Warum gerade du?
Persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer
Die Wiener Künstlerin und Sterbebegleiterin Barbara Pachl-Eberhart
gibt persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer. Nachdem
sie Mann und Kinder bei einem Unfall verlor, fragt sich die Autorin:
Warum musstet ihr sterben?...
gibt persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer. Nachdem
sie Mann und Kinder bei einem Unfall verlor, fragt sich die Autorin:
Warum musstet ihr sterben?...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Warum gerade du? “
Die Wiener Künstlerin und Sterbebegleiterin Barbara Pachl-Eberhart
gibt persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer. Nachdem
sie Mann und Kinder bei einem Unfall verlor, fragt sich die Autorin:
Warum musstet ihr sterben? Warum hört der Schmerz nicht auf? Werde
ich jemals wieder glücklich? u.v.m.
gibt persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer. Nachdem
sie Mann und Kinder bei einem Unfall verlor, fragt sich die Autorin:
Warum musstet ihr sterben? Warum hört der Schmerz nicht auf? Werde
ich jemals wieder glücklich? u.v.m.
Klappentext zu „Warum gerade du? “
Einfühlsame Hilfe für die schwerste Zeit des LebensWarum musstest du sterben? Warum hört der Schmerz nicht auf? Werde ich jemals wieder glücklich sein? ... Die großen existenziellen Fragen der Trauer - Barbara Pachl-Eberhart musste sie sich allesamt stellen und ihre eigenen Antworten darauf finden. Nachdem sie ihren Mann und ihre beiden Kinder bei einem Unfall verloren hatte, stand auch ihr Leben plötzlich still.
Heute, sechs Jahre später, ist sie eine Frau, die aufgrund ihrer erschütternden Grenzerfahrung große Weisheit und eine heilsame Gefühlskraft weitergeben kann. Ihr neues Buch ist ein Schatz für alle Trauernden und ihre Begleiter. Geschrieben aus einer unermesslichen Tiefe des Erlebens, vermag es Trost und neue Zuversicht zu spenden.
Lese-Probe zu „Warum gerade du? “
Warum gerade du? von Barbara Pachl-Eberhart... mehr
»Warum tut das so weh? Warum tut das nur so
Wahnsinnig weh!?«
Das war die erste große Frage. Die ersten Worte, mit
denen meine Trauer ihre Sprachlosigkeit endlich durch-
brach. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem sie, ohne
sich vorher anzukündigen, aus mir herausplatzten: der
siebzehnte Tag nach dem Unfall – mein Mann, mein Sohn
und meine kleine Tochter waren am Gründonnerstag 2008
von einem Zug überfahren worden. Seit mehr als zwei Wo-
chen waren sie nun schon tot. Und ich? Eben noch Mama
von zwei kleinen Kindern. Clown von Beruf, Botschafterin
der Lebensfreude. Eine junge Frau in der besten Zeit ihres
Lebens. Und jetzt, auf einmal: Witwe. Verwaiste Mutter.
Allein.
Was ich erleben musste, klingt brutal. Wenn ich heute
Menschen davon berichte, was mir im Jahr 2008 gesche-
hen ist, treten vielen von ihnen die Tränen in die Augen, sie
beginnen, schwer zu schlucken, und schauen drein, als
wäre ihnen ein Ziegelstein in den Bauch gefallen. Ich versu-
che dann zu erklären, dass ich diese Zeit direkt nach dem
Tod meiner Familie ganz und gar nicht als brutal empfand.
Im Gegenteil: Ich schwebte in einer Blase, irgendwo zwi-
schen Himmel und Erde, ich fühlte mich geborgen, lebte in
einer Traumwelt, in der ich mich eingerichtet hatte, um zu
überleben. Meine tote Familie und ich, wir waren einander
nah, und alles schien mir gut – zumindest solange ich nicht
vor die Tür gehen musste.
Irgendwie gelang es mir, die Beerdigung zu organisieren,
sofort danach aber verkroch ich mich wieder in mein Bett.
Ich wollte nicht reden, nichts gefragt werden und schon gar
nichts antworten. Mein Kopf sollte leer und frei sein, damit
ich mich jederzeit in den Himmel träumen konnte. »Es
geht mir gut«, antwortete ich auf die SMS meiner Freun-
dinnen – und glaubte mir selbst. Ich wollte, dass alles so
blieb, wie es war. Sicher, geborgen hinter verschlossener
Tür. Am besten ganz ohne Worte, still und stumm. Einsam
fühlte ich mich nicht. Doch die, die außen standen, ahnten
bald die drohende Gefahr meiner Isolation. Heute bin ich
froh, dass sie die Initiative ergriffen.
Es war meine Clownkollegin Sophie, die mich als Erste
aus meiner Höhle lockte. Sie rief an, um zu fragen, ob sie
mich zu einem Waldspaziergang abholen dürfe. Ich sagte Ja.
Nicht, weil ich Lust darauf hatte – mir fiel bloß so schnell
kein Grund dagegen ein. Eine halbe Stunde später waren
wir bereits unterwegs. Wir stapften eine Zeit lang querfeld-
ein durchs Unterholz, Sophie voran, ich hinterher, wie in
Trance. Kein äußerer Betrachter hätte erkannt, dass wir bei-
de nicht allein waren. Doch der Tod war mit uns gekom-
men, und alles, was wir miteinander sprachen, musste vor
seinem unsichtbaren Antlitz bestehen. Unsere Schritte wa-
ren bestimmt, der Weg durch den Wald vertraut. Die Worte,
die wir suchten, tanzten hingegen wie auf Eierschalen.
Wir erreichten eine Lichtung und setzten uns ins Gras.
