Siggi Baumeister Band 2: Requiem für einen Henker
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Requiem für einen Henker von Jacques Berndorf
LESEPROBE
1. Kapitel
LeonhardCohen sang drohend First we takeManhattan, die Katze Krümel raste in einem Anfall von Schwangerschaftsfieberüber den Küchentisch und warf den Honigtopf um, das Telefon schrillte, dieTürglocke läutete, und ein Mann brüllte: »Briketts!«
Da ichnicht gleichzeitig auf alles reagieren konnte, sah ich dümmlich zu, wie dergroße Honigtopf gemächlich zum Tischrand rollte, über die Kante verschwand unddann mit einem satten Flatsch auf den Fliesenlandete. Es war ein sehr heller, sehr flüssiger Akazienhonig.
Cohendrohte zum zweiten Mal, jetzt auch Berlin zu nehmen, jemand versuchte, dieHaustür mit Gewalt zu öffnen, das Telefon schrillte noch immer, Krümel warverschwunden.
Zwei Wochenlang hatte ich mich mit nichts auseinandersetzen müssen als dem Hämmern desRegens, dem klebrigen Nebel und der ermüdenden Hetze der Gedanken in ganz kleinen,tödlichen Kreisen.
DieserAnfall von hektischer Betriebsamkeit machte mir zu schaffen.
Der Reihenach also. Ich schlurfte zur Haustür. Draußen war der Fahrer von derRaiffeisenkasse, und ich sagte ihm, er solle die Briketts vor die Garage kippen,aber ein Stück neben das Tor bitte, damit ich mein Auto noch erreichen könne.Er erwiderte beleidigt, das Auto würde er mir schon nicht zuschütten, undverschwand aus meinem Blickfeld. Das Telefon schrillte noch immer, Cohen hatteseine Eroberungspläne aufgegeben, stattdessen röhrte eine Jungmännertruppe begeistertLife is Life, Krümel duckte sich im Flur hinter meineGummistiefel und sah so aus, als wolle sie mich überfallen. Ich machte alsNächstes das Radio aus.
Den Honigließ ich fürs Erste Honig sein und ging ans Telefon.Es war Grabert, und er klang wie immer ziemlich verbittert.Er fühlte sich unterbezahlt. »Wie ist das Wetter bei Ihnen in der Eifel?Kriegen wir noch richtigen Schnee? Mein Gott, dieser furchtbare Winter!«
»Wir habenRegen und Nebel und Temperaturen um fünf Grad plus. Die Sicht liegt ständigunter fünfzig Metern. Das ist seit drei Monaten so, und ich bin hochdepressiv.«
»Dann habeich etwas für Ihre Genesung, ein Stück pralles Leben. Können Sie schnell fürmich nach Bonn fahren?«
»0 je, ichmag nur die Altstadt, nicht das Regierungsviertel. Da laufen mir zu vieleKolleginnen und Kollegen im Zustande höchster Erleuchtung herum.«
Grabertgluckste. »Diese Sache haben wir aber exklusiv, da kann Ihnen keinerdazwischen. Eine hochfeine Geschichte.«
Immer, wennGrabert behauptet, er habe eine hochfeine Geschichte,kann man sicher sein, dass es irgendwie mit Geschlechtsverkehr zu tun hat.
»Wer bumstalso mit wem?«
»Nichtdoch, nicht doch.« Er flötete wie ein Dompfaff, und ich konnte förmlich sehen,wie er fünf Wurstfinger innig auf sein Herz legte. »Tausend auf die Schnelle,wenn Sie die Geschichte hinkriegen.«
»Und wennich sie nicht hinkriege?«
»DieHälfte.«
Ich dachtedaran, dass ich die Briketts bezahlen musste und etwas für die Rente tunsollte. Also sagte ich: »Lassen Sie es raus.«
»Also, dasFamilienministerium ist bekanntlich an der Aidsfront sehr aktiv. Die Ministerinhat einen gewissen hohen Beamten mit einem Bumsbomber nach Thailand geschickt.Wilhelm Blechschmidt heißt der Typ. Er sollteherausfinden, wie die Deutschen da unten in den Puffs mit der Furcht vor Aidsumgehen. Das war vor vierzehn Monaten. Er ist auch wirklich hingeflogen, aberer hat sich einen Dreck um Aids gekümmert. Stattdessen hat er eine Thaifrauaufgerissen, ein Superweib. Die hat er mitgenommen nach Bonn und ihr einPrachtappartement gemietet. Seine Ehe ist natürlich im Eimer, und er hat sichden zweiten Frühling auf Staatskosten finanziert. Nicht schlecht, was?«
»Wenn esstimmt. Und Sie, was wollen Sie?«
»Ich willein Interview mit dem Mann. Nein, nein, nicht was Sie denken, nichtkaputtmachen den Kerl. Ich will ihn sagen hören, dass die deutschen Ehefrauenlangweilig sind und dass die Thaimädchen Feuer im Hintern haben. Und Fotos vonder Kleinen will ich auch, möglichst geile.«
Grabertist eine Speerspitze des deutschen Journalismus, Grabertschreibt wöchentlich eine Kolumne, in der er sich um die politische Moral derDeutschen kümmert und vor dem allgemeinen Verfall warnt. Damit wir alle auchpräzise wissen, was er meint, bringt er Schmuddelgeschichten aus Bordellen undtitelt sie so: Wie Freudenmädchen Katharina S. (23) die große Liebe fand, oder:Ich war meinem Zuhälter hörig, bis Horst (31) kam!
