Sturm über Beauregard Abbey
Roman
Ein geheimnisvolles, altes Buch führt die Sprachwissenschaftlerin Zuleika nach Beauregard Abbey in den schottischen Highlands. Schon bald geschehen dort merkwürdige Dinge. Zuleika erkennt bald, dass sie es mit einem Buch für Schwarze Magie zu tun hat.
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Produktinformationen zu „Sturm über Beauregard Abbey “
Ein geheimnisvolles, altes Buch führt die Sprachwissenschaftlerin Zuleika nach Beauregard Abbey in den schottischen Highlands. Schon bald geschehen dort merkwürdige Dinge. Zuleika erkennt bald, dass sie es mit einem Buch für Schwarze Magie zu tun hat.
Klappentext zu „Sturm über Beauregard Abbey “
Teufelsbeschwörung, grausame Riten, Mord und Unzucht - mit ihren Forschungen im Internat Beauregard Abbey scheint die Wissenschaftlerin Zuleika Rathbone dem Bösen selbst auf der Spur zu sein. Reicht die Magie eines geheimnisvollen alten Buches tatsächlich bis in die Gegenwart? Kann das Spiel einer Geige wirklich unschuldige Schüler in den Tod treiben?Unter Einsatz ihres Lebens gelingt es Zuleika, das Böse aus Beauregard Abbey zu bannen.
Vorerst ...
Lese-Probe zu „Sturm über Beauregard Abbey “
Sturm über Beauregard Abbey von Elizabeth EdmondsonYorkshire, Beauregard, 1538
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Die Reiter auf dem Hügelkamm waren dunkle Schatten vor dem fahlen östlichen Himmel.
Der Beauftragte des Königs saß eingehüllt in seinen Mantel, der die üble feuchte Nachtluft abhielt, auf seinem Rappen und blickte zur Abtei von Beauregard hinüber, deren schemenhafte Masse im matten Mondlicht hockte. Jetzt zur Matutin, da die Lebensgeister und die Widerstandskraft am schwächsten waren, sah er durch die Fenster der mächtigen Abteikirche den Schein flackernder Kerzen. Die leichte Brise der Spätsommernacht trug Stimmen zu ihm herauf, einen Gesang, wie er seit über vierhundert Jahren im Morgengrauen erklang.
Er bezweifelte, ob auch nur die Hälfte der Mönche, die noch in der Abtei lebten, aufgestanden war, um das Stundengebet zu singen. In den vergangenen Monaten hatte er Erkundigungen über die Mönche von Beauregard eingeholt. Beharrlich hatte er für die lockeren Sitten und die Untaten des Ordens insgeheim Beweise gesammelt. Er hatte schriftliche, beeidigte Zeugnisse betreffend die fleischliche Verderbtheit und die Unzucht der Mönche und die weit schlimmeren Verbrechen der Hexerei, der Zauberei und der Anrufung böser Geister. Geisterbeschwörung sollte keinen Platz haben in Gottes Königreich, und schon gar nicht unter jenen, die vorgaben, ein religiöses Leben zu führen.
Wohlüberlegt hatte er diese Stunde gewählt, wenn die Mönche noch schnarchend in ihren Zellen lagen, wenn der Torwächter schläfrig und unachtsam war und sogar die Hunde matt dalagen, mit zuckender Schnauze, als würden sie in ihren Träumen Ratten jagen. Die frühe Stunde, die Verwirrung der aus dem Schlaf gerissenen Mönche würden dem Beauftragten des Königs und seinen Männern ihre Aufgabe erleichtern.
Im grauen Licht der Morgendämmerung, Nebel stieg vom Fluss unweit der Klostermauern auf, erteilte der Beauftragte des Königs die letzten Anweisungen.
«Es sind drei, die zuallererst festgesetzt werden müssen: der Abt, der Prior und Bruder Richard, einer der Mönche. Der Prior ist ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann mit einer Narbe unterm Auge, er ist unansehnlich, nicht nur wegen der Narbe. Über den Bruder Richard weiß ich nichts, die Mönche werden ihn euch zeigen. Die drei sind zu binden und einzeln herauszuführen. Keiner darf entwischen.»
Nicht alle Mönche in Beauregard lagen noch in tiefem Schlummer. Prior Walter de Malyns fand oft keine Ruhe. Er brauchte wenig Schlaf und kehrte nach dem ersten Stundengebet selten in seine Zelle zurück. Und er hatte gute Ohren. In der klaren, kalten Luft hörte er dumpfe Laute, Hufgeklapper aus Richtung der Hügel, das leise Klirren von Sporen und Zaumzeug, und er wusste, was sie ankündigten. Er warf sich seinen Mantel um und stieg die schmale Wendeltreppe zum Turm hinauf. Von dort oben ließ er seinen Blick über die neblig graue Landschaft schweifen und entdeckte auf der anderen Seite des Tals die Reiter, die den Hügel herunterkamen.
Der Prior ging über die Steinstufen wieder nach unten und eilte auf leisen Sohlen zum Schlaftrakt der Mönche. In der letzten Zelle fand er Bruder Richard. Prior Walter rüttelte ihn unsanft an der Schulter. «Wach auf!»
