Suchanek Band 2: Nachtmahl
Kriminalroman. Originalausgabe
Die Nr. 1 aus Österreich: Rainer Nikowitz und sein reichlich unfreiwilliger Held Suchanek begeistern die Leser
Sommerschwüle über Niederösterreich. Suchanek urlaubt - nicht ganz freiwillig - in einem traurigen Ort namens Feuchtkirchen. So viele Gelsen...
Sommerschwüle über Niederösterreich. Suchanek urlaubt - nicht ganz freiwillig - in einem traurigen Ort namens Feuchtkirchen. So viele Gelsen...
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Produktinformationen zu „Suchanek Band 2: Nachtmahl “
Klappentext zu „Suchanek Band 2: Nachtmahl “
Die Nr. 1 aus Österreich: Rainer Nikowitz und sein reichlich unfreiwilliger Held Suchanek begeistern die LeserSommerschwüle über Niederösterreich. Suchanek urlaubt - nicht ganz freiwillig - in einem traurigen Ort namens Feuchtkirchen. So viele Gelsen (hochdeutsch: Stechmücken) wie hier und heuer gab es noch nie! Beim Kennenlernabend auf dem "Erlebnisbauernhof" erklärt Suchanek den anderen Gästen deshalb die "Ceausescu-Methode": Der Diktator habe Gefangene im Donaudelta durch Millionen von Gelsen zu Tode kommen lassen. Darüber amüsiert man sich prächtig am Grillfeuer. Aber nur bis zum nächsten Morgen, als eine gefesselte Leiche gefunden wird. Sie ist von Stichen übersät. Aber auch nicht unerheblich von Wildsauen angefressen.
Hat Suchanek einen Psychopathen inspiriert? Vielleicht den Krisenspinner mit dem Bunker unterm Haus? Oder den seltsamen Grafen in seinem erzhässlichen Herrenhaus? Und das Morden geht weiter...
Die Nr. 1 aus Österreich: Rainer Nikowitz und sein reichlich unfreiwilliger Held Suchanek begeistern die Leser
Sommerschwüle über Niederösterreich. Suchanek urlaubt - nicht ganz freiwillig - in einem traurigen Ort namens Feuchtkirchen. So viele Gelsen (hochdeutsch: Stechmücken) wie hier und heuer gab es noch nie! Beim Kennenlernabend auf dem "Erlebnisbauernhof" erklärt Suchanek den anderen Gästen deshalb die "Ceausescu-Methode": Der Diktator habe Gefangene im Donaudelta durch Millionen von Gelsen zu Tode kommen lassen. Darüber amüsiert man sich prächtig am Grillfeuer. Aber nur bis zum nächsten Morgen, als eine gefesselte Leiche gefunden wird. Sie ist von Stichen übersät. Aber auch nicht unerheblich von Wildsauen angefressen.
Hat Suchanek einen Psychopathen inspiriert? Vielleicht den Krisenspinner mit dem Bunker unterm Haus? Oder den seltsamen Grafen in seinem erzhässlichen Herrenhaus? Und das Morden geht weiter...
Sommerschwüle über Niederösterreich. Suchanek urlaubt - nicht ganz freiwillig - in einem traurigen Ort namens Feuchtkirchen. So viele Gelsen (hochdeutsch: Stechmücken) wie hier und heuer gab es noch nie! Beim Kennenlernabend auf dem "Erlebnisbauernhof" erklärt Suchanek den anderen Gästen deshalb die "Ceausescu-Methode": Der Diktator habe Gefangene im Donaudelta durch Millionen von Gelsen zu Tode kommen lassen. Darüber amüsiert man sich prächtig am Grillfeuer. Aber nur bis zum nächsten Morgen, als eine gefesselte Leiche gefunden wird. Sie ist von Stichen übersät. Aber auch nicht unerheblich von Wildsauen angefressen.
Hat Suchanek einen Psychopathen inspiriert? Vielleicht den Krisenspinner mit dem Bunker unterm Haus? Oder den seltsamen Grafen in seinem erzhässlichen Herrenhaus? Und das Morden geht weiter...
Lese-Probe zu „Suchanek Band 2: Nachtmahl “
Nachtmahl von Rainer Nikowitz... mehr
1
Der Kommissar hatte schon viel gesehen. Aber das
hier, das war echt was Besonderes. Wegen der ausge-
weideten Leiche auch, klar. Wobei er so eine ähnliche sogar
schon einmal gehabt hatte, als sich seinerzeit im Mostvier-
tel dieser stille Buchhalter urplötzlich eingebildet hatte, im
zweiten Bildungsweg Kannibale werden zu müssen. Ob-
wohl er doch bis dahin Veganer gewesen war.
Aber: Was die hier unter einem Fremdenzimmer ver-
standen!
Kommissar Wimmer klopfte auf etwas, das zum Zeit-
punkt seiner Entstehung, also ungefähr am Beginn der
industriellen Revolution, vermutlich ein Fauteuil gewesen
war. Trotz des Vergnügens, das er dabei empfand – es war
ja nicht sein Zimmer –, ließ er eine gewisse Vorsicht walten.
Denn heftigere Schläge hätten möglicherweise eine Staub-
wolke freigesetzt, deretwegen man dann den Flugraum
über Mitteleuropa ein paar Tage hätte sperren müssen.
Und wer, der kein an dem Gerede der Leute eher minder
interessierter isländischer Vulkan war, wollte denn an so
was schuld sein?
Zu behaupten, das Zimmer wäre nicht sehr groß, nicht
besonders schön und auch nicht überbordend sauber ge-
wesen, hätte sich der Wahrheit genauso stark angenähert
wie der Satz: «Paris Hilton ist möglicherweise nicht ganz
so genial wie Albert Einstein.» Neben dem Fauteuil waren
ein Doppelbett, ein hoffentlich noch nicht ausgewach-
senes Tischchen und ein Kasten, dessen Tür sich nicht
schließen ließ und wegen der offensichtlichen Abschüs-
sigkeit des Holzimitatbodens weit aufklaffte, die einzigen
Einrichtungsgegenstände. Sofern man den offenbar aus
den Resten eines kontrolliert gesprengten orangefarbenen
Plastikkübels zusammengesetzten Lampenschirm nicht
mitzählte. Und den Duschvorhang im Bad, der sich noch
mit immerhin drei seiner sieben Haken an der Stange fest-
hielt. Er war graugrün, wobei eine genauere Betrachtung
verriet, dass das Grau ihm wohl erst mit der Zeit zugewach-
sen war – und ziemlich sicher lebte.
Über dem Bett hing ein gerahmtes, schon schwer blau-
stichiges Kalenderblatt vom Juni 2005. Es zeigte Heiligen-
blut mit dem Großglockner im Hintergrund, wohl um den
Gast unaufdringlich, aber anhaltend daran zu erinnern,
dass er besser dorthin gefahren wäre. Wimmer hatte es fest
im Blick, als er sagte:
«Also, wenn ich Sie nicht schon ein wenig kennen würde,
Herr Suchanek, dann würde ich jetzt zumindest in Betracht
ziehen, dass schon allein die Unterbringung in diesem
Zimmer ein Mordmotiv sein könnte.»
Ein lautloses Lachen gurgelte wie saures Aufstoßen in
ihm hoch und schüttelte seinen kurzen, dafür aber umso
breiteren Körper rhythmisch durch.
«Könnten Sie bitte damit aufhören?», fragte Susi genervt.
Sie lag im Bett, blass, die Decke trotz der schwülen Hitze bis
zum Kinn hochgezogen. «Da draußen ist ein Mensch bei le-
bendigem Leib von Wildschweinen aufgefressen worden –
und Sie machen blöde Witze?»
Der Kommissar nahm Haltung an, räusperte sich und
schüttelte den Kopf.
«Da muss ich Sie korrigieren. Nicht bei lebendigem Leib.
Soweit mir bekannt ist, fressen Wildschweine nichts, was
noch lebt. Außerdem müsste da rundherum literweise Blut
sein, wenn das Opfer noch gelebt hätte, als die Schweine ...
Da ist aber keins.»
«Woran ist es denn dann gestorben?», fragte Suchanek.
«Das wissen wir noch nicht. Oberflächlich ist an der
Leiche nichts festzustellen. Nur ein kleiner Bluterguss am
Kopf. Wahrscheinlich wurde das Opfer niedergeschlagen.
Und sonst ist es halt vollkommen von den Gelsen zersto-
chen, so was habe ich noch nicht gesehen.»
«Moment einmal», sagte Suchanek, meinte es aber nicht
so. Es dauerte nämlich deutlich länger als einen Moment,
jene Lava zu bändigen, die ihm ein soeben in seiner Magen-
gegend neu entstandener Supervulkan bis unter die Schä-
deldecke eruptiert hatte. «Vollkommen zerstochen, sagen
Sie?»