»So einInterview kriege ich nie, wenn der Mann nicht krank ist.«
»Siekriegen es. Wenn es überhaupt einer kriegt, dann Sie.«Er war lästig, ich wollte ihn loswerden und sagte: »Na gut.«Dann hängte ich ein.
Krümelsprang auf den Schreibtisch und starrte mich vorwurfsvoll an. Mit Hilfe alterKissen und einer noch älteren Pferdedecke hatte ich ihr sechs Tage lang an denbesten Stellen im Haus immer neue Nester für ihre Niederkunft gebaut. Sie hattean allen gerochen und sich gelangweilt abgewendet.
»Ich bauefür dich und die Kleinen ein Nest unter dem Schreibtisch«, erklärte ich ihrjetzt. »Da bist du immer bei mir und kannst deine Jungen auch mal alleinelassen, in Ordnung?«
Siestreckte die rechte Vorderpfote vor und leckte sie genüsslich ab. Sie wolltemehr, und offensichtlich wusste sie, dass ich das wusste.
»Aber aufdem Schreibtisch geht das nicht«, wehrte ich mich. »Das musst du verstehen ...Und jetzt scher dich weg, ich muss für dein Fressen etwas tun.«
Aber sieblieb sitzen, starrte mich an und leckte sich schließlich den Bauch. Dannseufzte sie tief und legte den Kopf auf das Telefon. Schwangere Katzen sind nurschwer zu ertragen.
Ich schobsie beiseite und rief im Bonner Familienministerium an. Es war gar nichtschwer, diesen Blechschmidt an den Apparat zubekommen. Er hatte eine ganz sympathische Stimme.
Ich legtemeine Karten sofort auf den Tisch. »Das ist fast peinlich privat. Ich heißeBaumeister, bin Journalist und habe den Auftrag, ein Interview mit Ihnen zumachen. Es geht um Ihre Lebensgefährtin, die Dame aus Thailand.«
Ich hieltes für das Beste, gerade auf das Ziel loszugehen, und hatte dabei dieberechtigte Hoffnung, er werde mich auf zivilisierte Weise zum Teufel schickenund den Hörer einhängen.
Stattdessenlachte er und sagte: »Ich habe mich schon gefragt, wie lange es noch dauert. Nagut, besuchen Sie mich zu Hause. Am besten heute Abend, da habe ich Zeit. Sagenwir um acht zum Abendessen, passt Ihnen das?«
»Danke«,sagte ich verblüfft. Ich notierte die Adresse und bedankte mich noch einmalartig. Dann ging ich den Honig in der Küche an. Es dauerte fast eine Stunde,und anschließend gab es dort kein Möbelstück, das nicht klebte. Schließlich zogich die Ackerkluft an und begann die Briketts zu stapeln, die natürlich dochzum größten Teil vor der Einfahrt lagen. Das war trostlos, bis ich mir festeinbildete, es trainiere die Muskeln und mache meine Bauchdecke wiederjugendlich und fest.
Krümelhatte sich hoch auf einen Stapel Buchenholz gehockt und sah mir zu. Ab und zuleckte sie sich über den Bauch, um ihren ungeborenen Jungen wärmendeMutterliebe zu geben. So brachten wir den Tag hin, bis ich gegen Abend badeteund mich landfein machte.
Über Adenaufuhr ich ins Ahrtal ein, dann die endlosen Kurven bisAltenahr und über die Höhen zum Autobahnkreuz Meckenheim. Es hatte keine Minuteaufgehört, in feinen, eindeutig grauen Tropfen zu regnen. Inzwischen schwelgtedie Landschaft in Düsternis, sie schien aufgehört haben zu atmen, es gabnirgends klare Horizonte. Um nicht von der ganzen Trübsal angesteckt zu werden,schob ich ein Band von Harry Belafonte ein. 0 Islandin the sun ...
Blechschmidt wohnte in einem der modernen Blocks auf den Äckern am Südrand derStadt. Er war ein auffallend schlanker Mann, um die fünfzig, und begrüßte michmit wachsamer Zuvorkommenheit. Ein bisschen erinnerteer mich an einen freundlichen Habicht, der allerdings genau wusste, was erwollte. Er trug einen teuren dunkelgrünen Samtanzug über einem grauenRollkragenpullover, und mir kam er vor wie jemand, der kein bisschen Angst vordem Alter hat.
Er bat michin einen Wohnraum, der etwa so groß war wie ein halber Tennisplatz, dabei aberdurchaus kultiviert wirkte. Bei der Einrichtung war man offenbar nach derDevise vorgegangen: Man muss nicht über Geld reden, man kann es auch in Möbelnanlegen.
»Setzen Siesich, wohin Sie wollen«, sagte er mit seiner angenehmen Stimme und strich sicheine silberne Haartolle aus der Stirn. »Cognac, Bier, Wein, oder was?«
»EinWasser, bitte. Und ich will Ihre Zeit nicht länger beanspruchen. Ich fühle michsowieso nicht wohl bei diesem Thema.«
© KBV
- Autor: Jacques Berndorf
- 2024, 11. Aufl., 320 Seiten, Maße: 12 x 17,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: KBV
- ISBN-10: 3937001727
- ISBN-13: 9783937001722
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