Schloss aus Glas
Jeannette Walls ist ein glückliches Kind: Sie hat einen Vater, der mit ihr auf Dämonenjagd geht, ihr die Physik erklärt und die Sterne vom Himmel holt. Da...
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Jeannette Walls ist ein glückliches Kind: Sie hat einen Vater, der mit ihr auf Dämonenjagd geht, ihr die Physik erklärt und die Sterne vom Himmel holt. Da nimmt sie gerne in Kauf, immer mal wieder mit leerem Bauch ins Bett zu gehen, ihre egomanische Künstlermutter zu ertragen oder in Nacht-und-Nebel-Aktionen den Wohnort zu wechseln. Mit den Jahren allerdings werden die sozialen Verhältnisse schlimmer, die Sprüche des Vaters schaler und das Lügengebäude der Eltern so zerbrechlich wie das Schloss aus Glas, das der Vater jahrelang zu bauen versprochen hatte.
Rückblickend erzählt Jeannette Walls von ihrer Kindheit in einer Familie, die man sich verrückter und unkonventioneller, aber auch unverantwortlicher nicht vorstellen kann.
Sie hat einen Vater, der mit ihr auf Dämonenjagd geht, ihr die Physik erklärt und die Sterne vom Himmel holt. Da nimmt sie gerne in Kauf, immer mal wieder mit leerem Bauch ins Bett zu gehen, ihre egomanische Künstlermutter zu ertragen oder in Nacht-und-Nebel-Aktionen den Wohnort zu wechseln. Mit den Jahren allerdings werden die sozialen Verhältnisse schlimmer, die Sprüche des Vaters schaler und das Lügengebäude der Eltern so zerbrechlich wie das Schloss aus Glas, das der Vater jahrelang zu bauen versprochen hatte.
Schloss ausGlas von Jeannette Walls
LESEPROBE
Ich nestelt an meiner Perlenkette und fragte mich, ob ich nicht doch zu elegant für dieParty angezogen war, als ich aus dem Taxifenster schaute und Mom sah, die geradeeinen Mülleimer durchwühlte. Es war ein stürmischer Märzabend, und es dämmerteschon. Der Wind peitschte den Dampf, der aus den Kanaldeckeln aufstieg, und dieMenschen hasteten mit hochgeklappten Mantelkrägen über die Bürgersteige. Ichsteckte im Stau, zwei Häuserblocks von dem Restaurant entfernt, wo die Partystattfand, zu der ich eingeladen war.
Mom stand höchstens vier Meter weg von mir. Zum Schutzgegen die Frühjahrskälte hatte sie sich Lumpen um die Schultern gewickelt, undsie inspizierte den Abfall, während ihr Hund, ein schwarzweißerTerriermischling, zu ihren Füßen spielte. Moms Bewegungen waren mir so vertraut- die Art, wie sie den Kopf schief legte und die Unterlippe vorschob, wenn sieirgendetwas aus dem Mülleimer gefischt hatte und auf seinen Wert hinuntersuchte, die Art, wie ihre Augen vor kindlicher Freude ganz groß wurden,wenn sie etwas gefunden hatte, das ihr gefiel. Ihr langes Haar hatte graueSträhnen und war ungekämmt und verfilzt, ihre Augen lagen tief in den Höhlen,aber sie erinnerte mich noch immer an die Mom, die sie für mich als Kindgewesen war, die Kopfsprünge von Klippen machte, in der Wüste malte und lautShakespeare las. Ihre Wangenknochen waren hoch und kräftig, doch die Haut warvon all den Wintern und Sommern, die sie ungeschützt den Elementen ausgesetztgewesen war, ausgedörrt und gerötet. Für die Menschen, die an ihr vorbeigingen,sah sie wahrscheinlich genauso aus wie die unzähligen Obdachlosen, die durchdie Straßen von New York streiften.
Es warMonate her, dass ich Mom gesehen hatte, und als sie aufblickte, überkam michPanik, die Furcht, dass sie mich entdecken und meinen Namen rufen würde unddass jemand, der zu derselben Party unterwegs war, uns zusammen sehen könnte,dass Mom sich vorstellen würde und mein Geheimnis kein Geheimnis mehr wäre.Ich rutschte auf dem Sitz nach unten und sagte dem Fahrer, er solle wenden undmich zurück zur Park Avenue bringen.
Das Taxihielt vor dem 1-laus, in dem ich wohnte, der Portier öffnete mirdie Tür, der Fahrstuhlführer brachte mich hinauf zu meiner Etage. Mein Mannarbeitete noch, wie fast jeden Abend, und die leere Wohnung war still, bis aufdas Klackern meiner Absätze auf dem glänzenden Parkettboden. Ich war noch immeraufgewühlt von der unerwarteten Begegnung mit meiner Mutter, von dem Anblick,wie sie munter den Mülleimer durchstöberte, und ich legte eine Vivaldi-CD auf,hoffte, dass mich die Musik beruhigen würde.
Ich ließden Blick durch die Wohnung wandern. Tiber die bronze- und silberfarbenen Vasenaus der Jahrhundertwende und die alten Bücher mit abgegriffenem Ledereinband,die ich auf Flohmärkten erstanden hatte. Über die alten Landkarten von Georgia,die ich gerahmt hatte, die persischen Teppiche und den wuchtigen Ledersessel,in den ich mich abends so gern fallen ließ. Ich hatte versucht, mir hier einZuhause zu schaffen, hatte versucht, die Wohnung so zu gestalten, wie derMensch, der ich sein wollte, sie gern hätte. Aber es gelang mir nicht, michhier wohl zu fühlen, ohne mir Gedanken um Mom und Dad zu machen, die aufirgendeinem U-Bahn-Schachtgitter kauerten. Ich sorgte mich um sie, aber siewaren mir auch peinlich, und außerdem schämte ich mich dafür, dass ich Perlentrug und auf der Park Avenue wohnte, während meine Eltern damit beschäftigtwaren, irgendwo ein warmes Plätzchen und etwas zu essen zu finden.
