auf einem mit Kreuzen überzogenen Hügel, wobei jedes Kreuz den gepeinigten und blutbefleckten Leib eines Mannes trug, der es gewagt hatte, dem Willen Roms zu trotzen. Schon dieses Bild allein kann Zweifel an der Darstellung der Evangelien aufkommen lassen, denen zufolge Jesus ein Mann des bedingungslosen Friedens war, der fast völlig isoliert von den politischen Unruhen seiner Zeit agierte. Die Vorstellung, dass der Kopf einer populären messianischen Bewegung, die für die Errichtung des «Gottesreiches» eintrat - ein Begriff, der in den Augen von Juden wie von Heiden eine Revolte gegen Rom beinhaltete - , von dem religiösen Eifer, der fast alle Juden in Judäa erfasst hatte, unbeeinflusst bleiben konnte, ist schlichtweg lächerlich.
Warum also gaben sich die Verfasser der Evangelien solche Mühe, das Revolutionäre in Jesu Botschaft und Bewegung abzuschwächen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst klar machen, dass fast alle Evangeliengeschichten über das Leben und die Mission des Jesus von Nazaret nach dem Jüdischen Aufstand gegen Rom im Jahr 66 n. Chr. niedergeschrieben wurden. In jenem Jahr rief eine Gruppe jüdischer Rebellen, angespornt durch den Eifer für Gott, ihre Glaubensbrüder zu einer Revolte auf. Wie durch ein Wunder gelang es den Aufständischen, das Heilige Land von der römischen Besatzung zu befreien. Vier ruhmreiche Jahre lang war die Stadt Gottes wieder in jüdischer Hand. Doch 70 n. Chr. kehrten die Römer zurück. Nach einer kurzen Belagerung Jerusalems durchbrachen die Soldaten die Stadtmauer und gingen in einer Gewaltorgie gegen die Bewohner vor. Sie ermordeten alle, die ihnen in die Hände fielen, und häuften die Leichen auf dem Tempelberg auf. Das Blut floss in Strömen die gepflasterten Straßen hinab. Als sie ihren Blutdurst gestillt hatten, steckten die Soldaten den Tempel Gottes in Brand. Das Feuer verbreitete sich über den Tempelberg hinaus, verschlang Jerusalems Weiden, die Gehöfte, die Ölbäume. Alles brannte. Die Heilige Stadt war so verheert, dass es, wie Josephus schreibt, kein Zeugnis mehr gab, dass Jerusalem je bewohnt gewesen war. Zehntausende Juden waren gestorben. Der Rest verließ die Stadt in Ketten.
Das seelische und geistliche Trauma der Juden infolge dieser Katastrophe kann man sich kaum vorstellen. Vertrieben aus dem ihnen von Gott verheißenen Land, gezwungen, als Ausgestoßene unter den Heiden des Römischen Reiches zu leben, trennten die Rabbinen des 2. Jahrhunderts allmählich und planvoll das Judentum vom radikalen messianischen Nationalismus, der zum verhängnisvollen Krieg mit Rom geführt hatte. Die Tora ersetzte den Tempel als Mittelpunkt des jüdischen Lebens, und das rabbinische Judentum entstand.
Copyright © Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Vorbemerkung des Autors
Ich war 15 Jahre alt, als ich Jesus kennenlernte.
Den Sommer meines zweiten Highschool-Jahres verbrachte ich in einem evangelikalen Jugendcamp im Norden Kaliforniens mit seinen Wäldern, Feldern und dem weiten blauen Himmel, wo man mit genug Zeit und Stille und leise gesprochener Ermutigung gar nicht anders konnte, als die Stimme Gottes zu hören. Inmitten der künstlich angelegten Seen und majestätischen Kiefern sang ich mit meinen Freunden Lieder, spielte Spiele und tauschte Geheimnisse aus. In vollen Zügen genossen wir die Freiheit von den Zwängen, die uns Elternhaus und Schule sonst auferlegten. Abends trafen wir uns alle im Versammlungssaal in der Mitte des Camps, das Kaminfeuer prasselte, und ich hörte eine merkwürdige Geschichte, die mein Leben verändern sollte.
