Todesstunde / Detective Michael Bennett Bd.4
Detective Michael Bennett Thriller. Deutsche Erstveröffentlichung
Er mordet nach einem grausamen Plan. Er zieht die Fäden. Er ist die Spinne im Netz. Und er ist noch lange nicht am Ziel
Seinen wohlverdienten Urlaub hat sich Detective Michael Bennett anders vorgestellt: Kaum zur Ruhe gekommen, erreicht ihn die...
Seinen wohlverdienten Urlaub hat sich Detective Michael Bennett anders vorgestellt: Kaum zur Ruhe gekommen, erreicht ihn die...
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Produktinformationen zu „Todesstunde / Detective Michael Bennett Bd.4 “
Er mordet nach einem grausamen Plan. Er zieht die Fäden. Er ist die Spinne im Netz. Und er ist noch lange nicht am Ziel
Seinen wohlverdienten Urlaub hat sich Detective Michael Bennett anders vorgestellt: Kaum zur Ruhe gekommen, erreicht ihn die Nachricht eines vermeintlichen Bombenanschlags auf die New York Public Library. Die Bombe ist nur eine Attrappe - doch die Erleichterung schlägt in Entsetzen um, als klar wird, dass es sich um eine Warnung handelt: Dies ist der Beginn einer Reihe grausamer Verbrechen, die New York in Angst versetzt. Mithilfe der FBI-Agentin Emily Parker gelingt es Bennett schließlich, das Muster des Killers aufzudecken - und das ungeheure Ausmaß seines Plans.
Seinen wohlverdienten Urlaub hat sich Detective Michael Bennett anders vorgestellt: Kaum zur Ruhe gekommen, erreicht ihn die Nachricht eines vermeintlichen Bombenanschlags auf die New York Public Library. Die Bombe ist nur eine Attrappe - doch die Erleichterung schlägt in Entsetzen um, als klar wird, dass es sich um eine Warnung handelt: Dies ist der Beginn einer Reihe grausamer Verbrechen, die New York in Angst versetzt. Mithilfe der FBI-Agentin Emily Parker gelingt es Bennett schließlich, das Muster des Killers aufzudecken - und das ungeheure Ausmaß seines Plans.
Lese-Probe zu „Todesstunde / Detective Michael Bennett Bd.4 “
Todesstunde von James Patterson und Michael LedwidgeProlog
Sexy Beast
1
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Ebenso wie die Luxuswohnungen und Fünf-Sterne-Restaurants im Seidenstrumpf-Distrikt von Manhattan war das
Benchley East Side Parking unverschämt exklusiv. Seite an Seite und Stoßstange an Stoßstange in dem vier Stockwerke unter die East 77th Street reichenden klimatisierten Parkhaus drängten sich hier Porsche-Oldtimer, eine Handvoll Ferraris und sogar ein paar Lamborghinis für sie und ihn.
Das mitternachtsblaue Mercedes-SL550-Cabrio von der Stange, das um drei Minuten nach zwölf quietschend den Fahrstuhl verließ, schien für dieses hochpreisige Viertel wie geschaffen.
Dies galt auch für den etwas über vierzigjährigen Mann, der neben dem Büro des Parkhauses auf seinen Mercedes wartete. Seine Erscheinung - graumelierter Beckham-Haarschnitt, sonnengebräunte Haut, dunkelblaues Seidenpolohemd und gebügelte Khakihose - ließ auf einen dicken Geldbeutel schließen. Und sie gab Anlass zu der Frage, ob der Wagen oder sein Fahrer mit dem Wunschkennzeichen des schnurrenden Mercedes gemeint war:
SXY BST
»Ich dachte, bei der Hitze möchten Sie lieber wie üblich mit offenem Verdeck fahren, Mr. Berger«, sagte lächelnd der Mitarbeiter, halb Latino und halb Asiate, während er munter aus dem Auto sprang und die mit Holz verschalte Tür aufhielt. »Einen schönen Tag.«
»Danke, Tommy.« Berger steckte ihm flink einen Fünfer zu und rutschte hinter das für diesen Luxusschlitten typische dreistrebige Lenkrad. »Ich werde es versuchen.«
Mit knurrendem Motor fuhr Berger die East 77th Street entlang und bog auf die Fifth Avenue ab. Die weiche Lehne aus Leder drückte sich gegen seinen Rücken, der frische, fast süße Geruch der Sumpfeichen und Blumenhartriegel aus dem Central Park mischte sich harmonisch mit dem Geruch des handgenähten Leders. An der 59th Street wichen die Baumwipfel der märchenhaft geschmückten Fassade des Plaza-Hotels. Kurz darauf huschten beiderseits des schicken Boulevards glänzende Schilder vorbei, als würde das Vanity Fair Magazine zum Leben erweckt: Tiffany, Chanel, Zegna, Pucci, Fendi, Louis Vuitton. Vor den Geschäften schossen die Wochenend-Sommertouristen Bilder und begafften die Auslagen, als hätten sie immer noch nicht begriffen, dass sie mitten im Zentrum der Hauptstadt des Kapitalismus standen.
Doch die teuerste Straße der Welt hätte für Berger genauso gut ein Feldweg mitten durch die Pampa sein können. Hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille hielt er den Blick seiner grauen Augen stur geradeaus gerichtet und ließ sich von nichts ablenken.
Schließlich zählten Zielstrebigkeit und Konzentrationsfähigkeit zu seinen wahren Talenten. Gesiegt hatte er immer, wenn er alles aus seinem Kopf verbannte, was sich nicht auf das aktuelle Vorhaben bezog.