«Na, ist ja kein Wunder. Zuerst das Hochwasser, dann die
Hitze. Heuer gibt es so viele Gelsen wie seit Menschenge-
denken nicht, sagen die Einheimischen. In der Nacht muss
dieser Wald die Hölle sein», erwiderte Wimmer.
Das war er. Suchanek wusste das. Er war ja drin gewe-
sen.
«Und kein Blut», fuhr er nachdenklich fort.
«Wollen Sie auf etwas Bestimmtes hinaus, oder ist das
ein Word-Rap in Zeitlupe?», fragte Wimmer.
«Würden Gelsen eine Leiche stechen?»
Der Kommissar stutzte. Das war ja doch einmal eine gar
nicht so dumme Frage.
«Nein. Das würden sie nicht. Mit geronnenem Blut kön-
nen die nichts anfangen.»
«Also haben ihn zuerst die Gelsen traktiert. Dann ist er
gestorben. Und dann sind die Wildschweine gekommen.»
«Vom Zeitablauf her muss es wohl so gewesen sein, ja.»
Suchanek ging zum Fenster und schaute in den Hof, der
sonst immer leer gewesen war. Jetzt wuselte es da unten
wie am ersten Sommerschlussverkaufstag auf der Maria-
hilferstraße.
«So eine verdammte Scheiße», murmelte er.
«Suchanek, was ist los?», fragte Susi. «Was hast du denn?»
Wimmer schloss sich an. «Ich würde es auch sehr schät-
zen, wenn Sie mir erklären könnten, worum es geht.»
Suchanek atmete tief durch. Und dann sagte er: «Um
den Ceaus escu.»
Ach so. Das erklärte alles.
«Um den Ceaus escu», wiederholte der Kommissar.
«Ja.»
Wimmer lockerte seinen Krawattenknopf. Der Kerl nerv-
te. Aber eigentlich war das ja nichts Neues. In Wirklichkeit
nervte der Suchanek, seit er ihn kennengelernt hatte. Und
Wimmer hatte auch noch lange nicht verdaut, dass es die-
ser ständig bekiffte Schlafwandler vor ein paar Monaten ge-
schafft hatte, die Mordserie in Wulzendorf aufzuklären. Wo
dort doch auch ein wirklich erfahrener und gerissener Kri-
mineser vor Ort gewesen war, dem dieser Erfolg viel besser
zu Gesicht gestanden hätte: Kommissar Gernot Wimmer.
«Kommt da jetzt irgendwann noch eine Erläuterung,
oder muss ich mit dieser nagenden Ungewissheit weiter-
leben?», sagte er missmutig.
Suchanek starrte weiter bewegungslos aus dem Fenster.
Und er konnte selbst nicht glauben, was er dann sagte.
«Es sieht so aus, als hätte ich etwas mit diesem Mord zu
tun.»
Susi fuhr hoch. «Was redest du da daher?»
Und auch der Kommissar hatte mit vielem gerechnet –
aber sicher nicht mit so einem Geständnis.
«Sie? Das gibt’s doch nicht!»
«Ich fürchte doch. Weil ... das mit der Ceaus escu-Metho-
de – das war ich.»
Der Kommissar ließ alle Rücksicht auf die kommerzielle
Ausbeutbarkeit des Luftraumes fahren und sich selbst in
den vermutlichen Fauteuil fallen.
«Also gut. Nicht, dass ich jetzt auch nur im Geringsten
verstanden hätte, was Sache ist. Aber es hört sich jedenfalls
nicht gut an. Dann erklären Sie mir das mal. Was genau wa-
ren Sie? Und was ist diese Ceaus escu-Methode, von der Sie
da stammeln? Oder nein, warten Sie! Fangen Sie am besten
überhaupt ganz von vorne an. Denn zuallererst stellt sich
ja einmal die Frage: Warum sind Sie überhaupt hier? Was
zur Hölle haben Sie in diesem Kaff verloren?»
Ja, da merkte man halt den Profi. Denn das war natürlich
eine ziemlich gute Frage. Die Antwort begann mit einem
Telefonat, das Suchanek einige Wochen zuvor geführt hatte.
2
«Tut mir leid, aber der Herr Magister ist bei Tisch.»
«Ha! Gewonnen!»
«Bitte?»
«Ich habe gerade eine Wette gegen mich selber gewon-
nen. Ich muss mir jetzt drei Mal mein Auto waschen.»
«Äh... Aha.»
«Weil ich doch gestern eineinhalb Stunden später ange-
rufen habe und der Herr Magister da auch bei Tisch war. Sie
können sich sicher noch erinnern.»
«Dunkel.»
«Und vorgestern wiederum war er schon um halb elf
weg und um halb zwei immer noch nicht zurück. Und vor-
vorgestern und letzte Woche und die Woche davor – im-
mer, wenn ich anrufe, ist er bei Tisch.»
«Wollen Sie dem Herrn Magister vorschreiben, wann er
Hunger haben darf?»
«Um Himmels willen, nein! Das wäre ja praktisch Amts-
anmaßung. Wenn einer bestimmen darf, wann der Magen
vom Herrn Magister zu knurren hat, dann ist das natürlich
der Landeshauptmann. Aber es scheint doch eindeutig so
zu sein, dass ich einen ungeheuren Riecher für das Bei-
Tisch-Sein als solches habe. Kaum dass sich der Herr Ma-
gister hingesetzt hat und über der ewigen Frage zu schwit-
zen beginnt, welche von den Gabeln jetzt für die Vorspeise
gehört – wusch, schon verspüre ich das dringende Bedürf-
nis, seine Nummer zu wählen. Das muss man auch erstmal
können. Glauben Sie, dass man diese Begabung irgendwie
zu Geld machen kann?»
«Ich, äh ... also, wie gesagt: Der Herr Magister ist nicht da.
Und ich weiß nicht, wann er zurückkommt.»
«Wissen Sie, langsam glaube ich ja, dass der Herr Magis-
ter in Wirklichkeit gar nicht die rechte Hand vom Landes-
hauptmann ist.»
«Was sollte er denn sonst sein?»
«Gourmetkritiker. Weil, so oft und so lang wie der bei
Tisch ist, muss er einfach ein Profi sein. Und man kann für
ihn nur hoffen, dass das wenigstens auf Spesen geht. Na ja,
wahrscheinlich tut es das so oder so.»
«Nur dass das klar ist, Herr Suchanek: Wenn Sie jetzt
auch noch ungut werden, dann lege ich sofort auf.»
«Was heißt ‹auch noch›? Was hab ich denn sonst noch
angestellt?»
«Fragen Sie mich das im Ernst? Seit Wochen rufen Sie
praktisch jeden Tag bei mir an. Wie komm ich eigentlich
dazu? Das grenzt ja schon an Stalking.»
«Stalking? Na, das ist ja ein toller Beweis für Bürgernähe,
wenn sich eine Vorzimmerdame in der Landesregierung
darüber beschwert, dass jemand anruft.»
«Haben Sie mich gerade Vorzimmerdame genannt?»
«Ja. Und?»
«In welchem Jahrhundert leben Sie? Ich bin Executive
Head of Office Management.»
«So was gibt es? Echt? In Niederösterreich? Was heißt
denn das?»
«Das heißt ... Hören Sie, ich hab auch noch was anderes
zu tun.»
«Das hoffe ich. Und wenn Sie mich endlich einmal mit
dem Herrn Magister verbinden würden, dann könnten Sie
das ja auch tun. Dann haben Sie endlich wieder eine Ruhe
von mir.»
Die Vorzimmerdame seufzte. Dann sagte sie leise: «Der
reißt mir den Kopf ab.»
«Das heißt also, er ist da?»
Schweigen.
«Wissen Sie, was? Sagen Sie ihm, wenn er nicht endlich
mit mir redet, dann geh ich in die Zeitung. Ohne mich wür-
de der Mörder von Wulzendorf immer noch frei herum-
laufen. Der Landeshauptmann verspricht mir zum Dank
für meinen selbstlosen Dienst an der Allgemeinheit einen
Erholungsurlaub. Aber sowie die Kamerateams weg sind,
hat er das wieder vergessen. Das wäre doch ein gefundenes
Fressen für die Presse!»
«Für die niederösterreichische Presse? Sie sind nicht von
hier, oder?»
«Wollen Sie jetzt endlich eine Ruhe von mir haben – oder
nicht?»
«Na gut. Bleiben Sie dran.»
Suchanek atmete tief durch. Das war zumindest einmal
ein Etappenerfolg. Der Suchanek von früher hätte viel-
leicht ein-, zweimal angerufen, sich abwimmeln lassen,
und aus. Wenn er denn überhaupt angerufen hätte. Aber
wenn er aus seinen jüngeren Erlebnissen etwas gelernt
hatte, dann, dass er nicht immer so leicht aufgeben durfte.
