Stille Küsse sind tief / Fool's Gold Bd.10
Roman, Deutsche Erstveröffentlichung
Ein übler Kater ist die gerechte Strafe für Annabelles kleinen Ausbruch am Vorabend. Wie konnte sie sich nur dazu hinreißen lassen, ihren Freundinnen den alten indianischen Tanz der fröhlichen Jungfrau vorzuführen? Und wie soll sie...
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Produktinformationen zu „Stille Küsse sind tief / Fool's Gold Bd.10 “
Ein übler Kater ist die gerechte Strafe für Annabelles kleinen Ausbruch am Vorabend. Wie konnte sie sich nur dazu hinreißen lassen, ihren Freundinnen den alten indianischen Tanz der fröhlichen Jungfrau vorzuführen? Und wie soll sie die heutige erste Reitstunde überstehen, ohne vom Pferd zu fallen? Wobei, von den muskulösen Armen ihres Reitlehrers würde sie sich gerne auffangen lassen ...
Eine schüchterne Bibliothekarin. Das könnte genau die Frau sein, die Shane Stryker sucht. Und die ihn die Rothaarige vergessen lässt, die am Abend zuvor in der Bar so sinnlich getanzt hat. Doch als seine Reitschülerin dann vor ihm steht, traut er seinen Augen nicht: Annabelle ist die Frau aus der Bar. Und ihre zurückhaltende Art trifft ihn sogar tiefer ins Herz, als es jeder noch so verführerische Hüftschwung könnte.
Eine schüchterne Bibliothekarin. Das könnte genau die Frau sein, die Shane Stryker sucht. Und die ihn die Rothaarige vergessen lässt, die am Abend zuvor in der Bar so sinnlich getanzt hat. Doch als seine Reitschülerin dann vor ihm steht, traut er seinen Augen nicht: Annabelle ist die Frau aus der Bar. Und ihre zurückhaltende Art trifft ihn sogar tiefer ins Herz, als es jeder noch so verführerische Hüftschwung könnte.
Klappentext zu „Stille Küsse sind tief / Fool's Gold Bd.10 “
Ein übler Kater ist die gerechte Strafe für Annabelles kleinen Ausbruch am Vorabend. Wie konnte sie sich nur dazu hinreißen lassen, ihren Freundinnen den alten indianischen Tanz der fröhlichen Jungfrau vorzuführen? Und wie soll sie die heutige erste Reitstunde überstehen, ohne vom Pferd zu fallen? Wobei, von den muskulösen Armen ihres Reitlehrers würde sie sich gerne auffangen lassen ...Eine schüchterne Bibliothekarin. Das könnte genau die Frau sein, die Shane Stryker sucht. Und die ihn die Rothaarige vergessen lässt, die am Abend zuvor in der Bar so sinnlich getanzt hat. Doch als seine Reitschülerin dann vor ihm steht, traut er seinen Augen nicht: Annabelle ist die Frau aus der Bar. Und ihre zurückhaltende Art trifft ihn sogar tiefer ins Herz, als es jeder noch so verführerische Hüftschwung könnte.
Lese-Probe zu „Stille Küsse sind tief / Fool's Gold Bd.10 “
Stille Küsse sind tief von Susan MalleryÜbersetzer: Gabriele Ramm
1. KAPITEL
Shane Stryker war entschlossen genug, sich einem Kampf zu stellen, wenn es nottat, aber auch klug genug, den Rückzug anzutreten, wenn er merkte, dass er sich geschlagen geben musste. Die hübsche Rothaarige, die auf dem Bartresen tanzte, mochte zwar genau sein Typ sein, doch ihr nachzustellen wäre eine der dümmsten Entscheidungen, die er treffen konnte.
Sie hatte die Augen geschlossen, das lange lockige Haar schwang rhythmisch hin und her, und die sinnliche Musik tat ein Übriges, um Shane die Sinne zu benebeln. Entschieden schüttelte er den Kopf, um sich dagegen zu wehren - dagegen und gegen die unerklärliche Anziehungskraft, die er verspürte. Frauen, die auf Bartresen tanzten, bedeuteten nur Ärger. Da mochten sie noch so aufregend und verführerisch sein, sie waren nichts für ihn. Damit war endgültig Schluss.
Auch wenn er diese Frau hier nicht kannte, der Typ war ihm nur allzu vertraut. Aufmerksamkeit heischend. Tödlich - jedenfalls für einen Mann, für den die Ehe gleichbedeutend mit Treue und Monogamie war. Frauen wie diese Tänzerin wollten von jedem Mann im Raum begehrt werden.
... mehr
Langsam, widerstrebend und voller Bedauern wandte er sich von der Frau ab und marschierte zum Ausgang. Er war in die Stadt gefahren, um ein Bier zu trinken und einen Burger zu essen. Eigentlich hatte er sich vorgestellt, mit ein paar Kumpels ein Spielchen machen oder einfach nur herumhängen zu können. Stattdessen war er auf eine barfüßige Göttin gestoßen, die einen Mann für ein Lächeln alle Hoffnungen und Träume vergessen lassen konnte. Deine Träume sind mehr wert, ermahnte er sich und blickte noch ein letztes Mal über die Schulter, bevor er hinaus in die warme Sommernacht trat.
Annabelle Weiss öffnete die Augen. „Es ist ganz einfach."
„Von wegen." Ihre Freundin Charlie Dixon stellte ihr Bier hin und schüttelte den Kopf. „Nein."
Schnell kletterte Annabelle vom Tresen herunter und stemmte die Hände in die Hüften. Auf diese Weise versuchte sie, einschüchternd zu wirken, was angesichts der Tatsache, dass Charlie mindestens zwanzig Zentimeter größer war als sie und über Muskeln verfügte, von denen Annabelle nicht einmal wissen wollte, dass man sie haben konnte, eine ziemlich sinnlose Geste war.
Sie wollte gerade weitere Argumente auffahren, vielleicht sogar einwerfen, dass es schließlich für die Kinder sei, als die - hauptsächlich weiblichen - Gäste ihr spontan applaudierten.
„Toller Tanz", rief jemand.
Annabelle drehte sich im Kreis. „Danke schön", rief sie. „Ich bin die ganze Woche hier." Erneut sah sie ihre Freundin an. „Du musst."
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich definitiv nicht muss."
„Red du mit ihr", wandte Annabelle sich an Heidi Simpson.
Heidi, eine hübsche Blondine, die sich erst kürzlich verlobt hatte und gerade dabei war, wieder einmal ihren Diamantring zu bewundern, blickte auf. „Was? Oh, tut mir leid, ich war abgelenkt."
„Lass mich raten, du hast an Rafe gedacht", grummelte Charlie. „Wir wissen es. Er ist wundervoll, du bist glücklich. So langsam nervt's."
Heidi lachte. „Wer ist jetzt die Zynikerin?"
„Das ist ja nun wahrlich nichts Neues. Ich war immer schon zynisch." Charlie schnappte sich ihr Bier und ging zu ihrem Tisch. Den, den sie verlassen hatten, als Annabelle angeboten hatte, ihren beiden Freundinnen den Tanz der glücklichen Jungfrau zu zeigen.
Als sie wieder saßen, wandte Annabelle sich an Charlie. „Pass auf, ich muss unbedingt Geld für mein Büchermobil auftreiben. Während unseres Stadtfestivals bietet sich dazu die beste Gelegenheit. Entweder der Tanz der glücklichen Jungfrau oder ein Ritt auf einem Pferd. Am Ende tust du dann so, als würdest du einem männlichen Opfer das Herz aus der Brust schneiden. Du kannst doch gut reiten und hast sogar ein eigenes Pferd."
Charlie kniff die blauen Augen zusammen. „Ich tanze definitiv nicht auf einem Pferd."
„Musst du ja auch gar nicht. Das Pferd soll tänzeln, und du musst anschließend dem Opfer das Herz herausschneiden."
„Mason ist kein Pferd, das tanzt."
Heidi beugte sich vor. „Annabelle, das ist dein Büchermobilprojekt. Du bist diejenige, die so wild darauf ist. Warum machst du es nicht selbst?"
„Ich kann doch gar nicht reiten."
„Das kann man lernen. Shane könnte es dir beibringen. Ich habe gesehen, wie er mit den Rodeocowboys trainiert hat. Er ist sehr geduldig."
„Ich glaube nicht, dass wir dafür noch genügend Zeit haben. Das Festival ist doch schon in zehn Wochen. Glaubst du wirklich, dass ich in so kurzer Zeit Reiten lernen könnte? Gut genug, um ein Pferd zum Tanzen zu bringen?" Sie wandte sich an Charlie. „Vor mehr als tausend Jahren haben die Máa-zib-Frauen alles, was sie kannten, verlassen und sind hierher ausgewandert. Es waren starke Frauen, die sich ein neues Zuhause aufbauen wollten. Sie haben sich hier niedergelassen, und sicherlich steckt noch etwas von ihrer Kraft und Entschlossenheit in jeder Einzelnen von uns."
Charlie trank einen Schluck Bier. „Hübsche kleine Rede und netter Versuch, aber nein, ich werde nicht auf oder mit meinem Pferd tanzen."
Frustriert ließ Annabelle die Schultern hängen. „Dann habe ich nichts."
Heidi drückte ihren Arm. „Ich hab's doch schon gesagt, mach es selbst. Du bist diejenige, die ständig von den Máa-zib-Frauen redet, davon, dass sie ihre Töchter davor bewahrt haben, geopfert zu werden, indem sie ihre Heimat verlassen haben. Sie waren es leid, dass ihre Töchter getötet wurden, ehe sie überhaupt eine Chance hatten zu leben, deshalb sind sie hierhergekommen. Um frei zu sein. Sei genauso tapfer wie sie."
Annabelle straffte sich. Sie war nun wirklich nicht der Typ, der eine Parade anführte, sondern eher still, ein Mensch, der hinter den Kulissen wirkte.
Sie öffnete den Mund, um zu erwidern: „Das kann ich nicht", aber irgendwie blieben ihr die Worte im Hals stecken. Denn wenn sie wollte, konnte sie. Sie konnte vieles. Aber ihr Leben lang hatte sie versucht, sich unauffällig zu verhalten, sich anzupassen. Angefangen bei ihren Eltern, denen sie es immer hatte recht machen wollen, bis hin zu sämtlichen Männern, mit denen sie ausgegangen war. Sie hatte sich immer als angepasst, aber nicht als stark angesehen.
