Weltfremd?
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Kapitel 1 - LEBEN
Sind Sie allein?
Lassen Sie mich an dieser Stelle mit einem Zitat beginnen, denn
Zitate lassen den Autor klüger erscheinen, als er eigentlich ist.
»Je mehr eine Kultur begreift, dass ihr aktuelles Weltbild eine
Fiktion ist, desto höher ist ihr wissenschaftliches Niveau.«
Und lassen Sie mich nun aus dem Zitat ein wenig Unterhaltung
für Sie machen, schließlich kann man ja heute aus allem Unterhaltung
machen. Gut eignen sich dazu politische Diskussionen,
Nachrichten, historische oder wissenschaftliche Dokumentationen,
aber auch halblustige Pseudofachliteratur wie dieses Buch.
Manipulation, gut gekleidet im Informationsmäntelchen
Mit Unterhaltungswert. Manchmal liegt ihr Wert nur in der Unterhaltung,
das reicht aus, um die Unterhaltungskonsumenten
»unten zu halten«. Wissen kann als Ratespiel unterhalten. Heben
wir also den Unterhaltungswert und machen wir aus dem Zitat
ein Quiz. Was glauben Sie, wer hat diesen klugen Satz gesagt?
War es:
a) der Dalai Lama
b) Albert Einstein
c) Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner, oder
d) der Dakota-Häuptling »Crazy Horse«?
Und das wird jetzt nicht gegoogelt, da müssen Sie allein draufkommen.
Vorausgesetzt Sie sind allein. Also ich bin nicht allein.
Werfen Sie nur einen Blick auf das Coverfoto dieses Buches und
schauen Sie mich doch einmal an. Ganz ehrlich »Ala is der Typ
net«. Und wenn ich Sie mir ein wenig genauer ansehe, muss ich
ehrlich sagen: »Sie sind auch nicht wirklich allein.« Machen wir
uns doch nichts vor, wir haben beide unsere stillen Begleiter dabei.
Unsere Erwartungen zum Beispiel. Ihre Erwartungen an dieses
Buch kenne ich nicht, möchte ich eigentlich auch gar nicht
kennen. Denn es könnte durchaus sein, dass Ihre Erwartungen
meine Erwartungen zerstören könnten. Und das möchte ich so
gut es geht vermeiden. Ich werde mir doch nicht von Ihnen meine
Erwartungen zerstören lassen. Da ist es doch besser, wenn
ich Ihre Erwartungen zerstöre und damit meinen Erwartungen
gerecht werde. Jetzt wollen Sie sicher wissen, was ich mir von
unserer Begegnung, unserem Dialog erwarte? Offen gestanden,
nicht viel. Was ich mir schon erwarte, ist, dass Sie nicht dazu
gezwungen wurden, dieses Buch zu lesen. Sie wissen, worauf Sie
sich durch den Kauf dieses Buches eingelassen haben. Sie haben
insgesamt drei Vorträge und damit fünf Jahre Zeit gehabt,
sich zu informieren und auf unseren Dialog vorzubereiten, und
es war Ihre bewusste, freie Entscheidung, dieses Buch zu lesen.
Es sei denn, Sie lesen es aus beruflichen Gründen, als Lektor,
Verleger, Kritiker oder Mitglied des Verfassungsschutzes. Oder
aber es handelt sich für Sie um einen gesellschaftlichen Zwang:
ein Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk. Aha ... ich verstehe.
Leider gibt es oft sehr unüberlegte Geschenke, aber Kopf hoch,
vielleicht gibt es nächstes Jahr wieder einen Büchergutschein,
und Sie dürfen dann selbst eine Entscheidung treffen.