Die Sonne schien, ein Schmetterling flatterte neben uns und
ließ sich in aller Ruhe auf einen Löwenzahn nieder. Ich
schaute empfindungslos durch ihn hindurch. Sophie ver-
suchte mich aufzumuntern. »Ich glaube, im Himmel haben
die immer solche Tage wie heute. Hör mal, wie schön die
Vögel singen. Ich kann mir gut vorstellen, wie Heli da drü-
ben auf seiner Wolke mitträllert, was meinst du? Vermut-
lich spielt er sogar auf seiner Ukulele.«
Ich lächelte, dankbar für das, was meine Freundin da
sagte. Ja, genauso stellte auch ich mir den Himmel vor.
Glücklich, lebendig, frei. Ich hielt mein Gesicht in die war-
me Sonne und lauschte den Vögeln. Zum ersten Mal seit
langer Zeit atmete ich bis in meinen Bauch hinein. Und da,
von einem Moment auf den anderen, schlug meine Stim-
mung um. Das Glück des Himmels war verschwunden. In
mir tobte eine Feuersbrunst. Da war sie: die erste Begeg-
nung mit dem Urschmerz der Trauer.
»Warum tut das nur so weh?«
Die einfache Antwort war mir klar, schon damals, im
Wald. Natürlich: Wir weinen um unsere Toten, weil wir sie
vermissen. Wir lieben sie, aber sie sind nicht mehr da. Die
Sehnsucht brennt wie Feuer. Klar tut das weh.
Sophie hat diese naheliegenden Gedanken nicht ausge-
sprochen. Sie wusste: Es war nicht wichtig. Viel wichtiger
war es, zu schweigen und einfach auszuhalten, was ge-
schah. Meine Freundin hielt still, sie blieb bei mir, bis ich
meine Frage hundertmal wiederholt hatte, in allen Tonar-
ten, jammernd, vorwurfsvoll, gepresst, gequält, voll Selbst-
mitleid. Sophie hielt durch, so lange, bis mein Schmerzan-
fall verklungen war und ich keine gesabberten Worte mehr
brauchte, um mich zu entladen.
Bis heute ist Sophie als Freundin bei mir geblieben. Sie
begleitet mich auf der Achterbahn meiner Gefühle, sie lacht
mit mir, wenn ich mich mit waghalsigen Plänen am Leben
versuche, sie erträgt die Stille und auch die immer wieder-
kehrende, unendlich tiefe Frage nach dem Sinn. Immer wie-
der hat mir Sophie ihr Ohr geschenkt, und sie hörte nicht
nur das, was ich sagte, sondern auch das, was ich zu sagen
versuchte. Sie versteht es gut, so lange zu warten, bis mein
Herz seine eigenen Antworten findet und mein Mund in
der Lage ist, sie zu formulieren.
Dieses Buch schreibe ich als Dank an Sophie – und all
die anderen Frauen und Männer, die mir dabei geholfen
haben, über den Tod und mein Leben nach, nein, mein Le-
ben mit dem Tod nachzudenken. Ich schreibe es für alle, die
selbst Fragen stellen, die weinen und manches Mal ver-
zweifelt sind. Ich schreibe dieses Buch für Sie, wenn Sie ei-
nen geliebten Menschen verloren haben. Und für die Men-
schen, die Sie begleiten, in Gesprächen, aber auch in der
Stille der Sprachlosigkeit.
Trauer macht stumm. Um das Schweigen zu durchbre-
chen, brauchen Sie und auch Ihre Begleiter großen Mut,
Fettnäpfchen und Missverständnisse gehören dazu. Viel-
leicht kann dieses Buch Ihnen Worte schenken für das, was
Sie fühlen und erleben. Vielleicht kann es Ihren Begleitern
ein Bild davon vermitteln, wie es Ihnen geht, und den Men-
schen in Ihrer Umgebung erklären, warum Trauernde sich
nicht immer so verhalten, wie man es von ihnen erwartet.
Natürlich maße ich mir nicht an, zu wissen, wie es in
Ihrem Inneren aussieht. Möglicherweise möchten Sie mir
an der einen oder anderen Stelle sogar heftig widerspre-
chen, weil Sie ganz anders denken und fühlen als ich. Oft
ist es gerade der Widerspruch, der uns als Trampolin dient,
von dem wir uns abstoßen und in Bewegung kommen. Da,
wo wir widersprechen, sprechen wir immerhin.
Dieses Buch enthält meine persönlichen Antworten auf die
großen Fragen der Trauer. Ich erzähle Ihnen, was ich mei-
ner Trauer heute sage, wenn sie mich wieder einmal fragt,
warum meine Kinder sterben mussten, wo ihr Leben doch
gerade erst begonnen hatte. Was ich meiner Angst antwor-
te, wenn sie mir weismachen will, dass die Erinnerung an
meine Familie langsam verblasst. Ich will Sie in die Gedan-
ken einweihen, die mir helfen, den Schmerz meiner Trauer
besser zu ertragen. Und ich lade Sie ein, mit mir gemeinsam
zu fragen: Können wir auch nach schmerzhaften, existen-
ziellen Verlusten eines Tages wieder glücklich sein?
Wo bist du? Wie soll ich den Schmerz ertragen? Warum
musstest du sterben? Kann ich jemals wieder glücklich
sein?
So lauten einige der Fragen, die ich in diesem Buch
behandle. Ich habe jene Fragen ausgewählt, die mich im-
mer wieder besuchten, die nachts in meinem Kopf herum-
spukten und sich jedem Versuch, sie mit einfachen Mitteln
abzuspeisen, widersetzten. Gerade deshalb wurden mir die-
se Fragen im Lauf der Zeit zu einer Quelle vielfältiger Ins-
piration.
