Susanna im Bade
Roman
Hans Achberg ist süchtig nach Schönheit. Als Kunstsammler hat er sich auf Bilder spezialisiert, die schöne Frauen zeigen, und auch als Mann verehrt er bildschöne Frauen. Als er bei der Biennale in Venedig auf die Kunstagentin Susan Palmer trifft, ist es um...
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Produktinformationen zu „Susanna im Bade “
Klappentext zu „Susanna im Bade “
Hans Achberg ist süchtig nach Schönheit. Als Kunstsammler hat er sich auf Bilder spezialisiert, die schöne Frauen zeigen, und auch als Mann verehrt er bildschöne Frauen. Als er bei der Biennale in Venedig auf die Kunstagentin Susan Palmer trifft, ist es um ihn geschehen. Aber Achberg hat Probleme. Erstens zeigt sich das lebendige Kunstwerk Susan eher unzugänglich, zweitens behauptet eine Erpresserin, von Achbergs unversteuertem Geld in Liechtenstein zu wissen. Als zwei seiner Freunde, ebenfalls mit Kontakten zu Susan und Schwarzgeld in der Schweiz, zu Tode kommen, muss Achberg eine Entscheidung treffen: Richtet ihn die Kunst zugrunde oder hilft sie ihm zu leben?
Lese-Probe zu „Susanna im Bade “
Susanna im Bade von Wolfgang HerlesEINS
Jeff Wall: Ivan Sayers, costume historian,
lectures at the Women's Club,
Vancouver, Virginia Newton-Moss wears a British Ensemble
c. 1910, from Sayers' collection, 2011,
190 × 230 cm, Inkjet print
Am selben Tag, an dem Hans Achberg zum ersten Mal mit Klara Salzheber schlafen wird, verliert er sich in die schwarze Lady.
Ein Schleier lässt Augen ahnen, die kühn sind und klar. Ihr Kleid: rabenschwarz, bis zu den Knöcheln fallend, am Stehkragen geschlossen, stark tailliert. In der Körpermitte weist ein Dreieck aus Spitze pfeilförmig zum Schoß. Der rechte, fast gestreckte Arm setzt einen schwarzen Schirm graziös aufs Parkett, die linke Hand hält an feiner Kette eine Tasche, schwarz wie der turbanartige Hut, das Haar, die Halskette aus walnussgroßen Kugeln, Handschuhe und Schuhe. Leichter Ausfallschritt.
Schräg links hinter der Frau redet ein Mann mit beiden Händen. Weißer Vollbart und Fliege. Vor hellblauem Hemd hängt die Brille, eine zu lange beige Altherrenhose wirft Falten. Der Historiker. Er referiert. In den Spiegelfeldern im Hintergrund ist sein Publikum zu erkennen. Er sammelt Kostüme. Die schwarze Lady degradiert ihn zur Randfigur.
Ohne diese von hinten beleuchtete Fotografie, die Lightbox von Jeff Wall, ohne die Frau im viktorianischen Kostüm, ist Achbergs Sammlung nicht mehr denkbar. Er weiß es in dem Moment, in dem er sie zum ersten Mal sieht. Doch verbietet er sich jeden weiteren Gedanken daran.
Es ist Achbergs siebte oder achte Biennale, die erste ohne Kaufabsichten. Er will nicht einmal hören, wer für wie viel die Finger wovon nicht lassen kann. Er reißt sich los von der Lady in Black und verlässt den Palazzo delle Esposizioni.
... mehr
Vor den Giardini liegt die eisgraue Yacht des Roman Abramowitsch. Spekulanten wie er erniedrigen die Kunst, denkt Achberg, der nicht mehr mithalten kann und nicht mehr dazugehören will.
Die schwarze Lady geht ihm trotzdem nicht aus dem Sinn.
In der Madonna speisen sie Bärentatzenkrebse, Meeresspinnen, kleine, Peverasse genannte Miesmuscheln, lange, schmale wie Klappmesser geformte cape longhe aus dem Schlick der Lagune, dazu risoto nero, das auf Venezianisch nur mit einem t geschrieben wird.
Klara ist mit den Kerlen verabredet, die sie wenigstens drei, vier Mal im Jahr trifft, auf der Frieze in London, auf der Art Basel, auf der einen oder anderen Vernissage, und eben auch alle zwei Jahre in Venedig.
Kaspar, siebzig, in tadellosem Zustand. Die einzige Zügellosigkeit, die er sich gestattet, sind die wild auftrumpfenden Augenbrauen in einem Gesicht von wie immer gesunder Farbe. Sein bayerischer Bariton rollt vertraut. Liz fehlt. Liz, die sich Venedig nie hat nehmen lassen. Sie habe zu viel am Hals, behauptet Kaspar.
Linus schmückt sich mit einer fernöstlichen Köstlichkeit namens Lu. Meerspinnendünn. Er hat um die Hüften herum zugelegt. Der Raboso del Piave funkelt mit seinem Gesicht um die Wette.
Und dann ist da Hans. Wer es nicht streng nimmt, darf sein Haar für sandfarben halten. Klara nimmt es nicht streng. Grau sind allein die Jeans zum azurblauen Sakko über dem weißen Hemd. Geht dieser so unversehrt wirkende Mann tatsächlich schon auf die Sechzig zu?
Von Hans stammt der Satz, wonach wahre Schönheit nicht vergehe, sondern von der Oberfläche nach innen wandere. Schönheit - letztlich ein Charakterzug. Das hat sich Klara gemerkt. Ist es Fügung, dass sie und Hans im selben Jahr im Stich gelassen worden sind? Ob einer verscheidet oder sich scheiden lässt, ist nicht völlig verschieden. Man wird verlassen, vom Gegangenen wie vom Genommenen. Es mag sogar vorkommen, dass der Verduftete schmerzlicher vermisst wird als der Verschiedene.
Zur vergangenen Biennale hat Arnfried noch gelebt, ist aber, geschwächt von der Chemotherapie, nicht mehr in Venedig gewesen. Auch Hans ist damals allein nach Venedig gereist und hat Astrids Abwesenheit damit begründet, sie brenne nun einmal nicht für die Kunst; aber da ist wohl auch alles andere schon erloschen gewesen. Die Firma hatte er bereits verkauft, um sein Dasein ganz der Kunst zu widmen.
Der brillante Schwärmer kann von Ausstellungen so anschaulich erzählen, dass man sie schon selbst gesehen zu haben glaubt. Heute allerdings scheint er neben sich zu sitzen. Seine Augen berichten von schwierigen Abenteuern, findet Klara.
Und die Liebe?
Eine Frage, die sie ihm nicht ersparen kann.
Welche Liebe?
Das hört sich ganz so an, als habe er am Verlassensein noch immer zu tragen. Klara fährt ihm mit der Hand durchs Haar. Er erkundigt sich leider nicht nach dem Stand ihrer Dinge.
Die Kerle nehmen den deutschen Pavillon durch, lassen kein gutes Haar an ihm, haben nichts als Spott übrig für die Rieseneinbauküche, wie Kaspar die Installation nennt. Klara hält sie für souverän und selbstironisch. So kommentiere sich das Land der Schnäppchenjäger und Heimwerker. Die Kerle aber bevorzugen Humor der skandinavischen Sorte. Im Pavillon der nordischen Länder lümmeln schwule Jünglinge auf coolen Designermöbeln, an den Wänden Gegenwartskunst, unvermeidliche Mapplethorpe-Schwänze, gerahmte Männerhöschen. Im Pool dümpelt die Figur einer Leiche.
Ein Sammler nach dem Besuch der Steuerfahndung, erklärt Hans.
Linus legt nach. Ob jemand den Unterschied kenne zwischen einem Konservativen und einem Liberalen? Er gibt die Antwort: Ein Konservativer sei ein Liberaler nach einem Raubüberfall.
Linus wartet.
Kaspar, endlich: Und ein Liberaler?
Ein Liberaler ist ein Konservativer nach einer Hausdurchsuchung.
Selten so gelacht, sagt Klara.
Die Kerle wollen sich nicht mehr beruhigen.
Kaspar brüstet sich damit, den Leiter des für ihn zuständigen Finanzamts abgeworben zu haben.
Ich zahle. Sie marschieren ins Gefängnis. Aber ich besuche Sie dort. Versprochen.
Die Kerle lachen wie besoffen.
Klara kann einiges vertragen. Aber sie mag es nicht, wenn die Verwöhnten bei ihrem Kampf gegen Steuergesetze wie Veteranen vom Krieg schwadronieren und sich wie Widerstandshelden aufführen.
Muss das sein? Doch nicht in Venedig.
Sie alle profitieren von Stiftungs- und Steuersparmodellen. Kaspar hat sich ein von Richard Meier entworfenes Museum hinstellen lassen, das Journalisten gern als oberbayerisches Pendant der Getty-Foundation bezeichnen. Bitte! Ist das nichts auf der Hühnerleiter zur Unsterblichkeit? Klara will sich selbst nicht beklagen. Über ihre ArtHotels setzt sie manches von der Steuer ab, was ihre private Sammlung bereichert. So genau sieht keiner hin.
Während Linus einem Bärentatzenkrebs den Panzer auskratzt, versteigt er sich zu dem Satz, neuerdings denke er sogar daran, auszuwandern.
Bullshit! Wohin denn?
Warum nicht nach China. Der Zuversicht hinterher, die Zuversicht sei zuerst ausgewandert.
Das will selbst die schweigsame Lu an seiner Seite nicht gelten lassen. Ihrer Erinnerung nach herrsche in China nicht Zuversicht, sondern eine Partei.
Bravo!, sagt Klara.
Nach dem Essen lehnen es Kaspar und Linus ab, ein Taxiboot zu rufen, sondern bestehen darauf, über die Rialtobrücke zu Fuß ins Hotel nach San Marco zu gehen. Sie nehmen Lu in die Mitte und ziehen davon. Auf Klaras vom Biennale-Rundgang angegriffene Füße nimmt nur Hans Rücksicht. Er schlägt vor, sie huckepack zu nehmen. Charmant, doch auch eine Anspielung auf ihre Gewichtsklasse. Sie ist nicht gerade ein Floh. Sie streift die Schuhe ab, die Hans tragen darf. Beim Barfußgehen zeigt sich buchstäblich, wie dünnhäutig sie geworden ist. Sie nimmt ihn bei der Hand; er scheint nichts Aufregendes daran zu finden.
Er habe sich gerade vernarrt, gesteht er, in eine Lightbox von Jeff Wall.
Schön für dich.
Weil Hans seine Verliebtheit wie einen Hut in die Luft geworfen hat, muss Klara ihn in den Hüftspeck kneifen. Wenn sie ihn richtig versteht, ist er einer aufregenden Synthese aus Lady Chatterley und Mona Lisa verfallen.
Malt Klara sich Hans schön? Und wenn schon. Einer Sammlerin darf ein Sammler gefallen. Beas Einwand - er sammelt Frauen, Ma - will sie nicht akzeptieren. Es kommt weniger darauf an, was einer sammelt, als darauf, wie er es tut. Abgesehen davon, kann es nicht angehen, dass sie sich ihren Mann von den Töchtern genehmigen lässt. Wenigstens Tina findet Hans ganz nett. Anyway.
Endlich ist das Grand Hotel Monaco erreicht. Vor zwei Jahren hat auch Hans hier logiert. Er behauptet, kein Zimmer bekommen zu haben. Klara vermutet eher Kostengründe. Das Excelsior auf dem Lido dürfte nicht ganz so teuer sein.
Sie schlägt einen Absacker an der Bar vor. Kaspar, Linus und Lu sind schon da, wollen aber gleich ins Bett. Solange Hans ihrer Einladung folgt, ist ihr das recht. Der Barkeeper genehmigt einen letzten Drink.
Wir können auch nach oben gehen, sagt sie.
Er glaube, es sei vernünftiger, ein Taxiboot zu bestellen, sagt Hans.
Als es anlegt, stehen sie auf dem Steg am Canal Grande und Klara sagt: Wir werden uns doch zum Abschied nicht gleich küssen wollen.
Das kann er ihr jetzt nicht mehr abschlagen.
Ihre Lippen sind noch geschürzt, als seine sich längst gelöst haben. Der Bootsführer streckt einen Arm aus, um Hans an Bord zu helfen. Klara allerdings ist ihm einen Schritt voraus.
Was auch immer geschieht, Achberg wird es akzeptieren. Auf Klaras breite Schwimmerschultern fällt neuerdings glattes, blondes Haar, das ihrem fast faltenfreien, ebenmäßigen, wenn auch ein wenig derbem Gesicht durchaus jugendlichen Schwung verleiht. Fünfundfünfzig ist sie. Sie trägt ein Kleines Schwarzes, was nicht wörtlich zu nehmen ist. Klaras Kleider sind niemals klein. In jeder Hinsicht ein großzügiges Wesen, kann sie sich einen tiefen Ausschnitt leisten.
Klaras Kopf ist auf seine Brust gesunken. Doch die Fahrt über die Lagune erfrischt. Im Excelsior kann von Anlehnungsbedürftigkeit keine Rede mehr sein. Trittsicher ineinander gehakt geben die beiden bereits auf der Treppe zur Halle hinauf das Bild eines versierten Ehepaars ab.
Im Zimmer reißt Klara sofort das Fenster auf.
Sie habe Lust auf schwimmen. Ein Tag ohne schwimmen sei kein guter Tag.
Es ist die letzte Mai-Nacht und Achberg das Wasser entschieden zu kalt. Klara kennt kein Erbarmen.
Sicher hast du auch keine Badehose dabei, sagt sie. Sonst noch eine Ausrede?
Sie verschwindet ins Bad, kehrt nach wenigen Augenblicken im Bademantel zurück, zwei Handtücher unter dem Arm.
Come on!
Im Aufzug will sie schon wieder geküsst werden. Sie finden den Weg hinunter zum Strand durch lange Reihen von Badekabinen.
Ich schau dir zu, schlägt er vor.
Das würde dir so passen!
Trotz des Alkohols im Blut, lässt Achberg der Gedanke an das Unvermeidbare frösteln. Am Wasser knöpft ihm Klara das Hemd auf und streift es von seinen Schultern.
Den Rest schaffst du selbst.
Sie hat sich bereits dem Meer zugewandt, als ihr Bademantel fällt. Ein kolossaler Leib schreitet in sein Element. Wenn Achberg sich vor ihr nicht blamieren will, muss er hinterher. Er legt die Hose ab und sorgfältig zusammen, neben die Schuhe, die Unterhose bleibt an.
Die Brandung tost nicht gerade dramatisch. Zügig ziehende Wolken erlauben dem Halbmond silbrige Lichteffekte. Hans watet ins Seichte, es ist wirklich verdammt frisch, und erst als ein harmlos brechender Wellenkamm seinen Bauchnabel benetzt, legt er mit grimmigen Armzügen los. Nicht weit, dann testen die Zehen, ob sie noch Grund finden, und sobald es nicht mehr der Fall ist, endet seine Entschlossenheit.
Ha-ans!
Ein Ruf von fern. Weit hinaus lockt ihn die Wasserfrau. Er macht weder Anstalten, ihr zu folgen, noch ihr zu antworten. Von Klara ist nichts mehr zu hören. Er strebt schon wieder dem Land zu, als ein Seeungeheuer schäumend aus der Tiefe schießt, um ihn mit glitschigen Tentakeln zu umschlingen. Er prustet, hustet, schluckt. Klara zieht ihn auf den Strand, hilft ihm aus den Boxershorts, ehe sie sich in Frottee hüllt.
Während er Wein aus der Minibar entkorkt, zündet sich Klara am offenen Fenster eine Zigarette an.
Er fragt, ob sie duschen wolle.
Sie will gar nicht duschen.
Mit dem mächtigen Rücken schmiegt sie sich an ihn, greift hinter sich nach seinem Hals. Er umfasst ihren Leib.
Gefallen dir meine großen Ohren?
Die großen Ohren schmecken nach Salz. Ihr Mund schmeckt nach Salz, Wein und Rauch. Unvermutet gelenkig geht Klara in die Knie. Daran ist nichts auszusetzen. Wenn Achberg die Augen schließt, schwankt die Welt, er behält sie besser auf.
Willst du mich denn gar nicht ficken?
Ihr Wille geschieht. Sein Gesicht macht es sich zwischen den bemerkenswert großen Ohren bequem. Später will sie noch immer nicht duschen, schläft auf der Stelle ein.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Vor den Giardini liegt die eisgraue Yacht des Roman Abramowitsch. Spekulanten wie er erniedrigen die Kunst, denkt Achberg, der nicht mehr mithalten kann und nicht mehr dazugehören will.
Die schwarze Lady geht ihm trotzdem nicht aus dem Sinn.
In der Madonna speisen sie Bärentatzenkrebse, Meeresspinnen, kleine, Peverasse genannte Miesmuscheln, lange, schmale wie Klappmesser geformte cape longhe aus dem Schlick der Lagune, dazu risoto nero, das auf Venezianisch nur mit einem t geschrieben wird.
Klara ist mit den Kerlen verabredet, die sie wenigstens drei, vier Mal im Jahr trifft, auf der Frieze in London, auf der Art Basel, auf der einen oder anderen Vernissage, und eben auch alle zwei Jahre in Venedig.
Kaspar, siebzig, in tadellosem Zustand. Die einzige Zügellosigkeit, die er sich gestattet, sind die wild auftrumpfenden Augenbrauen in einem Gesicht von wie immer gesunder Farbe. Sein bayerischer Bariton rollt vertraut. Liz fehlt. Liz, die sich Venedig nie hat nehmen lassen. Sie habe zu viel am Hals, behauptet Kaspar.
Linus schmückt sich mit einer fernöstlichen Köstlichkeit namens Lu. Meerspinnendünn. Er hat um die Hüften herum zugelegt. Der Raboso del Piave funkelt mit seinem Gesicht um die Wette.
Und dann ist da Hans. Wer es nicht streng nimmt, darf sein Haar für sandfarben halten. Klara nimmt es nicht streng. Grau sind allein die Jeans zum azurblauen Sakko über dem weißen Hemd. Geht dieser so unversehrt wirkende Mann tatsächlich schon auf die Sechzig zu?
Von Hans stammt der Satz, wonach wahre Schönheit nicht vergehe, sondern von der Oberfläche nach innen wandere. Schönheit - letztlich ein Charakterzug. Das hat sich Klara gemerkt. Ist es Fügung, dass sie und Hans im selben Jahr im Stich gelassen worden sind? Ob einer verscheidet oder sich scheiden lässt, ist nicht völlig verschieden. Man wird verlassen, vom Gegangenen wie vom Genommenen. Es mag sogar vorkommen, dass der Verduftete schmerzlicher vermisst wird als der Verschiedene.
Zur vergangenen Biennale hat Arnfried noch gelebt, ist aber, geschwächt von der Chemotherapie, nicht mehr in Venedig gewesen. Auch Hans ist damals allein nach Venedig gereist und hat Astrids Abwesenheit damit begründet, sie brenne nun einmal nicht für die Kunst; aber da ist wohl auch alles andere schon erloschen gewesen. Die Firma hatte er bereits verkauft, um sein Dasein ganz der Kunst zu widmen.
Der brillante Schwärmer kann von Ausstellungen so anschaulich erzählen, dass man sie schon selbst gesehen zu haben glaubt. Heute allerdings scheint er neben sich zu sitzen. Seine Augen berichten von schwierigen Abenteuern, findet Klara.
Und die Liebe?
Eine Frage, die sie ihm nicht ersparen kann.
Welche Liebe?
Das hört sich ganz so an, als habe er am Verlassensein noch immer zu tragen. Klara fährt ihm mit der Hand durchs Haar. Er erkundigt sich leider nicht nach dem Stand ihrer Dinge.
Die Kerle nehmen den deutschen Pavillon durch, lassen kein gutes Haar an ihm, haben nichts als Spott übrig für die Rieseneinbauküche, wie Kaspar die Installation nennt. Klara hält sie für souverän und selbstironisch. So kommentiere sich das Land der Schnäppchenjäger und Heimwerker. Die Kerle aber bevorzugen Humor der skandinavischen Sorte. Im Pavillon der nordischen Länder lümmeln schwule Jünglinge auf coolen Designermöbeln, an den Wänden Gegenwartskunst, unvermeidliche Mapplethorpe-Schwänze, gerahmte Männerhöschen. Im Pool dümpelt die Figur einer Leiche.
Ein Sammler nach dem Besuch der Steuerfahndung, erklärt Hans.
Linus legt nach. Ob jemand den Unterschied kenne zwischen einem Konservativen und einem Liberalen? Er gibt die Antwort: Ein Konservativer sei ein Liberaler nach einem Raubüberfall.
Linus wartet.
Kaspar, endlich: Und ein Liberaler?
Ein Liberaler ist ein Konservativer nach einer Hausdurchsuchung.
Selten so gelacht, sagt Klara.
Die Kerle wollen sich nicht mehr beruhigen.
Kaspar brüstet sich damit, den Leiter des für ihn zuständigen Finanzamts abgeworben zu haben.
Ich zahle. Sie marschieren ins Gefängnis. Aber ich besuche Sie dort. Versprochen.
Die Kerle lachen wie besoffen.
Klara kann einiges vertragen. Aber sie mag es nicht, wenn die Verwöhnten bei ihrem Kampf gegen Steuergesetze wie Veteranen vom Krieg schwadronieren und sich wie Widerstandshelden aufführen.
Muss das sein? Doch nicht in Venedig.
Sie alle profitieren von Stiftungs- und Steuersparmodellen. Kaspar hat sich ein von Richard Meier entworfenes Museum hinstellen lassen, das Journalisten gern als oberbayerisches Pendant der Getty-Foundation bezeichnen. Bitte! Ist das nichts auf der Hühnerleiter zur Unsterblichkeit? Klara will sich selbst nicht beklagen. Über ihre ArtHotels setzt sie manches von der Steuer ab, was ihre private Sammlung bereichert. So genau sieht keiner hin.
Während Linus einem Bärentatzenkrebs den Panzer auskratzt, versteigt er sich zu dem Satz, neuerdings denke er sogar daran, auszuwandern.
Bullshit! Wohin denn?
Warum nicht nach China. Der Zuversicht hinterher, die Zuversicht sei zuerst ausgewandert.
Das will selbst die schweigsame Lu an seiner Seite nicht gelten lassen. Ihrer Erinnerung nach herrsche in China nicht Zuversicht, sondern eine Partei.
Bravo!, sagt Klara.
Nach dem Essen lehnen es Kaspar und Linus ab, ein Taxiboot zu rufen, sondern bestehen darauf, über die Rialtobrücke zu Fuß ins Hotel nach San Marco zu gehen. Sie nehmen Lu in die Mitte und ziehen davon. Auf Klaras vom Biennale-Rundgang angegriffene Füße nimmt nur Hans Rücksicht. Er schlägt vor, sie huckepack zu nehmen. Charmant, doch auch eine Anspielung auf ihre Gewichtsklasse. Sie ist nicht gerade ein Floh. Sie streift die Schuhe ab, die Hans tragen darf. Beim Barfußgehen zeigt sich buchstäblich, wie dünnhäutig sie geworden ist. Sie nimmt ihn bei der Hand; er scheint nichts Aufregendes daran zu finden.
Er habe sich gerade vernarrt, gesteht er, in eine Lightbox von Jeff Wall.
Schön für dich.
Weil Hans seine Verliebtheit wie einen Hut in die Luft geworfen hat, muss Klara ihn in den Hüftspeck kneifen. Wenn sie ihn richtig versteht, ist er einer aufregenden Synthese aus Lady Chatterley und Mona Lisa verfallen.
Malt Klara sich Hans schön? Und wenn schon. Einer Sammlerin darf ein Sammler gefallen. Beas Einwand - er sammelt Frauen, Ma - will sie nicht akzeptieren. Es kommt weniger darauf an, was einer sammelt, als darauf, wie er es tut. Abgesehen davon, kann es nicht angehen, dass sie sich ihren Mann von den Töchtern genehmigen lässt. Wenigstens Tina findet Hans ganz nett. Anyway.
Endlich ist das Grand Hotel Monaco erreicht. Vor zwei Jahren hat auch Hans hier logiert. Er behauptet, kein Zimmer bekommen zu haben. Klara vermutet eher Kostengründe. Das Excelsior auf dem Lido dürfte nicht ganz so teuer sein.
Sie schlägt einen Absacker an der Bar vor. Kaspar, Linus und Lu sind schon da, wollen aber gleich ins Bett. Solange Hans ihrer Einladung folgt, ist ihr das recht. Der Barkeeper genehmigt einen letzten Drink.
Wir können auch nach oben gehen, sagt sie.
Er glaube, es sei vernünftiger, ein Taxiboot zu bestellen, sagt Hans.
Als es anlegt, stehen sie auf dem Steg am Canal Grande und Klara sagt: Wir werden uns doch zum Abschied nicht gleich küssen wollen.
Das kann er ihr jetzt nicht mehr abschlagen.
Ihre Lippen sind noch geschürzt, als seine sich längst gelöst haben. Der Bootsführer streckt einen Arm aus, um Hans an Bord zu helfen. Klara allerdings ist ihm einen Schritt voraus.
Was auch immer geschieht, Achberg wird es akzeptieren. Auf Klaras breite Schwimmerschultern fällt neuerdings glattes, blondes Haar, das ihrem fast faltenfreien, ebenmäßigen, wenn auch ein wenig derbem Gesicht durchaus jugendlichen Schwung verleiht. Fünfundfünfzig ist sie. Sie trägt ein Kleines Schwarzes, was nicht wörtlich zu nehmen ist. Klaras Kleider sind niemals klein. In jeder Hinsicht ein großzügiges Wesen, kann sie sich einen tiefen Ausschnitt leisten.
Klaras Kopf ist auf seine Brust gesunken. Doch die Fahrt über die Lagune erfrischt. Im Excelsior kann von Anlehnungsbedürftigkeit keine Rede mehr sein. Trittsicher ineinander gehakt geben die beiden bereits auf der Treppe zur Halle hinauf das Bild eines versierten Ehepaars ab.
Im Zimmer reißt Klara sofort das Fenster auf.
Sie habe Lust auf schwimmen. Ein Tag ohne schwimmen sei kein guter Tag.
Es ist die letzte Mai-Nacht und Achberg das Wasser entschieden zu kalt. Klara kennt kein Erbarmen.
Sicher hast du auch keine Badehose dabei, sagt sie. Sonst noch eine Ausrede?
Sie verschwindet ins Bad, kehrt nach wenigen Augenblicken im Bademantel zurück, zwei Handtücher unter dem Arm.
