Spätlese
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Lange bevor Alfred Komarek mit den Romanen rund um den Weinviertler Gendarmen Simon Polt und den Grazer Publizisten Daniel Käfer zum Bestsellerautor wurde, erwarb er sich mit seinen Radiosendungen, Glossen, Feuilletons, Essays und Reportagen für Zeitschriften eine treue Fangemeinde - vor allem seine Radiotexte für die Ö3-Sendung "Melodie exklusiv" sind bis heute legendär. Eine umfangreiche Auswahl aus diesen Texten, die seit den 1960er Jahren entstanden sind, liegt nun erstmals in diesem Alfred-Komarek-Lesebuch vor: Der Bogen dieser Spätlese reicht von Satiren, in denen Komarek allzu österreichische Verhältnisse voller Sprachwitz aufs Korn nimmt, und einem "Bestiarium" klassischer österreichischer Charaktere über Glossen bis hin zu pointierten Kurzgeschichten und sensiblen Reisereportagen, in denen sich Komarek als literarischer Wegbegleiter voll feinem Gespür für die eigene Atmosphäre von Lebensräumen erweist. Wie in einer literarischen Weinverkostung präsentiert diese Spätlese die verschiedenen Aromen, Farben und Facetten von Alfred Komareks Werk, von frischen, spritzigen Jungweinen bis hin zu eigenwilligen, intensiven Cuvées.
Spätlese von Alfred Komarek
LESEPROBE
Einfach Wein
Ich habe die süffige Ehre, einen Weinkenner zu kennen.Begibt er sich wie weiland Harun al-Raschidunter das gemeine, weil ahnungslose Volk, um es meuchlings mit seinerKennerschaft zu konfrontieren, bin ich immer wieder gerne dabei. Kaum betritter ein für seinen wohlsortierten Keller bekanntesLokal, landen die Blicke des Patrons und seiner gutfrisiertenRiege mit klebriger Ehrerbietung auf den erwartungsvoll bebenden Hamsterbacken,den schwimmenden Äuglein und dem schon etwas feuchten, doch kritisch-mokantverzogenen Mund.
Der Weinkenner lässt sich einen Sessel unterschieben, legtbedächtig, doch nicht ohne Nachdruck ein vollständiges Verzeichnis allerempfehlenswerten Jahrgänge neben die Serviette, überlässt es dem Patron, ein Menüzu komponieren, und harrt des Sommeliers. Der bringt zwar eine dickleibigeWeinkarte mit, denkt aber nicht daran, einen Weinkenner mit dem üblichenAngebot zu beleidigen. Da wäre noch eine einzige Flasche eines schon sehr rarenBordeaux im Keller, Cinquième CruClassé zwar, aber Château MoutonBaron Philippe, Sie wissen, fügt er vertraulich hinzu, das frühere Château Mouton dArmailhac - ein 1961-erjedenfalls.
Der Weinkenner blättert beiläufig in seinen Unterlagen,liest "groß", liest "körperreich" und nickt voller Huld: Wer redet in einemsolchen raren Augenblick des Einverständnisses von Geld. Sein Geist schwebtüber den Wassern der Gironde und über dem Pauillac. Sie werden es vielleicht nicht wissen, wird derWeinkenner beiläufig dem Sommelier offenbaren, wenn er mit der Flasche kommt,aber Hugh Johnson spricht von diesem Wein als "männlichen Ästheten". Dannschließt er in Erwartung von Kraft und Finesse die Augen und gibt sich derDegustation hin. Während Sommelier und Patron außer Sichtweite einanderglücklich in die Arme sinken, schaut, schnuppert, nippt, schlürft und schlucktder Weinkenner im sanft wagenden Bewusstsein elitären Genießens, bereit, Hausund Hof, Frau und Hund, allenfalls sogar sein Auto dafür hinzugeben. Nie würdeich es wagen, seine Kennerschaft zu bezweifeln, auch an die Qualität der Lust,die ihn durchbebt, will ich gerne glauben, aber der Verdacht hält sichhartnäckig, all das Gespreize und Gezierekönnte mehr mit dem Wein als Wort als mit dem Wein als sinnlichem Wunder zu tunhaben.
