Wer Liebe verspricht
Indien 1848: Die 22-jährige Amerikanerin Olivia trifft auf Einladung ihrer Tante in Kalkutta ein. Lady Bridget sucht für ihre Nichte einen Ehemann, doch Olivia sträubt sich verbissen gegen die Heirat...
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Indien 1848: Die 22-jährige Amerikanerin Olivia trifft auf Einladung ihrer Tante in Kalkutta ein. Lady Bridget sucht für ihre Nichte einen Ehemann, doch Olivia sträubt sich verbissen gegen die Heirat mit einem dieser langweiligen englischen Kolonialherren. Sie sehnt sich schmerzlich nach der Freiheit ihrer Heimat. Da begegnet sie Jai Raventhorne, dem illegitimen Sohn eines Engländers und einer Inderin aus ärmlichen Verhältnissen. Jai ist ein Ausgestoßener in der von Vorurteilen bestimmten Welt der britischen Kolonie - und er erobert Olivia im Sturm. Doch Jai kann es nicht zulassen, dass Olivia ihm so nahe kommt, und verlässt sie ...
Wer Liebeverspricht von Rebecca Rymann
LESEPROBE
Die Stadt dampfte.
Regenschwere Monsunwolken hingen drohend und grollend ambleigrauen Himmel. Die Nachmittagsluft lag wie eine nasse Decke über der Erde.Sie hielt die drückende Feuchtigkeit gefangen und lähmte selbst dieStandhaftesten, denn sie nahm ihren Körpern jede Energie, ihrem Geist alleWillenskraft. Der Hooghly, der Fluß, der die Stadt teilte, kroch wie aufbleiernen Füßen dahin. Er wartete auf die Windböen, die ihn vorwärtstreibenund aus seiner Lethargie reißen würden. Kein Blatt, kein Staubwölkchen regtesich. Aber die Stille barg ein Versprechen: Wenn das Gewitter losbrach, würdees die ersehnte Kühlung bringen, und die Erde konnte wieder frei atmen. Nochaber dampfte Kalkutta.
Lady Bridget Templewood stand im Küchenhaus und teilte dieZutaten für das Abendessen aus. Die Hitze schien sie nicht zu berühren. Siehielt sich wie immer kerzengerade. Die Hand mit der langen Holzkelle schöpfteErdnußöl aus dem Krug und bewegte sich dabei mit der Präzision eines Gerätes,das eigens für diesen Zweck entwikkelt worden ist. Beim Zählen formten ihreLippen stumme Beschwörungen, und das gab ihr den Anschein einer Vestalin, dieein geheimes Ritual durchführte, von dem das Schicksal des britischen Reichs abhing.Hätte man Lady Bridget das gesagt, wäre sie geschmeichelt gewesen. Selbst indiesem fernen Vorposten des prosperierenden Empire Ihrer Königlichen Majestätglaubte Lady Bridget voll Inbrunst an die Pflichten, die eine englische Damevon Adel gegenüber Königin und Heimat zu erfüllen hatte - und zu diesenPflichten gehörte auch das Küchenhaus.
Reis, Linsen und grüne Bohnen waren bereits alle sorgsamabgewogen und ausgeteilt. Die Kartoffeln - zwei für jeden und für Estelle keine- wurden gerade vom Küchenjungen geschält. Zwei gerupfte und ausgenommeneHühner lagen neben dem Kohlenherd und warteten darauf, in mundgerechte Stückezerlegt zu werden. Auf der weißen Marmortischplatte standen Curkumapaste und inEssig eingelegte zerstoßene Chilischoten, außerdem Koriander und Cumin. DieGewürze sollten für das Vindaloo-Curry den bereits schmorenden Zwiebeln in denTopf folgen. Sir Joshuas Gaumen war durch die orientalischen Eßgewohnheiten mitder Zeit unempfindlich geworden, und deshalb verlangte er scharfe Gewürze,obwohl Lady Bridget mit Freuden darauf verzichtet hätte.