Manchmal musste man eben kämpfen. Und man muss-
te sich auch einmal breitbeinig hinstellen und mit fester
Stimme sagen: «Ich bin der Held von Wulzendorf. Und wer
sind Sie?»
In diesem gerade eben noch zart in Richtung Erfreulich-
keit tendierenden Moment hätte es allerdings auch ge-
reicht, sich breitbeinig hinzustellen und sich den Rest zu
denken.
«Wer ich bin? Magister Kerschbaum mein Name», tönte
es aus dem Telefon. «Und Sie sind ... lassen Sie mich raten:
der Held von Wulzendorf?»
Obwohl man gerade, wenn man Suchanek war, im Lau-
fe eines zwar nicht unbedingt ereignisreichen, aber doch
auch schon wieder jahrzehntelangen Lebens durchaus die
eine oder andere Möglichkeit gehabt hatte, sich an peinli-
che Situationen ausreichend zu gewöhnen, war es immer
wieder so schön und frisch wie beim ersten Mal.
«Ich ... Na ja, ja. Aber nicht, dass Sie jetzt glauben, ich
habe das selbst erfunden. Sie wissen ja, wie die Presse ist.»
«Oh ja, das weiß ich sehr gut. Was die immer daher-
schreiben, ha? Jeden Tag muss ich mich über was anderes
ärgern. Fehlte nur noch, irgend so ein Schmierfink würde
behaupten, dass mein Chef seine Versprechen nicht hält.»
Suchanek vergrub seine beiden oberen Einser in der Un-
terlippe. Wenn er jetzt zurückzuckte, dann war die für sei-
ne Verhältnisse mehr als erstaunliche Sturheit, mit der er
es zumindest einmal bis hierher geschafft hatte, umsonst
gewesen.
«Hören Sie, Herr Magister: Ich will Ihnen wirklich keine
Schwierigkeiten machen. Aber warum soll ich auf etwas
verzichten, das er mir großmächtig versprochen hat?»
«Herr Suchanek! Wissen Sie eigentlich, wie angespannt
die Budgetsituation des Landes Niederösterreich ist? Wir
mussten sogar schon den Heizkostenzuschuss für Bedürf-
tige halbieren. Der Landeshauptmann hat deshalb nächte-
lang nicht schlafen können.»
«Wieso nicht? Ist heuer noch eine Wahl?»
«Jetzt passen Sie einmal auf, ja? Sie haben immerhin das
Silberne Ehrenzeichen für besondere Verdienste um das
Land Niederösterreich bekommen. Was wollen Sie denn
noch?»
«Entschuldigung schon, aber das Silberne Ehrenzeichen,
das ist so ziemlich die beschissenste Auszeichnung, die ihr
habt. Das kriegt doch praktisch jeder. Da braucht einer nur
lang genug Vizebürgermeister in Unterstinkenbrunn ge-
wesen sein. Oder Kapellmeister von Feuchtkirchen.»
Der Magister schwieg unangenehm lang. Und dann sag-
te er:«Feuchtkirchen also. So, so.»
«Ich gebe das Silberne Ehrenzeichen auch gerne zurück,
wenn ich dafür endlich meinen Urlaub bekomme. Es ist
wie neu, hat keine Kratzer und nichts. Das kann man sofort
dem nächsten dankbaren Deppen umhängen.»
«Also gut. Ich sag Ihnen was: Ich will nicht, dass diese
Situation noch weiter eskaliert. Ich werde schon eine Lö-
sung finden. Hauptsache, wir schaffen diese blöde Ge-
schichte aus der Welt. Und ich hab da auch schon eine Idee.»
«Ehrlich? Welche denn?»
«Na ja, wissen Sie, ich kenn da jemanden, der ist mir
noch einen Gefallen schuldig, den werde ich einmal anru-
fen. Eine Woche war ausgemacht?»
«Für zwei Personen, ja.»
«Gut. Geben Sie mir ein paar Tage, um das zu organisie-
ren. Ich lasse Ihnen dann per Post einen Gutschein zukom-
men.»
«Das klingt ja echt super!»
«Aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass ich dann nie
wieder etwas von Ihnen höre.»
«Ja. Versprochen. Vielen Dank, Herr Magister.»
«Ich bin froh, dass ich helfen konnte.»
«Und ... die Sache hat auch sicher keinen Haken?»
3
Suchanek und Wimmer hätten beide empört zurück-
gewiesen, auch nur irgendetwas gemeinsam zu haben.
Womit sie allerdings erst recht wieder etwas gemeinsam
hatten. Wenn man den Kommissar mit dieser Behauptung
an einem schlechten Tag erwischt hätte, dann wäre eventu-
ell sogar ein Verfahren wegen Beamtenbeleidigung die Fol-
ge gewesen. Aber es ließ sich nicht leugnen, dass sie zumin-
dest über ein ähnlich feines Sensorium verfügten. Dem
Suchanek war nämlich das mit dem Zimmer auch gleich
bei der Ankunft am Urlaubsort aufgefallen.
Selbst Susi, die gütige, geduldige Susi, atmete nach dem
Erstkontakt mit dieser auf rätselhafte Weise aus dem Weiß-
russland der siebziger Jahre hierher gebeamten Wohnein-
heit einmal ganz tief ein und blies die Luft dann mit ge-
blähten Backen stoßweise wieder aus, um sich zu sammeln.
Und dann sagte sie: «Also, es ist ... eh.»
So war sie halt, die Susi. Einfach ein netter Mensch. Aber
die Antwort darauf war natürlich: nein. Das hier war in sei-
ner allumfassenden Armseligkeit nicht einmal annähernd
«eh».
Wenn einer schon mit Vornamen «Magister» hieß, hät-
te eine an sich unfehlbare Menschenkenntnis wie jene
Suchaneks («Arschlöcher. Alle.») eigentlich allein deshalb
in den Alarmmodus hochschalten müssen. Und wenn
dieser Magister zusätzlich auch noch einen Hauptwohn-
sitz in der Mitte eines mächtigen Hinterns als ausrei-
chende Daseinsberechtigung ansah (was zu der physika-
lisch hochinteressanten Frage Anlass gab, wie ein Loch in
einem Loch existieren konnte), dann umso mehr. Aber das
Hochgefühl über den dem Hauptquartier des Bösen abge-
rungenen Sieg hatte Suchanek leider im entscheidenden
Moment seinen unbestechlichen Blick verstellt. Er hatte
nicht einmal Lunte gerochen, als der Magister am Telefon
auf die abschließende Frage, wohin denn nun die große
Reise gehen werde, beinahe enthusiasmiert «Lassen Sie
sich überraschen!» geraunt hatte.
Als dann der Gutschein in der Post lag, hatte Sucha-
nek umgehend einräumen müssen, dass dem Magister
die Überraschung absolut gelungen war. Wenn er die Susi
nicht schon vorher mit großem Pomp zum gemeinsamen
Urlaub eingeladen hätte, stolz, eh klar, weil er endlich, end-
lich einmal was anderes zu bieten hatte als die immer glei-
che ungepflegte Langeweile – mit diesem Gutschein in der
Hand hätte er es sich auf keinen Fall getraut. Und auch al-
leine wäre er natürlich nie und nimmer ausgerechnet hier-
hergefahren. Aber die Susi, Vorfreude und alles, war wieder
einmal ganz Pragmatikerin. So ist es jetzt nun einmal, und
die Oma hat schon zugesagt, dass sie sich eine Woche um
die Kinder kümmert, und wer weiß, ob die Oma jemals wie-
der einen dermaßen sträflich schwachen Moment hat, und
darum fahren wir da jetzt hin und aus.
Und jetzt schau halt nicht so.
Also hatte Suchanek an diesem gleißenden Samstag im
August, an dem es schon vormittags so abartig heiß war,
dass die zwei Buben von der Susi beim Winken nicht ruhig
barfuß auf dem glühenden Gehsteig stehen konnten, son-
dern herumtänzeln mussten wie nervöse Hengste, knapp
bevor sie in die preiswerte Tiefkühllasagne wanderten, um
10.17 Uhr in Wulzendorf Susis Auto gestartet. Denn Susis
Auto war für so eine Urlaubsreise, bei der es ja vor allem
auf Ausdauer und Verlässlichkeit ankam, ohne Zweifel die
bessere Wahl als seines. Weil es doch etwas besser beisam-
men war. Und nur zum Beispiel nach der jährlichen Über-
prüfung sogar noch Kennzeichen gehabt hätte.
Die Fahrt hatte dann leider wesentlich länger gedauert
als bei der Routenplanung kalkuliert. Zwischen Altenbrunn
und Enzeshof war nämlich der Bahnschranken zu gewesen.
Das wusste Suchanek an sich aufgrund seiner sehr persön-
lichen Beziehung zu Zügen durchaus zu schätzen. Aller-
dings verlängerte es im speziellen Fall aber eben die Reise-
dauer um gute 16 Prozent. Und somit hatte Suchanek den
Motor, der diesen Langzeittest mit Bravour überstanden
hatte, erst um 11.08 Uhr wieder abgestellt.
