Weil ich euch liebte
Thriller. Deutsche Erstausgabe
Glens Frau Sheila kommt bei einem Unfall zu Tode - angeblich war sie betrunken. Kurz darauf ertrinkt eine gute Freundin von ihr. Und dann erfährt Glen auch noch, dass seine Frau 62.000 Dollar veruntreut haben soll. Doch niemand will ihm glauben, dass Sheila ermordet wurde.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Weil ich euch liebte “
Glens Frau Sheila kommt bei einem Unfall zu Tode - angeblich war sie betrunken. Kurz darauf ertrinkt eine gute Freundin von ihr. Und dann erfährt Glen auch noch, dass seine Frau 62.000 Dollar veruntreut haben soll. Doch niemand will ihm glauben, dass Sheila ermordet wurde.
Klappentext zu „Weil ich euch liebte “
Glens Familie stürzt jäh ins Unglück, als seine Frau Sheila bei einem Unfall ums Leben kommt. Sie soll volltrunken gefahren sein und zwei Unschuldige mit in den Tod gerissen haben! Die Polizei ist sich ihrer Sache sicher - doch Glen kann es einfach nicht fassen. Kurze Zeit später ertrinkt eine gute Freundin von Sheila auf mysteriöse Weise. Und als Glen bald darauf erfährt, dass Sheila 62.000 Dollar veruntreut haben soll, bringt ihn das vollends aus dem Gleichgewicht. Beweise für ein Verbrechen hat er allerdings keine ...
Lese-Probe zu „Weil ich euch liebte “
Weil ich euch liebte von Linwood BarclayPROLOG
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Sie hießen Edna Bauder und Pam Steigerwald und waren Grundschullehrerinnen aus Butler, Pennsylvania. In New York waren sie noch nie gewesen. Obwohl New York natürlich nicht aus der Welt war. Aber wenn man in Butler lebte, konnte man durchaus diesen Eindruck gewinnen. Als Pams vierzigster Geburtstag vor der Tür stand, versprach ihr ihre Freundin Edna ein Geburtstagswochenende, das sie niemals vergessen würde. Und mit dieser Vorhersage sollte sie zu hundert Prozent recht behalten.
Entzückt nahmen die beiden Ehemänner zur Kenntnis, dass ein reines Damenwochenende geplant war. Als sich auch noch herausstellte, dass zwei Tage Shoppen, eine BroadwayAufführung und die Sex-and-the-City-Tour auf dem Programm standen, waren sie sich einig: dann lieber zu Hause bleiben und sich die Kugel geben! Also setzten sie ihre Frauen in den Bus, sagten, amüsiert euch schön, aber trinkt nicht zu viel, denn in New York wimmelt es von Straßenräubern, das weiß jeder, und da müsst ihr eure fünf Sinne beisammenhalten.
Edna und Pam fanden ein Hotel in der Nähe der Kreuzung 50. Straße und 3. Avenue zu einem, zumindest für New Yorker Verhältnisse, annehmbaren Preis. Dafür, dass sie dort nur schlafen wollten, war er allerdings immer noch ganz schön gesalzen. Sie hatten sich geschworen, zu sparen und nicht mit dem Taxi zu fahren. Doch die U-Bahn-Netzpläne sahen aus wie das Schaltschema für das Space Shuttle, und da dachten sie: Was soll's? Sie gingen zu Bloomingdale's und Macy's und in einen riesigen Schuhladen am Union Square, in den sämtliche Geschäfte von Butler hineingepasst und noch immer genügend Platz fürs Postamt gelassen hätten.
»In diesem Laden sollt ihr meine Asche verstreuen, wenn ich mal tot bin«, sagte Edna beim Anprobieren von einem Paar Sandalen.
Eigentlich wollten sie auf die Aussichtsplattform des Empire State Building, doch die Warteschlange war endlos, und wenn man nur achtundvierzig Stunden für den Big Apple hat, stellt man sich nicht drei davon in eine Schlange, und so ließen sie's sein.
Pam wollte in dem Lokal zu Mittag essen, wo Meg Ryan in diesem Film einen Orgasmus vorspielt. Sie bekamen einen Platz genau neben dem Filmtisch - der sogar extra mit einem Schild gekennzeichnet war. In Butler würden sie aber allen erzählen, dass sie am echten Tisch gesessen hätten. Edna bestellte sich ein Pastrami-Sandwich mit einem Knish, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein Knish war. Pam sagte: »Ich will genau das, was sie hat!«, und die beiden kriegten sich vor Lachen nicht mehr ein. Die Kellnerin verdrehte nur die Augen.