Vor 2000 Jahren, so erzählte man mir, wurde in einem Land namens Galiläa der Gott des Himmels und der Erde als hilfloses Kind geboren. Dieses Kind wuchs zu einem Mann ohne Sünde heran. Der Mann wurde zum Christus, zum Erretter der Menschheit. Durch seine Worte und Wundertaten provozierte er die Juden, die sich als das von Gott auserwählte Volk sahen, und dafür ließen ihn die Juden an ein Kreuz schlagen. Er hätte sich dieser grauenvollen Strafe entziehen können, doch er wählte aus freiem Willen den Tod. Sein Tod gab dem Ganzen erst einen Sinn, denn sein Opfer befreite uns alle von der Last unserer Sünden. Aber damit endete die Geschichte noch nicht, denn drei Tage später stand er wieder auf, erhöht und göttlich, sodass jetzt alle, die an ihn glauben und ihn in ihre Herzen aufnehmen, das ewige Leben haben werden.
Für ein Kind, das in einer zusammengewürfelten Familie aus lauen Muslimen und dezidierten Atheisten aufwuchs, war das wahrhaft die größte Geschichte, die es je gehört hatte. Nie zuvor hatte ich die Anziehungskraft Gottes so deutlich gespürt. In meinem Geburtsland Iran war ich Muslim etwa so, wie ich eben Perser war. Meine Religion und meine ethnische Herkunft waren eng miteinander verbunden. Wie den meisten Menschen, die in eine religiöse Tradition hineingeboren werden, war mein Glaube mir so vertraut wie meine Haut und etwa ebenso gleichgültig. Nachdem meine Familie durch die Revolution 1979 zur Flucht gezwungen worden war, wurde Religion im Allgemeinen und der Islam im Besonderen zu einem Tabu in unserem Haushalt. Der Islam stand stellvertretend für alles, was wir an die jetzt im Iran herrschenden Mullahs verloren hatten. Meine Mutter betete noch, wenn niemand es sah, und man stieß vielleicht mal auf einen Koran irgendwo ganz hinten in einem Schrank oder einer Schublade. Aber insgesamt waren alle Spuren Gottes gründlich aus unserem Leben getilgt.
Das war für mich ganz in Ordnung. Schließlich war ein Muslim im Amerika der achtziger Jahre etwa so fremd wie ein Marsianer. Mein Glaube war eine Art blauer Fleck, das auffälligste Symbol meiner Andersartigkeit; er musste verborgen werden.
Jesus dagegen war Amerika. Er war die zentrale Gestalt im nationalen Drama Amerikas. Wenn ich ihn in mein Herz aufnahm, konnte ich mich so wahrhaft amerikanisch fühlen wie nur möglich. Ich will damit nicht sagen, dass ich mit meiner Bekehrung einen bestimmten Zweck verfolgte. Ganz im Gegenteil, ich brannte mit absoluter Hingabe für meinen neu gefundenen Glauben. Ich bekam einen Jesus präsentiert, der weniger «Herr und Heiland» als bester Freund war, jemand, zu dem ich eine tiefe und persönliche Beziehung aufbauen konnte. Für mich als Teenager, der versuchte, einer nicht klar umrissenen Welt, deren ich mir gerade erst bewusst geworden war, einen Sinn abzugewinnen, war dies eine Einladung, die ich nicht ausschlagen konnte.
Sofort nach meiner Rückkehr aus dem Camp versuchte ich eifrig, die gute Nachricht von Jesus Christus weiterzutragen: zu meinen Freunden und meiner Familie, meinen Nachbarn und Klassenkameraden, Menschen, die ich gerade kennengelernt hatte, und Leuten, die ich auf der Straße traf; zu jenen, die gern zuhörten, und jenen, die überhaupt kein Interesse hatten. Doch während ich mich so heiß bemühte, die Seelen der Welt zu retten, geschah etwas Unerwartetes: Je gründlicher ich die Bibel studierte, um mich gegen die Zweifel der Ungläubigen zu wappnen, desto größere Diskrepanzen entdeckte ich zwischen dem Jesus der Evangelien und dem Jesus der Geschichte - zwischen Jesus dem Christus und Jesus von Nazaret. Und als ich im College begann, mich wissenschaftlich mit der Geschichte der Religionen zu beschäftigen, entwickelten sich aus diesem frühen Unbehagen bald ausgewachsene Zweifel an meinem neuen Glauben.
