Sterneneis
Roman
In der Nacht waren Einbrecher gekommen und hatten sie beraubt. Hatten in ihren Sachen gewühlt, ihren Schmuck entwendet. Hatten sie wahrscheinlich im Schlaf beobachtet. Die Vorstellung, eine weitere Nacht in diesem Haus zu verbringen, war ihr unerträglich....
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Sterneneis “
Klappentext zu „Sterneneis “
In der Nacht waren Einbrecher gekommen und hatten sie beraubt. Hatten in ihren Sachen gewühlt, ihren Schmuck entwendet. Hatten sie wahrscheinlich im Schlaf beobachtet. Die Vorstellung, eine weitere Nacht in diesem Haus zu verbringen, war ihr unerträglich. Deshalb wollte sie fort, in ihr Sommerhaus.Mit der 14jährigen Tochter einer Bekannten fährt sie aufs Land. Doch wie verbringen eine Frau in den Fünfzigern und ein Mädchen im Teenageralter, das an Handy, PC und Fernsehen gewöhnt ist, drei Tage in völliger Abgeschiedenheit mit einander?
Kristín Marja Baldursdóttir hat einen wunderbaren atmosphärischen Roman geschrieben, der vor großem landschaftlichem Panorama seine Leser mit auf eine Reise nimmt: eine Reise in die Erinnerung und in das Land der Phantasie.
Lese-Probe zu „Sterneneis “
Sterneneis von Kristín Marja BaldursdóttirBauern Schach
Die Erinnerung an das Ereignis bei der Mauer ist zu einer ermüdenden Schwangerschaft geworden, der Bauch wächst, dehnt sich aus und nichts geschieht. In der Verzweiflung beginnt man sich einzubilden, dass gewisse Frauen genauso lange schwanger sind wie ein Elefant. Bevor der Wecker klingelt, denke ich in der morgendlichen Dunkelheit an das Ereignis, gehe jede Einzelheit im richtigen Zeitablauf durch, sehe die Umgebung vor mir, die Mauer, die sich grüne Höhenzüge hochwindet wie die Schlange in der Völsungensaga, die Wachtürme, die in gleichmäßigen abständen alles wie riesengroße Schachfiguren überragen, die Reisenden, die wie unruhige Bauernfiguren eifrig miteinander reden, das unerträgliche Stimmengewirr, mir wird übel. Bei einem Turm der chinesischen Mauer. Ich sehe alles verschwommen. Druck in den Ohren. Ich schwanke und falle. und dann, gerade dann geschieht das Ereignis, das ich seither monatelang an jedem Morgen zu ergründen versucht habe, ohne Verständnis, ohne Erfolg, ohne Ergebnis, der Augenblick wird unwirklich.
Eine Zeit lang befinde ich mich nicht in der Wirklichkeit. Ich befinde mich nicht in diesem Land, ich bin nicht ich selbst, nicht sicher, ob ich, oder dieser Mensch, der ich sein sollte, lebendig oder tot ist. Glaube aber eher, tot zu sein, wenn ich den Gedanken zu Ende denke.
Über den nächsten Moment weiß ich nichts.
Die Unwirklichkeit.
Immer wieder denke ich über das Ereignis an der Mauer nach, versuche, mich daran zu erinnern, bevor ich das Licht anzünde, weiß ohnehin, dass dieser Akt enden wird, er endet selbstverständlich genau wie jedes andere modernistische Theaterstück ohne fassbares Ende oder Resultat.
... mehr
Er endet, weil ich in die einfache Welt der Kleinigkeiten entfliehe. Ich werde mich auf das Praktische konzentrieren: Bin das ganze Wochenende alleine, und somit ist es sicher das Beste, mich im Bett auszuruhen, für das Wochenende Essen einzukaufen, vielleicht mit dem Vortrag zu beginnen, den ich in wenigen Wochen in Oslo halten soll, werde mir unter Umständen ein paar Details meiner Nachforschungen für das Ministerium, an denen ich arbeite, genauer ansehen, werde die Belege ordnen, die ich aus dem Ausland mitgebracht habe - möglicherweise wird die Zeit nicht reichen für all das, was ich mir vorgenommen habe?