Charlie starrte sie an. „Alles okay bei dir? Du siehst ein bisschen merkwürdig aus."
„Ich bin ein Schwächling", stellte Annabelle fest. „Eine Fußmatte, auf der alle herumtrampeln, und das ist die schlichte, ergreifende, wenn auch wenig schmeichelhafte Wahrheit."
Heidi und Charlie tauschten besorgte Blicke aus. „Okay", meinte Charlie langsam. „Du hast nicht gerade einen Anfall oder so was?"
„Nein, ich hatte gerade eine Eingebung. Ich war immer diejenige, die sich gebeugt hat, die die eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintangestellt hat, um es anderen recht zu machen."
„Du hast gerade auf dem Tresen getanzt", meinte Heidi achselzuckend. „Unabhängiger kann man doch gar nicht werden."
„Nur um das mal festzuhalten: Ich bin nicht betrunken. Ich habe Charlie nur den Tanz der glücklichen Jungfrau gezeigt, um sie davon zu überzeugen ..." Sie schüttelte den Kopf und stand auf. „Wisst ihr was? Ich mach es selbst. Ich lerne den Tanz auf dem Pferd. Und ich lerne Reiten. Es ist mein Büchermobil. Mein Spendenaufruf. Ich übernehme Verantwortung. Ich stelle mich der Herausforderung. Der Geist der Máa-zib-Frauen lebt auch in mir weiter.
„Auf geht's, Mädchen", ermunterte Charlie sie und grinste.
„Du warst gestern Abend aber früh zu Hause."
Shane drehte den Wasserhahn in der Scheune zu, und als er hochschaute, sah er seine Mutter auf sich zukommen. Es dämmerte gerade erst, doch sie war bereits aufgestanden und angezogen. Und, viel wichtiger, sie hielt in jeder Hand einen Becher Kaffee.
Dankbar nahm er den Becher, den sie ihm reichte, und trank einen Schluck. Bilder einer feurigen Rothaarigen hatten ihn bis in seinen unruhigen Schlaf hinein verfolgt.
„Stimmt, Jo's Bar war nicht ganz das, was ich erwartet hatte, auch wenn es hochinteressant dort war."
May, seine Mutter, die mit Mitte fünfzig noch immer sehr attraktiv war, lächelte. „Du warst in Jo's Bar? Ach Schätzchen, nein. Da gehen doch die Frauen aus der Stadt alle hin. Statt Sportsendungen kannst du dort die Shopping- oder Modesendungen im Fernsehen sehen. Du hättest deinen Bruder fragen sollen, wo sich die Männer zu einem Spielchen treffen. Kein Wunder, dass du so früh wieder zu Hause warst." Mit der freien Hand streichelte sie der Stute, die ihren Kopf über die Stalltür streckte, die Nüstern. „Hallo, meine Süße, hast du dich schon eingelebt? Ist es nicht toll in Fool's Gold?"
Die Stute nickte, als wollte sie bekunden, dass alles bestens war.
Shane musste zugeben, dass seine Pferde sich schneller eingelebt hatten, als er angenommen hatte. Die Fahrt von Tennessee hierher hatte ewig gedauert, aber die lange Reise hatte sich gelohnt. Er hatte zweihundert Morgen allerbestes Land etwas außerhalb der Stadt gekauft. Die Zeichnungen für ein Haus waren bereits fertig und, was noch viel wichtiger war, ebenso die Entwürfe für die Ställe. Die Bauarbeiten sollten noch in dieser Woche beginnen. Währenddessen hatten seine Pferde in den Ställen seiner Mutter Unterschlupf gefunden, und er selbst wohnte bei ihr im Haus - zusammen mit ihrem vierundsiebzigjährigen Freund Glen, seinem Bruder Rafe und dessen Verlobter Heidi. Das war definitiv kein Dauerzustand, aber übergangsweise würde es gehen.
Schließlich tat er genau das, was er immer hatte tun wollen, noch dazu an einem Ort, an dem er sich schon immer hatte niederlassen wollen. Er besaß Pferde und Land, und seine Familie war nahe genug, dass er sich wie zu Hause fühlen konnte, allerdings nicht so nahe, dass sie ihm im Wege sein würde, wenn sein Haus erst einmal fertig war. Nun musste er nur noch das Bild dieser Frau aus seinem Kopf bekommen.
„Mom, kennst du ..."
Den Rest der Frage verkniff er sich. Seine Mutter gehörte zu den Frauen, die jeden in der Stadt kannten. Wenn man ihr einen Namen nannte, konnte sie ihm innerhalb von einer Viertelstunde die Details der letzten vier Generationen dieser Familie herunterrasseln.
Doch er hatte keine Lust auf weitere Komplikationen und Probleme. Davon hatte er bereits genug gehabt, schließlich war er mit einer von den Frauen verheiratet gewesen, die einen Mann um den Verstand bringen konnten. Einer der Gründe, warum er sich von ihr hatte scheiden lassen. Er hatte genügend Aufregung in seinem Leben gehabt, davon konnte er noch zehren, bis er neunzig war. Jetzt war es an der Zeit, sich häuslich niederzulassen. Zeit, eine vernünftige Frau zu finden, eine, die zufrieden damit war, dass ein Mann sie liebte.
Seine Mutter musterte ihn, und wieder einmal fiel Shane auf, wie sehr ihre Augen seinen eigenen ähnelten. Ihr Mund verzog sich zu einem kleinen, wissenden Lächeln.
„Bitte, bitte, sag, dass du mich fragen wolltest, ob ich ein paar nette Frauen kenne."
Was soll's, dachte er und zuckte mit den Schultern. „Okay, kennst du eine? Jemanden, na ja, du weißt schon, jemanden Normales?" Nicht so eine wie die Göttin, die auf dem Bartresen getanzt hatte.
Seine Mutter zitterte schon fast vor Aufregung. „Ja, und sie ist wirklich perfekt. Eine Bibliothekarin. Annabelle Weiss heißt sie. Sie ist bezaubernd. Heidi hat mir erzählt, dass Annabelle gern Reiten lernen möchte. Du könntest ihr Unterricht geben."
Eine Bibliothekarin, so so. Im Geiste sah Shane eine unscheinbare Brünette vor sich, mit einer Brille auf der Nase, die Strickjacke bis oben hin zugeknöpft und mit praktischen Schuhen an den Füßen. Nicht gerade aufregend, aber das war okay. Er war jetzt in einem Alter, in dem er sich eine Familie wünschte, und nicht länger auf der Suche nach einer Frau, die sein Leben in Aufruhr versetzte.
„Was meinst du?", fragte seine Mutter nervös.
„Das klingt, als wäre sie perfekt."
„Na, zurück an den Tatort?"
Annabelle grinste ihre Freundin an. „Es hat keine Tat gegeben."
„Das weißt du, und auch ich weiß das, aber die Gerüchteküche brodelt, so viel kann ich dir verraten."
Annabelle hielt die Tür zu Jo's Bar auf und wartete, bis Charlie vor ihr in den hell erleuchteten Raum getreten war. Es war Mittagszeit in Fool's Gold, und an vielen der Tische saßen bereits Frauen und aßen. Jo hatte mit ihrer Bar einen Treffpunkt für den weiblichen Teil der Bevölkerung geschaffen und für die Inneneinrichtung feminine Farben wie Mauve- und Cremetöne gewählt. Tagsüber waren die großen Fernsehgeräte an den Wänden entweder ausgeschaltet oder auf Shoppingsender und Realityshows eingestellt. Auf der Speisekarte gab es viele Salate und Sandwiches, deren Kalorienangaben jeweils dezent am Rand vermerkt waren.
Annabelle folgte Charlie zu einem Tisch und setzte sich.
„Alle reden davon, dass du auf dem Tresen getanzt hast."
Annabelle lachte. „Ist mir egal. Es war ja für einen guten Zweck. Selbst wenn ich dich damit nicht überzeugen konnte, an meinem Festival teilzunehmen. Aber das ist schon okay. Ich werde es selbst machen." Sie verzog ein wenig das Gesicht. „Aber du versicherst hoffentlich allen Leuten, dass ich nicht betrunken war, oder?"
Sie hatte am Abend zuvor nämlich nicht einmal ein Glas Wein getrunken. Ihre Tanzeinlage auf dem Tresen war eher aus einem Gefühl der Unruhe heraus entstanden und weniger dem Bedürfnis entsprungen anzugeben, und sie hatte definitiv nichts mit ihrem Alkoholpegel zu tun gehabt.
Charlie grinste. „Ich schwöre, ich halte mich strikt an die Geschichte mit dem einen Glas Wein. Die Archäologen waren jedoch fasziniert. Ich glaube, der Tanz der glücklichen Jungfrau hat dir bei ihnen zu noch mehr Ansehen verholfen."
„Ja, weil sie so ein wilder Haufen sind", meinte Annabelle ironisch.
Im vergangenen Herbst hatten Arbeiter, als sie auf einer Baustelle ein Stück vom Berg gesprengt hatten, Gold der Máa-zib entdeckt. Archäologen waren in Scharen nach Fool's Gold gepilgert, um sich der Schätze anzunehmen. Sobald die Fundstücke untersucht und katalogisiert wären, sollten sie der Stadt zurückgegeben werden.
„Bist du eigentlich an der Sache beteiligt?", fragte Charlie.
„Ich bin eher eine inoffizielle Hilfskraft", erwiderte Annabelle. „Dadurch, dass ich an der Uni die Kultur der Máa-zib als Nebenfach belegt habe, verfüge ich gerade über genügend Wissen, um die Profis hin und wieder zu ärgern."
„Die meisten Profis müssen auch ab und zu geärgert werden."
Annabelle war Charlie für ihre Loyalität dankbar. „Dann ist meine Arbeit hier getan."
Die Tür wurde geöffnet, und Heidi kam herein. Als sie die beiden anderen sah, winkte sie und kam zu ihnen an den Tisch.
„Shane hat Ja gesagt", erzählte Heidi aufgeregt. „Er bringt dir bei, wie man das mit dem Pferdetanz macht. Oder besser gesagt, er bringt dir das Reiten bei. Ich glaube, seine Mom hat den Tanz gar nicht erwähnt."
„Ist wahrscheinlich auch besser, ihm das schonend beizubringen", meinte Charlie.