Die Basis des evangelikalen Christentums ist, so hat man es mir jedenfalls beigebracht, der bedingungslose Glaube, dass jedes Wort der Bibel von Gott kommt und wahr ist, buchstäblich und unfehlbar. Die plötzliche Erkenntnis, dass diese Überzeugung ganz offenkundig und eindeutig falsch ist, dass die Bibel voller eklatanter und augenfälliger Irrtümer und Widersprüche steckt - wie man es von einem Text, der von hunderten Händen über Jahrtausende hinweg geschrieben wurde, nicht anders erwarten kann - , ließ mich verwirrt und ohne spirituellen Anker zurück. Und so verwarf ich wie viele andere in dieser Situation wütend meinen Glauben, als sei er eine teure Fälschung, der ich aufgesessen war. Ich begann wieder über den Glauben und die Kultur meiner Väter nachzudenken und spürte als Erwachsener eine tiefere, engere Bindung zu beidem als früher in meiner Kindheit, eine Vertrautheit wie im Umgang mit einem alten Freund, den man nach vielen Jahren wieder trifft.
Gleichzeitig setzte ich meine akademische Beschäftigung mit der Religionswissenschaft fort und vertiefte mich wieder in die Bibel, nicht als bedingungslos Glaubender, sondern als wissbegieriger Forscher. Nachdem ich die Annahme, die Geschichten dort seien buchstäblich wahr, aufgegeben hatte, bemerkte ich eine tiefere Wahrheit in dem Text, eine Wahrheit, die absichtlich losgelöst war von den Bedingtheiten der Historie. Je mehr ich über das Leben des historischen Jesus erfuhr, über die turbulente Welt, in der er lebte, und über die Brutalität der römischen Besatzung, der er die Stirn bot, desto stärker fühlte ich mich ironischerweise zu ihm hingezogen. Ja, der jüdische Bauer und Revolutionär, der die Herrschaft des mächtigsten Reiches herausforderte, das die Welt je gesehen hatte, und daran scheiterte, stand mir viel realer vor Augen als jenes abgeklärte, überirdische Wesen, mit dem man mich in der Kirche bekannt gemacht hatte.
Heute kann ich mit Überzeugung sagen, dass zwei Jahrzehnte gründlicher akademischer Forschung zu den Ursprüngen des Christentums aus mir einen Anhänger des Jesus von Nazaret gemacht haben, leidenschaftlicher, als meine Begeisterung für Jesus Christus je war. Mit diesem Buch möchte ich die frohe Botschaft des historischen Jesus mit demselben Eifer verbreiten wie früher als Junge die Geschichte des Christus.
Auf einige Dinge möchte ich noch hinweisen, bevor wir mit unserer Untersuchung beginnen. Zu jedem gut belegten, intensiv erforschten und absolut maßgeblichen Argument in Bezug auf den historischen Jesus gibt es ein ebenso gut belegtes, ebenso intensiv erforschtes und ebenso maßgebliches Gegenargument. Statt die Leser und Leserinnen mit der jahrhundertelangen Debatte über das Leben und die Mission des Jesus von Nazaret zu belasten, habe ich meine Darstellung ausgehend von meiner langen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Neuen Testament und der frühchristlichen Geschichte auf den meiner Ansicht nach genauesten und einleuchtendsten Belegen aufgebaut. Wer sich für diese Debatte interessiert, findet ausführliche Forschungsdiskussionen und wo möglich auch die Argumente jener Wissenschaftler, die mit meiner Deutung nicht übereinstimmen, in den langen Anmerkungen am Ende dieses Buches.
Die Bibelpassagen sowie die Namensschreibweisen sind in der vorliegenden deutschsprachigen Ausgabe der Einheitsübersetzung entnommen.
Alle Bezüge auf das Material der Logienquelle Q (das Material, das nur das Matthäus- und das Lukas-Evangelium verwenden) werden so gekennzeichnet: (Mt|Lk), wobei die Reihenfolge der Bücher anzeigt, welches Evangelium ich genauer zitiere. Die Leser werden feststellen, dass ich mich bei meiner Skizze der Geschichte Jesu vor allem auf das Markus-Evangelium und das Q-Material stütze. Dies sind die frühesten und damit zuverlässigsten Quellen, die uns über das Leben des Nazaräers zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen habe ich mich nicht allzu sehr in die sogenannten gnostischen Evangelien vertieft. Diese Texte sind unglaublich wichtig für das weite Meinungsspektrum der frühchristlichen Gemeinschaft zu der Frage, wer Jesus war und was seine Lehren bedeuteten, aber sie werfen kaum neues Licht auf den historischen Jesus selbst.
