Wort für Wort oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben
Interessante Einblicke in...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Interessante Einblicke in die Kunst des Schreibens von der ''Meisterin des englischen Spannungsromans''
New York Times
Wort fürWort von Elizabeth George
LESEPROBE
Die Geschichte besteht aus den Figuren
Mache ich mir etwas vor, wenn ich mich für eine »kreativeKünstlerin« halte? Kann ich überhaupt eine kreative Künstlerin sein, wenn ich aufeine so akademische und methodische Art vorgehe?
Tagebuch eines Romans,
25. Juni 1997
Auf meinem Schreibtisch liegt eine große Platte aus Plexiglas,unter die ich allerlei Krimskrams geschoben habe, der mich inspirieren oderaufheitern soll, wenn mich tiefe Verzweiflung packt und ich mich frage, warumich mich schon wieder auf ein so schwieriges Projekt eingelassen habe. Dazu gehöreneine Kopie von John Steinbecks Brief an Herbert Sturz über den Roman Früchtedes Zorns - seine Kommentare über Kritiker rufen bei mir stets ein Lächelnhervor -, Bilder von meinem Hund, von mir selbst, wie ich albern grinsend nebeneiner Figur von Richard dem Dritten aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett inLondon stehe, und mehrere Zitate von Schriftstellern zu dem einen oder anderenThema. Einer dieser Autoren ist Isaac Bashevis Singer, der 1978 in einemInterview mit Richard Burgis sagte:
Wenn Menschen zusammenkommen - beispielsweise auf einerkleinen Party -, sprechen sie immer über den Charakter. Sie sagen, der hateinen schlechten Charakter und der einen guten; der hier ist ein Dummkopf undder da ein Geizhals. Die Gespräche bestehen aus Klatsch. Alle analysieren denCharakter. Es scheint, als sei die Analyse des Charakters die höchste Formmenschlicher Unterhaltung. Und in der Literatur erfolgt sie, anders als beimKlatsch, ohne Namen von wirklichen Personen zu nennen.
Die Schriftsteller, die nicht über ihre Figuren reden, sondernüber Probleme - soziale oder andere Probleme -, rauben der Literatur ihreigentliches Wesen. Sie hören auf zu unterhalten. Wir allerdings lieben es ausirgendwelchen Gründen, über den Charakter einer Person zu reden und ihn zuergründen. Das liegt daran, dass jeder Charakter verschieden und dermenschliche Charakter das größte Rätsel ist.
Damit will ich nun beginnen, wenn ich den Grundstein für meineErforschung unseres Handwerks lege: mit den Romanfiguren.
Nicht mit der Thematik?, mögt ihr verwundert fragen. Nichtdamit, woher ein Schriftsteller seine Ideen bekommt? Was ein Autor mitden Ideen macht? Wie ein Schriftsteller aus seinen Themen eine Erzählungformt?
Dazu kommen wir später. Aber wenn ihr nicht versteht, dasseine Geschichte aus den Figuren besteht und nicht nur aus der Idee oder demThema, dann könnt ihr selbst dem genialsten Einfall kein Leben einhauchen.
Was uns nach der Lektüre eines guten Romans vor allem imGedächtnis haften bleibt, sind die Personen. Das liegt daran, dass Ereignisse -sowohl im realen Leben als auch in der Fiktion - bedeutsamer werden, wenn wirdie Menschen kennen, die von ihnen betroffen sind. Erhält die Katastrophe einmenschliches Antlitz, berührt sie uns tiefer; wir lassen uns sogar zuHandlungen bewegen, an die wir vorher nur beiläufig gedacht haben. München 197z,die Achille Lauro, Pan Am 103, Oklahoma City, der II.September... Wenn diese Tragödien menschlich werden, weil man sie mit wirklichenPersonen verbindet, die sie überlebt haben oder durch sie gestorben sind,prägen sie sich unauslöschlich im kollektiven Bewusstsein einer Gesellschaftein. Am Anfang sehen wir ein Ereignis in den Nachrichten, doch gleich daraufstellen wir uns die Frage »Wer?«.
Im Roman ist das nicht anders. Der Prozess gegen Tom Robinsonist in seiner Ungerechtigkeit kaum erträglich, verstörend und herzzerreißend,doch wir erinnern uns an diese Verhandlung wegen Tom Robinsons stiller Würdeund Atticus Finchs heroischer Verteidigung, die im sicheren Wissen erfolgt,dass sein Klient aufgrund der Zeit, des Orts und der Gesellschaft, in der siebeide leben, schon im Vorhinein verurteilt ist. Der Roman Wer dieNachtigall stört erreicht damit die Höhe der zeitlos klassischen Literatur,und das verdankt er nicht dem Thema der Unschuld der Kindheit inmitten einer abstoßendenUmwelt voller Vorurteilen und Brutalität, sondern seinen Figuren. Das gilt fürjedes große Buch, und die Namen der Männer, Frauen und Kinder scheinen helleram Firmament der Literaturgeschichte als die Geschichten, in denen sie eineRolle spielten: Elizabeth Bennett und Mr. Darcy, Jem und Scout Finch, CaptainAhab, Hester Prynne, Sherlock Holmes, Heathcliff, Ebenezer Scrooge, HuckleberryFinn, Jack-Ralph-and-Piggy, Hercule Poirot, Inspektor Morse, George Smiley,Anne Shirley, Laura Ingalls ... Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. MitAusnahme der letzten ist keine einzige Figur eine wirkliche Person. Doch allevon ihnen existieren, weil der Autor sie so erschaffen hat.
(...)
© by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Übersetzung: Elke Hosfeld
Autoren-Porträt von Elizabeth George
DieAmerikanerin Elizabeth George hatte von Jugend an ein ausgeprägtes Faible fürdie britische Krimitradition. Bereits in ihrem ersten Roman kombinierte siepsychologische Raffinesse mit einem unfehlbaren Sinn für Spannung und Dramatik:Gott schütze dieses Haus (dt. 1989) wurde mit mehreren namhaften Auszeichnungengewürdigt. Elizabeth George lebt in Huntington Beach, Kalifornien.
- Autor: Elizabeth George
- 2004, 350 Seiten, Maße: 14 x 20,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Elke Hosfeld
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442416647
- ISBN-13: 9783442416646
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Wort für Wort oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben".
Kommentar verfassen