Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine
Roman
Alfred Döblins erster Berlin-Roman
Berlin vor dem Ersten Weltkrieg. Die beiden Fabrikbesitzer Wadzek und Rommel kämpfen mit allen Mitteln der Unternehmerkunst gegeneinander. Wadzek scheitert dabei zwar ökonomisch, spannt seinem Kontrahenten aber die...
Berlin vor dem Ersten Weltkrieg. Die beiden Fabrikbesitzer Wadzek und Rommel kämpfen mit allen Mitteln der Unternehmerkunst gegeneinander. Wadzek scheitert dabei zwar ökonomisch, spannt seinem Kontrahenten aber die...
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Produktinformationen zu „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine “
Klappentext zu „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine “
Alfred Döblins erster Berlin-RomanBerlin vor dem Ersten Weltkrieg. Die beiden Fabrikbesitzer Wadzek und Rommel kämpfen mit allen Mitteln der Unternehmerkunst gegeneinander. Wadzek scheitert dabei zwar ökonomisch, spannt seinem Kontrahenten aber die Geliebte aus und flüchtet mit ihr nach Amerika. Was wie ein Wirtschafts- und Spionageroman beginnt und dem Muster einer klassischen Tragödie zu folgen scheint, entpuppt sich als wagemutige Abrechnung mit sämtlichen bürgerlichen Erfolgsmodellen - von der Firma über die Ehe bis zum realistischen Roman. Nicht zufällig wird dadurch der Weg frei für einen Text, der sich mit großer Sprachgewalt erstmals auch auf das moderne Berlin einlässt.
Mit einem Nachwort von Stefan Keppler-Tasaki
Lese-Probe zu „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine “
Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine von Alfred DöblinErstes Buch
Die Verschwörung
Gabriele fuhr das Schöneberger Ufer entlang, kutschierte über die Brücke auf die andere Seite des Spreekanals. Vor einem alten Hause in der Straße am Blumeshof stieg sie aus. Wie sie in das Halbdunkel des Speisezimmers eintrat und vor der abgeblendeten Hängelampe stand, die einen runden Fleck Gaslicht auf den Tisch warf, knarrte die Tür vom Empfangszimmer; ein Blumenbukett kam ihr aus dem Halbdunkel entgegen; Wadzek sagte mit seiner gewöhnlichen Stimme: »Guten Abend, guten Abend, liebes Fräulein.« Ein altes schiefes Hausmädchen half Gabrielen ablegen.
Wadzek schlenderte im Zimmer herum. Er wippte, schnellte um alle freistehenden Möbel des Zimmers, dämpfte sein Organ, krähte. Er hatte ein kindliches langes Gesicht mit struppigem rotblonden Bart. Ging an die Stühle, Etageren heran, beschnüffelte sie, immer freundlich, verwandtschaftlich, verschwägert mit allen. Im Straßennegligee trabte er, die Hände bis zu den Ellenbogen in den Hosen, um jede Feierlichkeit zu vertreiben. Er schien sich nur im Schutze eines Gegenstandes wohl zu fühlen, trat selten in die Mitte des Zimmers. War er aus dem Kontakt getreten, schlüpfte er mit verschwiegener Bewegung wieder zurück. Als ihn Gabriele lockte sich zu setzen, drehte er sich auf dem Stuhl- sitz, suchte Anschluß an die Fransen der Tischdecke. Da sie ihm zu tief hingen, zerrte er an einem kleinen Tablettdeckchen, auf dem die Blumenvase stand.
»Lassen Sie doch die Vase«, sagte Gabriele.
Er ärgerlich zog den Arm zurück: »Ich bin nervös. Das geht niemanden etwas an. Eine Vase kann mich nicht nervös machen. Eine Vase gehört an ihren Platz.«
... mehr
Er blickte unsicher über den Tisch, neben die Stuhlbeine, trat über zwei Teppichmuster auf das Büfett zu; er hatte die Insel verlassen.
»Sind Sie darum hergekommen, Herr Wadzek, um mich von Ihren Nerven zu unterhalten?«
»Mißverstehen Sie mich nicht dauernd, liebes Fräulein. Eine Vase ist nicht belanglos. Es ist wie mit den Kleidern. Wenn Sie diese Vase -: Sie müssen mir schon verzeihen, wenn ich haften bleibe an diesem Gegenstand. Eine gründliche Erörterung kann nur beruhigen, kann nur allerseits, ich sage mit Bewußtsein allerseits, beruhigen.«
»Sie wollten von meiner Vase sprechen.«
»Wie mit den Kleidern. Sie sitzen nicht, sie hängen. Sie schlenkern. Mal ist die Schulter hochgerutscht, mal sieht man das Korsett, mal schleppt der Rock, und vorn ist er zu kurz. Bei Gerson hat alles gesessen.«
»Aber, Herr Wadzek, doch nicht meine Kleider.«
»Doch nicht Ihre. Wie auch das? Durchaus nicht, im Gegenteil. Es ist eine allgemein zutreffende Bemerkung, die durch Ihre Ausnahme und so weiter und so weiter. Ich habe doch selbst auf dem Wohltätigkeitsfest im Bellevuehotel gesehen -«
»Wie kommen Sie auf das Wohltätigkeitsfest?«
»Es ist eine etwas schiefe Bemerkung meinerseits. Selbst gesehen ist vorbeigesprochen, keineswegs vorbeigedacht. Ich will mich nicht falsch beschuldigen. Schneemanns Vetter hat mir sehr genau erzählt, er ist Plakatmaler, erstklassiger Dekorateur, so genau, daß ich mir alles ganz vorstellen kann mit geistigen Augen. Wie Sie an der blauen oder grünblauen Nische vorübergingen, welche den Meeresboden darstellte, hineinguckten und sagten: ›Was ist hier für ein Rauch!‹ Es war Ihnen zu rauchig auf dem Meeresgrund. Wie Sie mit Stawinski plauderten. «
Sie lachte heftig: »Von dem hat er Ihnen auch erzählt?«
Wadzek blieb entrüstet stehen: »Was beschuldigen Sie mich? Sie haben eine äußerst kränkende Art an sich, Fragen zu stellen.« Er war furchtsam und suchte durch ein beleidigtes Wesen zu entwaffnen. Sie suchte ihn aus dem Schatten zu locken; er ging unsicher weiter: »Halten Sie mich doch nicht mit Nebensachen auf. Sie bringen mich damit nicht aus dem Konzept.«
Sie schwieg. »Kindereien«, platzte er heraus, »Kindereien sind das. Ich könnte Ihnen von Ihrem Schritt, von Ihrem Gang erzählen, von -«
»Wovon noch? Und was ist mit meinem Gang?«
»Aber ich tue es nicht.«
»Aus Edelmut.«
»Nennen Sie es Edelmut. Es ist zwar Psychologie, Takt, Rücksicht, aber es tut nichts zur Sache. - Ich kann schon gar nicht mehr reden.«
Er setzte sich still an den Tisch.