Nachher beim Kaffee sagte Edna beinahe übergangslos: »Ich glaube, Phil trifft sich mit dieser Kellnerin aus Denny's Café.« Dann brach sie in Tränen aus, und Pam fragte sie, wie sie denn auf diese Idee käme, und dass sie Ednas Phil für einen anständigen Mann halte, der sie nie betrügen würde, und Edna sagte, sie glaube auch nicht, dass er es tatsächlich mit der Kellnerin trieb oder so was, aber er ginge jeden Tag auf einen Kaffee da hin, also hatte das etwas zu bedeuten. Und sie, Edna, rühre er schon lange nicht mehr an.
Ach, komm, sagte Pam. Wir haben doch alle so viel um die Ohren, wir haben Kinder, Phil hat zwei Jobs, wer hat denn da noch genug Energie?
»Vielleicht hast du recht«, meinte Edna.
»Schluss mit diesen düsteren Gedanken«, sagte Pam. »Du hast mich hierhergebracht, damit ich mich amüsiere.« Sie schlug ihren New-York-Führer an der Stelle auf, die sie mit einem Klebezettel markiert hatte. »Dagegen hilft nur Konsumtherapie. Auf in die Canal Street.«
Edna hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Pam erklärte ihr, dort könne man Handtaschen - Designerhandtaschen oder zumindest Taschen, die wie Designertaschen aussahen - zu einem Spottpreis erstehen. Man müsse sich halt durchfragen. Sie habe in einer Zeitschrift gelesen, die besten Stücke finde man in keinem Schaufenster. Um ein echtes Schnäppchen zu machen, müsse man in die Hinterzimmer oder so ähnlich.
»Keiner versteht mich so wie du, Süße«, sagte Edna.
Also schwangen sie sich ins nächste Taxi und sagten, sie wollten zur Canal Street, Ecke Broadway. Doch an der Kreuzung Lafayette und Grand Street kam das Taxi abrupt zum Stehen.
»Was ist los?«, fragte Edna den Fahrer.
»Unfall«, antwortete er mit einem Akzent, den Pam nicht zuordnen konnte. Von Salvadorianisch bis Schweizerisch war alles drin. »Kann nicht abbiegen. Aber ist nicht mehr weit. Nur paar Straßen da lang.«
Pam zahlte, und sie marschierten los, Richtung Canal Street. An der nächsten Ecke hatte sich eine Menschentraube gebildet. »O Gott«, sagte Edna
Sie schaute weg, doch Pam blieb wie gelähmt stehen. Ein Mann lag mit gespreizten Beinen auf der Motorhaube eines Taxis, das in eine Ampel gerast war. Sein Kopf hatte die Windschutzscheibe durchstoßen, und sein Oberkörper hing über das Armaturenbrett. Ein völlig verbeultes Fahrrad klemmte zwischen den Vorderrädern des Taxis. Der Platz am Steuer war leer. Vielleicht hatte man den Fahrer schon ins Krankenhaus gebracht. Feuerwehrleute und Polizisten untersuchten den Wagen und forderten die Umstehenden auf zurückzutreten.
»Scheiß Fahrradkuriere«, sagte jemand. »Ein Wunder, dass da nicht öfter was passiert.«
Edna ergriff Pams Ellbogen. »Ich kann da nicht hinsehen.«
Als sie endlich die Ecke Canal Street und Broadway erreichten, hatten sie den schrecklichen Anblick zwar noch nicht ganz verarbeitet, doch »So was passiert halt« wie ein Mantra oft genug vor sich hin gebetet, um doch noch das Beste aus diesem Wochenende zu machen.
Mit der Kamera ihres Handys knipste erst Pam ein Foto von Edna unter einem Straßenschild mit der Aufschrift »Broadway«, dann machte Edna eines von Pam. Ein Passant bot an, Fotos von ihnen beiden zu schießen, doch Edna sagte, nein danke, und später zu Pam, das sei sicher nur ein Trick gewesen, um ihnen die Handys zu stehlen. »Ganz blöd bin ich schließlich auch nicht«, meinte Edna.
Sie schlenderten die Canal Street in östlicher Richtung entlang und kamen sich plötzlich wie im Ausland vor. Sahen so nicht die Märkte in Hongkong oder Marokko oder Thailand aus? Eng aneinandergequetschte Läden, deren Waren sich auf die Straße ergossen?