Auch unterstelle ich, dass allzu penibles Kennertum der Zuneigung abträglich ist, weil diese in ihremWesen naiv sein sollte, und das Kennertum mitLeidenschaft nicht umgehen kann, weil Kenner nicht ordinär sein dürfen. Manchewerden übrigens stattdessen pervers. Einer, geradezu unanständig reich, kauftseinen Wein nach den Superlativen "der älteste, der berühmteste, der teuerste"ein, dann legt er die Flaschen achtlos in den Keller seines großen, weißenHauses, wo es ziemlich warm ist, weil sich auch die Sauna dort befindet. Wiedas denn sei, mit der richtigen Trinktemperatur? Habe ich vorsichtignachgefragt. Er schwieg milde und wies mit umfassender Gebärde auf seineEiswürfelmaschine. Seltsamerweise sind mir weibliche Weinkenner wenigerverdächtig. Seit jeher obliegt es den Männchen, Räder zu schlagen und Theaterzu machen, während sich die Weibchen um das Leben kümmern. Nie brächte es eineWeinschwesternschaft zustande, dem Rebensaft mit einer Art Balzverhalten zubegegnen, aber das ist ja gerade das Eindrucksvolle.
Das Foto einer großen Runde degustierender Weinkennerverweist Leonardo da Vincis Abendmahl mühelos ins Reich der Comics. Dergefasste Ernst in den Männermienen, die verhaltene Tragik jenes Augenblicks,der dem einsamen Richtspruch vorangeht, lässt jeden Verdacht, hier stilisiertenein paar Saufbrüder ihr Vergnügen zur Kultur hoch, augenblicklich verblassen.Auch das Vokabular der Beurteilung entspringt ohne Zweifel der männlichenFähigkeit, dichterische Sprache mit geschliffener Exaktheit der Inhalte zuverbinden. Frauen können da nicht mit. Eine, die ich zum Kosten einlud,schluckte herzhaft und merkte dann erfreut an, der Wein schmecke nachKellergasse, nach Herbstsonne und Sommerschatten. Ein beschämender Mangel anfeinfühliger Fachsprache, in keiner Weise gesellschaftsfähig, aber goldrichtig.Eine Zweite rief in der Gesellschaft hochdekorierterVerkoster betroffenes Schweigen und peinlich berührtes Räuspern hervor, als sieauf die Frage, was ihre Meinung zu diesem Rioja Marquésde Cáceres Reserva 1981sei, mit seinem kraftvollen Tannin und dem komplexen Fruchtaroma, mit einemschlichten "ich weiß nicht" antwortete. Dass sie damit einer überwältigendenMehrheit der anwesenden Kenner im Grunde genommen aus dem Herzen sprach, wagtekeiner zuzugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber. An dieser Stelle sollteich allerdings auch eine Weinkennerin erwähnen, die mit ihrem Fachwissen diemeisten männlichen Kollegen leicht hin beiseitewischt.
Doch darauf kommts nicht an. Als sie sich dazu entschloss,den Wein ernsthaft lieben zu lernen, ging sie erst einmal daran, ihre Sinne fürihn zu sensibilisieren, übte sich darin, feinste Nuancen klar zu erkennen undbehutsam zu unterscheiden. Dann hörte sie geduldigen Weinbauern zu, umherauszufinden, welcher reintönig redet, welcherbukettreich schwätzt oder flach langweilt. Sie schaute dem Wein beim Wachsenzu, kostete die Trauben, schloff in die Keller,erlebte, wie der Traubensaft gärte, stürmte und sich klärte. Als sie das WunderWein erspürt hatte, konnte auch jede Menge Theorie die Innigkeit der Beziehungnicht mehr stören. Die Summe der achtungsgebietenden,überzeugenden und liebenswürdigen Eigenschaften eines Weines bestimmt den Wert,nicht das Etikett. Da gibt es ja schon wieder eine Entwicklung vom Wein zumSchein: Weindesign. Erst waren Etiketten nützlich und in aller Unschuld auchschön, dann protzten sie so lange vielfarbig und goldgeprägt vor sich hin, biswohltuend zurückhaltende Noblesse in Mode kam. Endlich pfiffen bessereProduzenten das heitere Künstlervölkchen herbei, und wer sich solches nichtleisten konnte oder wollte, bediente sich neuer Schlichtheit, ließ krakeligeHandschrift auf schrumpeliges Papier drucken oder imitierte per Siebdruckbekritzelte Flaschen und ließ womöglich auch noch einen dekorativen Kellerpilzaus Schaumstoff um den Korken wuchern. Flaschen imitieren eine Wirklichkeit,die echt billiger zu haben wäre, und lügen eine Nähe zum Produkt vor, die mangar nicht vorlügen müsste. In weiten Teilen Österreichs, schon gar im Land umWien, ist es ganz einfach, sich den Luxus zu gönnen, wenigstens ein paar vonden Weinen, die man trinkt, schon als Traube gekannt zu haben. Die Qualität desGenießens braucht nämlich die Intensität der Beziehung, wirklich profundes Kennertum setzt mehr als eine flüchtige Bekanntschaftvoraus.