»Hab' ich Sie verletzt, Herr Wadzek?«
Er dozierte, anscheinend kalt, im Tone eines Zeitungsberichts: »Ihr Gang hat zweifellos etwas, was imstande ist, Männer aus ihrer Ruhe zu bringen. In der Lombardei, wo ich letztes Frühjahr war, ist es anders; Mailand, Turin, Umgegend. Sie setzen einen Fuß vorwärts, langsam, viel zu langsam für unsere Begriffe, ziehen den rechten nach, und dabei schwankt Ihr Oberkörper in einer Weise nach vorn, nicht geradlinig, wie etwa hier meine Hand, wenn meine Finger Ihre Beine darstellen. Wie eine reife Frucht, oder Fruchtschale. Als wenn Sie vorhätten, sich hinzuschütten. Ich könnte auch sagen: wie ein Bassin mit Wasser, wie ein Goldfischbassin, das Sie bis an den Rand schaukeln. «
»Nehmen Sie doch Ihre Hände vom Tisch. Jetzt werden Sie lächerlich. «
Er zog sie rasch weg, versteckte sie in sein Taschentuch unter dem Tisch: »Entschuldigen Sie. Freilich. Der Vergleich war etwas gewagt; sozusagen, an den Fingern herbeigezogen.«
Sie stand auf; ernst, matt: »Gott, wie abgeschmackt. Was wollen Sie eigentlich?«
Wadzek blieb beharrlich. Da er geschlagen war, wurde er frech: »Rommel hat das Bild von der Fruchtschale sicher auch empfunden. Ihr Leib schaukelt, als wenn er obenauf Äpfel trüge. Oder als
wenn er mit Wasser gefüllt wäre.«
»Jetzt reden Sie glücklich von meinem Bauch.«
»Ihr Bauch ist kein Gesprächsthema, gnädiges Fräulein. Ich weiß selber, daß sich ein Gespräch um sozusagen ernstere Sachen zu drehen hat. Die Abrundung der Unterhaltung, wir wollen das festhalten, erfordert den Übergang -«
»Auf meinen Bauch.« Sie lachten zusammen.
»Sie sollten mir behilflich sein, gnädiges Fräulein.«
»Ich warte, bitte.«
Er verschwand wieder an der Wand: »Es geht nicht so. Mit: ich warte, bitte, - kann ich nicht sprechen. Ich will niemanden beleidigen, aber das sind Phrasen, mit denen man mich ruiniert. Ich finde da keinen Boden, keinen Faden.«
»Ich soll Rommel um etwas bitten.«
»Totschlagmanieren«, schrie er, blieb am Bücherregal stehen, blies das Gesicht auf, streckte die Brust vor. »Um gar nichts sollen Sie ihn bitten. Nicht von mir. Ich brauche keine Bitten. Bitte hin, Bitte her. Was wagen Sie gegen mich?«
Er schüttelte den Arm gegen sie. Gabriele zischte: »Ich verbiete Ihnen zu schreien. Fluchen Sie, seien Sie gemein. Schreien Sie nicht.«
Er ging weiter, höhnte: »Sie werden mich nicht aus meiner Ruhe bringen. Die Ruhe ist ein gottvolles Geschenk meines seligen Vaters, mein einziges Erbstück. - Ich habe ein Anliegen an Ihren Freund, - Anliegen ist vielleicht zu viel gesagt. Und Sie überfallen mich umsonst mit Ihren Kraftausdrücken.«
»Also Anliegen.«
Er stöhnte, verdrehte die Augen: »Der Herr erbarme sich. In welche Höhle bin ich geraten.«
Sie raschelte auf ihn zu: »Wenn Sie sich erlauben, noch ein Wort weiter zu sprechen.«
Sie sank auf einen Schaukelstuhl: »Das schneit in meine Wohnung, hat ungeputzte Stiefel, bindet sich keinen saubern Kragen um. Zu Hause schmatzt es mit seiner Frau. Was hab' ich mit Ihnen zu tun? Ihr mißbraucht mich. Tun Sie nicht so entgeistert. Rommel hält mich aus, Sie amüsieren mich manchmal; ich bin nichts Besseres als Rommels Mätresse. Das hab' ich mir gewählt. Daß man mich aber anbläfft wie Sie mit Ihrem: ›der Herr erbarme sich‹, das hab' ich mir nicht gewählt.«
Wadzek riß den Mund auf, sperrte die Arme weit: »Es ist solch grenzenloser Irrtum. Wenn Sie wüßten, wie ich Ihnen zugetan bin. Wir alle, die Ihnen den Boden geebnet haben in Berlin. Und wie wir Sie alle wirklich schätzen, verehren gelernt haben, liebes Fräulein Gabriele.«
Sie beobachtete ihn: »Wieviel Kinder haben Sie?« Er trabte, fuchtelte versunken mit den Händen: »Wirklich schätzen gelernt. «
»Wieviel Kinder Sie haben.«
»Kinder? Warum? Eins.«
»Sie haben eine Tochter?«
»Tochter, ja; eine Tochter. Herta ist neunzehn Jahre; sie ist nicht eigentlich schön. Sie ist nach ihrer Mutter.«
Gabrieles Augen funkelten: »Ich möchte Ihre Tochter kennen lernen. Oder haben Sie etwas dagegen?«
»Herta ist ein Berliner Kind. Sie wollen meine Herta kennen lernen. Das, - natürlich, es sind solche plötzlichen Einfälle. Ich will es ihr sagen; ich will es mir überlegen, natürlich, gnädiges Fräulein.«
»Ich möchte Ihre Tochter kennen lernen.«
Wadzek überschrie sie; Gabriele sollte ihn von einer gewissen Transaktion, die Rommel vorhatte, rechtzeitig, frühzeitig, vorzeitig informieren. Er wehrte hoheitsvoll Gabriele ab: »Nur kein Erbarmen. Kein Almosen. Keine Aufdringlichkeit.« Gabriele blieb kalt, besah ihre Nägel. Wadzek, mitten im Zimmer, zupfte seinen blonden Bart. Sie blickte hoch: »Freilich, wer spricht von Almosen. Wir geben uns gegenseitig Aufträge, die wir geneigtest zu effektuieren bemüht sind.«
Schon an der Tür, wand sich der kleine Mann, wühlte mit den Händen in den Hosenbeuteln: »Es handelt sich nämlich -«; er trat sich beklommen auf die Füße, zog die Stirn kraus, sah Gabriele finster von unten an.