„Du hast recht." Heidi lachte. „Er ist ein erfolgreicher Pferdetrainer. Die Sache mit dem Tanzen wird nicht unbedingt sein Ding sein. Du musst es ihm ganz vorsichtig unterjubeln."
Das ist es, was ich so mag, dachte Annabelle glücklich. Ihre Freundinnen und - meistens jedenfalls - ihr derzeitiges Leben. Sie hatte einen wunderbaren Job in einem Ort, den sie wirklich gern mochte. Sie gehörte dazu. Und wenn sie ein wenig neidisch wurde, wenn sich das Licht in Heidis Verlobungsring mit dem funkelnden Diamanten fing, na ja, dann war das auch okay.
In Wahrheit war ihr der Diamant völlig egal, aber das, was er repräsentierte, erfüllte sie mit Neid. Liebe. Wahre Liebe. Rafe versuchte nicht, Heidi zu verändern, sondern liebte sie so, wie sie war. So etwas hatte Annabelle noch nie erlebt. Die Erkenntnis, die sie am Abend zuvor gewonnen hatte, war ihr noch immer frisch im Gedächtnis. Sie wollte mehr als eine Liebe, die an Bedingungen geknüpft war. Sie wollte alles - oder nichts. Leidenschaftliche, manchmal vielleicht chaotische Liebe und eine Partnerschaft, in der beide mit ganzem Herzen dabei waren.
Leider standen die Männer nicht gerade Schlange, um sich auf so etwas einzulassen.
„Okay, ich werde dran denken." Annabelle zog einen Schnellhefter aus ihrer großen Umhängetasche. „Kommen wir jetzt aber zum Wesentlichen. Ich habe die Informationen eingeholt, so wie versprochen", sagte sie und schob Heidi die Fotos, die sie bei den beiden Blumenläden im Ort gemacht hatte, zusammen mit den Preislisten zu.
Heidi seufzte. „Du bist echt wundervoll, und ich weiß die Hilfe wirklich zu schätzen."
Charlie plusterte sich auf. „Hey, ich habe den Kuchen für dich probiert. Das würde ich nicht für jeden machen."
Skeptisch musterte Heidi sie. „Bist du sicher?"
„Okay, okay, wenn es um Kuchen geht, wahrscheinlich doch. Aber ich habe es getan, weil du meine Freundin bist."
„Ihr zwei seid die Besten", sagte Heidi und strahlte. „Ehrlich, ich weiß nicht, wie ich euch danken soll."
Charlie hob die Hand. „Ich schwöre dir, wenn du anfängst zu heulen, bin ich sofort verschwunden. Du bist echt zu gefühlsduselig. Bist du sicher, dass du nicht schwanger bist?"
„Ja, bin ich. Es liegt nur daran, dass alle so nett sind und so hilfsbereit, was die Hochzeit angeht."
Heidi war gerade einmal seit zwei Wochen verlobt, was nicht sonderlich erwähnenswert gewesen wäre, wenn man einmal von der Tatsache absah, dass die Hochzeit schon Mitte August stattfinden sollte. Damit blieben kaum zwei Monate Zeit, um alles zu planen. Heidis einzige Familie bestand aus ihrem Großvater, sodass Annabelle und Charlie angeboten hatten, ihr bei den Vorbereitungen zu helfen.
Jetzt schauten sie sich die Blumenfotos genauer an. Heidi studierte die Arrangements und die Preise, hielt jedoch inne, als Jo an ihren Tisch trat, um sich zu erkundigen, was sie zum Mittag essen wollten.
„Übrigens", meinte Jo, während sie ihnen die Speisekarten reichte, „der Partyraum soll in ungefähr einem Monat eröffnet werden. Du hattest doch wegen der Brautparty danach gefragt."
Interessiert beugte Heidi sich vor. „Gestaltest du ihn so, wie du gesagt hast?"
Jo grinste. „Na klar, genauso feminin wie den Rest der Bar, mit besonders schmeichelnder Beleuchtung. Viele Tische, eine separate Bar, großer Flachbildschirm und eine kleine Bühne. Im Moment bin ich dabei, ein Menü auszuarbeiten. Wir können Appetithäppchen und Fingerfood anbieten oder normale warme Gerichte. Was du willst."
„Champagner?", fragte Heidi.
„Reichlich."
„Das klingt doch gut", meinte Annabelle. „Sollen wir deine Brautparty hier feiern?"
„In den Raum passen bis zu sechzig Leute rein", erzählte Jo ihnen.
„Da bräuchten wir niemanden von deiner Gästeliste zu streichen", stellte Charlie fest.
„Also, ich finde, das hört sich nach einem super Plan an", sagte Heidi glücklich.
Annabelle nickte. „Wir sagen dir noch Bescheid wegen des Datums."
„Okay." Jo nahm ihre Bestellungen auf. Salat für Annabelle und Heidi und einen Cheeseburger für Charlie.
„Und eine Portion Pommes für alle", fügte die Feuerwehrfrau hinzu und sah ihre Freundinnen dann grimmig an. „Ich kenne euch beiden doch. Sonst klaut ihr mir wieder meine Pommes."
„Das würde ich doch nie tun", log Annabelle fröhlich.
„Hallo, ich bin Annabelle Weiss."
Shane blickte von dem Sattel, den er gerade polierte, auf und kam abrupt auf die Füße. Statt einer grauen Maus mit Brille auf der Nase, eingehüllt in eine zu große Strickjacke und mit Wollstrümpfen, die ihr bis zu den Knöcheln hinuntergerutscht waren, erblickte er die zierliche, rothaarige Tänzerin aus der Bar, die ihn leicht amüsiert mit ihren grünen Augen anschaute.
Sie trug eins dieser engen Kleider mit Spaghettiträgern, das Frauen gern anzogen und Männer nur allzu gern anschauten. Was natürlich genau das war, was die Frauen damit bezweckten. Es war weiß und über und über mit Blümchen bedruckt. Schmale Stoffstreifen waren zusammengeflochten worden, um das Teil zusammenzuhalten. Es saß hauteng und umschmeichelte ihre beeindruckenden Kurven bis kurz oberhalb der Knie.
Rein technisch gesehen war sie bedeckt, ohne dass irgendein Stückchen Haut sichtbar war, das nicht hätte sichtbar sein dürfen. Aber die Form ihres Körpers genügte, um selbst den stärksten Mann in die Knie zu zwingen. Shane musste es wissen - er war nur ein oder zwei Herzschläge davon entfernt, zu Boden zu gehen.
Instinktiv versuchte er, sich selbst zu schützen. Einen Schritt nach vorn zu gehen, das kam gar nicht infrage - dadurch würde er ihr viel zu nahe kommen. Also machte er einen Schritt nach hinten und wäre fast über den Hocker gestolpert, auf dem er gesessen hatte. Der Hocker drohte umzukippen, und Shane versuchte, ihn festzuhalten. Genau wie die Frau. Irgendwie berührten sich dabei ihre Finger, und, verdammt, jetzt hatte es ihn erwischt. Begehren und Verlangen durchzuckten ihn wie ein Blitz.
„Sie sind Shane, oder?"
Hastig trat er den Rückzug an und schaffte es immerhin, kurz zu nicken, während er den Lappen, den er in den Händen hielt, nervös zusammenknüllte.
„Heidi hat gesagt, dass Sie bereit wären, mir das Reiten beizubringen." Hatte sie eben noch so ausgesehen, als würde sie sich amüsieren, wirkte sie auf einmal leicht verwirrt. So als fragte sie sich, warum niemand ihr erzählt hatte, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
„Auf einem Pferd", brachte er hervor, hätte sich im nächsten Moment aber am liebsten selbst in den Hintern getreten. Worauf denn wohl sonst, wenn nicht auf einem Pferd? Glaubte er etwa, sie wollte lernen, auf dem Elefanten seiner Mutter zu reiten?
Annabelles Mundwinkel zuckten. Es war ein perfekter, sinnlicher Mund. „Auf einem Pferd wäre schon gut. Sie scheinen ja diverse Exemplare davon zu haben."
Shane versuchte sich daran zu erinnern, dass er normalerweise durchaus eine gute Figur abgab, wenn er es mit Frauen zu tun hatte. Er war intelligent, witzig und konnte sogar charmant sein, wenn es die Gelegenheit erforderte. Jetzt allerdings war sein Blut derart in Wallung geraten, dass sein Hirn nichts anderes konnte, als immer und immer wieder zu schreien: „Sie ist es, sie ist es."
Die Chemie zwischen Mann und Frau, dachte er grimmig. Die konnte selbst den klügsten Mann in einen sabbernden Idioten verwandeln. Sein Verhalten in diesem Augenblick war der beste Beweis für diese Theorie.
Als ihm bewusst wurde, dass er noch immer einen alten Lappen in der einen und die Lederpflege in der anderen Hand hielt, stellte er beides auf die abgewetzte Arbeitsplatte.
„Das heißt, Sie möchten ein bisschen zum Vergnügen reiten?", fragte er, sehr darum bemüht, seiner Stimme einen neutralen Klang zu geben.
Annabelle seufzte. Dabei hob und senkte sich ihr Busen, und es kostete Shane all seine Willenskraft, den Blick abzuwenden.
„Ehrlich gesagt ist es ein wenig komplizierter", gab sie zu.
Kompliziert? Konnte er sich gar nicht vorstellen. Sie war eine wunderschöne Frau.
Er war ein Mann, der sie unbedingt haben musste, sonst würde für ihn die Welt untergehen. Was war einfacher?
Nur leider redete sie nicht über das, was er gerade dachte, und wenn sie wüsste, was ihm durch den Kopf ging, würde sie bestimmt mit der Mistgabel auf ihn losgehen, anschließend schreiend davonlaufen und ihn dann noch mit ihrem Wagen platt fahren, um ihm endgültig den Garaus zu machen. Er könnte es ihr nicht einmal verdenken.
Aber er war schlau genug, diese Gedanken zu vertreiben. Immerhin war er ein ganz normaler Kerl, der ein ganz normales Leben führen wollte. Er kannte Frauen wie sie. Genauer gesagt, er hatte eine Frau wie sie gekannt. Er hatte sie geheiratet und war dann während ihrer gesamten Ehe von ihr gequält worden. Frauen wie sie wollten Männer - alle Männer. Erst wenn sämtliche Kerle hinter ihnen her waren, waren sie glücklich. Auf keinen Fall würde er diesen Fehler noch einmal begehen und sich mit einer dieser wilden Frauen einlassen, die ihn mit einem einzigen Blick antörnen konnten. Im Augenblick klang langweilig sehr vielversprechend.