Und nein. Auch dann war immer noch nicht der Augen-
blick, bislang Versäumtes mannhaft nachzuholen und der
Susi mitzuteilen, man habe möglicherweise vielleicht un-
ter Umständen ein ganz klein wenig dazu beigetragen, dass
sie der miese Magister ausgerechnet hierher verfrachtet
hatte.
Nach Feuchtkirchen. Zu einem Abentheuer-Urlaub.
Mit th.
Der Hof der Familie Abentheuer lag nicht direkt im Dorf,
sondern gut einen Kilometer außerhalb, gleich beim Hoch-
wasserschutzdamm. Dass er erfüllte, was sein Name doch
irgendwie insinuierte, war eher auszuschließen. Es war
ein für diesen Teil Niederösterreichs eher unüblicher Drei-
seithof. Das langgezogene Wohnhaus stammte sicherlich
aus den siebziger Jahren, war also in einem Stil erbaut, der
keiner war. Graues Welleternitdach, rissige Fassade, zwei
Reihen vollkommen identischer goldfarbener Alufenster.
Ein Windfang aus Milchplastik, hinter dem die Eingangs-
tür völlig zu Recht versteckt wurde. Der gegenüberliegende
Stall schaffte es zum Glück, dieses architektonische Niveau
zu halten. Am hinteren Ende des Grundstückes schließlich
stand eine Lagerhalle aus unverputzten Schalsteinen. Alles
in allem musste man zugeben, dass dies zumindest rein
optisch ein Anwesen der Superlative war. Denn eine grö-
ßere Scheußlichkeit wäre wohl nur unter Mitarbeit eines
Jahrhundert-Erdbebens zu erreichen gewesen.
Suchanek starrte auf den Gutschein in seiner Hand.
«Abenteuer beim Abentheuer! Entspannen in intakter Na-
tur! Top-Inklusivleistungen! Komfortzimmer! Gutbürger-
liche Küche! Schwimmbiotop! Wildschweingehege! Inter-
essante Ausflugsmöglichkeiten!»
Abgesehen davon, dass man mit den ganzen Rufzeichen
genügend Startkapital für die Gründung einer eigenen
Boulevardzeitung beisammengehabt hätte: Waren sie hier
jetzt eigentlich im Komfortzimmer – oder doch im Wild-
gatter?
Nein. Das konnte sich der neue Suchanek, der kämpferi-
sche Suchanek, ohne dessen ungeheure Durchschlagskraft
sie ja gar nicht hier wären, jetzt nicht auch noch bieten las-
sen. Er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren.
Gut, okay. Natürlich hatte er keinen Ruf zu verlieren.
Aber männliches Auftreten sollte ja durchaus als sexy gel-
ten. Suchanek gab sich einen Ruck.
«Ich geh da jetzt runter und misch es denen einmal or-
dentlich. Die sollen uns gefälligst ein anderes Zimmer ge-
ben.»
Als er unten an der Rezeption ankam, die eigentlich
nur aus einem der Länge nach halbierten, unbehandelten
Baumstamm bestand, der mit unzähligen Ringen von im
Lauf der Jahre achtlos darauf abgestellten Kaffeetassen
und Gläsern verziert war, fiel ihm – wie doch öfter einmal
mit leichter Verspätung – etwas auf. Dem Lächeln, das Susi
ihrem weißen Ritter bei seinem Abgang Richtung Schlacht-
feld geschenkt hatte, war ein bisschen gar viel Milde beige-
mischt gewesen. Und jetzt befiel Suchanek der schreckliche
Verdacht, es könnte sich hierbei eventuell um die Milde
des besseren Wissens gehandelt haben. Des Wissens darum
nämlich, wie sein Kampfeinsatz ausgehen würde.
«Nein. Das geht leider nicht.»
Die Abentheurerin, eine ausbaufähig blondierte Mitt-
dreißigerin, der man, wenn man denn unbedingt wohlwol-
lend hätte sein wollen, das Attribut «burschikos» verliehen
hätte, schüttelte energisch den Kopf.
«Was heißt, das geht nicht? Entschuldigung schon, aber
in ihrem Prospekt hier ...», Suchanek wachelte ihr, für seine
Verhältnisse fast schon hochgradig erregt, mit dem bunten
Papier vor der fettig glänzenden Nase herum, «... in ihrem
Prospekt steht: ‹Komfortzimmer!› Mit Rufzeichen! Jetzt
verraten Sie mir bitte eines: Wenn das Loch, das Sie uns
gegeben haben, ein Komfortzimmer ist, wie schaut dann
eigentlich eines ohne Komfort aus? Fehlen bei dem die
Fenster? Oder muss man da in der Nacht raus aufs Plumps-
klo? Über ein Minenfeld?»
Offensichtlich nicht sonderlich angetan von Sucha-
neks Renitenz, verformte die Abentheurerin ihre kleinen
Schweinsaugen, soweit es eben möglich war, in Richtung
Katze.
«Bei der Reservierung ist ausdrücklich dazugesagt wor-
den, dass ein Standardzimmer ausreicht», sagte sie kühl.
«Wer hat das gesagt? Der miese Magister?»
«Ich kenn keinen Magister. Jemand vom Grafen hat an-
gerufen und das gebucht.»
«Ich kenn wiederum keinen Grafen.»
«Na, unser Graf halt. Der mit der Straußenzucht. Die
Herrschaft.»
Die Herrschaft. Es war ja erst knapp hundert Jahre her,
dass der Adel in Österreich abgeschafft worden war. In die-
sem kosmischen Wimpernschlag konnte sich das klarer-
weise noch nicht bis hierher durchgesprochen haben. Und
die Herrschaft hatte offenbar dem Magister den Gefallen
geschuldet.
«Sie haben diesen Urlaub doch irgendwie gewonnen
oder so, nicht?», fuhr die Abentheurerin fort. «Kennen Sie
eigentlich das Sprichwort mit dem geschenkten Gaul?»
Gewonnen? Das traf es ja nun so was von überhaupt
nicht. Aber Suchanek wollte die unbedarfte Frau jetzt gar
nicht erst auf den himmelhohen Unterschied zwischen der
Teilnahme an einem peinlichen Preisausschreiben und der
Leistung hinweisen, für die der Held von Wulzendorf die-
sen Aufenthalt als bescheidene Anerkennung erhalten hat-
te. Es war nicht sein Stil, mit so was zu protzen. Also sagte
er:
«Gewonnen? Das trifft es ja nun so was von überhaupt
nicht. Aber ich will Sie jetzt gar nicht erst auf den him-
melhohen Unterschied zwischen der Teilnahme an einem
peinlichen Preisausschreiben und der Leistung hinweisen,
für die der Held von Wulzendorf diesen Aufenthalt hier
als bescheidene Anerkennung erhalten hat. Es ist nämlich
nicht mein Stil, mit so was zu protzen.»
Jetzt blieb der Mund über der rot-blau karierten Holzfäl-
lerbluse, aus der sicherlich bald ein Trend werden würde,
zumindest in dem menschenleeren Landstrich da oben in
Nord-Nordkanada, halb offen stehen. Und dann sagte er:
«Oh. Sie sind das? Der mit den Morden in Wulzendorf? Sie
waren in der Zeitung!»
Das klang zumindest einmal nach leichter Ehrfurcht,
wenngleich man noch nicht mit letzter Sicherheit davon
ausgehen konnte, dass darauf folgen würde: «Es tut mir ja
so leid. Der Butler wird Ihre Sachen sofort in die Suite brin-
gen.»
«Es tut mir ja so leid.» – Ha! Die Dinge schienen sich also
doch noch in die richtige Richtung zu entwickeln! – «Sie
haben also jetzt den Typ ‹Graureiher› ... Na ja, ich hätte da
schon auch noch eines vom Typ ‹Weißstorch›. Das wäre ein
Superiorzimmer.»
Das klang so weit ziemlich gut. Bis auf den Konjunktiv.
«Aber da müsste ich dann den Aufschlag extra verrech-
nen. Weil, der Graf zahlt wie gesagt nur den Standardpreis.»
Das war natürlich ganz und gar unerhört vom Grafen.
«Und wie viel würde das kosten?»
Die Holzfällerin legte ihm wortlos einen Zettel hin und
tippte auf eine Zahl darauf. Auf eine viel zu große. Wobei:
Nicht, dass sich Suchanek eine kleinere hätte leisten kön-
nen. Und jetzt die Susi auch noch anschnorren, nach allem,
was bei ihrem ersten gemeinsamen Urlaub schon schiefge-
laufen war, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte,
das war ja nun wirklich zu peinlich.
Als er mit leicht verhärteter Miene ins Zimmer zurück-
kam, hatte Susi schon ausgepackt. Wissen ist eben Macht.
