Unter dem Safranmond
Roman
Oxford 1853: Die junge Maya brennt mit dem Offizier Ralph durch. Doch die Armee schickt ihn ins südwestliche Arabien. Als Maya von Beduinen entführt wird, erkennt sie, wie attraktiv sie ihren Entführer, den charismatischen Rashad, findet.
Leider schon ausverkauft
Buch (Kartoniert)
9.30 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Unter dem Safranmond “
Oxford 1853: Die junge Maya brennt mit dem Offizier Ralph durch. Doch die Armee schickt ihn ins südwestliche Arabien. Als Maya von Beduinen entführt wird, erkennt sie, wie attraktiv sie ihren Entführer, den charismatischen Rashad, findet.
Klappentext zu „Unter dem Safranmond “
Oxford, 1853. Maya Greenwood lauscht wie gebannt den Geschichten eines seltenen Gastes: Ralph Garrett, der in der britischen Armee in Indien dient. Als er ihr den Hof macht, rückt ein abenteuerliches Leben in der Fremde für die junge Frau in greifbare Nähe. Ihre Familie ist gegen die Verbindung, und so brennt Maya kurzerhand mit Ralph durch. Als er nach Arabien entsandt wird, fällt Maya in die Hände von Beduinen. Dort erlebt sie den wahren Orient - und muss sich eingestehen, dass der Anführer der Wüstenkrieger, der charismatische Rashad al-Shaheen, auch ihr Herz gefangen hält ...
Lese-Probe zu „Unter dem Safranmond “
Unter dem Safranmond von Nicole C. Vosseler1
Oxford, kurz vor Weihnachten 1853
»Maya! Komm auf der Stelle zurück! Ich bin noch nicht fertig mit dir! Maya!« Martha Greenwoods Stimme überschlug sich beinahe, stach schrill von der Galerie im obersten Stockwerk bis in den letzten Winkel von Black Hall.
»Ich aber mit dir, Mutter«, presste Maya hervor, als sie die Treppen hinabpolterte und sich ihr Schultertuch überwarf. Unten in der Halle stieß sie um Haaresbreite mit Hazel zusammen, die gerade noch das Tablett mit Tee und Biskuits retten konnte, das sie vor sich hertrug. Bestürzt sah das Dienstmädchen Maya hinterher, wie sie grußlos an ihr vorüberrannte, die verglaste Tür zum Garten hinter dem Haus aufriss und hinausstürmte.
Ein eisiger Wind strömte in die Halle, und der Luftzug wirbelte ein paar Schneeflocken über die Schwelle. Hazel lauschte. Oben waren gedämpft die noch immer erregte Mrs. Greenwood zu hören und Miss Angelina, die beruhigend auf ihre Mutter einredete. Seufzend setzte Hazel das Tablett auf dem Beistelltischchen neben der Treppe ab. Den Türknauf in der Hand, sah sie zu, wie Maya durch den verschneiten Garten stapfte und stolperte: ein Schattenriss aus dunklem Tuch im trüben Licht des Winternachmittags, jeder Schritt sichtbar ein Ausdruck von Wut und Rebellion.
»Armes Ding«, murmelte Hazel mitfühlend. »Die Gnädige macht es ihr derzeit aber auch wirklich nicht leicht.« Sanft schloss sie die Tür und beeilte sich, den Tee hinaufzubringen, ehe er abkühlte.
Wütend trat Maya Schneehäufchen vor sich her, unbeeindruckt davon, dass Schuhe und Rocksäume durchnässt wurden. Erst vor dem alten Apfelbaum blieb sie stehen, fegte die dünne Schneeschicht auf der Sitzfläche der Schaukel beiseite, der sie längst entwachsen war, und
... mehr
ließ sich darauf fallen.
Die Arme fest um sich geschlungen, die Hacken in den gefrorenen Boden gebohrt, wippte sie vor und zurück und zog die Stirn kraus. Tapfer blinzelte sie alle Tränen fort, die ihr in den Augen brannten, und starrte vor sich hin. Es war so ungerecht!
Aus dem viereckigen Ausschnitt ihres Kleides zog sie den Brief hervor, den sie ihrer Mutter vorhin entrissen hatte und der die heutige Auseinandersetzung heraufbeschworen hatte. Nachdenklich wog sie ihn in den Händen, ehe sie ihn entfaltete.