Sie drehte ironisch den Kopf zur Seite: »Frauen haben merkwürdige Auffassungen von manchen Dingen?«
»Es ist etwas Richtiges daran. Man kann sich schwer äußern«, wütende Blicke, Hand an der Tür, »man darf sich nicht äußern, man darf nicht. Es ist das Denkvermögen der Frau, das undifferenzierte Denkvermögen, mit dem ich immer zu kämpfen habe. Geschäftsbetrieb ist eins, Familienbetrieb, Familienverkehr das andre. Aber das werde ich nicht klarmachen.« Er stand zitternd vor ihr: »Werde ich das klarmachen?« Sie sagte: »Ich weiß nicht, ob ich nicht auch um die Bekanntschaft Ihrer Frau Gemahlin bitten soll.« »Also, wie gesagt -.« Er warf die Tür.
Schneemann war ein fauler Mensch. Bei einem Besuch der Eisengießerei Rommels hatte ihn Wadzek kennen gelernt. Männer wie er gab es viele in der Stadt; als Rechtsanwälte hielten sie sich kleine Büros, suchten in Tageszeitungen, Aufsätzen, eventuell Broschüren Reichsgerichtsentscheidungen zu kritisieren; als Ärzte vermochten sie sich keine Praxis zu gründen, aber sie taten sich als Bakteriologen hervor und entdeckten einen neuen Typhusbazillus, worauf sie in einem Generalregister 2. Band, St. 617 Absatz B vermerkt wurden. Schneemann litt als Ingenieur an Ideen. Wie alle Männer seiner Art hatte er eine kluge leidende Frau, mehrere Kinder. Er suchte in Stettin frühzeitig ein bestimmtes Gas mit einem schwer aussprechbaren Namen aus der Kohle zu gewinnen. Es gelang ihm, als er zu den Versuchen das Vermögen seiner Frau aufgebraucht hatte. Damals brachte eine große Fabrik dasselbe Verfahren heraus mit denselben Gesichtspunkten; kurz vorher war bei Schneemann eingebrochen worden. Er verließ Stettin. Die schlechte Bewachung der Wohnung, die Polizei war schuld, die ganze elende Entwicklung des Heringsnestes. Auf dem Bahnhofplatz, wo die Dienstmänner herumstanden, verfluchte er die Stadt: »Verflucht soll Stettin sein und Gotzlow, Podejuch und das ganze Pommern.« Die Frau, die weinte, mußte ihn in die Bahnhofshalle ziehen; die Dienstmänner hatten einen Gesprächsstoff für den Nachmittag.
In Berlin wurde er kleiner Betriebsingenieur bei Rommel; es dauerte einige Zeit, bis sich seine Maschinerie darauf einstellte. Er überhäutete sich mit Verbissenheit. Aus seinem Grimm wurde eine Verbissenheit. Er diente, diente, diente. Er setzte sich allmählich in Opposition zur liberalen Politik, las konservative Zeitungen, pries den Handwerker, den Landmann, die sich nicht von dem großstädtischen Unternehmertum vergewaltigen ließen. Kleine Vereine, denen er angehörte, beglückte er durch improvisierte Brandreden gegen die Selbstverwaltung der Städte. Im allgemeinen war er still, plante hitzig weiter, dachte nach, konstruierte auf dem Papier. Da er keine Versuchsstätte hatte, ließ er es auf sich beruhen, beschränkte sich auf das Tüfteln. Dick war er, untersetzt, mit Glatze; hatte ein sehr breites Gesicht, ging sorgfältig angezogen, war langsam, gedankenvoll, ohne Ausdauer. Seine Zitate kamen aus der Tiefe und stammten aus Goethe: »Denn es ist das Mächtige, was man dir auch sage«, - gemeint war »das Niederträchtige«, das er nicht mitzitierte. Er entdeckte in sich in Berlin eine Leidenschaft für das Militär, zu dem er wegen seiner Korpulenz nicht gekommen war. Er träumte heftig und viel; z.B., daß er wie ein alter Römer mit dem Schild im linken Arm dastand, das kurze Schwert in der rechten Faust, so den Angriff erwartend. Seinen jungen Kindern verbot er gelegentlich mit flüsternden Worten Lärm zu machen: »Nicht zu laut trommeln, nicht zu laut! Zu hoher Mast lockt den Blitz herbei.« Mit eigentümlichem Blick sah Schneemann dabei um sich.
Mit dem Fabrikdirektor Wadzek ging er kegeln. Als Gerüchte verlauteten, daß Rommel die Maschinenfabrik Wadzeks aufsaugen wollte durch allmählichen Ankauf der Aktien, zog Wadzek seinen Freund ins Vertrauen wegen der Gegenmaßnahmen. Die Gespräche wirkten heftig auf Schneemann ein. Seine Lebendigkeit ließ nach. Wie ein Verschwörer ging er herum; seine Schritte waren auf Holzfußboden enorm schallend. In sein hohes Bauernbett vergraben, mußte er jetzt sehr lange schlafen. Bisweilen nahmen ihn die Debatten so mit, daß er in einem lähmungsartigen Zustand, völlig dumm neben dem erregten Wadzek saß, der an ihm rüttelte. Darauf grunzte er: »Laß nur gut sein, Franz, du hast mich ganz auf deiner Seite.« Sie siezten sich sonst. Der bissige, erregte Wadzek, der Feind des Unterjochers Rommel, war immer der Heros Schneemanns gewesen; jetzt folgte er Wadzek durch dick und dünn, in krampfhafter Spannung.