Aber sie bemühte sich sofort, die von ihr antizipierte
Schmach Suchaneks der Vergessenheit anheimfallen zu
lassen. «Komm!», strahlte sie ihn an. «Erkunden wir ein-
mal ein bisschen die Gegend!»
Jetzt hatte die Zimmerniederlage aber im Verein mit je-
ner, überhaupt hier zu sein, aus dem neuen, dem kämpferi-
schen, dem aktiven Suchanek umgehend wieder den alten
gemacht. Und auf dessen persönlicher Hitliste von Din-
gen, die man unbedingt noch tun musste, bevor man den
Löffel abgab, nahm die Erkundung von Gegenden, denen
man schon auf den ersten Blick ansah, dass man auch beim
zweiten nichts sehen würde, nicht unbedingt eine Spitzen-
position ein. Andererseits war diese Liste verdammt kurz.
Denn wenn man etwas tat, war es ja doch meistens mit
beträchtlichem Aufwand verbunden – der sich bei weitem
nicht immer lohnte. Und gerade in puncto Aufwand war
Suchanek generell sehr darauf bedacht, jedes unnötige Ri-
siko zu vermeiden. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte
er stattdessen den Joint angesteckt, den er sich in weiser
Voraussicht schon zu Hause gerollt hatte, um am Urlaubs-
ort nicht unnötig Zeit verschwenden zu müssen, und ein,
zwei Stunden ausdrucksstark auf Heiligenblut gestarrt. Er
sah allerdings ein, dass das für Susi möglicherweise etwas
weniger ansprechend war als für ihn. Also trottete er doch
mit nach draußen.
© Rowohl
1
Der Kommissar hatte schon viel gesehen. Aber das
hier, das war echt was Besonderes. Wegen der ausge-
weideten Leiche auch, klar. Wobei er so eine ähnliche sogar
schon einmal gehabt hatte, als sich seinerzeit im Mostvier-
tel dieser stille Buchhalter urplötzlich eingebildet hatte, im
zweiten Bildungsweg Kannibale werden zu müssen. Ob-
wohl er doch bis dahin Veganer gewesen war.
Aber: Was die hier unter einem Fremdenzimmer ver-
standen!
Kommissar Wimmer klopfte auf etwas, das zum Zeit-
punkt seiner Entstehung, also ungefähr am Beginn der
industriellen Revolution, vermutlich ein Fauteuil gewesen
war. Trotz des Vergnügens, das er dabei empfand – es war
ja nicht sein Zimmer –, ließ er eine gewisse Vorsicht walten.
Denn heftigere Schläge hätten möglicherweise eine Staub-
wolke freigesetzt, deretwegen man dann den Flugraum
über Mitteleuropa ein paar Tage hätte sperren müssen.
Und wer, der kein an dem Gerede der Leute eher minder
interessierter isländischer Vulkan war, wollte denn an so
was schuld sein?
Zu behaupten, das Zimmer wäre nicht sehr groß, nicht
besonders schön und auch nicht überbordend sauber ge-
wesen, hätte sich der Wahrheit genauso stark angenähert
wie der Satz: «Paris Hilton ist möglicherweise nicht ganz
so genial wie Albert Einstein.» Neben dem Fauteuil waren
ein Doppelbett, ein hoffentlich noch nicht ausgewach-
senes Tischchen und ein Kasten, dessen Tür sich nicht
schließen ließ und wegen der offensichtlichen Abschüs-
sigkeit des Holzimitatbodens weit aufklaffte, die einzigen
Einrichtungsgegenstände. Sofern man den offenbar aus
den Resten eines kontrolliert gesprengten orangefarbenen
Plastikkübels zusammengesetzten Lampenschirm nicht
mitzählte. Und den Duschvorhang im Bad, der sich noch
mit immerhin drei seiner sieben Haken an der Stange fest-
hielt. Er war graugrün, wobei eine genauere Betrachtung
verriet, dass das Grau ihm wohl erst mit der Zeit zugewach-
sen war – und ziemlich sicher lebte.
Über dem Bett hing ein gerahmtes, schon schwer blau-
stichiges Kalenderblatt vom Juni 2005. Es zeigte Heiligen-
blut mit dem Großglockner im Hintergrund, wohl um den
Gast unaufdringlich, aber anhaltend daran zu erinnern,
dass er besser dorthin gefahren wäre. Wimmer hatte es fest
im Blick, als er sagte:
«Also, wenn ich Sie nicht schon ein wenig kennen würde,
Herr Suchanek, dann würde ich jetzt zumindest in Betracht
ziehen, dass schon allein die Unterbringung in diesem
Zimmer ein Mordmotiv sein könnte.»
Ein lautloses Lachen gurgelte wie saures Aufstoßen in
ihm hoch und schüttelte seinen kurzen, dafür aber umso
breiteren Körper rhythmisch durch.
«Könnten Sie bitte damit aufhören?», fragte Susi genervt.
Sie lag im Bett, blass, die Decke trotz der schwülen Hitze bis
zum Kinn hochgezogen. «Da draußen ist ein Mensch bei le-
bendigem Leib von Wildschweinen aufgefressen worden –
und Sie machen blöde Witze?»
Der Kommissar nahm Haltung an, räusperte sich und
schüttelte den Kopf.
«Da muss ich Sie korrigieren. Nicht bei lebendigem Leib.
Soweit mir bekannt ist, fressen Wildschweine nichts, was
noch lebt. Außerdem müsste da rundherum literweise Blut
sein, wenn das Opfer noch gelebt hätte, als die Schweine ...
Da ist aber keins.»
«Woran ist es denn dann gestorben?», fragte Suchanek.
«Das wissen wir noch nicht. Oberflächlich ist an der
Leiche nichts festzustellen. Nur ein kleiner Bluterguss am
Kopf. Wahrscheinlich wurde das Opfer niedergeschlagen.
Und sonst ist es halt vollkommen von den Gelsen zersto-
chen, so was habe ich noch nicht gesehen.»
«Moment einmal», sagte Suchanek, meinte es aber nicht
so. Es dauerte nämlich deutlich länger als einen Moment,
jene Lava zu bändigen, die ihm ein soeben in seiner Magen-
gegend neu entstandener Supervulkan bis unter die Schä-
deldecke eruptiert hatte. «Vollkommen zerstochen, sagen
Sie?»
«Na, ist ja kein Wunder. Zuerst das Hochwasser, dann die
Hitze. Heuer gibt es so viele Gelsen wie seit Menschenge-
denken nicht, sagen die Einheimischen. In der Nacht muss
dieser Wald die Hölle sein», erwiderte Wimmer.
Das war er. Suchanek wusste das. Er war ja drin gewe-
sen.
«Und kein Blut», fuhr er nachdenklich fort.
«Wollen Sie auf etwas Bestimmtes hinaus, oder ist das
ein Word-Rap in Zeitlupe?», fragte Wimmer.
«Würden Gelsen eine Leiche stechen?»
Der Kommissar stutzte. Das war ja doch einmal eine gar
nicht so dumme Frage.
«Nein. Das würden sie nicht. Mit geronnenem Blut kön-
nen die nichts anfangen.»
«Also haben ihn zuerst die Gelsen traktiert. Dann ist er
gestorben. Und dann sind die Wildschweine gekommen.»
«Vom Zeitablauf her muss es wohl so gewesen sein, ja.»
Suchanek ging zum Fenster und schaute in den Hof, der
sonst immer leer gewesen war. Jetzt wuselte es da unten
wie am ersten Sommerschlussverkaufstag auf der Maria-
hilferstraße.
«So eine verdammte Scheiße», murmelte er.
«Suchanek, was ist los?», fragte Susi. «Was hast du denn?»
Wimmer schloss sich an. «Ich würde es auch sehr schät-
zen, wenn Sie mir erklären könnten, worum es geht.»
Suchanek atmete tief durch. Und dann sagte er: «Um
den Ceaus escu.»
Ach so. Das erklärte alles.
«Um den Ceaus escu», wiederholte der Kommissar.
«Ja.»
Wimmer lockerte seinen Krawattenknopf. Der Kerl nerv-
te. Aber eigentlich war das ja nichts Neues. In Wirklichkeit
nervte der Suchanek, seit er ihn kennengelernt hatte. Und
Wimmer hatte auch noch lange nicht verdaut, dass es die-
ser ständig bekiffte Schlafwandler vor ein paar Monaten ge-
schafft hatte, die Mordserie in Wulzendorf aufzuklären. Wo
dort doch auch ein wirklich erfahrener und gerissener Kri-
mineser vor Ort gewesen war, dem dieser Erfolg viel besser
zu Gesicht gestanden hätte: Kommissar Gernot Wimmer.
«Kommt da jetzt irgendwann noch eine Erläuterung,
oder muss ich mit dieser nagenden Ungewissheit weiter-
leben?», sagte er missmutig.