Aber wassollte ich machen? Ich hatte schon zahllose Male versucht, ihnen unter die Armezu greifen, aber Dad beharrte stets darauf, dass sie nichts brauchten, und Mombat immer nur um irgendwelche albernen Kleinigkeiten wie einen Parfümzerstäuberoder ein Fitnessstudio-Abo. Beide beteuerten, dass sie genauso lebten, wie sieleben wollten.
Dochnachdem ich im Taxi den Kopf eingezogen hatte, damit Mom mich nicht sah,empfand ich so einen Abscheu vor mir selbst - meinen Antiquitäten, meinenKleidern und meiner Wohnung -, dass ich irgendwas tun musste. Ich rief eine Freundinvon Mom an und hinterließ eine Nachricht für sie. Das war unser System, wie wirin Kontakt blieben. Es dauerte immer ein paar Tage, bis Mom zurückrief, und dieWoche war fast um, als sie sich meldete. Sie klang wie immer gut gelaunt undlocker, als hätten wir uns erst tags zuvor zum Lunch getroffen. Ich sagte,dass ich mich mit ihr treffen wolle, und lud sie zu mir nach Hause ein, abersie wollte lieber in ein Restaurant. Sie ging für ihr Leben gern essen, alsoverabredeten wir uns zum Lunch hei ihrem Lieblingschinesen.
Mom saß schonda und studierte die Speisekarte, als ich eintraf. Sie hatte sich extra einbisschen zurechtgemacht. Sie trug einen sackartigen grauen Pullover, der nurein paar helle Flecken hatte, und schwarze Herrenschuhe aus Leder. Sie hattesich das Gesicht gewaschen, doch Hals und Schläfen waren noch immer dunkel vonSchmutz.
Sie winktebegeistert, als sie mich sah. »Da ist ja meine Kleine!«, rief sie. Ich küsstesie auf die Wange. Mom hatte die ganzen Plastikpäckchen mit Sojasauce undKetchup und Senfsauce vom Tisch in ihrer Handtasche verschwinden lassen. Nunkippte sie auch noch eine Holzschale mit Trockennudeln hinein. »Ein kleinerHappen für später«, erklärte sie.
(...)
© 2005 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Übersetzung: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Autoren-Porträtvon Jeannette Walls
Jeannette Walls wurde in Phoenix (Arizona) geboren. Mitihren Eltern und drei Geschwistern lebte sie in verschiedenen Städten imSüdwesten. Als sie 10 Jahre alt war, ließ sich die Familie in Welch (WestVirginia) nieder.
Nach ihrem Studium arbeitete bei verschiedenen Magazinenund Fernsehsendern. Beim amerikanischen Sender MSNBC ist sie regelmäßig zusehen, u.a. als Moderatorin einer Live-Sendung im Vormittagsprogramm. JeannetteWalls ist mit dem erfolgreichen Schriftsteller John Taylor verheiratet, in derNew Yorker Gesellschaft gelten die beiden als Powerpaar".
Es ist aber nicht die Karriere der Walls, die Menschen inder ganzen Welt aufmerken lässt, sondern die fast unglaubliche Geschichte ihrerKindheit und Jugend, die sie in ihrem autobiografischen Roman Schloss aus Glas"erzählt. Das Schloss aus Glas versprach der Vater Rex Walls seiner Familie,weil er ihr sonst nichts bieten konnte. Er vertrank und verspielte das wenigeGeld, das er gelegentlich verdiente, sodass die Kinder in Mülltonnen Essbaressuchen mussten und ihre Haut mit Farbe bemalten, damit die zerlöcherte Kleidungnicht so auffiel. Die Mutter Rose Mary, eigentlich Lehrerin von Beruf, hieltsich für eine Künstlerin und verbrachte ihre Zeit mit Malen, Dichten und Essen.Die Kinder verwahrlosten immer mehr. Oft auf der Flucht vor Gläubigern, lebtedie Familie in einem alten Wohnwagen, in einem Abbruchhaus oder auf der Straße.Dieses freie" Leben wurde den Kindern als Abenteuer und Abkehr von Konsum undKonventionen vermittelt. Rückblickend erinnert sich Jeanette auch an glücklicheZeiten, etwa wenn der Vater mal nicht betrunken war, die Kinder unterrichtete,ihnen die Welt erklärte und die Sterne des Himmels schenkte. Aber der Alkoholzerstörte den Mann.
Schon fast erwachsen, erkannten die Kinder die Perspektivlosigkeitdieses Lebens und zogen nach New York, um ihr Schicksal selbst in die Hand zunehmen. Jeannette arbeitete, machte gleichzeitig ihren Schulabschluss,studierte und verwirklichte ihren Traum, Journalistin zu werden. Ihr Vater istinzwischen gestorben, die Mutter lebt noch immer auf der Straße - weil sie esso will.
- Autor: Jeannette Walls
- 2005, 384 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455080049
- ISBN-13: 9783455080049
- Erscheinungsdatum: 08.03.2005
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