Richard grunzte im Tiefschlaf und machte Anstalten, sich umzudrehen. Aber Walter schüttelte ihn, bis der Mönch sich endlich aufsetzte, sich die Augen rieb und den Prior anfuhr: «Was zum Teufel willst du? Weckst mich für die Prim? Geh weg, Herrgott noch mal.»
«Du wirst in deinem ganzen Leben nicht mehr die Prim singen. Die Männer des Königs sind da, ein ganzer Trupp.»
Richard schwang die nackten Beine aus dem Bett. «Soll ich die Brüder wecken?», fragte er und folgte dem Prior aus der Zelle.
«Die werden noch früh genug aufwachen. Diesmal werden dem Abt alle schönen Worte nichts mehr nützen. Es ist vorbei, Richard. Es ist aus.»
Weder eilig noch ängstlich tappte Bruder Richard hinter dem Prior her zu der Nachttreppe, die vom Schlaftrakt direkt in die Kirche hinunterführte. Der Prior war besorgt: Dies war der Tag der Vergeltung für all die Sünde in seinem Leben. Bruder Richard dagegen besaß das reine Gewissen eines Mannes, der gegenüber Gott und dem König seine Pflicht erfüllt hatte.
Prior Walter eilte ins südliche Querschiff der Klosterkirche. Dort angekommen, drehte er sich zu Bruder Richard um. «Geh du in die Bibliothek», befahl er. «Du weißt, welche Bücher vernichtet werden müssen. Wirf sie in die Kohlenpfanne, dann warte auf mich im Kreuzgang.»
Bruder Richard tat wie ihm geheißen. Er hatte keinen Blick für die hoch aufstrebenden gotischen Bögen, durch die das erste Licht des Tages fiel. Oder für den kunstvoll gearbeiteten Hochaltar im Ostteil der Kirche. Gerade kamen die Handwerker und Tagelöhner einzeln oder zu zweit in die Kirche - Zimmerleute und Maurer mit ihren Werkzeugtaschen, die leise murmelnd mit den Vorbereitungen für die Arbeit des Tages begannen. Prior Walter wusste, dass keiner von ihnen
jemals wieder in dieser Kirche einen Handschlag tun würde. Seine Augen wanderten von einem zum anderen, bis er seinen Mann entdeckt hatte. Auf seinen Wink setzte ein kleiner, dunkelhaariger Maurer mit muskulösen Armen seine Werkzeugtasche ab und kam herüber.
«Ich brauche dich. Komm mit deinem Werkzeug in den Kreuzgang.»
Prior Walter hielt sich nicht lange auf, er musste weiter. Der Maurer sah ihm nach und ging kopfschüttelnd zu seinen Leuten. Ein kurzer Wortwechsel, dann nahm er seine Tasche und begab sich in den Kreuzgang.
In der Sakristei schenkte der Prior den Büchern für den Gottesdienst keine Beachtung. Er griff nach einem schmalen, in schwarzes Tuch gebundenen Buch, das inmitten der anderen, wertvoller ausgestatteten Bände wie verloren wirkte.
Wie viel Zeit blieb ihnen noch? Der Prior zögerte, dann eilte er zurück in die Kirche, packte den nächstbesten Arbeiter am Arm und befahl ihm in scharfem Ton, den Torwächter aufzusuchen, der das große Holztor mit dem Querbalken verrammeln und auch die Pforte verschließen solle. Das würde den Lauf der Dinge um ein paar Minuten hinauszögern, genau die Zeit, die er brauchte.
Leise fluchend trat er in den Kreuzgang hinaus. Die Mönche irrten umher wie verstörte Schafe. «Geht in die Kirche. Der Abt wird sich eurer annehmen.»
Bald war der Prior mit Bruder Richard und dem Maurer allein, der die Werkzeugtasche zu seinen Füßen abgestellt hatte und mit verschränkten Armen an einer Säule lehnte.
Prior Walter machte keine großen Worte. «Du weißt, was zu tun ist», wandte er sich an den Maurer. «Fang an.»
Gemächlich setzte der Mann sich in Bewegung und ging zur fünftletzten Säule des Kreuzgangs. Er kniete sich hin, setzte am Fuß der Säule sein Stemmeisen an und hatte bald einen Stein gelockert und mit kräftigen, staubigen Händen herausgelöst.
Prior Walter wickelte das kleine schwarze Buch in Wachstuch und schob es in die Lücke. «Setz den Stein wieder ein und verspachtle ihn. Mach schnell, wir haben nicht viel Zeit.»
Ein Wortwechsel am Tor, Rufe und Hufgeklapper. Über den Lärm erhob sich eine laute, befehlsgewohnte Stimme, die den Wächter aufforderte, im Namen des Königs das Tor zu öffnen.
Am folgenden Tag um die Mittagszeit wurden Yves Howard, Walter de Malyns und Richard Blunt in Ketten zum Dorfanger geführt. Sie wurden ausgepeitscht und von Maultieren durch das Dorf und dann über einen steinigen Weg zum Dancing Hill hinaufgeschleift, wo die Galgen errichtet worden waren und daneben ein Richtblock. Dort erwartete der Scharfrichter sie mit Axt und Messern. Er hielt sich bereit für den Augenblick, wenn die noch zuckenden Leiber heruntergelassen würden, zur Kastration und dem Ausweiden.