„Ich bin die Bibliothekarin hier im Ort ...", begann sie.
„Sind Sie sicher?"
Die Worte waren heraus, ehe er darüber nachdenken konnte.
Erstaunt hob Annabelle die Augenbrauen. „Ziemlich. Es ist mein Job, und bisher hat mir noch keiner gesagt, ich solle verschwinden, wenn ich bei der Arbeit aufgetaucht bin."
Na toll, Stryker, dachte er. Ganz toll.
„Ich hatte jemanden mit 'ner Brille erwartet. Sie wissen schon. Weil Bibliothekare so viel lesen."
Jetzt runzelte sie die Stirn. „Ich glaube, Sie sollten öfter mal Ihren Stall verlassen."
„Mag sein."
Sie zögerte, so als wüsste sie nicht genau, ob er witzig oder einfach nur unglaublich langsam war. „Okay."
Leider konnte er ihr auf keinen Fall die Wahrheit sagen. Zuzugeben, dass er noch nie so eine umwerfende Frau getroffen hatte und dass er nur deshalb wie ein unglaublicher Idiot klang, weil all sein Blut vom Kopf in südlichere Regionen geflossen war, würde wohl nur dazu führen, dass sie ihn wegen sexueller Belästigung verklagte. Das Einzige, was er jetzt machen konnte, war, noch einmal von vorn anzufangen.
„Erzählen Sie mir, was Sie sich vorgestellt haben", sagte er und schaute ihr dabei in die Augen, um ja nicht in Versuchung zu geraten, auf die sich stetig hebende und senkende Brust zu schauen oder auf die lackierten Zehen ihrer winzigen Füße, die einfach unglaublich niedlich aussahen. „Lassen Sie mich raten. Sie wollten schon seit Ihrer Kindheit Reiten lernen?"
Annabelle lachte. „Haben Sie mich mal angesehen? Pferde sind riesige Tiere. Warum sollte jemand so Kleines wie ich sein Leben auf einem Tier riskieren, das mich mit einem Gedanken zerschmettern könnte?" Während sie sprach, drehte sie sich ein wenig und streckte eins ihrer tollen Beine vor, um ihm den zwölf Zentimeter hohen Absatz ihrer Sandaletten zu zeigen.
Er vermutete, dass sie es getan hatte, um zu verdeutlichen, wie klein sie war. Seine Gedanken schweiften jedoch in eine ganz andere Richtung ... sie war klein und leicht genug, dass er sie ohne Umstände tragen konnte. Ihm schoss ein Bild durch den Kopf, von ihnen beiden, an eine Wand gelehnt, ihre Beine um seine Taille geschlungen, während sie ...
Shane ballte die Hände zu Fäusten, um das erotische Bild zu vertreiben, erinnerte sich hastig daran, dass seine Mutter wusste, dass er sich mit Annabelle traf, während er gleichzeitig versuchte, sich mit Pferderennstatistiken abzulenken. Als das alles nichts half, stellte er sich selbst ein paar Kopfrechenaufgaben.
„Größe hat damit nichts zu tun", sagte er schließlich und hätte dann am liebsten den Kopf gegen die Wand geschlagen. „Jockeys sind auch klein, und trotzdem können sie schnelle, kräftige Pferde kontrollieren."
Ihre Augen funkelten amüsiert. „Sicher. Logik. Das letzte Refugium der Männer."
Er brachte ein Lächeln zustande. „Ich muss mit dem arbeiten, was ich habe. Also, wir haben festgestellt, dass Reiten kein Kindheitstraum ist."
„Wohl kaum. Obwohl, ich wäre gern Ballerina geworden. Wie auch immer, ich muss Reiten lernen, weil ich Spenden für ein Büchermobil zusammenbekommen will. Wir haben Anfang des Jahres gerade das Medienzentrum fertiggestellt. Es ist wirklich toll geworden."
„Ist ein Büchermobil nicht ein wenig anachronistisch?"
„Sie meinen, weil man heutzutage alles aus dem Internet beziehen kann, sogar Bücher?"
Er nickte.
„Schön wär's. Wir haben eine Menge Leute hier in der Gegend, die nicht nur ziemlich zurückgezogen und weit abgelegen wohnen, sondern auch keinen Computer haben. Ältere Ehepaare, die in den Bergen wohnen und im Winter gar nicht in die Stadt kommen. Ein paar Leute im Rollstuhl. Diese Art von Menschen. Im Moment haben wir einen klapprigen alten Lieferwagen, der für diese Fahrten genutzt wird, aber da passt nicht viel rein. Außerdem hoffe ich, dass wir genügend Geld sammeln können, um ein paar Laptops anschaffen zu können, um diese abgeschieden lebenden Menschen in die wunderbare Welt der Computer und des Internets einzuweihen. Um ihnen sozusagen eine ganz neue Welt zu eröffnen."
Shane hätte nicht gedacht, dass es heutzutage überhaupt noch Menschen gab, die von Computern keine Ahnung hatten, aber natürlich musste es noch reichlich Leute geben, die entweder unfähig oder unwillig waren, den Schritt ins elektronische Zeitalter zu wagen.
„Ich habe mir mein Traumauto schon ausgesucht", fuhr Annabelle voller Enthusiasmus fort. „Es ist riesig und hat Vierradantrieb. Das ist wichtig, damit man auch im Winter damit in die Berge fahren kann."
„Wie viel müssen Sie zusammenbekommen?"
„Einhundertfünfunddreißigtausend Dollar."
Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Das ist eine Menge Auto."
„Ein Teil des Geldes würde für die Bücher und die Computer draufgehen."
So viel zu der Idee, ihr einfach nur einen Scheck zu überreichen. „Und was hat das Reiten mit der ganzen Sache zu tun?"
Sie lächelte. „Da können wir gleich mal testen, ob Sie im Geschichtsunterricht aufgepasst haben. Ich möchte bei einer Zeremonie reiten, in der das Máa-zib-Erbe gefeiert wird."
Shane verzog das Gesicht. „Das ist schon lange her." Er machte eine kleine Pause, bevor er nickte, als ihm ein paar Details, die er in der vierten oder fünften Klasse gelernt hatte, wieder einfielen. „Sie haben sich vor achthundert Jahren hier niedergelassen. Vielleicht auch schon früher. Es waren Maya-Frauen, die hier ihre eigene Kultur gegründet haben. Und habe ich nicht vor Kurzem erst etwas über irgendwelche Máa-zib-Goldfunde in den Nachrichten gehört?"
„Sie waren ein guter Schüler."
„Nicht wirklich. Ich wäre viel lieber draußen gewesen."
„Ich nicht. Ich habe meine Nase immer in irgendein Buch gesteckt. Wie auch immer, ja, das sind die grundlegenden Fakten. Am Ende des Sommers findet ein Festival statt, mit authentischem Máa-zib-Handwerk und Vorlesungen, mit einer Parade und mit mir auf einem Pferd, um den traditionellen Ritt der Kriegerinnen vorzuführen. Eigentlich ist es eher ein Tanz. Genauer gesagt nennt man es den Tanz des Pferdes."
„Sie wollen auf einem Pferd tanzen?"
„Nein. Das Pferd soll tanzen, während ich es reite."
Dieses Mal dachte Shane an den Hocker, als er einen Schritt nach hinten machte. „Haben Sie ein Tanzpferd?"
„Ähm, nein. Ich dachte, dass wir daran vielleicht auch arbeiten könnten."
Er machte noch einen Schritt von ihr fort. „Sie wollen, dass ich Ihnen beibringe, wie man reitet, und ich soll einem Pferd beibringen zu tanzen?"
„Ist das nicht möglich?"
Sie schaute ihn an und brachte ihn damit so aus dem Konzept, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Selbst als sie näher kam, blieb er regungslos stehen. Sie lächelte ihn an und legte eine Hand auf seinen Arm.
„Heidi hat gesagt, dass Sie unglaublich gut mit Pferden umgehen können. Es ist nur ein kleiner Tanz. Lediglich ein paar Schritte. Für einen guten Zweck."
Das, was sie da gerade machte, war ja an sich nichts Ungewöhnliches. In weiten Teilen des Landes würde man es als etwas Tolles ansehen, wenn eine schöne Frau den Arm eines Mannes berührte, auf jeden Fall würde man es nicht als gefährlich deklarieren. Aber Annabelle war ja auch nicht irgendeine Frau. Sie war diejenige, die auf dem Tresen in einer Bar getanzt hatte, diejenige, die er - vermutlich sehr zur Erheiterung der Schicksalsgöttin - einfach unwiderstehlich fand.
Warum konnte sie nicht so sein, wie er sich die typische Bibliothekarin vorstellte? Altbacken, Strickjacke tragend und langweilig? Vielleicht waren Bibliothekarinnen aber auch gar nicht so. Vielleicht waren sie alle so wild wie Annabelle, und diese Sache mit der Strickjacke war einfach nur ein großer Witz, den sie sich mit der Allgemeinheit erlaubten, weil die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um die Wahrheit zu erkennen? Wie auch immer, er war verloren. Verloren wegen eines Paars grüner Augen und wegen eines sexy Lächelns, das ihn wie ein Schlag in die Magengrube traf. Okay, es war kein Schlag, und der Körperteil, der auf Annabelle reagierte, war auch nicht unbedingt die Magengrube.
Am liebsten hätte er Nein gesagt, aber das brachte er nicht über die Lippen. Nicht nur, weil das Büchermobil eine gute Sache war, sondern auch, weil seine Mutter ihn mit einem sehr strafenden, enttäuschten Blick bedenken würde. Auch wenn er schon einige Jahre zuvor die Dreißig überschritten hatte, konnte er diesen Blick nicht ertragen.
„Ich bin ein Macho", brummte er und unterdrückte dann ein Stöhnen, als ihm bewusst wurde, dass er das laut ausgesprochen hatte.
Annabelle hob die Augenbrauen und machte einen Schritt zurück. „Ich bin ..." Sie räusperte sich. „... sicher, dass das der Wahrheit entspricht. Großer, tougher Cowboy und so."
Innerlich fluchend überlegte Shane, wie er aus der Nummer wieder rauskommen sollte.
Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, hörte er ein lautes Wiehern von einer der umzäunten Weiden. Er drehte sich um und sah den weißen Hengst am Gatter stehen, die dunklen Augen auf Annabelle gerichtet.