Sie saßen im Café Stern an der Chausseestraße; in ihren Unterredungen kamen sie zu dem Entschluß, Rommel ins Herz zu treffen. Die Wendung stammte von dem dicken Schneemann, der über den Marmortisch weg Wadzek Stöße erteilte. Sie schickten den Kellner weg. Minutenlang schwiegen sie und blähten sich auf. Wadzek flüsterte, am Tage nach dem Gespräch mit Gabriele: »Sie will meine Tochter. Das sind Menschenopfer.« Schneemann fragte: »Welche?«
»Das ist egal. Ich habe doch nur eine. Man kann nicht in sie hineinsehen. Was raten Sie?«
»Zurückhaltung, Vorsicht, große Vorsicht.«
Wadzek prahlte: »Ich gebe sie ihr. Und wissen Sie warum? Schneemann, das ist mein Geschoß. Die kleine Herta, jawohl. Mit dem Pfeil, dem Bogen. Hab' ich mal die Türe auf, dann bin ich drin.«
»Wadzek, Sie haben den Mut, Ihre Tochter in diese Löwenhöhle zu werfen?«
»Löwenkäfig, sehr richtig. Sie halten auch diesen Ausdruck für passend.«
»Ich könnte es nicht über das Herz bringen, meine Tochter -«
»Jedenfalls sind wir über diesen höchst charakteristischen Ausdruck aneinandergeraten, Gabriele und ich. Aber ich gebe ihr meine Tochter. Wir sind Könige, gleichsam Könige, wenn wir arbeiten; alles andere unterwirft sich, muß dienen, Familie, Haus, Tochter. Ob gern oder ungern, ist gleichgültig. Wir haben jetzt andere Waffen als zu früheren Zeiten.«
»Geht sie?«
»Sie muß. Ich setze sie in ein Auto und schicke sie hin.«
»Menschenopfer«, schüttelte sich Schneemann in aufrichtiger Bewunderung, pellte sich ein Stück Goldpapier von den Lippen ab, das von der Zigarette hängen geblieben war.
Wadzek redete, während sie sich die Hüte aufsetzten, der Kellner mit dem Service klapperte: »Ich entschließe mich in diesem Augenblick dazu. Ernsthaft, ganz ernsthaft. Ich laß mir von meiner Frau nicht dreinreden. Der patriarchalische Gesichtspunkt ist der richtige. Das Kind wird in den Wagen gesetzt und geht hin.«
»Für die Moral bürgen Sie?«
»Bürge ich. Übrigens«, und dabei faßte Wadzek den dicken Schneemann unter den Arm und zog ihn auf die Straße, »würden Sie an der Moralität Ihrer Kinder zweifeln? Wenn solche Dinge in Frage stehen? Ich meine: noch dazu, wenn es sich um Dinge von solch überwältigender Tragweite handelt. Würden Sie an der Moral Ihrer Töchter zweifeln?«
»Meine älteste ist sieben Jahre -«
»Sagen Sie acht oder achtzehn oder achtundzwanzig. Ehrlich ans Herz gefaßt, Schneemann: würden Sie an der Moral Ihrer Töchter alles in allem zweifeln?«
Triumphierend lächelte er ihn an: »Würden wir an der Moral unserer Töchter zweifeln? Sie und ich? Schneemann, was?« -
Nachdem Wadzek seiner Frau erklärt hatte, daß er wieder Fühlung mit der Firma Jakob Rommel gewonnen habe, Fühlung im guten Sinne, und daß Herta gewissermaßen ein Unterpfand ihrer guten Beziehungen bilden solle, gab Frau Pauline nach; Herta stand an der Tür und dachte: »Ich wäre auch ohne euch hingegangen. « Sie schrieb nach dem Blumeshof schon längst verehrende Briefe, backfischhaft schwärmerisch.
Mitte Januar notierte die Börse: Lokomobil- und Dampfmaschinenfabrik Heinersdorf (Wadzek) 95 ½; Anfang Mai 74. In der Generalversammlung der Aktionäre hatte man gerötete Gesichter; niemand blieb sitzen; das Direktorium vermochte nicht durchzudringen. Als einer rief: »Fenster auf« - es war ein dunkler Tag, man saß in einem Hinterzimmer der Bavaria, - brüllte ein anderer: »Ja, mehr Licht in diese Machinationen.« Die Erörterungen über den Rückgang von Aufträgen waren endlos: »mangelnde Propaganda«, »die Direktion geht nicht mit der Zeit mit«, »wir sind nicht mehr auf der Höhe«. Wadzek wurde höhnisch: woher die Herren Fachkenntnisse hätten, ob es an der Börse eine Professur für Wärmekinetik gebe. Die lärmende Aufforderung, ein bestimmtes Rommelsches Modell, Expansionsmaschine, aufzunehmen, eine Abteilung für Turbinenbau anzulegen, lehnte er als schwachsinnige Zumutung ab.
Seine Ideen entwickele er fort, seine Ideen und keines anderen, erklärte er; er stehle nicht, habe dies durchaus nicht nötig. Zwei Direktoren an seinem Tisch drängten ihn, mit seinem alten sehr wirksamen Größenwahn als Fachmann dreinzuschlagen. Er zuckte mit dem Mund; zu einem Prokuristen der Fabrik beugte er sich über den leerstehenden Stuhl: »Ich garantiere, sie bewilligen neue Gelder, um samt und sonders zu verkaufen, wenn die Aktien anziehen. Es ist eine Freude mit dem Pack zu arbeiten.«
»Sagen Sie's doch, sagen Sie's doch laut.«
Er redete; seine klugen Äuglein liefen über die ersten Sitz- reihen; er wurde immer von dem prustenden Gelächter eines Aktionärs unterbrochen, der auf zwei Stühlen saß, gemästet wie ein Schlächtermeister, den grünen Jägerhut schief auf dem ratzekahlen Kopf, hinter mächtigen Kehlwampen mit ganz hoher Stimme laut und ungeniert um sich sprach, dabei gelegentlich mit dem linken Daumen auf Wadzek zeigte. Wadzek sagte: »Die Fabrik ist gut, die Produkte sind gediegen. Die Vervollkommnung meiner Prinzipien bringt weiter als das neue Gefusche. Das Ganze ist ein Bluff von Rommel, auf den Sie nicht hereinfallen werden. Diese Geschichte, wie man sich eine lästige Konkurrenz vom Halse schafft! Er weiß, was ihm noch von mir blüht! Für Klippschüler eine Neuigkeit: Ausstreuung von modernen Ideen. Pusten werde ich Rommel und daran glauben. Schlauer Mann, versteht sich auf Tricks für das Publikum. Sieht man. Seine Turbos und Modell 65 sind heute rentabel, morgen stellen sich die Fehler heraus, die mäßige Verwendungsmöglichkeit. Die ganze Anlage ist zum Deibel. Unsere Konstruktionen sind erprobt, gut, sehr gut -«
»Gewesen«, quietschte der Schlächter.