Dennoch raste sein Puls, als er sein Ziel erreichte, das Hauptgebäude der New Yorker Bibliothek auf der Fifth Avenue zwischen der 41 st und 42nd Street. Adrenalin durchströmte ihn, und sein Herz begann fast schmerzhaft im Takt des Blinkers zu schlagen.
Selbst Lawrence Olivier hatte Lampenfieber, rief er sich in Erinnerung, als er vorsichtig auf die East 43rd Street abbog. Jack Dempsey. Elvis Presley. Alle Menschen spürten Angst. Die entscheidende Fähigkeit eines großen und bedeutenden Menschen wie ihm lag darin, damit umzugehen und auch noch zu handeln, wenn ihm bereits der Angstschweiß auf der Stirn stand.
Als er einen halben Straßenblock weiter östlich vor dem Eiswagen parkte, ging es ihm bereits besser. Um sich vollständig zu erden, beobachtete er, wie sich das Cabriodach in technischer Perfektion und vollkommener Symmetrie über seinem Kopf senkte. Als es einrastete, war seine Angst noch immer nicht verschwunden, doch er wusste, dass er mit ihr umgehen konnte.
Beweg dich, Mr. Berger, dachte er. Jetzt oder nie.
Er nahm die schwere Laptop-Tasche aus dem Fußraum vor dem Beifahrersitz und öffnete die Tür.
Jetzt ging's los.
2
Als Berger hinter dem BeauxArts-Torbogen der Bibliothek durch die Drehtür trat, bemerkte er sogleich, dass der Expolizist mit dem stählernen Blick, der ansonsten in der Eingangshalle arbeitete, offenbar freihatte. Prima. Stattdessen winkte ihn eine Aushilfe durch, ein gelangweilt aussehender Vorstädter in schlecht sitzendem Blazer, noch bevor er die Gelegenheit hatte, einen Finger an den Reißverschluss seiner Tasche zu führen.
Der Rose-Lesesaal im zweiten Stock, in dem es mucksmäuschenstill war, hatte ungefähr die Größe eines Fußballfeldes. Er wurde von drei Meter hohen, karamellfarbenene Holzregalen gesäumt, an der sieben Meter hohen bemalten Decke hingen Rokoko-Kronleuchter aus Messing. Berger ging an den langen Tischen vorbei, an denen ernst aussehende über Dreißig- und Vierzigjährige mit Ohrstöpseln saßen, den Blick starr geradeaus auf ihre Laptops gerichtet. Doktoranden oder begeisterte Autodidakten. Dieser fleißige Haufen verkniff sich an diesem Wochenende den Ausflug in die Hamptons.
Berger setzte sich an den hintersten Tisch, mit dem Rücken zur Tür der Abteilung für seltene Bücher des BrookeRussell-Astor-Lesesaals, und tat so, als spielte er Sudoku auf seinem schicken, neuen iPhone, bis die einzige Person am Tisch, eine schwangere Asiatin in Sportanzug, zwanzig Minuten später aufstand.
Als sie davonwatschelte, holte Mr. Berger noch einmal tief Luft und ließ sie langsam wieder ausströmen, bevor er unter dem Tisch ein Paar Einmalhandschuhe anzog und die Bombe aus seiner Laptop-Tasche holte.
Sie sah aus wie ein Siebzehn-Zoll-MacBook. Doch an die Stelle der Tastatur, des Touchpads und des Innenlebens hatte er zwei Kilo T-4 gepackt, die italienische Variante des Plastiksprengstoffs RDX. Auf dem vanillefarbenen Material lag eine Schicht spitzer Pappnägel wie silberne Streusel auf dem Kuchen des Teufels.
Den Gehäuseboden hatte er mit einem gelartigen Klebstoff präpariert. Berger drückte das Gerät fest auf den Tisch vor sich.
Die Zündkapsel hatte er bereits in den Sprengstoff eingeführt. Sie musste jetzt nur noch mit Strom versorgt werden. Dies würde geschehen, wenn jemand den Laptop entdeckte und den Fehler beging, ihn zu öffnen. Gleich unter dem Deckel hatte er mit einer Angelschnur einen Quecksilberschalter befestigt, ein raffiniertes, thermometerähnliches Glasröhrchen, das für die Signale in Münzautomaten verwendet wurde. Bei geschlossenem Deckel konnte man mit dem improvisierten explosiven Apparat Frisbee spielen. Würde man den Deckel auch nur fünf Zentimeter anheben, würde sich das flüssige Quecksilber über den Boden des Schalters und die elektrischen Anschlüsse ergießen und das Gerät in die Luft fliegen lassen.
Mr. Berger stellte sich vor, wie die Schockwelle durch den vollen Rose-Lesesaal waberte und sich die tödlichen Schrapnelle in alle Richtungen mit vierfacher Schallgeschwindigkeit ausbreiteten, um innerhalb von fünfzehn Metern alles und jeden zu zerfetzen. Er streifte seine Handschuhe ab und erhob sich mit der jetzt leeren Laptop-Tasche, bedacht darauf, nichts zu berühren. Er durchquerte den Saal und trat durch die Tür, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Der Anfang ist gemacht, dachte er mit einem Gefühl umwerfender Erleichterung, als er die Marmortreppe erreichte. Ab jetzt begann ein Wettlauf gegen die Zeit.
Auf die Plätze, fertig ...
»Wumm«, flüsterte Berger glücklich und nahm gleich zwei Stufen auf einmal.
Erster Teil
Pack die Badehose ein ...