Warum denke ich an das Praktische, die organisierte Wirklichkeit, wenn ich an das unwirkliche denken sollte? Warum ist es so schwierig, abstrakt zu denken? Worüber sollte ich denn nachdenken?
Er klingelt, der Wecker, ich zucke zusammen, schlage mit flacher Hand darauf, zünde die Lampe an. Sie gibt ein federweiches Licht von sich, erhellt langsam alle Ecken des Zimmers, ich spähe um mich.
Das Bild, das sich mir jeweils zeigt, wenn ich erwache, hat sich verändert. Der Sessel steht an seinem Platz, genauso wie der Schminktisch, das Aquarell, aber der Fernseher fehlt. Der neue Flachbildschirm, der an der Wand hing und so gut zu den Möbeln passte, wie ein graphisches Bild in einem dunklen rahmen, ist verschwunden.
Das kann nicht sein, ich habe ferngesehen, bevor ich eingeschlafen bin, was ich manchmal tue, wenn ich alleine bin, obwohl ich es für ungesund halte, einen Fernseher im Schlafzimmer zu haben. Seinerzeit habe ich mich dagegen gewehrt.
Ich habe das Gerät ausgeschaltet, bevor ich eingeschlafen bin. Eine Talkshow zum Thema »Individuum in der Gesellschaft« auf einem dänischen Sender, ich habe in der Hälfte der Sendung abgeschaltet, versucht, meinen Lebensrhythmus wieder ins Lot zu bringen, nachdem ich aus dem Ausland zurückgekommen bin, bin vor Mitternacht eingeschlafen, allerdings gegen drei Uhr wie gewöhnlich aufgewacht, »three o'clock awakening«, wie es die Kollegen aus Amerika nennen, wenn Menschen mittleren Alters mitten in der Nacht aufwachen. Doch ich bin dann wieder eingeschlafen.
Der Bildschirm ist verschwunden.
Soll das witzig sein?, frage ich mich selbst, da ergreift mich auch schon eine Befürchtung. Die Unwirklichkeit klopft bereits zum zweiten Mal bei mir an; oder geschieht es, weil ich mir in den vergangenen Monaten ständig das Gehirn über das Ereignis bei der Mauer zermartert habe? Jeden einzelnen tag daran gedacht habe. Steht nun die Geburt an? Ist das ein neuer Trick meines Gehirns?
Ich krieche vorsichtig unter der Decke hervor, schleiche auf Zehenspitzen zur Wand, streiche da über sie, wo der Fernseher gehangen hat, wo die Halterung noch immer an ihrem Platz hängt.
Die Polizei war überrascht darüber, wie sorgfältig die Diebe vorgegangen waren, zumindest im Wohnzimmer, sie hatten die Regale und Schubladen in unseren Arbeitszimmern durchwühlt, waren aber beim Einsammeln aller Geräte geschickt vorgegangen: beide Fernseher, beide Computer, meinen Laptop, die Stereoanlagen, die alte und die neue, beide Fotokameras, die neue und die alte, die nirgends mehr erhältlich war, die Filmkamera, meine Kreditkarten aus der Brieftasche, zudem hatten sie auch das Handy mitgehen lassen.
Das könnte ihnen zum Verhängnis werden, das Handy, bemerkte die Polizistin in aufmunterndem Ton. Sie hatte ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In ihren Augen zeigte sich Mitleid, als klar wurde, dass sie auch meinen Schmuck mitgenommen hatten.
Er hatte in den Schubladen des Schminktisches in dem Schlafzimmer gelegen, in dem ich den Schlaf der Gerechten geschlafen hatte.
Sie hatten sich die Zeit mit dem Öffnen von Schubladen und Schatullen vertrieben, wahrscheinlich mit ihren Händen meine Unterwäsche durchsucht, in dem Zimmer, in dem ich schlief. Mich betrachtet, im Schlaf.