Cairo, den 4. Dezember 1853, Shepheards' Hotel
Mein Kätzchen, sei unbesorgt es war nichts Ernstes, was mich aufs Lager zwang, als ich Dir zuletzt schrieb, doch nichts, was einer jungen Dame mitzuteilen ziemlich wäre. Ich fühle mich schon besser und stärker, und das mag auch an Deinen Zeilen liegen, liebste Maya. Ich konnte die mir aufgezwungene Bettruhe nutzen, indem ich an den Skizzen etc. arbeitete, die ich in Mekka und Medina angefertigt habe; hier gibt es Künstler, die mir dabei helfen können, in Indien nicht.
Die Notizen zu meiner haj, meiner Reise in der Verkleidung eines Pilgers nach Mekka und Medina, kommen aber nur langsam voran. Schreiben strengt das Gehirn an & das Gehirn den Leib.
Ich habe Dr. Johann Krapf getroffen und ihn zu seinen Erkenntnissen über die Quelle des Weißen Nils, über den Kilimandscharo & die Mondberge befragen können.
Was ich von ihm erfuhr, die Geschichten arabischer Händler, die ich mitbrachte, waren das Fundament für eine Offenbarung, die ich bei der Lektüre Ptolemäus' erhielt. Dieser schreibt nämlich: nahe Aromata, und die Höhlenbewohner zur Rechten, nach fünfundzwanzig Tagesmärschen, die Seen wohin der Nil fließt ...
Das ist des Rätsels Lösung, Maya, der Weg, das Ei aufrecht hinzustellen, das Zerreißen des Schleiers der Isis! Seit dreitausend Jahren haben Forscher versucht, dem Nil flussaufwärts zu folgen, um seine Quellen zu finden, bislang vergeblich. Wem dies gelingt, der wird Geschichte schreiben! Ich bin bereit, in der nächsten Saison das Landesinnere Afrikas zu erforschen, sofern man mir Urlaub gewährt. Wenn ich nur von der Regierung finanzielle Mittel erhielte für ein paar gute Männer, die mich begleiten könnten (einen für die geographische Vermessung, einen anderen für Botanik), so hätte ich an unserem grandiosen Erfolg keinen Zweifel.
Ich habe viel von Arabien gesehen. Reisen ist dort eine Freude und nichts würde mir mehr Vergnügen bereiten, als für drei oder vier Jahre an dessen östliche Gestade aufzubrechen. Aber dabei würde nichts weiter herauskommen als noch mehr Entdeckungen von Wüstentälern und Volksstämmen. Keine Pferde, keine Gewürze, und nur spärlicher Ruhm, da von Wredes Buch lächerlich, falls die hier zu hörenden Berichte darüber wahr sind, auf welche Weise er es zusammengetragen hat den Löwenanteil dieses Themas bereits abgehandelt hat. Es freut mich, dass Dir jenes andere Buch gefällt, das ich Dir genannt habe es wird Dir neue Horizonte öffnen.
Lass Dich bei dessen Lektüre aber nicht erwischen; es würde Deine Frau Mama in Furcht um Deine Sittsamkeit versetzen! Bete zu Weihnachten für meine schwarze Seele und vergiss mich alten Gauner nicht.
Für immer Dein
Richard
Es war der jüngste in der langen Reihe von Briefen, die Maya durch ihre Kindheit und die Jahre des Heranwachsens begleitet hatten. Briefe aus Bombay, dem Gujarat und dem Sindh, von den Stränden Goas und den blauen Bergen von Nilgiri, aus Hyderabad und Alexandria.
Namen, die allein schon nach Safran und Koriander, nach Zimt und Pfeffer rochen und schmeckten, die Sonnenglut und Abenteuer in sich trugen. Briefe, von denen man erwartete, dass einem beim Öffnen Sand entgegenrieseln würde, rotes Gewürzpulver und grüner Hennastaub. Auf Papier geschrieben, das vermeintlich mit dem Salz der Weltmeere vollgesogen war, die Klänge eines orientalischen Basars und die Stille einsamer Gebirgszüge in seinen Fasern eingefangen hatte. Doch ginge es nach ihrer Mutter, sollte dieser Brief in ihren Händen der letzte gewesen sein. Richard Burtons Ruf eilte ihm voraus, und mittlerweile war dieser mehr als zweifelhaft. Er erntete Anerkennung für seinen Mut und seine Entschlossenheit, sein Sprachgenie und seinen Forscherdrang.