»Nicht gerade Sears«, sagte Pam.
»So viele Chinesen«, sagte Edna.
»Ich glaube, das kommt daher, dass wir in Chinatown sind«, meinte Pam.
Ein Obdachloser in einem Trikot der Toronto Maple Leafs bat um ein paar Münzen. Ein anderer Mann wollte ihnen ein Flugblatt aufdrängen, doch Pam hob abwehrend die Hand. Schwärme halbwüchsiger Mädchen kicherten und gafften, und manche schafften es sogar, sich zu unterhalten, während sie sich über Ohrstöpsel mit Musik beschallen ließen.
Die Schaufenster der Läden waren vollgestopft mit Halsketten, Uhren und Sonnenbrillen. Ein Schild vor einem der Läden verkündete: »WIR KAUFEN GOLD«. Von einer Feuerleiter hing ein langes vertikales Schild mit der Aufschrift: »Tattoos - Body Piercing - Zubehör für Henna-Körperbemalung - Körperschmuck en gros - Bücher Magazine Kunstobjekte 2. Stock«. Weitere Schilder warben für »Leder« und »Pashmina«. Es gab unzählige Werbebanner mit chinesischen Schriftzeichen. Und sogar einen Burger King.
Die beiden Frauen betraten einen Laden und stellten fest, dass es in Wirklichkeit ein paar Dutzend waren. Wie in einem Mini-Einkaufszentrum oder auf einem Flohmarkt hatte jedes Geschäft seine eigene kleine Glaszelle. Und seine eigenen Spezialprodukte. Schmuck, DVDs, Uhren, Handtaschen.
»Guck mal hier«, sagte Edna. »Eine Rolex.«
»Die ist nicht echt«, sagte Pam. »Sieht aber toll aus. Glaubst du, irgendwer in Butler merkt den Unterschied?«
»Glaubst du, irgendwer in Butler weiß überhaupt, was eine Rolex ist?« Edna lachte. »Oh! Schau dir mal diese Taschen an!«
Fendi, Coach, Kate Spade, Louis Vuitton, Prada. »Und die Preise. Unglaublich«, sagte Pam. »Was würdest du normalerweise für so eine Tasche hinblättern?«
»Viel, viel mehr.«
Der chinesische Ladeninhaber fragte, ob er helfen könne. Pam, die den Eindruck erwecken wollte, sie kenne sich hier bestens aus, was nicht so leicht war, wenn einem ein Reiseführer New York aus der Tasche lugte, fragte: »Wo haben Sie denn die richtigen Schnäppchen?«
»Was?«, fragte er zurück.
»Die sind ja ganz hübsch«, meinte sie. »Aber wo haben Sie die wirklich erstklassigen Stücke?«
Edna schüttelte nervös den Kopf. »Aber die sind doch nicht schlecht. Wir können uns hier was aussuchen.«
Doch Pam ließ nicht locker. »Eine Freundin hat mir gesagt - ich weiß nicht, ob jetzt speziell bei Ihnen -, es soll noch andere Taschen geben, die nicht ausgestellt sind.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Fragen Sie sie«, sagte er und zeigte auf einen Stand noch tiefer in diesem Ladenlabyrinth.
Pam ging hin, warf einen flüchtigen Blick auf die Taschen und fragte die alte Chinesin in der glänzenden roten Seidenjacke, wo sie die guten Stücke versteckt halte.
»Hah?«, sagte die Frau.
»Die besten Taschen«, erklärte Pam. »Die besten Imitationen.«
Die Frau sah Pam und Edna lange an. Wenn das verdeckte Ermittlerinnen waren, dann waren es die besten, die ihr je untergekommen waren. Schließlich sagte sie: »Gehen Sie hinten raus, dann links, suchen Sie die Tür mit der Nummer acht drauf. Da gehen Sie rein. Andy wird Ihnen weiterhelfen.«
Pam warf Edna einen begehrlichen Blick zu. »Danke!«, sagte sie, packte Edna am Arm und führte sie zu einer Tür am Ende des schmalen Korridors.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Edna.
»Keine Panik, ist doch nichts dabei.«
Doch selbst Pam stutzte, als sie zur Tür hinausgingen und sich plötzlich in einer engen Hintergasse wiederfanden.
Müllcontainer, überall verstreuter Abfall, ausrangierte Haushaltsgeräte. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, und als Edna den Griff packte, stellte sie fest, dass sich die Tür nicht öffnen ließ.