Der Henker kam aus Yorkshire. Sein Onkel hatte in dem Kloster als Mönch gelebt. Seine Kunden, wie er sie bezeichnete, starben einen schnellen Tod, sodass sie nicht alle die ihnen zugedachten Demütigungen bei lebendigem Leibe erleiden mussten.
Unter den wachsamen Blicken des Beauftragten des Königs und des künftigen Herrn von Beauregard, Sir Nicholas, wurde der Kopf des Abtes vom Rumpf getrennt, sein lebloser Körper wurde gevierteilt und seine Gliedmaßen auf einen Karren geworfen. Der Rumpf wurde am Galgen aufgeknüpft zurückgelassen, um die Bewohner von Beauregard daran zu erinnern, was dem geschieht, der die Gesetze des Landes und die Gebote Gottes verletzte. Der Kopf sollte am Stadttor von York aufgespießt werden, wie es einem Verräter gebührte. Als Nächster kam Bruder Richard an die Reihe, der schrie, es handle sich um eine Verwechslung, er sei unschuldig. Er habe den Herrn Cromwell von dem Bösen in der Abtei benachrichtigt, und ihm seien die Begnadigung und eine Rente versprochen worden.
Zuletzt fand der Prior sein Ende, der den Beauftragten und Sir Nicholas hasserfüllt anblickte.
Bedrückt und wortlos verließen der Beauftragte des Königs und Sir Nicholas das Dorf, in den Ohren gellte ihnen noch der Fluch des sterbenden Walter de Malyns.
Teil Eins
Zuleika bremste auf dem Hügelkamm, machte den Motor ihrer Maschine aus und stieg ab. Sie war froh, dass sie endlich von diesem Motorrad herunterkam, das ihr alle Knochen im Leib durcheinandergerüttelt hatte.
«Beauregard?», hatte ihr Bruder Hank mitleidig gesagt, «meine Güte, das ist ja mitten in der Pampa. Du verpasst deinen Rückflug, nur um ein altes Buch zu begutachten, das die da gefunden haben? Weißt du was, Zulie, nimm meine Maschine, ich bin die ganze Woche in London, dann sparst du dir den Mietwagen, und für die kurvenreichen Straßen taugt das Motorrad ohnehin besser. Fahr bloß nicht gegen einen Baum, okay?»
Geradezu rührend fand sie, dass Hank ihr seine heißgeliebte alte HarleyDavidson überlassen hatte. Aber es war eine Schnapsidee gewesen, das Angebot anzunehmen. Ein Königreich für ein Auto mit Dach und Servolenkung!
Sie zog die Stulpenhandschuhe aus, nahm den Helm ab und rieb sich den Nacken. Die Arme und der Kopf taten ihr weh, und in ihren Ohren dröhnte immer noch das Hämmern des Motors. Sie schüttelte den Kopf, um das Geräusch loszuwerden, und lauschte: In den Baumwipfeln rauschte der Wind, eine Möwe kreischte hoch oben in den Wolken, und in der Ferne grollte unheilverkündend der Donner.
Gegen den Wind gestemmt stand sie da, blickte übers Tal hinunter zur Abtei - Beauregard Abbey - und bestaunte das schmucklose, strenge Anwesen, das am Hang des gegenüberliegenden Hügels thronte.
Die Fakten zur Geschichte des Klosters, am Vorabend hastig zusammengetragen, gingen ihr durch den Kopf. Es war von Zisterziensern im 12. Jahrhundert gegründet, von Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert aufgelöst und an die Familie Beauregard übergeben worden. Im 19. Jahrhundert hatte man die Mönche zurückgeholt, eine Art Wiedergutmachung. Eine abwegige Entscheidung.
Die Abteikirche gab es längst nicht mehr. Nur der Grundriss im grünen Gras zeigte, wo die Mönche über die Jahrhunderte gebetet und gesungen hatten. Von den übrigen Klostergebäuden hatten einige der Zeit getrotzt. Sie bildeten das stattliche Anwesen, das bis Ende des letzten Jahrhunderts der Wohnsitz der Beauregards gewesen war. Viel zu groß für eine einzelne Familie und nicht gerade anheimelnd. Ein jäher Windstoß peitschte ihr die Haare ins Gesicht. Was wollte sie eigentlich hier? Sie mochte diesen Wind nicht und diese Landschaft noch weniger. Warum saß sie nicht im Flugzeug zurück nach Amerika?
Als ihr Bruder sich entschlossen hatte, nach Yorkshire zu gehen, hatte sie ihn ausgelacht. «Warum ausgerechnet in den verregneten Norden von England?»
«Das ist maximal weit weg von unseren Eltern, und außerdem gefällt's mir hier.» Er war Dozent für Musik an der Universität York, und Zuleika hatte bei ihm gewohnt, während sie dort an einer Konferenz teilnahm. «Kernspin?» Er hatte sich geschüttelt. «Mich kriegen keine zehn Pferde in so eine Röhre. Bei uns an der Musikfakultät haben sie mal Freiwillige gesucht, weil sie sehen wollten, welche Teile unseres Gehirns aufleuchten, wenn wir Mozart hören -- gibt es eigentlich noch so was wie Privatsphäre? Nimm dir ein paar Stunden frei von deinem HighTechZeugs, solange du hier bist, atme den Hauch der Geschichte ein. Du kannst zum Beispiel an einem Ghostwalk teilnehmen und dir ein paar gruselige Geschichten anhören. Das ist doch dein Ding, und es macht mehr Spaß, in dunklen Gassen auf den Spuren der Gespenster zu wandeln, als den Leuten ins Hirn zu schauen, um dort welche zu finden.»
