Was das Herz will
Roman
Hope Dunne ist eine erfolgreiche New Yorker Fotografin. Nach zwei schweren Schicksalsschlägen hat sie endlich zurück ins Leben gefunden und ist glücklich als Single. Erfüllung findet sie in ihrer Arbeit. Als sie ein Porträt des Schriftstellers Finn O'Neill...
Leider schon ausverkauft
Taschenbuch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Was das Herz will “
Klappentext zu „Was das Herz will “
Hope Dunne ist eine erfolgreiche New Yorker Fotografin. Nach zwei schweren Schicksalsschlägen hat sie endlich zurück ins Leben gefunden und ist glücklich als Single. Erfüllung findet sie in ihrer Arbeit. Als sie ein Porträt des Schriftstellers Finn O'Neill anfertigen soll, erobert der charmante Ire ihr Herz im Nu. Hope scheint ihren Traummann gefunden zu haben. Bis sie nach und nach feststellt, dass er von einem Lügengeflecht umgeben ist. Es dauert nicht lange, und Hopes Traum beginnt sich in einen Albtraum zu verwandeln.
Lese-Probe zu „Was das Herz will “
Was das Herz will von Danielle Steel1. Kapitel
... mehr
Hope Dunn ging durch den geräuschlos fallenden Schnee die Prince Street in Soho entlang. Es war sieben Uhr abends. Die Läden hatten gerade geschlossen, und die übliche Geschäftigkeit verebbte allmählich. Seit zwei Jahren lebte Hope in diesem angesagten Stadtteil von New York. Sie fühlte sich hier wohler als in Uptown. Soho war voller junger Menschen, und wann immer sie ihr Loft verließ, gab es etwas zu sehen, traf man jemanden zum Reden, herrschte Leben auf den Straßen.
Es war Dezember, und überall in den Schaufenstern funkelten Lichter. In einer Woche war Weihnachten, die Zeit des Jahres, die Hope am wenigsten mochte. Wie in den vorherigen Jahren würde sie die Feiertage deshalb auch dieses Jahr einfach ignorieren und darauf warten, dass sie vorbeigingen. In den letzten beiden Jahren hatte sie in einem Obdachlosenasyl gearbeitet. Im Jahr davor war sie lange in Indien gewesen, wo Weihnachten nicht gefeiert wurde. Als sie anschließend in die Staaten zurückkehrte, kam das einem Kulturschock gleich. Im Vergleich zu Indien erschien ihr hier alles oberflächlich und kommerziell.
Ihre Zeit in Indien hatte ihr Leben nicht nur verändert, sondern vermutlich auch gerettet. Es war hart gewesen, sich nach den sechs Monaten dort wieder an das amerikanische Leben zu gewöhnen. Ihren ganzen Besitz lagerte sie ein und zog von Boston nach New York. Es spielte keine große Rolle, wo sie lebte. Hope war Fotografin und nahm ihre Arbeit überallhin mit. Die Fotos, die sie in Tibet und Indien gemacht hatte, wurden derzeit in einer renommierten Galerie in Uptown gezeigt. Einige ihrer anderen Bilder hingen in Museen. Ihre Arbeiten wurden oft mit denen von Diane Arbus verglichen. Hope porträtierte Elend und Zerstörung. Das Leid in den Augen der Menschen zerriss dem Betrachter förmlich das Herz. Genauso betroffen war sie selbst beim Fotografieren dieser Menschen gewesen. Obwohl Hopes Arbeiten höchstes Ansehen genossen, deutete nichts an ihrem Verhalten und Auftreten darauf hin, dass sie berühmt war.
Hope hatte ihr gesamtes Leben als Beobachterin verbracht, als Chronistin des menschlichen Befindens. Ihre Arbeiten aus der Zeit in Indien und Tibet bestätigten das. Beim Fotografieren war Hope Dunne nahezu unsichtbar, andererseits besaß sie ungeheure Präsenz. Innerlich war sie stark und strahlend, füllte mit ihrer Anwesenheit scheinbar einen Raum. Jetzt lächelte sie die junge Frau an, die ihr entgegenkam, während sie durch die verschneite Prince Street ging. Hope hatte große Lust auf einen langen Spaziergang im Schnee und nahm sich das für später vor. Sie lebte nach keinem festen Stundenplan und war niemandem Rechenschaft schuldig. Einer der Vorteile ihres einsamen Lebens bestand in der Freiheit, tun und lassen zu können, wozu sie Lust hatte. Sie war eine unabhängige Frau, aber sehr diszipliniert, was ihre Arbeit und den Umgang mit ihren Motiven anging. Manchmal stieg sie in die U-Bahn, fuhr hinauf nach Harlem, wanderte in Jeans und T-Shirt durch die Straßen und fotografierte die Kinder. Sie hatte auch eine längere Zeit in Südamerika verbracht und dort vor allem alte Menschen fotografiert. Sie ging, wohin ihre Lust sie trieb, und kommerzielle Aufträge übernahm sie kaum noch. Gelegentlich machte sie Modeaufnahmen für Vogue, aber nur, wenn das Layout besonders ausgefallen war. Der größte Teil ihrer Arbeit für Zeitschriften bestand in den Porträts bekannter Menschen, die sie für interessant hielt. Sie hatte ein bemerkenswertes Buch mit solchen Porträts veröffentlicht, ein weiteres mit Kinderfotos, und bald würde ein Buch mit ihren Fotos aus Indien erscheinen.
Sie war in der glücklichen Lage, tun zu können, was ihr gefiel, sie konnte sich ihre Aufträge aussuchen. Und obwohl sie gern Menschen porträtierte, übernahm sie auch solche Aufträge nur noch selten. Sie konzentrierte sich lieber auf die Fotografien, die sie auf ihren Reisen oder auf der Straße machte.
Hope war eine zierliche Frau mit Porzellanteint und pechschwarzem Haar. Als sie noch klein war, hatte ihre Mutter sie immer damit aufgezogen, dass sie aussähe wie Schneewittchen. Sie hatte tatsächlich etwas Märchenhaftes an sich, war zart wie eine Elfe, ein scheinbar schwereloses Wesen, das in die winzigsten Ecken und Nischen passte und unbemerkt bleiben konnte. Das Auffälligste an ihr waren die tiefblauen Augen. Sie schimmerten mit einem Hauch Violett, wie die Saphire aus Burma oder Ceylon, und waren voller Mitgefühl für das Elend dieser Welt, das sie gesehen hatten. Wer in ihre Augen blickte, wusste sofort, dass diese Frau Leid erfahren hatte, es jedoch mit Würde und Anmut ertrug. Sie war keine Buddhistin, teilte jedoch die philosophischen Ansichten der Buddhisten, nicht gegen das Schicksal anzukämpfen, sondern sich treiben zu lassen, es dem Leben zu gestatten, sie von einer Erfahrung zur nächsten zu tragen. Es war diese Tiefgründigkeit und Weisheit, die bei ihren Arbeiten durchschimmerte. Hope akzeptierte das Leben so, wie es war, statt damit zu ringen und es verändern zu wollen, was doch nie gelingen würde. Sie war sogar bereit, loszulassen, was sie einmal sehr geliebt hatte. Das war das Schwierigste von allem. Und je länger sie lebte und arbeitete, desto demütiger wurde sie. Ein Mönch, dem sie in Tibet begegnet war, hatte sie die »Heilige Frau« genannt. Das war sie tatsächlich, obwohl sie keiner Kirche angehörte. Wenn sie an etwas glaubte, dann an das Leben, und sie ergriff es mit zarten Händen. Sie war wie das starke Schilfrohr, das sich im Wind neigt, ohne zu brechen.
Als sie die Haustür ihres Wohnhauses erreichte, begann es stärker zu schneien. Hope trug eine Kameratasche über der Schulter. Darin befanden sich auch ihre Haustürschlüssel und die Brieftasche. Sonst hatte sie nichts dabei. Außer gelegentlich einem leuchtend roten Lippenstift benutzte sie kein Make-up. Das ließ sie noch stärker wie Schneewittchen aussehen. Das fast blauschwarze Haar trug sie entweder zu einem Pferdeschwanz gebunden, geflochten oder zu einem Chignon hochgesteckt. Wenn sie es offen trug, reichte es ihr bis zur Taille. Ihre anmutigen Bewegungen und ihre glatte, straffe Haut ließen sie wie ein junges Mädchen wirken. Laut ihrer Biografie war sie vierundvierzig Jahre alt, aber es war schwer, ihr Alter zu schätzen, und man hielt sie leicht für wesentlich jünger. Sie war so zeitlos wie die Motive ihrer Fotografien. Wer sie sah, wäre am liebsten stehen geblieben und hätte sie lange angeschaut. Um ihre Motive nicht abzulenken, kleidete sie sich fast immer in Schwarz oder in heißen Regionen in Weiß.
Nachdem sie die Haustür aufgeschlossen hatte, stieg sie rasch die Treppe hinauf in die zweite Etage. Sie fror und war froh, endlich zu Hause zu sein. Obwohl die Wände ihres Lofts sehr hoch und die großen Fenster nicht gut isoliert waren, herrschte drinnen eine angenehme Wärme. Hope schaltete das Licht ein und erfreute sich wie jedes Mal an der spartanischen Ausstattung. Der Zementboden war schwarz gestrichen. Die weißen Sofas und die einladenden Sessel mit elfenbeinfarbenen Stoffbezügen passten perfekt dazu. Nichts wirkte aufdringlich. Es war beinahe so schlicht wie Zen. An den Wänden hingen riesige schwarzweiße Fotos, die zu ihren Lieblingsbildern gehörten. Die breiteste Wand war bedeckt mit Fotos einer jungen Ballerina. Das Mädchen war außergewöhnlich schön, ein anmutiger blonder Teenager. Diese Fotoserie gehörte zu Hopes persönlicher Sammlung. An den anderen Wänden hingen viele Fotos von Kindern, einige von Mönchen in dem Aschram in Indien, in dem sie gelebt hatte, und zwei große Porträts von Staatsoberhäuptern.
Das Loft war wie eine Galerie mit ihren Arbeiten, und auf einem langen, weißen Lacktisch standen mit Schaumstoff abgedeckte Tabletts, auf denen ihre sämtlichen Kameras fein säuberlich angeordnet waren wie Operationsbestecke. Bei Bedarf engagierte sie freie Mitarbeiter, ansonsten bevorzugte Hope es jedoch, allein zu arbeiten. Assistenten waren zwar eine große Hilfe, aber sie lenkten auch ab. Ihre Lieblingskamera war eine alte Leica, mit der sie schon seit vielen Jahren arbeitete. In Studios fotografierte sie auch mit einer Hasselblad oder einer Mamiya, aber ihre alte Leica war ihr immer die liebste.
Mit neun Jahren hatte sie angefangen zu fotografieren. Mit siebzehn hatte sie ein Fotografiestudium an der Brown begonnen und es mit einundzwanzig mit Auszeichnung abgeschlossen. Ihre eindrucksvolle Abschlussarbeit war im Mittleren Osten entstanden. Kurz nach dem Examen hatte sie geheiratet und anschließend ein Jahr lang als Mode- und Werbefotografin gearbeitet. Dann hatte sie zwölf Jahre lang pausiert und nur wenige Aufträge angenommen. Seit zehn Jahren arbeitete sie nun wieder und war weltweit zu einer namhaften Fotografin geworden. Als sie achtunddreißig war, zeigte das MOMA in New York ihre Arbeiten. Das war einer der Höhepunkte ihrer Laufbahn.
Hope zündete überall im Loft Kerzen an und dimmte das elektrische Licht. In diesen Raum zu kommen beruhigte sie jedes Mal. Sie schlief auf einer kleinen Galerie, zu der man über eine Leiter gelangte. Oben stand ein schmales Bett. Sie liebte es, auf den Raum hinabzuschauen und beim Einschlafen das Gefühl zu haben, sie würde fliegen. Dieses Loft hatte nichts gemein mit ihrem früheren Leben, und auch das gefiel ihr. Normalerweise ängstigte sie sich vor Veränderungen, aber dieses Mal waren sie willkommen gewesen. Das anzunehmen, wovor sie sich immer am meisten gefürchtet hatte, gab ihr Kraft. Verlust und Veränderung waren ihre Erzfeinde, aber statt vor ihnen davonzulaufen, hatte sie gelernt, ihnen stark und würdevoll entgegenzutreten.
Im hinteren Teil des Lofts gab es eine kleine Küche mit Arbeitsplatten aus schwarzem Granit. Hope wusste natürlich, dass sie regelmäßig etwas essen musste, also fand sie sich früher oder später dort ein und wärmte eine Dosensuppe auf. Meistens war es ihr zu mühsam, eine komplette Mahlzeit zuzubereiten. Sie ernährte sich von Suppen, Salaten und Eiern. Hin und wieder ging sie allein in irgendein einfaches Restaurant und aß schnell, um es hinter sich zu bringen. Sie war nie eine gute Köchin gewesen und konnte sich auch heute nicht dafür begeistern. Sie hatte das Kochen immer als Zeitverschwendung angesehen. Es gab so viele andere Dinge, die sie mehr interessierten - früher vor allem ihre Familie, und nun war es die Arbeit. Während der letzten drei Jahre war die Arbeit zu ihrem Lebensinhalt geworden.
Hope aß gerade ihre Suppe und sah zu, wie draußen der Schnee fiel, als ihr Telefon klingelte. Sie stellte den Teller ab und fischte das Handy aus der Kameratasche. Sie hatte keinen Anruf erwartet, freute sich aber, als sie die vertraute Stimme ihres Agenten Mark Webber erkannte.
»Hey, wo steckst du gerade? In welcher Zeitzone? Habe ich dich etwa geweckt?«, begrüßte er sie. Hope lachte und setzte sich auf die Couch. Mike war ihr Agent, seit sie vor zehn Jahren wieder angefangen hatte zu arbeiten. Für gewöhnlich versuchte er, ihr kommerzielle Aufträge schmackhaft zu machen. Allerdings hegte er auch tiefen Respekt für ihre Bestrebungen als ernstzunehmende Künstlerin. Immer wieder sagte er ihr, dass sie eines Tages eine der bedeutendsten amerikanischen Fotografinnen ihrer Generation sein würde. In vielerlei Hinsicht war sie das bereits und genoss hohes Ansehen bei Kuratoren und Kollegen.
»Ich bin in New York«, antwortete sie lächelnd. »Und du hast mich nicht geweckt.«
»Du enttäuschst mich. Ich dachte, du wärst in Nepal oder Vietnam oder an irgendeinem furchterregenden, abscheulichen Ort. Dass du hier bist, überrascht mich.« Er kannte ihre Abneigung gegenüber Weihnachten und auch den Grund dafür. Mark konnte sie gut verstehen. In seinen Augen war sie eine Überlebenskünstlerin. Er schätzte und bewunderte sie.
»Ich habe mir überlegt, eine Weile hierzubleiben. Ich sitze auf dem Sofa und betrachte den Schnee vor dem Fenster. Das sieht hübsch aus. Vielleicht gehe ich nachher noch raus und mache ein paar Fotos. Ganz altmodisches Zeug.« »Es ist eisig draußen«, warnte er sie. »Erkälte dich nicht.« Er gehörte zu den wenigen Menschen, die sich um sie sorgten. Hope rührte das. Während der letzten Jahre war sie zu viel durch die Welt gereist, um den Kontakt zu ihren alten Freunden halten zu können. Seit dem College hatte sie in Boston gelebt, aber nach ihrer Rückkehr aus Indien entschied sie, nach New York umzuziehen. Hope war immer eine Einzelgängerin gewesen. Ihn beunruhigte das, aber sie schien mit ihrem Leben zufrieden zu sein. »Mach dir keine Sorgen, ich bin schon vor einer Weile nach Hause gekommen und habe mich aufgewärmt«, beruhigte sie ihn, »außerdem habe ich gerade Hühnersuppe gegessen.«
»Meine Großmutter würde das zu schätzen wissen«, antwortete er lachend. »Also, was hast du momentan vor?« Er wusste, dass sie keinen Auftrag angenommen hatte, schließlich war er ihr Agent. »Nicht viel. Ich hatte überlegt, über die Feiertage in das Haus auf Cape Cod zu fahren. Zu dieser Jahreszeit ist es dort wunderschön.«
»Das findest auch nur du. Jeder andere würde zu dieser Jahreszeit da draußen auf Selbstmordgedanken kommen. Ich habe eine bessere Idee.« Er sprach in diesem Ich- habe-da-einen-tollen-Auftrag-für-dich-Tonfall, und sie schmunzelte. Sie kannte ihn gut.
»Als da wäre? Welchen verrückten Auftrag willst du mir schmackhaft machen, Mark? An Heiligabend nach Las Vegas?« Bei der Vorstellung mussten sie beide lachen. Hin und wieder kam er tatsächlich mit verrückten Vorschlägen, die sie fast immer ablehnte. Aber er musste es wenigstens versuchen. Das hatte er den potenziellen Auftraggebern versprochen.
»Nein, obwohl das bestimmt amüsant wäre.« Sie wussten beide, dass er Glücksspiele mochte und ab und zu nach Las Vegas oder Atlantic City flog. »Was ich dir anbieten möchte, ist höchst respektabel. Wir haben heute einen Anruf von einem großen Verlag erhalten. Dessen Star- Autor möchte ein Porträtfoto für das Cover seines neuen Buches. Noch hat er das Manuskript nicht abgeliefert, aber es ist fast fertig. Der Verleger braucht das Foto dringend für den Katalog und die Vorankündigung. Alles ganz korrekt. Unser einziges Problem ist der enge Zeitplan. Darüber hätten die sich vorher Gedanken machen sollen.«
»Wie eng?«, fragte Hope unverbindlich und streckte sich auf dem weißen Stoffsofa aus.
»Sie brauchen die Fotos nächste Woche, um ihren Produktionsplan einhalten zu können. Das würde bedeuten, dass du über Weihnachten arbeitest. Aber der Autor hat speziell dich verlangt und sagt, er würde sich von niemandem sonst fotografieren lassen. Zumindest beweist der Bursche guten Geschmack. Und das Honorar ist üppig. Er ist eben eine große Nummer.«
»Wer ist es?« Seine Identität würde Einfluss auf ihre Entscheidung haben, und Mark zögerte, bevor er ihr den Namen nannte. Es ging um einen bekannten Autor, der den National Book Award erhalten hatte und stets in den Bestsellerlisten zu finden war. Aber er galt auch als Schürzenjäger und tauchte in den Boulevardblättern mit immer wieder anderen Frauen auf. Mark konnte nicht einschätzen, was Hope von dem Auftrag hielt, vor allem, wenn ihr in den Sinn kam, dass dieser Autor plötzlich mehr als nur ein Foto wollen würde - und das konnte durchaus passieren. Es gab keine Garantie, dass er sich zurückhalten würde, und Hope würde das gar nicht gefallen.
»Finn O'Neill«, sagte Mark schließlich. Er wollte sie weder überreden noch abschrecken. Es war allein ihre Entscheidung, und er hätte es verstanden, wenn sie abgelehnt hätte. »Ich habe sein letztes Buch gelesen«, antwortete Hope und klang interessiert. »Ganz schön unheimlich, aber ein toller Roman«, fügte sie hinzu. »Er ist ein intelligenter Bursche. Hast du ihn mal kennengelernt?«
»Wir sind uns ein paar Mal auf Partys begegnet, aber wir wurden einander nie vorgestellt. Er wirkte charmant und scheint einen Hang zu schönen Frauen und jungen Mädchen zu haben.«
»Dann habe ich ja nichts zu befürchten«, erwiderte sie lachend. Auf dem Cover des letzten Buches war ein Foto von ihm zu sehen gewesen, und sie versuchte sich daran zu erinnern, wie er aussah, aber es gelang ihr nicht.
»Sei dir da nicht zu sicher. Du siehst nur halb so alt aus, wie du bist. Aber du wärst ihm gewachsen. Da bin ich unbesorgt. Ich war mir nur nicht sicher, ob du zu dieser Jahreszeit nach London reisen möchtest. Andererseits klingt das weniger deprimierend als Cape Cod. Sie lassen dich First Class fliegen und werden dich im Claridge's unterbringen. O'Neill lebt in Irland, aber er hat ein Haus in London, in dem er sich momentan aufhält.«
»Wie schade«, sagte Hope enttäuscht. »Ich würde ihn lieber in Irland fotografieren. Das wäre ein bisschen ungewöhnlicher als London.«
»Ich fürchte, das steht nicht zur Wahl. Er möchte sich in London mit dir treffen. Du wärst kaum länger als einen Tag weg und rechtzeitig zurück, um über Silvester auf Cape Cod depressiv zu werden.« Sie musste abermals lachen. Aber sein Vorschlag hatte einen gewissen Reiz. Finn O'Neill war ein bekannter Schriftsteller und würde sicher ein interessantes Motiv abgeben. Es ärgerte sie, dass sie sich nicht an sein Gesicht erinnern konnte.
»Was denkst du?«, hakte Mark nach.
Zumindest hatte sie nicht geradeheraus abgelehnt, und der Ausflug könnte ihr guttun. Es war in jedem Fall besser, als allein nach Cape Cod zu fahren. Hope besaß dort ein Haus und hatte jahrelang die Sommer da verbracht. Sie liebte es.
»Was meinst du denn?« Sie wollte stets seinen Rat, auch wenn sie ihn nicht immer befolgte. Aber sie fragte ihn zumindest. Manche seiner Klienten taten das nie.
»Ich denke, du solltest zusagen. Der Mann ist interessant und wichtig, es ist ein seriöser Auftrag, und du hast schon lange kein Porträt mehr gemacht. Du kannst deine Zeit nicht nur damit verbringen, Mönche und Bettler zu fotografieren «, sagte Mark in freundschaftlichem Ton.
»Ja, vielleicht hast du recht«, antwortete Hope nachdenklich. Sie erstellte immer noch gern Porträts, wenn das Motiv interessant war, und das war Finn O'Neill sicher.
»Kannst du mir dort drüben eine Assistentin besorgen?«, fragte sie. »Es ist nicht nötig, jemanden von hier mitzunehmen. « Hope war eine anspruchslose Künstlerin.
»Das organisiere ich, mach dir darüber keine Gedanken.« Mark hielt den Atem an und wartete auf ihre definitive Antwort. Seiner Meinung nach sollte sie den Job annehmen, und seltsamerweise sah sie das genauso. Wie immer fürchtete sie sich vor den Weihnachtsfeiertagen, und eine Reise nach London würde gerade jetzt eine willkommene Abwechslung sein.
»Okay, ich mach's. Wann sollte ich deiner Meinung nach fliegen?«
»So schnell wie möglich. Dann bist du womöglich sogar noch vor Weihnachten wieder zurück.« Er hatte es kaum ausgesprochen, als ihm bewusst wurde, dass es für sie keine Rolle spielte.
»Ich könnte morgen Abend fliegen. Ich muss hier noch ein paar Dinge erledigen und habe dem Kurator vom MOMA versprochen, ihn anzurufen. Aber morgen könnte ich die Nachtmaschine nehmen und im Flugzeug schlafen.«
»Perfekt. Ich werde dem Verlag Bescheid geben. Sie sagten, dass sie sich um alles Organisatorische kümmern würden. Und eine Assistentin besorge ich dir auch.« Leute zu finden, die ihr zur Hand gingen, war nie ein Problem. Nachwuchsfotografen rissen sich darum, für sie zu arbeiten. Außerdem galt sie als umgänglich. Hope war stets freundlich, professionell und anspruchslos. Was die Studenten von ihr lernten, war unbezahlbar. Und es machte sich gut im Lebenslauf, ihr assistiert zu haben, selbst wenn es nur für einen Tag war. »Wie lange möchtest du in London bleiben?«
»Keine Ahnung«, antwortete sie und überlegte. »Ein paar Tage. Ich möchte es ruhig angehen. Schließlich weiß ich nicht, was er für ein Typ ist. Vielleicht dauert es ein oder zwei Tage, bis er lockerer wird. Deshalb sollten wir erst einmal vier Tage einplanen. Dann sehen wir, wie es läuft, und haben bei Bedarf etwas Luft. Sobald wir fertig sind, fliege ich zurück.«
»Abgemacht. Ich bin froh, dass du annimmst«, versicherte Mark. »Und London ist zu dieser Jahreszeit sehr schön. Alles ist festlich geschmückt. Die Leute sind dort nicht so oberflächlich wie wir hier. Die Briten feiern Weihnachten noch richtig.«
»Das ist gut möglich - und dazu kommt, dass ich das Claridge's mag«, sagte Hope fröhlich und wurde dann wieder ernst. »Falls Paul da ist, werde ich versuchen, mich mit ihm zu treffen. Ich habe keine Ahnung, wo er sich momentan aufhält. Wir haben länger nicht miteinander gesprochen.« Kaum zu glauben, dass sie einundzwanzig Jahre lang mit ihm verheiratet gewesen war und jetzt nicht einmal wusste, wo er steckte. Hopes Leben erinnerte an das chinesische Sprichwort »Gestern war gestern, und heute ist heute«.
»Wie geht es ihm eigentlich?«, fragte Mark mit sanfter Stimme. Er wusste, dass es für Hope ein sensibles Thema war, und er bewunderte, wie tapfer sie in den letzten Jahren gewesen war. In Marks Augen war sie die Personifizierung eines guten Verlierers. Nur wenige Menschen würden das überleben, was Hope durchgestanden hatte. »Unverändert, nehme ich an«, beantwortete sie Marks Frage. »Er nimmt in Harvard an einer Versuchsreihe für ein neues Medikament teil. Bisher läuft es gut.«
»Ich werde den Verlag anrufen und Bescheid sagen, dass du den Auftrag annimmst«, wechselte Mark das Thema. Wenn es um Paul ging, wusste er nie, was er sagen sollte. Hope liebte ihren Ex-Mann immer noch und hatte die Karten akzeptiert, die das Schicksal ihr ausgeteilt hatte. Sie war weder verbittert noch wütend. Mark war schleierhaft, wie sie das schaffte.
»Morgen kenne ich mehr Einzelheiten und rufe dich an«, versprach er. Kurz darauf beendeten sie das Gespräch.
Hope stellte ihren Suppenteller in die Spülmaschine und ging zum Fenster. Es schneite ununterbrochen. Die Schicht auf dem Gehweg war bereits ein paar Zentimeter hoch. Der Anblick erinnerte Hope an London. Als sie das letzte Mal dort gewesen war, hatte es ebenfalls geschneit, und die Stadt sah aus wie auf einer Weihnachtskarte. Sie fragte sich, ob Paul tatsächlich jetzt in London war, entschied jedoch, ihn erst nach ihrer Ankunft anzurufen. Womöglich gab es noch eine Planänderung. Außerdem wollte sie zunächst sehen, ob sie ein Treffen zeitlich unterbringen konnte. An Weihnachten wollte sie nicht mit ihm zusammen sein. Dann war die Gefahr zu groß, dass sie sentimental wurden und weinten. Das wollte Hope um jeden Preis vermeiden. Sie waren jetzt gute Freunde. Er wusste, dass sie für ihn da war, wenn er sie brauchte. Aber vermutlich war Paul zu stolz, um sie jemals um Hilfe zu bitten. Wenn sie sich trafen, bemühten sie sich stets, locker miteinander umzugehen. So funktionierte es für sie beide am besten. Über die Vergangenheit zu sprechen war zu schwer und führte zu nichts.
Hope sah, wie draußen ein Mann Fußabdrücke im Schnee hinterließ. Dann kam eine alte Dame, die mit ihrem Hund Gassi ging und dabei immer wieder ins Rutschen geriet. Hope konnte diesem Anblick nicht länger widerstehen. Sie zog Mantel und Stiefel an und lief nach draußen. Die Leica hatte sie eingesteckt. Nicht diese schicke neue, die im Moment alle unbedingt haben wollten, sondern ihre alte Lieblingskamera.
Zehn Minuten später streifte sie auf der Suche nach geeigneten Motiven durch den fallenden Schnee die Straße entlang. Ohne es geplant zu haben, stand sie plötzlich vor dem Eingang zur U-Bahn. Da kam ihr eine Idee, und sie eilte die Stufen hinunter. Sie würde im Central Park ein paar Nachtaufnahmen machen und dann zu den raueren Gegenden an der West Side weiterziehen. Schnee hatte die Eigenschaft, die Herzen und Gesichter der Menschen weicher zu machen. Für Hope war die Nacht noch jung, und wenn sie Lust hatte, konnte sie bis morgen früh draußen bleiben. Das war einer der Vorteile des Alleinseins, wie sie entdeckt hatte. Sie konnte arbeiten, wann immer und wie lange sie wollte, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Es gab niemanden, der zu Hause auf sie wartete.
Es war schon drei Uhr am Morgen, als sie über die Prince Street wieder zurück nach Hause ging. Sie lächelte und war zufrieden mit dem Ergebnis dieser Nacht. Als sie die Haustür aufschloss, hatte es gerade aufgehört zu schneien. Sie stieg die Treppe hinauf zu ihrem Loft, zog den feuchten Mantel aus und ließ ihn in der Küche. In ein paar Stunden musste sie unbedingt für ihre Reise nach London packen.
Fünf Minuten später hatte sie ihr molliges Nachthemd an und kuschelte sich in ihr schmales Bett auf dem Podest. Sobald ihr Kopf auf dem Kissen lag, schlief sie ein. Es war eine angenehme, produktive Nacht gewesen.
Übersetzung: Silvia Kinkel
© 2009 Danielle Steel © 2014 für die deutschsprachige Ausgabe bei Knaur Taschenbuch
Hope Dunn ging durch den geräuschlos fallenden Schnee die Prince Street in Soho entlang. Es war sieben Uhr abends. Die Läden hatten gerade geschlossen, und die übliche Geschäftigkeit verebbte allmählich. Seit zwei Jahren lebte Hope in diesem angesagten Stadtteil von New York. Sie fühlte sich hier wohler als in Uptown. Soho war voller junger Menschen, und wann immer sie ihr Loft verließ, gab es etwas zu sehen, traf man jemanden zum Reden, herrschte Leben auf den Straßen.
Es war Dezember, und überall in den Schaufenstern funkelten Lichter. In einer Woche war Weihnachten, die Zeit des Jahres, die Hope am wenigsten mochte. Wie in den vorherigen Jahren würde sie die Feiertage deshalb auch dieses Jahr einfach ignorieren und darauf warten, dass sie vorbeigingen. In den letzten beiden Jahren hatte sie in einem Obdachlosenasyl gearbeitet. Im Jahr davor war sie lange in Indien gewesen, wo Weihnachten nicht gefeiert wurde. Als sie anschließend in die Staaten zurückkehrte, kam das einem Kulturschock gleich. Im Vergleich zu Indien erschien ihr hier alles oberflächlich und kommerziell.
Ihre Zeit in Indien hatte ihr Leben nicht nur verändert, sondern vermutlich auch gerettet. Es war hart gewesen, sich nach den sechs Monaten dort wieder an das amerikanische Leben zu gewöhnen. Ihren ganzen Besitz lagerte sie ein und zog von Boston nach New York. Es spielte keine große Rolle, wo sie lebte. Hope war Fotografin und nahm ihre Arbeit überallhin mit. Die Fotos, die sie in Tibet und Indien gemacht hatte, wurden derzeit in einer renommierten Galerie in Uptown gezeigt. Einige ihrer anderen Bilder hingen in Museen. Ihre Arbeiten wurden oft mit denen von Diane Arbus verglichen. Hope porträtierte Elend und Zerstörung. Das Leid in den Augen der Menschen zerriss dem Betrachter förmlich das Herz. Genauso betroffen war sie selbst beim Fotografieren dieser Menschen gewesen. Obwohl Hopes Arbeiten höchstes Ansehen genossen, deutete nichts an ihrem Verhalten und Auftreten darauf hin, dass sie berühmt war.
Hope hatte ihr gesamtes Leben als Beobachterin verbracht, als Chronistin des menschlichen Befindens. Ihre Arbeiten aus der Zeit in Indien und Tibet bestätigten das. Beim Fotografieren war Hope Dunne nahezu unsichtbar, andererseits besaß sie ungeheure Präsenz. Innerlich war sie stark und strahlend, füllte mit ihrer Anwesenheit scheinbar einen Raum. Jetzt lächelte sie die junge Frau an, die ihr entgegenkam, während sie durch die verschneite Prince Street ging. Hope hatte große Lust auf einen langen Spaziergang im Schnee und nahm sich das für später vor. Sie lebte nach keinem festen Stundenplan und war niemandem Rechenschaft schuldig. Einer der Vorteile ihres einsamen Lebens bestand in der Freiheit, tun und lassen zu können, wozu sie Lust hatte. Sie war eine unabhängige Frau, aber sehr diszipliniert, was ihre Arbeit und den Umgang mit ihren Motiven anging. Manchmal stieg sie in die U-Bahn, fuhr hinauf nach Harlem, wanderte in Jeans und T-Shirt durch die Straßen und fotografierte die Kinder. Sie hatte auch eine längere Zeit in Südamerika verbracht und dort vor allem alte Menschen fotografiert. Sie ging, wohin ihre Lust sie trieb, und kommerzielle Aufträge übernahm sie kaum noch. Gelegentlich machte sie Modeaufnahmen für Vogue, aber nur, wenn das Layout besonders ausgefallen war. Der größte Teil ihrer Arbeit für Zeitschriften bestand in den Porträts bekannter Menschen, die sie für interessant hielt. Sie hatte ein bemerkenswertes Buch mit solchen Porträts veröffentlicht, ein weiteres mit Kinderfotos, und bald würde ein Buch mit ihren Fotos aus Indien erscheinen.
Sie war in der glücklichen Lage, tun zu können, was ihr gefiel, sie konnte sich ihre Aufträge aussuchen. Und obwohl sie gern Menschen porträtierte, übernahm sie auch solche Aufträge nur noch selten. Sie konzentrierte sich lieber auf die Fotografien, die sie auf ihren Reisen oder auf der Straße machte.
Hope war eine zierliche Frau mit Porzellanteint und pechschwarzem Haar. Als sie noch klein war, hatte ihre Mutter sie immer damit aufgezogen, dass sie aussähe wie Schneewittchen. Sie hatte tatsächlich etwas Märchenhaftes an sich, war zart wie eine Elfe, ein scheinbar schwereloses Wesen, das in die winzigsten Ecken und Nischen passte und unbemerkt bleiben konnte. Das Auffälligste an ihr waren die tiefblauen Augen. Sie schimmerten mit einem Hauch Violett, wie die Saphire aus Burma oder Ceylon, und waren voller Mitgefühl für das Elend dieser Welt, das sie gesehen hatten. Wer in ihre Augen blickte, wusste sofort, dass diese Frau Leid erfahren hatte, es jedoch mit Würde und Anmut ertrug. Sie war keine Buddhistin, teilte jedoch die philosophischen Ansichten der Buddhisten, nicht gegen das Schicksal anzukämpfen, sondern sich treiben zu lassen, es dem Leben zu gestatten, sie von einer Erfahrung zur nächsten zu tragen. Es war diese Tiefgründigkeit und Weisheit, die bei ihren Arbeiten durchschimmerte. Hope akzeptierte das Leben so, wie es war, statt damit zu ringen und es verändern zu wollen, was doch nie gelingen würde. Sie war sogar bereit, loszulassen, was sie einmal sehr geliebt hatte. Das war das Schwierigste von allem. Und je länger sie lebte und arbeitete, desto demütiger wurde sie. Ein Mönch, dem sie in Tibet begegnet war, hatte sie die »Heilige Frau« genannt. Das war sie tatsächlich, obwohl sie keiner Kirche angehörte. Wenn sie an etwas glaubte, dann an das Leben, und sie ergriff es mit zarten Händen. Sie war wie das starke Schilfrohr, das sich im Wind neigt, ohne zu brechen.
Als sie die Haustür ihres Wohnhauses erreichte, begann es stärker zu schneien. Hope trug eine Kameratasche über der Schulter. Darin befanden sich auch ihre Haustürschlüssel und die Brieftasche. Sonst hatte sie nichts dabei. Außer gelegentlich einem leuchtend roten Lippenstift benutzte sie kein Make-up. Das ließ sie noch stärker wie Schneewittchen aussehen. Das fast blauschwarze Haar trug sie entweder zu einem Pferdeschwanz gebunden, geflochten oder zu einem Chignon hochgesteckt. Wenn sie es offen trug, reichte es ihr bis zur Taille. Ihre anmutigen Bewegungen und ihre glatte, straffe Haut ließen sie wie ein junges Mädchen wirken. Laut ihrer Biografie war sie vierundvierzig Jahre alt, aber es war schwer, ihr Alter zu schätzen, und man hielt sie leicht für wesentlich jünger. Sie war so zeitlos wie die Motive ihrer Fotografien. Wer sie sah, wäre am liebsten stehen geblieben und hätte sie lange angeschaut. Um ihre Motive nicht abzulenken, kleidete sie sich fast immer in Schwarz oder in heißen Regionen in Weiß.
Nachdem sie die Haustür aufgeschlossen hatte, stieg sie rasch die Treppe hinauf in die zweite Etage. Sie fror und war froh, endlich zu Hause zu sein. Obwohl die Wände ihres Lofts sehr hoch und die großen Fenster nicht gut isoliert waren, herrschte drinnen eine angenehme Wärme. Hope schaltete das Licht ein und erfreute sich wie jedes Mal an der spartanischen Ausstattung. Der Zementboden war schwarz gestrichen. Die weißen Sofas und die einladenden Sessel mit elfenbeinfarbenen Stoffbezügen passten perfekt dazu. Nichts wirkte aufdringlich. Es war beinahe so schlicht wie Zen. An den Wänden hingen riesige schwarzweiße Fotos, die zu ihren Lieblingsbildern gehörten. Die breiteste Wand war bedeckt mit Fotos einer jungen Ballerina. Das Mädchen war außergewöhnlich schön, ein anmutiger blonder Teenager. Diese Fotoserie gehörte zu Hopes persönlicher Sammlung. An den anderen Wänden hingen viele Fotos von Kindern, einige von Mönchen in dem Aschram in Indien, in dem sie gelebt hatte, und zwei große Porträts von Staatsoberhäuptern.
Das Loft war wie eine Galerie mit ihren Arbeiten, und auf einem langen, weißen Lacktisch standen mit Schaumstoff abgedeckte Tabletts, auf denen ihre sämtlichen Kameras fein säuberlich angeordnet waren wie Operationsbestecke. Bei Bedarf engagierte sie freie Mitarbeiter, ansonsten bevorzugte Hope es jedoch, allein zu arbeiten. Assistenten waren zwar eine große Hilfe, aber sie lenkten auch ab. Ihre Lieblingskamera war eine alte Leica, mit der sie schon seit vielen Jahren arbeitete. In Studios fotografierte sie auch mit einer Hasselblad oder einer Mamiya, aber ihre alte Leica war ihr immer die liebste.
Mit neun Jahren hatte sie angefangen zu fotografieren. Mit siebzehn hatte sie ein Fotografiestudium an der Brown begonnen und es mit einundzwanzig mit Auszeichnung abgeschlossen. Ihre eindrucksvolle Abschlussarbeit war im Mittleren Osten entstanden. Kurz nach dem Examen hatte sie geheiratet und anschließend ein Jahr lang als Mode- und Werbefotografin gearbeitet. Dann hatte sie zwölf Jahre lang pausiert und nur wenige Aufträge angenommen. Seit zehn Jahren arbeitete sie nun wieder und war weltweit zu einer namhaften Fotografin geworden. Als sie achtunddreißig war, zeigte das MOMA in New York ihre Arbeiten. Das war einer der Höhepunkte ihrer Laufbahn.
Hope zündete überall im Loft Kerzen an und dimmte das elektrische Licht. In diesen Raum zu kommen beruhigte sie jedes Mal. Sie schlief auf einer kleinen Galerie, zu der man über eine Leiter gelangte. Oben stand ein schmales Bett. Sie liebte es, auf den Raum hinabzuschauen und beim Einschlafen das Gefühl zu haben, sie würde fliegen. Dieses Loft hatte nichts gemein mit ihrem früheren Leben, und auch das gefiel ihr. Normalerweise ängstigte sie sich vor Veränderungen, aber dieses Mal waren sie willkommen gewesen. Das anzunehmen, wovor sie sich immer am meisten gefürchtet hatte, gab ihr Kraft. Verlust und Veränderung waren ihre Erzfeinde, aber statt vor ihnen davonzulaufen, hatte sie gelernt, ihnen stark und würdevoll entgegenzutreten.
Im hinteren Teil des Lofts gab es eine kleine Küche mit Arbeitsplatten aus schwarzem Granit. Hope wusste natürlich, dass sie regelmäßig etwas essen musste, also fand sie sich früher oder später dort ein und wärmte eine Dosensuppe auf. Meistens war es ihr zu mühsam, eine komplette Mahlzeit zuzubereiten. Sie ernährte sich von Suppen, Salaten und Eiern. Hin und wieder ging sie allein in irgendein einfaches Restaurant und aß schnell, um es hinter sich zu bringen. Sie war nie eine gute Köchin gewesen und konnte sich auch heute nicht dafür begeistern. Sie hatte das Kochen immer als Zeitverschwendung angesehen. Es gab so viele andere Dinge, die sie mehr interessierten - früher vor allem ihre Familie, und nun war es die Arbeit. Während der letzten drei Jahre war die Arbeit zu ihrem Lebensinhalt geworden.
Hope aß gerade ihre Suppe und sah zu, wie draußen der Schnee fiel, als ihr Telefon klingelte. Sie stellte den Teller ab und fischte das Handy aus der Kameratasche. Sie hatte keinen Anruf erwartet, freute sich aber, als sie die vertraute Stimme ihres Agenten Mark Webber erkannte.
»Hey, wo steckst du gerade? In welcher Zeitzone? Habe ich dich etwa geweckt?«, begrüßte er sie. Hope lachte und setzte sich auf die Couch. Mike war ihr Agent, seit sie vor zehn Jahren wieder angefangen hatte zu arbeiten. Für gewöhnlich versuchte er, ihr kommerzielle Aufträge schmackhaft zu machen. Allerdings hegte er auch tiefen Respekt für ihre Bestrebungen als ernstzunehmende Künstlerin. Immer wieder sagte er ihr, dass sie eines Tages eine der bedeutendsten amerikanischen Fotografinnen ihrer Generation sein würde. In vielerlei Hinsicht war sie das bereits und genoss hohes Ansehen bei Kuratoren und Kollegen.
»Ich bin in New York«, antwortete sie lächelnd. »Und du hast mich nicht geweckt.«
»Du enttäuschst mich. Ich dachte, du wärst in Nepal oder Vietnam oder an irgendeinem furchterregenden, abscheulichen Ort. Dass du hier bist, überrascht mich.« Er kannte ihre Abneigung gegenüber Weihnachten und auch den Grund dafür. Mark konnte sie gut verstehen. In seinen Augen war sie eine Überlebenskünstlerin. Er schätzte und bewunderte sie.
»Ich habe mir überlegt, eine Weile hierzubleiben. Ich sitze auf dem Sofa und betrachte den Schnee vor dem Fenster. Das sieht hübsch aus. Vielleicht gehe ich nachher noch raus und mache ein paar Fotos. Ganz altmodisches Zeug.« »Es ist eisig draußen«, warnte er sie. »Erkälte dich nicht.« Er gehörte zu den wenigen Menschen, die sich um sie sorgten. Hope rührte das. Während der letzten Jahre war sie zu viel durch die Welt gereist, um den Kontakt zu ihren alten Freunden halten zu können. Seit dem College hatte sie in Boston gelebt, aber nach ihrer Rückkehr aus Indien entschied sie, nach New York umzuziehen. Hope war immer eine Einzelgängerin gewesen. Ihn beunruhigte das, aber sie schien mit ihrem Leben zufrieden zu sein. »Mach dir keine Sorgen, ich bin schon vor einer Weile nach Hause gekommen und habe mich aufgewärmt«, beruhigte sie ihn, »außerdem habe ich gerade Hühnersuppe gegessen.«
»Meine Großmutter würde das zu schätzen wissen«, antwortete er lachend. »Also, was hast du momentan vor?« Er wusste, dass sie keinen Auftrag angenommen hatte, schließlich war er ihr Agent. »Nicht viel. Ich hatte überlegt, über die Feiertage in das Haus auf Cape Cod zu fahren. Zu dieser Jahreszeit ist es dort wunderschön.«
»Das findest auch nur du. Jeder andere würde zu dieser Jahreszeit da draußen auf Selbstmordgedanken kommen. Ich habe eine bessere Idee.« Er sprach in diesem Ich- habe-da-einen-tollen-Auftrag-für-dich-Tonfall, und sie schmunzelte. Sie kannte ihn gut.
»Als da wäre? Welchen verrückten Auftrag willst du mir schmackhaft machen, Mark? An Heiligabend nach Las Vegas?« Bei der Vorstellung mussten sie beide lachen. Hin und wieder kam er tatsächlich mit verrückten Vorschlägen, die sie fast immer ablehnte. Aber er musste es wenigstens versuchen. Das hatte er den potenziellen Auftraggebern versprochen.
»Nein, obwohl das bestimmt amüsant wäre.« Sie wussten beide, dass er Glücksspiele mochte und ab und zu nach Las Vegas oder Atlantic City flog. »Was ich dir anbieten möchte, ist höchst respektabel. Wir haben heute einen Anruf von einem großen Verlag erhalten. Dessen Star- Autor möchte ein Porträtfoto für das Cover seines neuen Buches. Noch hat er das Manuskript nicht abgeliefert, aber es ist fast fertig. Der Verleger braucht das Foto dringend für den Katalog und die Vorankündigung. Alles ganz korrekt. Unser einziges Problem ist der enge Zeitplan. Darüber hätten die sich vorher Gedanken machen sollen.«
»Wie eng?«, fragte Hope unverbindlich und streckte sich auf dem weißen Stoffsofa aus.
»Sie brauchen die Fotos nächste Woche, um ihren Produktionsplan einhalten zu können. Das würde bedeuten, dass du über Weihnachten arbeitest. Aber der Autor hat speziell dich verlangt und sagt, er würde sich von niemandem sonst fotografieren lassen. Zumindest beweist der Bursche guten Geschmack. Und das Honorar ist üppig. Er ist eben eine große Nummer.«
»Wer ist es?« Seine Identität würde Einfluss auf ihre Entscheidung haben, und Mark zögerte, bevor er ihr den Namen nannte. Es ging um einen bekannten Autor, der den National Book Award erhalten hatte und stets in den Bestsellerlisten zu finden war. Aber er galt auch als Schürzenjäger und tauchte in den Boulevardblättern mit immer wieder anderen Frauen auf. Mark konnte nicht einschätzen, was Hope von dem Auftrag hielt, vor allem, wenn ihr in den Sinn kam, dass dieser Autor plötzlich mehr als nur ein Foto wollen würde - und das konnte durchaus passieren. Es gab keine Garantie, dass er sich zurückhalten würde, und Hope würde das gar nicht gefallen.
»Finn O'Neill«, sagte Mark schließlich. Er wollte sie weder überreden noch abschrecken. Es war allein ihre Entscheidung, und er hätte es verstanden, wenn sie abgelehnt hätte. »Ich habe sein letztes Buch gelesen«, antwortete Hope und klang interessiert. »Ganz schön unheimlich, aber ein toller Roman«, fügte sie hinzu. »Er ist ein intelligenter Bursche. Hast du ihn mal kennengelernt?«
»Wir sind uns ein paar Mal auf Partys begegnet, aber wir wurden einander nie vorgestellt. Er wirkte charmant und scheint einen Hang zu schönen Frauen und jungen Mädchen zu haben.«
»Dann habe ich ja nichts zu befürchten«, erwiderte sie lachend. Auf dem Cover des letzten Buches war ein Foto von ihm zu sehen gewesen, und sie versuchte sich daran zu erinnern, wie er aussah, aber es gelang ihr nicht.
»Sei dir da nicht zu sicher. Du siehst nur halb so alt aus, wie du bist. Aber du wärst ihm gewachsen. Da bin ich unbesorgt. Ich war mir nur nicht sicher, ob du zu dieser Jahreszeit nach London reisen möchtest. Andererseits klingt das weniger deprimierend als Cape Cod. Sie lassen dich First Class fliegen und werden dich im Claridge's unterbringen. O'Neill lebt in Irland, aber er hat ein Haus in London, in dem er sich momentan aufhält.«
»Wie schade«, sagte Hope enttäuscht. »Ich würde ihn lieber in Irland fotografieren. Das wäre ein bisschen ungewöhnlicher als London.«
»Ich fürchte, das steht nicht zur Wahl. Er möchte sich in London mit dir treffen. Du wärst kaum länger als einen Tag weg und rechtzeitig zurück, um über Silvester auf Cape Cod depressiv zu werden.« Sie musste abermals lachen. Aber sein Vorschlag hatte einen gewissen Reiz. Finn O'Neill war ein bekannter Schriftsteller und würde sicher ein interessantes Motiv abgeben. Es ärgerte sie, dass sie sich nicht an sein Gesicht erinnern konnte.
»Was denkst du?«, hakte Mark nach.
Zumindest hatte sie nicht geradeheraus abgelehnt, und der Ausflug könnte ihr guttun. Es war in jedem Fall besser, als allein nach Cape Cod zu fahren. Hope besaß dort ein Haus und hatte jahrelang die Sommer da verbracht. Sie liebte es.
»Was meinst du denn?« Sie wollte stets seinen Rat, auch wenn sie ihn nicht immer befolgte. Aber sie fragte ihn zumindest. Manche seiner Klienten taten das nie.
»Ich denke, du solltest zusagen. Der Mann ist interessant und wichtig, es ist ein seriöser Auftrag, und du hast schon lange kein Porträt mehr gemacht. Du kannst deine Zeit nicht nur damit verbringen, Mönche und Bettler zu fotografieren «, sagte Mark in freundschaftlichem Ton.
»Ja, vielleicht hast du recht«, antwortete Hope nachdenklich. Sie erstellte immer noch gern Porträts, wenn das Motiv interessant war, und das war Finn O'Neill sicher.
»Kannst du mir dort drüben eine Assistentin besorgen?«, fragte sie. »Es ist nicht nötig, jemanden von hier mitzunehmen. « Hope war eine anspruchslose Künstlerin.
»Das organisiere ich, mach dir darüber keine Gedanken.« Mark hielt den Atem an und wartete auf ihre definitive Antwort. Seiner Meinung nach sollte sie den Job annehmen, und seltsamerweise sah sie das genauso. Wie immer fürchtete sie sich vor den Weihnachtsfeiertagen, und eine Reise nach London würde gerade jetzt eine willkommene Abwechslung sein.
»Okay, ich mach's. Wann sollte ich deiner Meinung nach fliegen?«
»So schnell wie möglich. Dann bist du womöglich sogar noch vor Weihnachten wieder zurück.« Er hatte es kaum ausgesprochen, als ihm bewusst wurde, dass es für sie keine Rolle spielte.
»Ich könnte morgen Abend fliegen. Ich muss hier noch ein paar Dinge erledigen und habe dem Kurator vom MOMA versprochen, ihn anzurufen. Aber morgen könnte ich die Nachtmaschine nehmen und im Flugzeug schlafen.«
»Perfekt. Ich werde dem Verlag Bescheid geben. Sie sagten, dass sie sich um alles Organisatorische kümmern würden. Und eine Assistentin besorge ich dir auch.« Leute zu finden, die ihr zur Hand gingen, war nie ein Problem. Nachwuchsfotografen rissen sich darum, für sie zu arbeiten. Außerdem galt sie als umgänglich. Hope war stets freundlich, professionell und anspruchslos. Was die Studenten von ihr lernten, war unbezahlbar. Und es machte sich gut im Lebenslauf, ihr assistiert zu haben, selbst wenn es nur für einen Tag war. »Wie lange möchtest du in London bleiben?«
»Keine Ahnung«, antwortete sie und überlegte. »Ein paar Tage. Ich möchte es ruhig angehen. Schließlich weiß ich nicht, was er für ein Typ ist. Vielleicht dauert es ein oder zwei Tage, bis er lockerer wird. Deshalb sollten wir erst einmal vier Tage einplanen. Dann sehen wir, wie es läuft, und haben bei Bedarf etwas Luft. Sobald wir fertig sind, fliege ich zurück.«
»Abgemacht. Ich bin froh, dass du annimmst«, versicherte Mark. »Und London ist zu dieser Jahreszeit sehr schön. Alles ist festlich geschmückt. Die Leute sind dort nicht so oberflächlich wie wir hier. Die Briten feiern Weihnachten noch richtig.«
»Das ist gut möglich - und dazu kommt, dass ich das Claridge's mag«, sagte Hope fröhlich und wurde dann wieder ernst. »Falls Paul da ist, werde ich versuchen, mich mit ihm zu treffen. Ich habe keine Ahnung, wo er sich momentan aufhält. Wir haben länger nicht miteinander gesprochen.« Kaum zu glauben, dass sie einundzwanzig Jahre lang mit ihm verheiratet gewesen war und jetzt nicht einmal wusste, wo er steckte. Hopes Leben erinnerte an das chinesische Sprichwort »Gestern war gestern, und heute ist heute«.
»Wie geht es ihm eigentlich?«, fragte Mark mit sanfter Stimme. Er wusste, dass es für Hope ein sensibles Thema war, und er bewunderte, wie tapfer sie in den letzten Jahren gewesen war. In Marks Augen war sie die Personifizierung eines guten Verlierers. Nur wenige Menschen würden das überleben, was Hope durchgestanden hatte. »Unverändert, nehme ich an«, beantwortete sie Marks Frage. »Er nimmt in Harvard an einer Versuchsreihe für ein neues Medikament teil. Bisher läuft es gut.«
»Ich werde den Verlag anrufen und Bescheid sagen, dass du den Auftrag annimmst«, wechselte Mark das Thema. Wenn es um Paul ging, wusste er nie, was er sagen sollte. Hope liebte ihren Ex-Mann immer noch und hatte die Karten akzeptiert, die das Schicksal ihr ausgeteilt hatte. Sie war weder verbittert noch wütend. Mark war schleierhaft, wie sie das schaffte.
»Morgen kenne ich mehr Einzelheiten und rufe dich an«, versprach er. Kurz darauf beendeten sie das Gespräch.
Hope stellte ihren Suppenteller in die Spülmaschine und ging zum Fenster. Es schneite ununterbrochen. Die Schicht auf dem Gehweg war bereits ein paar Zentimeter hoch. Der Anblick erinnerte Hope an London. Als sie das letzte Mal dort gewesen war, hatte es ebenfalls geschneit, und die Stadt sah aus wie auf einer Weihnachtskarte. Sie fragte sich, ob Paul tatsächlich jetzt in London war, entschied jedoch, ihn erst nach ihrer Ankunft anzurufen. Womöglich gab es noch eine Planänderung. Außerdem wollte sie zunächst sehen, ob sie ein Treffen zeitlich unterbringen konnte. An Weihnachten wollte sie nicht mit ihm zusammen sein. Dann war die Gefahr zu groß, dass sie sentimental wurden und weinten. Das wollte Hope um jeden Preis vermeiden. Sie waren jetzt gute Freunde. Er wusste, dass sie für ihn da war, wenn er sie brauchte. Aber vermutlich war Paul zu stolz, um sie jemals um Hilfe zu bitten. Wenn sie sich trafen, bemühten sie sich stets, locker miteinander umzugehen. So funktionierte es für sie beide am besten. Über die Vergangenheit zu sprechen war zu schwer und führte zu nichts.
Hope sah, wie draußen ein Mann Fußabdrücke im Schnee hinterließ. Dann kam eine alte Dame, die mit ihrem Hund Gassi ging und dabei immer wieder ins Rutschen geriet. Hope konnte diesem Anblick nicht länger widerstehen. Sie zog Mantel und Stiefel an und lief nach draußen. Die Leica hatte sie eingesteckt. Nicht diese schicke neue, die im Moment alle unbedingt haben wollten, sondern ihre alte Lieblingskamera.
Zehn Minuten später streifte sie auf der Suche nach geeigneten Motiven durch den fallenden Schnee die Straße entlang. Ohne es geplant zu haben, stand sie plötzlich vor dem Eingang zur U-Bahn. Da kam ihr eine Idee, und sie eilte die Stufen hinunter. Sie würde im Central Park ein paar Nachtaufnahmen machen und dann zu den raueren Gegenden an der West Side weiterziehen. Schnee hatte die Eigenschaft, die Herzen und Gesichter der Menschen weicher zu machen. Für Hope war die Nacht noch jung, und wenn sie Lust hatte, konnte sie bis morgen früh draußen bleiben. Das war einer der Vorteile des Alleinseins, wie sie entdeckt hatte. Sie konnte arbeiten, wann immer und wie lange sie wollte, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Es gab niemanden, der zu Hause auf sie wartete.
Es war schon drei Uhr am Morgen, als sie über die Prince Street wieder zurück nach Hause ging. Sie lächelte und war zufrieden mit dem Ergebnis dieser Nacht. Als sie die Haustür aufschloss, hatte es gerade aufgehört zu schneien. Sie stieg die Treppe hinauf zu ihrem Loft, zog den feuchten Mantel aus und ließ ihn in der Küche. In ein paar Stunden musste sie unbedingt für ihre Reise nach London packen.
Fünf Minuten später hatte sie ihr molliges Nachthemd an und kuschelte sich in ihr schmales Bett auf dem Podest. Sobald ihr Kopf auf dem Kissen lag, schlief sie ein. Es war eine angenehme, produktive Nacht gewesen.
Übersetzung: Silvia Kinkel
© 2009 Danielle Steel © 2014 für die deutschsprachige Ausgabe bei Knaur Taschenbuch
... weniger
Autoren-Porträt von Danielle Steel
Danielle Steel, geboren in New York, Tochter einer Portugiesin und eines Deutschen, aufgewachsen in Frankreich und dort Besuch verschiedener europäischer Schulen. Rückkehr nach New York und Studium der Romanistik. 1977 erste Romanveröffentlichung mit großem Erfolg. Seither weiter ca. 50 Roman-Publikationen. Die Autorin lebt mit ihrer vielköpfigen Familie in San Francisco.
Bibliographische Angaben
- Autor: Danielle Steel
- 2014, 336 Seiten, Maße: 17,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Silvia Kinkel
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426511886
- ISBN-13: 9783426511886
- Erscheinungsdatum: 26.05.2014
Kommentare zu "Was das Herz will"
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Was das Herz will".
Kommentar verfassen