1
»Zehn kleine Fische, die schwimmen durch das Meer«, trällerte ich begeistert mit geschlossenen Augen und hoher
Stimme. »Und zehn fette Kinder schlendern am Strand umher.«
Dieses Lied schien mir für unseren Spaziergang auf dem sandigen Weg am blaugrauen Atlantik bestens geeignet zu sein. Leider war ich der Einzige, der so dachte. Den Bruchteil einer Sekunde später antworteten meine zehn Kinder mit einem Chor von Ächzern und Buhrufen.
Dennoch verbeugte ich mich wie gewohnt voller Anmut und Würde. Man durfte nie zeigen, wie sehr man schwitzte, auch nicht im Sommer, was, wenn man es genau nimmt, ziemlich schwierig ist.
Mein Name ist Mike Bennett, und soweit ich weiß, bin ich immer noch der einzige Polizist beim NYPD, dem New York Police Department, der ein Leben wie in einer RealityFernsehshow führt. Meine besser gelaunten Kollegen nennen mich Detective Mike plus zehn. Eigentlich bin ich aber Detective Mike plus elf, wenn man meinen Großvater Seamus dazuzählt. Was ich jedenfalls tue, da er unverbesserlicher ist als alle meine zehn Kinder zusammen.
Es war der Beginn der zweiten Woche der von meiner riesigen Familie dringend benötigten Ferien draußen in Breezy Point in Queens, und ich war voll auf Faulenzen geeicht. Das 170 Quadratmeter große Haus draußen an der »irischen Riviera« - so genannt von den Polizisten und Feuerwehrleuten, die hier ihren Sommerurlaub verbringen - befand sich seit einer Generation im Besitz der Familie meiner Mutter. Es war dichter bevölkert als ein Karnickelstall, doch wir hatten jede Menge Spaß - mit Schwimmen, Hotdogs, Brettspielen, Bier und abendlichem Feuerwerk.
Keine E-Mails, keine Elektronik, keine modernen Werkzeuge gleich welcher Art außer meiner temperamentvollen Klimaanlage und einem vom Salzwasser verrosteten Fahrrad. Ich beobachtete Chrissy, das Baby der Horde, die einer Seeschwalbe - oder war es ein Regenpfeifer? - hinterherjagte.
Das Weiße Haus der Bennetts hatte im Sommer geöffnet.
Die Zeit flog nur so dahin, doch ich machte das Beste daraus. Wie üblich. Als alleinerziehender Vater von einer Anzahl von Kindern im zweistelligen Bereich war es ziemlich selbstverständlich, dass man das Beste aus allem machte.
»Wenn ihr keine Kinderlieder mögt, wie wär's dann mit Erwachsenenliedern?«, rief ich laut. »Also, alle zusammen: >Und der Haifisch, der hat Zähne<.«
»Willst du nicht endlich mit gutem Beispiel vorangehen, Mike? Wir müssen einen Haifischzahn zulegen, sonst kommen wir zu spät«, rügte mich Mary Catherine in ihrem irischen Akzent.
Ach ja, Mary Catherine habe ich vergessen zu erwähnen. Ich bin wahrscheinlich der einzige Polizist im NYPD, der auch ein irisches Kindermädchen hat. Eigentlich ist sie angesichts dessen, was ich ihr bezahle, eher ein selbstloser Engel der Barmherzigkeit. Ich wette, bald wird man eine katholische Schule nach ihr benennen. Heilige Mary Catherine, Schutzheilige der besserwisserischen Polizisten und des heimischen Chaos.
Und wie immer hatte das junge, attraktive Ding recht. Wir waren auf dem Weg zur Fünf-Uhr-Messe in St. Edmund's auf der Oceanside Avenue. Ferien waren keine Entschuldigung dafür, eine Messe ausfallen zu lassen, besonders nicht für uns, da mein Großvater Seamus nicht nur Komiker, sondern auch spätberufener Priester war.
Was noch? Habe ich schon erwähnt, dass alle meine Kinder adoptiert sind? Zwei sind schwarz, zwei Latinos, eins ist asiatisch und der Rest weiß. Typisch ist unsere Familie nicht.
»Guck mal, wer da kommt«, kommentierte Seamus unsere Ankunft. Er stand auf der sandigen Kirchentreppe und tippte auf seine Armbanduhr. »Das müssen die zwölf Apostel sein. Nein, Quatsch, die wären natürlich pünktlich zur Messe gekommen. Jetzt rein hier, ihr Heiden, bevor ich vergesse, dass ich kein Mann der Gewalt bin.«
»Es tut mir leid, Vater«, entschuldigte sich Chrissy, was elfmal in mehr oder weniger aufsteigender Abfolge wiederholt wurde - von Shawna, Trent, Fiona, Bridget, Eddie, Ricky, Jane, Brian, Juliana, meiner ältesten Tochter, Mary Catherine und, zu guter Letzt, meiner Wenigkeit.
Seamus legte eine Hand an meinen Ellbogen, während ich erfolglos nach einer Bank Ausschau hielt, in die eine zwölfköpfige Familie passte.
»Nur dass du es weißt, ich lese die Messe heute für Maeve«, verriet er mir.
Maeve war meine Frau und der Mensch, der meine Familie so bunt zusammengewürfelt hatte, bevor sie vor ein paar Jahren an Krebs gestorben war. Manchmal wachte ich immer noch morgens auf und griff auf die andere Seite des Bettes, bis mir im nächsten brutal beschissenen Aha-Moment klar wurde, dass ich allein war.