Sie setzte sich wieder auf die Harley, deren Motor nur stotternd ansprang, und fuhr die letzte Meile bergab auf kurvenreicher, von Bäumen gesäumter Strecke. Unten im Tal führte eine scharfe Kurve zum Fluss, der über Felsen und Findlinge schäumte, dann ging's über die Brücke und jenseits des Silberbands wieder bergauf.
Am Eingang zu Beauregard Abbey gab es kein Schild, aber das hohe schmiedeeiserne Doppeltor war nicht zu verkennen. Zuleika hielt an, schob ihr Visier hoch und betrachtete die grimmigen Tiergestalten, die auf den Säulen zu beiden Seiten des Tors thronten und ihre verwitterten Wappen mit schuppigen Klauen umklammert hielten. Waren es Greife? Drachen? Oder etwas Schlimmeres?
Jenseits des Tors stand ein kleines, achteckiges Haus mit einem Kegeldach. Ein richtiges Hexenhäuschen, dachte Zuleika. Überhaupt war das der ideale Schauplatz für einen Schauerroman. Sie stieg ab, ging zum Tor und suchte nach einer Sprechanlage, einer Kamera oder wenigstens einer Glocke. Schließlich rief sie: «Ist da jemand?»
Der Wind trug ihre Worte davon. Genervt holte sie ihr Mobiltelefon aus der Innentasche ihrer schwarzen Lederjacke und wählte.
«Das Handy können Sie sich sparen», sagte eine Stimme. «Hier gibt's keinen Empfang.»
Ein Mann mit graumeliertem Haar, er trug eine Moleskinhose und eine abgewetzte grüne Jacke, näherte sich gemächlich dem Tor. Er nickte ihr zu und fragte: «Sie werden erwartet?»
«Ja.»
«Name?»
«Rathbone.»
«Also Dr. Rathbone? Sie sollten erst heute Nachmittag eintreffen, für heute Vormittag stehen Sie nicht auf meiner Liste.»
«Ich habe beschlossen, früher zu kommen.»
«Aber Sie sind nicht motorisiert. Kein Auto.»
«Wie Sie sehen, fahre ich Motorrad.»
«Dann brauchen Sie also keinen Parkplatz.»
Ein Pförtner wie aus dem Märchen, passend zu seinem Pförtnerhaus. Mit langsamen Schritten kehrte er zu dem achteckigen Häuschen zurück. «Liegt es am Wetter, dass mein Handy keinen Empfang hat?», rief Zuleika ihm nach.
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. «Nein. Wir sind hier zu abgelegen, deshalb gibt es keinen Empfang.» Dann ging er hinein, und kurze Zeit später öffnete sich sachte und lautlos das Tor.
«Willkommen in Beauregard Abbey, Dr. Rathbone», sagte der Pförtner mit ernster Miene, als sie an ihm vorbeirollte. «Fahren Sie bitte langsam, der Wind holt die Blätter von den Bäumen, da kann es rutschig werden. Ohnehin ist die Geschwindigkeit auf zehn Meilen die Stunde begrenzt.»
Scheppernd schloss sich hinter ihr das Tor.
Die Auffahrt war breit, zwei Fahrzeuge kamen hier leicht aneinander vorbei. Riesige Buchen säumten die Straße, der Wind fegte durch die Äste und wirbelte das Laub in wildem Tanz durch die Luft. Die Geschwindigkeitsbegrenzung war sinnvoll, wollte man nicht Hals über Kopf im Straßengraben landen. Wie lang war diese Auffahrt eigentlich? Nach etwa einer Meile gelangte Zuleika zu einem Torbogen, der dem am Eingang ähnelte.
Als sie den Motor ausmachte, öffnete sich die Eichentür, und eine Frau mit länglichem Gesicht und geschäftiger Miene trat heraus. Sie musterte Zuleika durch ihre schmalen Brillengläser.
Ja, ich bin ein Mensch, und ja, Sie erwarten mich, und nein, Sie brauchen mich nicht von Kopf bis Fuß zu inspizieren.
«Guten Morgen. Dr. Rathbone, nicht wahr? Matthew vom Pförtnerhaus hat Bescheid gegeben, dass Sie eingetroffen sind. Wir hatten Sie gar nicht so früh erwartet.»
Zuleika bockte das Motorrad auf, nahm den Helm ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. «Ich wohne in York und bin schon recht früh losgefahren.»
«Ich bin Margo Campbell, die Schatzmeisterin der Schule. Mr. Beauregard hat mich gebeten, Sie zur alten Bibliothek hinaufzuführen, falls Sie vor ihm eintreffen.»
Zuleika war es herzlich egal, ob Nicholas Beauregard hier war oder nicht. Es war ihr sogar lieber, das Zauberbuch, im Fachjargon Grimoire genannt, in Augenschein nehmen zu können, ohne dass dieser Mr. Beauregard ihr über die Schulter sah.