»Na, toll«, sagte sie. »Als ob mich der Unfall vorhin nicht schon genug geschockt hätte.«
»Sie hat gesagt, links, also halten wir uns links«, sagte Pam.
Schon wenige Schritte weiter stießen sie auf die Metalltür, auf die eine Acht gemalt war. »Sollen wir klopfen oder gehen wir einfach rein?«, fragte Pam.
»Du hattest die grandiose Idee, nicht ich«, erwiderte Edna.
Pam klopfte leise, und als nach zehn Sekunden niemand geöffnet hatte, zog sie am Griff. Die Tür war nicht verschlossen. Vor ihnen lagen ein paar Stufen, die in ein dunkles Treppenhaus führten. Doch unten war ein schwacher Lichtschimmer zu sehen.
»Hallo? Andy?«, rief Pam.
Keine Antwort.
»Gehen wir«, sagte Edna. »Ich habe in dem anderen Laden ein paar Taschen gesehen, die waren perfekt.«
»Jetzt sind wir schon einmal da«, meinte Pam, »dann können wir uns auch umsehen.« Sie stieg die Treppe hinunter und spürte, wie die Temperatur bei jedem Schritt weiter sank. Unten spähte sie in einen Raum, dann blickte sie wieder zu Edna hoch. Sie grinste von einem Ohr zum anderen. »Das ist so abgefahren.«
Edna folgte ihr in den engen Raum. Er war von oben bis unten vollgestopft mit Handtaschen. Sie lagen auf Tischen, hingen von Haken an den Wänden und an der Decke. Vielleicht war es die Kälte hier unten, aber das Ganze erinnerte Edna an einen Fleischkühlraum, nur dass statt Rindfleisch überall Lederwaren baumelten.
»Ich muss tot sein«, sagte Pam. »Wir sind im Handtaschenhimmel.«
Im flackernden Licht der Neonröhren über ihren Köpfen begannen sie, sich durch die Taschen auf den Schautischen zu wühlen.
»Wenn das eine Fendi-Imitation ist, fresse ich einen Besen«, sagte Edna, während sie eine der Taschen genauer unter die Lupe nahm. »Das Leder fühlt sich so echt an. Ich meine, das Leder ist doch auf jeden Fall echt, oder? Nur die Logos sind gefälscht. Ich würde zu gern wissen, wie viel die hier kostet.«
Pam erblickte an einem Ende des Raums eine Tür mit einem Vorhang davor. »Vielleicht ist dieser Andy ja da drin?« Sie ging auf die Tür zu.
»Warte«, sagte Edna. »Wir sollten von hier verschwinden. Schau uns doch an. Wir sind in einem Keller in New York City, irgendwo weit ab vom Schuss, und kein Mensch weiß, dass wir da sind.«
Pam verdrehte die Augen. »Meine Güte, das ist Pennsylvania, wie es leibt und lebt!« Jetzt stand sie vor dem Durchgang und rief: »Mr. Andy? Die chinesische Dame sagte, wir sollen uns an Sie wenden.« Sie hätte sich ohrfeigen können für ihre Dummheit. Chinesische Dame! Eine wahrhaft hilfreiche Personenbeschreibung in Chinatown.
Edna unterzog das Futter der gefälschten Fendi-Tasche einer eingehenden Prüfung.
Pam zog den Vorhang zur Seite.
Edna hörte ein komisches Geräusch, eine Art »Pfft«, und sah in die Richtung, aus der es gekommen war. Da lag ihre Freundin schon auf dem Boden und regte sich nicht.
»Pam?« Sie ließ die Tasche fallen und rannte zu ihr. »Pam, alles in Ordnung mit dir?«
Beim Näherkommen sah sie, dass Pam, die auf dem Rücken lag, einen roten Punkt mitten auf der Stirn hatte und dass daraus etwas hervorsickerte. Als sei Pam leckgeschlagen.
»O Gott, Pam?«
Der Vorhang wurde zur Seite geschoben, und ein großer, dünner Mann mit dunklem Haar und einer Narbe über einem Auge trat hervor. Er hatte eine Pistole, und die war genau auf Ednas Kopf gerichtet.
Das Letzte, was Edna sah, direkt hinter dem Vorhang in dem anderen Raum, war ein alter Chinese, der an einem Schreibtisch saß. Er lag mit der Stirn auf der Tischplatte, und ein Blutrinnsal floss ihm aus der Schläfe.