Suchanek starrte weiter bewegungslos aus dem Fenster.
Und er konnte selbst nicht glauben, was er dann sagte.
«Es sieht so aus, als hätte ich etwas mit diesem Mord zu
tun.»
Susi fuhr hoch. «Was redest du da daher?»
Und auch der Kommissar hatte mit vielem gerechnet –
aber sicher nicht mit so einem Geständnis.
«Sie? Das gibt’s doch nicht!»
«Ich fürchte doch. Weil ... das mit der Ceaus escu-Metho-
de – das war ich.»
Der Kommissar ließ alle Rücksicht auf die kommerzielle
Ausbeutbarkeit des Luftraumes fahren und sich selbst in
den vermutlichen Fauteuil fallen.
«Also gut. Nicht, dass ich jetzt auch nur im Geringsten
verstanden hätte, was Sache ist. Aber es hört sich jedenfalls
nicht gut an. Dann erklären Sie mir das mal. Was genau wa-
ren Sie? Und was ist diese Ceaus escu-Methode, von der Sie
da stammeln? Oder nein, warten Sie! Fangen Sie am besten
überhaupt ganz von vorne an. Denn zuallererst stellt sich
ja einmal die Frage: Warum sind Sie überhaupt hier? Was
zur Hölle haben Sie in diesem Kaff verloren?»
Ja, da merkte man halt den Profi. Denn das war natürlich
eine ziemlich gute Frage. Die Antwort begann mit einem
Telefonat, das Suchanek einige Wochen zuvor geführt hatte.
2
«Tut mir leid, aber der Herr Magister ist bei Tisch.»
«Ha! Gewonnen!»
«Bitte?»
«Ich habe gerade eine Wette gegen mich selber gewon-
nen. Ich muss mir jetzt drei Mal mein Auto waschen.»
«Äh... Aha.»
«Weil ich doch gestern eineinhalb Stunden später ange-
rufen habe und der Herr Magister da auch bei Tisch war. Sie
können sich sicher noch erinnern.»
«Dunkel.»
«Und vorgestern wiederum war er schon um halb elf
weg und um halb zwei immer noch nicht zurück. Und vor-
vorgestern und letzte Woche und die Woche davor – im-
mer, wenn ich anrufe, ist er bei Tisch.»
«Wollen Sie dem Herrn Magister vorschreiben, wann er
Hunger haben darf?»
«Um Himmels willen, nein! Das wäre ja praktisch Amts-
anmaßung. Wenn einer bestimmen darf, wann der Magen
vom Herrn Magister zu knurren hat, dann ist das natürlich
der Landeshauptmann. Aber es scheint doch eindeutig so
zu sein, dass ich einen ungeheuren Riecher für das Bei-
Tisch-Sein als solches habe. Kaum dass sich der Herr Ma-
gister hingesetzt hat und über der ewigen Frage zu schwit-
zen beginnt, welche von den Gabeln jetzt für die Vorspeise
gehört – wusch, schon verspüre ich das dringende Bedürf-
nis, seine Nummer zu wählen. Das muss man auch erstmal
können. Glauben Sie, dass man diese Begabung irgendwie
zu Geld machen kann?»
«Ich, äh ... also, wie gesagt: Der Herr Magister ist nicht da.
Und ich weiß nicht, wann er zurückkommt.»
«Wissen Sie, langsam glaube ich ja, dass der Herr Magis-
ter in Wirklichkeit gar nicht die rechte Hand vom Landes-
hauptmann ist.»
«Was sollte er denn sonst sein?»
«Gourmetkritiker. Weil, so oft und so lang wie der bei
Tisch ist, muss er einfach ein Profi sein. Und man kann für
ihn nur hoffen, dass das wenigstens auf Spesen geht. Na ja,
wahrscheinlich tut es das so oder so.»
«Nur dass das klar ist, Herr Suchanek: Wenn Sie jetzt
auch noch ungut werden, dann lege ich sofort auf.»
«Was heißt ‹auch noch›? Was hab ich denn sonst noch
angestellt?»
«Fragen Sie mich das im Ernst? Seit Wochen rufen Sie
praktisch jeden Tag bei mir an. Wie komm ich eigentlich
dazu? Das grenzt ja schon an Stalking.»
«Stalking? Na, das ist ja ein toller Beweis für Bürgernähe,
wenn sich eine Vorzimmerdame in der Landesregierung
darüber beschwert, dass jemand anruft.»
«Haben Sie mich gerade Vorzimmerdame genannt?»
«Ja. Und?»
«In welchem Jahrhundert leben Sie? Ich bin Executive
Head of Office Management.»
«So was gibt es? Echt? In Niederösterreich? Was heißt
denn das?»
«Das heißt ... Hören Sie, ich hab auch noch was anderes
zu tun.»
«Das hoffe ich. Und wenn Sie mich endlich einmal mit
dem Herrn Magister verbinden würden, dann könnten Sie
das ja auch tun. Dann haben Sie endlich wieder eine Ruhe
von mir.»
Die Vorzimmerdame seufzte. Dann sagte sie leise: «Der
reißt mir den Kopf ab.»
«Das heißt also, er ist da?»
Schweigen.
«Wissen Sie, was? Sagen Sie ihm, wenn er nicht endlich
mit mir redet, dann geh ich in die Zeitung. Ohne mich wür-
de der Mörder von Wulzendorf immer noch frei herum-
laufen. Der Landeshauptmann verspricht mir zum Dank
für meinen selbstlosen Dienst an der Allgemeinheit einen
Erholungsurlaub. Aber sowie die Kamerateams weg sind,
hat er das wieder vergessen. Das wäre doch ein gefundenes
Fressen für die Presse!»
«Für die niederösterreichische Presse? Sie sind nicht von
hier, oder?»
«Wollen Sie jetzt endlich eine Ruhe von mir haben – oder
nicht?»
«Na gut. Bleiben Sie dran.»
Suchanek atmete tief durch. Das war zumindest einmal
ein Etappenerfolg. Der Suchanek von früher hätte viel-
leicht ein-, zweimal angerufen, sich abwimmeln lassen,
und aus. Wenn er denn überhaupt angerufen hätte. Aber
wenn er aus seinen jüngeren Erlebnissen etwas gelernt
hatte, dann, dass er nicht immer so leicht aufgeben durfte.
Manchmal musste man eben kämpfen. Und man muss-
te sich auch einmal breitbeinig hinstellen und mit fester
Stimme sagen: «Ich bin der Held von Wulzendorf. Und wer
sind Sie?»
In diesem gerade eben noch zart in Richtung Erfreulich-
keit tendierenden Moment hätte es allerdings auch ge-
reicht, sich breitbeinig hinzustellen und sich den Rest zu
denken.
«Wer ich bin? Magister Kerschbaum mein Name», tönte
es aus dem Telefon. «Und Sie sind ... lassen Sie mich raten:
der Held von Wulzendorf?»
Obwohl man gerade, wenn man Suchanek war, im Lau-
fe eines zwar nicht unbedingt ereignisreichen, aber doch
auch schon wieder jahrzehntelangen Lebens durchaus die
eine oder andere Möglichkeit gehabt hatte, sich an peinli-
che Situationen ausreichend zu gewöhnen, war es immer
wieder so schön und frisch wie beim ersten Mal.
«Ich ... Na ja, ja. Aber nicht, dass Sie jetzt glauben, ich
habe das selbst erfunden. Sie wissen ja, wie die Presse ist.»
«Oh ja, das weiß ich sehr gut. Was die immer daher-
schreiben, ha? Jeden Tag muss ich mich über was anderes
ärgern. Fehlte nur noch, irgend so ein Schmierfink würde
behaupten, dass mein Chef seine Versprechen nicht hält.»
Suchanek vergrub seine beiden oberen Einser in der Un-
terlippe. Wenn er jetzt zurückzuckte, dann war die für sei-
ne Verhältnisse mehr als erstaunliche Sturheit, mit der er
es zumindest einmal bis hierher geschafft hatte, umsonst
gewesen.
«Hören Sie, Herr Magister: Ich will Ihnen wirklich keine
Schwierigkeiten machen. Aber warum soll ich auf etwas
verzichten, das er mir großmächtig versprochen hat?»
«Herr Suchanek! Wissen Sie eigentlich, wie angespannt
die Budgetsituation des Landes Niederösterreich ist? Wir
mussten sogar schon den Heizkostenzuschuss für Bedürf-
tige halbieren. Der Landeshauptmann hat deshalb nächte-
lang nicht schlafen können.»
«Wieso nicht? Ist heuer noch eine Wahl?»
«Jetzt passen Sie einmal auf, ja? Sie haben immerhin das
Silberne Ehrenzeichen für besondere Verdienste um das
Land Niederösterreich bekommen. Was wollen Sie denn
noch?»