Natürlich gibt es auf jede dieser Fragen schnelle, einfa-
che Antworten. Sie rutschen leicht über die Lippen – aber
kaum jemals kommen sie da an, wo wir sie wirklich brau-
chen: im Herzen, im Bauch und in unserer verletzten Seele,
die um Hilfe ruft. Wenn wir trauern, dürfen wir lernen,
geduldig zu sein, mit uns und mit dem Leben, das uns Ant-
wort gibt. Wir müssen, ja, wir sollen die großen Rätsel
nicht sofort auflösen. Sie sind zu wertvoll, um allzu schnell
abgehakt zu werden. Die Fragen der Trauer sind ein Schatz,
eine wichtige Wegzehrung. Wir brauchen sie dringend als
Begleiter auf dem Weg zu uns selbst.
Ich habe im Lauf der letzten Jahre gelernt, die Fragen
auszuhalten. Mit ihnen zu leben, als wären sie Gäste in
meinem Haus. Dabei bin ich immer wieder auf neue, über-
raschende Antworten gestoßen. Kleine, zerbrechliche,
durchsichtig poetische – aber auch tragfähige Antworten,
die das Fundament meines Lebens stabiler werden ließen
als je zuvor. Ich fand sie nicht, indem ich grübelte. Ich
musste vor die Tür gehen und mich dem Leben anvertrau-
en. Erst in der Begegnung mit der Welt entdeckte ich Meta-
phern, Geschichten und Parabeln, durch die ich Einsicht
gewann. In der Auseinandersetzung mit meiner Gegenwart
erkannte ich den Sinn dessen, was in der Vergangenheit ge-
schehen war. Ich lebte, und ich ließ mir Zeit.
Viele Knoten in Kopf und Bauch lösten sich erst, als ich
mir erlaubte, durchs Leben zu schlendern, Umwege zu ma-
chen und weite Kreise zu ziehen. Nach und nach befreite
ich mich von vielen Ansprüchen, die ich an mich selbst und
an das Leben gestellt hatte. Wer ungeduldig zieht und zerrt,
kann die leisen, zart schwingenden Antworten nicht hören.
Doch wenn wir dem Leben auf milde, wohlwollende Weise
die Hand reichen, können wir uns letztlich sogar mit dem
Tod versöhnen.
Oft treffe ich bei meinen Vorträgen und Lesereisen Men-
schen, die verunsichert sind, wenn es um die Begegnung
mit Trauernden geht. »Was kann ich bloß sagen? Wie kann
ich trösten?«, fragen sie. Sie sehnen sich insgeheim nach
Rezepten, nach Zauberworten, mit denen sie die Tränen
und die ratlose Erstarrung verscheuchen können. Solche
Zauberformeln kann ich nicht anbieten – und es erschiene
mir auch gar nicht sinnvoll. Trauer ist keine Krankheit, die
es zu heilen gilt, und auch kein seltsamer Spuk, den man
bekämpfen muss. Es ist nicht nötig, sie wegzutrösten oder
wegzuschnäuzen. Trauer ist mehr, Trauer kann mehr. Trau-
er ist eine wunderbare Fähigkeit, die uns Menschen ange-
boren ist. Leider nutzen wir sie viel zu selten, da, wo sie uns
im Kleinen gern zu Hilfe kommen würde. Wir neigen dazu,
sie zu verdrängen, wir lenken uns ab, schützen uns, wo es
nur geht, vor dem Gefühl der Vergänglichkeit, das beim
ersten Kosten ziemlich bitter schmeckt.
Meist ist es der Tod eines geliebten Menschen, der unsere
Fähigkeit zu trauern schließlich wiedererweckt. Anfangs tut
es schrecklich weh, nicht zuletzt, weil wir merken, wie viel
wir verlernt haben, während wir verdrängten. Ungeduldig
und enttäuscht von uns selbst würden wir das Trauern –
wenn es schon sein muss – am liebsten möglichst effi-
zient hinter uns bringen. Erst wenn das nicht klappt, wenn wir
hängen bleiben und nicht so weiterkommen, wie wir es uns
wünschen, beginnen wir, unsere Muster zu überdenken. Und
genau hier liegt die Chance, den wahren Wert der Trauer zu
erkennen. Unsere Seele zeigt sich dankbar, sie nimmt unsere
Tränen entgegen und saugt sie auf wie eine Pflanze den Re-
gen nach langer Dürre. Mit etwas Mut lernen wir überra-
schend schnell. Wir werden wieder berührbar und beginnen
uns an das zu erinnern, was im Grunde schon immer in uns
steckt: ein tiefes Wissen, ein uraltes Vertrauen, viele unge-
weinte Tränen – aber auch eine ganz besondere Art von Le-
bendigkeit, in der es Platz gibt für vieles, sogar für den
Schmerz. Ich habe dieses Buch geschrieben, um Sie bei der
Erinnerung an diese Lebendigkeit zu unterstützen.
Das einzige Mittel, das mir dabei zur Verfügung steht,
sind die Worte. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, lebendige
Worte zu finden – Worte, die Sie nicht nur im Denken an-
sprechen, sondern auch in der Art, wie Sie Ihrem Leben ak-
tiv und handelnd begegnen können. So wünsche ich mir,
dass dieses Buch immer wieder auf Ihrem Nachtkästchen
liegen bleibt, weil Sie gerade keine Zeit zum Lesen haben.
Ich hoffe, dass meine Geschichten vor allem Lust aufs Leben
machen – auf Bewegung, Ausdruck und auf die Begegnung
mit anderen Menschen, vielleicht sogar mit Menschen, die
schon einmal Ähnliches erlebt haben wie Sie. Dieses Buch ist
ein Begleiter, aber nur einer von vielen. Und es ist möglich,
dass es Sie auch dann noch begleitet, wenn Sie sich nicht
mehr als trauernd bezeichnen. Im besten Fall weckt es in
Ihnen eine Ahnung, die ungefähr so lauten könnte: Die gro-
ßen Fragen der Trauer unterscheiden sich gar nicht so sehr
von den großen Fragen, die uns das Leben allgemein stellt.
Worin besteht eigentlich der Sinn des Lebens? Auch diese
Frage beantworte ich – auf meine Weise – in diesem Buch.
An dieser Stelle möchte ich allerdings mein großes Vorbild
Viktor Frankl zitieren: »Der Sinn des Lebens, haben wir
gesagt, sei nicht zu erfragen, sondern zu beantworten, in-
dem wir das Leben verantworten. Daraus ergibt sich aber,
dass die Antwort jeweils nicht in Worten, sondern in der
Tat, durch ein Tun zu geben ist. Auch das Leben fragt uns
nicht in Worten, sondern in Form von Tatsachen, vor die
wir gestellt werden, und wir antworten ihm auch nicht in
Worten, sondern in Form von Taten, die wir setzen.«
Wir, die wir trauern, wissen nur zu gut, wie eng die gro-
ßen Fragen der Trauer mit dem zusammenhängen, was wir
im Leben tun. Zu Beginn wird uns das vor allem auf
schmerzhafte Weise bewusst. Denn oft ist es gerade der
scheinbar banale Alltag, der uns die größten schmerzhaf-
testen Fragen stellt. Bin das jetzt ich? Was brauche ich? Ist
mir überhaupt zu helfen? Mitten im Leben versuchen wir,
Schritt zu halten mit den anderen, die keinen K.-o.-Schlag
verdauen müssen wie wir. Tapfer kämpfen wir uns durch
den Dschungel der Behördengänge, Formulare und profa-
nen Agenden des Hinterbliebenseins. Wir stammeln und
ringen um Worte, wenn man uns fragt, wie es uns geht. Wir
stehen bei IKEA und merken plötzlich, dass diese Pakete
ganz leicht waren, als wir noch vier Hände hatten, und
dass die gleichen Pakete jetzt auf einmal schwer sind wie
Blei. Wir holen einen halben Laib verschimmeltes Brot aus
der Dose und weinen – nicht um die verdorbene Krume,
sondern um ein ganzes Leben, in dem niemals ein Laib Brot
schlecht wurde und in dem das Essen grundsätzlich viel
besser schmeckte. »Was hast du?«, fragt man uns. Wir kön-
nen es nicht sagen, es wäre zu viel, zu tief, zu kompliziert.
Wir haben von sehr vielem, was zu unserem neuen Le-
ben gehört, keine Ahnung. Wir leben trotzdem und hoffen,
dass wir jemanden finden, der uns nicht nur Taschentücher
reicht, sondern die tiefe Tragödie hinter den scheinbar klei-
nen Ereignissen versteht. Wir beten darum, dass jemand
kommt und uns einen Teller Suppe vor die Nase stellt, die
Glühbirne einschraubt und das Auto zum Service bringt.
Dieser Jemand ... vielleicht versteht er sogar, dass wir es
manchmal selbst sehr komisch finden, wenn uns etwas auf
geniale Weise misslingt, und auch, dass wir mitten im La-
chen auf einmal wieder zu weinen beginnen, ohne genau zu
wissen, warum.
Weinen und lachen. Zurückschauen und vorwärtsgehen.
Sich verstecken und Neues wagen. Trauern ... und glück-
lich sein. Ist das wirklich möglich? Die Antworten, die ich
in diesem Buch gebe, bekennen sich zum Leben und zur
Hoffnung auf das Glück. Sie entwickeln sich langsam. Sie
stammen aus meiner Erfahrung mit hilflosen, strengen oder
gutmütigen Freunden, mit klugen Begleitern und Helfern.
Und nicht zuletzt aus der Erfahrung mit mir selbst, in allen
möglichen Lebenslagen. Sie schöpfen aus meiner Vergan-
genheit als Mutter und Ehefrau ebenso wie aus der Zeit
meiner tiefsten Trauer und auch aus meinem aktuellen Le-
ben in neuem Beruf und in neuer Beziehung.
Sie sind immer wieder lebendig, praktisch, aufs Leben
bezogen. Andererseits greife ich oft zu Metaphern, Gedich-
ten und Geschichten, vor allem, wenn es darum geht, Un-
sagbares zu umkreisen. Die Sprache der Bilder hilft uns,
behutsam zu bleiben und uns auf Zehenspitzen an jene
Themen heranzutasten, die uns am meisten betreffen – als
Trauernde, aber vor allem als fühlende Menschen, die er-
lebt und erfahren haben, wie wertvoll und zerbrechlich das
ist, was wir Leben nennen.
Ich hoffe, dass mein Buch dazu beitragen kann, Ihnen
den Tanz durch die Grenzgebiete am Rande unserer Exis-
tenz ein wenig zu erleichtern. Ich glaube an die transfor-
mierende Kraft der Trauer. Zugleich glaube ich auch daran,
dass eine Zeit der Trauer irgendwann zu Ende gehen darf.
Es darf wieder gut werden in einem Leben, das anders ist
als vorher – nicht nur, weil jemand fehlt, sondern vor al-
lem, weil wir uns verändert haben, weil wir durch die Be-
gegnung mit dem Tod gewachsen sind. Dieses Buch lädt Sie
ein zu erkennen, was Sie durch die Trauer um Ihren gelieb-
ten Menschen gewinnen können. Lassen Sie uns mit dem
Ausflug beginnen, einem Ausflug
in die Welt meiner persönlichen Geschichten, Gedanken
und Bilder. Erkunden wir, was die Trauer uns fragt, und
machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach Antworten.
Die letzte, größte, für immer wahre Antwort, die werden
Sie in diesem Buch nicht finden. Nicht, weil es sie nicht
gibt. Sondern weil die tröstende, letztgültige Wahrheit
schon längst am besten Ort der Welt bereitliegt: mitten in
Ihrem Herzen – an einem Platz, zu dem Worte einfach kei-
nen Zugang haben. Möge mein Buch ein kleiner Schlüssel
sein, der Ihnen die Tür zum geheimen Raum Ihrer eigenen
Antworten öffnet. Vielleicht ist es der erste – vielleicht aber
auch der letzte, der noch nötig ist, um einzutreten.
© Integral
»Warum tut das so weh? Warum tut das nur so
Wahnsinnig weh!?«
Das war die erste große Frage. Die ersten Worte, mit
denen meine Trauer ihre Sprachlosigkeit endlich durch-
brach. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem sie, ohne
sich vorher anzukündigen, aus mir herausplatzten: der
siebzehnte Tag nach dem Unfall – mein Mann, mein Sohn
und meine kleine Tochter waren am Gründonnerstag 2008
von einem Zug überfahren worden. Seit mehr als zwei Wo-
chen waren sie nun schon tot. Und ich? Eben noch Mama
von zwei kleinen Kindern. Clown von Beruf, Botschafterin
der Lebensfreude. Eine junge Frau in der besten Zeit ihres
Lebens. Und jetzt, auf einmal: Witwe. Verwaiste Mutter.
Allein.
Was ich erleben musste, klingt brutal. Wenn ich heute
Menschen davon berichte, was mir im Jahr 2008 gesche-
hen ist, treten vielen von ihnen die Tränen in die Augen, sie
beginnen, schwer zu schlucken, und schauen drein, als
wäre ihnen ein Ziegelstein in den Bauch gefallen. Ich versu-
che dann zu erklären, dass ich diese Zeit direkt nach dem
Tod meiner Familie ganz und gar nicht als brutal empfand.
Im Gegenteil: Ich schwebte in einer Blase, irgendwo zwi-
schen Himmel und Erde, ich fühlte mich geborgen, lebte in
einer Traumwelt, in der ich mich eingerichtet hatte, um zu
überleben. Meine tote Familie und ich, wir waren einander
nah, und alles schien mir gut – zumindest solange ich nicht
vor die Tür gehen musste.
Irgendwie gelang es mir, die Beerdigung zu organisieren,
sofort danach aber verkroch ich mich wieder in mein Bett.
Ich wollte nicht reden, nichts gefragt werden und schon gar
nichts antworten. Mein Kopf sollte leer und frei sein, damit
ich mich jederzeit in den Himmel träumen konnte. »Es
geht mir gut«, antwortete ich auf die SMS meiner Freun-
dinnen – und glaubte mir selbst. Ich wollte, dass alles so
blieb, wie es war. Sicher, geborgen hinter verschlossener
Tür. Am besten ganz ohne Worte, still und stumm. Einsam
fühlte ich mich nicht. Doch die, die außen standen, ahnten
bald die drohende Gefahr meiner Isolation. Heute bin ich
froh, dass sie die Initiative ergriffen.
Es war meine Clownkollegin Sophie, die mich als Erste
aus meiner Höhle lockte. Sie rief an, um zu fragen, ob sie
mich zu einem Waldspaziergang abholen dürfe. Ich sagte Ja.
Nicht, weil ich Lust darauf hatte – mir fiel bloß so schnell
kein Grund dagegen ein. Eine halbe Stunde später waren
wir bereits unterwegs. Wir stapften eine Zeit lang querfeld-
ein durchs Unterholz, Sophie voran, ich hinterher, wie in
Trance. Kein äußerer Betrachter hätte erkannt, dass wir bei-
de nicht allein waren. Doch der Tod war mit uns gekom-
men, und alles, was wir miteinander sprachen, musste vor
seinem unsichtbaren Antlitz bestehen. Unsere Schritte wa-
ren bestimmt, der Weg durch den Wald vertraut. Die Worte,
die wir suchten, tanzten hingegen wie auf Eierschalen.
Wir erreichten eine Lichtung und setzten uns ins Gras.
Die Sonne schien, ein Schmetterling flatterte neben uns und
ließ sich in aller Ruhe auf einen Löwenzahn nieder. Ich
schaute empfindungslos durch ihn hindurch. Sophie ver-
suchte mich aufzumuntern. »Ich glaube, im Himmel haben
die immer solche Tage wie heute. Hör mal, wie schön die
Vögel singen. Ich kann mir gut vorstellen, wie Heli da drü-
ben auf seiner Wolke mitträllert, was meinst du? Vermut-
lich spielt er sogar auf seiner Ukulele.«
Ich lächelte, dankbar für das, was meine Freundin da
sagte. Ja, genauso stellte auch ich mir den Himmel vor.
Glücklich, lebendig, frei. Ich hielt mein Gesicht in die war-
me Sonne und lauschte den Vögeln. Zum ersten Mal seit
langer Zeit atmete ich bis in meinen Bauch hinein. Und da,
von einem Moment auf den anderen, schlug meine Stim-
mung um. Das Glück des Himmels war verschwunden. In
mir tobte eine Feuersbrunst. Da war sie: die erste Begeg-
nung mit dem Urschmerz der Trauer.
»Warum tut das nur so weh?«
Die einfache Antwort war mir klar, schon damals, im
Wald. Natürlich: Wir weinen um unsere Toten, weil wir sie
vermissen. Wir lieben sie, aber sie sind nicht mehr da. Die
Sehnsucht brennt wie Feuer. Klar tut das weh.
Sophie hat diese naheliegenden Gedanken nicht ausge-
sprochen. Sie wusste: Es war nicht wichtig. Viel wichtiger
war es, zu schweigen und einfach auszuhalten, was ge-
schah. Meine Freundin hielt still, sie blieb bei mir, bis ich
meine Frage hundertmal wiederholt hatte, in allen Tonar-
ten, jammernd, vorwurfsvoll, gepresst, gequält, voll Selbst-
mitleid. Sophie hielt durch, so lange, bis mein Schmerzan-
fall verklungen war und ich keine gesabberten Worte mehr
brauchte, um mich zu entladen.
Bis heute ist Sophie als Freundin bei mir geblieben. Sie
begleitet mich auf der Achterbahn meiner Gefühle, sie lacht
mit mir, wenn ich mich mit waghalsigen Plänen am Leben
versuche, sie erträgt die Stille und auch die immer wieder-
kehrende, unendlich tiefe Frage nach dem Sinn. Immer wie-
der hat mir Sophie ihr Ohr geschenkt, und sie hörte nicht
nur das, was ich sagte, sondern auch das, was ich zu sagen
versuchte. Sie versteht es gut, so lange zu warten, bis mein
Herz seine eigenen Antworten findet und mein Mund in
der Lage ist, sie zu formulieren.
Dieses Buch schreibe ich als Dank an Sophie – und all
die anderen Frauen und Männer, die mir dabei geholfen
haben, über den Tod und mein Leben nach, nein, mein Le-
ben mit dem Tod nachzudenken. Ich schreibe es für alle, die
selbst Fragen stellen, die weinen und manches Mal ver-
zweifelt sind. Ich schreibe dieses Buch für Sie, wenn Sie ei-
nen geliebten Menschen verloren haben. Und für die Men-
schen, die Sie begleiten, in Gesprächen, aber auch in der
Stille der Sprachlosigkeit.
Trauer macht stumm. Um das Schweigen zu durchbre-
chen, brauchen Sie und auch Ihre Begleiter großen Mut,
Fettnäpfchen und Missverständnisse gehören dazu. Viel-
leicht kann dieses Buch Ihnen Worte schenken für das, was
Sie fühlen und erleben. Vielleicht kann es Ihren Begleitern
ein Bild davon vermitteln, wie es Ihnen geht, und den Men-
schen in Ihrer Umgebung erklären, warum Trauernde sich
nicht immer so verhalten, wie man es von ihnen erwartet.
Natürlich maße ich mir nicht an, zu wissen, wie es in
Ihrem Inneren aussieht. Möglicherweise möchten Sie mir
an der einen oder anderen Stelle sogar heftig widerspre-
chen, weil Sie ganz anders denken und fühlen als ich. Oft
ist es gerade der Widerspruch, der uns als Trampolin dient,
von dem wir uns abstoßen und in Bewegung kommen. Da,
wo wir widersprechen, sprechen wir immerhin.
Dieses Buch enthält meine persönlichen Antworten auf die
großen Fragen der Trauer. Ich erzähle Ihnen, was ich mei-
ner Trauer heute sage, wenn sie mich wieder einmal fragt,
warum meine Kinder sterben mussten, wo ihr Leben doch
gerade erst begonnen hatte. Was ich meiner Angst antwor-
te, wenn sie mir weismachen will, dass die Erinnerung an
meine Familie langsam verblasst. Ich will Sie in die Gedan-
ken einweihen, die mir helfen, den Schmerz meiner Trauer
besser zu ertragen. Und ich lade Sie ein, mit mir gemeinsam
zu fragen: Können wir auch nach schmerzhaften, existen-
ziellen Verlusten eines Tages wieder glücklich sein?
Wo bist du? Wie soll ich den Schmerz ertragen? Warum
musstest du sterben? Kann ich jemals wieder glücklich
sein?
So lauten einige der Fragen, die ich in diesem Buch
behandle. Ich habe jene Fragen ausgewählt, die mich im-
mer wieder besuchten, die nachts in meinem Kopf herum-
spukten und sich jedem Versuch, sie mit einfachen Mitteln
abzuspeisen, widersetzten. Gerade deshalb wurden mir die-
se Fragen im Lauf der Zeit zu einer Quelle vielfältiger Ins-
piration.
Natürlich gibt es auf jede dieser Fragen schnelle, einfa-
che Antworten. Sie rutschen leicht über die Lippen – aber
kaum jemals kommen sie da an, wo wir sie wirklich brau-
chen: im Herzen, im Bauch und in unserer verletzten Seele,
die um Hilfe ruft. Wenn wir trauern, dürfen wir lernen,
geduldig zu sein, mit uns und mit dem Leben, das uns Ant-
wort gibt. Wir müssen, ja, wir sollen die großen Rätsel
nicht sofort auflösen. Sie sind zu wertvoll, um allzu schnell
abgehakt zu werden. Die Fragen der Trauer sind ein Schatz,
eine wichtige Wegzehrung. Wir brauchen sie dringend als
Begleiter auf dem Weg zu uns selbst.
Ich habe im Lauf der letzten Jahre gelernt, die Fragen
auszuhalten. Mit ihnen zu leben, als wären sie Gäste in
meinem Haus. Dabei bin ich immer wieder auf neue, über-
raschende Antworten gestoßen. Kleine, zerbrechliche,
durchsichtig poetische – aber auch tragfähige Antworten,
die das Fundament meines Lebens stabiler werden ließen
als je zuvor. Ich fand sie nicht, indem ich grübelte. Ich
musste vor die Tür gehen und mich dem Leben anvertrau-
en. Erst in der Begegnung mit der Welt entdeckte ich Meta-
phern, Geschichten und Parabeln, durch die ich Einsicht
gewann. In der Auseinandersetzung mit meiner Gegenwart
erkannte ich den Sinn dessen, was in der Vergangenheit ge-
schehen war. Ich lebte, und ich ließ mir Zeit.
Viele Knoten in Kopf und Bauch lösten sich erst, als ich
mir erlaubte, durchs Leben zu schlendern, Umwege zu ma-
chen und weite Kreise zu ziehen. Nach und nach befreite
ich mich von vielen Ansprüchen, die ich an mich selbst und
an das Leben gestellt hatte. Wer ungeduldig zieht und zerrt,
kann die leisen, zart schwingenden Antworten nicht hören.
Doch wenn wir dem Leben auf milde, wohlwollende Weise
die Hand reichen, können wir uns letztlich sogar mit dem
Tod versöhnen.
Oft treffe ich bei meinen Vorträgen und Lesereisen Men-
schen, die verunsichert sind, wenn es um die Begegnung
mit Trauernden geht. »Was kann ich bloß sagen? Wie kann
ich trösten?«, fragen sie. Sie sehnen sich insgeheim nach
Rezepten, nach Zauberworten, mit denen sie die Tränen
und die ratlose Erstarrung verscheuchen können. Solche
Zauberformeln kann ich nicht anbieten – und es erschiene
mir auch gar nicht sinnvoll. Trauer ist keine Krankheit, die
es zu heilen gilt, und auch kein seltsamer Spuk, den man
bekämpfen muss. Es ist nicht nötig, sie wegzutrösten oder
wegzuschnäuzen. Trauer ist mehr, Trauer kann mehr. Trau-
er ist eine wunderbare Fähigkeit, die uns Menschen ange-
boren ist. Leider nutzen wir sie viel zu selten, da, wo sie uns
im Kleinen gern zu Hilfe kommen würde. Wir neigen dazu,
sie zu verdrängen, wir lenken uns ab, schützen uns, wo es
nur geht, vor dem Gefühl der Vergänglichkeit, das beim
ersten Kosten ziemlich bitter schmeckt.
Meist ist es der Tod eines geliebten Menschen, der unsere
Fähigkeit zu trauern schließlich wiedererweckt. Anfangs tut
es schrecklich weh, nicht zuletzt, weil wir merken, wie viel
wir verlernt haben, während wir verdrängten. Ungeduldig
und enttäuscht von uns selbst würden wir das Trauern –
wenn es schon sein muss – am liebsten möglichst effi-
zient hinter uns bringen. Erst wenn das nicht klappt, wenn wir
hängen bleiben und nicht so weiterkommen, wie wir es uns
wünschen, beginnen wir, unsere Muster zu überdenken. Und
genau hier liegt die Chance, den wahren Wert der Trauer zu
erkennen. Unsere Seele zeigt sich dankbar, sie nimmt unsere
Tränen entgegen und saugt sie auf wie eine Pflanze den Re-
gen nach langer Dürre. Mit etwas Mut lernen wir überra-
schend schnell. Wir werden wieder berührbar und beginnen
uns an das zu erinnern, was im Grunde schon immer in uns
steckt: ein tiefes Wissen, ein uraltes Vertrauen, viele unge-
weinte Tränen – aber auch eine ganz besondere Art von Le-
bendigkeit, in der es Platz gibt für vieles, sogar für den
Schmerz. Ich habe dieses Buch geschrieben, um Sie bei der
Erinnerung an diese Lebendigkeit zu unterstützen.
Das einzige Mittel, das mir dabei zur Verfügung steht,
sind die Worte. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, lebendige
Worte zu finden – Worte, die Sie nicht nur im Denken an-
sprechen, sondern auch in der Art, wie Sie Ihrem Leben ak-
tiv und handelnd begegnen können. So wünsche ich mir,
dass dieses Buch immer wieder auf Ihrem Nachtkästchen
liegen bleibt, weil Sie gerade keine Zeit zum Lesen haben.
Ich hoffe, dass meine Geschichten vor allem Lust aufs Leben
machen – auf Bewegung, Ausdruck und auf die Begegnung
mit anderen Menschen, vielleicht sogar mit Menschen, die
schon einmal Ähnliches erlebt haben wie Sie. Dieses Buch ist
ein Begleiter, aber nur einer von vielen. Und es ist möglich,
dass es Sie auch dann noch begleitet, wenn Sie sich nicht
mehr als trauernd bezeichnen. Im besten Fall weckt es in
Ihnen eine Ahnung, die ungefähr so lauten könnte: Die gro-
ßen Fragen der Trauer unterscheiden sich gar nicht so sehr
von den großen Fragen, die uns das Leben allgemein stellt.
Worin besteht eigentlich der Sinn des Lebens? Auch diese
Frage beantworte ich – auf meine Weise – in diesem Buch.