Ich lächelte und nickte, während ich Seamus' faltige Wange tätschelte. »Ich hätte es mir nicht besser wünschen können, Monsignore«, sagte ich, als die Orgel einsetzte.
2
Der Gottesdienst ging rasch vorüber, war aber wirklich schön. Besonders der Teil, in dem wir für Maeve beteten. Ich habe nicht vor, in nächster Zeit Priester zu werden, doch ich mag Messen. Sie sind beruhigend und erholsam. Ein Moment, um sich klar zu werden, was man in der vergangenen Woche falsch gemacht hat und was man wieder geradebiegen kann.
Man könnte auch irische Psychotherapie dazu sagen. Auf jeden Fall Therapie für den irischen Psycho.
Alles in allem trat ich ziemlich ruhig und optimistisch
hinaus in die Sonne. Das dauerte aber nur so lange, bis das
Weihwasser auf meiner Stirn getrocknet war.
»Schnappt ihn euch! Schlagt härter zu! Jawoll, Jungs!«, rief ein Kind.
Neben der Kirche herrschte leichter Tumult. Hinter der sich teilenden Menge und den Fahrzeugen sah ich, wie auf dem Parkplatz etwa ein halbes Dutzend Kinder in Angriffstellung gingen.
»Pass auf, Eddie!«, rief jemand.
Eddie? Moment mal. Einer meiner Söhne hieß Eddie!
Ich eilte, dicht gefolgt von meinem ältesten Sohn Brian, dorthin, wo ein Rudel Kinder auf dem sonnengebleichten Asphalt eine Schlägerei austrugen. Ich packte Hemdkragen und riss Kinder fort. Setzte meine Polizeiausbildung sinnvoll ein.
Mein Sohn Eddie lag mit rotem Gesicht und den Tränen nahe ganz unten im Gewühl.
»Willst du noch eine, du Miststück? Los, komm und hol sie dir!«, rief einer der Jungs, der meinen Sohn getreten hatte, und ging auf ihn zu. Eddie, unsere familieneigene Leseratte, war zehn. Der große, pummelige Junge mit der schief sitzenden Mets-Kappe sah mindestens wie vierzehn aus.
»Halt dich zurück!«, rief ich dem Spinner mit viel Polizist in der Stimme zu. Und noch mehr in meinem Blick.
Eddie, dessen Tränen versiegt waren und der nur noch Wut ausstrahlte, wischte sich mit dem Daumen Blut von der Nase.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Der Wichser hat zu Trent was Böses gesagt, Dad.« »Was?«
»Irischer Neger.«
Ich drehte mich zu dem großen Jungen mit seinem noch größeren Mundwerk um. Trent war sogar noch jünger als Eddie, ein unschuldiges, siebenjähriges Kind, das zufällig schwarz war. Ich spürte den Drang, diesem fetten Trampel die Kappe vom Kopf zu schlagen. Doch mir kam eine andere Idee.
»In diesem Fall darfst du ihm in den Arsch treten«, sagte ich mit Blick auf den Delinquenten.
»Ist mir eine Freude«, frohlockte Eddie, der versuchte, sich aus meinem Griff zu lösen.
»Nein, nicht du, Eddie. Das ist Brians Aufgabe.«
Brian, eins vierundachtzig und Spieler in der Football-Mannschaft seiner Schule, trat lächelnd vor.
Erst in allerletzter Sekunde legte ich meine Hand auf seine Brust. Mit Gewalt löste man keine Probleme. Zumindest nicht, wenn Zeugen anwesend waren. Zwanzig oder dreißig loyale Gemeindemitglieder waren stehen geblieben, um das Geschehen zu beobachten.
»Wie heißt du?«, fragte ich den Jungen, während ich mich direkt vor ihn stellte.
»Flaherty«, antwortete er mit dümmlichem Grinsen.
»Das ist Gälisch für Trottel«, keifte Juliana neben mir.
»Wo ist dein Problem, Flaherty?«, wollte ich wissen.
»Wer hat hier ein Problem?«, fragte Flaherty zurück. »Ihr vielleicht. Vielleicht ist der Point nicht euer Fall. Vielleicht solltest du mit deiner Regenbogenfamilie aus den Hamptons verschwinden. Du weißt schon, du Schwuchtel, diese Horde da.«
Ich holte tief Luft und ließ sie sehr langsam wieder ausströmen. Dieser Junge ging mir auf die Nerven. Auch wenn er noch ein Kind war, musste sich meine irgendwie gereinigte Seele tapfer bemühen, meine Wut in Zaum zu halten und keine Sünde zu begehen.
»Ich werde es dir nur dieses eine Mal sagen, Flaherty. Halte dich von meinen Kindern fern, sonst verschaffe ich dir eine kostenlose Fahrt in meinem Polizeiwagen.«
»Wow, du bist Polizist. Jetzt hab ich aber Angst«, erwiderte Flaherty. »Das hier ist der Point. Ich kenne hier mehr Polizisten als du, Alter.«
Ich trat noch einen Schritt auf ihn zu. So nah, dass ich ihm einen Stoß mit dem Kopf hätte verpassen können. »Arbeiten davon auch welche im Spofford?«, flüsterte ich in sein Ohr.
Spofford war das berüchtigte Jugendgefängnis von New York. An seinem Schlucken merkte ich, dass er es endlich kapiert hatte.
»Egal«, sagte Flahertey jedoch nur und ging fort.
Warum ich?, dachte ich, als ich mich von den verblüfften Kirchenbesuchern entfernte. So einen Mist bekam man in diesen Fernsehshows nie zu sehen. Und was, zum Teufel, meinte er mit »Alter«?