Das Letzte, was Edna hörte, war eine Frau - nicht Pam, denn Pam hatte ein für alle Mal ausgeredet -, die sagte: »Wir müssen hier weg.«
Das Letzte, was Edna dachte, war: Nach Hause. Ich will nach Hause.
...
Übersetzung: Silvia Visintini
© 2012 Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Sie hießen Edna Bauder und Pam Steigerwald und waren Grundschullehrerinnen aus Butler, Pennsylvania. In New York waren sie noch nie gewesen. Obwohl New York natürlich nicht aus der Welt war. Aber wenn man in Butler lebte, konnte man durchaus diesen Eindruck gewinnen. Als Pams vierzigster Geburtstag vor der Tür stand, versprach ihr ihre Freundin Edna ein Geburtstagswochenende, das sie niemals vergessen würde. Und mit dieser Vorhersage sollte sie zu hundert Prozent recht behalten.
Entzückt nahmen die beiden Ehemänner zur Kenntnis, dass ein reines Damenwochenende geplant war. Als sich auch noch herausstellte, dass zwei Tage Shoppen, eine BroadwayAufführung und die Sex-and-the-City-Tour auf dem Programm standen, waren sie sich einig: dann lieber zu Hause bleiben und sich die Kugel geben! Also setzten sie ihre Frauen in den Bus, sagten, amüsiert euch schön, aber trinkt nicht zu viel, denn in New York wimmelt es von Straßenräubern, das weiß jeder, und da müsst ihr eure fünf Sinne beisammenhalten.
Edna und Pam fanden ein Hotel in der Nähe der Kreuzung 50. Straße und 3. Avenue zu einem, zumindest für New Yorker Verhältnisse, annehmbaren Preis. Dafür, dass sie dort nur schlafen wollten, war er allerdings immer noch ganz schön gesalzen. Sie hatten sich geschworen, zu sparen und nicht mit dem Taxi zu fahren. Doch die U-Bahn-Netzpläne sahen aus wie das Schaltschema für das Space Shuttle, und da dachten sie: Was soll's? Sie gingen zu Bloomingdale's und Macy's und in einen riesigen Schuhladen am Union Square, in den sämtliche Geschäfte von Butler hineingepasst und noch immer genügend Platz fürs Postamt gelassen hätten.
»In diesem Laden sollt ihr meine Asche verstreuen, wenn ich mal tot bin«, sagte Edna beim Anprobieren von einem Paar Sandalen.
Eigentlich wollten sie auf die Aussichtsplattform des Empire State Building, doch die Warteschlange war endlos, und wenn man nur achtundvierzig Stunden für den Big Apple hat, stellt man sich nicht drei davon in eine Schlange, und so ließen sie's sein.
Pam wollte in dem Lokal zu Mittag essen, wo Meg Ryan in diesem Film einen Orgasmus vorspielt. Sie bekamen einen Platz genau neben dem Filmtisch - der sogar extra mit einem Schild gekennzeichnet war. In Butler würden sie aber allen erzählen, dass sie am echten Tisch gesessen hätten. Edna bestellte sich ein Pastrami-Sandwich mit einem Knish, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein Knish war. Pam sagte: »Ich will genau das, was sie hat!«, und die beiden kriegten sich vor Lachen nicht mehr ein. Die Kellnerin verdrehte nur die Augen.
Nachher beim Kaffee sagte Edna beinahe übergangslos: »Ich glaube, Phil trifft sich mit dieser Kellnerin aus Denny's Café.« Dann brach sie in Tränen aus, und Pam fragte sie, wie sie denn auf diese Idee käme, und dass sie Ednas Phil für einen anständigen Mann halte, der sie nie betrügen würde, und Edna sagte, sie glaube auch nicht, dass er es tatsächlich mit der Kellnerin trieb oder so was, aber er ginge jeden Tag auf einen Kaffee da hin, also hatte das etwas zu bedeuten. Und sie, Edna, rühre er schon lange nicht mehr an.
Ach, komm, sagte Pam. Wir haben doch alle so viel um die Ohren, wir haben Kinder, Phil hat zwei Jobs, wer hat denn da noch genug Energie?
»Vielleicht hast du recht«, meinte Edna.