«Entschuldigung schon, aber das Silberne Ehrenzeichen,
das ist so ziemlich die beschissenste Auszeichnung, die ihr
habt. Das kriegt doch praktisch jeder. Da braucht einer nur
lang genug Vizebürgermeister in Unterstinkenbrunn ge-
wesen sein. Oder Kapellmeister von Feuchtkirchen.»
Der Magister schwieg unangenehm lang. Und dann sag-
te er:«Feuchtkirchen also. So, so.»
«Ich gebe das Silberne Ehrenzeichen auch gerne zurück,
wenn ich dafür endlich meinen Urlaub bekomme. Es ist
wie neu, hat keine Kratzer und nichts. Das kann man sofort
dem nächsten dankbaren Deppen umhängen.»
«Also gut. Ich sag Ihnen was: Ich will nicht, dass diese
Situation noch weiter eskaliert. Ich werde schon eine Lö-
sung finden. Hauptsache, wir schaffen diese blöde Ge-
schichte aus der Welt. Und ich hab da auch schon eine Idee.»
«Ehrlich? Welche denn?»
«Na ja, wissen Sie, ich kenn da jemanden, der ist mir
noch einen Gefallen schuldig, den werde ich einmal anru-
fen. Eine Woche war ausgemacht?»
«Für zwei Personen, ja.»
«Gut. Geben Sie mir ein paar Tage, um das zu organisie-
ren. Ich lasse Ihnen dann per Post einen Gutschein zukom-
men.»
«Das klingt ja echt super!»
«Aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass ich dann nie
wieder etwas von Ihnen höre.»
«Ja. Versprochen. Vielen Dank, Herr Magister.»
«Ich bin froh, dass ich helfen konnte.»
«Und ... die Sache hat auch sicher keinen Haken?»
3
Suchanek und Wimmer hätten beide empört zurück-
gewiesen, auch nur irgendetwas gemeinsam zu haben.
Womit sie allerdings erst recht wieder etwas gemeinsam
hatten. Wenn man den Kommissar mit dieser Behauptung
an einem schlechten Tag erwischt hätte, dann wäre eventu-
ell sogar ein Verfahren wegen Beamtenbeleidigung die Fol-
ge gewesen. Aber es ließ sich nicht leugnen, dass sie zumin-
dest über ein ähnlich feines Sensorium verfügten. Dem
Suchanek war nämlich das mit dem Zimmer auch gleich
bei der Ankunft am Urlaubsort aufgefallen.
Selbst Susi, die gütige, geduldige Susi, atmete nach dem
Erstkontakt mit dieser auf rätselhafte Weise aus dem Weiß-
russland der siebziger Jahre hierher gebeamten Wohnein-
heit einmal ganz tief ein und blies die Luft dann mit ge-
blähten Backen stoßweise wieder aus, um sich zu sammeln.
Und dann sagte sie: «Also, es ist ... eh.»
So war sie halt, die Susi. Einfach ein netter Mensch. Aber
die Antwort darauf war natürlich: nein. Das hier war in sei-
ner allumfassenden Armseligkeit nicht einmal annähernd
«eh».
Wenn einer schon mit Vornamen «Magister» hieß, hät-
te eine an sich unfehlbare Menschenkenntnis wie jene
Suchaneks («Arschlöcher. Alle.») eigentlich allein deshalb
in den Alarmmodus hochschalten müssen. Und wenn
dieser Magister zusätzlich auch noch einen Hauptwohn-
sitz in der Mitte eines mächtigen Hinterns als ausrei-
chende Daseinsberechtigung ansah (was zu der physika-
lisch hochinteressanten Frage Anlass gab, wie ein Loch in
einem Loch existieren konnte), dann umso mehr. Aber das
Hochgefühl über den dem Hauptquartier des Bösen abge-
rungenen Sieg hatte Suchanek leider im entscheidenden
Moment seinen unbestechlichen Blick verstellt. Er hatte
nicht einmal Lunte gerochen, als der Magister am Telefon
auf die abschließende Frage, wohin denn nun die große
Reise gehen werde, beinahe enthusiasmiert «Lassen Sie
sich überraschen!» geraunt hatte.
Als dann der Gutschein in der Post lag, hatte Sucha-
nek umgehend einräumen müssen, dass dem Magister
die Überraschung absolut gelungen war. Wenn er die Susi
nicht schon vorher mit großem Pomp zum gemeinsamen
Urlaub eingeladen hätte, stolz, eh klar, weil er endlich, end-
lich einmal was anderes zu bieten hatte als die immer glei-
che ungepflegte Langeweile – mit diesem Gutschein in der
Hand hätte er es sich auf keinen Fall getraut. Und auch al-
leine wäre er natürlich nie und nimmer ausgerechnet hier-
hergefahren. Aber die Susi, Vorfreude und alles, war wieder
einmal ganz Pragmatikerin. So ist es jetzt nun einmal, und
die Oma hat schon zugesagt, dass sie sich eine Woche um
die Kinder kümmert, und wer weiß, ob die Oma jemals wie-
der einen dermaßen sträflich schwachen Moment hat, und
darum fahren wir da jetzt hin und aus.
Und jetzt schau halt nicht so.
Also hatte Suchanek an diesem gleißenden Samstag im
August, an dem es schon vormittags so abartig heiß war,
dass die zwei Buben von der Susi beim Winken nicht ruhig
barfuß auf dem glühenden Gehsteig stehen konnten, son-
dern herumtänzeln mussten wie nervöse Hengste, knapp
bevor sie in die preiswerte Tiefkühllasagne wanderten, um
10.17 Uhr in Wulzendorf Susis Auto gestartet. Denn Susis
Auto war für so eine Urlaubsreise, bei der es ja vor allem
auf Ausdauer und Verlässlichkeit ankam, ohne Zweifel die
bessere Wahl als seines. Weil es doch etwas besser beisam-
men war. Und nur zum Beispiel nach der jährlichen Über-
prüfung sogar noch Kennzeichen gehabt hätte.
Die Fahrt hatte dann leider wesentlich länger gedauert
als bei der Routenplanung kalkuliert. Zwischen Altenbrunn
und Enzeshof war nämlich der Bahnschranken zu gewesen.
Das wusste Suchanek an sich aufgrund seiner sehr persön-
lichen Beziehung zu Zügen durchaus zu schätzen. Aller-
dings verlängerte es im speziellen Fall aber eben die Reise-
dauer um gute 16 Prozent. Und somit hatte Suchanek den
Motor, der diesen Langzeittest mit Bravour überstanden
hatte, erst um 11.08 Uhr wieder abgestellt.
Und nein. Auch dann war immer noch nicht der Augen-
blick, bislang Versäumtes mannhaft nachzuholen und der
Susi mitzuteilen, man habe möglicherweise vielleicht un-
ter Umständen ein ganz klein wenig dazu beigetragen, dass
sie der miese Magister ausgerechnet hierher verfrachtet
hatte.
Nach Feuchtkirchen. Zu einem Abentheuer-Urlaub.
Mit th.
Der Hof der Familie Abentheuer lag nicht direkt im Dorf,
sondern gut einen Kilometer außerhalb, gleich beim Hoch-
wasserschutzdamm. Dass er erfüllte, was sein Name doch
irgendwie insinuierte, war eher auszuschließen. Es war
ein für diesen Teil Niederösterreichs eher unüblicher Drei-
seithof. Das langgezogene Wohnhaus stammte sicherlich
aus den siebziger Jahren, war also in einem Stil erbaut, der
keiner war. Graues Welleternitdach, rissige Fassade, zwei
Reihen vollkommen identischer goldfarbener Alufenster.
Ein Windfang aus Milchplastik, hinter dem die Eingangs-
tür völlig zu Recht versteckt wurde. Der gegenüberliegende
Stall schaffte es zum Glück, dieses architektonische Niveau
zu halten. Am hinteren Ende des Grundstückes schließlich
stand eine Lagerhalle aus unverputzten Schalsteinen. Alles
in allem musste man zugeben, dass dies zumindest rein
optisch ein Anwesen der Superlative war. Denn eine grö-
ßere Scheußlichkeit wäre wohl nur unter Mitarbeit eines
Jahrhundert-Erdbebens zu erreichen gewesen.
Suchanek starrte auf den Gutschein in seiner Hand.
«Abenteuer beim Abentheuer! Entspannen in intakter Na-
tur! Top-Inklusivleistungen! Komfortzimmer! Gutbürger-
liche Küche! Schwimmbiotop! Wildschweingehege! Inter-
essante Ausflugsmöglichkeiten!»
Abgesehen davon, dass man mit den ganzen Rufzeichen
genügend Startkapital für die Gründung einer eigenen
Boulevardzeitung beisammengehabt hätte: Waren sie hier
jetzt eigentlich im Komfortzimmer – oder doch im Wild-
gatter?
Nein. Das konnte sich der neue Suchanek, der kämpferi-
sche Suchanek, ohne dessen ungeheure Durchschlagskraft
sie ja gar nicht hier wären, jetzt nicht auch noch bieten las-
sen. Er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren.