Falls es Ihre eigene Entscheidung war, dieses Buch zu kau-
fen, um es zu lesen, Sie sich nach wenigen Seiten eingestehen
müssen, dass es trotz Ihrer Überzeugung eine falsche Entscheidung
war und Sie damit den Glauben an sich selbst verlieren
sollten, dann sind wir auch schon bei einer der vielen Fragen,
die ich Ihnen als Leser oder Leserin und mir selbst stellen möchte:
»Glaube ich nur das, was ich sehe, oder sehe ich nur das, was
ich glaube?« Die Antwort darauf zu finden ist an sich ein Leichtes.
Aber machen wir zwei es uns nicht unnötig leicht, sondern
denken wir gemeinsam zuerst über das Leben nach. Was ist das
eigentlich, ein Leben?
Ein Leben
Da sitzt so ein menschliches Wesen auf einem Stein und beobachtet
die vorbeiziehenden Wolken. Mehr hat es nicht zu tun.
Weil es eben jetzt, in diesem Moment, seine Bestimmung ist,
auf einem Stein zu sitzen und vorbeiziehende Wolken zu beobachten.
Und dafür braucht es nichts. Nicht einmal einen Namen
und auch kein »Ich«.
Abertausende Jahre später ziehen noch immer die Wolken
am Himmel vorbei und der Stein ist noch immer derselbe. Aber
er ist leer, denn das menschliche Wesen hat jetzt einen Namen,
und sein »Ich« ist jetzt gerade auf der Suche. Auf der Suche nach
seiner Bestimmung, auf der Suche nach dem Sinn. Sinn und
Bestimmung findet man bekanntlich nicht, indem man blöd auf
Steinen herumsitzt. Dazu muss man schon etwas tun, da reicht
es nicht, einfach nur auf einem Stein zu sitzen und in die Luft zu
schauen. Sinn und Bestimmung muss das menschliche Wesen
erst finden, und um zu finden muss man oft lange suchen. Oft
sucht man in der Zukunft, dort wo ja alles einmal besser wird.
Wenn dieses menschliche Wesen keine Mühen, Entbehrungen
und Kämpfe scheut, mit ein wenig Glück und Fügung, wird es
dann eines Tages seine Bestimmung gefunden haben. Es wird
auf einem Stein sitzen und die vorbeiziehenden Wolken beobachten,
weil es seine Bestimmung ist, jetzt gerade auf einem
Stein zu sitzen und vorbeiziehende Wolken zu beobachten.
Bis zu dieser Erkenntnis ist es aber noch ein langer Weg. Manchmal
dauert er ein Leben oder, wie manche meinen, viele Leben lang.
I bin i und Se san Si
Haben Sie Angst, Ihr Leben zu verlieren? Nicht jetzt, während
Sie diese Zeilen lesen, aber irgendwann in einer fernen Zukunft?
Wenn ja, dann erlauben Sie mir, Ihnen diese Angst zu nehmen.
Ganz einfach, weil es unmöglich ist, das Leben zu verlieren.
Denn dies würde ja bedeuten, dass Sie eines Tages Ihr Leben
verlieren, und Sie selbst sind noch da, um sich darüber zu ärgern,
das Leben verloren zu haben. Das kann schon deswegen
nicht passieren, weil wir beide gar kein Leben haben. Wir sind
ein Leben. Möglicherweise ein ewiges, aber das ist bislang noch
nicht bewiesen. Das, was wir so gerne als unser Leben bezeichnen,
entpuppt sich bei genauerer Betrachtung lediglich als unsere
Lebensgeschichte, mit welcher wir uns dummerweise oftmals
identifizieren, sie damit über das Leben stellen
und dabei vergessen, was wir sind: Leben, das leben will, inmitten
von anderem Leben, das auch leben will. Und das eint uns mit all den
anderen Leben auf diesem Planeten.