Doch ein sahib, der in Indien nicht nur mit Einheimischen auf vertrautem Fuß stand, sondern offen mit seiner jeweiligen indischen Geliebten zusammenlebte, überschritt die Grenzen des guten Geschmacks und zeigte keinen Respekt für die herrschenden Sitten und Gebräuche. Einem Gerücht zufolge hatte er sogar als Geheimagent im Auftrag General Napiers ein Freudenhaus ausgekundschaftet, in dem englische Soldaten verkehrten. Sein Bericht sei so detailliert gewesen, dass er zweifellos selbst an allerlei Ausschweifungen teilgenommen hatte, bis hin zu »widernatürlicher Unzucht« mit Knaben, wie man entsetzt hinter vorgehaltener Hand tuschelte.
Und nun war er in diesem Sommer in der Verkleidung eines Arabers zu den heiligen Stätten des Islam gereist, in einer für jeden guten Christen unerträglichen Perversion einer Wallfahrt, auf der er gar einen Mann getötet haben sollte.
Martha Greenwood schätzte Richard Burton als Person wie als Freund ihres Gatten. Doch er war kein geeigneter Umgang für ihre älteste Tochter, und sei es nur per Brief. Ihre Tochter, die zu verheiraten ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen schien. Trotz Tanzstunde, trotz Klavier- und Reitunterricht, trotz gnadenlosen Mitzerrens auf jede Teegesellschaft des Städtchens fand sich einfach kein ernstzunehmender Verehrer für Maya. Und selbst die bleichen Bücherwürmer, die sich zu den Diskussionszirkeln bei Professor Greenwood einfanden, verloren schnell das Interesse, wenn Maya sich hitzig in die Gespräche einmischte und den jungen Männern wenig damenhaft ihr Wissen um die Ohren schlug. So hatte Martha es als ihre mütterliche Pflicht verstanden, den Brief entgegen ihren sonstigen Gepflogenheiten zu öffnen, als Hazel ihn zusammen mit der anderen Post überbrachte, und hatte ihre älteste Tochter schließlich zur Rede gestellt.
Maya war mit ihren zwanzig Jahren schon fast ein spätes Mädchen und nicht mehr die beste Partie; umso mehr musste ihre Mutter dafür Sorge tragen, dass ihr Ruf unbefleckt blieb. Es würde keinen weiteren Kontakt zwischen ihrer Tochter und Richard Burton geben, so viel stand fest. Mit kummervoller Miene faltete Maya den Briefbogen wieder zusammen, presste ihn zwischen ihre Handflächen und ließ die Lippen wie zum Gebet auf der Kante ruhen.
»Komm zurück, Richard«, flüsterte sie, ihre Stimme heiser vor Sehnsucht, »komm zurück und hol mich fort von hier!« Seine Briefe waren der kostbarste Schatz, den sie besaß. Briefe, die sie Wort für Wort auswendig kannte, so oft hatte sie jeden einzelnen davon gelesen.