«Möchten Sie gleich hinaufgehen, oder hätten Sie gern vorher eine Tasse Kaffee?»
Offenbar hatte die Frau viel um die Ohren. Was machte eine Schatzmeisterin eigentlich? Jedenfalls hatte sie mit Geld zu tun.
«Wenn der Grimoire in der Bibliothek ist, sehe ich ihn mir gleich an.»
Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Die Reiter auf dem Hügelkamm waren dunkle Schatten vor dem fahlen östlichen Himmel.
Der Beauftragte des Königs saß eingehüllt in seinen Mantel, der die üble feuchte Nachtluft abhielt, auf seinem Rappen und blickte zur Abtei von Beauregard hinüber, deren schemenhafte Masse im matten Mondlicht hockte. Jetzt zur Matutin, da die Lebensgeister und die Widerstandskraft am schwächsten waren, sah er durch die Fenster der mächtigen Abteikirche den Schein flackernder Kerzen. Die leichte Brise der Spätsommernacht trug Stimmen zu ihm herauf, einen Gesang, wie er seit über vierhundert Jahren im Morgengrauen erklang.
Er bezweifelte, ob auch nur die Hälfte der Mönche, die noch in der Abtei lebten, aufgestanden war, um das Stundengebet zu singen. In den vergangenen Monaten hatte er Erkundigungen über die Mönche von Beauregard eingeholt. Beharrlich hatte er für die lockeren Sitten und die Untaten des Ordens insgeheim Beweise gesammelt. Er hatte schriftliche, beeidigte Zeugnisse betreffend die fleischliche Verderbtheit und die Unzucht der Mönche und die weit schlimmeren Verbrechen der Hexerei, der Zauberei und der Anrufung böser Geister. Geisterbeschwörung sollte keinen Platz haben in Gottes Königreich, und schon gar nicht unter jenen, die vorgaben, ein religiöses Leben zu führen.
Wohlüberlegt hatte er diese Stunde gewählt, wenn die Mönche noch schnarchend in ihren Zellen lagen, wenn der Torwächter schläfrig und unachtsam war und sogar die Hunde matt dalagen, mit zuckender Schnauze, als würden sie in ihren Träumen Ratten jagen. Die frühe Stunde, die Verwirrung der aus dem Schlaf gerissenen Mönche würden dem Beauftragten des Königs und seinen Männern ihre Aufgabe erleichtern.
Im grauen Licht der Morgendämmerung, Nebel stieg vom Fluss unweit der Klostermauern auf, erteilte der Beauftragte des Königs die letzten Anweisungen.
«Es sind drei, die zuallererst festgesetzt werden müssen: der Abt, der Prior und Bruder Richard, einer der Mönche. Der Prior ist ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann mit einer Narbe unterm Auge, er ist unansehnlich, nicht nur wegen der Narbe. Über den Bruder Richard weiß ich nichts, die Mönche werden ihn euch zeigen. Die drei sind zu binden und einzeln herauszuführen. Keiner darf entwischen.»
Nicht alle Mönche in Beauregard lagen noch in tiefem Schlummer. Prior Walter de Malyns fand oft keine Ruhe. Er brauchte wenig Schlaf und kehrte nach dem ersten Stundengebet selten in seine Zelle zurück. Und er hatte gute Ohren. In der klaren, kalten Luft hörte er dumpfe Laute, Hufgeklapper aus Richtung der Hügel, das leise Klirren von Sporen und Zaumzeug, und er wusste, was sie ankündigten. Er warf sich seinen Mantel um und stieg die schmale Wendeltreppe zum Turm hinauf. Von dort oben ließ er seinen Blick über die neblig graue Landschaft schweifen und entdeckte auf der anderen Seite des Tals die Reiter, die den Hügel herunterkamen.
Der Prior ging über die Steinstufen wieder nach unten und eilte auf leisen Sohlen zum Schlaftrakt der Mönche. In der letzten Zelle fand er Bruder Richard. Prior Walter rüttelte ihn unsanft an der Schulter. «Wach auf!»
Richard grunzte im Tiefschlaf und machte Anstalten, sich umzudrehen. Aber Walter schüttelte ihn, bis der Mönch sich endlich aufsetzte, sich die Augen rieb und den Prior anfuhr: «Was zum Teufel willst du? Weckst mich für die Prim? Geh weg, Herrgott noch mal.»
«Du wirst in deinem ganzen Leben nicht mehr die Prim singen. Die Männer des Königs sind da, ein ganzer Trupp.»
Richard schwang die nackten Beine aus dem Bett. «Soll ich die Brüder wecken?», fragte er und folgte dem Prior aus der Zelle.
«Die werden noch früh genug aufwachen. Diesmal werden dem Abt alle schönen Worte nichts mehr nützen. Es ist vorbei, Richard. Es ist aus.»
Weder eilig noch ängstlich tappte Bruder Richard hinter dem Prior her zu der Nachttreppe, die vom Schlaftrakt direkt in die Kirche hinunterführte. Der Prior war besorgt: Dies war der Tag der Vergeltung für all die Sünde in seinem Leben. Bruder Richard dagegen besaß das reine Gewissen eines Mannes, der gegenüber Gott und dem König seine Pflicht erfüllt hatte.