»Über Gelächter fühlt sich ein Mann von Intelligenz erhaben. Ihr Geld, meine Herren, täuschen Sie sich nicht, ist tot ohne uns, die Konstrukteure. Mischen Sie sich nicht in unseren Streit, den Streit der Ideen. Von unserem Streit verstehen Sie nichts. Gleitet ab von mir, das Gelächter, vollkommen; es läßt mich völlig unberührt. Hier sind Dinge, an denen Sie nicht teilnehmen können. Ganz überflüssig, daß Sie mir sagen, daß ich Sie brauche. Ihr Geld hat Pech gehabt, daß es an Sie geraten ist. Ihr Geld tut mir leid; es ist ein Volk, das ohne Strategie geführt wird. Ich bekomme meine Truppe.«
Ein alter, feingekleideter Herr verfolgte den hin und her tänzelnden Wadzek mit einer Hornlorgnette: »Er ist goldig, Kinder. Goldig ist er.«
»Reden wir nicht. Die Zeit tut mir leid.«
»Mir tut mein Geld auch leid«, platzte der Schlächter heraus, drehte sich auf seinem Stuhl nach hinten, offenes Maul. Angesteckt die Nachbarschaft.
»Sie sehen doch«, sagte fiebernd und fade lächelnd Wadzek.
Wadzek schäumte. In der Wohnung warf er einen Handschuh
weiter, der auf der Ofenkonsole lag, krachend auf die Diele:
»Sie zwingen mich, vergewaltigen mich.«
»Was ist los?« flehte die dicke Frau Wadzek am Fenster.
»Was los? Ich bin auf Abbruch verkauft. Ich geh' als Monteur in die Häuser, schraube Glühbirnen an. Werde Schornsteinfeger.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Er blickte unsicher über den Tisch, neben die Stuhlbeine, trat über zwei Teppichmuster auf das Büfett zu; er hatte die Insel verlassen.
»Sind Sie darum hergekommen, Herr Wadzek, um mich von Ihren Nerven zu unterhalten?«
»Mißverstehen Sie mich nicht dauernd, liebes Fräulein. Eine Vase ist nicht belanglos. Es ist wie mit den Kleidern. Wenn Sie diese Vase -: Sie müssen mir schon verzeihen, wenn ich haften bleibe an diesem Gegenstand. Eine gründliche Erörterung kann nur beruhigen, kann nur allerseits, ich sage mit Bewußtsein allerseits, beruhigen.«
»Sie wollten von meiner Vase sprechen.«
»Wie mit den Kleidern. Sie sitzen nicht, sie hängen. Sie schlenkern. Mal ist die Schulter hochgerutscht, mal sieht man das Korsett, mal schleppt der Rock, und vorn ist er zu kurz. Bei Gerson hat alles gesessen.«
»Aber, Herr Wadzek, doch nicht meine Kleider.«
»Doch nicht Ihre. Wie auch das? Durchaus nicht, im Gegenteil. Es ist eine allgemein zutreffende Bemerkung, die durch Ihre Ausnahme und so weiter und so weiter. Ich habe doch selbst auf dem Wohltätigkeitsfest im Bellevuehotel gesehen -«
»Wie kommen Sie auf das Wohltätigkeitsfest?«
»Es ist eine etwas schiefe Bemerkung meinerseits. Selbst gesehen ist vorbeigesprochen, keineswegs vorbeigedacht. Ich will mich nicht falsch beschuldigen. Schneemanns Vetter hat mir sehr genau erzählt, er ist Plakatmaler, erstklassiger Dekorateur, so genau, daß ich mir alles ganz vorstellen kann mit geistigen Augen. Wie Sie an der blauen oder grünblauen Nische vorübergingen, welche den Meeresboden darstellte, hineinguckten und sagten: ›Was ist hier für ein Rauch!‹ Es war Ihnen zu rauchig auf dem Meeresgrund. Wie Sie mit Stawinski plauderten. «
Sie lachte heftig: »Von dem hat er Ihnen auch erzählt?«
Wadzek blieb entrüstet stehen: »Was beschuldigen Sie mich? Sie haben eine äußerst kränkende Art an sich, Fragen zu stellen.« Er war furchtsam und suchte durch ein beleidigtes Wesen zu entwaffnen. Sie suchte ihn aus dem Schatten zu locken; er ging unsicher weiter: »Halten Sie mich doch nicht mit Nebensachen auf. Sie bringen mich damit nicht aus dem Konzept.«
Sie schwieg. »Kindereien«, platzte er heraus, »Kindereien sind das. Ich könnte Ihnen von Ihrem Schritt, von Ihrem Gang erzählen, von -«
»Wovon noch? Und was ist mit meinem Gang?«
»Aber ich tue es nicht.«
»Aus Edelmut.«
»Nennen Sie es Edelmut. Es ist zwar Psychologie, Takt, Rücksicht, aber es tut nichts zur Sache. - Ich kann schon gar nicht mehr reden.«
Er setzte sich still an den Tisch.
»Hab' ich Sie verletzt, Herr Wadzek?«
Er dozierte, anscheinend kalt, im Tone eines Zeitungsberichts: »Ihr Gang hat zweifellos etwas, was imstande ist, Männer aus ihrer Ruhe zu bringen. In der Lombardei, wo ich letztes Frühjahr war, ist es anders; Mailand, Turin, Umgegend. Sie setzen einen Fuß vorwärts, langsam, viel zu langsam für unsere Begriffe, ziehen den rechten nach, und dabei schwankt Ihr Oberkörper in einer Weise nach vorn, nicht geradlinig, wie etwa hier meine Hand, wenn meine Finger Ihre Beine darstellen. Wie eine reife Frucht, oder Fruchtschale. Als wenn Sie vorhätten, sich hinzuschütten. Ich könnte auch sagen: wie ein Bassin mit Wasser, wie ein Goldfischbassin, das Sie bis an den Rand schaukeln. «
»Nehmen Sie doch Ihre Hände vom Tisch. Jetzt werden Sie lächerlich. «
Er zog sie rasch weg, versteckte sie in sein Taschentuch unter dem Tisch: »Entschuldigen Sie. Freilich. Der Vergleich war etwas gewagt; sozusagen, an den Fingern herbeigezogen.«
Sie stand auf; ernst, matt: »Gott, wie abgeschmackt. Was wollen Sie eigentlich?«
Wadzek blieb beharrlich. Da er geschlagen war, wurde er frech: »Rommel hat das Bild von der Fruchtschale sicher auch empfunden. Ihr Leib schaukelt, als wenn er obenauf Äpfel trüge. Oder als
wenn er mit Wasser gefüllt wäre.«
»Jetzt reden Sie glücklich von meinem Bauch.«
»Ihr Bauch ist kein Gesprächsthema, gnädiges Fräulein. Ich weiß selber, daß sich ein Gespräch um sozusagen ernstere Sachen zu drehen hat. Die Abrundung der Unterhaltung, wir wollen das festhalten, erfordert den Übergang -«
»Auf meinen Bauch.« Sie lachten zusammen.