Ich fragte die Polizistin, ob es denkbar sei, dass die Einbrecher Frauen gewesen seien, weil sie so sorgfältig vorgegangen waren? Ich fand den Gedanken, dass eine Frau meine Unterwäsche befühlt und mich im Schlaf betrachtet hatte, erträglicher, als dass irgendein Kerl, vielleicht vom Scheitel bis zur Sohle tätowiert, mich im Schlaf beobachtet hatte. Sie sah mich nachdenklich an, meinte dann, dass sie das bezweifle, normalerweise würden die Diebesbanden aus Männern bestehen, obwohl sie es nicht ausschließen wolle, dass auch eine Frau mit von der Partie gewesen sein könnte. Es gäbe sehr viele Einbrüche zur Zeit, die typen schreckten vor nichts zurück, und es könne auch sein, dass ein einziger Mann allein die Tat verübt habe, er habe offensichtlich genügend Zeit zum Hantieren gehabt. Ob ich denn nicht aufgewacht sei, ob ich vielleicht ein Schlafmittel genommen habe? Ich erwiderte, dass ich kein Schlafmittel eingenommen hätte, dass ich aber gegen drei Uhr erwacht und danach wieder eingeschlafen sei. Da nickte sie, meinte, dass die meisten Einbrüche spät in der Nacht verübt würden, dann nämlich schliefen die Menschen am tiefsten.
Keine Fingerabdrücke, leider.
nachdem ich angerufen hatte, waren sie zuerst zu zweit zum Tatort gekommen, und während sie auf ihre Kollegen von der Spurensicherung warteten, untersuchten sie den Tatort, stellten mir routinefragen, machten sich Notizen, murmelten ein paar Fachbegriffe; es wurden Handschuhe verwendet, es wurde taktvoll und geräuschlos umhergegangen. Wer hatte denn alles einen Schlüssel zum Haus?
Als ob ich das einfach so auf Anhieb aus dem Ärmel schütteln könnte.
Sie hätten mich töten können, flüsterte ich, sie sind in meinem Zimmer umhergeschlichen, haben mich im Schlaf betrachtet, sie hätten mich töten können.
Wer hatte in all den Jahren, seit wir hier leben, alles einen Schlüssel zum Haus bekommen? nun also, die Familie natürlich, die Kinder und mein Mann, meine Schwester, die meist die Blumen goss, wenn wir beide gleichzeitig auf reisen waren, die Handwerker und die Innenarchitektin, welche die neue Küche für uns entworfen hat, ja, dieser und jener halt.
Da kam mir die Keksdose in der Küche in den Sinn. Dort bewahrte ich für gewöhnlich Geldscheine auf, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit von damals, als ich in jungen Jahren noch studiert hatte. Ich ging in die Küche und öffnete die Dose, das Bündel Geldscheine war zu meiner großen Erleichterung noch da. Somit konnte ich mich wenigstens über das Wochenende mit Lebensmitteln und dergleichen versorgen. Der Polizei gegenüber erwähnte ich das Geld nicht, als sie mich daran erinnerten, gleich anzurufen und die Kreditkarten sperren zu lassen. Was ich auch sogleich tat, ich hatte ja noch den Festnetzanschluss. und ein paar Geldscheine. alles andere war weg, dachte ich, total geplündert und ausgeraubt.
Doch da meinte die Polizistin mit dem blonden Pferdeschwanz mit einem Blick auf die Gemälde an den Wänden: Die hatten wohl keine Ahnung, was ihnen hier entgangen ist! und schaute mit anerkennendem Blick abwechselnd zwischen mir und den Bildern hin und her.
augenscheinlich interessierte sie sich für Malerei, denn es war offensichtlich, dass sie die Handschrift einiger Künstler kannte. Sie hatten auch die Bücher nicht mitgenommen, sämtliche Werke standen an ihrem Platz.
Von dem eigentlich Wertvollen hatten sie also nichts mitgehen lassen.
Keine Fingerabdrücke, leider. Dem Techniker tat es leid, mir diese Nachricht überbringen zu müssen, ich konnte es ihm ansehen.