Auch sie wandte den Blick in die Richtung. „Oh, wow, das ist ja ein wunderschönes Pferd. Wie heißt es?"
„Khatar. Es ist ein Araberhengst."
Und ein Mistvieh, dachte Shane. Die Art von Pferd, das jeden wissen lassen wollte, dass er das Sagen hatte. Khatars vorheriger Besitzer war zu aggressiv gewesen und hatte versucht, den Willen des Pferdes zu brechen. Jetzt musste Shane versuchen, dieses Fehlverhalten wieder auszubügeln, was sich als eine ziemliche Herausforderung darstellte. Aber er würde es schaffen - er musste. Es stand einfach viel zu viel Geld auf dem Spiel, denn ansonsten war das Pferd in Topform.
Er drehte sich wieder zu Annabelle um. Selbst mit ihren hohen Absätzen reichte sie ihm kaum bis zur Schulter. Wenn er sie auf einen seiner ruhigeren Wallache setzte, würde sie vermutlich in ein oder zwei Wochen reiten können. Was das Tanzen anging, damit würde er sich später beschäftigen. Wenn er wieder in der Lage war, in ganzen Sätzen zu reden.
„Wann wollen Sie anfangen?", fragte er, beeindruckt, dass er die Worte tatsächlich fehlerfrei aneinandergereiht bekommen hatte.
Sie schaute ihn an und lächelte. „Wie wäre es mit morgen?"
„Sicher." Je eher sie anfingen, desto eher wären sie damit durch. Es wäre besser, wenn Annabelle schnellstens wieder aus seinem Leben verschwand. Sie konnte dann andere Männer quälen, und er könnte aufhören, sich wie ein Idiot zu benehmen. Das wäre doch für sie beide ein Gewinn, oder?
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Langsam, widerstrebend und voller Bedauern wandte er sich von der Frau ab und marschierte zum Ausgang. Er war in die Stadt gefahren, um ein Bier zu trinken und einen Burger zu essen. Eigentlich hatte er sich vorgestellt, mit ein paar Kumpels ein Spielchen machen oder einfach nur herumhängen zu können. Stattdessen war er auf eine barfüßige Göttin gestoßen, die einen Mann für ein Lächeln alle Hoffnungen und Träume vergessen lassen konnte. Deine Träume sind mehr wert, ermahnte er sich und blickte noch ein letztes Mal über die Schulter, bevor er hinaus in die warme Sommernacht trat.
Annabelle Weiss öffnete die Augen. „Es ist ganz einfach."
„Von wegen." Ihre Freundin Charlie Dixon stellte ihr Bier hin und schüttelte den Kopf. „Nein."
Schnell kletterte Annabelle vom Tresen herunter und stemmte die Hände in die Hüften. Auf diese Weise versuchte sie, einschüchternd zu wirken, was angesichts der Tatsache, dass Charlie mindestens zwanzig Zentimeter größer war als sie und über Muskeln verfügte, von denen Annabelle nicht einmal wissen wollte, dass man sie haben konnte, eine ziemlich sinnlose Geste war.
Sie wollte gerade weitere Argumente auffahren, vielleicht sogar einwerfen, dass es schließlich für die Kinder sei, als die - hauptsächlich weiblichen - Gäste ihr spontan applaudierten.
„Toller Tanz", rief jemand.
Annabelle drehte sich im Kreis. „Danke schön", rief sie. „Ich bin die ganze Woche hier." Erneut sah sie ihre Freundin an. „Du musst."
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich definitiv nicht muss."
„Red du mit ihr", wandte Annabelle sich an Heidi Simpson.
Heidi, eine hübsche Blondine, die sich erst kürzlich verlobt hatte und gerade dabei war, wieder einmal ihren Diamantring zu bewundern, blickte auf. „Was? Oh, tut mir leid, ich war abgelenkt."
„Lass mich raten, du hast an Rafe gedacht", grummelte Charlie. „Wir wissen es. Er ist wundervoll, du bist glücklich. So langsam nervt's."
Heidi lachte. „Wer ist jetzt die Zynikerin?"
„Das ist ja nun wahrlich nichts Neues. Ich war immer schon zynisch." Charlie schnappte sich ihr Bier und ging zu ihrem Tisch. Den, den sie verlassen hatten, als Annabelle angeboten hatte, ihren beiden Freundinnen den Tanz der glücklichen Jungfrau zu zeigen.
Als sie wieder saßen, wandte Annabelle sich an Charlie. „Pass auf, ich muss unbedingt Geld für mein Büchermobil auftreiben. Während unseres Stadtfestivals bietet sich dazu die beste Gelegenheit. Entweder der Tanz der glücklichen Jungfrau oder ein Ritt auf einem Pferd. Am Ende tust du dann so, als würdest du einem männlichen Opfer das Herz aus der Brust schneiden. Du kannst doch gut reiten und hast sogar ein eigenes Pferd."
Charlie kniff die blauen Augen zusammen. „Ich tanze definitiv nicht auf einem Pferd."
„Musst du ja auch gar nicht. Das Pferd soll tänzeln, und du musst anschließend dem Opfer das Herz herausschneiden."
„Mason ist kein Pferd, das tanzt."
Heidi beugte sich vor. „Annabelle, das ist dein Büchermobilprojekt. Du bist diejenige, die so wild darauf ist. Warum machst du es nicht selbst?"
„Ich kann doch gar nicht reiten."
„Das kann man lernen. Shane könnte es dir beibringen. Ich habe gesehen, wie er mit den Rodeocowboys trainiert hat. Er ist sehr geduldig."
„Ich glaube nicht, dass wir dafür noch genügend Zeit haben. Das Festival ist doch schon in zehn Wochen. Glaubst du wirklich, dass ich in so kurzer Zeit Reiten lernen könnte? Gut genug, um ein Pferd zum Tanzen zu bringen?" Sie wandte sich an Charlie. „Vor mehr als tausend Jahren haben die Máa-zib-Frauen alles, was sie kannten, verlassen und sind hierher ausgewandert. Es waren starke Frauen, die sich ein neues Zuhause aufbauen wollten. Sie haben sich hier niedergelassen, und sicherlich steckt noch etwas von ihrer Kraft und Entschlossenheit in jeder Einzelnen von uns."
Charlie trank einen Schluck Bier. „Hübsche kleine Rede und netter Versuch, aber nein, ich werde nicht auf oder mit meinem Pferd tanzen."
Frustriert ließ Annabelle die Schultern hängen. „Dann habe ich nichts."
Heidi drückte ihren Arm. „Ich hab's doch schon gesagt, mach es selbst. Du bist diejenige, die ständig von den Máa-zib-Frauen redet, davon, dass sie ihre Töchter davor bewahrt haben, geopfert zu werden, indem sie ihre Heimat verlassen haben. Sie waren es leid, dass ihre Töchter getötet wurden, ehe sie überhaupt eine Chance hatten zu leben, deshalb sind sie hierhergekommen. Um frei zu sein. Sei genauso tapfer wie sie."
Annabelle straffte sich. Sie war nun wirklich nicht der Typ, der eine Parade anführte, sondern eher still, ein Mensch, der hinter den Kulissen wirkte.
Sie öffnete den Mund, um zu erwidern: „Das kann ich nicht", aber irgendwie blieben ihr die Worte im Hals stecken. Denn wenn sie wollte, konnte sie. Sie konnte vieles. Aber ihr Leben lang hatte sie versucht, sich unauffällig zu verhalten, sich anzupassen. Angefangen bei ihren Eltern, denen sie es immer hatte recht machen wollen, bis hin zu sämtlichen Männern, mit denen sie ausgegangen war. Sie hatte sich immer als angepasst, aber nicht als stark angesehen.
Charlie starrte sie an. „Alles okay bei dir? Du siehst ein bisschen merkwürdig aus."
„Ich bin ein Schwächling", stellte Annabelle fest. „Eine Fußmatte, auf der alle herumtrampeln, und das ist die schlichte, ergreifende, wenn auch wenig schmeichelhafte Wahrheit."
Heidi und Charlie tauschten besorgte Blicke aus. „Okay", meinte Charlie langsam. „Du hast nicht gerade einen Anfall oder so was?"
„Nein, ich hatte gerade eine Eingebung. Ich war immer diejenige, die sich gebeugt hat, die die eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintangestellt hat, um es anderen recht zu machen."
„Du hast gerade auf dem Tresen getanzt", meinte Heidi achselzuckend. „Unabhängiger kann man doch gar nicht werden."
„Nur um das mal festzuhalten: Ich bin nicht betrunken. Ich habe Charlie nur den Tanz der glücklichen Jungfrau gezeigt, um sie davon zu überzeugen ..." Sie schüttelte den Kopf und stand auf. „Wisst ihr was? Ich mach es selbst. Ich lerne den Tanz auf dem Pferd. Und ich lerne Reiten. Es ist mein Büchermobil. Mein Spendenaufruf. Ich übernehme Verantwortung. Ich stelle mich der Herausforderung. Der Geist der Máa-zib-Frauen lebt auch in mir weiter.
„Auf geht's, Mädchen", ermunterte Charlie sie und grinste.
„Du warst gestern Abend aber früh zu Hause."
Shane drehte den Wasserhahn in der Scheune zu, und als er hochschaute, sah er seine Mutter auf sich zukommen. Es dämmerte gerade erst, doch sie war bereits aufgestanden und angezogen. Und, viel wichtiger, sie hielt in jeder Hand einen Becher Kaffee.
Dankbar nahm er den Becher, den sie ihm reichte, und trank einen Schluck. Bilder einer feurigen Rothaarigen hatten ihn bis in seinen unruhigen Schlaf hinein verfolgt.
„Stimmt, Jo's Bar war nicht ganz das, was ich erwartet hatte, auch wenn es hochinteressant dort war."
May, seine Mutter, die mit Mitte fünfzig noch immer sehr attraktiv war, lächelte. „Du warst in Jo's Bar? Ach Schätzchen, nein. Da gehen doch die Frauen aus der Stadt alle hin. Statt Sportsendungen kannst du dort die Shopping- oder Modesendungen im Fernsehen sehen. Du hättest deinen Bruder fragen sollen, wo sich die Männer zu einem Spielchen treffen. Kein Wunder, dass du so früh wieder zu Hause warst." Mit der freien Hand streichelte sie der Stute, die ihren Kopf über die Stalltür streckte, die Nüstern. „Hallo, meine Süße, hast du dich schon eingelebt? Ist es nicht toll in Fool's Gold?"
