Steamed - 30° West - 100° Liebe
Roman. Deutsche Erstausgabe
Kapitänin Octavia Pye fällt buchstäblich aus allen Wolken, als sie zwei merkwürdig gekleidete blinde Passagiere an Bord ihres Luftschiffs entdeckt. Den Computertechniker Jack Fletcher und seine Schwester hat es in Octavias Welt verschlagen, nachdem eines...
Leider schon ausverkauft
Buch
9.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Steamed - 30° West - 100° Liebe “
Klappentext zu „Steamed - 30° West - 100° Liebe “
Kapitänin Octavia Pye fällt buchstäblich aus allen Wolken, als sie zwei merkwürdig gekleidete blinde Passagiere an Bord ihres Luftschiffs entdeckt. Den Computertechniker Jack Fletcher und seine Schwester hat es in Octavias Welt verschlagen, nachdem eines von Jacks nanomechanischen Experimenten schiefgegangen ist. Octavia will ihre ungebetenen Gäste so schnell wie möglich wieder los werden, obwohl sie für Jack schon bald tiefe Gefühle hegt. Da erfahren sie von einem geplanten Attentat, das einen Krieg auslösen könnte. Nur gemeinsam kann es ihnen gelingen, das Schlimmste zu verhindern ...
Lese-Probe zu „Steamed - 30° West - 100° Liebe “
Steamed - 30° West - 100° Liebe von Katie MacAlister2
... mehr
Logbuch der HIMA Tesla Montag, 15. Februar
Vormittagswache: Vier Glasen
»Cap'n Pye! Cap'n Pye!« »Es heißt ›Captain‹, Dooley. Wir sind weder Piraten, noch sind wir Bauern, die sich nicht die Mühe machen, Wörter korrekt auszusprechen, und dem ständigen Geschnatter nach zu urteilen, das ich von Ihnen in der Messe höre, haben Sie sehr wohl die stimmlichen Fähigkeiten dazu. Ja, ich sehe es jetzt, Mr Mowen. Das Ventil links vom Eingangszylinder, nicht wahr? Glauben Sie, es ist kaputt?« »Aye, Captain.«
Ich hockte mich auf die Hacken, als ich das Ventil untersucht hatte. Kaputt, mein dreibeiniger Onkel. Es war nicht kaputter als ich. »Captain Pye, Mr Piper sagt, Sie sollen sofort in den vorderen Frachtraum kommen!« Der junge Dooley hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere, aber das war nichts Neues. Dooley war ein quecksilbriger Junge, der ständig in Bewegung war oder redete und nicht einen einzigen Moment lang stillsitzen konnte. In gewisser Weise erinnerte er mich an einen Kolibri, den ich einmal im Vogelhaus des Kaisers gesehen hatte, denn Dooley flitzte und huschte auf dem Schiff herum wie einst der Kolibri in der hohen Kuppel des Aviariums. »Können Sie das Ventil reparieren, Mr Mowen?«, fragte ich
den Ersten Ingenieur. Dabei vertraute ich voll auf eine positive Antwort. »Oder müssen wir in Lyon landen?« »Eine nicht autorisierte Landung?« Der Gedanke schien Mr Mowen zu erschrecken. »Dann könnten wir unseren Terminplan nicht einhalten, Mädchen. Äh ... Captain.« »Captain Pye ...« Dooley zupfte am Ärmel meiner neuen scharlachroten Aerocorps-Jacke. Ich unterband das Zupfen und das aufgeregte Hüpfen mit einem Blick, den ich schon seit einer Dekade an niedrigeren Mannschaftsmitgliedern geübt hatte. »Ich bin gleich für Sie da, Dooley. Jetzt gilt meine Aufmerksamkeit Mr Mowen.« »Aber Mr Piper hat gesagt, Sie müssten schnell ...« »Mr Piper würde nie zulassen, dass Sie eine wichtige Diskussion über die Flugfähigkeit der Tesla unterbrechen, Dooley. Sie haben Ihre Botschaft überbracht und können jetzt zu Ihren Pflichten zurückkehren.« Mein Tonfall war, wie ich hoffte, streng, aber freundlich zugleich. Ich wollte von der Mannschaft nicht als Ungeheuer wahrgenommen werden, nicht bei meiner ersten Fahrt. Und doch mussten die sieben anderen Individuen an Bord sich meinem Kommando unterwerfen, sonst würde es ein böses Ende nehmen. Mit fester Hand, aber gemäßigt im Tonfall, das war der Schlüssel. »Aber, Cap'n ...« Mr Mowen beobachtete mich mit interessiertem, leicht amü siertem Blick. Er war vermutlich gespannt, wie ich mit dem übernervösen jungen Bootmannsmaat fertig-wurde. Wahrscheinlich wartete er neugierig darauf, ob ich mich von ihm aus dem Konzept bringen ließ. Ach, wenn er wüsste, dass ich diese Fähigkeit schon lange verloren hatte ... »Sie haben doch Pflichten, Dooley, oder nicht?«
»Aye, Miss. Cap'n. Captain. Ich soll die Kombüse putzen und mich dann um die Kessel kümmern, wie Mr Mowen mir aufgetragen hat.« »Sie sind entschuldigt, um Ihren Pflichten nachgehen zu können.«
Dooley reagierte auf die Stimme der Autorität. Zögernd zupfte er an seinem schwarzen Käppi und verließ den Maschinenraum im Achterdeck. »Aye, aye, Captain.« »Na, das war doch jetzt gar nicht schlimm, oder?«, sagte Mowen und schmunzelte unter seinem Pfeffer-und-Salz-Seehund-Schnauzbart. »Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich, ein wenig überrascht über die Scharfsichtigkeit des älteren Mannes. »Ist es so offensichtlich, dass ich mit einem solchen Test gerechnet habe?« Wahrscheinlich einer von zahlreichen Tests, die man für mich vorbereitet hatte.