Gut, okay. Natürlich hatte er keinen Ruf zu verlieren.
Aber männliches Auftreten sollte ja durchaus als sexy gel-
ten. Suchanek gab sich einen Ruck.
«Ich geh da jetzt runter und misch es denen einmal or-
dentlich. Die sollen uns gefälligst ein anderes Zimmer ge-
ben.»
Als er unten an der Rezeption ankam, die eigentlich
nur aus einem der Länge nach halbierten, unbehandelten
Baumstamm bestand, der mit unzähligen Ringen von im
Lauf der Jahre achtlos darauf abgestellten Kaffeetassen
und Gläsern verziert war, fiel ihm – wie doch öfter einmal
mit leichter Verspätung – etwas auf. Dem Lächeln, das Susi
ihrem weißen Ritter bei seinem Abgang Richtung Schlacht-
feld geschenkt hatte, war ein bisschen gar viel Milde beige-
mischt gewesen. Und jetzt befiel Suchanek der schreckliche
Verdacht, es könnte sich hierbei eventuell um die Milde
des besseren Wissens gehandelt haben. Des Wissens darum
nämlich, wie sein Kampfeinsatz ausgehen würde.
«Nein. Das geht leider nicht.»
Die Abentheurerin, eine ausbaufähig blondierte Mitt-
dreißigerin, der man, wenn man denn unbedingt wohlwol-
lend hätte sein wollen, das Attribut «burschikos» verliehen
hätte, schüttelte energisch den Kopf.
«Was heißt, das geht nicht? Entschuldigung schon, aber
in ihrem Prospekt hier ...», Suchanek wachelte ihr, für seine
Verhältnisse fast schon hochgradig erregt, mit dem bunten
Papier vor der fettig glänzenden Nase herum, «... in ihrem
Prospekt steht: ‹Komfortzimmer!› Mit Rufzeichen! Jetzt
verraten Sie mir bitte eines: Wenn das Loch, das Sie uns
gegeben haben, ein Komfortzimmer ist, wie schaut dann
eigentlich eines ohne Komfort aus? Fehlen bei dem die
Fenster? Oder muss man da in der Nacht raus aufs Plumps-
klo? Über ein Minenfeld?»
Offensichtlich nicht sonderlich angetan von Sucha-
neks Renitenz, verformte die Abentheurerin ihre kleinen
Schweinsaugen, soweit es eben möglich war, in Richtung
Katze.
«Bei der Reservierung ist ausdrücklich dazugesagt wor-
den, dass ein Standardzimmer ausreicht», sagte sie kühl.
«Wer hat das gesagt? Der miese Magister?»
«Ich kenn keinen Magister. Jemand vom Grafen hat an-
gerufen und das gebucht.»
«Ich kenn wiederum keinen Grafen.»
«Na, unser Graf halt. Der mit der Straußenzucht. Die
Herrschaft.»
Die Herrschaft. Es war ja erst knapp hundert Jahre her,
dass der Adel in Österreich abgeschafft worden war. In die-
sem kosmischen Wimpernschlag konnte sich das klarer-
weise noch nicht bis hierher durchgesprochen haben. Und
die Herrschaft hatte offenbar dem Magister den Gefallen
geschuldet.
«Sie haben diesen Urlaub doch irgendwie gewonnen
oder so, nicht?», fuhr die Abentheurerin fort. «Kennen Sie
eigentlich das Sprichwort mit dem geschenkten Gaul?»
Gewonnen? Das traf es ja nun so was von überhaupt
nicht. Aber Suchanek wollte die unbedarfte Frau jetzt gar
nicht erst auf den himmelhohen Unterschied zwischen der
Teilnahme an einem peinlichen Preisausschreiben und der
Leistung hinweisen, für die der Held von Wulzendorf die-
sen Aufenthalt als bescheidene Anerkennung erhalten hat-
te. Es war nicht sein Stil, mit so was zu protzen. Also sagte
er:
«Gewonnen? Das trifft es ja nun so was von überhaupt
nicht. Aber ich will Sie jetzt gar nicht erst auf den him-
melhohen Unterschied zwischen der Teilnahme an einem
peinlichen Preisausschreiben und der Leistung hinweisen,
für die der Held von Wulzendorf diesen Aufenthalt hier
als bescheidene Anerkennung erhalten hat. Es ist nämlich
nicht mein Stil, mit so was zu protzen.»
Jetzt blieb der Mund über der rot-blau karierten Holzfäl-
lerbluse, aus der sicherlich bald ein Trend werden würde,
zumindest in dem menschenleeren Landstrich da oben in
Nord-Nordkanada, halb offen stehen. Und dann sagte er:
«Oh. Sie sind das? Der mit den Morden in Wulzendorf? Sie
waren in der Zeitung!»
Das klang zumindest einmal nach leichter Ehrfurcht,
wenngleich man noch nicht mit letzter Sicherheit davon
ausgehen konnte, dass darauf folgen würde: «Es tut mir ja
so leid. Der Butler wird Ihre Sachen sofort in die Suite brin-
gen.»
«Es tut mir ja so leid.» – Ha! Die Dinge schienen sich also
doch noch in die richtige Richtung zu entwickeln! – «Sie
haben also jetzt den Typ ‹Graureiher› ... Na ja, ich hätte da
schon auch noch eines vom Typ ‹Weißstorch›. Das wäre ein
Superiorzimmer.»
Das klang so weit ziemlich gut. Bis auf den Konjunktiv.
«Aber da müsste ich dann den Aufschlag extra verrech-
nen. Weil, der Graf zahlt wie gesagt nur den Standardpreis.»
Das war natürlich ganz und gar unerhört vom Grafen.
«Und wie viel würde das kosten?»
Die Holzfällerin legte ihm wortlos einen Zettel hin und
tippte auf eine Zahl darauf. Auf eine viel zu große. Wobei:
Nicht, dass sich Suchanek eine kleinere hätte leisten kön-
nen. Und jetzt die Susi auch noch anschnorren, nach allem,
was bei ihrem ersten gemeinsamen Urlaub schon schiefge-
laufen war, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte,
das war ja nun wirklich zu peinlich.
Als er mit leicht verhärteter Miene ins Zimmer zurück-
kam, hatte Susi schon ausgepackt. Wissen ist eben Macht.
Aber sie bemühte sich sofort, die von ihr antizipierte
Schmach Suchaneks der Vergessenheit anheimfallen zu
lassen. «Komm!», strahlte sie ihn an. «Erkunden wir ein-
mal ein bisschen die Gegend!»
Jetzt hatte die Zimmerniederlage aber im Verein mit je-
ner, überhaupt hier zu sein, aus dem neuen, dem kämpferi-
schen, dem aktiven Suchanek umgehend wieder den alten
gemacht. Und auf dessen persönlicher Hitliste von Din-
gen, die man unbedingt noch tun musste, bevor man den
Löffel abgab, nahm die Erkundung von Gegenden, denen
man schon auf den ersten Blick ansah, dass man auch beim
zweiten nichts sehen würde, nicht unbedingt eine Spitzen-
position ein. Andererseits war diese Liste verdammt kurz.
Denn wenn man etwas tat, war es ja doch meistens mit
beträchtlichem Aufwand verbunden – der sich bei weitem
nicht immer lohnte. Und gerade in puncto Aufwand war
Suchanek generell sehr darauf bedacht, jedes unnötige Ri-
siko zu vermeiden. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte
er stattdessen den Joint angesteckt, den er sich in weiser
Voraussicht schon zu Hause gerollt hatte, um am Urlaubs-
ort nicht unnötig Zeit verschwenden zu müssen, und ein,
zwei Stunden ausdrucksstark auf Heiligenblut gestarrt. Er
sah allerdings ein, dass das für Susi möglicherweise etwas
weniger ansprechend war als für ihn. Also trottete er doch
mit nach draußen.
© Rowohl
... weniger
Autoren-Porträt von Rainer Nikowitz
Nikowitz, RainerRainer Nikowitz, geboren 1964, ist Kolumnist des Wochenmagazins «profil». Er lebt in Wien und «Nachtmahl» ist nach «Volksfest» sein zweiter Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rainer Nikowitz
- 2015, 4. Aufl., 320 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499267667
- ISBN-13: 9783499267666
- Erscheinungsdatum: 01.09.2014
Rezension zu „Suchanek Band 2: Nachtmahl “
Eine skurrile Handlung mit wunderbar schrägen Charakteren, eine Riesenportion Satire, gerade so dosiert, dass man die Geschichte nicht aus den Augen verliert, und ein unverwechselbarer Stil, wie man ihn aus Nikowitz' Kolumnen kennt. "Nachtmahl" ist ein österreichischer Krimi im besten Sinne. Die Presse
Kommentar zu "Suchanek Band 2: Nachtmahl"
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