»Eddie?«, sagte ich, als ich meine Bande zurück auf die heiße, sandige Straße ins Gelobte Land unseres Sommerhauses führte.
»Ja, Dad?«
»Halte dich von diesem Jungen fern.«
»Brian?«, sagte ich ein paar Sekunden später.
»Ja, Paps?«
»Behalte diesen Jungen im Auge.«
Übersetzung: Helmut Splinter
Copyright © der deutsprachigen Ausgabe 2012 by Wilhel, Goldmann Verlag, München
Ebenso wie die Luxuswohnungen und Fünf-Sterne-Restaurants im Seidenstrumpf-Distrikt von Manhattan war das
Benchley East Side Parking unverschämt exklusiv. Seite an Seite und Stoßstange an Stoßstange in dem vier Stockwerke unter die East 77th Street reichenden klimatisierten Parkhaus drängten sich hier Porsche-Oldtimer, eine Handvoll Ferraris und sogar ein paar Lamborghinis für sie und ihn.
Das mitternachtsblaue Mercedes-SL550-Cabrio von der Stange, das um drei Minuten nach zwölf quietschend den Fahrstuhl verließ, schien für dieses hochpreisige Viertel wie geschaffen.
Dies galt auch für den etwas über vierzigjährigen Mann, der neben dem Büro des Parkhauses auf seinen Mercedes wartete. Seine Erscheinung - graumelierter Beckham-Haarschnitt, sonnengebräunte Haut, dunkelblaues Seidenpolohemd und gebügelte Khakihose - ließ auf einen dicken Geldbeutel schließen. Und sie gab Anlass zu der Frage, ob der Wagen oder sein Fahrer mit dem Wunschkennzeichen des schnurrenden Mercedes gemeint war:
SXY BST
»Ich dachte, bei der Hitze möchten Sie lieber wie üblich mit offenem Verdeck fahren, Mr. Berger«, sagte lächelnd der Mitarbeiter, halb Latino und halb Asiate, während er munter aus dem Auto sprang und die mit Holz verschalte Tür aufhielt. »Einen schönen Tag.«
»Danke, Tommy.« Berger steckte ihm flink einen Fünfer zu und rutschte hinter das für diesen Luxusschlitten typische dreistrebige Lenkrad. »Ich werde es versuchen.«
Mit knurrendem Motor fuhr Berger die East 77th Street entlang und bog auf die Fifth Avenue ab. Die weiche Lehne aus Leder drückte sich gegen seinen Rücken, der frische, fast süße Geruch der Sumpfeichen und Blumenhartriegel aus dem Central Park mischte sich harmonisch mit dem Geruch des handgenähten Leders. An der 59th Street wichen die Baumwipfel der märchenhaft geschmückten Fassade des Plaza-Hotels. Kurz darauf huschten beiderseits des schicken Boulevards glänzende Schilder vorbei, als würde das Vanity Fair Magazine zum Leben erweckt: Tiffany, Chanel, Zegna, Pucci, Fendi, Louis Vuitton. Vor den Geschäften schossen die Wochenend-Sommertouristen Bilder und begafften die Auslagen, als hätten sie immer noch nicht begriffen, dass sie mitten im Zentrum der Hauptstadt des Kapitalismus standen.
Doch die teuerste Straße der Welt hätte für Berger genauso gut ein Feldweg mitten durch die Pampa sein können. Hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille hielt er den Blick seiner grauen Augen stur geradeaus gerichtet und ließ sich von nichts ablenken.
Schließlich zählten Zielstrebigkeit und Konzentrationsfähigkeit zu seinen wahren Talenten. Gesiegt hatte er immer, wenn er alles aus seinem Kopf verbannte, was sich nicht auf das aktuelle Vorhaben bezog.
Dennoch raste sein Puls, als er sein Ziel erreichte, das Hauptgebäude der New Yorker Bibliothek auf der Fifth Avenue zwischen der 41 st und 42nd Street. Adrenalin durchströmte ihn, und sein Herz begann fast schmerzhaft im Takt des Blinkers zu schlagen.
Selbst Lawrence Olivier hatte Lampenfieber, rief er sich in Erinnerung, als er vorsichtig auf die East 43rd Street abbog. Jack Dempsey. Elvis Presley. Alle Menschen spürten Angst. Die entscheidende Fähigkeit eines großen und bedeutenden Menschen wie ihm lag darin, damit umzugehen und auch noch zu handeln, wenn ihm bereits der Angstschweiß auf der Stirn stand.
Als er einen halben Straßenblock weiter östlich vor dem Eiswagen parkte, ging es ihm bereits besser. Um sich vollständig zu erden, beobachtete er, wie sich das Cabriodach in technischer Perfektion und vollkommener Symmetrie über seinem Kopf senkte. Als es einrastete, war seine Angst noch immer nicht verschwunden, doch er wusste, dass er mit ihr umgehen konnte.
Beweg dich, Mr. Berger, dachte er. Jetzt oder nie.
Er nahm die schwere Laptop-Tasche aus dem Fußraum vor dem Beifahrersitz und öffnete die Tür.
Jetzt ging's los.
2
Als Berger hinter dem BeauxArts-Torbogen der Bibliothek durch die Drehtür trat, bemerkte er sogleich, dass der Expolizist mit dem stählernen Blick, der ansonsten in der Eingangshalle arbeitete, offenbar freihatte. Prima. Stattdessen winkte ihn eine Aushilfe durch, ein gelangweilt aussehender Vorstädter in schlecht sitzendem Blazer, noch bevor er die Gelegenheit hatte, einen Finger an den Reißverschluss seiner Tasche zu führen.