Obwohl fast einhelliger Meinung nach die Evangelien, mit der möglichen Ausnahme der Apostelgeschichte des Lukas, nicht von den Menschen geschrieben wurden, nach denen sie benannt sind, werde ich die Verfasser der Evangelien der Einfachheit und Klarheit halber weiter mit den Namen bezeichnen, die uns heute geläufig sind. Und schließlich bezeichne ich in diesem Buch das Alte Testament wissenschaftlich angemessener als die Hebräische Bibel oder die Hebräischen Schriften.
Einführung
Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt etwas über den Menschen Jesus von Nazaret wissen. Die Wanderprediger, die mit einer Schar zerlumpter Anhänger im Schlepptau von Dorf zu Dorf zogen und lautstark das Ende der Welt verkündeten, waren zu Jesu Zeiten ein vertrauter Anblick - so vertraut, dass sie in der römischen Elite zu einer Art Karikatur verkommen waren. In einem absurden Abschnitt über genauso eine Gestalt schildert der griechische Philosoph Kelsos einen jüdischen heiligen Mann, der in Galiläa übers Land zieht und ohne ein bestimmtes Gegenüber vor sich hin ruft: «Ich bin der Gott oder Gottes Knecht oder ein göttliches pneuma [Geist]. Aber ich komme, denn die Welt ist schon dem Untergang geweiht. Und ihr werdet mich bald kommen sehen mit der Macht des Himmels.»
Das 1. Jahrhundert war eine Ära apokalyptischer Erwartung unter den Juden des großen Territoriums, das die Römer als «Palästina» bezeichneten und das das moderne Israel/Palästina ebenso umfasste wie weite Teile Jordaniens, Syriens und des Libanon. Zahllose Propheten, Prediger und Messiasse zogen durch das Heilige Land und kündeten vom nahen Gericht Gottes. Viele dieser sogenannten falschen Messiasse kennen wir namentlich. Einige wenige tauchen sogar im Neuen Testament auf. Der Prophet Theudas hatte nach Darstellung der Apostelgeschichte 400 Jünger, bevor die Römer ihn festnahmen und köpften. Eine mysteriöse charismatische Gestalt, die nur «der Ägypter» genannt wird, stellte in der Wüste ein Heer auf, das dann von römischen Soldaten ausgelöscht wurde. Im Jahr 4 v. Chr., dem Jahr, in dem nach Meinung der meisten Fachleute Jesus von Nazaret geboren wurde, setzte sich ein armer Schafhirte namens Athronges ein Diadem auf den Kopf und krönte sich damit selbst zum «König der Juden»; er und seine Anhänger wurden von einer Legion Soldaten niedergemetzelt. Ein weiterer messianischer Aspirant, der sich einfach «der Samariter» nannte, wurde von Pontius Pilatus gekreuzigt, obwohl er noch nicht einmal ein Heer aufgestellt und Rom in keiner Weise herausgefordert hatte - ein Fingerzeig darauf, dass die Behörden das um sich greifende apokalyptische Fieber spürten und extrem empfindlich geworden waren. Dann gab es da noch den Bandenführer Hiskia, Simon von Peräa, Judas den Galiläer, seinen Enkel Manaim, Simon bar Giora und Simon bar Kochba. Sie alle traten mit messianischen Ansprüchen hervor, und sie alle wurden von Rom deshalb hingerichtet. Auf diese Liste gehört auch die Sekte der Essener, von denen einige in Abgeschiedenheit auf dem ausgedörrten Plateau von Qumran nahe dem Nordwestufer des Toten Meeres lebten; dann die Zeloten, eine revolutionäre jüdische Gruppierung des 1. Jahrhunderts, die einen blutigen Krieg gegen Rom mit anzettelte; und schließlich die Furcht einflößenden militanten Attentäter, die die Römer Sicarii (Dolchträger) nannten - Palästina durchlebte im 1. Jh. n. Chr. eine Ära intensiver messianischer Energie.