»Sie sollten mir behilflich sein, gnädiges Fräulein.«
»Ich warte, bitte.«
Er verschwand wieder an der Wand: »Es geht nicht so. Mit: ich warte, bitte, - kann ich nicht sprechen. Ich will niemanden beleidigen, aber das sind Phrasen, mit denen man mich ruiniert. Ich finde da keinen Boden, keinen Faden.«
»Ich soll Rommel um etwas bitten.«
»Totschlagmanieren«, schrie er, blieb am Bücherregal stehen, blies das Gesicht auf, streckte die Brust vor. »Um gar nichts sollen Sie ihn bitten. Nicht von mir. Ich brauche keine Bitten. Bitte hin, Bitte her. Was wagen Sie gegen mich?«
Er schüttelte den Arm gegen sie. Gabriele zischte: »Ich verbiete Ihnen zu schreien. Fluchen Sie, seien Sie gemein. Schreien Sie nicht.«
Er ging weiter, höhnte: »Sie werden mich nicht aus meiner Ruhe bringen. Die Ruhe ist ein gottvolles Geschenk meines seligen Vaters, mein einziges Erbstück. - Ich habe ein Anliegen an Ihren Freund, - Anliegen ist vielleicht zu viel gesagt. Und Sie überfallen mich umsonst mit Ihren Kraftausdrücken.«
»Also Anliegen.«
Er stöhnte, verdrehte die Augen: »Der Herr erbarme sich. In welche Höhle bin ich geraten.«
Sie raschelte auf ihn zu: »Wenn Sie sich erlauben, noch ein Wort weiter zu sprechen.«
Sie sank auf einen Schaukelstuhl: »Das schneit in meine Wohnung, hat ungeputzte Stiefel, bindet sich keinen saubern Kragen um. Zu Hause schmatzt es mit seiner Frau. Was hab' ich mit Ihnen zu tun? Ihr mißbraucht mich. Tun Sie nicht so entgeistert. Rommel hält mich aus, Sie amüsieren mich manchmal; ich bin nichts Besseres als Rommels Mätresse. Das hab' ich mir gewählt. Daß man mich aber anbläfft wie Sie mit Ihrem: ›der Herr erbarme sich‹, das hab' ich mir nicht gewählt.«
Wadzek riß den Mund auf, sperrte die Arme weit: »Es ist solch grenzenloser Irrtum. Wenn Sie wüßten, wie ich Ihnen zugetan bin. Wir alle, die Ihnen den Boden geebnet haben in Berlin. Und wie wir Sie alle wirklich schätzen, verehren gelernt haben, liebes Fräulein Gabriele.«
Sie beobachtete ihn: »Wieviel Kinder haben Sie?« Er trabte, fuchtelte versunken mit den Händen: »Wirklich schätzen gelernt. «
»Wieviel Kinder Sie haben.«
»Kinder? Warum? Eins.«
»Sie haben eine Tochter?«
»Tochter, ja; eine Tochter. Herta ist neunzehn Jahre; sie ist nicht eigentlich schön. Sie ist nach ihrer Mutter.«
Gabrieles Augen funkelten: »Ich möchte Ihre Tochter kennen lernen. Oder haben Sie etwas dagegen?«
»Herta ist ein Berliner Kind. Sie wollen meine Herta kennen lernen. Das, - natürlich, es sind solche plötzlichen Einfälle. Ich will es ihr sagen; ich will es mir überlegen, natürlich, gnädiges Fräulein.«
»Ich möchte Ihre Tochter kennen lernen.«
Wadzek überschrie sie; Gabriele sollte ihn von einer gewissen Transaktion, die Rommel vorhatte, rechtzeitig, frühzeitig, vorzeitig informieren. Er wehrte hoheitsvoll Gabriele ab: »Nur kein Erbarmen. Kein Almosen. Keine Aufdringlichkeit.« Gabriele blieb kalt, besah ihre Nägel. Wadzek, mitten im Zimmer, zupfte seinen blonden Bart. Sie blickte hoch: »Freilich, wer spricht von Almosen. Wir geben uns gegenseitig Aufträge, die wir geneigtest zu effektuieren bemüht sind.«
Schon an der Tür, wand sich der kleine Mann, wühlte mit den Händen in den Hosenbeuteln: »Es handelt sich nämlich -«; er trat sich beklommen auf die Füße, zog die Stirn kraus, sah Gabriele finster von unten an.
Sie drehte ironisch den Kopf zur Seite: »Frauen haben merkwürdige Auffassungen von manchen Dingen?«
»Es ist etwas Richtiges daran. Man kann sich schwer äußern«, wütende Blicke, Hand an der Tür, »man darf sich nicht äußern, man darf nicht. Es ist das Denkvermögen der Frau, das undifferenzierte Denkvermögen, mit dem ich immer zu kämpfen habe. Geschäftsbetrieb ist eins, Familienbetrieb, Familienverkehr das andre. Aber das werde ich nicht klarmachen.« Er stand zitternd vor ihr: »Werde ich das klarmachen?« Sie sagte: »Ich weiß nicht, ob ich nicht auch um die Bekanntschaft Ihrer Frau Gemahlin bitten soll.« »Also, wie gesagt -.« Er warf die Tür.