Prior Walter eilte ins südliche Querschiff der Klosterkirche. Dort angekommen, drehte er sich zu Bruder Richard um. «Geh du in die Bibliothek», befahl er. «Du weißt, welche Bücher vernichtet werden müssen. Wirf sie in die Kohlenpfanne, dann warte auf mich im Kreuzgang.»
Bruder Richard tat wie ihm geheißen. Er hatte keinen Blick für die hoch aufstrebenden gotischen Bögen, durch die das erste Licht des Tages fiel. Oder für den kunstvoll gearbeiteten Hochaltar im Ostteil der Kirche. Gerade kamen die Handwerker und Tagelöhner einzeln oder zu zweit in die Kirche - Zimmerleute und Maurer mit ihren Werkzeugtaschen, die leise murmelnd mit den Vorbereitungen für die Arbeit des Tages begannen. Prior Walter wusste, dass keiner von ihnen
jemals wieder in dieser Kirche einen Handschlag tun würde. Seine Augen wanderten von einem zum anderen, bis er seinen Mann entdeckt hatte. Auf seinen Wink setzte ein kleiner, dunkelhaariger Maurer mit muskulösen Armen seine Werkzeugtasche ab und kam herüber.
«Ich brauche dich. Komm mit deinem Werkzeug in den Kreuzgang.»
Prior Walter hielt sich nicht lange auf, er musste weiter. Der Maurer sah ihm nach und ging kopfschüttelnd zu seinen Leuten. Ein kurzer Wortwechsel, dann nahm er seine Tasche und begab sich in den Kreuzgang.
In der Sakristei schenkte der Prior den Büchern für den Gottesdienst keine Beachtung. Er griff nach einem schmalen, in schwarzes Tuch gebundenen Buch, das inmitten der anderen, wertvoller ausgestatteten Bände wie verloren wirkte.
Wie viel Zeit blieb ihnen noch? Der Prior zögerte, dann eilte er zurück in die Kirche, packte den nächstbesten Arbeiter am Arm und befahl ihm in scharfem Ton, den Torwächter aufzusuchen, der das große Holztor mit dem Querbalken verrammeln und auch die Pforte verschließen solle. Das würde den Lauf der Dinge um ein paar Minuten hinauszögern, genau die Zeit, die er brauchte.
Leise fluchend trat er in den Kreuzgang hinaus. Die Mönche irrten umher wie verstörte Schafe. «Geht in die Kirche. Der Abt wird sich eurer annehmen.»
Bald war der Prior mit Bruder Richard und dem Maurer allein, der die Werkzeugtasche zu seinen Füßen abgestellt hatte und mit verschränkten Armen an einer Säule lehnte.
Prior Walter machte keine großen Worte. «Du weißt, was zu tun ist», wandte er sich an den Maurer. «Fang an.»
Gemächlich setzte der Mann sich in Bewegung und ging zur fünftletzten Säule des Kreuzgangs. Er kniete sich hin, setzte am Fuß der Säule sein Stemmeisen an und hatte bald einen Stein gelockert und mit kräftigen, staubigen Händen herausgelöst.
Prior Walter wickelte das kleine schwarze Buch in Wachstuch und schob es in die Lücke. «Setz den Stein wieder ein und verspachtle ihn. Mach schnell, wir haben nicht viel Zeit.»
Ein Wortwechsel am Tor, Rufe und Hufgeklapper. Über den Lärm erhob sich eine laute, befehlsgewohnte Stimme, die den Wächter aufforderte, im Namen des Königs das Tor zu öffnen.
Am folgenden Tag um die Mittagszeit wurden Yves Howard, Walter de Malyns und Richard Blunt in Ketten zum Dorfanger geführt. Sie wurden ausgepeitscht und von Maultieren durch das Dorf und dann über einen steinigen Weg zum Dancing Hill hinaufgeschleift, wo die Galgen errichtet worden waren und daneben ein Richtblock. Dort erwartete der Scharfrichter sie mit Axt und Messern. Er hielt sich bereit für den Augenblick, wenn die noch zuckenden Leiber heruntergelassen würden, zur Kastration und dem Ausweiden.
Der Henker kam aus Yorkshire. Sein Onkel hatte in dem Kloster als Mönch gelebt. Seine Kunden, wie er sie bezeichnete, starben einen schnellen Tod, sodass sie nicht alle die ihnen zugedachten Demütigungen bei lebendigem Leibe erleiden mussten.
Unter den wachsamen Blicken des Beauftragten des Königs und des künftigen Herrn von Beauregard, Sir Nicholas, wurde der Kopf des Abtes vom Rumpf getrennt, sein lebloser Körper wurde gevierteilt und seine Gliedmaßen auf einen Karren geworfen. Der Rumpf wurde am Galgen aufgeknüpft zurückgelassen, um die Bewohner von Beauregard daran zu erinnern, was dem geschieht, der die Gesetze des Landes und die Gebote Gottes verletzte. Der Kopf sollte am Stadttor von York aufgespießt werden, wie es einem Verräter gebührte. Als Nächster kam Bruder Richard an die Reihe, der schrie, es handle sich um eine Verwechslung, er sei unschuldig. Er habe den Herrn Cromwell von dem Bösen in der Abtei benachrichtigt, und ihm seien die Begnadigung und eine Rente versprochen worden.