»Schluss mit diesen düsteren Gedanken«, sagte Pam. »Du hast mich hierhergebracht, damit ich mich amüsiere.« Sie schlug ihren New-York-Führer an der Stelle auf, die sie mit einem Klebezettel markiert hatte. »Dagegen hilft nur Konsumtherapie. Auf in die Canal Street.«
Edna hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Pam erklärte ihr, dort könne man Handtaschen - Designerhandtaschen oder zumindest Taschen, die wie Designertaschen aussahen - zu einem Spottpreis erstehen. Man müsse sich halt durchfragen. Sie habe in einer Zeitschrift gelesen, die besten Stücke finde man in keinem Schaufenster. Um ein echtes Schnäppchen zu machen, müsse man in die Hinterzimmer oder so ähnlich.
»Keiner versteht mich so wie du, Süße«, sagte Edna.
Also schwangen sie sich ins nächste Taxi und sagten, sie wollten zur Canal Street, Ecke Broadway. Doch an der Kreuzung Lafayette und Grand Street kam das Taxi abrupt zum Stehen.
»Was ist los?«, fragte Edna den Fahrer.
»Unfall«, antwortete er mit einem Akzent, den Pam nicht zuordnen konnte. Von Salvadorianisch bis Schweizerisch war alles drin. »Kann nicht abbiegen. Aber ist nicht mehr weit. Nur paar Straßen da lang.«
Pam zahlte, und sie marschierten los, Richtung Canal Street. An der nächsten Ecke hatte sich eine Menschentraube gebildet. »O Gott«, sagte Edna
Sie schaute weg, doch Pam blieb wie gelähmt stehen. Ein Mann lag mit gespreizten Beinen auf der Motorhaube eines Taxis, das in eine Ampel gerast war. Sein Kopf hatte die Windschutzscheibe durchstoßen, und sein Oberkörper hing über das Armaturenbrett. Ein völlig verbeultes Fahrrad klemmte zwischen den Vorderrädern des Taxis. Der Platz am Steuer war leer. Vielleicht hatte man den Fahrer schon ins Krankenhaus gebracht. Feuerwehrleute und Polizisten untersuchten den Wagen und forderten die Umstehenden auf zurückzutreten.
»Scheiß Fahrradkuriere«, sagte jemand. »Ein Wunder, dass da nicht öfter was passiert.«
Edna ergriff Pams Ellbogen. »Ich kann da nicht hinsehen.«
Als sie endlich die Ecke Canal Street und Broadway erreichten, hatten sie den schrecklichen Anblick zwar noch nicht ganz verarbeitet, doch »So was passiert halt« wie ein Mantra oft genug vor sich hin gebetet, um doch noch das Beste aus diesem Wochenende zu machen.
Mit der Kamera ihres Handys knipste erst Pam ein Foto von Edna unter einem Straßenschild mit der Aufschrift »Broadway«, dann machte Edna eines von Pam. Ein Passant bot an, Fotos von ihnen beiden zu schießen, doch Edna sagte, nein danke, und später zu Pam, das sei sicher nur ein Trick gewesen, um ihnen die Handys zu stehlen. »Ganz blöd bin ich schließlich auch nicht«, meinte Edna.
Sie schlenderten die Canal Street in östlicher Richtung entlang und kamen sich plötzlich wie im Ausland vor. Sahen so nicht die Märkte in Hongkong oder Marokko oder Thailand aus? Eng aneinandergequetschte Läden, deren Waren sich auf die Straße ergossen?
»Nicht gerade Sears«, sagte Pam.
»So viele Chinesen«, sagte Edna.
»Ich glaube, das kommt daher, dass wir in Chinatown sind«, meinte Pam.
Ein Obdachloser in einem Trikot der Toronto Maple Leafs bat um ein paar Münzen. Ein anderer Mann wollte ihnen ein Flugblatt aufdrängen, doch Pam hob abwehrend die Hand. Schwärme halbwüchsiger Mädchen kicherten und gafften, und manche schafften es sogar, sich zu unterhalten, während sie sich über Ohrstöpsel mit Musik beschallen ließen.
Die Schaufenster der Läden waren vollgestopft mit Halsketten, Uhren und Sonnenbrillen. Ein Schild vor einem der Läden verkündete: »WIR KAUFEN GOLD«. Von einer Feuerleiter hing ein langes vertikales Schild mit der Aufschrift: »Tattoos - Body Piercing - Zubehör für Henna-Körperbemalung - Körperschmuck en gros - Bücher Magazine Kunstobjekte 2. Stock«. Weitere Schilder warben für »Leder« und »Pashmina«. Es gab unzählige Werbebanner mit chinesischen Schriftzeichen. Und sogar einen Burger King.