Der Rose-Lesesaal im zweiten Stock, in dem es mucksmäuschenstill war, hatte ungefähr die Größe eines Fußballfeldes. Er wurde von drei Meter hohen, karamellfarbenene Holzregalen gesäumt, an der sieben Meter hohen bemalten Decke hingen Rokoko-Kronleuchter aus Messing. Berger ging an den langen Tischen vorbei, an denen ernst aussehende über Dreißig- und Vierzigjährige mit Ohrstöpseln saßen, den Blick starr geradeaus auf ihre Laptops gerichtet. Doktoranden oder begeisterte Autodidakten. Dieser fleißige Haufen verkniff sich an diesem Wochenende den Ausflug in die Hamptons.
Berger setzte sich an den hintersten Tisch, mit dem Rücken zur Tür der Abteilung für seltene Bücher des BrookeRussell-Astor-Lesesaals, und tat so, als spielte er Sudoku auf seinem schicken, neuen iPhone, bis die einzige Person am Tisch, eine schwangere Asiatin in Sportanzug, zwanzig Minuten später aufstand.
Als sie davonwatschelte, holte Mr. Berger noch einmal tief Luft und ließ sie langsam wieder ausströmen, bevor er unter dem Tisch ein Paar Einmalhandschuhe anzog und die Bombe aus seiner Laptop-Tasche holte.
Sie sah aus wie ein Siebzehn-Zoll-MacBook. Doch an die Stelle der Tastatur, des Touchpads und des Innenlebens hatte er zwei Kilo T-4 gepackt, die italienische Variante des Plastiksprengstoffs RDX. Auf dem vanillefarbenen Material lag eine Schicht spitzer Pappnägel wie silberne Streusel auf dem Kuchen des Teufels.
Den Gehäuseboden hatte er mit einem gelartigen Klebstoff präpariert. Berger drückte das Gerät fest auf den Tisch vor sich.
Die Zündkapsel hatte er bereits in den Sprengstoff eingeführt. Sie musste jetzt nur noch mit Strom versorgt werden. Dies würde geschehen, wenn jemand den Laptop entdeckte und den Fehler beging, ihn zu öffnen. Gleich unter dem Deckel hatte er mit einer Angelschnur einen Quecksilberschalter befestigt, ein raffiniertes, thermometerähnliches Glasröhrchen, das für die Signale in Münzautomaten verwendet wurde. Bei geschlossenem Deckel konnte man mit dem improvisierten explosiven Apparat Frisbee spielen. Würde man den Deckel auch nur fünf Zentimeter anheben, würde sich das flüssige Quecksilber über den Boden des Schalters und die elektrischen Anschlüsse ergießen und das Gerät in die Luft fliegen lassen.
Mr. Berger stellte sich vor, wie die Schockwelle durch den vollen Rose-Lesesaal waberte und sich die tödlichen Schrapnelle in alle Richtungen mit vierfacher Schallgeschwindigkeit ausbreiteten, um innerhalb von fünfzehn Metern alles und jeden zu zerfetzen. Er streifte seine Handschuhe ab und erhob sich mit der jetzt leeren Laptop-Tasche, bedacht darauf, nichts zu berühren. Er durchquerte den Saal und trat durch die Tür, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Der Anfang ist gemacht, dachte er mit einem Gefühl umwerfender Erleichterung, als er die Marmortreppe erreichte. Ab jetzt begann ein Wettlauf gegen die Zeit.
Auf die Plätze, fertig ...
»Wumm«, flüsterte Berger glücklich und nahm gleich zwei Stufen auf einmal.
Erster Teil
Pack die Badehose ein ...
1
»Zehn kleine Fische, die schwimmen durch das Meer«, trällerte ich begeistert mit geschlossenen Augen und hoher
Stimme. »Und zehn fette Kinder schlendern am Strand umher.«
Dieses Lied schien mir für unseren Spaziergang auf dem sandigen Weg am blaugrauen Atlantik bestens geeignet zu sein. Leider war ich der Einzige, der so dachte. Den Bruchteil einer Sekunde später antworteten meine zehn Kinder mit einem Chor von Ächzern und Buhrufen.
Dennoch verbeugte ich mich wie gewohnt voller Anmut und Würde. Man durfte nie zeigen, wie sehr man schwitzte, auch nicht im Sommer, was, wenn man es genau nimmt, ziemlich schwierig ist.
Mein Name ist Mike Bennett, und soweit ich weiß, bin ich immer noch der einzige Polizist beim NYPD, dem New York Police Department, der ein Leben wie in einer RealityFernsehshow führt. Meine besser gelaunten Kollegen nennen mich Detective Mike plus zehn. Eigentlich bin ich aber Detective Mike plus elf, wenn man meinen Großvater Seamus dazuzählt. Was ich jedenfalls tue, da er unverbesserlicher ist als alle meine zehn Kinder zusammen.
Es war der Beginn der zweiten Woche der von meiner riesigen Familie dringend benötigten Ferien draußen in Breezy Point in Queens, und ich war voll auf Faulenzen geeicht. Das 170 Quadratmeter große Haus draußen an der »irischen Riviera« - so genannt von den Polizisten und Feuerwehrleuten, die hier ihren Sommerurlaub verbringen - befand sich seit einer Generation im Besitz der Familie meiner Mutter. Es war dichter bevölkert als ein Karnickelstall, doch wir hatten jede Menge Spaß - mit Schwimmen, Hotdogs, Brettspielen, Bier und abendlichem Feuerwerk.