»Ich fliege schon eine Ewigkeit zwischen Rom und London hin und her und habe viele Kapitäne kommen und gehen sehen«, antwortete er. Seine Augen funkelten amüsiert. »Der erste Flug ist immer unterhaltsam. Die Mannschaft beobachtet aufmerksam, welchen Mann uns das Unternehmen dieses Mal geschickt hat.« Ich warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Ich kann gar nicht glauben, dass niemand vom Aerocorps Ihnen etwas über mich erzählt hat. Ich habe ein Dossier über die Mannschaft erhalten; dann haben Sie doch bestimmt auch etwas über mich bekommen?« »Es war kein Dossier, nur eine Notiz, in der stand, dass Sie das Kommando über das Schiffs übernehmen.« Ich wartete; da würde doch bestimmt noch etwas kommen. Ich wurde nicht enttäuscht. »Mr Francisco hat einen Kumpel im Büro von Aerocorps, und er hat uns ein bisschen mehr von Ihnen erzählt. Er sagte, Sie wären eine Frau, was wir uns wegen Ihres Namens schon gedacht hatten, hätten rote Haare und
braune Augen - wobei das natürlich keine Rolle spielt, aber Mr Francisco hat eine Schwäche für rothaarige Damen, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, deshalb hat er sich gerade über diese Information sehr gefreut -, wären mit sechzehn dem Corps beigetreten und schon viele Jahre dabei und hätten einflussreiche Freunde.« Ich zog die Augenbrauen ein wenig hoch. »Das steht in den Akten des Aerocorps?« »Äh, nun ...« Mr Mowen warf mir einen Blick von der Seite zu. »Das habe ich vielleicht nur spekuliert.« »In der Tat«, erwiderte ich in neutralem Tonfall. »Im Großen und Ganzen ist die Zusammenfassung korrekt. Ich hoffe, die Mannschaft ist nicht von mir enttäuscht.« »Das wird sich zeigen«, sagte er und rieb sich einen Ölfleck vom Ärmelaufschlag. »Gut oder schlecht, wir können sowieso nichts daran ändern.« »Oh, ich könnte mir vorstellen, dass eine Mannschaft eine ganze Menge tun kann, damit ein unwillkommener Kapitän sich auch als solcher fühlt«, antwortete ich leichthin. »Absolut ungenießbares Essen im Vergleich zu den Mahlzeiten der Mannschaft, unangenehme Überraschungen aus dem Insekten- und Nagetier-Bereich in der Schlafstätte des Kapitäns, wiederholtes Wecken während der Nachtstunden, um eine merkwürdigerweise schlecht funktionierende Apparatur zu überprüfen, die es vor ein paar Stunden noch getan hat ... Ja, ich habe solche Geschichten schon gehört und könnte mir vorstellen, dass es einer gewitzten Crew nicht schwerfallen dürfte, einem unbeliebten Kapitän das Leben schwer zu machen.« Mr Mowen warf mir einen langen Blick zu. Ich lächelte leise, woraufhin er sich sichtlich entspannte. »Das ist wohl wahr, Captain, wohl wahr.«»Ich gehe davon aus, dass dieses Ventil, das seltsamerweise
zur Seite gebogen wurde und wohl nicht kaputt ist, sondern eher nicht mehr an der richtigen Stelle sitzt, unverzüglich wieder gerichtet wird, Mr Mowen.« Kurz leuchtete Respekt in seinen Augen auf. Ich wehrte seine Hilfe ab, als ich mich aufrichtete und meinen langen, marineblauen Wollrock und die Kanten meines knielangen Jacketts glattstrich. »Und ich erwarte, dass es keine weiteren Tests mehr gibt, um festzustellen, ob ich mit der Dampfmaschine und den Kesseln eines Luftschiffs vertraut bin. Ich kann Ihnen versichern, dass dies der Fall ist.« Der Ingenieur salutierte. »Ich bin froh, das zu hören, Ma'am. Es wurde auch höchste Zeit, dass die Tesla einen Captain hat, der sie versteht.« »Auch wenn er eine Frau ist, Mr Mowen?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen, als wir den schmalen Metallsteg entlanggingen. Nach einem Augenblick des Schweigens erwiderte er: »Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass wir, von Mr Francisco einmal abgesehen, keine Bedenken gegen eine Frau als Kapitän gehabt hätten.« Wir hatten die Gangway erreicht. Ich warf dem Ingenieur einen nachdenklichen Blick zu. Natürlich hatte ich ein wenig Widerstand erwartet, aber in diesen aufgeklärten Zeiten konnte eigentlich niemand etwas dagegen haben, dass ich eine Frau war. »Es gibt im Southampton Aerocorps einige weibliche Kapitäne, Mr Mowen. Das ist nichts Ungewöhnliches.« »Aye, aber diese Kapitäne beschränken sich auf Inlandsflüge. Sie sind die Erste, die das Kommando auf einer internationalen Route übernommen hat.« »Sicher ein Versehen des Aerocorps. Ich habe einige Jahre unter Captain Robert Anstruther gedient, und wie Sie vielleicht wissen, hat er das Kommando über das größte Passagierluftschiff im ganzen Empire gehabt. Ich bin sowohl mit den Routen als auch mit den Pflichten eines Kapitäns vertraut, selbst mit denen eines kleinen Frachttransporters wie der Tesla.« »Captain Anstruther wird uns sehr fehlen«, sagte Mowen mit düsterer Miene. »Diese verdammten Revolutionäre der Schwarzen Hand werden sich dafür verantworten müssen, dass sie den besten Kapitän, der je den Himmel beflogen hat, getötet haben.«
»Ja, in der Tat«, antwortete ich und straffte die Schultern. Wenn ich an Robert Anstruthers letzte Stunden dachte, stieg unweigerlich der Schmerz in mir auf. »Sie kannten ihn gut, nicht wahr?«, fragte Mowen, der mich aufmerksam beobachtete. Ich versuchte vergeblich, eine gleichmütige Miene aufzusetzen. »Ja. Er war mein Mentor und ein großartiger Mann. Ich betrachte ihn als meinen Vater.«
Der Ingenieur zog die Augenbrauen über den Rand seiner Nickelbrille hinaus hoch. »Dann möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen, Captain.« Ich dankte ihm für sein Mitgefühl. Der Schmerz bei dem Gedanken über den erlittenen Verlust stellte sich wie immer ganz von selbst ein. »Ich wurde schon früh in seine Obhut gegeben, und er und seine Frau haben mich behandelt wie ihr eigenes Kind. Sie fehlen mir sehr.« »Die Gattin des Captains - ist sie bei der Explosion des Luftschiffs ebenfalls ums Leben gekommen?« Ich schloss einen Moment lang die Augen. Vor meinem geistigen Auge sah ich erneut das brennende Aerodrom. Die Gestalt von Robert Anstruther hob sich scharf gegen die Flammen ab, die zum schwarzen Himmel hinaufschlugen. »Es gibt keinen anderen Weg, Octavia«, hatte er gesagt, und ich fühlte wieder den Schmerz in seiner Stimme. »Der Kaiser wird sich dieses Mal nicht zufriedengeben. Wenn es nur um mich selbst ginge, könnte ich die Konsequenzen ertragen. Ich bin alt, und meine Zeit ist beinahe abgelaufen. Aber ich muss an Jane und dich denken. Ich werde nicht zulassen, dass meine Schande euer Leben zerstört.«
»Ich will mit dir gehen«, hatte ich damals gebettelt. »Lass mich mit dir und Jane gehen. Ich kann euch helfen, ich weiß es.« Er hatte nur traurig gelächelt und mir die Wange gestreichelt. »Ich segne den Tag, als der alte Kaiser dich zu mir gebracht hat. Kannst du dich noch daran erinnern, Octavia? Du warst noch ein kleines Mädchen, verloren und durcheinander, hast von wirren, unwirklichen Dingen erzählt und dich krampfhaft bemüht, nicht zu weinen. Jane hat dich immer unser kleines Wunder genannt, weil du so kurz nach dem Tod unseres Sohnes zu uns gekommen bist.« Mir wurde die Kehle eng, und ich kämpfte vergeblich gegen die Tränen. Robert betrachtete mich einen langen Augenblick und ignorierte die Tränen, die mir übers Gesicht liefen und auf seine Hände tropften. »Du hast eine vielversprechende Zukunft vor dir, mein Schatz. Wenn wir im Feuer untergehen, wird diese Zukunft durch nichts befleckt.« »Werde ich euch denn nie wiedersehen?«, fragte ich mit erstickter Stimme.
»Nein, wir können nicht nach England zurückkehren. Dazu sind wir zu bekannt. Aber in unseren Herzen wirst du immer bei uns sein.« Voller Trauer senkte ich den Kopf. Am liebsten hätte ich alles hinter mir gelassen und wäre mit den beiden Menschen geflohen, die ich am meisten auf der ganzen Welt liebte. »Kämpfe für die gerechte Sache, kleine Octavia. Tu, was Jane und ich nicht tun können.«
Das waren seine letzten Worte. Mehr war nicht nötig gewesen - ich blieb zurück, um meine Pflicht zu tun, während Robert Anstruther, dreimal vom Kaiser persönlich ausgezeichnet und im ganzen Empire ein Held, auf das brennende Aerodrom zuging und in den Annalen verschwand. »Es tut mir leid, Captain, ich wollte Ihnen keinen Kummer bereiten.« Die Stimme war leise, aber sie holte mich aus meinen finsteren Erinnerungen wieder zurück in die Gegenwart. Robert und Jane waren jetzt schon seit fast einem Jahr weg. Es war alles so gekommen, wie er es vorausgesagt hatte - die Untersuchungen waren im Sande verlaufen, und eine ganze Nation trauerte um ihren verlorenen Helden. Ich straffte meine Schultern und nickte dem Ingenieur zu. »Danke, Mr Mowen. Falls irgendwelche Probleme auftauchen, finden Sie mich im vorderen Frachtraum. Ich will einmal nachsehen, warum Dooley es so eilig hatte.« Er salutierte, und ich ging die schmale Gangway entlang, vorbei an zwei Kesseln, die die Steuermaschinen antrieben. Das dumpfe Stampfen der Maschinen, die die Propeller zum Drehen brachten, entsprach im Rhythmus der pochenden Bewegung im Metallgestänge, das Länge, Breite und Höhe des Schiffes umgab. Es war eine vertraute Empfindung, und ich achtete gar nicht darauf. Es fiel mir immer erst auf, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, und dann fehlte es mir. Die Geräusche des Luftschiffs gehörten zu mir wie mein Atem, und ich wusste sofort - wie jeder Mann an Bord der Tesla -, wenn etwas mit den Maschinen nicht stimmte. Eine leichte Veränderung in der Vibrationsgeschwindigkeit oder ein höherer Ton erregten sofort Besorgnis. »Du hast aber keine Probleme, nicht wahr?«, fragte ich das Schiff leise, als ich über eine kleine Metallleiter zur unteren Gangway kletterte. »Du weißt, wie wichtig diese Reise ist. Du weißt, wie wertvoll unsere Fracht ist. Und du weißt, was passiert, wenn wir versagen.«
Das Schiff antwortete nicht, aber ich fühlte mich ihm seltsam verbunden. Der Ingenieur mochte es bemerkenswert finden, dass ich eine internationale Route bekommen hatte, aber ich wusste es besser - es war der Lohn für geleistete Dienste, nichts weiter. Mein Schweigen war erkauft worden mit der unbedeutendsten, kleinsten Frachtroute von allen beim Aerocorps. Die Tesla war ein Nichts, verglichen mit den neuen Luftschiffen, die die Himmel durchpflügten, ein überholtes Modell, das deutliche Alterserscheinungen zeigte, von der schmutzigen Stoffhülle bis hin zu den vierzig Jahre alten Maschinen, die den hocheffizienten Geräten, mit denen die größeren, längeren, schlankeren Luftschiffe betrieben wurden, nicht das Wasser reichen konnten. Das alles wusste ich, und doch war ich stolz auf die Tesla, stolz darauf, sie zu kommandieren. Hoffentlich ging alles gut. Wenn es auch nur die kleinste Verzögerung oder ein Problem gab, das uns davon abhielt, mit dem Schiff in dem kleinen Aerodrom außerhalb von Rom zu landen, wäre alles verloren. Ich hatte mit Etienne gestritten, weil ein so knapper Terminplan die Katastrophe geradezu herausforderte, aber er ignorierte wie immer meine Warnungen und Bitten. »Der Mann mag ja der Anführer der Schwarzen Hand sein«, murmelte ich jetzt, als ich den Gang zum Frachtraum entlangging, »aber er ist auch ein eingebildeter, sturer Ignorant, wenn es darum geht, mir einmal zuzuhören.« Ich verdrängte die Sorge darüber, was passieren würde, wenn irgendetwas schiefging, und konzentrierte mich stattdessen darauf, für einen ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. »Das schließt unerwünschte Probleme ein«, brummelte ich, als ich am Frachtraum ankam, einem von vier Laderäumen im mittleren Bereich der Gondel.