Das, was wir fälschlicherweise als unser Leben betrachten,
sich aber bei genauerer Betrachtung lediglich als unsere Geschichte
entpuppt, ist vergleichbar mit einem Sprung von einem
Hochhaus, der ungefähr 80 Jahre dauert. Es beginnt mit
der Geburt, der Entscheidung zu springen, und endet mit dem
Asphalt, dem Tod. Wobei natürlich so mancher dazwischen, an
einer übersehenen Fahnenstange, einem offenen Fensterflügel
und, wenn es ganz blöd hergeht, am F der Immofinanz-Leuchtbuchstaben
hängen bleibt und dadurch schon vorher den Löffel
abgibt oder dabei zumindest bewusstlos und in schwerer Ohnmacht
vom Gehsteig zertrümmert wird. Bei manchen setzt diese
Bewusstlosigkeit schon sehr früh ein. Und wenn ich früh schrei-
be, dann meine ich auch früh. Manche schlagen sich ja schon
beim Absprung den Kopf so ungeschickt an der Dachkante
an, auf dass sie ihre Lebensgeschichte in tiefer Bewusstlosigkeit
verleben, ohne jemals gelebt, gespürt und sich selbst erfahren
zu haben. Worum es im ersten Teil des Buches geht, ist allerdings
das Leben, das wir unabhängig von unserer Geschichte,
unabhängig von unserem Verstand und unserem ICH sind.
»Aber ich bin doch ICH. Da ist kein anderer, da bin nur ICH.
In mir bin nur ICH. Was soll ich sonst sein außer ICH, das, was
ich aus mir gemacht habe. I bin i und Se san Si.«
Aber glauben Sie mir: Ich bin nicht ich, und Sie sind nicht
Sie. Wir beide haben ein Ich, wir sind aber keines. Wir haben beide
ein Ich, weil wir es durch unser Denken konstruiert haben.
ICH ist ein Konstrukt, die Summe unserer Erfahrungen, abhängig
von äußeren Umständen.
Überlegen Sie, wenn Sie zu sich sagen: »I bin a festa Trottl«,
und damit in der Situation natürlich recht haben, wer spricht
da? Was in Ihnen weiß, dass ICH ohne Zweifel ein ziemlicher
Idiot ist. Es ist das, was übrig bleibt, wenn Sie eines Tages Ihr
ICH verlieren sollten.
Haben Sie schon jemals in der Vergangenheit Ihr ICH verloren?
Wenn Sie sich nicht sofort daran erinnern können, hat es
keinen Sinn, darüber nachzudenken, denn dann sind Sie mit an
Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit noch nie Ihres ICHs
verlustig gegangen. Denn daran würden Sie sich in der Sekunde,
ohne nachzudenken, erinnern. So etwas vergisst man nicht.
Ich selbst habe mein ICH schon mehrmals verloren. Als Motorradfahrer
passiert es fallweise, und das im wahrsten Sinn des
Wortes, dass man sich vom Gerät trennt, und das oftmals unfreiwillig.
Während sich das Motorrad in der Botanik kalt verformt,
kann es schon vorkommen, dass, ausgelöst durch einen dumpfen
Aufprall des Kopfes, der FI-Schutzschalter fällt und sich das
Bewusstsein kurzzeitig verabschiedet. In der Regel springt dieser
Schutzschalter wieder von selbst rein, und man wacht auf, abseits
der Fahrbahn, neben einem verbogenen Eisenhaufen, und
hat keine Ahnung, wo man sich gerade befindet.
»Was mach ich da? Wo bin ich hier? Wem gehört das verbogene
Motorrad? Wie heiß ich eigentlich? Wer bin ICH?«
Alles ist weg. Kein Name, keine Geschichte, kein ICH. Aber
du bist zweifellos da. Und genau in diesem Moment ist man
dort, wo wir zwei schon einmal waren, aber wir können uns
nicht mehr daran erinnern, weil es für Sie und mich schon sehr
lange her ist. Für mich war es konkret die Zeit nach dem 31. Oktober
1963.
© edition a
- Autor: Roland Düringer
- 2015, 416 Seiten, Maße: 15,2 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: edition a
- ISBN-10: 3990011367
- ISBN-13: 9783990011362
- Erscheinungsdatum: 15.11.2015
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