Zuletzt fand der Prior sein Ende, der den Beauftragten und Sir Nicholas hasserfüllt anblickte.
Bedrückt und wortlos verließen der Beauftragte des Königs und Sir Nicholas das Dorf, in den Ohren gellte ihnen noch der Fluch des sterbenden Walter de Malyns.
Teil Eins
Zuleika bremste auf dem Hügelkamm, machte den Motor ihrer Maschine aus und stieg ab. Sie war froh, dass sie endlich von diesem Motorrad herunterkam, das ihr alle Knochen im Leib durcheinandergerüttelt hatte.
«Beauregard?», hatte ihr Bruder Hank mitleidig gesagt, «meine Güte, das ist ja mitten in der Pampa. Du verpasst deinen Rückflug, nur um ein altes Buch zu begutachten, das die da gefunden haben? Weißt du was, Zulie, nimm meine Maschine, ich bin die ganze Woche in London, dann sparst du dir den Mietwagen, und für die kurvenreichen Straßen taugt das Motorrad ohnehin besser. Fahr bloß nicht gegen einen Baum, okay?»
Geradezu rührend fand sie, dass Hank ihr seine heißgeliebte alte HarleyDavidson überlassen hatte. Aber es war eine Schnapsidee gewesen, das Angebot anzunehmen. Ein Königreich für ein Auto mit Dach und Servolenkung!
Sie zog die Stulpenhandschuhe aus, nahm den Helm ab und rieb sich den Nacken. Die Arme und der Kopf taten ihr weh, und in ihren Ohren dröhnte immer noch das Hämmern des Motors. Sie schüttelte den Kopf, um das Geräusch loszuwerden, und lauschte: In den Baumwipfeln rauschte der Wind, eine Möwe kreischte hoch oben in den Wolken, und in der Ferne grollte unheilverkündend der Donner.
Gegen den Wind gestemmt stand sie da, blickte übers Tal hinunter zur Abtei - Beauregard Abbey - und bestaunte das schmucklose, strenge Anwesen, das am Hang des gegenüberliegenden Hügels thronte.
Die Fakten zur Geschichte des Klosters, am Vorabend hastig zusammengetragen, gingen ihr durch den Kopf. Es war von Zisterziensern im 12. Jahrhundert gegründet, von Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert aufgelöst und an die Familie Beauregard übergeben worden. Im 19. Jahrhundert hatte man die Mönche zurückgeholt, eine Art Wiedergutmachung. Eine abwegige Entscheidung.
Die Abteikirche gab es längst nicht mehr. Nur der Grundriss im grünen Gras zeigte, wo die Mönche über die Jahrhunderte gebetet und gesungen hatten. Von den übrigen Klostergebäuden hatten einige der Zeit getrotzt. Sie bildeten das stattliche Anwesen, das bis Ende des letzten Jahrhunderts der Wohnsitz der Beauregards gewesen war. Viel zu groß für eine einzelne Familie und nicht gerade anheimelnd. Ein jäher Windstoß peitschte ihr die Haare ins Gesicht. Was wollte sie eigentlich hier? Sie mochte diesen Wind nicht und diese Landschaft noch weniger. Warum saß sie nicht im Flugzeug zurück nach Amerika?
Als ihr Bruder sich entschlossen hatte, nach Yorkshire zu gehen, hatte sie ihn ausgelacht. «Warum ausgerechnet in den verregneten Norden von England?»
«Das ist maximal weit weg von unseren Eltern, und außerdem gefällt's mir hier.» Er war Dozent für Musik an der Universität York, und Zuleika hatte bei ihm gewohnt, während sie dort an einer Konferenz teilnahm. «Kernspin?» Er hatte sich geschüttelt. «Mich kriegen keine zehn Pferde in so eine Röhre. Bei uns an der Musikfakultät haben sie mal Freiwillige gesucht, weil sie sehen wollten, welche Teile unseres Gehirns aufleuchten, wenn wir Mozart hören -- gibt es eigentlich noch so was wie Privatsphäre? Nimm dir ein paar Stunden frei von deinem HighTechZeugs, solange du hier bist, atme den Hauch der Geschichte ein. Du kannst zum Beispiel an einem Ghostwalk teilnehmen und dir ein paar gruselige Geschichten anhören. Das ist doch dein Ding, und es macht mehr Spaß, in dunklen Gassen auf den Spuren der Gespenster zu wandeln, als den Leuten ins Hirn zu schauen, um dort welche zu finden.»
Sie setzte sich wieder auf die Harley, deren Motor nur stotternd ansprang, und fuhr die letzte Meile bergab auf kurvenreicher, von Bäumen gesäumter Strecke. Unten im Tal führte eine scharfe Kurve zum Fluss, der über Felsen und Findlinge schäumte, dann ging's über die Brücke und jenseits des Silberbands wieder bergauf.
Am Eingang zu Beauregard Abbey gab es kein Schild, aber das hohe schmiedeeiserne Doppeltor war nicht zu verkennen. Zuleika hielt an, schob ihr Visier hoch und betrachtete die grimmigen Tiergestalten, die auf den Säulen zu beiden Seiten des Tors thronten und ihre verwitterten Wappen mit schuppigen Klauen umklammert hielten. Waren es Greife? Drachen? Oder etwas Schlimmeres?