Man kann Jesus von Nazaret nur schwer direkt in eine der bekannten religiös-politischen Bewegungen seiner Zeit einordnen. Er war ein Mann tiefgreifender Widersprüche, predigte an einem Tag die ethnische Ausschließlichkeit («Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt», Mt 15,24), am nächsten den wohlwollenden Universalismus («Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern», Mt 28,19); einmal forderte er bedingungslosen Frieden («Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden», Mt 5,9), ein anderes Mal sprach er sich für Gewalt und Konflikt aus («Wer aber kein Geld hat, soll seinen Mantel verkaufen und sich dafür ein Schwert kaufen», Lk 22,36).
Der historische Jesus ist so schwer zu fassen, weil es außerhalb des Neuen Testaments kaum Spuren des Mannes gibt, der den Lauf der Menschheitsgeschichte so dauerhaft verändern sollte. Die früheste und verlässlichste nichtbiblische Erwähnung Jesu findet sich im 1. Jahrhundert bei dem jüdischen Historiker Flavius Josephus († nach 100 n. Chr.). In einer kurzen, beiläufigen Passage in Jüdische Altertümer schreibt Josephus von einem teuflischen jüdischen Hohepriester namens Hannas, der nach dem Tod des römischen Statthalters Festus unrechtmäßig einen gewissen «Jakobus, Bruder des Jesus, den sie Messias nennen» als Gesetzesbrecher zur Steinigung verurteilen ließ. In dem Abschnitt wird weiter berichtet, was mit Hannas geschah, als der neue Statthalter Albinus schließlich in Jerusalem ankam.
So kurz und abschätzig diese Anspielung auch sein mag (die Erklärung «den sie Messias nennen» ist ganz offensichtlich spöttisch gemeint), besitzt er doch enorme Bedeutung für all jene, die nach irgendeiner Spur des historischen Jesus forschen. In einer Gesellschaft ohne Nachnamen erforderte ein so häufiger Name wie Jakobus einen besonderen Zusatz - einen Geburtsort oder Vatersnamen etwa - , um ihn von all den anderen Männern namens Jakobus in Palästina zu unterscheiden (daher auch «Jesus von Nazaret»). In diesem Fall lieferte Jakobus' Verwandtschaft mit jemandem, der nach Meinung des Josephus seiner Leserschaft womöglich bekannt war, den Namenszusatz. Der Abschnitt belegt also nicht nur, dass «Jesus, den sie Messias nennen» wirklich gelebt hat, sondern auch, dass er im Jahr 94 n. Chr., als Jüdische Altertümer geschrieben wurde, weithin als Gründer einer neuen und fortbestehenden Bewegung anerkannt war.
Es ist jene Bewegung, nicht ihr Gründer, die die Aufmerksamkeit von Historikern des 2. Jahrhunderts wie Tacitus († 118) und Plinius dem Jüngeren († 113) erregt. Beide erwähnen Jesus von Nazaret, berichten aber abgesehen von seiner Verhaftung und Hinrichtung kaum etwas über ihn - es sind wichtige historische Belege, wie wir sehen werden, die aber wenig Licht auf die Einzelheiten des Lebens Jesu werfen. Wir alle sind deshalb auf die Informationen angewiesen, die wir aus dem Neuen Testament zusammentragen können.
Das erste schriftliche Zeugnis überhaupt stammt aus den Briefen des Paulus, eines frühen Anhängers Jesu, der um 66 n. Chr. herum starb (man kann Paulus' ersten erhaltenen Brief, den 1. Brief an die Thessalonicher, auf die Jahre zwischen 48 und 50 n. Chr. datieren, also etwa auf die Zeit zwei Jahrzehnte nach Jesu Tod). Paulus zeigt allerdings bemerkenswert wenig Interesse am historischen Jesus. Nur drei Szenen aus dem Leben Jesu finden überhaupt in seinen Briefen Erwähnung: das Letzte Abendmahl (1 Kor 11,23 - 26), die Kreuzigung (1 Kor 2,2) und, besonders wichtig für Paulus, die Auferstehung, ohne die, wie er sagt, «unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos» wäre (1 Kor 15,14). Paulus mag eine hervorragende Quelle für all jene sein, die sich für die frühe Geschichte des Christentums interessieren, aber er ist ein schlechter Führer, wenn man sich auf die Suche nach dem historischen Jesus begibt.