Die beiden Frauen betraten einen Laden und stellten fest, dass es in Wirklichkeit ein paar Dutzend waren. Wie in einem Mini-Einkaufszentrum oder auf einem Flohmarkt hatte jedes Geschäft seine eigene kleine Glaszelle. Und seine eigenen Spezialprodukte. Schmuck, DVDs, Uhren, Handtaschen.
»Guck mal hier«, sagte Edna. »Eine Rolex.«
»Die ist nicht echt«, sagte Pam. »Sieht aber toll aus. Glaubst du, irgendwer in Butler merkt den Unterschied?«
»Glaubst du, irgendwer in Butler weiß überhaupt, was eine Rolex ist?« Edna lachte. »Oh! Schau dir mal diese Taschen an!«
Fendi, Coach, Kate Spade, Louis Vuitton, Prada. »Und die Preise. Unglaublich«, sagte Pam. »Was würdest du normalerweise für so eine Tasche hinblättern?«
»Viel, viel mehr.«
Der chinesische Ladeninhaber fragte, ob er helfen könne. Pam, die den Eindruck erwecken wollte, sie kenne sich hier bestens aus, was nicht so leicht war, wenn einem ein Reiseführer New York aus der Tasche lugte, fragte: »Wo haben Sie denn die richtigen Schnäppchen?«
»Was?«, fragte er zurück.
»Die sind ja ganz hübsch«, meinte sie. »Aber wo haben Sie die wirklich erstklassigen Stücke?«
Edna schüttelte nervös den Kopf. »Aber die sind doch nicht schlecht. Wir können uns hier was aussuchen.«
Doch Pam ließ nicht locker. »Eine Freundin hat mir gesagt - ich weiß nicht, ob jetzt speziell bei Ihnen -, es soll noch andere Taschen geben, die nicht ausgestellt sind.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Fragen Sie sie«, sagte er und zeigte auf einen Stand noch tiefer in diesem Ladenlabyrinth.
Pam ging hin, warf einen flüchtigen Blick auf die Taschen und fragte die alte Chinesin in der glänzenden roten Seidenjacke, wo sie die guten Stücke versteckt halte.
»Hah?«, sagte die Frau.
»Die besten Taschen«, erklärte Pam. »Die besten Imitationen.«
Die Frau sah Pam und Edna lange an. Wenn das verdeckte Ermittlerinnen waren, dann waren es die besten, die ihr je untergekommen waren. Schließlich sagte sie: »Gehen Sie hinten raus, dann links, suchen Sie die Tür mit der Nummer acht drauf. Da gehen Sie rein. Andy wird Ihnen weiterhelfen.«
Pam warf Edna einen begehrlichen Blick zu. »Danke!«, sagte sie, packte Edna am Arm und führte sie zu einer Tür am Ende des schmalen Korridors.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Edna.
»Keine Panik, ist doch nichts dabei.«
Doch selbst Pam stutzte, als sie zur Tür hinausgingen und sich plötzlich in einer engen Hintergasse wiederfanden.
Müllcontainer, überall verstreuter Abfall, ausrangierte Haushaltsgeräte. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, und als Edna den Griff packte, stellte sie fest, dass sich die Tür nicht öffnen ließ.
»Na, toll«, sagte sie. »Als ob mich der Unfall vorhin nicht schon genug geschockt hätte.«
»Sie hat gesagt, links, also halten wir uns links«, sagte Pam.
Schon wenige Schritte weiter stießen sie auf die Metalltür, auf die eine Acht gemalt war. »Sollen wir klopfen oder gehen wir einfach rein?«, fragte Pam.
»Du hattest die grandiose Idee, nicht ich«, erwiderte Edna.
Pam klopfte leise, und als nach zehn Sekunden niemand geöffnet hatte, zog sie am Griff. Die Tür war nicht verschlossen. Vor ihnen lagen ein paar Stufen, die in ein dunkles Treppenhaus führten. Doch unten war ein schwacher Lichtschimmer zu sehen.
»Hallo? Andy?«, rief Pam.
Keine Antwort.