Waren sie ihr doch das Tor zu einer farbenprächtigen Welt, das sie jederzeit durchschreiten konnte, wenn ihre Tage gar zu grau, zu trostlos waren. Diese Briefe waren ihre einzige Verbindung zu Richard, und jeder von ihnen trug seine Stimme in sich, wie er ihr über Tausende von Meilen hinweg zuflüsterte:
Wie wunderschön diese orientalischen Nächte sind ... Über allem schwebt der süße Duft der hukkah-Pfeifen, und überall Räucherwerk, Opium und Hanf ... Stoffe, so prächtig wie für eine Prinzessin aus einem Märchen, oder wie für Dich, meine kleine Maya ... Und dann erlaubte mein Hindu-Lehrer mir offiziell, die janeo zu tragen, die heilige Kordel der Brahmanen ... Das fortwährende Tam-tam und Quieken der einheimischen Musik, vermischt mit den dröhnenden, brüllenden Stimmen der Bewohner, das Bellen und Kläffen der zankenden Köter und die Schreie hungriger Möwen, die sich um Brocken toten Fischs streiten, verbinden sich zu einer Mischung, die als etwas absolut Fremdes auf das Trommelfell trifft ... Und ich dachte an unsere Bootsfahrt, als ich »uns zwei beide« wie Du immer sagtest über den Cherwell ruderte, damals, als der Flieder in voller Blüte stand ... Die Luft war weich und wohlriechend, zugleich ausreichend kühl, um angenehm zu sein. Ein dünner Nebel ruhte über dem Boden und zog sich bis halb auf die Hügel hinauf, ließ deren palmenbekleidete Gipfel frei, um das silbrige Licht des Morgengrauens einzufangen ... In welch weiser Voraussicht haben Dir Deine Eltern Deinen Namen gegeben! »Maya«, die Göttin der Illusion, die den Geist der Menschen betört und bezaubert. So wie Du mir über Zeit und Raum nur mehr als eine Illusion erscheinst, obschon ich doch weiß, dass es Dich wahrhaftig gibt; so wie die Erinnerung an Dich mich betört und bezaubert Maya, Majoschka ...
Sie schloss die Augen. Ihre Wangen brannten, vor Zorn und vor Kälte. Doch mit ein wenig Phantasie konnte sie sich vorstellen, dass es die Sonne war, die ihre Haut erglühen ließ.
Eine Sonne, die die Luft erwärmte, den Schnee genau wie die Monate dahinschmelzen ließ, die seit jenem Sommertag vor zwei Jahren vergangen waren und Maya in das Reich ihrer Erinnerungen lockte ...
Die Arme fest um sich geschlungen, die Hacken in den gefrorenen Boden gebohrt, wippte sie vor und zurück und zog die Stirn kraus. Tapfer blinzelte sie alle Tränen fort, die ihr in den Augen brannten, und starrte vor sich hin. Es war so ungerecht!
Aus dem viereckigen Ausschnitt ihres Kleides zog sie den Brief hervor, den sie ihrer Mutter vorhin entrissen hatte und der die heutige Auseinandersetzung heraufbeschworen hatte. Nachdenklich wog sie ihn in den Händen, ehe sie ihn entfaltete.
Cairo, den 4. Dezember 1853, Shepheards' Hotel
Mein Kätzchen, sei unbesorgt es war nichts Ernstes, was mich aufs Lager zwang, als ich Dir zuletzt schrieb, doch nichts, was einer jungen Dame mitzuteilen ziemlich wäre. Ich fühle mich schon besser und stärker, und das mag auch an Deinen Zeilen liegen, liebste Maya. Ich konnte die mir aufgezwungene Bettruhe nutzen, indem ich an den Skizzen etc. arbeitete, die ich in Mekka und Medina angefertigt habe; hier gibt es Künstler, die mir dabei helfen können, in Indien nicht.
Die Notizen zu meiner haj, meiner Reise in der Verkleidung eines Pilgers nach Mekka und Medina, kommen aber nur langsam voran. Schreiben strengt das Gehirn an & das Gehirn den Leib.
Ich habe Dr. Johann Krapf getroffen und ihn zu seinen Erkenntnissen über die Quelle des Weißen Nils, über den Kilimandscharo & die Mondberge befragen können.
Was ich von ihm erfuhr, die Geschichten arabischer Händler, die ich mitbrachte, waren das Fundament für eine Offenbarung, die ich bei der Lektüre Ptolemäus' erhielt. Dieser schreibt nämlich: nahe Aromata, und die Höhlenbewohner zur Rechten, nach fünfundzwanzig Tagesmärschen, die Seen wohin der Nil fließt ...
Das ist des Rätsels Lösung, Maya, der Weg, das Ei aufrecht hinzustellen, das Zerreißen des Schleiers der Isis! Seit dreitausend Jahren haben Forscher versucht, dem Nil flussaufwärts zu folgen, um seine Quellen zu finden, bislang vergeblich. Wem dies gelingt, der wird Geschichte schreiben! Ich bin bereit, in der nächsten Saison das Landesinnere Afrikas zu erforschen, sofern man mir Urlaub gewährt. Wenn ich nur von der Regierung finanzielle Mittel erhielte für ein paar gute Männer, die mich begleiten könnten (einen für die geographische Vermessung, einen anderen für Botanik), so hätte ich an unserem grandiosen Erfolg keinen Zweifel.