Schneemann war ein fauler Mensch. Bei einem Besuch der Eisengießerei Rommels hatte ihn Wadzek kennen gelernt. Männer wie er gab es viele in der Stadt; als Rechtsanwälte hielten sie sich kleine Büros, suchten in Tageszeitungen, Aufsätzen, eventuell Broschüren Reichsgerichtsentscheidungen zu kritisieren; als Ärzte vermochten sie sich keine Praxis zu gründen, aber sie taten sich als Bakteriologen hervor und entdeckten einen neuen Typhusbazillus, worauf sie in einem Generalregister 2. Band, St. 617 Absatz B vermerkt wurden. Schneemann litt als Ingenieur an Ideen. Wie alle Männer seiner Art hatte er eine kluge leidende Frau, mehrere Kinder. Er suchte in Stettin frühzeitig ein bestimmtes Gas mit einem schwer aussprechbaren Namen aus der Kohle zu gewinnen. Es gelang ihm, als er zu den Versuchen das Vermögen seiner Frau aufgebraucht hatte. Damals brachte eine große Fabrik dasselbe Verfahren heraus mit denselben Gesichtspunkten; kurz vorher war bei Schneemann eingebrochen worden. Er verließ Stettin. Die schlechte Bewachung der Wohnung, die Polizei war schuld, die ganze elende Entwicklung des Heringsnestes. Auf dem Bahnhofplatz, wo die Dienstmänner herumstanden, verfluchte er die Stadt: »Verflucht soll Stettin sein und Gotzlow, Podejuch und das ganze Pommern.« Die Frau, die weinte, mußte ihn in die Bahnhofshalle ziehen; die Dienstmänner hatten einen Gesprächsstoff für den Nachmittag.
In Berlin wurde er kleiner Betriebsingenieur bei Rommel; es dauerte einige Zeit, bis sich seine Maschinerie darauf einstellte. Er überhäutete sich mit Verbissenheit. Aus seinem Grimm wurde eine Verbissenheit. Er diente, diente, diente. Er setzte sich allmählich in Opposition zur liberalen Politik, las konservative Zeitungen, pries den Handwerker, den Landmann, die sich nicht von dem großstädtischen Unternehmertum vergewaltigen ließen. Kleine Vereine, denen er angehörte, beglückte er durch improvisierte Brandreden gegen die Selbstverwaltung der Städte. Im allgemeinen war er still, plante hitzig weiter, dachte nach, konstruierte auf dem Papier. Da er keine Versuchsstätte hatte, ließ er es auf sich beruhen, beschränkte sich auf das Tüfteln. Dick war er, untersetzt, mit Glatze; hatte ein sehr breites Gesicht, ging sorgfältig angezogen, war langsam, gedankenvoll, ohne Ausdauer. Seine Zitate kamen aus der Tiefe und stammten aus Goethe: »Denn es ist das Mächtige, was man dir auch sage«, - gemeint war »das Niederträchtige«, das er nicht mitzitierte. Er entdeckte in sich in Berlin eine Leidenschaft für das Militär, zu dem er wegen seiner Korpulenz nicht gekommen war. Er träumte heftig und viel; z.B., daß er wie ein alter Römer mit dem Schild im linken Arm dastand, das kurze Schwert in der rechten Faust, so den Angriff erwartend. Seinen jungen Kindern verbot er gelegentlich mit flüsternden Worten Lärm zu machen: »Nicht zu laut trommeln, nicht zu laut! Zu hoher Mast lockt den Blitz herbei.« Mit eigentümlichem Blick sah Schneemann dabei um sich.
Mit dem Fabrikdirektor Wadzek ging er kegeln. Als Gerüchte verlauteten, daß Rommel die Maschinenfabrik Wadzeks aufsaugen wollte durch allmählichen Ankauf der Aktien, zog Wadzek seinen Freund ins Vertrauen wegen der Gegenmaßnahmen. Die Gespräche wirkten heftig auf Schneemann ein. Seine Lebendigkeit ließ nach. Wie ein Verschwörer ging er herum; seine Schritte waren auf Holzfußboden enorm schallend. In sein hohes Bauernbett vergraben, mußte er jetzt sehr lange schlafen. Bisweilen nahmen ihn die Debatten so mit, daß er in einem lähmungsartigen Zustand, völlig dumm neben dem erregten Wadzek saß, der an ihm rüttelte. Darauf grunzte er: »Laß nur gut sein, Franz, du hast mich ganz auf deiner Seite.« Sie siezten sich sonst. Der bissige, erregte Wadzek, der Feind des Unterjochers Rommel, war immer der Heros Schneemanns gewesen; jetzt folgte er Wadzek durch dick und dünn, in krampfhafter Spannung.
Sie saßen im Café Stern an der Chausseestraße; in ihren Unterredungen kamen sie zu dem Entschluß, Rommel ins Herz zu treffen. Die Wendung stammte von dem dicken Schneemann, der über den Marmortisch weg Wadzek Stöße erteilte. Sie schickten den Kellner weg. Minutenlang schwiegen sie und blähten sich auf. Wadzek flüsterte, am Tage nach dem Gespräch mit Gabriele: »Sie will meine Tochter. Das sind Menschenopfer.« Schneemann fragte: »Welche?«
»Das ist egal. Ich habe doch nur eine. Man kann nicht in sie hineinsehen. Was raten Sie?«
»Zurückhaltung, Vorsicht, große Vorsicht.«
Wadzek prahlte: »Ich gebe sie ihr. Und wissen Sie warum? Schneemann, das ist mein Geschoß. Die kleine Herta, jawohl. Mit dem Pfeil, dem Bogen. Hab' ich mal die Türe auf, dann bin ich drin.«
»Wadzek, Sie haben den Mut, Ihre Tochter in diese Löwenhöhle zu werfen?«
»Löwenkäfig, sehr richtig. Sie halten auch diesen Ausdruck für passend.«
»Ich könnte es nicht über das Herz bringen, meine Tochter -«
»Jedenfalls sind wir über diesen höchst charakteristischen Ausdruck aneinandergeraten, Gabriele und ich. Aber ich gebe ihr meine Tochter. Wir sind Könige, gleichsam Könige, wenn wir arbeiten; alles andere unterwirft sich, muß dienen, Familie, Haus, Tochter. Ob gern oder ungern, ist gleichgültig. Wir haben jetzt andere Waffen als zu früheren Zeiten.«
»Geht sie?«
»Sie muß. Ich setze sie in ein Auto und schicke sie hin.«
»Menschenopfer«, schüttelte sich Schneemann in aufrichtiger Bewunderung, pellte sich ein Stück Goldpapier von den Lippen ab, das von der Zigarette hängen geblieben war.