An dieser Stelle möchte ich allerdings mein großes Vorbild
Viktor Frankl zitieren: »Der Sinn des Lebens, haben wir
gesagt, sei nicht zu erfragen, sondern zu beantworten, in-
dem wir das Leben verantworten. Daraus ergibt sich aber,
dass die Antwort jeweils nicht in Worten, sondern in der
Tat, durch ein Tun zu geben ist. Auch das Leben fragt uns
nicht in Worten, sondern in Form von Tatsachen, vor die
wir gestellt werden, und wir antworten ihm auch nicht in
Worten, sondern in Form von Taten, die wir setzen.«
Wir, die wir trauern, wissen nur zu gut, wie eng die gro-
ßen Fragen der Trauer mit dem zusammenhängen, was wir
im Leben tun. Zu Beginn wird uns das vor allem auf
schmerzhafte Weise bewusst. Denn oft ist es gerade der
scheinbar banale Alltag, der uns die größten schmerzhaf-
testen Fragen stellt. Bin das jetzt ich? Was brauche ich? Ist
mir überhaupt zu helfen? Mitten im Leben versuchen wir,
Schritt zu halten mit den anderen, die keinen K.-o.-Schlag
verdauen müssen wie wir. Tapfer kämpfen wir uns durch
den Dschungel der Behördengänge, Formulare und profa-
nen Agenden des Hinterbliebenseins. Wir stammeln und
ringen um Worte, wenn man uns fragt, wie es uns geht. Wir
stehen bei IKEA und merken plötzlich, dass diese Pakete
ganz leicht waren, als wir noch vier Hände hatten, und
dass die gleichen Pakete jetzt auf einmal schwer sind wie
Blei. Wir holen einen halben Laib verschimmeltes Brot aus
der Dose und weinen – nicht um die verdorbene Krume,
sondern um ein ganzes Leben, in dem niemals ein Laib Brot
schlecht wurde und in dem das Essen grundsätzlich viel
besser schmeckte. »Was hast du?«, fragt man uns. Wir kön-
nen es nicht sagen, es wäre zu viel, zu tief, zu kompliziert.
Wir haben von sehr vielem, was zu unserem neuen Le-
ben gehört, keine Ahnung. Wir leben trotzdem und hoffen,
dass wir jemanden finden, der uns nicht nur Taschentücher
reicht, sondern die tiefe Tragödie hinter den scheinbar klei-
nen Ereignissen versteht. Wir beten darum, dass jemand
kommt und uns einen Teller Suppe vor die Nase stellt, die
Glühbirne einschraubt und das Auto zum Service bringt.
Dieser Jemand ... vielleicht versteht er sogar, dass wir es
manchmal selbst sehr komisch finden, wenn uns etwas auf
geniale Weise misslingt, und auch, dass wir mitten im La-
chen auf einmal wieder zu weinen beginnen, ohne genau zu
wissen, warum.
Weinen und lachen. Zurückschauen und vorwärtsgehen.
Sich verstecken und Neues wagen. Trauern ... und glück-
lich sein. Ist das wirklich möglich? Die Antworten, die ich
in diesem Buch gebe, bekennen sich zum Leben und zur
Hoffnung auf das Glück. Sie entwickeln sich langsam. Sie
stammen aus meiner Erfahrung mit hilflosen, strengen oder
gutmütigen Freunden, mit klugen Begleitern und Helfern.
Und nicht zuletzt aus der Erfahrung mit mir selbst, in allen
möglichen Lebenslagen. Sie schöpfen aus meiner Vergan-
genheit als Mutter und Ehefrau ebenso wie aus der Zeit
meiner tiefsten Trauer und auch aus meinem aktuellen Le-
ben in neuem Beruf und in neuer Beziehung.
Sie sind immer wieder lebendig, praktisch, aufs Leben
bezogen. Andererseits greife ich oft zu Metaphern, Gedich-
ten und Geschichten, vor allem, wenn es darum geht, Un-
sagbares zu umkreisen. Die Sprache der Bilder hilft uns,
behutsam zu bleiben und uns auf Zehenspitzen an jene
Themen heranzutasten, die uns am meisten betreffen – als
Trauernde, aber vor allem als fühlende Menschen, die er-
lebt und erfahren haben, wie wertvoll und zerbrechlich das
ist, was wir Leben nennen.
Ich hoffe, dass mein Buch dazu beitragen kann, Ihnen
den Tanz durch die Grenzgebiete am Rande unserer Exis-
tenz ein wenig zu erleichtern. Ich glaube an die transfor-
mierende Kraft der Trauer. Zugleich glaube ich auch daran,
dass eine Zeit der Trauer irgendwann zu Ende gehen darf.
Es darf wieder gut werden in einem Leben, das anders ist
als vorher – nicht nur, weil jemand fehlt, sondern vor al-
lem, weil wir uns verändert haben, weil wir durch die Be-
gegnung mit dem Tod gewachsen sind. Dieses Buch lädt Sie
ein zu erkennen, was Sie durch die Trauer um Ihren gelieb-
ten Menschen gewinnen können. Lassen Sie uns mit dem
Ausflug beginnen, einem Ausflug
in die Welt meiner persönlichen Geschichten, Gedanken
und Bilder. Erkunden wir, was die Trauer uns fragt, und
machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach Antworten.
Die letzte, größte, für immer wahre Antwort, die werden
Sie in diesem Buch nicht finden. Nicht, weil es sie nicht
gibt. Sondern weil die tröstende, letztgültige Wahrheit
schon längst am besten Ort der Welt bereitliegt: mitten in
Ihrem Herzen – an einem Platz, zu dem Worte einfach kei-
nen Zugang haben. Möge mein Buch ein kleiner Schlüssel
sein, der Ihnen die Tür zum geheimen Raum Ihrer eigenen
Antworten öffnet. Vielleicht ist es der erste – vielleicht aber
auch der letzte, der noch nötig ist, um einzutreten.
© Integral
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Autoren-Porträt von Barbara Pachl-Eberhart
Pachl-Eberhart, Barbara Die gebürtige Wienerin studierte Querflöte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, ehe sie neun Jahre lang als Rote-Nasen-Clowndoctor Kinder durch den Krankenhausalltag begleitete. Heute leitet sie Seminare und Fortbildungen im Bereich der Dialogkreisarbeit, der Trauer- und Sterbebegleitung und der kreativ-konstruktiven Lebensgestaltung.
Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Pachl-Eberhart
- 2015, 4. Aufl., 256 Seiten, Maße: 12,5 x 20 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: INTEGRAL
- ISBN-10: 3778792539
- ISBN-13: 9783778792537
- Erscheinungsdatum: 18.09.2014
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