Ich habe viel von Arabien gesehen. Reisen ist dort eine Freude und nichts würde mir mehr Vergnügen bereiten, als für drei oder vier Jahre an dessen östliche Gestade aufzubrechen. Aber dabei würde nichts weiter herauskommen als noch mehr Entdeckungen von Wüstentälern und Volksstämmen. Keine Pferde, keine Gewürze, und nur spärlicher Ruhm, da von Wredes Buch lächerlich, falls die hier zu hörenden Berichte darüber wahr sind, auf welche Weise er es zusammengetragen hat den Löwenanteil dieses Themas bereits abgehandelt hat. Es freut mich, dass Dir jenes andere Buch gefällt, das ich Dir genannt habe es wird Dir neue Horizonte öffnen.
Lass Dich bei dessen Lektüre aber nicht erwischen; es würde Deine Frau Mama in Furcht um Deine Sittsamkeit versetzen! Bete zu Weihnachten für meine schwarze Seele und vergiss mich alten Gauner nicht.
Für immer Dein
Richard
Es war der jüngste in der langen Reihe von Briefen, die Maya durch ihre Kindheit und die Jahre des Heranwachsens begleitet hatten. Briefe aus Bombay, dem Gujarat und dem Sindh, von den Stränden Goas und den blauen Bergen von Nilgiri, aus Hyderabad und Alexandria.
Namen, die allein schon nach Safran und Koriander, nach Zimt und Pfeffer rochen und schmeckten, die Sonnenglut und Abenteuer in sich trugen. Briefe, von denen man erwartete, dass einem beim Öffnen Sand entgegenrieseln würde, rotes Gewürzpulver und grüner Hennastaub. Auf Papier geschrieben, das vermeintlich mit dem Salz der Weltmeere vollgesogen war, die Klänge eines orientalischen Basars und die Stille einsamer Gebirgszüge in seinen Fasern eingefangen hatte. Doch ginge es nach ihrer Mutter, sollte dieser Brief in ihren Händen der letzte gewesen sein. Richard Burtons Ruf eilte ihm voraus, und mittlerweile war dieser mehr als zweifelhaft. Er erntete Anerkennung für seinen Mut und seine Entschlossenheit, sein Sprachgenie und seinen Forscherdrang.
Doch ein sahib, der in Indien nicht nur mit Einheimischen auf vertrautem Fuß stand, sondern offen mit seiner jeweiligen indischen Geliebten zusammenlebte, überschritt die Grenzen des guten Geschmacks und zeigte keinen Respekt für die herrschenden Sitten und Gebräuche. Einem Gerücht zufolge hatte er sogar als Geheimagent im Auftrag General Napiers ein Freudenhaus ausgekundschaftet, in dem englische Soldaten verkehrten. Sein Bericht sei so detailliert gewesen, dass er zweifellos selbst an allerlei Ausschweifungen teilgenommen hatte, bis hin zu »widernatürlicher Unzucht« mit Knaben, wie man entsetzt hinter vorgehaltener Hand tuschelte.
Und nun war er in diesem Sommer in der Verkleidung eines Arabers zu den heiligen Stätten des Islam gereist, in einer für jeden guten Christen unerträglichen Perversion einer Wallfahrt, auf der er gar einen Mann getötet haben sollte.
Martha Greenwood schätzte Richard Burton als Person wie als Freund ihres Gatten. Doch er war kein geeigneter Umgang für ihre älteste Tochter, und sei es nur per Brief. Ihre Tochter, die zu verheiraten ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen schien. Trotz Tanzstunde, trotz Klavier- und Reitunterricht, trotz gnadenlosen Mitzerrens auf jede Teegesellschaft des Städtchens fand sich einfach kein ernstzunehmender Verehrer für Maya. Und selbst die bleichen Bücherwürmer, die sich zu den Diskussionszirkeln bei Professor Greenwood einfanden, verloren schnell das Interesse, wenn Maya sich hitzig in die Gespräche einmischte und den jungen Männern wenig damenhaft ihr Wissen um die Ohren schlug. So hatte Martha es als ihre mütterliche Pflicht verstanden, den Brief entgegen ihren sonstigen Gepflogenheiten zu öffnen, als Hazel ihn zusammen mit der anderen Post überbrachte, und hatte ihre älteste Tochter schließlich zur Rede gestellt.