Sie standen zu dritt im Wohnzimmer und berieten sich. Jeder von ihnen in dicken Winterstiefeln, es war etwas unangenehm, sie in diesen klobigen Schuhen auf dem glänzenden Parkett umhergehen zu sehen, doch Polizisten zogen ihre Schuhe gewiss nicht aus, auch wenn draußen Schnee und Matsch lagen, sie mussten möglicherweise plötzlich zu einem weiteren Einsatz ausrücken, mussten in Alarmbereitschaft bleiben.
Denkt ihr, dass die Diebe die Schuhe ausgezogen haben?, fragte ich, und sie schauten mich alle drei an. Die tragen meistens Turnschuhe, die keine Geräusche machen, meinte einer der Polizisten nach kurzem Überlegen.
Das beruhigte mich etwas. Der Gedanke, dass die Einbrecher meinen Boden berührt hatten, schien mir unerträglich. Sie waren also nicht auf schmutzigen Strümpfen überall herumgelaufen. und dennoch war alles schmutzig, mein heim war beschmutzt worden, voller ansteckender Bakterien von widerlichen Typen, alles war schmierig und dreckig wie in einer Pesthöhle von Räubern, das war nicht länger mein heim, mein eigen, mein Zufluchtsort und Schutz. Das Gefühl der Sicherheit war verschwunden.
Sie fragten mich, ob ich denn Fotos von meinem Schmuck gemacht hätte, es gäbe viele, die das täten, doch ich verneinte. Dann fragten sie, ob ich gut versichert sei, und ich bejahte. Zumindest wenn ich mich richtig erinnerte.
Ich begleite sie bis zur Tür, als sie gehen.
Sie sagen, dass sie auf dem Weg zu einem anderen Einbruch sind, allerdings bei einer Firma. Sie fragen, ob ich mich über das Wochenende über Wasser halten könne, bis ich eine neue Kreditkarte bekäme. Ich bejahe, muss mich aber doch selbst fragen, ob mein Dasein nun von Kreditkarten abhängt.
Ich will gerade die Tür hinter ihnen schließen, als ich sie die Treppe hochkommen sehe.
Einen Augenblick lang halten sie alle verwirrt inne, dann treten die Polizisten zur Seite, damit sie an ihnen vorbei kommen, Mutter und Tochter, die Innenarchitektin Sunna lind und ihre Tochter. Die denken bestimmt, dass das meine Tochter und meine Enkelin seien, was sie nicht sind, die beiden sind nicht mit mir verwandt. Die Polizisten nicken mir zum Abschied zu.
Es ist immer noch dunkel draußen, dunkel ist es auch im Eingangsbereich, sie schauen mich an, Mutter und Tochter.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was sie so früh am Morgen von mir wollen, ich glaube mich zu erinnern, dass ich alles bis auf die letzte Krone mit der Innenarchitektin beglichen habe, äußere mich aber nicht darüber, sondern bitte sie herein, erwähne aber natürlich viel zu schnell, dass sie etwas unpassend kämen, da heute Nacht bei mir eingebrochen worden sei.
Sunna lind erschrickt, nickt ununterbrochen, sagt, dass sie die Polizei gesehen habe, legt ihre Hand aufs Herz, fragt, ob etwas zu Bruch gegangen sei? Wahrscheinlich meint sie damit die neue Einrichtung in der Küche, die sie entworfen und in Auftrag gegeben hatte.
Mir gefällt Sunna lind, ich mag Menschen, die in ihrem Auftreten freimütig und sorglos sind, cool, wie die jungen Leute sagen. Ihr gefällt es, sich offenherzig zu kleiden, in Jeans, Lederstiefeln, kurzen Lederjacken, sie besitzt welche in allen Farben, im Moment trägt sie allerdings einen Anorak, da es tiefster Winter und draußen kalt ist, und dieses Tempo, das ihr Auftreten unterstreicht, ist faszinierend; schnell im Denken, schnell im Zeichnen, sie vermag ein ganzes heim in wenigen Minuten zu skizzieren, sie ist schnell im Erkennen, wie die Dinge am besten zusammenpassen, hochmodern sind und dennoch gut zu einem privaten Raum und nicht zuletzt einem Zuhause passen, sie legt großen Wert darauf, wie sie sagt, die Umwelt dem Charakter anzupassen, sie mit dem Gemüt in Einklang zu bringen. Es gelingt ihr leider nicht gleich gut, ihr eigenes Gemüt mit dem anderer harmonisieren zu lassen, sie hat eine längere Beziehung und einige Liebschaften hinter sich, ist Mitte dreißig, strebt aber unverzagt weiter nach dem Glück, überzeugt davon, dass sie zum Schluss den finden wird, der am besten zu ihr passt.