Wadzek redete, während sie sich die Hüte aufsetzten, der Kellner mit dem Service klapperte: »Ich entschließe mich in diesem Augenblick dazu. Ernsthaft, ganz ernsthaft. Ich laß mir von meiner Frau nicht dreinreden. Der patriarchalische Gesichtspunkt ist der richtige. Das Kind wird in den Wagen gesetzt und geht hin.«
»Für die Moral bürgen Sie?«
»Bürge ich. Übrigens«, und dabei faßte Wadzek den dicken Schneemann unter den Arm und zog ihn auf die Straße, »würden Sie an der Moralität Ihrer Kinder zweifeln? Wenn solche Dinge in Frage stehen? Ich meine: noch dazu, wenn es sich um Dinge von solch überwältigender Tragweite handelt. Würden Sie an der Moral Ihrer Töchter zweifeln?«
»Meine älteste ist sieben Jahre -«
»Sagen Sie acht oder achtzehn oder achtundzwanzig. Ehrlich ans Herz gefaßt, Schneemann: würden Sie an der Moral Ihrer Töchter alles in allem zweifeln?«
Triumphierend lächelte er ihn an: »Würden wir an der Moral unserer Töchter zweifeln? Sie und ich? Schneemann, was?« -
Nachdem Wadzek seiner Frau erklärt hatte, daß er wieder Fühlung mit der Firma Jakob Rommel gewonnen habe, Fühlung im guten Sinne, und daß Herta gewissermaßen ein Unterpfand ihrer guten Beziehungen bilden solle, gab Frau Pauline nach; Herta stand an der Tür und dachte: »Ich wäre auch ohne euch hingegangen. « Sie schrieb nach dem Blumeshof schon längst verehrende Briefe, backfischhaft schwärmerisch.
Mitte Januar notierte die Börse: Lokomobil- und Dampfmaschinenfabrik Heinersdorf (Wadzek) 95 ½; Anfang Mai 74. In der Generalversammlung der Aktionäre hatte man gerötete Gesichter; niemand blieb sitzen; das Direktorium vermochte nicht durchzudringen. Als einer rief: »Fenster auf« - es war ein dunkler Tag, man saß in einem Hinterzimmer der Bavaria, - brüllte ein anderer: »Ja, mehr Licht in diese Machinationen.« Die Erörterungen über den Rückgang von Aufträgen waren endlos: »mangelnde Propaganda«, »die Direktion geht nicht mit der Zeit mit«, »wir sind nicht mehr auf der Höhe«. Wadzek wurde höhnisch: woher die Herren Fachkenntnisse hätten, ob es an der Börse eine Professur für Wärmekinetik gebe. Die lärmende Aufforderung, ein bestimmtes Rommelsches Modell, Expansionsmaschine, aufzunehmen, eine Abteilung für Turbinenbau anzulegen, lehnte er als schwachsinnige Zumutung ab.
Seine Ideen entwickele er fort, seine Ideen und keines anderen, erklärte er; er stehle nicht, habe dies durchaus nicht nötig. Zwei Direktoren an seinem Tisch drängten ihn, mit seinem alten sehr wirksamen Größenwahn als Fachmann dreinzuschlagen. Er zuckte mit dem Mund; zu einem Prokuristen der Fabrik beugte er sich über den leerstehenden Stuhl: »Ich garantiere, sie bewilligen neue Gelder, um samt und sonders zu verkaufen, wenn die Aktien anziehen. Es ist eine Freude mit dem Pack zu arbeiten.«
»Sagen Sie's doch, sagen Sie's doch laut.«
Er redete; seine klugen Äuglein liefen über die ersten Sitz- reihen; er wurde immer von dem prustenden Gelächter eines Aktionärs unterbrochen, der auf zwei Stühlen saß, gemästet wie ein Schlächtermeister, den grünen Jägerhut schief auf dem ratzekahlen Kopf, hinter mächtigen Kehlwampen mit ganz hoher Stimme laut und ungeniert um sich sprach, dabei gelegentlich mit dem linken Daumen auf Wadzek zeigte. Wadzek sagte: »Die Fabrik ist gut, die Produkte sind gediegen. Die Vervollkommnung meiner Prinzipien bringt weiter als das neue Gefusche. Das Ganze ist ein Bluff von Rommel, auf den Sie nicht hereinfallen werden. Diese Geschichte, wie man sich eine lästige Konkurrenz vom Halse schafft! Er weiß, was ihm noch von mir blüht! Für Klippschüler eine Neuigkeit: Ausstreuung von modernen Ideen. Pusten werde ich Rommel und daran glauben. Schlauer Mann, versteht sich auf Tricks für das Publikum. Sieht man. Seine Turbos und Modell 65 sind heute rentabel, morgen stellen sich die Fehler heraus, die mäßige Verwendungsmöglichkeit. Die ganze Anlage ist zum Deibel. Unsere Konstruktionen sind erprobt, gut, sehr gut -«
»Gewesen«, quietschte der Schlächter.
»Über Gelächter fühlt sich ein Mann von Intelligenz erhaben. Ihr Geld, meine Herren, täuschen Sie sich nicht, ist tot ohne uns, die Konstrukteure. Mischen Sie sich nicht in unseren Streit, den Streit der Ideen. Von unserem Streit verstehen Sie nichts. Gleitet ab von mir, das Gelächter, vollkommen; es läßt mich völlig unberührt. Hier sind Dinge, an denen Sie nicht teilnehmen können. Ganz überflüssig, daß Sie mir sagen, daß ich Sie brauche. Ihr Geld hat Pech gehabt, daß es an Sie geraten ist. Ihr Geld tut mir leid; es ist ein Volk, das ohne Strategie geführt wird. Ich bekomme meine Truppe.«
Ein alter, feingekleideter Herr verfolgte den hin und her tänzelnden Wadzek mit einer Hornlorgnette: »Er ist goldig, Kinder. Goldig ist er.«
»Reden wir nicht. Die Zeit tut mir leid.«
»Mir tut mein Geld auch leid«, platzte der Schlächter heraus, drehte sich auf seinem Stuhl nach hinten, offenes Maul. Angesteckt die Nachbarschaft.
»Sie sehen doch«, sagte fiebernd und fade lächelnd Wadzek.
Wadzek schäumte. In der Wohnung warf er einen Handschuh
weiter, der auf der Ofenkonsole lag, krachend auf die Diele:
»Sie zwingen mich, vergewaltigen mich.«
»Was ist los?« flehte die dicke Frau Wadzek am Fenster.
»Was los? Ich bin auf Abbruch verkauft. Ich geh' als Monteur in die Häuser, schraube Glühbirnen an. Werde Schornsteinfeger.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Alfred Döblin
Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman 'Berlin Alexanderplatz'. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alfred Döblin
- 2013, 1. Auflage, 400 Seiten, Maße: 12,6 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596904617
- ISBN-13: 9783596904617
- Erscheinungsdatum: 15.01.2013
Kommentar zu "Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine"