Tanz, Püppchen, tanz
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Puppet (Best.-Nr.: 769744).
Tanz, Püppchen,tanz vonJoy Fielding
LESEPROBE
Was Amanda Travis mag: die Farbe Schwarz; Spinning-Kurse in derMittagspause im Fitness-Center in der Clematis Street in Downtown Palm Beach;ihr ganz in Weiß gehaltenes Apartment mit Meerblick in Jupiter; willfährigeGeschworene; und Männer, deren Frauen sie nicht verstehen.
Was sie nicht mag: die Farbe Rosa; wenn die Temperatur hinterihrer durchgehenden Fensterfront unter achtzehn Grad fällt; Mandanten, dieihren Rat nicht befolgen; die Farbe Grau; beim Betreten eines Lokals ihrenAusweis vorzeigen zu müssen; Spitznamen jedweder Art und Bedeutung.
Und was sie auch nicht mag: Bissspuren.
Vor allem Bissspuren, die selbst nach mehreren Tagen noch so tiefund deutlich ausgeprägt sind wie eine leuchtend violette Tätowierung vor einemHintergrund aus senffarbenen Blutergüssen; Bissspuren, die sie von den Fotosauf ihrem Verteidigertisch förmlich anlächeln.
Amanda schüttelt das blonde schulterlange Haar aus ihrem schmalenGesicht, schiebt das anstößige Foto unter einen Block mit gelbem, liniertemPapier, nimmt einen Stift und gibt vor, etwas Wichtiges zu notieren, währendsie in Wahrheit schreibt Zahnpasta nicht vergessen. Diese Geste richtet sich andie Geschworenen für den Fall, dass einer von ihnen hinguckt. Was eherunwahrscheinlich ist. Heute Morgen hat sie bereits einen von ihnen, einen Mannmittleren Alters mit roten Haaren und schütterer Ronald-Reagan-Frisur, dabeiertappt, wie er eingedöst ist. Sie seufzt, lässt den Bleistift fallen, lehntsich auf ihrem Stuhl zurück und schürzt ihre Lippen zu einem missbilligendenSchmollen. Nur angedeutet, gerade genug, um den Geschworenen zu zeigen, was sievon der Zeugenaussage hält. Und sie würde sie gern glauben machen, dass dasnicht viel ist.
»Er hat rumgeschrien wegen irgendwas«, sagt die junge Frau imZeugenstand und zupft mit einer Hand abwesend an ihrem Haar. Sie blickt zumTisch der Verteidigung, zieht an ihren platinblonden Locken, bis der dunkleHaaransatz sichtbar wird, und wickelt sie um ihre falschen, eckigenFingernägel. »Er hat immer wegen irgendwas rumgeschrien.«
Amanda nimmt den Bleistift wieder in ihre rechte Hand und setztStouffers Tiefkühl-Makkaroni mit Käse auf ihre improvisierte Einkaufsliste.Und Orangensaft, fällt ihr noch ein, was sie mit übertriebenem Schnörkelnotiert, als ob sie gerade eine entscheidende juristische Einsicht gehabthätte. Dadurch verrutscht das Foto unter dem Block, sodass ihr derfotografische Abdruck der Zähne ihres Mandaten auf der Haut der Zeugin erneutentgegenstarrt.
Es sind diese Bissspuren, die ihr alles vermasseln werden.
Vielleicht könnte sie es schaffen, die Fakten zu frisieren, dieIndizien zu vernebeln und die Geschworenen mit irrelevanten Details und nichtimmer begründeten Zweifeln zu verwirren, aber um diese grausamen Bilder führteinfach kein Weg herum. Sie werden das Schicksal ihres Mandanten besiegeln undihre eigene perfekte Bilanz beschädigen. Wie ein Fleck auf ansonsten makelloserHaut werden sie von beinahe einem Jahr voller herausragender Auftrittezugunsten der Armen, Unglücklichen und erdrückend Schuldigen ablenken.
Überhaupt dieser verfluchte Derek Clemens. Musste er so verdammtdurchschaubar sein?
Amanda beugt sich vor und tätschelt die Hand des neben ihrsitzenden Mannes. Eine weitere Geste für die Geschworenen, obwohl sie sichfragt, ob irgendjemand sich davon täuschen lässt. Diese Leute gucken garantiertauch genug Fernsehen, um die diversen Tricks ihrer Zunft zu kennen: diegeheuchelte Empörung, die mitleidigen Blicke, das ungläubige Kopfschütteln. Siezieht ihre Hand zurück und reibt die Stelle, wo sie die Haut ihres Mandantenberührt hat, unter dem Tisch mehrfach an ihrem schwarzen Leinenrock ab. Idiot,denkt sie, während sie aufmunternd lächelt. Nicht mal ein QuäntchenSelbstkontrolle war drin. Du musstest sie auch noch beißen.
Der Angeklagte lächelt zurück, zum Glück mit geschlossenem Mund.Die Geschworenen werden demnächst noch mehr als genug von Derek Clemens Zähnenzu sehen bekommen.
Mit seinen achtundzwanzig Jahren und der drahtigen Statur voneinsfünfundsiebzig ist Derek Clemens genauso alt und groß wie die Frau, dieausgewählt worden ist, ihn zu vertreten. Selbst ihr Haar ist von dem gleichenzarten Blond, ihre Augenfarbe eine Variation desselben kühlen Blaus, wobei ihreAugen dunkler und undurchsichtiger sind als seine, die blasser wirken und insPastellige tendieren. Unter anderen, angenehmeren Umständen hätte man AmandaTravis und Derek Clemens für Geschwister halten können, vielleicht sogar fürZwillinge.
Amanda schüttelt den unschönen Gedanken ab, wie immer frohdarüber, ein Einzelkind zu sein. Sie dreht sich auf ihrem Stuhl um und blicktezu der langen Fensterfront auf der Rückseite des Gerichtssaals. Draußen ist esein typischer Februartag in Südflorida - der Himmel türkisfarben, die Luftwarm, der Strand eine Versuchung. Sie unterdrückt den Impuls, aufzustehen, denKopf an die getönten Scheiben zu lehnen und über den Intercoastal Waterwayhinweg auf den Ozean zu blicken. Nur in Palm Beach konnte es der Meerblick auseinem Gerichtssaal mit der Aussicht aus dem Penthouse eines Top-Hotelsaufnehmen.
Perverserweise sitzt Amanda lieber hier im Gerichtssaal 5C desPalm Beach County Court House neben irgendeinem asozialen Abschaum, der derKörperverletzung sowie der massiven Bedrohung und sexuellen Nötigung seiner beiihm lebenden Freundin beschuldigt wird, als neben einem zu leicht bekleideten,überfütterten Schneevogel auf dem kühlen Sand in der Sonne zu liegen. Ein paarMinuten auf dem Rücken, die nackten Füße von der Brandung umspült, reichenAmanda Travis meistens, bis sie sich wieder nach dem heißen Pflaster desBürgersteigs sehnt. (...)
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Kristian Lutze
Interview mit Joy Fielding
In Ihren Romanengeht es oft nur vordergründig um ein Verbrechen. Die wirkliche Hauptrollespielt meist die Psyche der jeweiligen Protagonisten. Wie entwickeln Sie solcheGeschichten?
Ein Buch, das einen wirklich fesseln soll, braucht ein Geheimnis,um das sich alles dreht, ein Verbrechen oder irgendein mysteriöses Geschehen.Hinter dieses Geheimnis will man dann unbedingt kommen. Das Interessante fürmich als Autorin ist, vor diesem Hintergrund die Charaktere und ihren Alltag zuentwickeln. Um auch den Leser für meine Protagonisten und ihr Leben zuinteressieren, muss ich ihn aber zunächst für den Plot begeistern, für dasGeheimnis hinter der Geschichte. Wenn das gelingt, kann ich mir die Zeitnehmen, ihm meine Figuren und ihre Psyche nahe zu bringen.
IdentifizierenSie sich mit Ihren Protagonisten? Lassen sich wirkliche und fiktionale Weltimmer problemlos auseinanderhalten?
Natürlich verwende ich Motive und Erfahrungen aus meinem Lebenauch als Stoff für meine Bücher. Und ich identifiziere mich auch mit meinenCharakteren. Ich versuche immer, ihnen so viel von mir zu geben, wie ich kann.Aber ich verwechsle niemals Fiktion und Realität. Ich weiß, wer ich bin, undich weiß, wer meine Charaktere sind. Ich kontrolliere alles in ihrer Welt. Siebedrohen mich nicht, ich verliere mich nicht in ihnen. Manchmal helfen sie mir,Probleme anzugehen, die irgendwo in meinem Kopf herumspuken und nach einerLösung verlangen. Natürlich lerne ich sehr viel über mich, während ich an einemBuch arbeite. Noch mehr erfahre ich aber, wenn ich zurückschaue, meine Bücherlese und feststelle, dass mich ein Thema lange Zeit beschäftigt hat, ohne dassich es selbst so deutlich gemerkt hätte. Ich fange meine Bücher ja nicht miteinem Vorsatz an wie "Jetzt untersuche ich Entfremdung" oder"Dieses Mal geht es mir um die Suche nach dem Selbst". Aber es gibt,egal wie der Plot im Detail aussieht, im Hintergrund immer bestimmte Themenoder Fragen, die für mich beim Schreiben wichtig sind.
Ist das Schreibenein Vergnügen für Sie oder bedeutet es vor allem Arbeit?
Meistens freue ich mich aufs Schreiben. Es macht mir Spaß - aberes ist auch harte Arbeit. Ich sitze dann vier, sechs oder mehr Stunden pro Tagam Computer und stehe ziemlich unter Druck. Es gilt ja, aus nichts etwas zumachen, etwas zu erfinden, was noch nicht existiert. Manchmal weiß ich nicht,wie eine Geschichte weitergehen soll, und da werde ich natürlich ziemlichunruhig. Aber letztlich kann ich mir nichts vorstellen, was mir mehr Spaßmachen würde. Es ist ein herrlicher Luxus, mir meine Zeit frei einteilen zukönnen - um dann eine Story zu erfinden! Und das Schreiben lässt auch Raum fürandere Dinge im Leben, zum Beispiel das Reisen. Ich habe es immer geliebt, mitPuppen zu spielen und sie in eine Geschichte einzubinden. Ja, das Schreibenmacht mir immer noch sehr, sehr viel Spaß!
Ihre Bücher sindechte "page turner". Mögen Sie es sonst auch spannend?
Ehrlich gesagt, suche ich Spannungen nicht besonders. Natürlichgibt es trotzdem immer wieder welche, aber mir wäre meist lieber, sie wärennicht da. Aber wenn ich mir einen Film anschaue oder ein Buch lese, dann sucheich die Spannung. Sie ist der Grund dafür, dass man weitersieht oder -liest.Mich interessieren schwierige Situationen. Ich möchte sehen, wie die Charakteresie zu lösen versuchen. Und wenn sie interessant genug sind, dann bleibe ichauch dran, will sehen, was sie tun und was mit ihnen geschieht.
Im "wirklichen Leben" gibt es Menschen, die es schaffen,dass sich permanent irgendwelche Dramen um sie herum abspielen. Solche Menschenbetrachte ich lieber aus der Ferne. Natürlich ist es wunderbar, mitinteressanten Menschen zu tun zu haben, und manchmal sind darunter eben auchsolche, die Dramen anziehen. Aber die können ziemlich anstrengend sein. Ichhabe lieber mit Leuten zu tun, die mir das Leben erleichtern, und nicht mitsolchen, die es noch komplizierter machen.
Sie leben inToronto, haben jedoch auch einen Wohnsitz in Palm Beach, Florida. Was schätzenSie dort jeweils?
Toronto ist die Stadt, in der ich geboren wurde, die ich sehr gutkenne, in der ich immer gelebt habe. Es ist wirklich eine wunderbare Stadt!Aber sie hat auch einen verdammt langen Winter. Das Wetter in Florida ist danatürlich viel schöner - obwohl es zuletzt ja vier desaströse Hurricanes inFolge gab! Palm Beach ist einfach einer der schönsten Orte der Welt, mit seinenPalmen, dem Meer, der Sonne und dem diamantblauen Himmel. Und die Luft riechtdort so wunderbar! Sobald ich in Florida ankomme, entspanne ich. Ich liebe dasganzjährig warme Wetter, ich bin kein Winter-Typ. Und alles geht viellangsamer, das Leben fühlt sich an wie ein immer währender Urlaub.
Die Fragenstellten Roland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Joy Fielding
- 2005, 2, 400 Seiten, Maße: 14,4 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch. v. Kristian Lutze
- Übersetzer: Kristian Lutze
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442310598
- ISBN-13: 9783442310593
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