Und der nicht zu laut schnarche, hat sie einmal gesagt und über ihren Scherz gelacht.
Die Frucht der Beziehung ist allerdings kein Scherz, sondern die nackte Wahrheit in Form eines vierzehnjährigen Mädchens, das wohl kaum Freude verspürt - wenn ich die Jugendlichen in ihrem alter recht kenne -, wenn immer wieder ein neuer Liebhaber am Bett ihrer Mutter steht.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am
Er endet, weil ich in die einfache Welt der Kleinigkeiten entfliehe. Ich werde mich auf das Praktische konzentrieren: Bin das ganze Wochenende alleine, und somit ist es sicher das Beste, mich im Bett auszuruhen, für das Wochenende Essen einzukaufen, vielleicht mit dem Vortrag zu beginnen, den ich in wenigen Wochen in Oslo halten soll, werde mir unter Umständen ein paar Details meiner Nachforschungen für das Ministerium, an denen ich arbeite, genauer ansehen, werde die Belege ordnen, die ich aus dem Ausland mitgebracht habe - möglicherweise wird die Zeit nicht reichen für all das, was ich mir vorgenommen habe?
Warum denke ich an das Praktische, die organisierte Wirklichkeit, wenn ich an das unwirkliche denken sollte? Warum ist es so schwierig, abstrakt zu denken? Worüber sollte ich denn nachdenken?
Er klingelt, der Wecker, ich zucke zusammen, schlage mit flacher Hand darauf, zünde die Lampe an. Sie gibt ein federweiches Licht von sich, erhellt langsam alle Ecken des Zimmers, ich spähe um mich.
Das Bild, das sich mir jeweils zeigt, wenn ich erwache, hat sich verändert. Der Sessel steht an seinem Platz, genauso wie der Schminktisch, das Aquarell, aber der Fernseher fehlt. Der neue Flachbildschirm, der an der Wand hing und so gut zu den Möbeln passte, wie ein graphisches Bild in einem dunklen rahmen, ist verschwunden.
Das kann nicht sein, ich habe ferngesehen, bevor ich eingeschlafen bin, was ich manchmal tue, wenn ich alleine bin, obwohl ich es für ungesund halte, einen Fernseher im Schlafzimmer zu haben. Seinerzeit habe ich mich dagegen gewehrt.
Ich habe das Gerät ausgeschaltet, bevor ich eingeschlafen bin. Eine Talkshow zum Thema »Individuum in der Gesellschaft« auf einem dänischen Sender, ich habe in der Hälfte der Sendung abgeschaltet, versucht, meinen Lebensrhythmus wieder ins Lot zu bringen, nachdem ich aus dem Ausland zurückgekommen bin, bin vor Mitternacht eingeschlafen, allerdings gegen drei Uhr wie gewöhnlich aufgewacht, »three o'clock awakening«, wie es die Kollegen aus Amerika nennen, wenn Menschen mittleren Alters mitten in der Nacht aufwachen. Doch ich bin dann wieder eingeschlafen.
Der Bildschirm ist verschwunden.
Soll das witzig sein?, frage ich mich selbst, da ergreift mich auch schon eine Befürchtung. Die Unwirklichkeit klopft bereits zum zweiten Mal bei mir an; oder geschieht es, weil ich mir in den vergangenen Monaten ständig das Gehirn über das Ereignis bei der Mauer zermartert habe? Jeden einzelnen tag daran gedacht habe. Steht nun die Geburt an? Ist das ein neuer Trick meines Gehirns?