Damit bleiben uns nur die Evangelien, die ihre eigenen Probleme mit sich bringen. Zunächst einmal wurde keines von ihnen - mit der möglichen Ausnahme des Lukas-Evangeliums - von dem Mann geschrieben, nach dem es benannt ist. Das trifft im Übrigen auf die meisten Bücher des Neuen Testaments zu. Solche sogenannten pseudepigraphischen Werke, also Werke, die einem bestimmten Autor zugeschrieben, aber nicht von ihm verfasst wurden, waren in der antiken Welt sehr häufig und sollten ganz sicher nicht als Fälschungen aufgefasst werden. Ein Buch nach einer Person zu benennen war ein üblicher Weg, um die Glaubensüberzeugungen dieser Person wiederzugeben oder ihre Denkschule zu repräsentieren. Davon einmal abgesehen sind die Evangelien keine historische Dokumentation des Lebens Jesu und waren auch nie als solche gedacht. Es sind keine Augenzeugenberichte über Jesu Worte und Taten von Menschen, die ihn wirklich kannten, sondern vielmehr Glaubenszeugnisse von Glaubensgemeinschaften, die viele Jahre nach den Ereignissen, die sie schildern, niedergeschrieben wurden. Einfach gesagt, die Evangelien erzählen uns von Jesus Christus, nicht vom Menschen Jesus.
Die weithin akzeptierte Theorie zur Entstehung der Evangelien, die sogenannte Zweiquellentheorie, besagt, dass Markus' Bericht erstmals irgendwann nach 70 n. Chr. niedergeschrieben wurde, also etwa vier Jahrzehnte nach Jesu Tod. Markus stand eine Sammlung mündlicher und vielleicht auch eine Handvoll schriftlicher Überlieferungen zur Verfügung, die schon seit Jahren unter Jesu frühesten Anhängern kursierten. Indem er diesem Überlieferungswust ein chronologisches Gerüst gab, schuf Markus das ganz neue literarische Genre des Evangeliums, griechisch für «gute Nachricht». Doch das Markus-Evangelium ist in den Augen vieler Christen zu kurz und irgendwie unbefriedigend. Die Kindheitserzählungen fehlen; Jesus taucht einfach eines Tages am Ufer des Jordan auf, um sich von Johannes dem Täufer taufen zu lassen. Und auch die Erscheinungen nach der Auferstehung fehlen. Jesus wird gekreuzigt. Sein Leichnam wird in ein Grab gelegt. Ein paar Tage später ist das Grab leer. Schon die frühesten Christen vermissten so einiges in Markus' knappem Bericht über Jesu Leben und Wirken, und so blieb es dessen Nachfolgern Matthäus und Lukas überlassen, den ursprünglichen Text zu überarbeiten.
Zwei Jahrzehnte nach Markus, zwischen 90 und 100 n. Chr., brachten die Verfasser des Matthäus- und des Lukas-Evangeliums, die unabhängig voneinander und mit Markus' Text als Vorlage arbeiteten, die Geschichte des Evangeliums auf den neuesten Stand, indem sie ihre eigenen, besonderen Überlieferungen einarbeiteten, darunter zwei verschiedene und einander widersprechende Kindheitserzählungen sowie eine Reihe ausgeschmückter Auferstehungsgeschichten, um ihre christlichen Leser zufriedenzustellen. Matthäus und Lukas stützten sich auch auf eine wohl frühe und ziemlich weit verbreitete Sammlung von Jesusworten, die die Wissenschaft als Logienquelle (abgekürzt Q für Quelle) bezeichnet. Wir haben diesen Text zwar heute nicht mehr vorliegen, aber wir können seine Inhalte erschließen, indem wir jene Verse zusammenstellen, die sich bei Matthäus und Lukas finden, nicht aber bei Markus.
Zusammen werden diese drei Evangelien - Markus, Matthäus und Lukas - als die synoptischen (griechisch für «zusammenschauen») Evangelien bezeichnet, weil sie eine mehr oder weniger gleiche Darstellung und Chronologie des Lebens und Wirkens Jesu liefern, die wiederum der des vierten, des zwischen 100 und 120 n. Chr. entstandenen Johannes-Evangeliums, in vielem widerspricht.