Die Stute nickte, als wollte sie bekunden, dass alles bestens war.
Shane musste zugeben, dass seine Pferde sich schneller eingelebt hatten, als er angenommen hatte. Die Fahrt von Tennessee hierher hatte ewig gedauert, aber die lange Reise hatte sich gelohnt. Er hatte zweihundert Morgen allerbestes Land etwas außerhalb der Stadt gekauft. Die Zeichnungen für ein Haus waren bereits fertig und, was noch viel wichtiger war, ebenso die Entwürfe für die Ställe. Die Bauarbeiten sollten noch in dieser Woche beginnen. Währenddessen hatten seine Pferde in den Ställen seiner Mutter Unterschlupf gefunden, und er selbst wohnte bei ihr im Haus - zusammen mit ihrem vierundsiebzigjährigen Freund Glen, seinem Bruder Rafe und dessen Verlobter Heidi. Das war definitiv kein Dauerzustand, aber übergangsweise würde es gehen.
Schließlich tat er genau das, was er immer hatte tun wollen, noch dazu an einem Ort, an dem er sich schon immer hatte niederlassen wollen. Er besaß Pferde und Land, und seine Familie war nahe genug, dass er sich wie zu Hause fühlen konnte, allerdings nicht so nahe, dass sie ihm im Wege sein würde, wenn sein Haus erst einmal fertig war. Nun musste er nur noch das Bild dieser Frau aus seinem Kopf bekommen.
„Mom, kennst du ..."
Den Rest der Frage verkniff er sich. Seine Mutter gehörte zu den Frauen, die jeden in der Stadt kannten. Wenn man ihr einen Namen nannte, konnte sie ihm innerhalb von einer Viertelstunde die Details der letzten vier Generationen dieser Familie herunterrasseln.
Doch er hatte keine Lust auf weitere Komplikationen und Probleme. Davon hatte er bereits genug gehabt, schließlich war er mit einer von den Frauen verheiratet gewesen, die einen Mann um den Verstand bringen konnten. Einer der Gründe, warum er sich von ihr hatte scheiden lassen. Er hatte genügend Aufregung in seinem Leben gehabt, davon konnte er noch zehren, bis er neunzig war. Jetzt war es an der Zeit, sich häuslich niederzulassen. Zeit, eine vernünftige Frau zu finden, eine, die zufrieden damit war, dass ein Mann sie liebte.
Seine Mutter musterte ihn, und wieder einmal fiel Shane auf, wie sehr ihre Augen seinen eigenen ähnelten. Ihr Mund verzog sich zu einem kleinen, wissenden Lächeln.
„Bitte, bitte, sag, dass du mich fragen wolltest, ob ich ein paar nette Frauen kenne."
Was soll's, dachte er und zuckte mit den Schultern. „Okay, kennst du eine? Jemanden, na ja, du weißt schon, jemanden Normales?" Nicht so eine wie die Göttin, die auf dem Bartresen getanzt hatte.
Seine Mutter zitterte schon fast vor Aufregung. „Ja, und sie ist wirklich perfekt. Eine Bibliothekarin. Annabelle Weiss heißt sie. Sie ist bezaubernd. Heidi hat mir erzählt, dass Annabelle gern Reiten lernen möchte. Du könntest ihr Unterricht geben."
Eine Bibliothekarin, so so. Im Geiste sah Shane eine unscheinbare Brünette vor sich, mit einer Brille auf der Nase, die Strickjacke bis oben hin zugeknöpft und mit praktischen Schuhen an den Füßen. Nicht gerade aufregend, aber das war okay. Er war jetzt in einem Alter, in dem er sich eine Familie wünschte, und nicht länger auf der Suche nach einer Frau, die sein Leben in Aufruhr versetzte.
„Was meinst du?", fragte seine Mutter nervös.
„Das klingt, als wäre sie perfekt."
„Na, zurück an den Tatort?"
Annabelle grinste ihre Freundin an. „Es hat keine Tat gegeben."
„Das weißt du, und auch ich weiß das, aber die Gerüchteküche brodelt, so viel kann ich dir verraten."
Annabelle hielt die Tür zu Jo's Bar auf und wartete, bis Charlie vor ihr in den hell erleuchteten Raum getreten war. Es war Mittagszeit in Fool's Gold, und an vielen der Tische saßen bereits Frauen und aßen. Jo hatte mit ihrer Bar einen Treffpunkt für den weiblichen Teil der Bevölkerung geschaffen und für die Inneneinrichtung feminine Farben wie Mauve- und Cremetöne gewählt. Tagsüber waren die großen Fernsehgeräte an den Wänden entweder ausgeschaltet oder auf Shoppingsender und Realityshows eingestellt. Auf der Speisekarte gab es viele Salate und Sandwiches, deren Kalorienangaben jeweils dezent am Rand vermerkt waren.
Annabelle folgte Charlie zu einem Tisch und setzte sich.
„Alle reden davon, dass du auf dem Tresen getanzt hast."
Annabelle lachte. „Ist mir egal. Es war ja für einen guten Zweck. Selbst wenn ich dich damit nicht überzeugen konnte, an meinem Festival teilzunehmen. Aber das ist schon okay. Ich werde es selbst machen." Sie verzog ein wenig das Gesicht. „Aber du versicherst hoffentlich allen Leuten, dass ich nicht betrunken war, oder?"
Sie hatte am Abend zuvor nämlich nicht einmal ein Glas Wein getrunken. Ihre Tanzeinlage auf dem Tresen war eher aus einem Gefühl der Unruhe heraus entstanden und weniger dem Bedürfnis entsprungen anzugeben, und sie hatte definitiv nichts mit ihrem Alkoholpegel zu tun gehabt.
Charlie grinste. „Ich schwöre, ich halte mich strikt an die Geschichte mit dem einen Glas Wein. Die Archäologen waren jedoch fasziniert. Ich glaube, der Tanz der glücklichen Jungfrau hat dir bei ihnen zu noch mehr Ansehen verholfen."
„Ja, weil sie so ein wilder Haufen sind", meinte Annabelle ironisch.
Im vergangenen Herbst hatten Arbeiter, als sie auf einer Baustelle ein Stück vom Berg gesprengt hatten, Gold der Máa-zib entdeckt. Archäologen waren in Scharen nach Fool's Gold gepilgert, um sich der Schätze anzunehmen. Sobald die Fundstücke untersucht und katalogisiert wären, sollten sie der Stadt zurückgegeben werden.
„Bist du eigentlich an der Sache beteiligt?", fragte Charlie.
„Ich bin eher eine inoffizielle Hilfskraft", erwiderte Annabelle. „Dadurch, dass ich an der Uni die Kultur der Máa-zib als Nebenfach belegt habe, verfüge ich gerade über genügend Wissen, um die Profis hin und wieder zu ärgern."
„Die meisten Profis müssen auch ab und zu geärgert werden."
Annabelle war Charlie für ihre Loyalität dankbar. „Dann ist meine Arbeit hier getan."
Die Tür wurde geöffnet, und Heidi kam herein. Als sie die beiden anderen sah, winkte sie und kam zu ihnen an den Tisch.
„Shane hat Ja gesagt", erzählte Heidi aufgeregt. „Er bringt dir bei, wie man das mit dem Pferdetanz macht. Oder besser gesagt, er bringt dir das Reiten bei. Ich glaube, seine Mom hat den Tanz gar nicht erwähnt."
„Ist wahrscheinlich auch besser, ihm das schonend beizubringen", meinte Charlie.
„Du hast recht." Heidi lachte. „Er ist ein erfolgreicher Pferdetrainer. Die Sache mit dem Tanzen wird nicht unbedingt sein Ding sein. Du musst es ihm ganz vorsichtig unterjubeln."
Das ist es, was ich so mag, dachte Annabelle glücklich. Ihre Freundinnen und - meistens jedenfalls - ihr derzeitiges Leben. Sie hatte einen wunderbaren Job in einem Ort, den sie wirklich gern mochte. Sie gehörte dazu. Und wenn sie ein wenig neidisch wurde, wenn sich das Licht in Heidis Verlobungsring mit dem funkelnden Diamanten fing, na ja, dann war das auch okay.
In Wahrheit war ihr der Diamant völlig egal, aber das, was er repräsentierte, erfüllte sie mit Neid. Liebe. Wahre Liebe. Rafe versuchte nicht, Heidi zu verändern, sondern liebte sie so, wie sie war. So etwas hatte Annabelle noch nie erlebt. Die Erkenntnis, die sie am Abend zuvor gewonnen hatte, war ihr noch immer frisch im Gedächtnis. Sie wollte mehr als eine Liebe, die an Bedingungen geknüpft war. Sie wollte alles - oder nichts. Leidenschaftliche, manchmal vielleicht chaotische Liebe und eine Partnerschaft, in der beide mit ganzem Herzen dabei waren.
Leider standen die Männer nicht gerade Schlange, um sich auf so etwas einzulassen.
„Okay, ich werde dran denken." Annabelle zog einen Schnellhefter aus ihrer großen Umhängetasche. „Kommen wir jetzt aber zum Wesentlichen. Ich habe die Informationen eingeholt, so wie versprochen", sagte sie und schob Heidi die Fotos, die sie bei den beiden Blumenläden im Ort gemacht hatte, zusammen mit den Preislisten zu.
Heidi seufzte. „Du bist echt wundervoll, und ich weiß die Hilfe wirklich zu schätzen."
Charlie plusterte sich auf. „Hey, ich habe den Kuchen für dich probiert. Das würde ich nicht für jeden machen."
Skeptisch musterte Heidi sie. „Bist du sicher?"
„Okay, okay, wenn es um Kuchen geht, wahrscheinlich doch. Aber ich habe es getan, weil du meine Freundin bist."
„Ihr zwei seid die Besten", sagte Heidi und strahlte. „Ehrlich, ich weiß nicht, wie ich euch danken soll."
Charlie hob die Hand. „Ich schwöre dir, wenn du anfängst zu heulen, bin ich sofort verschwunden. Du bist echt zu gefühlsduselig. Bist du sicher, dass du nicht schwanger bist?"
„Ja, bin ich. Es liegt nur daran, dass alle so nett sind und so hilfsbereit, was die Hochzeit angeht."