Jedes Jahr zur Weinlese machen sich ein paar Städter denSpaß, dabei zu helfen, doch kaum einer kommt auf die Idee, eine freundlicheHerbstreise zu unternehmen, nur um zu kosten, wie die Trauben heuer gewachsen sind:der Grüne Veltliner oder der Rote Veltliner,der Weißburgunder, der Blaue Portugieser, der Riesling-Sylvaner, der Zweigelt,der Müller- Thurgau und und man könnte höflich ineines der Presshäuser treten, schön fragen, obs gestattet sei, und vom Mostkosten, wie er frisch aus der Presse rinnt. Dann offenen Sinnes durch eineKellergasse spazieren, durch ein Dorf neben dem Dorf, in dem nur der Weinwohnt. Später, wenn die Wirtshäuser in der Stadt ihren erbärmlichen "Sturm" nurnoch mit üblen Tricks am Gären halten, wäre ein zweiter Besuch fällig: Jetztfüllt Gärgas die Keller, ein sanfter, geruchloser Mörder, jedes Jahr holt ersich ein paar, die unehrbietig mit ihm umgehen.
Aber es ist schon sehr spannend, den Wein in seinerstürmischen Pubertät zu verfolgen, ein Fass noch süß, das andere in jenemreizvoll labilen Niemandsland zwischen Most und Wein, ein drittes schon herb.Um diese Zeit gibt es viel Kellerarbeit, aber keine Hektik: Da kann esgelingen, ein wenig mit dem Weinhauer ins Gespräch zu kommen, mit ihm undseinem Produkt vertrauter zu werden. Vielleicht wird eine gute Bekanntschaftdaraus. Schnell geht das nicht, aber sie ist der Mühe wert, weil keiner von denSchnöseln, die ihre noblen Bouteillen aus den Regalen holen oder sie sichvollmundig einreden lassen, kann von sich behaupten, seinen eigenen Weinbauernzu haben.
Wer schon einmal damit angefangen hat, mit dem Wein zuleben, sollte auch nicht vergessen, dass es zum Fest des Heiligen Martin nochbessere Dinge zu feiern gibt als einen zerschnittenen Mantel. Ab diesemZeitpunkt trägt der Rebensaft, noch staubig, den Ehrentitel "Wein". Martinigansund Wein im schicken Haubenambiente zu genießen, ist Luxus aus zweiter Hand,leichthin übertroffen von einem Dorfwirtshaus unweit der Kellergasse: DieRückkehr zu den Ursprüngen wird ohnedies immer schwieriger, wo sie noch möglichist, sollte man sichs gönnen. Nächster Kellertermin: irgendwann im Winter.Jetzt sind die Kellergassen unbelebt, die Presshäuser still und kalt. Aberhinter der Kellertür wird es seltsam wohnlich. So um die 12 Grad hat dieKellerluft das ganze Jahr über, kühl im Sommer, fast schon warm, wenn esdraußen friert. Im Winter haben die Weinbauern viel Zeit für den Keller,treffen einander, tauschen Erfahrungen aus, verkosten fachkundig, ehrlich undohne Brimborium. Schaut dann einer anerkennend und sagt womöglich gar "Mh!", spricht das allerdings Bände. Kommt ein Gast dazu,darf er schon auch in die Runde, wenn er nicht vorlaut ist. Für ihn beginnt dasAbenteuer, sensibel und beharrlich nach jenen Weinen zu forschen, die ervielleicht einmal kaufen und nachhause tragen wird. Bis zum Frühling wird mandamit Geduld haben, Wein, soll er werden, wie er ist, und nicht, wie man eserzwingt, braucht Zeit und Ruhe.
Außerdem: Spätestens im Frühling wird der nächste Besuch zurlieben Pflicht, schon um die frischen, hellgrünen Blätter an den Rebstöcken zusehen. Dann wird es Sommer, Zeit, die kleinen, unreifen Trauben mit zärtlicherGier und heiterer Ungeduld ins Auge zu fassen, Sommerhitze und Kellerkühlemünden ineinander. Endlich rundet sich das Jahr im Herbst, ein neues Spiel darfbeginnen. Eines, das sich natürlich auch im Piemont spielen lässt, im Bordelais, Rioja, wo immer. Alles eine Frage des Budgets.Wer erst einmal gelernt hat zu genießen, darf auch viel Geld dafür ausgeben.
© haymon verlag
- Autor: Alfred Komarek
- 2007, 254 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Michael Forcher
- Verlag: Haymon Verlag
- ISBN-10: 3852185076
- ISBN-13: 9783852185071
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