Damit hätten wir die kanonischen Evangelien. Aber sie sind nicht die einzigen. Heute haben wir Zugang zu einer ganzen Bibliothek nichtkanonischer Schriften, die meist aus dem 2. und 3. Jahrhundert stammen und einen ganz anderen Blick auf das Leben des Jesus von Nazaret werfen. Dazu gehören das Thomas- Evangelium, das Philippus-Evangelium, das Apokryphon des Johannes, das Evangelium der Maria Magdalena und eine Menge anderer sogenannter gnostischer Schriften, die 1945 in Oberägypten nahe der Stadt Nag Hammadi entdeckt wurden. Diese Bücher fanden keine Aufnahme in die Sammlung, die schließlich das Neue Testament bildete, aber sie sind von Bedeutung, weil sie dramatische Meinungsverschiedenheiten offenbaren, wenn es darum ging, wer Jesus war und was Jesus bedeutete - und das selbst unter jenen, die von sich behaupteten, sie seien mit ihm gezogen, hätten das Brot mit ihm geteilt und mit ihm gespeist, hätten seinen Worten gelauscht und mit ihm gebetet.
Letztendlich sind es nur zwei harte historische Fakten in Bezug auf Jesus von Nazaret, auf die wir uns wirklich verlassen können: zum einen, dass Jesus ein Jude war, der eine jüdische Volksbewegung in Palästina zu Beginn des 1. Jh.s n. Chr. anführte, und zum anderen, dass Rom ihn deshalb ans Kreuz schlug. Für sich genommen können diese beiden Fakten kein vollständiges Porträt eines Mannes bieten, der vor zweitausend Jahren lebte. Wenn wir sie aber mit allem anderen kombinieren, was wir über die unruhige Zeit wissen, in der Jesus lebte - und dank der Römer wissen wir eine Menge darüber - , können diese beiden Fakten helfen, ein Bild des Jesus von Nazaret zu zeichnen, das vielleicht historisch genauer ist als das der Evangelien. Tatsächlich hat der Jesus, dessen Bild bei dieser historischen Fingerübung entsteht - ein eifernder Revolutionär, der wie alle Juden jener Zeit in die religiösen und politischen Wirren Palästinas im 1. Jahrhundert hineingezogen wurde - , wenig Ähnlichkeit mit dem Bild des guten Hirten, das die frühchristliche Gemeinde pflegte.
Man muss bedenken, dass die Strafe der Kreuzigung in römischer Zeit fast ausschließlich Aufständischen vorbehalten war. Die Tafel, die die Römer über Jesu Kopf anbrachten, während er sich in Schmerzen wand - «König der Juden» - , wurde titulus genannt und war, anders als man gemeinhin annimmt, nicht sarkastisch gemeint. Jeder Verbrecher, der an einem Kreuz hing, bekam eine Tafel, auf der das genaue Verbrechen verzeichnet war, für das er hingerichtet wurde. Jesu Verbrechen bestand in den Augen Roms darin, dass er eine Königsherrschaft angestrebt (sich also des Verrat schuldig gemacht) hatte, genau wie fast alle anderen messianischen Aspiranten, die deswegen getötet wurden. Und Jesus starb nicht allein. Die Evangelien behaupten, dass links und rechts von Jesus Männer hingen, die auf Griechisch lestai genannt wurden, ein Wort, das im Deutschen oft mit «Diebe» wiedergegeben wird, eigentlich aber «Banditen» oder «Straßenräuber» bedeutet und die häufigste römische Bezeichnung für Aufständische oder Rebellen war.
Drei Rebellen auf einem mit Kreuzen überzogenen Hügel, wobei jedes Kreuz den gepeinigten und blutbefleckten Leib eines Mannes trug, der es gewagt hatte, dem Willen Roms zu trotzen. Schon dieses Bild allein kann Zweifel an der Darstellung der Evangelien aufkommen lassen, denen zufolge Jesus ein Mann des bedingungslosen Friedens war, der fast völlig isoliert von den politischen Unruhen seiner Zeit agierte. Die Vorstellung, dass der Kopf einer populären messianischen Bewegung, die für die Errichtung des «Gottesreiches» eintrat - ein Begriff, der in den Augen von Juden wie von Heiden eine Revolte gegen Rom beinhaltete - , von dem religiösen Eifer, der fast alle Juden in Judäa erfasst hatte, unbeeinflusst bleiben konnte, ist schlichtweg lächerlich.