Heidi war gerade einmal seit zwei Wochen verlobt, was nicht sonderlich erwähnenswert gewesen wäre, wenn man einmal von der Tatsache absah, dass die Hochzeit schon Mitte August stattfinden sollte. Damit blieben kaum zwei Monate Zeit, um alles zu planen. Heidis einzige Familie bestand aus ihrem Großvater, sodass Annabelle und Charlie angeboten hatten, ihr bei den Vorbereitungen zu helfen.
Jetzt schauten sie sich die Blumenfotos genauer an. Heidi studierte die Arrangements und die Preise, hielt jedoch inne, als Jo an ihren Tisch trat, um sich zu erkundigen, was sie zum Mittag essen wollten.
„Übrigens", meinte Jo, während sie ihnen die Speisekarten reichte, „der Partyraum soll in ungefähr einem Monat eröffnet werden. Du hattest doch wegen der Brautparty danach gefragt."
Interessiert beugte Heidi sich vor. „Gestaltest du ihn so, wie du gesagt hast?"
Jo grinste. „Na klar, genauso feminin wie den Rest der Bar, mit besonders schmeichelnder Beleuchtung. Viele Tische, eine separate Bar, großer Flachbildschirm und eine kleine Bühne. Im Moment bin ich dabei, ein Menü auszuarbeiten. Wir können Appetithäppchen und Fingerfood anbieten oder normale warme Gerichte. Was du willst."
„Champagner?", fragte Heidi.
„Reichlich."
„Das klingt doch gut", meinte Annabelle. „Sollen wir deine Brautparty hier feiern?"
„In den Raum passen bis zu sechzig Leute rein", erzählte Jo ihnen.
„Da bräuchten wir niemanden von deiner Gästeliste zu streichen", stellte Charlie fest.
„Also, ich finde, das hört sich nach einem super Plan an", sagte Heidi glücklich.
Annabelle nickte. „Wir sagen dir noch Bescheid wegen des Datums."
„Okay." Jo nahm ihre Bestellungen auf. Salat für Annabelle und Heidi und einen Cheeseburger für Charlie.
„Und eine Portion Pommes für alle", fügte die Feuerwehrfrau hinzu und sah ihre Freundinnen dann grimmig an. „Ich kenne euch beiden doch. Sonst klaut ihr mir wieder meine Pommes."
„Das würde ich doch nie tun", log Annabelle fröhlich.
„Hallo, ich bin Annabelle Weiss."
Shane blickte von dem Sattel, den er gerade polierte, auf und kam abrupt auf die Füße. Statt einer grauen Maus mit Brille auf der Nase, eingehüllt in eine zu große Strickjacke und mit Wollstrümpfen, die ihr bis zu den Knöcheln hinuntergerutscht waren, erblickte er die zierliche, rothaarige Tänzerin aus der Bar, die ihn leicht amüsiert mit ihren grünen Augen anschaute.
Sie trug eins dieser engen Kleider mit Spaghettiträgern, das Frauen gern anzogen und Männer nur allzu gern anschauten. Was natürlich genau das war, was die Frauen damit bezweckten. Es war weiß und über und über mit Blümchen bedruckt. Schmale Stoffstreifen waren zusammengeflochten worden, um das Teil zusammenzuhalten. Es saß hauteng und umschmeichelte ihre beeindruckenden Kurven bis kurz oberhalb der Knie.
Rein technisch gesehen war sie bedeckt, ohne dass irgendein Stückchen Haut sichtbar war, das nicht hätte sichtbar sein dürfen. Aber die Form ihres Körpers genügte, um selbst den stärksten Mann in die Knie zu zwingen. Shane musste es wissen - er war nur ein oder zwei Herzschläge davon entfernt, zu Boden zu gehen.
Instinktiv versuchte er, sich selbst zu schützen. Einen Schritt nach vorn zu gehen, das kam gar nicht infrage - dadurch würde er ihr viel zu nahe kommen. Also machte er einen Schritt nach hinten und wäre fast über den Hocker gestolpert, auf dem er gesessen hatte. Der Hocker drohte umzukippen, und Shane versuchte, ihn festzuhalten. Genau wie die Frau. Irgendwie berührten sich dabei ihre Finger, und, verdammt, jetzt hatte es ihn erwischt. Begehren und Verlangen durchzuckten ihn wie ein Blitz.
„Sie sind Shane, oder?"
Hastig trat er den Rückzug an und schaffte es immerhin, kurz zu nicken, während er den Lappen, den er in den Händen hielt, nervös zusammenknüllte.
„Heidi hat gesagt, dass Sie bereit wären, mir das Reiten beizubringen." Hatte sie eben noch so ausgesehen, als würde sie sich amüsieren, wirkte sie auf einmal leicht verwirrt. So als fragte sie sich, warum niemand ihr erzählt hatte, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
„Auf einem Pferd", brachte er hervor, hätte sich im nächsten Moment aber am liebsten selbst in den Hintern getreten. Worauf denn wohl sonst, wenn nicht auf einem Pferd? Glaubte er etwa, sie wollte lernen, auf dem Elefanten seiner Mutter zu reiten?
Annabelles Mundwinkel zuckten. Es war ein perfekter, sinnlicher Mund. „Auf einem Pferd wäre schon gut. Sie scheinen ja diverse Exemplare davon zu haben."
Shane versuchte sich daran zu erinnern, dass er normalerweise durchaus eine gute Figur abgab, wenn er es mit Frauen zu tun hatte. Er war intelligent, witzig und konnte sogar charmant sein, wenn es die Gelegenheit erforderte. Jetzt allerdings war sein Blut derart in Wallung geraten, dass sein Hirn nichts anderes konnte, als immer und immer wieder zu schreien: „Sie ist es, sie ist es."
Die Chemie zwischen Mann und Frau, dachte er grimmig. Die konnte selbst den klügsten Mann in einen sabbernden Idioten verwandeln. Sein Verhalten in diesem Augenblick war der beste Beweis für diese Theorie.
Als ihm bewusst wurde, dass er noch immer einen alten Lappen in der einen und die Lederpflege in der anderen Hand hielt, stellte er beides auf die abgewetzte Arbeitsplatte.
„Das heißt, Sie möchten ein bisschen zum Vergnügen reiten?", fragte er, sehr darum bemüht, seiner Stimme einen neutralen Klang zu geben.
Annabelle seufzte. Dabei hob und senkte sich ihr Busen, und es kostete Shane all seine Willenskraft, den Blick abzuwenden.
„Ehrlich gesagt ist es ein wenig komplizierter", gab sie zu.
Kompliziert? Konnte er sich gar nicht vorstellen. Sie war eine wunderschöne Frau.
Er war ein Mann, der sie unbedingt haben musste, sonst würde für ihn die Welt untergehen. Was war einfacher?
Nur leider redete sie nicht über das, was er gerade dachte, und wenn sie wüsste, was ihm durch den Kopf ging, würde sie bestimmt mit der Mistgabel auf ihn losgehen, anschließend schreiend davonlaufen und ihn dann noch mit ihrem Wagen platt fahren, um ihm endgültig den Garaus zu machen. Er könnte es ihr nicht einmal verdenken.
Aber er war schlau genug, diese Gedanken zu vertreiben. Immerhin war er ein ganz normaler Kerl, der ein ganz normales Leben führen wollte. Er kannte Frauen wie sie. Genauer gesagt, er hatte eine Frau wie sie gekannt. Er hatte sie geheiratet und war dann während ihrer gesamten Ehe von ihr gequält worden. Frauen wie sie wollten Männer - alle Männer. Erst wenn sämtliche Kerle hinter ihnen her waren, waren sie glücklich. Auf keinen Fall würde er diesen Fehler noch einmal begehen und sich mit einer dieser wilden Frauen einlassen, die ihn mit einem einzigen Blick antörnen konnten. Im Augenblick klang langweilig sehr vielversprechend.
„Ich bin die Bibliothekarin hier im Ort ...", begann sie.
„Sind Sie sicher?"
Die Worte waren heraus, ehe er darüber nachdenken konnte.
Erstaunt hob Annabelle die Augenbrauen. „Ziemlich. Es ist mein Job, und bisher hat mir noch keiner gesagt, ich solle verschwinden, wenn ich bei der Arbeit aufgetaucht bin."
Na toll, Stryker, dachte er. Ganz toll.
„Ich hatte jemanden mit 'ner Brille erwartet. Sie wissen schon. Weil Bibliothekare so viel lesen."
Jetzt runzelte sie die Stirn. „Ich glaube, Sie sollten öfter mal Ihren Stall verlassen."
„Mag sein."
Sie zögerte, so als wüsste sie nicht genau, ob er witzig oder einfach nur unglaublich langsam war. „Okay."
Leider konnte er ihr auf keinen Fall die Wahrheit sagen. Zuzugeben, dass er noch nie so eine umwerfende Frau getroffen hatte und dass er nur deshalb wie ein unglaublicher Idiot klang, weil all sein Blut vom Kopf in südlichere Regionen geflossen war, würde wohl nur dazu führen, dass sie ihn wegen sexueller Belästigung verklagte. Das Einzige, was er jetzt machen konnte, war, noch einmal von vorn anzufangen.
„Erzählen Sie mir, was Sie sich vorgestellt haben", sagte er und schaute ihr dabei in die Augen, um ja nicht in Versuchung zu geraten, auf die sich stetig hebende und senkende Brust zu schauen oder auf die lackierten Zehen ihrer winzigen Füße, die einfach unglaublich niedlich aussahen. „Lassen Sie mich raten. Sie wollten schon seit Ihrer Kindheit Reiten lernen?"
Annabelle lachte. „Haben Sie mich mal angesehen? Pferde sind riesige Tiere. Warum sollte jemand so Kleines wie ich sein Leben auf einem Tier riskieren, das mich mit einem Gedanken zerschmettern könnte?" Während sie sprach, drehte sie sich ein wenig und streckte eins ihrer tollen Beine vor, um ihm den zwölf Zentimeter hohen Absatz ihrer Sandaletten zu zeigen.
Er vermutete, dass sie es getan hatte, um zu verdeutlichen, wie klein sie war. Seine Gedanken schweiften jedoch in eine ganz andere Richtung ... sie war klein und leicht genug, dass er sie ohne Umstände tragen konnte. Ihm schoss ein Bild durch den Kopf, von ihnen beiden, an eine Wand gelehnt, ihre Beine um seine Taille geschlungen, während sie ...