»Gehen wir«, sagte Edna. »Ich habe in dem anderen Laden ein paar Taschen gesehen, die waren perfekt.«
»Jetzt sind wir schon einmal da«, meinte Pam, »dann können wir uns auch umsehen.« Sie stieg die Treppe hinunter und spürte, wie die Temperatur bei jedem Schritt weiter sank. Unten spähte sie in einen Raum, dann blickte sie wieder zu Edna hoch. Sie grinste von einem Ohr zum anderen. »Das ist so abgefahren.«
Edna folgte ihr in den engen Raum. Er war von oben bis unten vollgestopft mit Handtaschen. Sie lagen auf Tischen, hingen von Haken an den Wänden und an der Decke. Vielleicht war es die Kälte hier unten, aber das Ganze erinnerte Edna an einen Fleischkühlraum, nur dass statt Rindfleisch überall Lederwaren baumelten.
»Ich muss tot sein«, sagte Pam. »Wir sind im Handtaschenhimmel.«
Im flackernden Licht der Neonröhren über ihren Köpfen begannen sie, sich durch die Taschen auf den Schautischen zu wühlen.
»Wenn das eine Fendi-Imitation ist, fresse ich einen Besen«, sagte Edna, während sie eine der Taschen genauer unter die Lupe nahm. »Das Leder fühlt sich so echt an. Ich meine, das Leder ist doch auf jeden Fall echt, oder? Nur die Logos sind gefälscht. Ich würde zu gern wissen, wie viel die hier kostet.«
Pam erblickte an einem Ende des Raums eine Tür mit einem Vorhang davor. »Vielleicht ist dieser Andy ja da drin?« Sie ging auf die Tür zu.
»Warte«, sagte Edna. »Wir sollten von hier verschwinden. Schau uns doch an. Wir sind in einem Keller in New York City, irgendwo weit ab vom Schuss, und kein Mensch weiß, dass wir da sind.«
Pam verdrehte die Augen. »Meine Güte, das ist Pennsylvania, wie es leibt und lebt!« Jetzt stand sie vor dem Durchgang und rief: »Mr. Andy? Die chinesische Dame sagte, wir sollen uns an Sie wenden.« Sie hätte sich ohrfeigen können für ihre Dummheit. Chinesische Dame! Eine wahrhaft hilfreiche Personenbeschreibung in Chinatown.
Edna unterzog das Futter der gefälschten Fendi-Tasche einer eingehenden Prüfung.
Pam zog den Vorhang zur Seite.
Edna hörte ein komisches Geräusch, eine Art »Pfft«, und sah in die Richtung, aus der es gekommen war. Da lag ihre Freundin schon auf dem Boden und regte sich nicht.
»Pam?« Sie ließ die Tasche fallen und rannte zu ihr. »Pam, alles in Ordnung mit dir?«
Beim Näherkommen sah sie, dass Pam, die auf dem Rücken lag, einen roten Punkt mitten auf der Stirn hatte und dass daraus etwas hervorsickerte. Als sei Pam leckgeschlagen.
»O Gott, Pam?«
Der Vorhang wurde zur Seite geschoben, und ein großer, dünner Mann mit dunklem Haar und einer Narbe über einem Auge trat hervor. Er hatte eine Pistole, und die war genau auf Ednas Kopf gerichtet.
Das Letzte, was Edna sah, direkt hinter dem Vorhang in dem anderen Raum, war ein alter Chinese, der an einem Schreibtisch saß. Er lag mit der Stirn auf der Tischplatte, und ein Blutrinnsal floss ihm aus der Schläfe.
Das Letzte, was Edna hörte, war eine Frau - nicht Pam, denn Pam hatte ein für alle Mal ausgeredet -, die sagte: »Wir müssen hier weg.«
Das Letzte, was Edna dachte, war: Nach Hause. Ich will nach Hause.
...
Übersetzung: Silvia Visintini
© 2012 Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
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Autoren-Porträt von Linwood Barclay
Linwood Barclay, geboren 1955, stammt aus den USA, lebt aber seit seiner Kindheit in Kanada. Er studierte Englische Literatur an der Trent University in Peterborough, Ontario, und arbeitete bis 2008 als Journalist. Im »Toronto Star«, Kanadas größter Tageszeitung, hatte er eine beliebte Kolumne. Sein erster Thriller, »Ohne ein Wort« (2007), war auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Er hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in der Nähe von Toronto.
Bibliographische Angaben
- Autor: Linwood Barclay
- 2012, 3. Aufl., 528 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Silvia Visintini
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426510529
- ISBN-13: 9783426510520
- Erscheinungsdatum: 20.01.2012
Pressezitat
"Brisanter, gesellschaftskritischer Thriller." Münchner Merkur 20120324
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