»Captain Pye.« Ein älterer, grauhaariger Mann mit einem Gang, der dem einer Krabbe nicht unähnlich war, kam mir entgegen. Ich wusste aus der Lektüre der Mannschaftsakten, dass er seine seltsame Fortbewegungsart den Verletzungen zu verdanken hatte, die er erlitten hatte, als er sich aus einem brennenden Luftschiff gestürzt hatte. »Ich hatte gehofft, dass Sie bald kommen würden. Wir haben ein mächtig großes Problem.« »Das tut mir leid, Mr Piper. Das Problem muss tatsächlich mächtig groß sein, wenn Mr Christian es nicht alleine lösen kann.« Ich warf ihm einen milden Blick zu, obwohl ich am liebsten gelacht hätte. Das konnte durchaus schon wieder ein Test für mich sein oder zumindest ein Versuch, mich aus der Fassung zu bringen. Als er seinen Namen hörte, zuckte der große, hagere, rothaarige Mann, mein Erster Offizier, zusammen. Er riss seine hellblauen Augen weit auf und stammelte eine Entschuldigung. Meine Erheiterung ließ nach, als ich ihn anschaute. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ein wenig enttäuscht von meiner rechten Hand war - bis jetzt hatte er sich als wenig effizient und völlig ungeeignet für den Job erwiesen -, aber ich rief mir ins Gedächtnis, dass jeder eine Chance verdient hatte, sich zu beweisen, und vielleicht wuchs er ja mit seinen Aufgaben. Das hoffte ich jedenfalls. »... ich bin erst kurz vor Ihnen hier eingetroffen, Captain. Nicht wahr, Piper? Ich bin gerade erst gekommen. Vor ein paar Sekunden. Ich kann also unmöglich wissen, was hier los ist, wenn ich auch gerade erst hierhergekommen bin.« »Ja, das stimmt, mit dem Arsch zuerst und schlotternd vor Angst.« Aldous Christian schien außer sich vor Panik zu sein, und ich beruhigte ihn rasch, damit er nicht noch einen Schlaganfall bekam. »Ich entschuldige mich für meine falsche Annahme. Da wir jetzt aber beide hier sind, können wir vielleicht erfahren, was los ist?« »Aber ich weiß es doch nicht!«, heulte er auf. Sein Gesicht wurde knallrot. »Ich habe diese Frage an Mr Piper gerichtet«, sagte ich beruhigend und drückte ihm leicht den Arm. Seine Röte ließ nach, aber er sah immer noch so nervös aus wie ein Rennpferd vor dem Start. »Fahren Sie fort, Mr Piper.«
»Es sind Körper, Captain«, antwortete der Bootsmann knapp. »Körper?« »Oh Allmächtiger«, sagte Mr Christian und sah einen Moment lang so aus, als wolle er in Ohnmacht fallen. Er hielt sich an einem Stapel Kisten fest und schwankte leicht. »Was für Körper?«, fragte ich, wobei ich den Ersten Offizier scharf im Auge behielt, falls er plötzlich auf mich zutaumeln sollte. »Ziemlich große Körper«, antwortete Mr Piper und kratzte sich geistesabwesend am Schritt. »Sie sind mir im Weg.«
»Wo genau sind sie?«, fragte ich. Mittlerweile war ich mir ziemlich sicher, dass ich schon wieder auf die Probe gestellt wurde. »Da drüben, hinter den Fässern mit dem Pökelfleisch.« Piper nickte zum anderen Ende des Frachtraums, wo drei Dutzend Fässer mit gesalzenem Wild, Schwein, Rind und Fisch standen, die für die Truppen des Kaisers im Süden Italiens bestimmt waren. »Neptuns salziger Kabeljau, Mann, lassen Sie meinen Arm los. Sie haben meine Uniform zerknittert.« »Tot oder lebendig?«, fragte ich. »Lebendig, glauben wir«, erwiderte Mr Piper und schob Mr Christians Hand von seinem Arm. »Es sind auf jeden Fall keine großen Blutlachen oder so etwas zu sehen.« »Urrghh!« Mr Christian würgte. »Und wir konnten auch nirgendwo kaputte Gliedmaßen oder Ge därme sehen.«
»Gedärme«, flüsterte Mr Christian. Seine Stimme war rau vor Entsetzen, und er tastete sich blindlings an den Weinfässern entlang. »Gedärme wären mein Ende.« »Aye, und es ist auch eine ganz schöne Schweinerei, sie aufzuwischen«, bestätigte Mr Piper und zog die Luft durch eine Zahnlücke, bevor er fortfuhr: »Um danach richtig sauberzumachen, muss man Sägemehl darüberstreuen. Eine Riesenladung Sägemehl. Und Natron, und davon haben wir nicht viel an Bord.« »Dann ist es ja gut, dass wir es nicht brauchen«, sagte ich. Meine Mundwinkel zuckten bereits. »Ja, da haben Sie recht«, stimmte er mir zu. »Es ist schwer zu sagen, ob sie tot oder lebendig sind, Captain. Am besten überzeugen Sie sich selbst einmal.« »Ein ausgezeichneter Vorschlag. Mr Christian, Sie kommen bitte mit mir.« Ich tat drei Schritte, blieb jedoch stehen, als der Erste Offizier einen Schreckenslaut von sich gab und ohnmächtig zu Boden sank. Das würde eine sehr lange Reise werden.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Logbuch der HIMA Tesla Montag, 15. Februar
Vormittagswache: Vier Glasen
»Cap'n Pye! Cap'n Pye!« »Es heißt ›Captain‹, Dooley. Wir sind weder Piraten, noch sind wir Bauern, die sich nicht die Mühe machen, Wörter korrekt auszusprechen, und dem ständigen Geschnatter nach zu urteilen, das ich von Ihnen in der Messe höre, haben Sie sehr wohl die stimmlichen Fähigkeiten dazu. Ja, ich sehe es jetzt, Mr Mowen. Das Ventil links vom Eingangszylinder, nicht wahr? Glauben Sie, es ist kaputt?« »Aye, Captain.«
Ich hockte mich auf die Hacken, als ich das Ventil untersucht hatte. Kaputt, mein dreibeiniger Onkel. Es war nicht kaputter als ich. »Captain Pye, Mr Piper sagt, Sie sollen sofort in den vorderen Frachtraum kommen!« Der junge Dooley hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere, aber das war nichts Neues. Dooley war ein quecksilbriger Junge, der ständig in Bewegung war oder redete und nicht einen einzigen Moment lang stillsitzen konnte. In gewisser Weise erinnerte er mich an einen Kolibri, den ich einmal im Vogelhaus des Kaisers gesehen hatte, denn Dooley flitzte und huschte auf dem Schiff herum wie einst der Kolibri in der hohen Kuppel des Aviariums. »Können Sie das Ventil reparieren, Mr Mowen?«, fragte ich
den Ersten Ingenieur. Dabei vertraute ich voll auf eine positive Antwort. »Oder müssen wir in Lyon landen?« »Eine nicht autorisierte Landung?« Der Gedanke schien Mr Mowen zu erschrecken. »Dann könnten wir unseren Terminplan nicht einhalten, Mädchen. Äh ... Captain.« »Captain Pye ...« Dooley zupfte am Ärmel meiner neuen scharlachroten Aerocorps-Jacke. Ich unterband das Zupfen und das aufgeregte Hüpfen mit einem Blick, den ich schon seit einer Dekade an niedrigeren Mannschaftsmitgliedern geübt hatte. »Ich bin gleich für Sie da, Dooley. Jetzt gilt meine Aufmerksamkeit Mr Mowen.« »Aber Mr Piper hat gesagt, Sie müssten schnell ...« »Mr Piper würde nie zulassen, dass Sie eine wichtige Diskussion über die Flugfähigkeit der Tesla unterbrechen, Dooley. Sie haben Ihre Botschaft überbracht und können jetzt zu Ihren Pflichten zurückkehren.« Mein Tonfall war, wie ich hoffte, streng, aber freundlich zugleich. Ich wollte von der Mannschaft nicht als Ungeheuer wahrgenommen werden, nicht bei meiner ersten Fahrt. Und doch mussten die sieben anderen Individuen an Bord sich meinem Kommando unterwerfen, sonst würde es ein böses Ende nehmen. Mit fester Hand, aber gemäßigt im Tonfall, das war der Schlüssel. »Aber, Cap'n ...« Mr Mowen beobachtete mich mit interessiertem, leicht amü siertem Blick. Er war vermutlich gespannt, wie ich mit dem übernervösen jungen Bootmannsmaat fertig-wurde. Wahrscheinlich wartete er neugierig darauf, ob ich mich von ihm aus dem Konzept bringen ließ. Ach, wenn er wüsste, dass ich diese Fähigkeit schon lange verloren hatte ... »Sie haben doch Pflichten, Dooley, oder nicht?«
»Aye, Miss. Cap'n. Captain. Ich soll die Kombüse putzen und mich dann um die Kessel kümmern, wie Mr Mowen mir aufgetragen hat.« »Sie sind entschuldigt, um Ihren Pflichten nachgehen zu können.«
Dooley reagierte auf die Stimme der Autorität. Zögernd zupfte er an seinem schwarzen Käppi und verließ den Maschinenraum im Achterdeck. »Aye, aye, Captain.« »Na, das war doch jetzt gar nicht schlimm, oder?«, sagte Mowen und schmunzelte unter seinem Pfeffer-und-Salz-Seehund-Schnauzbart. »Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich, ein wenig überrascht über die Scharfsichtigkeit des älteren Mannes. »Ist es so offensichtlich, dass ich mit einem solchen Test gerechnet habe?« Wahrscheinlich einer von zahlreichen Tests, die man für mich vorbereitet hatte.
»Ich fliege schon eine Ewigkeit zwischen Rom und London hin und her und habe viele Kapitäne kommen und gehen sehen«, antwortete er. Seine Augen funkelten amüsiert. »Der erste Flug ist immer unterhaltsam. Die Mannschaft beobachtet aufmerksam, welchen Mann uns das Unternehmen dieses Mal geschickt hat.« Ich warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Ich kann gar nicht glauben, dass niemand vom Aerocorps Ihnen etwas über mich erzählt hat. Ich habe ein Dossier über die Mannschaft erhalten; dann haben Sie doch bestimmt auch etwas über mich bekommen?« »Es war kein Dossier, nur eine Notiz, in der stand, dass Sie das Kommando über das Schiffs übernehmen.« Ich wartete; da würde doch bestimmt noch etwas kommen. Ich wurde nicht enttäuscht. »Mr Francisco hat einen Kumpel im Büro von Aerocorps, und er hat uns ein bisschen mehr von Ihnen erzählt. Er sagte, Sie wären eine Frau, was wir uns wegen Ihres Namens schon gedacht hatten, hätten rote Haare und
braune Augen - wobei das natürlich keine Rolle spielt, aber Mr Francisco hat eine Schwäche für rothaarige Damen, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, deshalb hat er sich gerade über diese Information sehr gefreut -, wären mit sechzehn dem Corps beigetreten und schon viele Jahre dabei und hätten einflussreiche Freunde.« Ich zog die Augenbrauen ein wenig hoch. »Das steht in den Akten des Aerocorps?« »Äh, nun ...« Mr Mowen warf mir einen Blick von der Seite zu. »Das habe ich vielleicht nur spekuliert.« »In der Tat«, erwiderte ich in neutralem Tonfall. »Im Großen und Ganzen ist die Zusammenfassung korrekt. Ich hoffe, die Mannschaft ist nicht von mir enttäuscht.« »Das wird sich zeigen«, sagte er und rieb sich einen Ölfleck vom Ärmelaufschlag. »Gut oder schlecht, wir können sowieso nichts daran ändern.« »Oh, ich könnte mir vorstellen, dass eine Mannschaft eine ganze Menge tun kann, damit ein unwillkommener Kapitän sich auch als solcher fühlt«, antwortete ich leichthin. »Absolut ungenießbares Essen im Vergleich zu den Mahlzeiten der Mannschaft, unangenehme Überraschungen aus dem Insekten- und Nagetier-Bereich in der Schlafstätte des Kapitäns, wiederholtes Wecken während der Nachtstunden, um eine merkwürdigerweise schlecht funktionierende Apparatur zu überprüfen, die es vor ein paar Stunden noch getan hat ... Ja, ich habe solche Geschichten schon gehört und könnte mir vorstellen, dass es einer gewitzten Crew nicht schwerfallen dürfte, einem unbeliebten Kapitän das Leben schwer zu machen.« Mr Mowen warf mir einen langen Blick zu. Ich lächelte leise, woraufhin er sich sichtlich entspannte. »Das ist wohl wahr, Captain, wohl wahr.«»Ich gehe davon aus, dass dieses Ventil, das seltsamerweise
zur Seite gebogen wurde und wohl nicht kaputt ist, sondern eher nicht mehr an der richtigen Stelle sitzt, unverzüglich wieder gerichtet wird, Mr Mowen.« Kurz leuchtete Respekt in seinen Augen auf. Ich wehrte seine Hilfe ab, als ich mich aufrichtete und meinen langen, marineblauen Wollrock und die Kanten meines knielangen Jacketts glattstrich. »Und ich erwarte, dass es keine weiteren Tests mehr gibt, um festzustellen, ob ich mit der Dampfmaschine und den Kesseln eines Luftschiffs vertraut bin. Ich kann Ihnen versichern, dass dies der Fall ist.« Der Ingenieur salutierte. »Ich bin froh, das zu hören, Ma'am. Es wurde auch höchste Zeit, dass die Tesla einen Captain hat, der sie versteht.« »Auch wenn er eine Frau ist, Mr Mowen?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen, als wir den schmalen Metallsteg entlanggingen. Nach einem Augenblick des Schweigens erwiderte er: »Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass wir, von Mr Francisco einmal abgesehen, keine Bedenken gegen eine Frau als Kapitän gehabt hätten.« Wir hatten die Gangway erreicht. Ich warf dem Ingenieur einen nachdenklichen Blick zu. Natürlich hatte ich ein wenig Widerstand erwartet, aber in diesen aufgeklärten Zeiten konnte eigentlich niemand etwas dagegen haben, dass ich eine Frau war. »Es gibt im Southampton Aerocorps einige weibliche Kapitäne, Mr Mowen. Das ist nichts Ungewöhnliches.« »Aye, aber diese Kapitäne beschränken sich auf Inlandsflüge. Sie sind die Erste, die das Kommando auf einer internationalen Route übernommen hat.« »Sicher ein Versehen des Aerocorps. Ich habe einige Jahre unter Captain Robert Anstruther gedient, und wie Sie vielleicht wissen, hat er das Kommando über das größte Passagierluftschiff im ganzen Empire gehabt. Ich bin sowohl mit den Routen als auch mit den Pflichten eines Kapitäns vertraut, selbst mit denen eines kleinen Frachttransporters wie der Tesla.« »Captain Anstruther wird uns sehr fehlen«, sagte Mowen mit düsterer Miene. »Diese verdammten Revolutionäre der Schwarzen Hand werden sich dafür verantworten müssen, dass sie den besten Kapitän, der je den Himmel beflogen hat, getötet haben.«
»Ja, in der Tat«, antwortete ich und straffte die Schultern. Wenn ich an Robert Anstruthers letzte Stunden dachte, stieg unweigerlich der Schmerz in mir auf. »Sie kannten ihn gut, nicht wahr?«, fragte Mowen, der mich aufmerksam beobachtete. Ich versuchte vergeblich, eine gleichmütige Miene aufzusetzen. »Ja. Er war mein Mentor und ein großartiger Mann. Ich betrachte ihn als meinen Vater.«
Der Ingenieur zog die Augenbrauen über den Rand seiner Nickelbrille hinaus hoch. »Dann möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen, Captain.« Ich dankte ihm für sein Mitgefühl. Der Schmerz bei dem Gedanken über den erlittenen Verlust stellte sich wie immer ganz von selbst ein. »Ich wurde schon früh in seine Obhut gegeben, und er und seine Frau haben mich behandelt wie ihr eigenes Kind. Sie fehlen mir sehr.« »Die Gattin des Captains - ist sie bei der Explosion des Luftschiffs ebenfalls ums Leben gekommen?« Ich schloss einen Moment lang die Augen. Vor meinem geistigen Auge sah ich erneut das brennende Aerodrom. Die Gestalt von Robert Anstruther hob sich scharf gegen die Flammen ab, die zum schwarzen Himmel hinaufschlugen. »Es gibt keinen anderen Weg, Octavia«, hatte er gesagt, und ich fühlte wieder den Schmerz in seiner Stimme. »Der Kaiser wird sich dieses Mal nicht zufriedengeben. Wenn es nur um mich selbst ginge, könnte ich die Konsequenzen ertragen. Ich bin alt, und meine Zeit ist beinahe abgelaufen. Aber ich muss an Jane und dich denken. Ich werde nicht zulassen, dass meine Schande euer Leben zerstört.«
»Ich will mit dir gehen«, hatte ich damals gebettelt. »Lass mich mit dir und Jane gehen. Ich kann euch helfen, ich weiß es.« Er hatte nur traurig gelächelt und mir die Wange gestreichelt. »Ich segne den Tag, als der alte Kaiser dich zu mir gebracht hat. Kannst du dich noch daran erinnern, Octavia? Du warst noch ein kleines Mädchen, verloren und durcheinander, hast von wirren, unwirklichen Dingen erzählt und dich krampfhaft bemüht, nicht zu weinen. Jane hat dich immer unser kleines Wunder genannt, weil du so kurz nach dem Tod unseres Sohnes zu uns gekommen bist.« Mir wurde die Kehle eng, und ich kämpfte vergeblich gegen die Tränen. Robert betrachtete mich einen langen Augenblick und ignorierte die Tränen, die mir übers Gesicht liefen und auf seine Hände tropften. »Du hast eine vielversprechende Zukunft vor dir, mein Schatz. Wenn wir im Feuer untergehen, wird diese Zukunft durch nichts befleckt.« »Werde ich euch denn nie wiedersehen?«, fragte ich mit erstickter Stimme.