Come on!
Im Aufzug will sie schon wieder geküsst werden. Sie finden den Weg hinunter zum Strand durch lange Reihen von Badekabinen.
Ich schau dir zu, schlägt er vor.
Das würde dir so passen!
Trotz des Alkohols im Blut, lässt Achberg der Gedanke an das Unvermeidbare frösteln. Am Wasser knöpft ihm Klara das Hemd auf und streift es von seinen Schultern.
Den Rest schaffst du selbst.
Sie hat sich bereits dem Meer zugewandt, als ihr Bademantel fällt. Ein kolossaler Leib schreitet in sein Element. Wenn Achberg sich vor ihr nicht blamieren will, muss er hinterher. Er legt die Hose ab und sorgfältig zusammen, neben die Schuhe, die Unterhose bleibt an.
Die Brandung tost nicht gerade dramatisch. Zügig ziehende Wolken erlauben dem Halbmond silbrige Lichteffekte. Hans watet ins Seichte, es ist wirklich verdammt frisch, und erst als ein harmlos brechender Wellenkamm seinen Bauchnabel benetzt, legt er mit grimmigen Armzügen los. Nicht weit, dann testen die Zehen, ob sie noch Grund finden, und sobald es nicht mehr der Fall ist, endet seine Entschlossenheit.
Ha-ans!
Ein Ruf von fern. Weit hinaus lockt ihn die Wasserfrau. Er macht weder Anstalten, ihr zu folgen, noch ihr zu antworten. Von Klara ist nichts mehr zu hören. Er strebt schon wieder dem Land zu, als ein Seeungeheuer schäumend aus der Tiefe schießt, um ihn mit glitschigen Tentakeln zu umschlingen. Er prustet, hustet, schluckt. Klara zieht ihn auf den Strand, hilft ihm aus den Boxershorts, ehe sie sich in Frottee hüllt.
Während er Wein aus der Minibar entkorkt, zündet sich Klara am offenen Fenster eine Zigarette an.
Er fragt, ob sie duschen wolle.
Sie will gar nicht duschen.
Mit dem mächtigen Rücken schmiegt sie sich an ihn, greift hinter sich nach seinem Hals. Er umfasst ihren Leib.
Gefallen dir meine großen Ohren?
Die großen Ohren schmecken nach Salz. Ihr Mund schmeckt nach Salz, Wein und Rauch. Unvermutet gelenkig geht Klara in die Knie. Daran ist nichts auszusetzen. Wenn Achberg die Augen schließt, schwankt die Welt, er behält sie besser auf.
Willst du mich denn gar nicht ficken?
Ihr Wille geschieht. Sein Gesicht macht es sich zwischen den bemerkenswert großen Ohren bequem. Später will sie noch immer nicht duschen, schläft auf der Stelle ein.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
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Autoren-Porträt von Wolfgang Herles
Wolfgang Herles, geboren 1950, war über zehn Jahre Redaktionsleiter und Moderator des ZDF-Kulturmagazins 'aspekte' und macht heute die Büchersendung 'Das blaue Sofa'. Bis 1991 war er Leiter des ZDF-Studios in Bonn. Herles drehte zahlreiche große Porträtfilme, entwickelte unter anderem die Sendung 'Bonn direkt' (jetzt 'Berlin direkt') und moderierte verschiedene Talkshows; darüber hinaus ist er Autor zahlreicher politischer Sachbücher. Zuletzt erschien sein Roman 'Die Dirigentin'.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolfgang Herles
- 2014, 1. Auflage., 272 Seiten, Maße: 12,8 x 20,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100331885
- ISBN-13: 9783100331885
- Erscheinungsdatum: 20.02.2014
Rezension zu „Susanna im Bade “
...bietet der Autor einen feinen, satirischen Einblick in den Kunstbetrieb. Anna Ringle-Brändli Eßlinger Zeitung 20140412
Kommentar zu "Susanna im Bade"
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