Ich krieche vorsichtig unter der Decke hervor, schleiche auf Zehenspitzen zur Wand, streiche da über sie, wo der Fernseher gehangen hat, wo die Halterung noch immer an ihrem Platz hängt.
Die Polizei war überrascht darüber, wie sorgfältig die Diebe vorgegangen waren, zumindest im Wohnzimmer, sie hatten die Regale und Schubladen in unseren Arbeitszimmern durchwühlt, waren aber beim Einsammeln aller Geräte geschickt vorgegangen: beide Fernseher, beide Computer, meinen Laptop, die Stereoanlagen, die alte und die neue, beide Fotokameras, die neue und die alte, die nirgends mehr erhältlich war, die Filmkamera, meine Kreditkarten aus der Brieftasche, zudem hatten sie auch das Handy mitgehen lassen.
Das könnte ihnen zum Verhängnis werden, das Handy, bemerkte die Polizistin in aufmunterndem Ton. Sie hatte ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In ihren Augen zeigte sich Mitleid, als klar wurde, dass sie auch meinen Schmuck mitgenommen hatten.
Er hatte in den Schubladen des Schminktisches in dem Schlafzimmer gelegen, in dem ich den Schlaf der Gerechten geschlafen hatte.
Sie hatten sich die Zeit mit dem Öffnen von Schubladen und Schatullen vertrieben, wahrscheinlich mit ihren Händen meine Unterwäsche durchsucht, in dem Zimmer, in dem ich schlief. Mich betrachtet, im Schlaf.
Ich fragte die Polizistin, ob es denkbar sei, dass die Einbrecher Frauen gewesen seien, weil sie so sorgfältig vorgegangen waren? Ich fand den Gedanken, dass eine Frau meine Unterwäsche befühlt und mich im Schlaf betrachtet hatte, erträglicher, als dass irgendein Kerl, vielleicht vom Scheitel bis zur Sohle tätowiert, mich im Schlaf beobachtet hatte. Sie sah mich nachdenklich an, meinte dann, dass sie das bezweifle, normalerweise würden die Diebesbanden aus Männern bestehen, obwohl sie es nicht ausschließen wolle, dass auch eine Frau mit von der Partie gewesen sein könnte. Es gäbe sehr viele Einbrüche zur Zeit, die typen schreckten vor nichts zurück, und es könne auch sein, dass ein einziger Mann allein die Tat verübt habe, er habe offensichtlich genügend Zeit zum Hantieren gehabt. Ob ich denn nicht aufgewacht sei, ob ich vielleicht ein Schlafmittel genommen habe? Ich erwiderte, dass ich kein Schlafmittel eingenommen hätte, dass ich aber gegen drei Uhr erwacht und danach wieder eingeschlafen sei. Da nickte sie, meinte, dass die meisten Einbrüche spät in der Nacht verübt würden, dann nämlich schliefen die Menschen am tiefsten.
Keine Fingerabdrücke, leider.
nachdem ich angerufen hatte, waren sie zuerst zu zweit zum Tatort gekommen, und während sie auf ihre Kollegen von der Spurensicherung warteten, untersuchten sie den Tatort, stellten mir routinefragen, machten sich Notizen, murmelten ein paar Fachbegriffe; es wurden Handschuhe verwendet, es wurde taktvoll und geräuschlos umhergegangen. Wer hatte denn alles einen Schlüssel zum Haus?
Als ob ich das einfach so auf Anhieb aus dem Ärmel schütteln könnte.
Sie hätten mich töten können, flüsterte ich, sie sind in meinem Zimmer umhergeschlichen, haben mich im Schlaf betrachtet, sie hätten mich töten können.
Wer hatte in all den Jahren, seit wir hier leben, alles einen Schlüssel zum Haus bekommen? nun also, die Familie natürlich, die Kinder und mein Mann, meine Schwester, die meist die Blumen goss, wenn wir beide gleichzeitig auf reisen waren, die Handwerker und die Innenarchitektin, welche die neue Küche für uns entworfen hat, ja, dieser und jener halt.