»Nein, wir können nicht nach England zurückkehren. Dazu sind wir zu bekannt. Aber in unseren Herzen wirst du immer bei uns sein.« Voller Trauer senkte ich den Kopf. Am liebsten hätte ich alles hinter mir gelassen und wäre mit den beiden Menschen geflohen, die ich am meisten auf der ganzen Welt liebte. »Kämpfe für die gerechte Sache, kleine Octavia. Tu, was Jane und ich nicht tun können.«
Das waren seine letzten Worte. Mehr war nicht nötig gewesen - ich blieb zurück, um meine Pflicht zu tun, während Robert Anstruther, dreimal vom Kaiser persönlich ausgezeichnet und im ganzen Empire ein Held, auf das brennende Aerodrom zuging und in den Annalen verschwand. »Es tut mir leid, Captain, ich wollte Ihnen keinen Kummer bereiten.« Die Stimme war leise, aber sie holte mich aus meinen finsteren Erinnerungen wieder zurück in die Gegenwart. Robert und Jane waren jetzt schon seit fast einem Jahr weg. Es war alles so gekommen, wie er es vorausgesagt hatte - die Untersuchungen waren im Sande verlaufen, und eine ganze Nation trauerte um ihren verlorenen Helden. Ich straffte meine Schultern und nickte dem Ingenieur zu. »Danke, Mr Mowen. Falls irgendwelche Probleme auftauchen, finden Sie mich im vorderen Frachtraum. Ich will einmal nachsehen, warum Dooley es so eilig hatte.« Er salutierte, und ich ging die schmale Gangway entlang, vorbei an zwei Kesseln, die die Steuermaschinen antrieben. Das dumpfe Stampfen der Maschinen, die die Propeller zum Drehen brachten, entsprach im Rhythmus der pochenden Bewegung im Metallgestänge, das Länge, Breite und Höhe des Schiffes umgab. Es war eine vertraute Empfindung, und ich achtete gar nicht darauf. Es fiel mir immer erst auf, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, und dann fehlte es mir. Die Geräusche des Luftschiffs gehörten zu mir wie mein Atem, und ich wusste sofort - wie jeder Mann an Bord der Tesla -, wenn etwas mit den Maschinen nicht stimmte. Eine leichte Veränderung in der Vibrationsgeschwindigkeit oder ein höherer Ton erregten sofort Besorgnis. »Du hast aber keine Probleme, nicht wahr?«, fragte ich das Schiff leise, als ich über eine kleine Metallleiter zur unteren Gangway kletterte. »Du weißt, wie wichtig diese Reise ist. Du weißt, wie wertvoll unsere Fracht ist. Und du weißt, was passiert, wenn wir versagen.«
Das Schiff antwortete nicht, aber ich fühlte mich ihm seltsam verbunden. Der Ingenieur mochte es bemerkenswert finden, dass ich eine internationale Route bekommen hatte, aber ich wusste es besser - es war der Lohn für geleistete Dienste, nichts weiter. Mein Schweigen war erkauft worden mit der unbedeutendsten, kleinsten Frachtroute von allen beim Aerocorps. Die Tesla war ein Nichts, verglichen mit den neuen Luftschiffen, die die Himmel durchpflügten, ein überholtes Modell, das deutliche Alterserscheinungen zeigte, von der schmutzigen Stoffhülle bis hin zu den vierzig Jahre alten Maschinen, die den hocheffizienten Geräten, mit denen die größeren, längeren, schlankeren Luftschiffe betrieben wurden, nicht das Wasser reichen konnten. Das alles wusste ich, und doch war ich stolz auf die Tesla, stolz darauf, sie zu kommandieren. Hoffentlich ging alles gut. Wenn es auch nur die kleinste Verzögerung oder ein Problem gab, das uns davon abhielt, mit dem Schiff in dem kleinen Aerodrom außerhalb von Rom zu landen, wäre alles verloren. Ich hatte mit Etienne gestritten, weil ein so knapper Terminplan die Katastrophe geradezu herausforderte, aber er ignorierte wie immer meine Warnungen und Bitten. »Der Mann mag ja der Anführer der Schwarzen Hand sein«, murmelte ich jetzt, als ich den Gang zum Frachtraum entlangging, »aber er ist auch ein eingebildeter, sturer Ignorant, wenn es darum geht, mir einmal zuzuhören.« Ich verdrängte die Sorge darüber, was passieren würde, wenn irgendetwas schiefging, und konzentrierte mich stattdessen darauf, für einen ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen. »Das schließt unerwünschte Probleme ein«, brummelte ich, als ich am Frachtraum ankam, einem von vier Laderäumen im mittleren Bereich der Gondel.