Keine E-Mails, keine Elektronik, keine modernen Werkzeuge gleich welcher Art außer meiner temperamentvollen Klimaanlage und einem vom Salzwasser verrosteten Fahrrad. Ich beobachtete Chrissy, das Baby der Horde, die einer Seeschwalbe - oder war es ein Regenpfeifer? - hinterherjagte.
Das Weiße Haus der Bennetts hatte im Sommer geöffnet.
Die Zeit flog nur so dahin, doch ich machte das Beste daraus. Wie üblich. Als alleinerziehender Vater von einer Anzahl von Kindern im zweistelligen Bereich war es ziemlich selbstverständlich, dass man das Beste aus allem machte.
»Wenn ihr keine Kinderlieder mögt, wie wär's dann mit Erwachsenenliedern?«, rief ich laut. »Also, alle zusammen: >Und der Haifisch, der hat Zähne<.«
»Willst du nicht endlich mit gutem Beispiel vorangehen, Mike? Wir müssen einen Haifischzahn zulegen, sonst kommen wir zu spät«, rügte mich Mary Catherine in ihrem irischen Akzent.
Ach ja, Mary Catherine habe ich vergessen zu erwähnen. Ich bin wahrscheinlich der einzige Polizist im NYPD, der auch ein irisches Kindermädchen hat. Eigentlich ist sie angesichts dessen, was ich ihr bezahle, eher ein selbstloser Engel der Barmherzigkeit. Ich wette, bald wird man eine katholische Schule nach ihr benennen. Heilige Mary Catherine, Schutzheilige der besserwisserischen Polizisten und des heimischen Chaos.
Und wie immer hatte das junge, attraktive Ding recht. Wir waren auf dem Weg zur Fünf-Uhr-Messe in St. Edmund's auf der Oceanside Avenue. Ferien waren keine Entschuldigung dafür, eine Messe ausfallen zu lassen, besonders nicht für uns, da mein Großvater Seamus nicht nur Komiker, sondern auch spätberufener Priester war.
Was noch? Habe ich schon erwähnt, dass alle meine Kinder adoptiert sind? Zwei sind schwarz, zwei Latinos, eins ist asiatisch und der Rest weiß. Typisch ist unsere Familie nicht.
»Guck mal, wer da kommt«, kommentierte Seamus unsere Ankunft. Er stand auf der sandigen Kirchentreppe und tippte auf seine Armbanduhr. »Das müssen die zwölf Apostel sein. Nein, Quatsch, die wären natürlich pünktlich zur Messe gekommen. Jetzt rein hier, ihr Heiden, bevor ich vergesse, dass ich kein Mann der Gewalt bin.«
»Es tut mir leid, Vater«, entschuldigte sich Chrissy, was elfmal in mehr oder weniger aufsteigender Abfolge wiederholt wurde - von Shawna, Trent, Fiona, Bridget, Eddie, Ricky, Jane, Brian, Juliana, meiner ältesten Tochter, Mary Catherine und, zu guter Letzt, meiner Wenigkeit.
Seamus legte eine Hand an meinen Ellbogen, während ich erfolglos nach einer Bank Ausschau hielt, in die eine zwölfköpfige Familie passte.
»Nur dass du es weißt, ich lese die Messe heute für Maeve«, verriet er mir.
Maeve war meine Frau und der Mensch, der meine Familie so bunt zusammengewürfelt hatte, bevor sie vor ein paar Jahren an Krebs gestorben war. Manchmal wachte ich immer noch morgens auf und griff auf die andere Seite des Bettes, bis mir im nächsten brutal beschissenen Aha-Moment klar wurde, dass ich allein war.
Ich lächelte und nickte, während ich Seamus' faltige Wange tätschelte. »Ich hätte es mir nicht besser wünschen können, Monsignore«, sagte ich, als die Orgel einsetzte.
2
Der Gottesdienst ging rasch vorüber, war aber wirklich schön. Besonders der Teil, in dem wir für Maeve beteten. Ich habe nicht vor, in nächster Zeit Priester zu werden, doch ich mag Messen. Sie sind beruhigend und erholsam. Ein Moment, um sich klar zu werden, was man in der vergangenen Woche falsch gemacht hat und was man wieder geradebiegen kann.
Man könnte auch irische Psychotherapie dazu sagen. Auf jeden Fall Therapie für den irischen Psycho.
Alles in allem trat ich ziemlich ruhig und optimistisch
hinaus in die Sonne. Das dauerte aber nur so lange, bis das
Weihwasser auf meiner Stirn getrocknet war.
»Schnappt ihn euch! Schlagt härter zu! Jawoll, Jungs!«, rief ein Kind.
Neben der Kirche herrschte leichter Tumult. Hinter der sich teilenden Menge und den Fahrzeugen sah ich, wie auf dem Parkplatz etwa ein halbes Dutzend Kinder in Angriffstellung gingen.
»Pass auf, Eddie!«, rief jemand.
Eddie? Moment mal. Einer meiner Söhne hieß Eddie!
Ich eilte, dicht gefolgt von meinem ältesten Sohn Brian, dorthin, wo ein Rudel Kinder auf dem sonnengebleichten Asphalt eine Schlägerei austrugen. Ich packte Hemdkragen und riss Kinder fort. Setzte meine Polizeiausbildung sinnvoll ein.
Mein Sohn Eddie lag mit rotem Gesicht und den Tränen nahe ganz unten im Gewühl.
