Toskana für Arme
Liebeserklärung an ein italienisches Dorf
Die kleine Welt vom Monte Dolciano Für ein Haus in der Toskana hat das Geld nicht gereicht. Also hat sich Max ein baufälliges «rustico» in den Marken gekauft. Der Liebeskummer hat ihn hierher geführt, und er ist fest...
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Produktinformationen zu „Toskana für Arme “
Die kleine Welt vom Monte Dolciano Für ein Haus in der Toskana hat das Geld nicht gereicht. Also hat sich Max ein baufälliges «rustico» in den Marken gekauft. Der Liebeskummer hat ihn hierher geführt, und er ist fest entschlossen, von nun an als selbsternannter Eremit sein Leben zu fristen. Aber da hat der Deutsche die Rechnung ohne die eigensinnigen, liebenswerten, nervigen, verführerischen, philosophischen, mit anderen Worten: durch und durch italienischen Bewohner des Monte Dolciano gemacht ...
Klappentext zu „Toskana für Arme “
Die kleine Welt vom Monte DolcianoFür ein Haus in der Toskana hat das Geld nicht gereicht. Also hat sich Max ein baufälliges "rustico" in den Marken gekauft. Der Liebeskummer hat ihn hierher geführt, und er ist fest entschlossen, von nun an als selbsternannter Eremit sein Leben zu fristen. Aber da hat der Deutsche die Rechnung ohne die eigensinnigen, liebenswerten, nervigen, verführerischen, philosophischen, mit anderen Worten: durch und durch italienischen Bewohner des Monte Dolciano gemacht ...
Die kleine Welt vom Monte Dolciano
Für ein Häuschen in der Toskana hat das Geld nicht gereicht. Also wurde es ein baufälliges rustico in den Marken, der Toskana für Arme. Max ist von Deutschland hierher geflohen, um seine Wunden zu lecken, weil seine große Liebe Anna ihn verlassen hat. Und er ist fest entschlossen, von nun an als selbsternannter Eremit sein Leben zu fristen. Aber da machen ihm die Menschen vom Monte Dolciano einen Strich durch die Rechnung: zum Beispiel die verführerische Luciana, die die örtliche Bar betreibt; der notorisch schlecht gelaunte Granci mit dem abgelaufenen Nachtwächterausweis. Und vor allem der liebenswerte Dickkopf Gino, Philosoph und Maurer, doppelt so alt wie Max und bald sein bester Freund.
Ein Roman von einem, der auszog, die Liebe zu vergessen, und der in der Fremde alles gefunden hat, was im Leben wichtig ist: eine neue Heimat, Freunde und - vielleicht - die große Liebe.
Für ein Häuschen in der Toskana hat das Geld nicht gereicht. Also wurde es ein baufälliges rustico in den Marken, der Toskana für Arme. Max ist von Deutschland hierher geflohen, um seine Wunden zu lecken, weil seine große Liebe Anna ihn verlassen hat. Und er ist fest entschlossen, von nun an als selbsternannter Eremit sein Leben zu fristen. Aber da machen ihm die Menschen vom Monte Dolciano einen Strich durch die Rechnung: zum Beispiel die verführerische Luciana, die die örtliche Bar betreibt; der notorisch schlecht gelaunte Granci mit dem abgelaufenen Nachtwächterausweis. Und vor allem der liebenswerte Dickkopf Gino, Philosoph und Maurer, doppelt so alt wie Max und bald sein bester Freund.
Ein Roman von einem, der auszog, die Liebe zu vergessen, und der in der Fremde alles gefunden hat, was im Leben wichtig ist: eine neue Heimat, Freunde und - vielleicht - die große Liebe.
Lese-Probe zu „Toskana für Arme “
Toskana Für Arme von Uli T. Swidler 1 KapitelDie Beerdigung war der Knaller. Luise hätte es auch so gesehen, da war ich mir sicher. Wenn sie gekonnt hätte.
Aber es war Luises Beerdigung. Sie lag in dem einfachen Eichensarg, den vier schwitzende Männer nur mit großer Mühe in der Waagerechten hielten, als sie ihn neben dem offenen Grab auf dem verwunschenen cimitero circa auf dem Monte Dolciano auf die sonnengeröstete Erde zu Boden ließen. Drei der Träger waren Nachbarn von Luise, nie der deutschen Signora die letzte Ehre erweisen wollten, und folglich waren sie nicht so geübt wie der vierte, Manfredo, Besitzer des Bestattungsunternehmens, Fahrer des Leichenwagens nun Sargschreiner in einem. Manfredos Augen wanderten nervös zwischen den Trägern hin und her.
Mein Freund Gino, früher Lastwagenfahrer, aber vor 20 Jahren als Maurer sesshaft geworden, stieß mir seinen Ellbogen in die Rippen. «Bei der letzten Beerdigung ist ihm der Sarg weggerutscht», flüsterte er. «War 'ne peinliche Sache.»
«Wird schon gutgehen. Luise wiegt ja kaum was.»
«Edle», erwiderte Gino mit tadelndem Blick, zuerst zu mir, timt rum Sarg hin, «du weißt doch, was Eiche wiegt.»
... mehr
Er hab seinen linken Arm, halbhoch nur, mehr war angeblich nicht drin, seit ihm letzte Woche beim Auswechseln eines morschen Dachbalkens in meinem alten Bauernhaus, einem rustico mit dem Namen Ca'Tommaso, der neue Balken auf den Arm gefallen war. Eiche natürlich.
«Was kann ich dafür, wenn dir ein Balken auf den Arm fällt!», flüsterte ich aufgebracht. Gleichzeitig ärgerte ich mich. Warum hatte ich ein schlechtes Gewissen? Weil ich ihm, dem Maurer, den Auftrag erteilt hatte, den Balken auszutauschen?
«Habe ich gesagt, dass du was dafürkannst?», erwiderte Gino gönnerhaft, während er sich demonstrativ den Arm massierte. Ein einziger Vorwurf.
Wieder rammte er mir den Ellbogen in die Rippen, das war immerhin noch möglich. «Enrico.» Er deutete unauffällig mit dem Kinn in die Richtung des Besagten und rollte mit den Augen.
Enrico hatte sich wie gewohnt hinter seiner riesigen Sonnenbrille verschanzt, ein Teil, wie es sonst nur noch von nordkoreanischen Diktatoren getragen wurde. Sein Kopf war starr auf den Sarg gerichtet, und sein unbewegter Gesichtsausdruck ließ auf Gedanken der Trauer schließen, aber jeder rund um den Monte Dolciano wusste, dass seine Augen im Schutz der gewaltigen dunklen Gläser ununterbrochen nach nackten Frauenbeinen und offenherzigen Dekolletes Ausschau hielten. Viel gab es dieses Mal allerdings nicht zu sehen, schließlich handelte es sich um eine Beerdigung. Und selbst Sophie, die erfolglose Schauspielerin aus München, die im Allgemeinen gerne zeigte, was sie hatte, hielt sich zugeknöpft.
Enricos größter und man kann ohne Übertreibung sagen, legendärster Erfolg als Spanner lag jetzt schon einige Jahre zu- rück und hatte mit Isabelle zu tun, der Ehefrau eines deutschen Unternehmers, der bei Nacht und Nebel ein sehr baufälliges, schwer erreichbares rustico von dem deutschen Architekten mit Namen Gantenbein gekauft hatte. Gantenbein war ein begnadeter Verkäufer mit einem dunklen Hang zum Betrügerischen, von dem wir alle, die wir hier um Luises Grab standen, also alle Nicht-Italiener, unsere Häuser gekauft hatten. Nachdem der deutsche Unternehmer sein frisch erworbenes rustico einige Male bei Tag und in Ruhe betrachtet hatte, wurde ihm klar, wie viel Geld, Arbeitsbereitschaft und Ideen nötig waren, um es zu restaurieren. Geld hatte er, sonst jedoch nichts. Um nicht zugeben zu müssen, einen Fehler gemacht zu haben, stellte er einen Wohnwagen auf das Feld hinter dem rustico. Er müsse erst einmal ohne Zeitdruck die Lage sondieren. Dieses Sondieren dauerte etwa zwei Jahre, in denen er gelegentlich mit seiner Frau Isabelle für ein, zwei Wochen auftauchte, bevor er dann endgültig die Lust an der Sache verlor und mit seiner Geliebten nach Island zog.
Inzwischen jedoch hatte Isabelle, seine gleichermaßen zarte wie weltfremde Ehefrau von puppenhafter Schönheit, sich dem Esoterischen zugewandt, und zwar einer schamanischen Glaubensrichtung, in der man morgens mit Inbrunst die Sonne begrüßte. Isabelle nistete sich also jedes Jahr allein für einige Wochen in dem Wohnwagen ein, auf der Suche nach ihrer schöpferischen Kraft. Amrustico selbst gab es kein Wasser, das sprudelte einige hundert Meter entfernt neben einer vincinale, also einem Weglein, das einzelne Bauernhäuser miteinander verband, aus einer Quelle. Dort badete die Schöne nun jeden Tag ausgiebig und nackt im morgendlichen Dämmerlicht, um dann ihre Gänsehaut und die von der Kälte steinharten Brustwarzen der aufgehenden Sonne entgegenzurecken.
Enrico, ein ruheloser Frühaufsteher, war der Erste, der davon Wind bekam. Einige Tage genoss er dieses Schauspiel al- lein, bis er sein Geheimnis einfach nicht mehr für sich behalten konnte und einigen ausgewählten Kumpanen zuflüsterte. Von da an hockten jeden Morgen bis zu sechs Männer im Gebüsch, und die Sache flog erst auf, als einer von ihnen, Carlo, von dem Baum fiel, auf den er der besseren Sicht wegen geklettert war. Die schöne Isabelle rief daraufhin die Carabinieri, mit den folgenden Worten, die sie sich aus dem Wörterbuch heraus- geschrieben hatte: Sechs eklige (schifosi), geifernde (sbavati), einheimische (nativi) Mistkerle (pezzi di merda) sind in meine Privatsphäre eingedrungen, um mich beim Nacktbaden in der Morgendämmerung (crepuscolo mattutino) zu beobachten.
Innerhalb kürzester Zeit waren zwei Gesetzeshüter vor Ort mit einer Geschwindigkeit, die sich nur mit der Hoffnung der beiden erklären ließ, noch einen Blick auf das nackte Corpus Delicti werfen zu können. Da Carlo sich beim Sturz vom Baum den Fuß verstaucht hatte, konnte er nicht so schnell fliehen wie seine Mittäter und wurde dingfest gemacht.
Doch damit war die Angelegenheit nicht beendet, denn Adolfo, einer der beiden Carabinieri, war Carlos Sohn, und Adolfo versuchte alles, um die Sache klein zu halten, wenn nicht gar unter den Teppich zu kehren. Das wäre sicherlich erfolgreich gewesen, wenn es sich bei Isabelle um ein unscheinbares Wesen gehandelt hätte. Das Gegenteil war jedoch der Fall, und als sie, gutaussehend und elegant (in pompa magna), beim maresciallo, dem örtlichen Chef der Carabinieri, vorsprach, außer sich vor Wut und trotzdem geschickt die Karte spielend: <Ich wähnte mich in einem Land der Kultur und Feinsinnigkeit> –, da wurde die Angelegenheit erst richtig groß.
Der maresciallo, ein grau melierter, bulliger Kerl und Macho durch und durch, schwang sich sofort zu ihrem Beschützer auf: Wenn Frauen sich in diesem Land auf ihrem eigenen Grund und Boden nicht mehr frei bewegen können, dann ist etwas zutiefst verrottet in unserer Kultur und Zivilisation! Er listete alle Paragraphen auf, gegen die Carlo verstoßen hatte, und drohte ihm, wenn er in Zukunft nur einen einzigen anzüglichen Blick auf eine Frau werfen würde, käme es sofort zu einer Untersuchung der Abteilung für Innere Angelegenheiten.
«Was hast du mit meinen inneren Angelegenheiten zu tun, maresciallo?», versuchte Carlo es mit einer forschen Gegenwehr.
Der maresciallo ignorierte Carlo und seine Frechheit völlig, verschränkte seine Arme vor der Brust, ließ seinen Blick zur Decke wandern und atmete tief durch die Nase ein, sehr tief, eine Geste, die im alten Rom und wenn er Cäsar gewesen wäre, Carlo keine fünf Minuten später in den Circus maximus zu den Löwen befikdert hätte. Doch hier, in der tristen Realität einer muffigen Carabiniere-Wache in Acqualagna, fixierte der maresciallo nicht Carlo, den Täter, sondern Adolfo, den Sohn und Carabiniere, mit einem wirklich gekonnten, lässigen Chef-Blick und tippte wie beiläufig auf seine Rangabzeichen. In der absolut unmiss- verständlichen italienischen Gebärdensprache hieß das so viel wie: Hör zu, ich habe nicht nur mehr Streifen als du, nein, du wirst bald sogar noch einen weniger als jetzt haben! Und das ist erst der Anfang dessen, was dich erwartet! Das Wort Karriere jedenfalls wird es in deinem Leben nicht mehr geben!
Carlo sah, wie seinem Sohn Adolfo der Schweiß ausbrach, er blass wurde und nach Luft rang. In dem Moment erkannte Carlo die Relevanz der Abteilung für Innere Angelegenheiten .auch für sein Leben und entschuldigte sich wortreich bei Isabelle, ohne sie anzusehen, um sich und Adolfo keinerlei weiterem Risiko auszusetzen.
Der maresciallo scheuchte Vater und Sohn daraufhin hinaus und lud Isabelle zum Essen ein, als Akt der Wiedergutmachung und um ihr den Glauben an die große Kulturnation Italien zurückzugeben, während Carlo zum nächsten Optiker humpelte und sich dieselbe gewaltige Sonnenbrille kaufte, die auch Enrico besaß, hinter der seine Augen machen konnten, was sie wollten. Zumindest tagsüber, wenn die Sonne schien.
Das Verhältnis zwischen dem maresciallo und Isabelle war übrigens nur von kurzer Dauer, da Isabelle bald das Interesse an der großen Kulturnation Italien verlor und nach Indien in einen Ashram zog, wo sie zwei Kinder bekam und über einen international tätigen Anwalt die Scheidung von ihrem deutschen Unternehmer einreichte.
Fast alle italienischen Nachbarn waren zu Luises Beerdigung auf den cimitero oben auf dem Monte Dolciano gekommen und natürlich die meisten Deutschen und viele andere Fremde, stranieri, die ebenfalls Häuser in der Gegend besaßen. Luise war unbestritten die große, alte Dame der ersten Stunde der Hauskäufer-Invasion gewesen, die Anfang der 90er Jahre begonnen hatte. Da durfte einfach niemand fehlen. Nicht wenige dieser damaligen Neuankömmlinge waren in den ersten Jahren befreundet gewesen, alle hatten sich untereinander Motorsensen und Schlagbohrmaschinen ausgeliehen, die besten Sand-Zement-Mischungsverhältnisse diskutiert, hatten sich meterlange Tische zugelegt und gegenseitig zum Essen eingeladen und sich über die neuesten Kapriolen der italienischen Bürokratie auf dem Laufenden gehalten. Dass man zum Beispiel, obwohl Italien Teil der EU war, eine Aufenthaltsgenehmigung bei der questura beantragen und immer wieder verlängern lassen musste, um dann, nach frühestens fünf Jahren, den Status eines residente zu bekommen. Oder dass es eine Haus- und Grundsteuer namens ICI gab, die eine sogenannte Bringschuld darstellte, für die man also nicht etwa einen Bescheid bekam, sondern die man von sich aus bezahlen musste, über deren Höhe jedoch weder bei der comune noch bei der Finanzbehörde irgendetwas in Erfahrung zu bringen war.
© Kindler Verlag
«Was kann ich dafür, wenn dir ein Balken auf den Arm fällt!», flüsterte ich aufgebracht. Gleichzeitig ärgerte ich mich. Warum hatte ich ein schlechtes Gewissen? Weil ich ihm, dem Maurer, den Auftrag erteilt hatte, den Balken auszutauschen?
«Habe ich gesagt, dass du was dafürkannst?», erwiderte Gino gönnerhaft, während er sich demonstrativ den Arm massierte. Ein einziger Vorwurf.
Wieder rammte er mir den Ellbogen in die Rippen, das war immerhin noch möglich. «Enrico.» Er deutete unauffällig mit dem Kinn in die Richtung des Besagten und rollte mit den Augen.
Enrico hatte sich wie gewohnt hinter seiner riesigen Sonnenbrille verschanzt, ein Teil, wie es sonst nur noch von nordkoreanischen Diktatoren getragen wurde. Sein Kopf war starr auf den Sarg gerichtet, und sein unbewegter Gesichtsausdruck ließ auf Gedanken der Trauer schließen, aber jeder rund um den Monte Dolciano wusste, dass seine Augen im Schutz der gewaltigen dunklen Gläser ununterbrochen nach nackten Frauenbeinen und offenherzigen Dekolletes Ausschau hielten. Viel gab es dieses Mal allerdings nicht zu sehen, schließlich handelte es sich um eine Beerdigung. Und selbst Sophie, die erfolglose Schauspielerin aus München, die im Allgemeinen gerne zeigte, was sie hatte, hielt sich zugeknöpft.
Enricos größter und man kann ohne Übertreibung sagen, legendärster Erfolg als Spanner lag jetzt schon einige Jahre zu- rück und hatte mit Isabelle zu tun, der Ehefrau eines deutschen Unternehmers, der bei Nacht und Nebel ein sehr baufälliges, schwer erreichbares rustico von dem deutschen Architekten mit Namen Gantenbein gekauft hatte. Gantenbein war ein begnadeter Verkäufer mit einem dunklen Hang zum Betrügerischen, von dem wir alle, die wir hier um Luises Grab standen, also alle Nicht-Italiener, unsere Häuser gekauft hatten. Nachdem der deutsche Unternehmer sein frisch erworbenes rustico einige Male bei Tag und in Ruhe betrachtet hatte, wurde ihm klar, wie viel Geld, Arbeitsbereitschaft und Ideen nötig waren, um es zu restaurieren. Geld hatte er, sonst jedoch nichts. Um nicht zugeben zu müssen, einen Fehler gemacht zu haben, stellte er einen Wohnwagen auf das Feld hinter dem rustico. Er müsse erst einmal ohne Zeitdruck die Lage sondieren. Dieses Sondieren dauerte etwa zwei Jahre, in denen er gelegentlich mit seiner Frau Isabelle für ein, zwei Wochen auftauchte, bevor er dann endgültig die Lust an der Sache verlor und mit seiner Geliebten nach Island zog.
Inzwischen jedoch hatte Isabelle, seine gleichermaßen zarte wie weltfremde Ehefrau von puppenhafter Schönheit, sich dem Esoterischen zugewandt, und zwar einer schamanischen Glaubensrichtung, in der man morgens mit Inbrunst die Sonne begrüßte. Isabelle nistete sich also jedes Jahr allein für einige Wochen in dem Wohnwagen ein, auf der Suche nach ihrer schöpferischen Kraft. Amrustico selbst gab es kein Wasser, das sprudelte einige hundert Meter entfernt neben einer vincinale, also einem Weglein, das einzelne Bauernhäuser miteinander verband, aus einer Quelle. Dort badete die Schöne nun jeden Tag ausgiebig und nackt im morgendlichen Dämmerlicht, um dann ihre Gänsehaut und die von der Kälte steinharten Brustwarzen der aufgehenden Sonne entgegenzurecken.
Enrico, ein ruheloser Frühaufsteher, war der Erste, der davon Wind bekam. Einige Tage genoss er dieses Schauspiel al- lein, bis er sein Geheimnis einfach nicht mehr für sich behalten konnte und einigen ausgewählten Kumpanen zuflüsterte. Von da an hockten jeden Morgen bis zu sechs Männer im Gebüsch, und die Sache flog erst auf, als einer von ihnen, Carlo, von dem Baum fiel, auf den er der besseren Sicht wegen geklettert war. Die schöne Isabelle rief daraufhin die Carabinieri, mit den folgenden Worten, die sie sich aus dem Wörterbuch heraus- geschrieben hatte: Sechs eklige (schifosi), geifernde (sbavati), einheimische (nativi) Mistkerle (pezzi di merda) sind in meine Privatsphäre eingedrungen, um mich beim Nacktbaden in der Morgendämmerung (crepuscolo mattutino) zu beobachten.
Innerhalb kürzester Zeit waren zwei Gesetzeshüter vor Ort mit einer Geschwindigkeit, die sich nur mit der Hoffnung der beiden erklären ließ, noch einen Blick auf das nackte Corpus Delicti werfen zu können. Da Carlo sich beim Sturz vom Baum den Fuß verstaucht hatte, konnte er nicht so schnell fliehen wie seine Mittäter und wurde dingfest gemacht.
Doch damit war die Angelegenheit nicht beendet, denn Adolfo, einer der beiden Carabinieri, war Carlos Sohn, und Adolfo versuchte alles, um die Sache klein zu halten, wenn nicht gar unter den Teppich zu kehren. Das wäre sicherlich erfolgreich gewesen, wenn es sich bei Isabelle um ein unscheinbares Wesen gehandelt hätte. Das Gegenteil war jedoch der Fall, und als sie, gutaussehend und elegant (in pompa magna), beim maresciallo, dem örtlichen Chef der Carabinieri, vorsprach, außer sich vor Wut und trotzdem geschickt die Karte spielend: <Ich wähnte mich in einem Land der Kultur und Feinsinnigkeit> –, da wurde die Angelegenheit erst richtig groß.
Der maresciallo, ein grau melierter, bulliger Kerl und Macho durch und durch, schwang sich sofort zu ihrem Beschützer auf: Wenn Frauen sich in diesem Land auf ihrem eigenen Grund und Boden nicht mehr frei bewegen können, dann ist etwas zutiefst verrottet in unserer Kultur und Zivilisation! Er listete alle Paragraphen auf, gegen die Carlo verstoßen hatte, und drohte ihm, wenn er in Zukunft nur einen einzigen anzüglichen Blick auf eine Frau werfen würde, käme es sofort zu einer Untersuchung der Abteilung für Innere Angelegenheiten.
«Was hast du mit meinen inneren Angelegenheiten zu tun, maresciallo?», versuchte Carlo es mit einer forschen Gegenwehr.
Der maresciallo ignorierte Carlo und seine Frechheit völlig, verschränkte seine Arme vor der Brust, ließ seinen Blick zur Decke wandern und atmete tief durch die Nase ein, sehr tief, eine Geste, die im alten Rom und wenn er Cäsar gewesen wäre, Carlo keine fünf Minuten später in den Circus maximus zu den Löwen befikdert hätte. Doch hier, in der tristen Realität einer muffigen Carabiniere-Wache in Acqualagna, fixierte der maresciallo nicht Carlo, den Täter, sondern Adolfo, den Sohn und Carabiniere, mit einem wirklich gekonnten, lässigen Chef-Blick und tippte wie beiläufig auf seine Rangabzeichen. In der absolut unmiss- verständlichen italienischen Gebärdensprache hieß das so viel wie: Hör zu, ich habe nicht nur mehr Streifen als du, nein, du wirst bald sogar noch einen weniger als jetzt haben! Und das ist erst der Anfang dessen, was dich erwartet! Das Wort Karriere jedenfalls wird es in deinem Leben nicht mehr geben!