Jenseits des Tors stand ein kleines, achteckiges Haus mit einem Kegeldach. Ein richtiges Hexenhäuschen, dachte Zuleika. Überhaupt war das der ideale Schauplatz für einen Schauerroman. Sie stieg ab, ging zum Tor und suchte nach einer Sprechanlage, einer Kamera oder wenigstens einer Glocke. Schließlich rief sie: «Ist da jemand?»
Der Wind trug ihre Worte davon. Genervt holte sie ihr Mobiltelefon aus der Innentasche ihrer schwarzen Lederjacke und wählte.
«Das Handy können Sie sich sparen», sagte eine Stimme. «Hier gibt's keinen Empfang.»
Ein Mann mit graumeliertem Haar, er trug eine Moleskinhose und eine abgewetzte grüne Jacke, näherte sich gemächlich dem Tor. Er nickte ihr zu und fragte: «Sie werden erwartet?»
«Ja.»
«Name?»
«Rathbone.»
«Also Dr. Rathbone? Sie sollten erst heute Nachmittag eintreffen, für heute Vormittag stehen Sie nicht auf meiner Liste.»
«Ich habe beschlossen, früher zu kommen.»
«Aber Sie sind nicht motorisiert. Kein Auto.»
«Wie Sie sehen, fahre ich Motorrad.»
«Dann brauchen Sie also keinen Parkplatz.»
Ein Pförtner wie aus dem Märchen, passend zu seinem Pförtnerhaus. Mit langsamen Schritten kehrte er zu dem achteckigen Häuschen zurück. «Liegt es am Wetter, dass mein Handy keinen Empfang hat?», rief Zuleika ihm nach.
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. «Nein. Wir sind hier zu abgelegen, deshalb gibt es keinen Empfang.» Dann ging er hinein, und kurze Zeit später öffnete sich sachte und lautlos das Tor.
«Willkommen in Beauregard Abbey, Dr. Rathbone», sagte der Pförtner mit ernster Miene, als sie an ihm vorbeirollte. «Fahren Sie bitte langsam, der Wind holt die Blätter von den Bäumen, da kann es rutschig werden. Ohnehin ist die Geschwindigkeit auf zehn Meilen die Stunde begrenzt.»
Scheppernd schloss sich hinter ihr das Tor.
Die Auffahrt war breit, zwei Fahrzeuge kamen hier leicht aneinander vorbei. Riesige Buchen säumten die Straße, der Wind fegte durch die Äste und wirbelte das Laub in wildem Tanz durch die Luft. Die Geschwindigkeitsbegrenzung war sinnvoll, wollte man nicht Hals über Kopf im Straßengraben landen. Wie lang war diese Auffahrt eigentlich? Nach etwa einer Meile gelangte Zuleika zu einem Torbogen, der dem am Eingang ähnelte.
Als sie den Motor ausmachte, öffnete sich die Eichentür, und eine Frau mit länglichem Gesicht und geschäftiger Miene trat heraus. Sie musterte Zuleika durch ihre schmalen Brillengläser.
Ja, ich bin ein Mensch, und ja, Sie erwarten mich, und nein, Sie brauchen mich nicht von Kopf bis Fuß zu inspizieren.
«Guten Morgen. Dr. Rathbone, nicht wahr? Matthew vom Pförtnerhaus hat Bescheid gegeben, dass Sie eingetroffen sind. Wir hatten Sie gar nicht so früh erwartet.»
Zuleika bockte das Motorrad auf, nahm den Helm ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. «Ich wohne in York und bin schon recht früh losgefahren.»
«Ich bin Margo Campbell, die Schatzmeisterin der Schule. Mr. Beauregard hat mich gebeten, Sie zur alten Bibliothek hinaufzuführen, falls Sie vor ihm eintreffen.»
Zuleika war es herzlich egal, ob Nicholas Beauregard hier war oder nicht. Es war ihr sogar lieber, das Zauberbuch, im Fachjargon Grimoire genannt, in Augenschein nehmen zu können, ohne dass dieser Mr. Beauregard ihr über die Schulter sah.
«Möchten Sie gleich hinaufgehen, oder hätten Sie gern vorher eine Tasse Kaffee?»
Offenbar hatte die Frau viel um die Ohren. Was machte eine Schatzmeisterin eigentlich? Jedenfalls hatte sie mit Geld zu tun.
«Wenn der Grimoire in der Bibliothek ist, sehe ich ihn mir gleich an.»
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Autoren-Porträt von Elizabeth Edmondson
Elizabeth Edmondson startete ihre Schriftstellerkarriere schon in jungen Jahren. Mit "Lady Helenas Geheimnis", "Die Farben des Himmels" und "Die Gärten von Landrake Hall" schaffte sie ihren Durchbruch in Deutschland. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Bibliographische Angaben
- Autor: Elizabeth Edmondson
- 2011, 1. Auflage., 400 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Seuß, Rita; Schuhmacher, Sonja
- Übersetzer: Rita Seuß, Sonja Schumacher
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 3805250193
- ISBN-13: 9783805250191
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