Da kam mir die Keksdose in der Küche in den Sinn. Dort bewahrte ich für gewöhnlich Geldscheine auf, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit von damals, als ich in jungen Jahren noch studiert hatte. Ich ging in die Küche und öffnete die Dose, das Bündel Geldscheine war zu meiner großen Erleichterung noch da. Somit konnte ich mich wenigstens über das Wochenende mit Lebensmitteln und dergleichen versorgen. Der Polizei gegenüber erwähnte ich das Geld nicht, als sie mich daran erinnerten, gleich anzurufen und die Kreditkarten sperren zu lassen. Was ich auch sogleich tat, ich hatte ja noch den Festnetzanschluss. und ein paar Geldscheine. alles andere war weg, dachte ich, total geplündert und ausgeraubt.
Doch da meinte die Polizistin mit dem blonden Pferdeschwanz mit einem Blick auf die Gemälde an den Wänden: Die hatten wohl keine Ahnung, was ihnen hier entgangen ist! und schaute mit anerkennendem Blick abwechselnd zwischen mir und den Bildern hin und her.
augenscheinlich interessierte sie sich für Malerei, denn es war offensichtlich, dass sie die Handschrift einiger Künstler kannte. Sie hatten auch die Bücher nicht mitgenommen, sämtliche Werke standen an ihrem Platz.
Von dem eigentlich Wertvollen hatten sie also nichts mitgehen lassen.
Keine Fingerabdrücke, leider. Dem Techniker tat es leid, mir diese Nachricht überbringen zu müssen, ich konnte es ihm ansehen.
Sie standen zu dritt im Wohnzimmer und berieten sich. Jeder von ihnen in dicken Winterstiefeln, es war etwas unangenehm, sie in diesen klobigen Schuhen auf dem glänzenden Parkett umhergehen zu sehen, doch Polizisten zogen ihre Schuhe gewiss nicht aus, auch wenn draußen Schnee und Matsch lagen, sie mussten möglicherweise plötzlich zu einem weiteren Einsatz ausrücken, mussten in Alarmbereitschaft bleiben.
Denkt ihr, dass die Diebe die Schuhe ausgezogen haben?, fragte ich, und sie schauten mich alle drei an. Die tragen meistens Turnschuhe, die keine Geräusche machen, meinte einer der Polizisten nach kurzem Überlegen.
Das beruhigte mich etwas. Der Gedanke, dass die Einbrecher meinen Boden berührt hatten, schien mir unerträglich. Sie waren also nicht auf schmutzigen Strümpfen überall herumgelaufen. und dennoch war alles schmutzig, mein heim war beschmutzt worden, voller ansteckender Bakterien von widerlichen Typen, alles war schmierig und dreckig wie in einer Pesthöhle von Räubern, das war nicht länger mein heim, mein eigen, mein Zufluchtsort und Schutz. Das Gefühl der Sicherheit war verschwunden.
Sie fragten mich, ob ich denn Fotos von meinem Schmuck gemacht hätte, es gäbe viele, die das täten, doch ich verneinte. Dann fragten sie, ob ich gut versichert sei, und ich bejahte. Zumindest wenn ich mich richtig erinnerte.
Ich begleite sie bis zur Tür, als sie gehen.
Sie sagen, dass sie auf dem Weg zu einem anderen Einbruch sind, allerdings bei einer Firma. Sie fragen, ob ich mich über das Wochenende über Wasser halten könne, bis ich eine neue Kreditkarte bekäme. Ich bejahe, muss mich aber doch selbst fragen, ob mein Dasein nun von Kreditkarten abhängt.
Ich will gerade die Tür hinter ihnen schließen, als ich sie die Treppe hochkommen sehe.
Einen Augenblick lang halten sie alle verwirrt inne, dann treten die Polizisten zur Seite, damit sie an ihnen vorbei kommen, Mutter und Tochter, die Innenarchitektin Sunna lind und ihre Tochter. Die denken bestimmt, dass das meine Tochter und meine Enkelin seien, was sie nicht sind, die beiden sind nicht mit mir verwandt. Die Polizisten nicken mir zum Abschied zu.