Carlo sah, wie seinem Sohn Adolfo der Schweiß ausbrach, er blass wurde und nach Luft rang. In dem Moment erkannte Carlo die Relevanz der Abteilung für Innere Angelegenheiten .auch für sein Leben und entschuldigte sich wortreich bei Isabelle, ohne sie anzusehen, um sich und Adolfo keinerlei weiterem Risiko auszusetzen.
Der maresciallo scheuchte Vater und Sohn daraufhin hinaus und lud Isabelle zum Essen ein, als Akt der Wiedergutmachung und um ihr den Glauben an die große Kulturnation Italien zurückzugeben, während Carlo zum nächsten Optiker humpelte und sich dieselbe gewaltige Sonnenbrille kaufte, die auch Enrico besaß, hinter der seine Augen machen konnten, was sie wollten. Zumindest tagsüber, wenn die Sonne schien.
Das Verhältnis zwischen dem maresciallo und Isabelle war übrigens nur von kurzer Dauer, da Isabelle bald das Interesse an der großen Kulturnation Italien verlor und nach Indien in einen Ashram zog, wo sie zwei Kinder bekam und über einen international tätigen Anwalt die Scheidung von ihrem deutschen Unternehmer einreichte.
Fast alle italienischen Nachbarn waren zu Luises Beerdigung auf den cimitero oben auf dem Monte Dolciano gekommen und natürlich die meisten Deutschen und viele andere Fremde, stranieri, die ebenfalls Häuser in der Gegend besaßen. Luise war unbestritten die große, alte Dame der ersten Stunde der Hauskäufer-Invasion gewesen, die Anfang der 90er Jahre begonnen hatte. Da durfte einfach niemand fehlen. Nicht wenige dieser damaligen Neuankömmlinge waren in den ersten Jahren befreundet gewesen, alle hatten sich untereinander Motorsensen und Schlagbohrmaschinen ausgeliehen, die besten Sand-Zement-Mischungsverhältnisse diskutiert, hatten sich meterlange Tische zugelegt und gegenseitig zum Essen eingeladen und sich über die neuesten Kapriolen der italienischen Bürokratie auf dem Laufenden gehalten. Dass man zum Beispiel, obwohl Italien Teil der EU war, eine Aufenthaltsgenehmigung bei der questura beantragen und immer wieder verlängern lassen musste, um dann, nach frühestens fünf Jahren, den Status eines residente zu bekommen. Oder dass es eine Haus- und Grundsteuer namens ICI gab, die eine sogenannte Bringschuld darstellte, für die man also nicht etwa einen Bescheid bekam, sondern die man von sich aus bezahlen musste, über deren Höhe jedoch weder bei der comune noch bei der Finanzbehörde irgendetwas in Erfahrung zu bringen war.
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Autoren-Porträt von Uli T. Swidler
Uli T. Swidler, Jahrgang 1955, wurde neben Bayer Leverkusen geboren, machte Rockmusik, studierte in Köln, schnupperte Theaterluft und arbeitete viele Jahre als Autor und Moderator für Radio und Fernsehen. 1997 hängte er den Journalismus an den Nagel, um sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen. Der Autor lebt seit 20 Jahren auf dem Monte Dolciano, der in Wirklichkeit ganz anders heißt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Uli T. Swidler
- 2009, 2, 336 Seiten, 14 Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463405598
- ISBN-13: 9783463405599
Kommentar zu "Toskana für Arme"
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