Babulal beobachtete schweigend und unbewegt, wie seine Lady Meingewissenhaft das tägliche Ritual durchführte, aber innerlich kochte er. Erwartete nun schon zwei Tage geduldig auf eine Gelegenheit, die eigenenFamilienvorräte aufzufüllen. Es gelang ihm nicht, und das empfand er alsSchmach. Seine Frau lag ihm ständig in den Ohren, und überhaupt, fragte er sichempört: >Ist es nicht eine Schande, wenn die Köche in den Häusernreicher Firanghis, bei denen die Vorratskammern überquellen, sich soweiterniedrigen müssen, Nahrungsmittel für den eigenen Bedarf auf dem Markt zu kaufen?< Babulal fragte sich nicht zum ersten Mal, ob das Wenige, das er täglichbei den Besorgungen im Basar beiseite brachte, den Einsatz lohnte. SeineBitterkeit wuchs, wenn er daran dachte, wie gut andere Köche in wenigerknausrigen Häusern für sich sorgten. »Memsahib, Memsahib ! «
Das laute Rufen der Aja riß Lady Bridget aus dertiefen Konzentration. Ihre Hand zuckte, und 01 lief auf die saubergeschrubbten Steinplatten des Fußbodens. »Was um alles in der Welt ...?« »Memsahib,schneell, schneelll!« Die Aja kam schreiend in die Küche gerannt. Sie verdrehte dieAugen, und man sah beängstigend viel Weiß in dem schokoladenbraunen Gesicht.»Die amrikaaanische Miss ist vom Gaul in den Nulla gefallen ...! « Sie redete hysterisch in Hindustani weiter und brach in Tränen aus.
Lady Bridget stand stocksteif vor dem Ölkrug. Ihrekornblumen blauen Augen wurden starr vor Schreck. Die Beschwörungen waren vergessen,und ihr Mund öffnete sich vor Entsetzen. Mein Gott, wenn das leichtsinnigeMädchen sich verletzt hatte. Wie sollte sie Sean jemals wieder unter die Augentreten? Nach einer Begegnung mit ihrem Schwager Sean hatte Lady Bridget zwarkein besonderes Verlangen, aber darum ging es im Augenblick nicht. Ohne an dieöligen Finger zu denken, ließ sie die Kelle fallen, raffte ihr gestärktes weißesMusselinkleid und eilte, gefolgt von den Dienstboten, aus der Küche. Allemöglichen Befürchtungen schossen ihr durch den Kopf: Wenn Olivia sich den Halsgebrochen ..., das Rückgrat verletzt hatte oder sogar das Gesicht verunstaltetwar ...? Zitternd vor Angst eilte Lady Bridget um den zweistöckigen Bungalowzum Vorgarten, ohne darauf zu achten, daß der Saum ihres Kleides durch Pfützen undfeuchte Erde schleppte. Sie rechnete mit dem Schlimmsten, hastete um die letzteEcke und blieb wie angewurzelt stehen. Olivia hatte sich keineswegs dasRückgrat gebrochen. Sie war gerade dabei, aus dem Graben hinter derCasuarinahecke zu klettern, die den Rasen von der Auffahrt trennte. In diesemGraben sammelte sich das Regenwasser, das zu einer dicken, braunen Soßegeworden war, die an Olivia klebte. Auf der anderen Seite der Hecke stand Jasmine,die weiße Stute. Der Sattel hing schief, und die Zügel waren wie Luftschlangenum ihren Hals geschlungen. Sie wieherte leise und entschuldigend. Olivias neuerReithut (aus London und erst in der letzten Woche für eineinhalb Rupien beiWhiteaway Laidlaw gekauft) trieb im schlammigen Wasser langsam davon; eslohnte sich nicht, ihn zu retten. Aber noch schlimmer war, daß der Sohn des Stallburschen,dieser freche Kerl, Olivias Hand hielt und versuchte, ihr beim Herauskletternzu helfen. Die beiden schienen die Sache auch noch lustig zu finden!
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1990
Übersetzung: Manfred Ohl und Hans Sartorius
- Autor: Rebecca Ryman
- 2015, 20. Aufl., 816 Seiten, Maße: 12,5 x 19,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Manfred Ohl, Hans Sartorius
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596111862
- ISBN-13: 9783596111862
- Erscheinungsdatum: 01.11.1992
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