»Willst du noch eine, du Miststück? Los, komm und hol sie dir!«, rief einer der Jungs, der meinen Sohn getreten hatte, und ging auf ihn zu. Eddie, unsere familieneigene Leseratte, war zehn. Der große, pummelige Junge mit der schief sitzenden Mets-Kappe sah mindestens wie vierzehn aus.
»Halt dich zurück!«, rief ich dem Spinner mit viel Polizist in der Stimme zu. Und noch mehr in meinem Blick.
Eddie, dessen Tränen versiegt waren und der nur noch Wut ausstrahlte, wischte sich mit dem Daumen Blut von der Nase.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Der Wichser hat zu Trent was Böses gesagt, Dad.« »Was?«
»Irischer Neger.«
Ich drehte mich zu dem großen Jungen mit seinem noch größeren Mundwerk um. Trent war sogar noch jünger als Eddie, ein unschuldiges, siebenjähriges Kind, das zufällig schwarz war. Ich spürte den Drang, diesem fetten Trampel die Kappe vom Kopf zu schlagen. Doch mir kam eine andere Idee.
»In diesem Fall darfst du ihm in den Arsch treten«, sagte ich mit Blick auf den Delinquenten.
»Ist mir eine Freude«, frohlockte Eddie, der versuchte, sich aus meinem Griff zu lösen.
»Nein, nicht du, Eddie. Das ist Brians Aufgabe.«
Brian, eins vierundachtzig und Spieler in der Football-Mannschaft seiner Schule, trat lächelnd vor.
Erst in allerletzter Sekunde legte ich meine Hand auf seine Brust. Mit Gewalt löste man keine Probleme. Zumindest nicht, wenn Zeugen anwesend waren. Zwanzig oder dreißig loyale Gemeindemitglieder waren stehen geblieben, um das Geschehen zu beobachten.
»Wie heißt du?«, fragte ich den Jungen, während ich mich direkt vor ihn stellte.
»Flaherty«, antwortete er mit dümmlichem Grinsen.
»Das ist Gälisch für Trottel«, keifte Juliana neben mir.
»Wo ist dein Problem, Flaherty?«, wollte ich wissen.
»Wer hat hier ein Problem?«, fragte Flaherty zurück. »Ihr vielleicht. Vielleicht ist der Point nicht euer Fall. Vielleicht solltest du mit deiner Regenbogenfamilie aus den Hamptons verschwinden. Du weißt schon, du Schwuchtel, diese Horde da.«
Ich holte tief Luft und ließ sie sehr langsam wieder ausströmen. Dieser Junge ging mir auf die Nerven. Auch wenn er noch ein Kind war, musste sich meine irgendwie gereinigte Seele tapfer bemühen, meine Wut in Zaum zu halten und keine Sünde zu begehen.
»Ich werde es dir nur dieses eine Mal sagen, Flaherty. Halte dich von meinen Kindern fern, sonst verschaffe ich dir eine kostenlose Fahrt in meinem Polizeiwagen.«
»Wow, du bist Polizist. Jetzt hab ich aber Angst«, erwiderte Flaherty. »Das hier ist der Point. Ich kenne hier mehr Polizisten als du, Alter.«
Ich trat noch einen Schritt auf ihn zu. So nah, dass ich ihm einen Stoß mit dem Kopf hätte verpassen können. »Arbeiten davon auch welche im Spofford?«, flüsterte ich in sein Ohr.
Spofford war das berüchtigte Jugendgefängnis von New York. An seinem Schlucken merkte ich, dass er es endlich kapiert hatte.
»Egal«, sagte Flahertey jedoch nur und ging fort.
Warum ich?, dachte ich, als ich mich von den verblüfften Kirchenbesuchern entfernte. So einen Mist bekam man in diesen Fernsehshows nie zu sehen. Und was, zum Teufel, meinte er mit »Alter«?
»Eddie?«, sagte ich, als ich meine Bande zurück auf die heiße, sandige Straße ins Gelobte Land unseres Sommerhauses führte.
»Ja, Dad?«
»Halte dich von diesem Jungen fern.«
»Brian?«, sagte ich ein paar Sekunden später.
»Ja, Paps?«
»Behalte diesen Jungen im Auge.«
Übersetzung: Helmut Splinter
Copyright © der deutsprachigen Ausgabe 2012 by Wilhel, Goldmann Verlag, München
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Autoren-Porträt von James Patterson
James Patterson wuchs in Newburgh, New York, auf, studierte englische Literatur am Manhattan College und an der Vanderbilt University. Während seines Studiums, das er mit Auszeichnung abschloss, jobbte er in einer psychiatrischen Klinik. Danach war Patterson lange Zeit Chef einer großen New Yorker Werbeagentur. Nebenher begann er mit dem Schreiben von Kriminalromanen und das mit großem Erfolg. Denn bereits für seinen Debütroman erhielt er den begehrten Edgar Allan Poe Award, Amerikas wichtigsten Krimipreis. Mittlerweile gilt James Patterson als der Mann, der nur Bestseller schreibt: In den letzten Jahren standen 63 seiner Bücher auf der New York Times Hardcover-Bestsellerliste. Seine Romane wurden bisher in 38 Sprachen übersetzt und erreichten weltweit eine Gesamtauflage von über 260 Millionen Exemplaren. James Patterson lebt heute mit seiner Familie in Palm Beach, Florida.
Bibliographische Angaben
- Autor: James Patterson
- 2012, 347 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Helmut Splinter
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442475120
- ISBN-13: 9783442475124
- Erscheinungsdatum: 15.02.2012
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