Shane ballte die Hände zu Fäusten, um das erotische Bild zu vertreiben, erinnerte sich hastig daran, dass seine Mutter wusste, dass er sich mit Annabelle traf, während er gleichzeitig versuchte, sich mit Pferderennstatistiken abzulenken. Als das alles nichts half, stellte er sich selbst ein paar Kopfrechenaufgaben.
„Größe hat damit nichts zu tun", sagte er schließlich und hätte dann am liebsten den Kopf gegen die Wand geschlagen. „Jockeys sind auch klein, und trotzdem können sie schnelle, kräftige Pferde kontrollieren."
Ihre Augen funkelten amüsiert. „Sicher. Logik. Das letzte Refugium der Männer."
Er brachte ein Lächeln zustande. „Ich muss mit dem arbeiten, was ich habe. Also, wir haben festgestellt, dass Reiten kein Kindheitstraum ist."
„Wohl kaum. Obwohl, ich wäre gern Ballerina geworden. Wie auch immer, ich muss Reiten lernen, weil ich Spenden für ein Büchermobil zusammenbekommen will. Wir haben Anfang des Jahres gerade das Medienzentrum fertiggestellt. Es ist wirklich toll geworden."
„Ist ein Büchermobil nicht ein wenig anachronistisch?"
„Sie meinen, weil man heutzutage alles aus dem Internet beziehen kann, sogar Bücher?"
Er nickte.
„Schön wär's. Wir haben eine Menge Leute hier in der Gegend, die nicht nur ziemlich zurückgezogen und weit abgelegen wohnen, sondern auch keinen Computer haben. Ältere Ehepaare, die in den Bergen wohnen und im Winter gar nicht in die Stadt kommen. Ein paar Leute im Rollstuhl. Diese Art von Menschen. Im Moment haben wir einen klapprigen alten Lieferwagen, der für diese Fahrten genutzt wird, aber da passt nicht viel rein. Außerdem hoffe ich, dass wir genügend Geld sammeln können, um ein paar Laptops anschaffen zu können, um diese abgeschieden lebenden Menschen in die wunderbare Welt der Computer und des Internets einzuweihen. Um ihnen sozusagen eine ganz neue Welt zu eröffnen."
Shane hätte nicht gedacht, dass es heutzutage überhaupt noch Menschen gab, die von Computern keine Ahnung hatten, aber natürlich musste es noch reichlich Leute geben, die entweder unfähig oder unwillig waren, den Schritt ins elektronische Zeitalter zu wagen.
„Ich habe mir mein Traumauto schon ausgesucht", fuhr Annabelle voller Enthusiasmus fort. „Es ist riesig und hat Vierradantrieb. Das ist wichtig, damit man auch im Winter damit in die Berge fahren kann."
„Wie viel müssen Sie zusammenbekommen?"
„Einhundertfünfunddreißigtausend Dollar."
Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Das ist eine Menge Auto."
„Ein Teil des Geldes würde für die Bücher und die Computer draufgehen."
So viel zu der Idee, ihr einfach nur einen Scheck zu überreichen. „Und was hat das Reiten mit der ganzen Sache zu tun?"
Sie lächelte. „Da können wir gleich mal testen, ob Sie im Geschichtsunterricht aufgepasst haben. Ich möchte bei einer Zeremonie reiten, in der das Máa-zib-Erbe gefeiert wird."
Shane verzog das Gesicht. „Das ist schon lange her." Er machte eine kleine Pause, bevor er nickte, als ihm ein paar Details, die er in der vierten oder fünften Klasse gelernt hatte, wieder einfielen. „Sie haben sich vor achthundert Jahren hier niedergelassen. Vielleicht auch schon früher. Es waren Maya-Frauen, die hier ihre eigene Kultur gegründet haben. Und habe ich nicht vor Kurzem erst etwas über irgendwelche Máa-zib-Goldfunde in den Nachrichten gehört?"
„Sie waren ein guter Schüler."
„Nicht wirklich. Ich wäre viel lieber draußen gewesen."
„Ich nicht. Ich habe meine Nase immer in irgendein Buch gesteckt. Wie auch immer, ja, das sind die grundlegenden Fakten. Am Ende des Sommers findet ein Festival statt, mit authentischem Máa-zib-Handwerk und Vorlesungen, mit einer Parade und mit mir auf einem Pferd, um den traditionellen Ritt der Kriegerinnen vorzuführen. Eigentlich ist es eher ein Tanz. Genauer gesagt nennt man es den Tanz des Pferdes."
„Sie wollen auf einem Pferd tanzen?"
„Nein. Das Pferd soll tanzen, während ich es reite."
Dieses Mal dachte Shane an den Hocker, als er einen Schritt nach hinten machte. „Haben Sie ein Tanzpferd?"
„Ähm, nein. Ich dachte, dass wir daran vielleicht auch arbeiten könnten."
Er machte noch einen Schritt von ihr fort. „Sie wollen, dass ich Ihnen beibringe, wie man reitet, und ich soll einem Pferd beibringen zu tanzen?"
„Ist das nicht möglich?"
Sie schaute ihn an und brachte ihn damit so aus dem Konzept, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Selbst als sie näher kam, blieb er regungslos stehen. Sie lächelte ihn an und legte eine Hand auf seinen Arm.
„Heidi hat gesagt, dass Sie unglaublich gut mit Pferden umgehen können. Es ist nur ein kleiner Tanz. Lediglich ein paar Schritte. Für einen guten Zweck."
Das, was sie da gerade machte, war ja an sich nichts Ungewöhnliches. In weiten Teilen des Landes würde man es als etwas Tolles ansehen, wenn eine schöne Frau den Arm eines Mannes berührte, auf jeden Fall würde man es nicht als gefährlich deklarieren. Aber Annabelle war ja auch nicht irgendeine Frau. Sie war diejenige, die auf dem Tresen in einer Bar getanzt hatte, diejenige, die er - vermutlich sehr zur Erheiterung der Schicksalsgöttin - einfach unwiderstehlich fand.
Warum konnte sie nicht so sein, wie er sich die typische Bibliothekarin vorstellte? Altbacken, Strickjacke tragend und langweilig? Vielleicht waren Bibliothekarinnen aber auch gar nicht so. Vielleicht waren sie alle so wild wie Annabelle, und diese Sache mit der Strickjacke war einfach nur ein großer Witz, den sie sich mit der Allgemeinheit erlaubten, weil die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um die Wahrheit zu erkennen? Wie auch immer, er war verloren. Verloren wegen eines Paars grüner Augen und wegen eines sexy Lächelns, das ihn wie ein Schlag in die Magengrube traf. Okay, es war kein Schlag, und der Körperteil, der auf Annabelle reagierte, war auch nicht unbedingt die Magengrube.
Am liebsten hätte er Nein gesagt, aber das brachte er nicht über die Lippen. Nicht nur, weil das Büchermobil eine gute Sache war, sondern auch, weil seine Mutter ihn mit einem sehr strafenden, enttäuschten Blick bedenken würde. Auch wenn er schon einige Jahre zuvor die Dreißig überschritten hatte, konnte er diesen Blick nicht ertragen.
„Ich bin ein Macho", brummte er und unterdrückte dann ein Stöhnen, als ihm bewusst wurde, dass er das laut ausgesprochen hatte.
Annabelle hob die Augenbrauen und machte einen Schritt zurück. „Ich bin ..." Sie räusperte sich. „... sicher, dass das der Wahrheit entspricht. Großer, tougher Cowboy und so."
Innerlich fluchend überlegte Shane, wie er aus der Nummer wieder rauskommen sollte.
Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, hörte er ein lautes Wiehern von einer der umzäunten Weiden. Er drehte sich um und sah den weißen Hengst am Gatter stehen, die dunklen Augen auf Annabelle gerichtet.
Auch sie wandte den Blick in die Richtung. „Oh, wow, das ist ja ein wunderschönes Pferd. Wie heißt es?"
„Khatar. Es ist ein Araberhengst."
Und ein Mistvieh, dachte Shane. Die Art von Pferd, das jeden wissen lassen wollte, dass er das Sagen hatte. Khatars vorheriger Besitzer war zu aggressiv gewesen und hatte versucht, den Willen des Pferdes zu brechen. Jetzt musste Shane versuchen, dieses Fehlverhalten wieder auszubügeln, was sich als eine ziemliche Herausforderung darstellte. Aber er würde es schaffen - er musste. Es stand einfach viel zu viel Geld auf dem Spiel, denn ansonsten war das Pferd in Topform.
Er drehte sich wieder zu Annabelle um. Selbst mit ihren hohen Absätzen reichte sie ihm kaum bis zur Schulter. Wenn er sie auf einen seiner ruhigeren Wallache setzte, würde sie vermutlich in ein oder zwei Wochen reiten können. Was das Tanzen anging, damit würde er sich später beschäftigen. Wenn er wieder in der Lage war, in ganzen Sätzen zu reden.
„Wann wollen Sie anfangen?", fragte er, beeindruckt, dass er die Worte tatsächlich fehlerfrei aneinandergereiht bekommen hatte.
Sie schaute ihn an und lächelte. „Wie wäre es mit morgen?"
„Sicher." Je eher sie anfingen, desto eher wären sie damit durch. Es wäre besser, wenn Annabelle schnellstens wieder aus seinem Leben verschwand. Sie konnte dann andere Männer quälen, und er könnte aufhören, sich wie ein Idiot zu benehmen. Das wäre doch für sie beide ein Gewinn, oder?
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Autoren-Porträt von Susan Mallery
In ihren mehr als 35 Liebesromanen gelingt es Susan Mallery immer wieder aufs Neue, Humor mit großen Gefühlen zu kombinieren und außerordentliche Charaktere zu schaffen, die in der Fantasie der Leser weiterleben.Susan ist verheiratet und lebt mit Ihrem Mann in Südkalifornien, wo die Sonne immer scheint und exzentrische Anwandlungen eines Autors als normal angesehen werden. Sie hat einen großartigen Stiefsohn und zwei schöne, aber nicht sehr kluge Katzen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Susan Mallery
- 2014, 1. Aufl., 352 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Gabriele Ramm
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862788733
- ISBN-13: 9783862788736
- Erscheinungsdatum: 13.02.2014
Rezension zu „Stille Küsse sind tief / Fool's Gold Bd.10 “
"Wenn es um herzberührende Liebesgeschichten geht, spielt Susan Mallery in einer ganz eigenen Liga." Romantic Times Book Reviews
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