Es ist immer noch dunkel draußen, dunkel ist es auch im Eingangsbereich, sie schauen mich an, Mutter und Tochter.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was sie so früh am Morgen von mir wollen, ich glaube mich zu erinnern, dass ich alles bis auf die letzte Krone mit der Innenarchitektin beglichen habe, äußere mich aber nicht darüber, sondern bitte sie herein, erwähne aber natürlich viel zu schnell, dass sie etwas unpassend kämen, da heute Nacht bei mir eingebrochen worden sei.
Sunna lind erschrickt, nickt ununterbrochen, sagt, dass sie die Polizei gesehen habe, legt ihre Hand aufs Herz, fragt, ob etwas zu Bruch gegangen sei? Wahrscheinlich meint sie damit die neue Einrichtung in der Küche, die sie entworfen und in Auftrag gegeben hatte.
Mir gefällt Sunna lind, ich mag Menschen, die in ihrem Auftreten freimütig und sorglos sind, cool, wie die jungen Leute sagen. Ihr gefällt es, sich offenherzig zu kleiden, in Jeans, Lederstiefeln, kurzen Lederjacken, sie besitzt welche in allen Farben, im Moment trägt sie allerdings einen Anorak, da es tiefster Winter und draußen kalt ist, und dieses Tempo, das ihr Auftreten unterstreicht, ist faszinierend; schnell im Denken, schnell im Zeichnen, sie vermag ein ganzes heim in wenigen Minuten zu skizzieren, sie ist schnell im Erkennen, wie die Dinge am besten zusammenpassen, hochmodern sind und dennoch gut zu einem privaten Raum und nicht zuletzt einem Zuhause passen, sie legt großen Wert darauf, wie sie sagt, die Umwelt dem Charakter anzupassen, sie mit dem Gemüt in Einklang zu bringen. Es gelingt ihr leider nicht gleich gut, ihr eigenes Gemüt mit dem anderer harmonisieren zu lassen, sie hat eine längere Beziehung und einige Liebschaften hinter sich, ist Mitte dreißig, strebt aber unverzagt weiter nach dem Glück, überzeugt davon, dass sie zum Schluss den finden wird, der am besten zu ihr passt.
Und der nicht zu laut schnarche, hat sie einmal gesagt und über ihren Scherz gelacht.
Die Frucht der Beziehung ist allerdings kein Scherz, sondern die nackte Wahrheit in Form eines vierzehnjährigen Mädchens, das wohl kaum Freude verspürt - wenn ich die Jugendlichen in ihrem alter recht kenne -, wenn immer wieder ein neuer Liebhaber am Bett ihrer Mutter steht.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am
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Autoren-Porträt von Kristín Marja Baldursdóttir
Kristín Marja Baldursdóttir ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen in Island. Im Fischer Taschenbuch Verlag sind lieferbar: "Möwengelächter", "Kühl graut der Morgen", "Hinter fremden Türen", "Die Eismalerin", "Die Farben der Insel", "Sterneneis" und "Sommerreigen". Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Reykjavík.Literaturpreise:Jónas Hallgrimsson-Preis 2011
Bibliographische Angaben
- Autor: Kristín Marja Baldursdóttir
- 2013, 2. Aufl., 240 Seiten, Maße: 12,3 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Giger, Ursula
- Übersetzer: Ursula Giger
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596189497
- ISBN-13: 9783596189496
- Erscheinungsdatum: 24.09.2013
Rezension zu „Sterneneis “
Literarisch brillant erzählt die isländische Autorin diese zauberhafte Geschichte, die den Leser in die eigenartige Atmosphäre Islands eintauchen lässt. Oberösterreichische Nachrichten 20111015
Pressezitat
Literarisch brillant erzählt die isländische Autorin diese zauberhafte Geschichte, die den Leser in die eigenartige Atmosphäre Islands eintauchen lässt. Oberösterreichische Nachrichten 20111015
Kommentar zu "Sterneneis"
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