Warum also gaben sich die Verfasser der Evangelien solche Mühe, das Revolutionäre in Jesu Botschaft und Bewegung abzuschwächen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst klar machen, dass fast alle Evangeliengeschichten über das Leben und die Mission des Jesus von Nazaret nach dem Jüdischen Aufstand gegen Rom im Jahr 66 n. Chr. niedergeschrieben wurden. In jenem Jahr rief eine Gruppe jüdischer Rebellen, angespornt durch den Eifer für Gott, ihre Glaubensbrüder zu einer Revolte auf. Wie durch ein Wunder gelang es den Aufständischen, das Heilige Land von der römischen Besatzung zu befreien. Vier ruhmreiche Jahre lang war die Stadt Gottes wieder in jüdischer Hand. Doch 70 n. Chr. kehrten die Römer zurück. Nach einer kurzen Belagerung Jerusalems durchbrachen die Soldaten die Stadtmauer und gingen in einer Gewaltorgie gegen die Bewohner vor. Sie ermordeten alle, die ihnen in die Hände fielen, und häuften die Leichen auf dem Tempelberg auf. Das Blut floss in Strömen die gepflasterten Straßen hinab. Als sie ihren Blutdurst gestillt hatten, steckten die Soldaten den Tempel Gottes in Brand. Das Feuer verbreitete sich über den Tempelberg hinaus, verschlang Jerusalems Weiden, die Gehöfte, die Ölbäume. Alles brannte. Die Heilige Stadt war so verheert, dass es, wie Josephus schreibt, kein Zeugnis mehr gab, dass Jerusalem je bewohnt gewesen war. Zehntausende Juden waren gestorben. Der Rest verließ die Stadt in Ketten.
Das seelische und geistliche Trauma der Juden infolge dieser Katastrophe kann man sich kaum vorstellen. Vertrieben aus dem ihnen von Gott verheißenen Land, gezwungen, als Ausgestoßene unter den Heiden des Römischen Reiches zu leben, trennten die Rabbinen des 2. Jahrhunderts allmählich und planvoll das Judentum vom radikalen messianischen Nationalismus, der zum verhängnisvollen Krieg mit Rom geführt hatte. Die Tora ersetzte den Tempel als Mittelpunkt des jüdischen Lebens, und das rabbinische Judentum entstand.
Copyright © Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
... weniger
Autoren-Porträt von Reza Aslan
Reza Aslan ist Associate Professor of Creative Writing und Cooperating Faculty im Department of Religion an der University of California, Riverside. 1972 im Iran geboren, floh er nach der Revolution dort mit seiner Familie in die USA. Mit 15 wurde er evangelikaler Christ, kehrte später aber zum Islam zurück. Er studierte Religion in Santa Clara und Harvard und promovierte in Religionssoziologie an der University of California, Santa Barbara. Als Truman Capote Fellow an der University of Iowa absolvierte er den berühmten Writers' Workshop. Er publiziert in zahlreichen Medien. Auf Deutsch erschien 2006 sein Buch «Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart».
Bibliographische Angaben
- Autor: Reza Aslan
- 2014, 3. Aufl., 384 Seiten, 2 Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 15 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Henning Dedekind, Norbert Juraschitz, Thomas Pfeiffer
- Verlag: Rowohlt, Hamburg
- ISBN-10: 3498000837
- ISBN-13: 9783498000837
- Erscheinungsdatum: 05.12.2013
Rezension zu „Sachbuch BV / Zelot “
Wissenschaftliche Forschung und unterhaltsame Religionsgeschichte in einem. Der Spiegel
Pressezitat
Wissenschaftliche Forschung und unterhaltsame Religionsgeschichte in einem. Der Spiegel
Kommentare zu "Sachbuch BV / Zelot"
5 von 5 Sternen
5 Sterne 4Schreiben Sie einen Kommentar zu "Sachbuch BV / Zelot".
Kommentar verfassen