Maya war mit ihren zwanzig Jahren schon fast ein spätes Mädchen und nicht mehr die beste Partie; umso mehr musste ihre Mutter dafür Sorge tragen, dass ihr Ruf unbefleckt blieb. Es würde keinen weiteren Kontakt zwischen ihrer Tochter und Richard Burton geben, so viel stand fest. Mit kummervoller Miene faltete Maya den Briefbogen wieder zusammen, presste ihn zwischen ihre Handflächen und ließ die Lippen wie zum Gebet auf der Kante ruhen.
»Komm zurück, Richard«, flüsterte sie, ihre Stimme heiser vor Sehnsucht, »komm zurück und hol mich fort von hier!« Seine Briefe waren der kostbarste Schatz, den sie besaß. Briefe, die sie Wort für Wort auswendig kannte, so oft hatte sie jeden einzelnen davon gelesen.
Waren sie ihr doch das Tor zu einer farbenprächtigen Welt, das sie jederzeit durchschreiten konnte, wenn ihre Tage gar zu grau, zu trostlos waren. Diese Briefe waren ihre einzige Verbindung zu Richard, und jeder von ihnen trug seine Stimme in sich, wie er ihr über Tausende von Meilen hinweg zuflüsterte:
Wie wunderschön diese orientalischen Nächte sind ... Über allem schwebt der süße Duft der hukkah-Pfeifen, und überall Räucherwerk, Opium und Hanf ... Stoffe, so prächtig wie für eine Prinzessin aus einem Märchen, oder wie für Dich, meine kleine Maya ... Und dann erlaubte mein Hindu-Lehrer mir offiziell, die janeo zu tragen, die heilige Kordel der Brahmanen ... Das fortwährende Tam-tam und Quieken der einheimischen Musik, vermischt mit den dröhnenden, brüllenden Stimmen der Bewohner, das Bellen und Kläffen der zankenden Köter und die Schreie hungriger Möwen, die sich um Brocken toten Fischs streiten, verbinden sich zu einer Mischung, die als etwas absolut Fremdes auf das Trommelfell trifft ... Und ich dachte an unsere Bootsfahrt, als ich »uns zwei beide« wie Du immer sagtest über den Cherwell ruderte, damals, als der Flieder in voller Blüte stand ... Die Luft war weich und wohlriechend, zugleich ausreichend kühl, um angenehm zu sein. Ein dünner Nebel ruhte über dem Boden und zog sich bis halb auf die Hügel hinauf, ließ deren palmenbekleidete Gipfel frei, um das silbrige Licht des Morgengrauens einzufangen ... In welch weiser Voraussicht haben Dir Deine Eltern Deinen Namen gegeben! »Maya«, die Göttin der Illusion, die den Geist der Menschen betört und bezaubert. So wie Du mir über Zeit und Raum nur mehr als eine Illusion erscheinst, obschon ich doch weiß, dass es Dich wahrhaftig gibt; so wie die Erinnerung an Dich mich betört und bezaubert Maya, Majoschka ...
Sie schloss die Augen. Ihre Wangen brannten, vor Zorn und vor Kälte. Doch mit ein wenig Phantasie konnte sie sich vorstellen, dass es die Sonne war, die ihre Haut erglühen ließ.
Eine Sonne, die die Luft erwärmte, den Schnee genau wie die Monate dahinschmelzen ließ, die seit jenem Sommertag vor zwei Jahren vergangen waren und Maya in das Reich ihrer Erinnerungen lockte ...
... weniger
Autoren-Porträt von Nicole C. Vosseler
Nicole Vosseler stammt aus Villingen-Schwenningen. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Psychologie in Tübingen und Konstanz. Sie lebt und arbeitet in Konstanz.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nicole C. Vosseler
- 2010, 588 Seiten, Maße: 12 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404164040
- ISBN-13: 9783404164042
Kommentare zu "Unter dem Safranmond"
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Unter dem Safranmond".
Kommentar verfassen