»Captain Pye.« Ein älterer, grauhaariger Mann mit einem Gang, der dem einer Krabbe nicht unähnlich war, kam mir entgegen. Ich wusste aus der Lektüre der Mannschaftsakten, dass er seine seltsame Fortbewegungsart den Verletzungen zu verdanken hatte, die er erlitten hatte, als er sich aus einem brennenden Luftschiff gestürzt hatte. »Ich hatte gehofft, dass Sie bald kommen würden. Wir haben ein mächtig großes Problem.« »Das tut mir leid, Mr Piper. Das Problem muss tatsächlich mächtig groß sein, wenn Mr Christian es nicht alleine lösen kann.« Ich warf ihm einen milden Blick zu, obwohl ich am liebsten gelacht hätte. Das konnte durchaus schon wieder ein Test für mich sein oder zumindest ein Versuch, mich aus der Fassung zu bringen. Als er seinen Namen hörte, zuckte der große, hagere, rothaarige Mann, mein Erster Offizier, zusammen. Er riss seine hellblauen Augen weit auf und stammelte eine Entschuldigung. Meine Erheiterung ließ nach, als ich ihn anschaute. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ein wenig enttäuscht von meiner rechten Hand war - bis jetzt hatte er sich als wenig effizient und völlig ungeeignet für den Job erwiesen -, aber ich rief mir ins Gedächtnis, dass jeder eine Chance verdient hatte, sich zu beweisen, und vielleicht wuchs er ja mit seinen Aufgaben. Das hoffte ich jedenfalls. »... ich bin erst kurz vor Ihnen hier eingetroffen, Captain. Nicht wahr, Piper? Ich bin gerade erst gekommen. Vor ein paar Sekunden. Ich kann also unmöglich wissen, was hier los ist, wenn ich auch gerade erst hierhergekommen bin.« »Ja, das stimmt, mit dem Arsch zuerst und schlotternd vor Angst.« Aldous Christian schien außer sich vor Panik zu sein, und ich beruhigte ihn rasch, damit er nicht noch einen Schlaganfall bekam. »Ich entschuldige mich für meine falsche Annahme. Da wir jetzt aber beide hier sind, können wir vielleicht erfahren, was los ist?« »Aber ich weiß es doch nicht!«, heulte er auf. Sein Gesicht wurde knallrot. »Ich habe diese Frage an Mr Piper gerichtet«, sagte ich beruhigend und drückte ihm leicht den Arm. Seine Röte ließ nach, aber er sah immer noch so nervös aus wie ein Rennpferd vor dem Start. »Fahren Sie fort, Mr Piper.«
»Es sind Körper, Captain«, antwortete der Bootsmann knapp. »Körper?« »Oh Allmächtiger«, sagte Mr Christian und sah einen Moment lang so aus, als wolle er in Ohnmacht fallen. Er hielt sich an einem Stapel Kisten fest und schwankte leicht. »Was für Körper?«, fragte ich, wobei ich den Ersten Offizier scharf im Auge behielt, falls er plötzlich auf mich zutaumeln sollte. »Ziemlich große Körper«, antwortete Mr Piper und kratzte sich geistesabwesend am Schritt. »Sie sind mir im Weg.«
»Wo genau sind sie?«, fragte ich. Mittlerweile war ich mir ziemlich sicher, dass ich schon wieder auf die Probe gestellt wurde. »Da drüben, hinter den Fässern mit dem Pökelfleisch.« Piper nickte zum anderen Ende des Frachtraums, wo drei Dutzend Fässer mit gesalzenem Wild, Schwein, Rind und Fisch standen, die für die Truppen des Kaisers im Süden Italiens bestimmt waren. »Neptuns salziger Kabeljau, Mann, lassen Sie meinen Arm los. Sie haben meine Uniform zerknittert.« »Tot oder lebendig?«, fragte ich. »Lebendig, glauben wir«, erwiderte Mr Piper und schob Mr Christians Hand von seinem Arm. »Es sind auf jeden Fall keine großen Blutlachen oder so etwas zu sehen.« »Urrghh!« Mr Christian würgte. »Und wir konnten auch nirgendwo kaputte Gliedmaßen oder Ge därme sehen.«
»Gedärme«, flüsterte Mr Christian. Seine Stimme war rau vor Entsetzen, und er tastete sich blindlings an den Weinfässern entlang. »Gedärme wären mein Ende.« »Aye, und es ist auch eine ganz schöne Schweinerei, sie aufzuwischen«, bestätigte Mr Piper und zog die Luft durch eine Zahnlücke, bevor er fortfuhr: »Um danach richtig sauberzumachen, muss man Sägemehl darüberstreuen. Eine Riesenladung Sägemehl. Und Natron, und davon haben wir nicht viel an Bord.« »Dann ist es ja gut, dass wir es nicht brauchen«, sagte ich. Meine Mundwinkel zuckten bereits. »Ja, da haben Sie recht«, stimmte er mir zu. »Es ist schwer zu sagen, ob sie tot oder lebendig sind, Captain. Am besten überzeugen Sie sich selbst einmal.« »Ein ausgezeichneter Vorschlag. Mr Christian, Sie kommen bitte mit mir.« Ich tat drei Schritte, blieb jedoch stehen, als der Erste Offizier einen Schreckenslaut von sich gab und ohnmächtig zu Boden sank. Das würde eine sehr lange Reise werden.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
... weniger
Autoren-Porträt von Katie MacAlister
Katie MacAlister begann ihre Karriere als Schriftstellerin mit einem Sachbuch über Software. Da sie darin jedoch weder witzige Dialoge noch romantische Szenen unterbringen durfte, beschloss sie, von nun an nur noch Liebesromane zu schreiben. Seither sind über 24 Romane aus ihrer Feder erschienen, die regelmäßig die amerikanischen Bestsellerlisten stürmen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Katie MacAlister
- 2011, 336 Seiten, Maße: 12,6 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Pée, Margarethe van
- Übersetzer: Margarethe van Pèe
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802584309
- ISBN-13: 9783802584305
Kommentare zu "Steamed - 30° West - 100° Liebe"
4 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Steamed - 30° West - 100° Liebe".
Kommentar verfassen